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In unserer heutigen Wissensgesellschaft ist ein Mitarbeiter meist mehr als eine reine Arbeitskraft. Gerade in interkulturellen Kooperationen ist er als Wissensträger eine wertvolle Ressource. Obwohl der interkulturelle Wissenstransfer häufig noch unterschätzt wird, birgt die Diversität eine Innovationskraft, die in der digitalen und globalen Wirtschaft immer relevanter wird. Herausforderungen wie der Fachkräftemangel oder Geschäftserweiterungen sowie flexible Arbeitsorte und die digitale Transformation machen international zusammengesetzte, virtuelle Teams vermehrt zur Normalsituation und erfordern neue Strategien für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Doch oftmals haben Führungskräfte noch wenig Erfahrung mit den Anforderungen des interkulturellen Innovationsmanagements, sodass wichtige Synergien verloren gehen. In ihrem neuen Werk formuliert Kommunikationsexpertin Connie Voigt ein Plädoyer für eine diversitätsorientierte Wissensaustauschpraxis und einen Aufruf, in der komplexen Vielfalt unseres Arbeitsalltags Chancen und Anregungen zu finden. Auf Basis aktueller Forschungsergebnisse unterbreitet Voigt Vorschläge für neue Strategiemöglichkeiten und Ansätze für optimierten Wissensaustausch in komplexen Arbeitssituationen. Dabei steht eine handlungsorientierte Darstellung im Mittelpunkt, die mit Fallbeispielen, Coaching-Fragen, Checklisten und vielen Erkenntnissen aus dem Projektalltag wertvolle Orientierung und Inspiration für die Unternehmenspraxis bietet.
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Seitenzahl: 183
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Connie Voigt
Innovativ mit
interkulturellen
Teams
Strategien zur virtuellen Führung von internationalen Wissensträgern
Meinen Seelenverwandten Glyn, Todd,
Neal, Mark und Melissa
Das oft Fatale in Konversationen ist,
dass viele davon ausgehen, dass ihre Meinung
das Maß aller Dinge ist.
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Infor-mationen sind im Internet über http//dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-95623-848-2
Lektorat: Anna Ueltgesforth, Amorbach
Umschlaggestaltung: Martin Zech Design, Bremen | www.martinzech.de
Umschlagfoto: nd3000/Fotolia
Autorinnenfoto: Andreas Riedel
Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de
Druck und Bindung: Salzland Druck, Staßfurt
© 2019, 2010 GABAL Verlag GmbH, Offenbach
Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.
Printed in Germany
www.gabal-verlag.de
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Inhalt
Geleitwort
Einleitung
Warum dieses Buch jetzt?
Was dieses Buch leistet
Wer dieses Buch liest
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Teil 1
1. Plädoyer für hohe Diversität
Interkulturelles Management als Reaktion auf Fachkräftemangel und als Chance für die Neugestaltung der Unternehmenskultur
Je mehr Vielfalt, desto mehr Bedarf an Struktur und Prozessen?
Viele Ideenansätze werden unterschiedlich kommuniziert – über die Kunst des Dialoges
Begriffsdefinitionen
2. Herausforderung Vertrauen und Führung
Der besondere Stellenwert von Vertrauen
Der Zerstörer „Angst vor Jobverlust“
Der Zerstörer „Management mit Drohung“
Das Vertrauens-Viagra 1: zwischenmenschlicher Vertrauensaufbau
Die Erwartungen an die Führung
Das Vertrauens-Viagra 2: Gruppenidentität mit Sinn für virtuelle Kooperation
Vertrauensvolles Kommunikationsverhalten in virtuellen Gruppen
Besonderheiten virtueller Führungskommunikation
3. Herausforderung interkulturelle Kooperation
Stereotypen und Führungsstigmata
Polyidentitäten und der Fall Renault-Nissan
Heterogene Kulturkollektive
Vertrauensentwicklung in verschiedenen Kulturen
Kulturbedingte Erwartungen: Indien und China
4. Herausforderung Organisationsstruktur
Organisation einer Wissenskultur
Funktionenorientierter Wissensaustausch
Kommunikationsstruktur
Motivationskultur
