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Das Werk befasst sich mit sozialpolitischen Innovationen, die Lösungsstrategien zu Fragen des gelingenden Alterns der Menschen in der sich transformierenden Gesellschaft finden wollen. Ein Schwerpunkt wird auf die Werte-orientierte Frage gelegt, wann eine Innovation tatsächlich innovativ ist, um Praktiken der diskriminierenden Demütigung (wie Ausgrenzung, Bevormundung und Kränkung) zugunsten einer Aktualgenese der personalen Würde zu überwinden. Hierzu wird ein Index der Innovativität vorgestellt und erläutert sowie mit Bezug auf daseinsthematisch relevante Aspekte exemplarisch zur Anwendung gebracht.
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Seitenzahl: 193
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Alle enthaltenen Abbildungen wurden von Frau Michaela Lautenschlager erstellt.
1. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-041930-8
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-041931-5
epub: ISBN 978-3-17-041932-2
Seit nunmehr 60 Jahren versteht sich das KDA als Impulsgeberin. Eine Zeitspanne, die impliziert, dass sich eine Institution immer wieder justieren und auch selbst – zumindest in Teilen – immer wieder neu (er)finden muss. Unter dieser Voraussetzung der Bereitschaft zur eigenen Erneuerung kann das folgende Bild für das KDA skizziert werden: Das KDA steht heute mit seinen Themen und seinen Projekten mit den Füßen in der Tradition und mit dem Kopf in der Innovation.
Die Tradition hat Wilhelmine Lübke begründet, Gattin des damaligen Bundespräsidenten. Sie hat das KDA ins Leben gerufen, um die Lebenswirklichkeit von alten Menschen humaner zu gestalten. Dies war ein innovativer Ansatz in seiner Zeit, die die Begleitung und Versorgung alter Menschen in ausschließlich hospitalisierenden Mehrbettzimmern sah. Bezeichnenderweise beschreibt der Begriff des »Bettes« die damaligen Wohn- und Lebensszenarien alter Menschen.
Der Innovation hat sich das KDA – verbunden mit der Verpflichtung zu Neutralität und Unabhängigkeit – mit dem Auftrag verpflichtet, stets zu hinterfragen, neue Ansätze zu entwickeln, Impulse zu geben, wissenschaftliche Erkenntnisse zu erproben und in die Praxis umzusetzen – für ein gemeinwohlorientiertes Zusammenleben der Generationen.
Tradition hat auch das Verhältnis KDA und DHW – so erhielt das KDA in den 60 Jahren einen Kapitalgrundstock aus einer Einspielung der Deutschen Fernsehlotterie und wird in der Satzung des DHW namentlich als Destinatär genannt. Eine daraus abzuleitende Kooperation bzw. besondere Rolle haben aber nicht zu Bevorzugung geführt. Das KDA muss wie alle anderen Antragsteller die Prüfverfahren durchlaufen und ein positives Votum durch das Kuratorium und den Vorstand des KDA erhalten.
Und auch in diesem Verhältnis findet sich Innovation – die Bereitschaft des DHW, die eigene Förderpraxis zu hinterfragen und eben ein Projekt des KDA zu fördern, dass diesen Prozess durch ein handhabbares und verifizierbares Instrumentarium unterstützen kann. Die Bereitschaft und der Wille dazu sind die Voraussetzung dafür, dass das Projekt des KDA authentisch ist und auch mit der Historie des KDA und des DHW als ein »Verbunden-Sein« betrachtet werden kann
Das KDA arbeitet damit für Innovation in der Gestaltung würdevoller und selbst bestimmter Lebenswirklichkeiten: also dafür, dass Menschen auch mit zunehmendem Unterstützungs- und Pflegebedarf eine respektvolle Wertschätzung aus der Haltung der Achtung heraus erfahren, aktive, nicht nur passive Teilhabe leben können und darüber, wie, wo und mit wem sie leben wollen, selbst bestimmen können. Das hört sich erst einmal selbstverständlich an, weil es auch so im Recht steht, ist es aber nicht, wie wir wissen, weil die Wirklichkeit oftmals anders aussieht.
In diesem Kontext stehen aktuelle Projekte, die das KDA mit Unterstützung des DHW realisieren kann. Gemeint sind keine Forschungsprojekte, die wissenschaftliche Normen erfüllen, sondern für und mit Menschen entwickelte Real-Experimente im Feld der Praxis.
