Innovation Stuntmen - Stefan Scheer - E-Book

Innovation Stuntmen E-Book

Stefan Scheer

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Beschreibung

Lernen Sie Menschen kennen, die mit ihrer Arbeit unsere Welt neu erfinden. »Innovation Stuntmen« führt Sie auf eine reichhaltig bebilderte Reise durch die aufregendsten Felder der Innovation und stellt moderne Erfinder vor, die sich den letzten wirklichen Abenteuern stellen: die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Unter anderem: Der britische Starkoch Arthur Potts Dawson, der mit dem "People's Supermarket" das Prinzip Konsum neu erfindet; der Architekt Francis Kéré, der in Afrika eine Baukultur entwickelt, die zum Vorbild für den Rest der Welt werden kann; der kalifornische Gamedesigner Jenova Chen, der mit seinen preisgekrönten Videospielen neue Gefühlswelten auslotet; und die New Yorker Designerin Katie Salen, die die Schule ein Spielfeld verwandelt und so das Lernen der Zukunft erforscht. Darüber hinaus lernen Sie die Architekten Skylar Tibbits und Anders Willhelmson kennen und unternehmen mit den Informatikern Hod Lipson, Seth Cooper und Yaw Anokwa Ausflüge in die Gebiete der künstlichen Intelligenz, der medizinischen Forschung und des aufstrebenden digitalen Afrikas. Mit einem Vorwort von Alexander Osterwalder.

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Über das Buch

Batman, Superman und Spiderman können in Rente gehen. Denn die wahren Superhelden sind: die Innovation Stuntmen! Und welche Superkräfte bringen die mit? Keine, um genau zu sein. Denn die Innovation Stuntmen sind Menschen wie wir. Angetrieben von einer fixen Idee, die ihnen eine besondere Kraft verleiht – die Kraft, die Welt zu verbessern. Seth Cooper ist so ein Held: Der Computerspiel-Experte verknüpft Gaming und Medizin. Und rückt damit dem Schlüssel zur Heilung von Alzheimer näher. Oder Francis Kéré, der in Burkina Faso mit partizipativer Architektur sozialen Auftrag und profitables Wirtschaften verknüpft. Diese Menschen lehren uns, wie man die Welt mit seinen eigenen Mitteln verändert. Wie man das Unmögliche schafft. Sie wären auch gern ein Superheld der Neuzeit? Dazu brauchen Sie kein Cape, sondern nur dieses Buch.

Über die Autoren

Stefan Scheer ist kreativer Berater, Autor und Initiator zahlreicher Projekte und Veranstaltungen zum Thema Kreativität. Er lehrt als Gastprofessor an der Folkwang Hochschule der Künste.

Tim Turiak ist kreativer Berater, Autor und Redakteur. Als Dozent lehrt er an der Fachhochschule Düsseldorf.

Gemeinsam gründeten sie das Portal innovationstuntmen.com, das sich der kulturellen und gesellschaftlichen Innovation verpflichtet hat.

Vorwort von Alexander Osterwalder.

Innovation Stuntmen. Die neuen Helden.

ARTHUR POTTS DAWSON

Die Community. Das Unternehmen des 21. Jahrhunderts.

JENOVA CHEN

Der Markt der Gefühle.

FRANCIS KÉRÉ

Die neue Welt.

SKYLAR TIBBITS

Programmable Matter. Das Unbelebte beleben.

KATIE SALEN

Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert.

HOD LIPSON

Der Ingenieur des Lebens.

ANDERS WILHELMSON

Der Architekt sozialer Strukturen.

SETH COOPER

Das Elektronengehirn.

YAW ANOKWA

Das Betriebssystem der Zukunft

Nachwort

VORWORT

Die in diesem Buch portraitierten Menschen sind Gestalter sozialer Systeme. Sie analysieren Bestehendes und Bekanntes, um es in neue Formen zu packen, und helfen damit, die Zukunft zu gestalten.

