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Vicky freut sich: Ihr Traum von einer Ausbildung im gehobenen Dienst der Zollverwaltung geht in Erfüllung! Mit elf Kollegen startet sie in eine aufregende Zeit, lernt auf Zollämtern einige Arbeitsgebiete kennen und trifft an einer Fachhochschule Studierende aus ganz Deutschland. Doch nach der anfänglichen Euphorie kommt viel Stress. In rasendem Tempo absolvieren die Studierenden Kurse in verschiedenen Rechtsgebieten und müssen Höchstleistungen bringen. Am Ende dieses Grundstudiums steht eine Zwischenprüfung. Außerdem gibt es Konflikte, "Zickenkriege" und Frust zwischen den Studierenden, aber auch gute Zeiten und eine enge Kameradschaft. An all das denkt Vicky zurück, als sie Jahre später durch China und Malta reist.
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Seitenzahl: 270
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Über die Autorin: Elaine Laurae Weolke ist das Pseudonym einer Autorin, die seit ihrer Jugend schreibt und für einige Beiträge im Internet ausgezeichnet wurde. Sie hat viele Länder besucht.
Von ihr erschienen bereits die Australienromane „Blätterrauschen, weit weg“ und „Nächster Halt: Sydney Harbour Bridge“.
Prolog
Eine Idee, ein Traum
In Shanghai – Teil 1
Ich hatte schon aufgegeben
Das Einstellungsschreiben
In Shanghai – Teil 2
Der erste Tag in der Zollverwaltung
Das Einführungspraktikum
Meine Familie und die Verwaltung
Xi’An – die Stadt der Terrakotta-Armee
Das Bildungszentrum in Sigmaringen
Der erste Tag im Bildungszentrum
In Peking
Besuch der Chinesischen Mauer
Was ich über China gelernt habe
Mit Volldampf ins Studium
Drei Egoistinnen
Unterwegs in spezieller Mission
Im Bildungszentrum im September 1983
Felix
Stadtbummel in Valletta
In Marsaxlokk und St. Paul/Bugiba
Die Bayern
Vorstellung und Wirklichkeit
Die Diktatorin
Im Bildungszentrum im Oktober 1983
Boris
Unterwegs in Rabat
Mellieha – ein vertrauter Ort
Clemens und Dagmar
Guidos Geburtstag
Verachtung
Nachdenken über Psychologie am BZ
Die „BZ-Fete“
Ein Sonntag im Bildungszentrum
In der Schweiz
Durchschaut!
Wieder in einem Hotel in Malta
Im Bildungszentrum im November 1983
„Pfannkuchen“
Im Bildungszentrum im Dezember 1983
Ein Tag ohne Hektik
Die erste Übungsklausur 1983
Einer, der auszog aus dem BZ
Weihnachtsüberraschungen
Abgeschleppt!
Auf ins neue Jahr!
Im Bildungszentrum im Januar 1984
Grundlagen der Aufgabenerfüllung
Liebe im Bildungszentrum
Frust
Vorbereitungen zu einem Gedicht
Die Ziege aus Tadschikistan
Im Bildungszentrum im Februar 1984
Amüsante Unterschriften
Öffentliche Finanzwissenschaften
Kurz vor der Zwischenprüfung
Selbstmord!
„Ich kann nicht mehr!“
Der erste Tag der Zwischenprüfung
Der Rest der Zwischenprüfung
Hauptstudium I 1
März 1984 in Sigmaringen
Wir wehrten uns
Vulkanausbruch
Die „Baccardi-Fete“
Skandal oder nur Gerüchte?
Auszug aus Sigmaringen
Gozo
Buchtipps
Blätterrauschen, weit weg
Nächster Halt: Sydney Harbour Bridge
Das Licht hinter der Grenze
Wow, ist das beeindruckend!“, staune ich, als ich im März 2009 zum zweiten Mal die Chinesische Mauer in Badaling besuche. Badaling liegt circa 80 Kilometer von Peking entfernt.
Ich bin zum zweiten Mal in China, besuche zum zweiten Mal die Chinesische Mauer – und immer wieder ist das ein beeindruckendes Erlebnis. Der Reiseleiter, der die Reisegruppe, mit der ich und mein Mann China besuchen, begleitet, erklärt uns, dass die Chinesische Mauer das größte Bauwerk der Welt ist. Sie war ursprünglich als Grenzmauer gedacht.
Grenze – ja, damit hatte ich auch schon zu tun. Damals während meiner Ausbildung beim Zoll.
Daran erinnere ich mich wieder, als ich nach dem Treppenaufgang zur Mauer nach links laufe. Links laufen weniger Leute – aber der Aufstieg ist steiler. Das ist in Ordnung, solange man nach oben geht. Steigt man jedoch die Treppen der Chinesischen Mauer hinunter, merkt man, dass die Treppenstufen teilweise unterschiedlich hoch sind. Außerdem muss man aufpassen: die Mauersteine der Stufen und Gänge können glatt sein. Schnee liegt glücklicherweise nicht.