Ein zukunftsweisendes und den Anspruch auf Innovation erfüllendes Beispiel ist das vom DHW geförderte Projekt »Wohnen 6.0« als ein Ansatz, mehr demokratisch getroffene Entscheidungen in Einrichtungen mit umfassenden Versorgungsangeboten zu realisieren – es widerstrebt mir hier, von »Heimen« zu sprechen.
Ziel ist es, dass in allen Fragen, welche die Begleitung, Versorgung und Pflege von in der Regel älteren und hochaltrigen Menschen betreffen, in welcher gemeinsamen Wohnform auch immer sie zusammenleben und arbeiten, diese Menschen selbst die Entscheidungen treffen.
Das ist für die professionelle Pflege, insbesondere im stationären Bereich, eine riesige Herausforderung, weil es vertraute Organisations-, Handlungs- und Entscheidungsabläufe in Frage stellt. Es ist aber auch eine echte Chance, dass sich Settings entwickeln, in denen die Menschen gerne leben (und nicht nur die letzten Monate ihres Lebens, weil eine Versorgung anders nicht mehr möglich wäre). Und es birgt eine große Chance, dass Menschen gerne in der Pflege arbeiten, weil sie gehört werden und mitwirken können, Anerkennung, gute Arbeitsbedingungen und Entlohnung natürlich vorausgesetzt.
Es möge noch auf zwei wesentliche Merkmale des KDA hingewiesen sein, die diese Institution von anderen Institutionen unterscheiden:
Das KDA erhält keine institutionelle Förderung (was die Arbeit im Sinne auch eines solch relativ kleinen Think Tanks sehr erleichtern würde) und es steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, der auch die Kurator*innen als Mitglieder des KDA beruft. Diese Berufungen erfolgen auf Lebenszeit, was eine gewisse Dynamik zwar einschränkt, aber auch eine Verpflichtung von Expertinnen und Experten zu ehrenamtlicher Mitarbeit im KDA bedeutet.
In diesem Selbstverständnis hat sich das KDA in seiner Arbeit und seinen Schwerpunkten und Themen, seinen Mitarbeitenden und Mitgliedern immer wieder erneuert. Die Verbindung aus (junger) Profession und (erfahrenem) Ehrenamt ist in unserer bunten Welt der Institutionen eine Ausnahme und steht auch für das Spannungsfeld des KDA zwischen Tradition und Innovation und seine daraus resultierende Selbstverpflichtung.
Mit dem Einsatz des neuen Screeninginstruments bei neuen Vorhaben und Projekten kann das KDA diese Selbstverpflichtung weiter einlösen. Dies gilt für alle Institutionen im Bereich der (nicht nur) klassischen Wohlfahrtspflege. Im Vorfeld eines Vorhabens und eines Projektantrages selbst kritisch zu prüfen, ob auch Innovation durch das Vorhaben erreicht werden kann, wenn der Anspruch darauf erhoben wird, das ist innovativ im Feld der Innovationsansprüche. Jeder will es sein, das Instrument wird helfen zu beurteilen, ob der Anspruch darauf auch jeweils eingelöst werden kann.
Mit der Gründung des Deutschen Hilfswerks im Jahre 1967 hat der Stifter als Ziel und Auftrag festgeschrieben, »soziale zeitgemäße Maßnahmen« zu fördern, »insbesondere solche mit Modellcharakter«. Was sozial zeitgemäß ist, so könnte man zunächst allgemein beschreiben, beantwortet uns jeden Tag aufs Neue unsere Gesellschaft. Sie ist gekennzeichnet durch einen stetigen und dynamischen Veränderungsprozess, der laufend Herausforderungen im Miteinander hervorbringt und deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert. Um als Förderstiftung den am Ende der 1960er-Jahre formulierten Stifterwillen erfüllen und verantwortungsbewusst mit dem Vertrauen der Spieler*innen der Deutschen Fernsehlotterie in die Stiftung umgehen zu können, ist insbesondere die historisch variable Größe der Zeitgemäßheit auf den Prüfstand zu stellen und kontinuierlich auf ihre Aktualität hin zu befragen. Denn nur auf diese Weise können aktuelle Probleme und Bedarfe beschrieben, Innovationen erkannt, Ziel und Auftrag des Stifters erfüllt und so zeitgemäß gefördert werden.