Oder sie gehen neue Wege, indem sie neue Technologien auf eine Art und Weise nutzen, welche unsere Gesellschaft manchmal für immer verändert. Sie schärfen den Blick auf unser Leben und unsere Welten, wie wir vernetzt sind, wie wir wirken.

Innovation ist in diesem Sinne nicht »nur« Erfindung, sondern stetige Erneuerung, die sich an der Dynamik sozialer Systeme orientiert. Das Ziel dieser Erneuerung ist, auf ein System zu wirken, um neue Dimensionen zu eröffnen, um neue Alternativen zu ermöglichen. Diese Innovationen gehen weit über den Nutzen einfacher Produkte oder Technologien hinaus.

Dieses Buch enthält eine Auswahl an Portraits von Menschen, die sich bewusst dafür entschieden haben, etwas zu verändern. Menschen, die Risiken in Kauf nehmen, um Neues zu probieren.

Alexander Osterwalder

INNOVATION STUNTMEN.DIE NEUEN HELDEN.

Wer das Neue in die Welt tragen will, braucht dafür ein Arsenal an Sicherheitsvorkehrungen. Denn das Neue ist gefährlich. Es stellt Bestehendes infrage, unsere Gewohnheiten, das Geschäft, den ganzen lieben Alltag. Wer es trotzdem wagt, wird zum Innovation Stuntman, zu einem, der nicht nur das Gewohnte aufs Spiel setzt, sondern auch sein Geld und häufig auch seinen Ruf. So entstehen die Helden von heute. Sprung um Sprung werfen sie sich über unerforschten Gefilden ab, landen auf der Nase, springen wieder, und erst wenn die Vita voller Narben ist, betreten sie unter Applaus die Bühne. 

Dieses Buch erzählt die Geschichte einer ganz besonders verwegenen Gruppe von Innovation Stuntmen. Sie widmen ihr Leben einer seltenen und gefährlichen Ausprägung des Neuen. Damit zwingen sie uns, unseren eigenen unscharfen Begriff von Innovation zu überprüfen, ihn einer Testsituation zu unterziehen. Mit dem Ziel, herauszufinden, was das Neue zur Innovation macht und wo es im Unterschied dazu nur eine Bequemlichkeit ist. 

Das Feld der Innovationen ist für die Liebhaber des Status quo da am gefährlichsten, wo in der Folge Macht neu verteilt wird. Wenn Innovationen Menschen helfen, ihre Talente besser einzusetzen und bestehende Verhältnisse neu zu definieren. Wenn es um mehr geht als nur die technische Weiterentwicklung eines neuen Hinterachsquerlenkers. 

Ein gutes Beispiel dafür ist Yaw Anokwas Open Data Kit, das den Einwohnern der afrikanischen Savanne zum ersten Mal die Möglichkeit gibt, die Probleme der eigenen Krankenerhebung selbst in die Hand zu nehmen. Anokwas Entwicklung verstärkt menschliche Talente wie die Fähigkeiten zur Analyse und Organisation sowie zu komplexer Kommunikation. Alles wesentliche Aspekte unserer Natur, die Anokwa mit seiner Arbeit zum Schwingen bringt. 

Dieses Buch stellt neun Innovation Stuntmen vor, die sich unter anderem mit den Themen Architektur, Design, Kunst, Robotik und Lehre befassen. Sogar Gamedesign hat darin einen Platz gefunden, eröffnet es doch ein neues, interaktives Feld für die Künstler der Zukunft. Wer sich mit der Arbeit dieser außergewöhnlichen Menschen befasst, reist dabei nicht nur durch die nahe Zukunft, sondern auch durch das Universum an Talenten, das in uns steckt. Die Autoren wünschen viel Spaß damit!

ARTHUR POTTS DAWSON

WIE EIN STARKOCH DAS PRINZIP KONSUM NEU ERFINDET. UND DAMIT VIELEN MENSCHEN SINN STIFTET.

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Bildnachweis: Haarala Hamilton

DIE COMMUNITY.DAS UNTERNEHMEN DES 21. JAHRHUNDERTS.