Steigt man vom Treppenaufgang nach rechts auf die Chinesische Mauer, ist der Aufstieg zwar angenehmer, da er nicht so steil ist, allerdings begegnet man dann Massen von Touristen.
Mein Mann und ich gehen sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Immer wieder halten wir an, unsere Blicke schweifen in die Ferne. Aber nicht nur meine Blicke nehmen die Landschaft in sich auf, sondern ich erinnere mich auf einmal zurück an meine Zeit in der Bundeszollverwaltung.
Alles begann 1983.
Fast sind die Töchter oder Söhne mit der Schule fertig, machen sich ihre Eltern schon Gedanken darüber, was ihre Sprösslinge einmal werden sollten. Vor allem die Idee einer Ausbildung im öffentlichen Dienst führte in den 1980er-Jahren lange die „Hitlisten der Wunschberufe für junge Erwachsene seitens ihrer Eltern“ an. Eltern wollen ja immer, dass ihre Kinder eine sichere Zukunft vor sich haben, und als Beamte auf Lebenszeit haben sie das. Immerhin ist man dann unkündbar und zahlt weniger Sozialversicherungsbeiträge.
Ich war 1982 20 Jahre alt und hatte beinahe meine Ausbildung zur fremdsprachlichen Wirtschaftskorrespondentin an einer Sprachenschule beendet, als meine Mutter die folgende Idee hatte:
„Vicky, was hältst du von dem Gedanken, eine Ausbildung beim Zoll zu machen? Vielleicht braucht man dort Leute mit Fremdsprachenkenntnissen!“
Ansonsten hatte ich schnell Gegenargumente auf Lager, wenn meine Mutter ihre Gedanken zu meiner beruflichen Zukunft äußerte. Aber dieses Mal dachte ich ernsthaft darüber nach. Zoll – warum eigentlich nicht? Die Sendereihe „Achtung, Zoll!“ in den Regionalprogrammen hatte mir gefallen – ich stellte es mir interessant vor, in grüner Uniform Ausfuhrpapiere abzustempeln, Gesetze zu wälzen, stichprobenweise Sendungen aus dem Ausland zu kontrollieren. Auch ein Job bei der Zollfahndung bot einen gewissen Reiz. Vielleicht war das auch nicht ganz das Wahre für mich. Denn ob ich psychisch so belastbar war, mit speziell ausgerüsteten Spürhunden nach Drogenverstecken und deren Drahtziehern zu fahnden, wusste ich nicht. Aber das konnte man ja auch im Laufe der Ausbildung feststellen.
Dass die Zollverwaltung vielfältige Jobs bietet, wusste ich bis dahin noch nicht. In den 1980er-Jahren gab es übrigens noch mehr Grenzübergänge (das Schengen-Abkommen gab es damals noch nicht) – und die Zollverwaltung befasste sich ebenso nicht mit der Bekämpfung von Schwarzarbeit.
Da ich zu den „geburtenstarken Jahrgängen“ gehöre, die in den 1980er-Jahren die Universitäten und Lehrstellen überschwemmten, machte ich mir nicht viel Hoffnungen, eine Ausbildungsstelle für den gehobenen Dienst in der Bundeszollverwaltung zu ergattern.
Ich bewarb mich bei der Oberfinanzdirektion Stuttgart und wurde im Januar 1983 zu einem schriftlichen Einstellungstest ins Hauptzollamt Ulm eingeladen.
Alle Eingeladenen schrieben einen Aufsatz. Mehrere Themen standen zur Auswahl. Ich wählte das Thema „Fremdwörter in unserer Sprache“.
Mein Aufsatz war gelungen. Obwohl es mir an dem Tag dieses Tests gesundheitlich ausgesprochen mies ging, bestand ich diese Prüfung! Deswegen wurde ich im März 1983 zu einem mündlichen Einstellungstest in die Oberfinanzdirektion Stuttgart eingeladen.
Ich reiste mit der Bahn dorthin – an einem frühlingshaften, aber sehr kühlen Freitagnachmittag. Das Gespräch mit drei Herren mittleren Alters, die vier Bewerber – mich inklusive - übers Autofahren, über Demokratie, über Geschichte und vieles andere ausfragten, stimmte mich positiv. Das Gespräch war so locker und nett, dass ich dachte, dass es verrückt wäre, wenn ich diese Prüfung nicht bestanden hätte!
Derart optimistisch gestimmt, fuhr ich nach Hause zu meinen Eltern in eine baden-württembergische Kleinstadt.
Bestanden hatte ich diese Einstellungsprüfung schon, teilte mir die Oberfinanzdirektion Stuttgart einige Wochen später mit. Allerdings stand ich noch nicht auf der Liste der Bewerber, die man zur Einstellung vorgesehen hatte. Ich war auf einer so genannten „Warteliste“ platziert. Sobald also jemand absagen würde, hätte ich eine Chance, eingestellt zu werden – oder auch nicht. Die Chance, auf diesem Weg in die Zollverwaltung zu rutschen, hielt ich für äußerst gering.