Im Stiftungs- und Förderwesen sowie in einer Vielzahl von Sozialunternehmen wächst das Bewusstsein für das Thema Wirkung und die Notwendigkeit zur Etablierung förderlicher Rahmenbedingungen, unter denen soziale Innovationen entstehen und begleitet werden können. Umso drängender steht die Beantwortung der Frage aus, wann eine soziale Innovation eigentlich sozial innovativ ist. Wer unter einer Innovation schlicht die Einführung von etwas Neuem versteht, übersieht die Notwendigkeit, Innovation und Wirkung messbar machen zu müssen. Denn eine Unterscheidung in alt und neu bleibt immer dann unterkomplex, wenn dem Neuen der wirkungsorientierte Rahmen fehlt. Mit dem vom Kuratorium Deutsche Altershilfe konzipierten und ausgeführten, durch das Deutsche Hilfswerk von 2021 bis 2022 geförderten sowie durch einen Fachbeirat begleiteten Projekt »Screening von Innovationen der Altenhilfe auf Grundlage eines Such-Indikatorensystems« liegt nun ein Index für Innovativität vor, der in besonderer Weise geeignet ist, soziale Innovationen messbar zu machen. Referenzrahmen dieses Vorgehens ist ein wertebasierter normativ verbindlicher Index, der u. a. Grund- und Menschenrechte sowie die aktuelle Sozialgesetzgebung zugrunde legt und damit objektive Merkmale, Indikatoren und Items für die Messbarkeit installiert, die am Ende eine Vergleichbarkeit ermöglichen. Dieser Referenzrahmen mag erstaunen, zeigt er doch hinsichtlich seiner theoretischen Basis deutlich auf, welche Potenziale auf dem Feld der Innovationsforschung einerseits, welche grundlegenden und scheinbar selbstverständlichen Anforderungen beispielsweise an gesellschaftliche Teilhabe andererseits bislang unberücksichtigt und unbearbeitet blieben.
Ob ein normatives Innovationsverständnis der Schlüssel zur Steigerung der Innovativität innerhalb gemeinnütziger Organisationen sein wird, muss letztlich der explorative Weg zeigen, der mit diesem Ansatz eingeschlagen wurde. Dass er auf dem Handlungsfeld der Alternshilfe erprobt wird, kann mit Blick auf erforderliche Neuansätze beim Thema Pflege, den zunehmenden Fachkräftemangel, die gesellschaftliche und digitale Teilhabe sowie die knapper werdenden finanziellen Rahmenbedingungen, um nur einige Punkte zu nennen, nur begrüßt werden.
Für das Deutsche Hilfswerk SdbR im April 2023
Dr. Dennis Bock
Geleitwort: Das KDA im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation – eine Selbstverpflichtung?!
Ingeborg Germann
Geleitwort: Die Zeitgemäßheit stetig auf den Prüfstand stellen. Soziale Innovationen und Stifterwillen
Dennis Bock
Abbildungsverzeichnis
Einleitung
Frank Schulz-Nieswandt & Christine Freymuth
1 Ein Instrument zur Einschätzung der Innovativität sozialer Projekte
1.1 Zielvorstellung einer Werte-basierten Einschätzung von Innovativität
1.2 Methodik der Erstellung des Index Soziale Innovation für das Altern
1.3 Aufbau des Index und Funktionsweise als Einschätzungs-Instrument
2 Thematischer Gang durch das Indikatorensystem
2.1 Erläuterungen zum Allgemeinen Teil
2.1.1 Dimension 1: Ziele
2.1.2 Dimension 2: Umsetzungspraxis
2.2 Erläuterungen zu den Schwerpunktthemen
2.2.1 Schwerpunkt 1: Digitalisierung
2.2.2 Schwerpunkt 2: Kunst und Kultur
2.2.3 Schwerpunkt 3: Architektur und Design
3 Systematische Auswertung des Index
4 Anforderungen an eine sozial innovative Tagespflege: Eine exemplarische Anwendung des Index
Anhang
Anlage 1: Index Soziale Innovation für das Altern
Anlage 2: Porträts innovativer Beispielprojekte
Deta-Med – kulturspezifische Tagespflege
hoffmannsgarten – Tagespflege und Begegnungsstätte
Final Studio – Menschenzentriertes Design für Krankheit und Sterben
ViVerA – Virtuelle Veranstaltungen in der Altenpflege
Tanzprojekt Der empathische Körper
Generationenprojekt KulturistenHoch2