Auf die Frage, wie ein guter Unternehmer aussieht, zaubert jedes Zeitalter eine passende Figur aus dem Zylinder. Anfang des 20. Jahrhunderts kommt sie als bösartiger Mann mit Hut und Schnauzbart daher, der aus seinen Angestellten auch noch den letzten Tropfen Schweiß herauspresst. In den 70er-Jahren wird daraus ein grau melierter und nadelgestreifter Leistungsträger, der auf den Titelseiten der Wirtschaftsmagazine mit seinem Aktenkoffer locker über die Hürden einer Wettkampfbahn hüpft. Kaum 20 Jahre später verpuppt er sich abermals und überrascht die Welt mit Dotcom-Fantasien in Jeans und T-Shirt.  

Doch was ist der Unternehmer der Zukunft? Wie haben wir uns den Entrepreneur der nächsten 100 Jahre vorzustellen? Aus welchem Holz ist er geschnitzt, dieser einst von Joseph Schumpeter als eine Art Krone der marktwirtschaftlichen Schöpfung erdachte Macher, der in einem Akt »kreativer Zerstörung« das Alte hinter sich lässt sowie das Hier und Jetzt mit einem Arsenal disruptiver Innovationen erschüttert?

Denn so sehr sich auch die Formen im Laufe der Jahrzehnte gewandelt haben, so sehr ist das Prinzip des Unternehmers doch an das Dogma der Profitmaximierung geknüpft. Ganz egal, ob die Vorgaben durch Shareholder oder das Ego definiert werden. Ganz egal, ob man in Anzügen von Brioni oder Adiletten auftritt. Der Unternehmer ist immer noch vor allem fleischgewordenes Profitcenter.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass er als Beweger in einem gesellschaftlichen Umfeld agiert, das dieses Prinzip nicht rundheraus infrage stellt. Aber je häufiger das Prinzip Leistung an seine Grenzen stößt, je tiefer das Vertrauen in kapitalmarktgetriebene Mechanismen sinkt und je weniger attraktiv die klassischen Belohnungssysteme um Jahresgehalt, Firmenauto und anhängendem Privilegien-Schnickschnack werden, desto dringender wird der Ruf nach Bewegern, die anderen Maximen verpflichtet sind.

Für die großen Aufgaben des 21. Jahrhunderts, so die These, sind Unternehmerpersönlichkeiten gefragt, die unabhängig von althergebrachten oder überholten äußeren Zielen handeln.

Einer, der damit noch nicht am Ende ist, aber bereits eine beträchtliche Wegstrecke zurückgelegt hat, ist der englische Starkoch und Unternehmer Arthur Potts Dawson. Er hat für sich nicht nur die Rolle des Unternehmers neu definiert, sondern im selben Zug auch die Form des Unternehmens. Für ihn ist es die Community.

MIT DEM KOCHLÖFFEL IN DIE ZUKUNFT.

Nach außen hin ist Arthur Potts Dawson ein Entrepreneur, wie ihn sich die Redakteure der Wirtschaftsmagazine attraktiver nicht wünschen können. Der erfolgreiche Restaurant-Unternehmer hat bei Jamie Oliver gelernt, gilt als Starkoch, ist klug, schnell, jung und gut aussehend. Er ist geübt in asiatischen Kampfsportarten, ein hingebungsvoller Vater, einer, der sich für seine Mitarbeiter aufopfert wie kein anderer. Und wenn er spricht, entfaltet er mehr Überzeugungskraft, als von mancher Kanzel ausgeht, denn sein Handeln basiert auf einer tief empfundenen, in vielen Jahren gereiften Überzeugung. So steckt er viele seiner Kollegen in die Tasche, ohne einen einzigen Topf in die Hand genommen zu haben.