Wissensaustausch fördernde Unternehmenskultur
Coopetition und Interdependenzen
Führung von Wissensnetzwerken
5. Führung ist der Schlüssel
Was zu tun ist – ein 12-Punkte-Programm
Transaktionale Führung für Wissensintegration
Rastermodelle zur Umsetzung
Moderatorenfunktion für Wissensgenerierung in Communities of Practice
Teil 2
6. Best-Practice-Beispiele für Innovation mit interkulturellen Teams
Die „klassenlose Organisationskultur“ der Phonak AG
Digitale cross-funktionale Projekte:
Transformierte Unternehmenskultur als Baustein für globale Innovationskraft
Faktor Mensch in der Innovationsstrategie
Fehlende Post-Merger-Integration
Erfolgreiche Post-Merger-Integration nach transatlantischer Firmenübernahme
7. Schlussbetrachtung mit Checklisten
Maßnahmen des Personalmanagements für optimierten Wissensaustausch in heterogenen virtuellen und semivirtuellen Teams
Personalrekrutierung: Das Profil des Wissensaktivisten
Teamentwicklung: Rollenverteilung in virtuellen Innovationsteams
Kompetenzentwicklung: Selbstcheck interkultureller (Führungs-)Kompetenz
Personalmanagement: Gezielte Mitarbeiterbefragungen für Wissenstransfer in virtuellen heterogenen Teams
Epilog
Glossar
Literatur
Über die Autorin
Geleitwort
In einer Zeit, in der nationale Patriotismen und Abgrenzungsstrategien an Boden gewinnen, bietet der Band von Connie Voigt eine Fülle von Anregungen für eine kontrapunktische, diversitätsorientierte Alltagspraxis. Er führt vor Augen, dass mit Vielfalt verbundene Komplexität in erster Linie nicht als Bedrohung, sondern als Chance verstanden werden kann und sollte: als Chance, unbekannte Sichtweisen, Wertschätzungen und Expertisen kennenzulernen, von hier aus Schnittstellen zu vertrauten Denkweisen zu entdecken und im Miteinander unterschiedlichster Akteure etwas Neues zu entwickeln – Neues, das die einzelnen Akteure in der Begrenzung ihrer gewohnten Perspektiven allein nicht generieren könnten.
Vielfalt und Komplexität auf einfachere, homogenere Lösungen zu reduzieren, um Sicherheit und Plausibilität zu wahren, würde den Blick auf solche Sichtweisen verstellen. Es geht vielmehr darum, zu lernen, Komplexität anzunehmen, konstruktiv mit ihr umzugehen, sie als Chance zu verstehen, das erwähnte Neue zu entwickeln. Dafür wiederum bedarf es, wie das Buch sehr schlüssig nachweist, einer grundsätzlichen Vertrauensbereitschaft der Akteure untereinander.
In diesem Sinn zeigt der Band, dass Vertrauen zu den wichtigsten Bedingungen für eine weitgehende Barrierefreiheit von Wissenskommunikation zählt – gerade auch über kulturelle Grenzen hinweg. Denn erst im Vertrauen darauf, dass meine Erfahrungen und mein Wissen von anderen auch dann ernst genommen werden, wenn sie auf Anhieb vielleicht nicht relevant, plausibel oder „normal“ erscheinen, werde ich zur Öffnung und zur Weitergabe meiner Expertisen bereit sein.
Skeptiker werden einwenden, dass die Forderung nach grenzenloser Wissenskommunikation (und auch unbegrenztem Vertrauen) blauäugig und realitätsfremd ist. Einer grundsätzlichen Realitätsfähigkeit widerspricht dies allerdings nicht. Denn in welchem Umfang man anderen vertraut, wie weit man bereit ist, die Unbestimmtheit dessen, was heute als „VUCA“-Welt gehypt wird, primär als Herausforderung und weniger als Bedrohung zu sehen, ist vor allem eine Frage der Einstellung. Hier verhält es sich ähnlich wie bei dem viel zitierten Glas, das sich je nach Perspektive zum einen als „halbvoll“, aber genauso auch als „halbleer“ beschreiben lässt. So eröffnet eine („halbvolle“) Herausforderungs- bzw. Chancenperspektive ganz andere Handlungsoptionen als eine („halbleere“) Bedrohungsperspektive:
VUCA ist ein Akronym für Merkmale, die aktuell vor allem in der Managementliteratur als zeittypische Resultate von Globalisierung, Digitalisierung und hohen Veränderungsdynamiken verstanden werden. Es steht für volatility, uncertainty, complexity und ambiguity.