Sredzki 44 – Musterhaus zum Generationenwohnen
Anlage 3: Liste relevanter Gesetze und Verträge
Literatur- und Quellenverzeichnis
Die Autoren und Autorinnen
Abb. 1: Werte-basierte Zielvorstellungen
Abb. 2: Wertemodell »Würde« vs. »Demütigung«
Abb. 3: Leitgebende Kriterien bei der Suche nach innovativen Projekten
Abb. 4: Vertikale Gliederung des Mehrebenensystems
Abb. 5: Thematisches Spektrum der Dimensionen, Bereiche und Merkmale des Index
Abb. 6: Dimension 1, Bereich 1 – Empathie und Verständnis zwischen den Generationen
Abb. 7: Dimension 1, Bereich 2 – Gesellschaftliche und soziale Teilhabe
Abb. 8: Dimension 1, Bereich 3 – Aktivierung und Empowerment
Abb. 9: Dimension 2, Bereich 1 – Engagement
Abb. 10: Dimension 2, Bereich 2 – Prozessorientiertheit
Abb. 11: Dimension 2, Bereich 3 – Nachhaltigkeit
Abb. 12: Modale Aspekte einer innovativen Veränderungsdynamik
Abb. 13: Antwortmöglichkeiten eines Items
Abb. 14: Übertragung von Werten der Items in den Wert der Indikatorausprägung
Abb. 15: Auswertung auf Merkmalsebene
Abb. 16: Auswertung auf Bereichsebene
Abb. 17: Auswertung der Schwerpunktthemen
Innovation ist ein Megathema und sozusagen in aller Munde, vor allem als Trendwort mit Blick auf Entwicklungen und Zukunftsthemen. Es ist kein Modethema, denn es ist mit einer gewissen Dominanz ein Dauerthema und durchdringt alle Lebensbereiche. An das Modethema erinnert dieses Megathema dennoch, weil die Frage zu beantworten ist, was denn wirklich neu sei am Neuen, was vom Neuen bedürfen wir Menschen wirklich, was denn unbedingt notwendig sei, was womöglich überflüssig ist, was – letztendlich auf den Punkt gebracht – das Leben verbessern mag. Oder was mag das Leben sogar schädigen?
Mit diesen Fragen sind wir bereits in der Mitte der Kontroverse (Schulz-Nieswandt & Chardey & Möbius, 2023c). Wer hat mit welchen Gründen das Recht, solche Fragen zu stellen und Antwortversuche zu generieren (Reckwitz & Rosa, 2021)? Der Markt entscheidet. Die Demokratie des Marktes ist der Mechanismus der Abstimmung durch den Konsum. Zwar mag die Einkommensverteilungsfrage ein Problem sein. Damit treten wir jedoch in die Logik der Leistungsgesellschaft ein. Meist wird die Diskurs-bedürftige Frage »Wie nützlich ist das Nützliche?« ausgeklammert. Hierbei dienen Paternalismus-Vorwürfe der vorschnellen Beendigung der Diskussion. Doch ist dieser Vorwurf berechtigt? Demokratie bedeutet doch: der Wille muss gebildet werden? Wie sieht dieser Bildungsprozess aus? Es war von Diskurs die Rede, nicht von Bevormundung als Praxis kränkender Demütigung. Wie sieht die Diskursordnung in diesem Diskussionsfeld also aus? Das Thema wird schnell endlos. Diese Andeutung einer Kette von interdependenten Diskursen soll hier reichen. Die Spuren wollen wir nicht weitergehend verfolgen.
Innovativität gilt als Qualitätsmerkmal des Denkens, des schöpferischen Tuns als Gestaltung – Kreativität (Reckwitz, 2012) ist zum Dispositiv geworden und Design und Designing (Mareis, 2022; Seitz, 2017) zu einem Paradigma – und stellt zugleich eine – allerdings Leerformel-hafte – Messlatte für Ideen, Ansätze und Prozesse von morgen dar. Das Wort erschlägt kritische Nachfragen und grenzt aus: Wer will denn nicht kreativ sein? Wer will (z. B. Technik-feindlicher) Verweigerer einer besseren Welt sein? Freiheit bedeutet die Erweiterung der Welt als Möglichkeitsräume. Individuell kann man sich ja entscheiden, ob man die Möglichkeiten wahrnimmt oder nicht. Ob diese Behauptung stimmt, ist selbst Gegenstand von Erörterungen. Kann man sich tatsächlich signifikant von der digitalen Transformation (Schulz-Nieswandt, 2019) und von der damit verbundenen Veränderung der Welt in der je eigenen Entwicklung als Schichtung von Geist, Seele und Körper freihalten?