Und tatsächlich wäre er ein lupenreiner Entrepreneur, hätte er nicht einen entscheidenden Makel, der ihn in der Kaste der Unternehmer zum Aussätzigen macht. Potts Dawson geht es nämlich nicht um die Maximierung seiner unternehmerischen Gewinne. Er ist an einer ganz anderen Währung interessiert, die in Zukunft für viele Unternehmen immer wichtiger werden wird. Es geht ihm um die Gemeinschaft. Für die Umsetzung seiner anspruchsvollen Ziele reaktiviert er eine der ältesten wirtschaftlichen Konstruktionen der Geschichte: die Kooperative.

IT’S A CO-OP COME AND JOIN!

Potts Dawsons Kampfruf: »It’s a co-op come and join!« Seine Idee: Wer eine Gesellschaft verändern will, muss an der Basis anfangen. Und zwar beim Essen.

Der Unternehmergeschichte ging eine Eingebung voraus, die sich im Anschluss an die Geburt seines Sohnes zugetragen hatte. Als gelernter Koch ließ Potts Dawson es sich nicht nehmen, dem Neuankömmling selbst gemachten Süßkartoffelbrei zuzubereiten. Aber es war nicht das Füttern, das den Erkenntnisprozess in Gang setzte, denn das macht der britische Koch Tag für Tag mit Hunderten von Gästen. Es war das Erlebnis, dass am unteren Ende auch wieder was rauskommt. Und damit die Erkenntnis, dass man, wenn man seine Sache ernst nimmt, diese Sache auch zu Ende denken muss. Eine durchaus alltägliche Eingebung, die jedoch einen weitreichenden Denkprozess in Gang setzte: »Weil man mit der Scheiße nichts zu tun haben wollte, wurde sie im viktorianischen Zeitalter einfach weggespült. Dabei steckt viel Gutes darin, zum Beispiel Phosphat oder Brennwerte, also Energie. Und darum geht es mir im Grunde. Alles, worüber wir reden, bezieht von irgendwoher Energie. Die Energie der Sonne geht in die Pflanzen über. Somit wächst diese Energie dann wiederum aus dem Erdboden. Um Weizen herzustellen, braucht man genauso Energie wie für seinen Transport, das Backen, den Konsum, ja sogar das Wegwerfen erfordert Energie. Alles ist Energie. Wenn wir diesen Kreislauf unterbrechen, machen wir daraus eine Sackgasse. Aber der Planet ist nicht als Einbahnstraße angelegt, sondern als Kreislauf. Deshalb ist meine Idee, den Kreislauf wieder zu schließen und unsere Nahrungssysteme wieder ins Gleichgewicht zu bringen.«

Dieser Urknall begründete das Universum, in dem die Unternehmen von Arthur Potts Dawson von nun an leben würden. Mit seinen Kollegen David Barry und Kate Bull gründete er nach einer Reihe ökologischer Restaurants den »People’s Supermarket«.

Dieser Supermarkt ist der Dreh- und Angelpunkt für Potts Dawsons ebenso unternehmerisches wie politisch-gesellschaftliches Handeln. Der junge Koch will den Landsleuten gutes Essen auf den Tisch bringen und muss die Dinge dafür nachhaltig ändern. Potts Dawson hatte als Betreiber seiner eigenen Restaurants tiefen Einblick in die ökonomischen Hintergründe der Nahrungsmittelindustrie und ihrer sozialen Implikationen. Wenn man ihn nach der Grundidee für sein Unternehmen fragt, antwortet er: »Die Idee ist, dass mich die bourgeoise Mittelklasse ankotzt, die sich zurücklehnt und glücklich schätzen kann, Hühnchen für 15 Pfund und Brot für 4 Pfund 40 zu kaufen.«

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Gesundes Essen aus der Umgebung. Der Ursprung des People’s Supermarket.

Bildnachweis: Haarala Hamilton

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Der People’s Supermarket ist kein Treffpunkt für figurbesorgte Edel-Ökos, sondern ein Laden von jedermann für jedermann.