Vertraue ich darauf, dass eine offene Wissenskommunikation grundsätzlich zum Vorteil aller beteiligten Akteure reicht, besteht die Chance zu konstruktiver Zusammenarbeit, zu nachhaltiger Vernetzung. Bin ich in Bezug auf Wissensteilung eher skeptisch eingestellt, weil ich beispielsweise Kontrollverlust fürchte, werde ich dazu tendieren, mein Wissen für mich zu behalten, und mich damit mehr oder minder deutlich von anderen abgrenzen. Eine Wahrheit, die womöglich auch noch in der Mitte liegt, lässt sich in Bezug auf den Grad der Offenheit der Wissenskommunikation sicherlich nicht angeben. Die Entscheidung, wie viel Öffnung, Vertrauen und Zulassen von Unsicherheit auf der einen Seite möglich und wie viel Struktur und Handlungssicherheit auf der anderen Seite nötig sind, wird stets im Einzelfall und zudem kontextabhängig entschieden.
Dem Buch und seinen Lesern bleibt zu wünschen, dass die Lektüre eine positive Einstellung zu einem offenen, vertrauensvoll-konstruktiven und nachhaltigen Umgang mit der – unendlichen – Ressource Wissen fördert und zu grenzüberschreitenden Vernetzungen beiträgt.
Dr. Jürgen Bolten, Professor für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Einleitung
Warum dieses Buch jetzt?
Der amerikanische Soziologe Daniel Bell versuchte in seiner bahnbrechenden Studie „The Coming of Post-Industrial Society. A Venture in Social Forecasting“ zu zeigen, dass Wissen die maßgebende Ressource der zukünftigen postindustriellen Gesellschaft darstellen werde. In den zuvor industrialisierten Gesellschaften hatten vor allem die Nutzung der Rohstoffe und Anhäufung von möglichst viel Kapital im Mittelpunkt wirtschaftlichen Schaffens gestanden. Nach Bell lässt sich der Strukturwandel der Gesellschaft an der Entwicklung zur Dienstleistungswirtschaft beobachten. Der Harvard-Ökonom Peter Drucker prägte darauf in den späten Sechzigerjahren als erster Wirtschaftswissenschaftler den Begriff der Wissensgesellschaft („knowledge economy“).
Drucker sagte eine massiv steigende Anzahl von Mitarbeitenden als Wissensträger in Firmen voraus, die hauptsächlich zur Produktivität beitragen. Die Frage ist, wo Unternehmen heute stehen. Wie nutzen Manager intern vorhandene Wissensressourcen? Nach Einschätzung einer der jüngeren Ausgaben des Harvard Business Review (2014) braucht die Mehrheit von Firmenchefs Unterstützung in der Transformation ihrer Unternehmen in eine wissensbasierte Organisation. Denn Innovationskraft durch interkulturellen Wissensaustausch wird in der globalen und sich weiter digitalisierenden Wirtschaft immer relevanter. Die Motivation für internationale Kooperationen und damit verbundenen interkulturellen Wissensaustausch kann unterschiedlich gelagert sein. Zwei Trends werden in diesem Buch zur Grundlage genommen:
Fachkräftemangel
Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive ist der wachsende Fachkräftemangel Anlass für Unternehmen, Fachkräfte und deren Wissen weiterhin vermehrt aus anderen Kulturkreisen zu rekrutieren, Geflüchtete aus außereuropäischen Ländern eingeschlossen.
Geschäftserweiterungen
Unter der weiterhin gängigen Prämisse, dass Wachstum endlos sein soll, ergibt sich eine hohe Motivation für Geschäftserweiterungen in internationalen Märkten, das heißt, in andere Gesellschaften mit vielfältigen kulturellen Eigenschaften, Verhaltensweisen und unterschiedlichen Vorlieben für Kommunikationsformen einzudringen. Diese Erschließung neuer Märkte vollzieht sich häufig durch Mergers (Firmenzusammenschlüsse) oder Akquisitionen (Firmenübernahmen). Bei stabilem konjunkturellem Wachstum eines Marktes in einem bestimmten Industriebereich ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass der Appetit auf Investitionen in ausländischen Märkten anhält.