Es gibt kaum noch Förderprogramme und entsprechende Projektideen, die nicht Innovation suchen oder versprechen. Aber was genau ist damit gemeint? Diese Frage stellt sich auch im Themenfeld der »Alter(n)shilfe«. Oftmals wird kritisch nachgefragt: Wie können soziale Innovation ein gelingendes Altern fördern und ermöglichen? Doch was ist das definierbare, bestimmbare und letztendlich auch messbare Gelingen des gelingenden Alterns? Wann und wie und wieso gelingt oder scheitert das Altern? Wann sind in der Folge soziale Innovationen überhaupt innovativ? Meint bzw. bedeutet Innovativität die Herbeiführung von Zuständen, die anders und neu sind? Ist das Neue das Bessere? Wann ist das Andere das Ergebnis eines erstrebenswerten Wandels, gar einer gewollten Mutation? Und ist die Transformation dorthin eine problemlösende Transgression? Was ist das Ziel der Innovation und wie steht es um die Akzeptanz der Übergänge dorthin? Fragen über Fragen – die W-Fragen – stellen sich, wenn man nicht nur den Gott der innovativen Marktdynamik anbetet, sondern diesen ritualisierten Kult problematisiert, nicht als radikale Negation, sondern als Wille zum Diskurs über die Frage nach der sinnvollen gesellschaftspolitischen Gestaltung.
Es fehlt ein klares Innovationsverständnis, das bei einer Auseinandersetzung mit konkreten Ideen und Projektvorschlägen zugrunde gelegt werden kann. Eine Definition könnte dahin tendieren, die soziale Innovation nicht als Zustand zu beschreiben, sondern einen dynamischen Prozess mit Blick auf eine zielgerichtete Veränderung zu skizzieren. Der bestehende Wunsch nach sozialem Wandel und damit einhergehend sozialen Innovationen lässt sich zugleich nicht ohne Referenzpunkte einordnen. Doch was sind die Kriterien für die Erwünschtheit eines spezifischen sozialen Wandels: für WEN, WIE, WANN, WO und WARUM? Also wiederum stellen sich die vielen W-Fragen. Somit braucht es in einem weiteren, notwendigen Schritt eine eindeutige Zielsetzung, die mittels sozialer Innovation angestrebt wird. Zusammengefasst: Worauf zielen soziale Innovationen in der Alter(n)shilfe ab und welche Haltung braucht es in diesem Prozessgeschehen?
Die vorliegende Publikation basiert – darauf ist später ausführlicher einzugehen – auf den Ergebnissen im Projekt »Screening von innovativen Ideen, Projekten und Initiativen im Bereich der Alter(n)shilfe auf der Grundlage eines Such-Indikatorsystems«, das in den Jahren 2021–2022 am Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) durchgeführt und aus Fördermitteln des Deutschen Hilfswerks gefördert wurde. Es beschreibt den darin erarbeiteten »Index Soziale Innovation für das Altern« in seinem breiten thematischen Spektrum und erläutert auch, welche normativ-rechtlichen Grundlagen, Theorien und Ansätze ihm zugrunde liegen und wie er erstellt wurde. So weit, so gut. Aber das ganze Gebilde ist doch viel komplexer, nicht schwer zugänglich, bedarf aber dennoch einer gewissen Bahnung des Zugangsweges. Dazu dient die nachfolgende Einleitung, die dergestalt die Lektüre leiten und für die Zugangsfindung orientieren soll.
Diese Einleitung soll auf einer Metaebene skizzieren, um welchen Gegenstand es sich hier vorliegend handelt und was für eine Art von Text vorliegt. Es muss eben der Kontext erläutert werden, um die vorliegende Abhandlung zu verstehen. Die einleitenden Bemerkungen gehen nicht auf die konkreten Inhalte und auf die komplexe Entfaltung, also auf die Substanz des Textes ein, sondern bleiben auf einer Ebene, die die Funktion, den Sinn und den Verwendungszusammenhang des Textes charakterisieren soll.