Bildnachweis: Haarala Hamilton

Darin sieht Potts Dawson ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem. Denn obwohl diese Einkommensschicht in England nur einen Bruchteil ausmacht, diktiert sie die Ernährungsweise des ganzen Landes. Damit überlassen die Reichen die Armen der Gier der Supermarktketten. In Großbritannien werden drei Viertel des Marktes von den vier großen Ketten, Asda, Morrisons, Sainsbury’s und Tesco, dominiert. Eine Situation, die man so oder ähnlich in vielen europäischen Staaten findet.

Viele der Restaurant-Zulieferer, mit denen Potts Dawson eng zusammenarbeitete, klagten bitterlich über ihre Schwierigkeiten, Waren beim ungünstigen Wechselkurs des Euro innerhalb der Eurozone an den Mann zu bringen. Supermärkte lehnten ihr Obst und Gemüse ab und zerstörten damit Betriebe, die seit vielen Generationen als Familienunternehmen geführt wurden. Potts Dawson bekam diesen Verfall aus erster Hand mit.

Für ihn geht es dabei nicht nur um den Bankrott kleiner Unternehmen, sondern um den unwiederbringlichen Verlust essenzieller Informationen. Denn sein Interesse gilt der Weitergabe von Wissen über Nahrung über mehrere Generationen hinweg. Wenn dieses Wissen verschwindet, so Potts Dawson, werden wir eines Tages nicht mehr in der Lage sein, uns selbst zu ernähren.

»Deswegen wollte ich mich mit den Leuten direkt treffen, ihnen erklären, was wir hier machen, und mit ihnen eigene Handelsketten aufbauen, die von ländlichen Gegenden bis in die Stadt reichen.« Potts Dawson wollte die Konsumenten seines Marktes von Anfang an zu emanzipierten Spezialisten machen. »The People’s Supermarket« funktioniert deshalb als eine Art Genossenschaftsmodell: Für 25 britische Pfund kann man Mitglied werden, erhält 10 Prozent Rabatt auf seine Einkäufe, verpflichtet sich aber auch, vier Stunden im Monat unbezahlt im Markt zu arbeiten. Dafür kann jedes Mitglied mitbestimmen, was verkauft werden soll und wie der Laden sich entwickelt.

Neben dem historischen Vorbild der Kooperative soll an dieser Stelle auch die Park Slope Food Coop in Brooklyn, New York, erwähnt werden. Mit ihren mehr als 15.000 Mitgliedern ist sie die Grande Dame einer Bewegung, in deren Tradition auch der People’s Supermarket steht. Dafür, dass ihre Mitglieder einmal im Monat aktiv werden, erhalten sie Rabatte zwischen 20 und 40 Prozent auf Gemüse. In Anbetracht seiner Dimensionen kann man dem Modell der Kooperative daher eine wichtige kaufmännische Qualität attestieren: Es ist skalierbar.

Die Idee ist also nicht neu. Aber wie immer geht es um die Frage, was sie im Kontext bewirkt. Und da funktioniert der People’s Supermarket anders als der Rest der Konsumlandschaft.

Seine Geschichte begann in Potts Dawsons Nachbarschaft. Kein klassisches Reichenviertel und auch ohne die für solche Vorhaben obligate Schicht alternativer Hedonisten. Gut für einen, der es ernst meint, aber ebenso schwierig, denn mit Heiler-Welt-Romantik allein kommt man in solchen Umgebungen nicht weit. Die Argumentation des Supermarktes gründete also nicht auf esoterischen Heilsversprechen, sondern auf kaufmännischen Vorteilen. Sie begann mit dem Versprechen, dass die Produkte günstiger seien, wenn man selbst Besitzer des Supermarktes wäre. Auf dieser Basis gewann Potts Dawson die ersten 25 bis 30 Eigentümer der neuen Kooperative, hauptsächlich Rentner. Nicht gerade glamourös. Aber ein Anfang.

DIE COMMUNITY ALS BATTERIE.

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Durch die Initiative von Potts Dawson werden viele regionale Familienunternehmen gestärkt.