Damit werden Kooperationen mit Menschen aus kulturell gemischten Teams immer häufiger. Ob dies durch Rekrutierung von Fachkräften bei organischem Wachstum geschieht oder durch Mergers oder Akquisitionen – es kann bei beiden Szenarien mit erhöhter Komplexität in der Integration vielschichtiger kultureller Unterschiede gerechnet werden. Denn die Frage, mit der sich deshalb dieses Buch beschäftigt, ist, wie Mitarbeitende unterschiedlicher Herkunft ihr Wissen austauschen. Dieser Frage liegt die Klärung zugrunde, ob Manager überhaupt Wissensaustauschprozesse führen können, und wenn ja, mit welchem Stil und welchen Mitteln sie zum Austausch des wertvollen Gutes motivieren können. Und wie führen Manager Innovationsprozesse an, wenn diese auch noch digital mit virtuell arbeitenden Teams optimal funktionieren sollen?
Verbunden mit dieser Fragestellung liegen diesem Buch zwei weitere Trends zugrunde:
Flexible Arbeitsorte
Globale Start-up-Unternehmen mit E-Business-Produkten oder -Dienstleistungen und „digital nomads“, also Menschen ohne festen Arbeitsort, die auf virtuelle Kommunikation angewiesen sind, nehmen zu. Konzerne und KMU passen sich dem Trend an, um auf dem Arbeitsmarkt attraktive Arbeitgeber zu sein, indem sie flexible Wochentage einführen, an denen Mitarbeitende außerhalb des stationären Arbeitsplatzes arbeiten. Hinzu kommt der steigende Trend von Wochenendarbeit; die Bereitschaft zur E-Mail-Kommunikation, inklusive des Austauschs von Information und Wissen außerhalb klassischer Arbeitszeiten, ist in der freien Wirtschaft bereits Norm.
Digitale Transformation
In Deutschland werden diverse Weiterbildungsmasterstudiengänge angeboten, die die digitalen Geschäfte und deren Management in den Mittelpunkt stellen. Damit reagieren vor allem die Fachhochschulen auf den dringenden Bedarf an Fach- und Führungskräften in der digitalen Wirtschaft. Alle Branchen sind davon betroffen, digitale Transformationen zu vollziehen. Studien von „Deloitte Digital“ und „Heads!“ liegt die These zugrunde, dass die erfolgreiche Umsetzung der digitalen Transformation maßgeblich über das Überleben von Unternehmen entscheiden wird. Diese Transformation erfordert, so mag vermutet werden, eine „Digital Leadership“, das heißt eine Führungsform, die verstärkt virtuelle Teams oder auch Projektgruppen aufbaut. Fraglich ist, ob es überhaupt möglich ist, Mitarbeitende digital zu führen. Wenn dem so wäre, würden doch Roboter oder andere Kreaturen mit künstlicher Intelligenz Menschen führen können. In diesem Buch gehen wir davon aus, dass Menschen von Menschen geführt werden und die Nuancen der Führungs- und Kommunikationsstile sogar entscheidend für die Innovationskraft dieser heterogenen Teams oder Gruppen sind. Ähnlich argumentiert Liebermeister (2017) in ihrem Buch „Digital ist egal“.
In den vier kurz skizzierten parallelen Entwicklungen liegen zwei miteinander verwobene Hauptaspekte, die den Wissensaustausch in der Zukunft überhaupt ermöglichen werden:
Die Kooperation innerhalb virtueller Teams und deren Führung sowie die Kooperation innerhalb heterogener Teams und die interkulturelle Führung.
Neue Strategien für Wissensaustausch erforderlich
Alle vier Entwicklungen erfordern Strategien, wie Wissensaustausch auf semivirtueller (also zum Teil virtueller) oder virtueller Ebene in interkulturellen Teams und Arbeitsgruppen stattfinden kann, davon ausgehend, dass Innovation und kontinuierliche Prozessverbesserungen als wettbewerbsfördernde Faktoren unternehmensweit als Ziele erkannt werden.
Grundsätzlich sind semivirtuelle und virtuelle Gruppen mit einem Dilemma konfrontiert: Analog zu Erkenntnissen aus der Arbeits- und Sozialpsychologie haben sie das Bedürfnis der informellen Direktkontaktkommunikation, können es jedoch nur eingeschränkt für Wissensaustausch und Wissensintegration als Gesamtgruppe befriedigen.
Kulturell bedingte Aspekte kommen hinzu: Die Wahrscheinlichkeit für interkulturell bedingte Missverständnisse steigt bei virtueller Kommunikation, es besteht also antizipierender Handlungsbedarf.