Charakterisierung bezieht sich auf konstitutive Eigenschaften einer Gestalt, die sich in der Form zum Ausdruck bringt. Die Frage lautet demnach: Was macht den Charakter des Textes aus? Der Titel des Textes ist unspezifischer, als es der Text selbst ist. Und dieser Sachverhalt bedarf wohl dennoch eines Kommentares. Vor allem stellt der Titel auf einen Begriff – der sozialen Innovationen – ab, der selbst zum Thema seiner »Problematisierung« (zum methodischen Verfahren dieser Methode kritischer Diskursanalyse: Schulz-Nieswandt, 2023a) werden soll: Wann ist eine Innovation innovativ? Oder: Wie kann man hinreichend treffsicher urteilen über die »Innovativität von Innovationen«?
Dass sich diese Problematisierung auf das Handlungsfeld des Alterns und seiner politischen Gestaltung bezieht, wird nicht überraschen, wenngleich noch dargelegt wird, dass es sich um das Ergebnis eines Projekts des KDA (Kuratorium Deutsche Altershilfe e. V, Berlin), das beim DHW (Deutsches Hilfswerk) der Deutschen Fernsehlotterie eingereicht und bewilligt worden ist, handelt. Dies wird auch durch die beiden Vorworte ausgewiesen. In Bezug auf das Soziale als Adjektivierung der Innovationen (→ soziale Innovationen) wird signifikant deutlich, dass die Landschaften sozialer Handlungsfelder und somit das komplexe Gebiet der Sozialpolitik und der Daseinsvorsorge betreten werden. Alternspolitik (was wiederum mehr und anderes [Schulz-Nieswandt, 2023b] meint als nur Langzeitpflegepolitik [Schulz-Nieswandt & Köstler & Mann, 2021d] im Alter) ist – das wurde zum 60. Geburtstag des KDA an anderer Stelle betont (KDA, Schulz-Nieswandt u. a., 2023d) – Teil der Sozialpolitik als Teil der gestaltenden Gesellschaftspolitik. Damit wird eigentlich bereits der Kern der Überlegungen angedeutet: Innovativität liegt in den sozialen Feldern vor, wenn ein progressiver Beitrag zum »guten Leben« im Lebenslauf (Schulz-Nieswandt & Köstler & Mann, 2022b) und sodann im Alter im Kontext des gelingenden sozialen Miteinanders geleistet wird.
Doch damit sind neue Fragen aufgeworfen, die nun wiederum hinreichende Klärungen bedürfen: Was ist das »Gute« am Leben, und was ist unter einem »Gelingen« des sozialen Miteinander zu verstehen?
Wenn eine zukünftige Situation des menschlichen Zusammenlebens mit der gegenwärtigen Situation des Zusammenlebens verglichen werden soll, also unter dem Aspekt, ob es sich um einer Verbesserung (Progression), um einen Stillstand (Stagnation) oder um eine Verschlechterung (gar eine Regression) handelt, benötigt man Kriterien, um die Differenz zu vermessen. Wenn es nicht allzu technisch klingen würde, so könnte man auch argumentieren, es geht hierbei um Soll-Ist-Vergleiche, woraus verständlich wird, dass man Maßstäbe (Referenzsystem) benötigt. Darum wird es gehen. Es wird um einen Index der Einschätzung (der Begriff der Vermessung ist nicht falsch, weckt aber allzu technizistische Assoziationen in der Wahrnehmung, die nicht beabsichtigt sind) der Innovativität von sozialen Innovationen gehen. Und ein solcher Index benötigt Indikatoren. Auf einem abstrakten Niveau gibt es in der sozialökonomischen Wohlfahrtstheorie (Allokationsgerechtigkeit mit verschiedenen einkommensverteilungspolitischen Auswirkungen) einerseits und in der neueren Theorie der Befähigung zur Teilhabechance auf Selbstentfaltung der menschlichen Person mit verschiedenen Auswirkungen in der Lebenslagenverteilung andererseits mehr oder weniger brauchbare Modelle. Dazu wäre viel zu sagen, ist aber hier nicht das Thema, wenngleich dabei dennoch bereits deutlich wird, dass es das Problem der Normativität der Referenzsysteme ist, dass uns beschäftigen muss.