Bildnachweis: Haarala Hamilton

Mit den ersten Teilhabern entstand auch zum ersten Mal das Gefühl einer aufkeimenden Community. Zunächst waren es nur einige wenige Anhänger, die Potts Dawsons neue Idee miteinander teilten. Aber Grund genug für den leidenschaftlichen Unternehmer, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Er klopfte in seiner eigenen Nachbarschaft an Tausende Türen, verteilte Flugblätter, die erklärten, was der Zweck des neuen Ladens war. Man erklärte ihn für verrückt, nahm ihm den Gemeinsinn nicht ab. Er erklärte den potenziellen Teilhabern der Kommune, dass sie in Zukunft alles, was sie bräuchten, in ihrem eigenen Laden kaufen könnten. Aber die Antwort war fast immer dieselbe: Die Leute wollten lieber in den gewohnten Supermarkt um die Ecke gehen. Er argumentierte mit den günstigeren Preisen – wieder wollten die Leute lieber in ihren alten Supermarkt um die Ecke gehen. Eine frustrierende Erfahrung, die er sich heute so erklärt: »Wir sind nicht darauf programmiert, uns als Gruppe zusammenzuschließen, um das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wir denken immer, dass irgendwer sich schon um uns kümmern wird.«

In diesem Fall war es Potts Dawson, der sich kümmerte. Und als er irgendwann, trotz fehlender Unterstützer seiner Idee, ein Ladenlokal fand, das ihm passend erschien, steckte er 11.000 Pfund in die Renovierung. Er erneuerte Wände und Beleuchtung, besserte den Boden aus. Noch heute versprüht der Laden trotz hübschen Grafikdesigns eher den Charme einer Schulbücherei. Aber die Aktivitäten hatten noch einen anderen Effekt, denn sie blieben den Anwohnern nicht verborgen. Nach und nach steckten Leute die Köpfe herein und wollten wissen, was der junge Mann da so trieb. Immer wieder erklärte er ihnen sein Konzept der Teilhabe. »Es ist unglaublich, wie unsicher die Leute wurden, als sie begriffen, dass es bei der Sache keinen Chef im klassischen Sinne gibt. Aber andererseits gefiel ihnen die Idee, dass sie sich selbst verwirklichen konnten.«

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Was am Anfang eine echte Hürde für den People’s Supermarket war, wurde im Laufe der Zeit sein größter Vorteil: die Community.

Bildnachweis: Haarala Hamilton

In dieser Selbstverwirklichung sieht Potts Dawson eine wichtige Motivation für die Besitzer der Kooperative. Für viele war es eine echte Offenbarung, Teilhaber eines eigenen Geschäfts zu sein, selbst zu entscheiden, wie und wo man was ankauft, um das Ganze dann im Kreise der Freunde und Verwandten zu verkaufen. Ganz langsam wuchs die Community dann organisch aus sich selbst heraus. Von 20 auf 40 und dann auf 200 Teilhaber. Die Mitglieder wendeten sich selbstständig auch an kleinere Produzenten, kauften dort Gurken und Tomaten ein, begriffen langsam, worin der Sinn des Ganzen bestand.

»Menschen haben das Bedürfnis nach Nähe, nach Austausch. Sonst wird man ein Nobody. Man wird zum Produkt der kapitalistischen Gesellschaft und rauscht durch die Jahrzehnte, ohne es zu merken. Ein Teil der Magie des People’s Supermarket besteht darin, der Gesellschaft dieses urmenschliche Element zurückzugeben.« Die erstarkende Community gab dem Supermarkt jedoch nicht nur Kraft von innen. Sie veränderte ihn auch. Ursprünglich hatte Potts Dawson den Supermarkt als rein biologisch orientiertes Unternehmen konzipiert, das Bio-Produkte zu den gleichen Preisen anbot wie herkömmliche Lebensmittel. Als gestaltender Visionär musste sich Potts Dawson erst an die neue demokratische Dynamik gewöhnen, die von der Community ausging.