Die in diesem Buch dargestellten Handlungsorientierungen beruhen auf den Erkenntnissen einer wissenschaftlichen Arbeit der Verfasserin und sind empirisch mehrfach belegt. (Voigt 2017)
Was dieses Buch leistet
Auf Basis der dargelegten aktuellen Forschungsergebnisse zu Wissensaustauschprozessen werden Strategiemöglichkeiten und Ansätze für optimierten Wissensaustausch in heterogenen virtuell kooperierenden Arbeitsgruppen oder Teams vorgeschlagen. Sie beruhen auf jüngsten Erkenntnissen aus der Führungsforschung, dem Wissensmanagement und aus der Organisationpsychologie sowie aus der Tätigkeit der Autorin als Dozentin für internationales Management und Executive Coach in Unternehmen. Im Grundansatz geht es stringent um zwischenmenschliche Verhaltensweisen und die mentale persönliche Bereitschaft, Wissen miteinander auszutauschen. Dabei werden die Rahmenbedingungen, wie Organisationsstruktur und Unternehmenskultur, aus psychologischer und soziologischer Perspektive in den Fokus genommen. Grundtenor dieses Buches ist die Darstellung der möglichen Einstellung von Menschen in wissensbasierten Unternehmen und die Frage, wie sie motiviert werden, Wissen auszutauschen und an der Innovationskraft ihrer Organisation mitzuarbeiten. Auf die Ausführung technischer Rahmenbedingungen wird verzichtet, da Tools letztendlich nicht von alleine Wissen austauschen – aber die Menschen dahinter.
Es geht um eine handlungsorientierte Darstellung für die Unternehmenspraxis, die ad hoc umsetzbar ist. Das Buch kann als Weiterführung von einschlägigen Büchern über Wissens- und Innovationsmanagement (wie Probst 2010 oder Hauschildt 2016) verstanden werden, mit der aktuellen Ergänzung durch den interkulturellen Faktor und das Thema der digitalen Führung. Das Buch ist auch eine Weiterführung bisheriger Werke mit interkulturellem Fokus auf Führung, Management und Kommunikation (wie Voigt 2009), denn die neuen Aspekte der netzwerkorientierten Organisationsstruktur und einer ausgeprägten Unternehmenskultur haben einen zusätzlichen zentralen Stellenwert für eine innovative Wissensgenerierung oder Wissensvertiefung in virtuellen, semivirtuellen und lokalen Teams mit integrierter interkultureller Kooperation. Zur Veranschaulichung, welche Innovationsstrategien bei welchem Unternehmenstypus greifen, werden konkrete Fallbeispiele von sehr unterschiedlich organisierten Unternehmen und deren verantwortlichen Geschäftsführern, Projekt- und Kommunikationsverantwortlichen dargestellt.
Wer dieses Buch liest
Wahrscheinlich sind Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, in der Personalentwicklung, im Diversity Management, in der Geschäftsführung eines Unternehmens, als Ausbilder oder Ausbilderin von Fachkräften, Kommunikationsexperten, Wissensmanagern tätig; oder Sie sind einfach Führungsperson und Experte und jemand, der das eine oder das andere werden will und sich mit interkultureller Teamentwicklung, Führung und Wissenskommunikationsprozessen beschäftigen und dabei den Trends nicht nacheilen, sondern ihnen bei der täglichen Arbeit voraus sein will.
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Im ersten Teil wird in einem Plädoyer Vielfalt als positiv besetztes Phänomen betrachtet, und es werden zudem Beispiele aus der Wirtschaft beschrieben, die Vorteile von Diversität unter Mitarbeitenden zeigen. Als wichtige Voraussetzung für Wissensaustausch gilt ein relativ stabiles Vertrauensverhältnis unter Mitarbeitenden. Dementsprechend wird beschrieben, wie zwischenmenschliches Vertrauen grundsätzlich entsteht, welche Rolle die Führung dabei haben kann und welche Fehler oftmals im Management gemacht werden, ohne die Folgen einer schleichenden Misstrauenskultur zu erkennen. Die Aspekte des virtuellen Vertrauensaufbaus und die damit verbundenen Faktoren der virtuellen Führungskommunikation sowie die Frage nach der Vertrauensentwicklung in unterschiedlichen Kulturen erweitern das Feld in Richtung Lösungsansätze.