Die Frage nach der normativen Diskussion und entscheidungsorientierten Beurteilung, wann denn die Ideen und ihre Umsetzung in der Praxis der sozialen Wirklichkeit innovativ sind und in der Folge wünschenswert sein können, ist an Projektideen gebunden. Unsere moderne Gesellschaft ist eine Experimentalgesellschaft (Böschen & Groß & Krohn, 2017). Die Hypertrophie dessen, was oftmals »Modellitis« und »Pilotitis« genannt wird, und was zum Hyperbolismus eines Projekt-Business (auch, weil der soziale Gewährleistungsstaat in seiner Orientierung am wettbewerblichen Markt zum Innovations-Inkubator im Modus des Ausschreibungswettbewerbs geworden ist) geführt hat, ist längst selbst zu einem Problem geworden.
In den einschlägigen Diskursen, und dies ist in vielen Feldern ubiquitär der Fall, wird die Antwort schnell gefunden: Gut ist, was das Bedürfnis nach einem möglichst selbstbestimmten Leben und entsprechenden Teilhabechancen, insbesondere, im vorliegenden Themenzusammenhang, auch in der fortgeschrittenen Lebensphase fördert. Dieser Bezugsrahmen ist nicht falsch, aber verkürzt, blendet komplementäre Dimensionen und Aspekte aus, verkürzt das »Yin« um das »Yang«. Richtig ist: Es sind die unbestimmten Rechtsbegriffe im System der Sozialgesetzbücher, die hier zur Wirkung kommen. Aber es wird gleich nochmals aufzugreifen sein, was dabei ausgeklammert, zumindest ins schattierte Abseits geschoben wird.
Innovativität wird zu einem der zentralen Gegenwarts- und Zukunftsthemen der Alter(n)shilfe. Im direkten Kontrast zu diesen Themen mit höchster gesellschaftlicher und sozialpolitischer Relevanz steht die häufig unterstellte konservative Ausgestaltung des Arbeitsfeldes und der Mangel an hinreichend begründeten auf eine bessere Zukunft gerichteten Ansätzen. Gleichwohl sind im Feld der Alter(n)shilfe bereits Ansätze und Ideen zu identifizieren, die sich auf Basis von Erfahrungswissen und gewonnenen Projektergebnissen als sozial innovativ beschreiben lassen.
Ziel dieser Ansätze, und damit wirkt das Erkenntnisinteresse des in dem vorliegenden Buch dargestellten Projekts auf die achtsame Selbstreflexion des KDA zurück, indem dem KDA ein kritischer Spiegel vorgehalten wird, ist: Wie steht es um die im Kuratorium Deutsche Altershilfe im Rahmen von Modellprojekten erprobten Veränderungsideen und Praxisexperimente? Es geht nicht nur um die Frage der Effektivität: Ist es gelungen, die Erkenntnisse nachhaltig in die Umsetzungspraxis zu transportieren und entsprechend implementierbar auszugestalten, um die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern? Es geht eben auch um die Frage, was denn die Lebensqualität meint, auf die hin eine Innovation innovativ ist.
Und hier wird der individualistische Bias, dies sprachen wir soeben an, in dem ideellen Paradigma der selbständigen Selbstbestimmung im Modus der Teilhabe deutlich. Die Vulnerabilität und das Angewiesen-Sein auf den Mitmenschen, was nicht einfach als Verlust von Freiheit und insofern als negative Abhängigkeit verstanden werden darf, verweist uns als Merkmale der conditio humana auf eine höhere Komplexität des Weltverhältnisses als es der isolierte Selbstbezug auf die – immer nur bedingte – Autonomie des Menschen zum Ausdruck bringt. Es geht in der Ordnung dieser Freiheit immer um ein Gelingen der Miteinanderfreiheit, die sodann auch eine Miteinanderverantwortung bedeutet (Schulz-Nieswandt, 2022a). Gelingt das Leben als ein soziales – oftmals daher auch im Lichte sozialer Gerechtigkeit (vgl. § 1 SGB I) solidarisches – Miteinander? Die anthropologische, soziologische und psychologische Forschung zeigt die Abhängigkeit der Lebensqualität von dem Gelingen der kulturellen Einbettung und der sozialen Verkettung im Kontext sozialer Beziehungen.