Es wird weiter mithilfe von Forschungserkenntnissen beleuchtet, welche Organisationsstruktur sich für regen interkulturellen Wissensaustausch am besten eignet und mit welchen Kommunikationsmitteln Menschen motiviert sind, auch über ihre Funktionsbereiche hinweg für den Wissensaustausch bereit zu sein. Auch Aspekte von Unternehmenskulturen fließen hierbei als wichtiger unterstützender Faktor ein.
Der gesamte erste Teil ist mit Beispielen zur Veranschaulichung der wissenschaftlichen Erkenntnisse gespickt und mit Fragen zur Selbstreflexion durchzogen, um Sie auf die eigene Lösungsfindung vorzubereiten. Denn nicht jede der im zweiten Teil vorgeschlagenen Lösungen kann für jeden zu hundert Prozent passend sein.
Im zweiten Teil werden Lösungsansätze in Form von differenzierten Führungsmodellen für verschiedene Formen des Wissens-austauschs geboten. Sechs Fallbeispiele aus der Praxis zu den unterschiedlichsten Unternehmensszenarien dienen als Inspiration für zukünftige Innovationsstrategien zur virtuellen Führung von internationalen Wissensträgern. In gebündelter Darstellung der relevanten Hauptaspekte besteht die Schlussbetrachtung dieses komplexen Themenbereichs aus Checklisten zur Anwendung für Manager und speziell auch für das Personalmanagement.
Für einen besseren Lesefluss wird auf die gleichzeitige Verwendung der weiblichen und der männlichen Form verzichtet.
Teil 1
1. Plädoyer für hohe Diversität
Das Plädoyer für virtuell oder semivirtuell arbeitende Teams ergibt sich aus den aufgeführten Trends der Digitalisierung und der digitalen Transformation sowie flexibler Arbeitsorte. Diese Trends sind von Unternehmensvertretern weitgehend akzeptiert, die Bereitschaft zur Umsetzung ist gegeben.
Der Bereich der heterogenen bzw. kulturell gemischten Teams hingegen wird in Unternehmen häufig als Luxusthema unterbewertet. Teilweise gehen Manager davon aus, dass sie als weit gereiste Geschäftsleute über ausreichend interkulturelle Erfahrung ver-fügen und deshalb die Führung unterschiedlicher Menschen im Griff haben. Andere Unternehmensvertreter trauen sich nicht an das Thema heran; die Gründe sind vielfältig: Bequemlichkeit, Angst vor dem Ungewissen im Umgang miteinander, Zeitengpässe oder sie sehen keinen Vorteil von Diversität im Teams und empfinden es eher als zusätzliche Last und zu große Herausforderung. Welche Gründe diesem defizitären Denken auch immer zugrunde liegen – Heterogenität in Teams oder Arbeitsgruppen wird in ihrer Relevanz hinsichtlich einer verbesserten Innovationskraft eines Betriebes weiterhin unterschätzt.
Interkulturelles Management als Reaktion auf Fachkräftemangel und als Chance für die Neugestaltung der Unternehmenskultur
Im Zuge der demografischen Veränderungen ist jedes Unternehmen auf das Verständnis für die Bedürfnisse seines Nachwuchses aus dem In- oder Ausland angewiesen. Zuhauf praktiziertes Hochschulmarketing zur Akquise der besten Hochschulabgänger ist nur wirklich dann Erfolg versprechend, wenn die Bedürfnisse der Zielgruppe klar sind und das Verständnis für diese Bedürfnisse nicht nur gezeigt, sondern auch gelebt wird. Bei Rekrutierungen aus europäischen oder auch außereuropäischen Kulturkreisen, egal welcher Altersgruppe, ist es essenziell, sich die Zeit zu nehmen, neu Rekrutierte zu verstehen, bevor die Arbeit beginnt. Zum Onboarding gehört es, die gesamte Belegschaft darauf vorzubereiten, Diversität zu akzeptieren und neu gewonnene Wissensträger zu honorieren.
Zum Onboarding gehört es, die gesamte Belegschaft darauf vorzubereiten, Diversität zu akzeptieren und neu gewonnene Wissensträger zu honorieren.
Es werden sich auch im Bereich von Führungspositionen Engpässe abzeichnen. Das bedeutet, dass große wie kleine Unternehmen auf Führungspersonen aus anderen Regionen verstärkt angewiesen sein werden. Diese Situation erfordert Diversityprogramme als integrierte Ausrichtung der Unternehmenskultur. Firmenchefs progressiver neuer Konzerne wie Google oder auch CEOs von Jahrhunderte alten Tankern wie dem Versicherungskonzern Lloyds of London verstehen es, ihre Unternehmenskultur mit Diversität als zentralem Anker neu auszurichten (siehe Interview mit CEO Inga Beale in Kap. 6). Die Chefs dieser Organisationen erkennen die Vorzüge hoher Kulturvielfalt: nämlich eine analog dazu ebenso hohe Vielfalt an wertvollen Ideenansätzen und damit im Resultat auch mehr Innovation. Vergleichbar ist diese Logik mit der überlebenswichtigen Biodiversität unseres Planeten. Je höher die Anzahl an Spezies, desto widerstandskräftiger bleibt die Erde. Teil dieser Widerstandskraft ist die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln, sich immer wieder neu zu erfinden und sich an Umstände anzupassen. Diese Anpassung wiederum setzt Innovation voraus. Die gleiche Gesetzmäßigkeit trifft auf die Widerstandskraft von Unternehmen zu, die sich auf dem Markt behaupten. Wer sich nicht von innen heraus erneuert und anpasst, geht zugrunde. Ein prominentes Beispiel ist der Fotografiebedarfshersteller Kodak, dessen CEO den Trend der Digitalisierung in der Fototechnik als bleibendes Phänomen so stark unterschätzte, dass die digitale Entwicklung der asiatischen Konkurrenz wie Canon, Nikon oder Sony am einstigen Weltmarktführer für Amateur-Fotokameras vorbeischoss.
Je mehr Vielfalt, desto mehr Bedarf an Struktur und Prozessen?
Man könnte mit einer Dosis Stereotypisierung behaupten, dass es „ein deutsches Ding“ ist, Komplexität in eine Prozessordnung mit Struktur zu bringen. Prozesse und Prozessverbesserungen sind in deutschen Unternehmen konstant unter Kontrolle oder werden kontinuierlich optimiert – das meinen jedenfalls viele Menschen außerhalb des Landes aufgrund alter Bilder aus der Vergangenheit. Es ist ein klassisches Stereotyp entstanden, das mit Fällen wie der zähen Entstehung des Berliner Hauptstadtflughafens oder der Bauverzögerung der Hamburger Elbphilharmonie zerlegt werden könnte. Wie erfolgreich oder auch nicht erfolgreich komplexe Prozesse nicht nur in Bauunternehmen vernetzt sind, wäre ein Thema für ein anderes Buch. Im Kern geht es auch bei Prozessen wie Wissensaustausch, Ideenaustausch, Austausch von unterschiedlichen Funktionsprozessen immer um die interne Vernetzung, deren Tool die Kommunikation ist. Und genau dort liegt der Hase im Pfeffer.
Trügerisch ist der Ansatz, Komplexität aufgrund von Unterschiedlichkeit in der Kommunikation, im Verhalten oder in der Arbeitsweise bei Menschen genauso in Prozesse zwängen zu können. Denn es ist die Komplexität dieser Unterschiedlichkeit, die den eigentlichen Mehrwert an unterschiedlichen Wissensansätzen oder Ideenreichtum beinhaltet, sodass ein Korsett von Prozessen oder (Über-)Strukturierung diese Diversität reduzieren würde.
Was tatsächlich bei hoher, als wertvoll erachteter Vielfalt nutzt, ist Zeit für Kommunikation und Austausch.
Zu viel Struktur und Prozesse würgen wertvolle Ideenvielfalt ab.
Zwei erfolgreiche Beispiele zur Veranschaulichung
Case: Mettler-Toledo
Der ehemalige Geschäftsführer (1988–1997) des Waagenherstellers Mettler-Toledo, Johann Tikart, zeigte mit seinem Führungsstil eine offene Haltung für Heterogenität innerhalb dieses weltweit erfolgreichen Nischenplayers. Bekannt als strenger Analytiker, fand er in seinem Unternehmen eine ganze Reihe von Abläufen vor, die er nach seiner Rationalität neu ordnete. Solange er die Menschen zu deren Tun anleitete, funktionierte alles auch genauso, wie es seiner Rationalität entsprach. Doch sobald er seine Aufmerksamkeit abwandte, wurden die Dinge anders gemacht, als er sie sich nach seiner logisch-rationalen Vorstellung ausgedacht hatte. Der erste Reflex, die Menschen mit mehr Druck zu verändern, blieb erfolglos. Deshalb gestaltete er die Organisation so, dass seine Mitarbeitenden die Aufgaben in der Art und Weise erledigen konnten, wie sie es für richtig erachteten. Er betrachtete Unternehmen als natürliche Systeme, die nicht mit der Regelmäßigkeit einer Maschine funktionieren. Er setzte fortan seine Energie nicht zur Änderung der Mitarbeiter, sondern zur Schaffung von Rahmenbedingungen ein. Tikart bemühte sich also um eine Kulturarbeit, die nicht auf technokratische Komplexitätsreduktion setzt, und hatte damit Erfolg. (Wüthrich/Osmetz/Kaduk 2009)
Tikart betrachtete Unternehmen als natürliche Systeme, die nicht mit der Regelmäßigkeit einer Maschine funktionierten.
Case: W. L. Gore & Associates
Im amerikanischen Unternehmen W. L. Gore & Associates versucht man nicht, Diversität zu managen, sondern man erhebt die individuelle Vielfalt zum Standard der organisationalen Exzellenz. So konnte das Unternehmen, das sich hauptsächlich im Sektor der Sport- und Fitnessbekleidung mit Gore-Tex-Produkten einen Namen gemacht hat, ein stetiges Umsatzwachstum verzeichnen – trotz zunehmender Konkurrenz auf diesem Wachstumsmarkt. Die verarbeiteten Produkte basieren auf einem einzelnen Ausgangsstoff: PTFE (Polytetrafluorethylen). Um mit nur einem Ausgangsstoff zum Technologieführer in den unterschiedlichsten Branchen zu werden, braucht man eine Vielfalt an Ideen, andere Perspektiven, neue Ansätze und neue Zugänge. Gore rekrutiert und nutzt diese Vielfalt, indem auf die individuellen Stärken der Mitarbeitenden gesetzt wird. Man betreibt kein „Diversity Management“ nach Quotenlogik, sondern folgt einem Managementverständnis, das der grundsätzlich vorhandenen Vielfalt von Menschen Raum gibt. Beim Eintritt in das Unternehmen kommt diese individuelle Vielfalt erstmals zum Tragen. Bei Gore kennt man keine standardisierten Assessmentverfahren, und die Personalabteilung unterstützt hauptsächlich in administrativen Fragen. Die eigentliche Personalauswahl findet durch die verantwortlichen Mitarbeitenden statt, die später auch mit den Kandidaten zusammenarbeiten werden. So kann es durchaus vorkommen, dass jemand mehrere Gespräche führt, bis das Team sich entscheidet. Im Kern geht es darum, dass der Mensch ins Team passen muss. (Wüthrich/Osmetz/Kaduk 2009)
Mitarbeitende nach Maß führen zu Mittelmaß
Nach dem gleichen Prinzip ist auch der Technologiekonzern Goo-gle organisiert. Man vertritt die Philosophie, dass es auf die Persönlichkeit ankommt, ob jemand in eine Führungsrolle passt. Bei Gore geht man davon aus, dass nur dann jemand Führungskraft sein kann, wenn Menschen ihm oder ihr folgen und vertrauen. Die Vielfalt des Individuums wird konsequent ins Zentrum gestellt. So hat jeder Mitarbeitende neben dem Fachvorgesetzten eine zweite, von ihm selbst gewählte Führungskraft, deren zentrale Aufgabe es ist, die individuelle Entwicklung seines Mitarbeitenden zu fördern und zu unterstützen. Bei Gore hat man erkannt, dass der Traum von Mitarbeitenden nach Maß zu nichts anderem führt als zu Mittelmaß.
In seinem Bestseller-Sachbuch „The End of Average“ (wörtlich: das Ende des Durchschnitts) führt Todd Rose, Direktor des „Laboratory for the Science of Individuality“ der Harvard Graduate School, überzeugend aus, wie kontraproduktiv es ist, Menschen an Durchschnittsdaten zu messen. Dabei käme die wertvolle herausragende Individualität zu kurz, die für besondere Innovationen erforderlich ist. (Rose 2017)