China ist ein sehenswertes Land mit viel Kultur, äußerst geschichtsträchtig, und wer die Möglichkeit hat, China zu besuchen, sollte das unbedingt tun!
Mein Mann und ich reisen am 3. März 2009 dorthin. Wir fliegen von Frankfurt am Main nach Shanghai mit einer bekannten deutschen Fluglinie.
2009 denke ich kaum noch an meine Ausbildung bei der Zollverwaltung. Es gibt so viele andere Dinge in meinem Leben.
Der Flug von Frankfurt am Main nach Shanghai dauert zehn Stunden. Wir haben uns Heparin-Spritzen vor der Abreise gegeben, um vor Thrombose geschützt zu sein (wegen des langen Flugs).
Im Flugzeug können wir nicht schlafen. Wir lesen und sehen Filme an, die im Flugzeug gezeigt wurden. Beispielsweise „Australia“ mit Nicole Kidman und Hugh Jackman.
Am 4. März 2009 um acht Uhr morgens Ortszeit (Shanghai ist der deutschen Zeit im März sieben Stunden voraus) landen wir am Flughafen Pudong in Shanghai.
Wir müssen ein Einreiseformular in Postkartengröße ausfüllen. Dieses Formular geben wir zusammen mit unseren Reisepässen bei den Zollbeamten ab. Unsere China-Visa haben wir bereits in Deutschland besorgt. Über die Visum-Zentrale. Wenn die Experten in der Visum-Zentrale Visa besorgen, dann stimmen die Visa auch.
Erstaunlich finde ich, dass man die chinesischen Zollbeamten bewerten kann. Vor jedem Schalter, hinter dem ein chinesischer Einreisebeamter sitzt, gibt es fünf Knöpfe. Jeder Knopf zeigt ein Gesicht. Ein unzufriedenes Gesicht, ein ernstes Gesicht, ein Gesicht, das ein bisschen lächelt, ein Gesicht, das schon mehr lächelt – und ein Gesicht, das lacht, weil es zufrieden ist.
Wir klicken auf keinen der Knöpfe. Irgendwie getrauen wir uns nicht.
„Warum eigentlich nicht?“, habe ich mir später überlegt. Diese Gesichter auf den Knöpfen zeigen doch, dass die Chinesen auch Spaß verstehen können.
Mit dem Transrapid-Zug (das ist 2009 der schnellste Zug der Welt, Deutschland hat diesen Zug an China verkauft, deswegen machen die deutschen Touristen grundsätzlich Fotos von diesem Zug) fahren wir vom Flughafen bis zur „Langyang Metro Station“, wo wir in einen Reisebus umsteigen.
Viele Reisebusse in China sind 2009 modern und bequem – allerdings ohne Sicherheitsgurte. Solch einen Bus haben wir auch.
Unser Reiseführer, Herr L., ist Chinese und spricht sehr gut deutsch. Er wohnte sechs Jahre in Worms – Deutschland – und studierte dort auch. 2009 arbeitet er als Reiseleiter für Touristen und als Übersetzer für Firmen vorwiegend in Shanghai. Er begleitet uns während unseres gesamten Aufenthalts in China.
Unser Bus fährt vorbei an vielen Wolkenkratzern und Wohnblocks – erstaunlich ist, wie rasant sich Shanghai entwickelt hat und sich immer noch entwickelt. Dort, wo vor 30 Jahren noch Reisfelder waren, stehen heute Hochhäuser und Wohnblocks. Shanghai ist 2009 die am schnellsten wachsende Stadt Chinas.
Ich sehe unter anderem den Jinmao-Tower, der 2007 noch das höchste Gebäude Shanghais war. Unterdessen ist auch das Finanzzentrum nebenan fertig gebaut. Ein Wolkenkratzer, der noch höher ist als der Jinmao-Tower. Welches Gebäude jetzt das höchste Shanghais ist, weiß ich also nicht.
Die Innenstadt Shanghais zählt 2019 15 Millionen Einwohner, dazu kommen noch acht Millionen Einwohner aus den bis zu 50 Kilometer entfernten Stadtteilen.
Shanghai hat einen großen Anteil an Wanderarbeitern. 2009 sind es drei Millionen. Shanghai ist also die zweitgrößte Stadt Chinas. Sie wird auch „Paris des Ostens“ genannt.
Nach einem Mittagessen besucht die Reisegruppe – also auch mein Mann und ich - ein Städteplanungsmuseum im Zentrum. Dort gibt es ein Modell Shanghais in einem großen Raum – jedes Gebäude und jedes geplante Gebäude ist offensichtlich aus Holz gefertigt -, und hier wird gezeigt, dass bei jedem Zentimeter dieser Stadt genau geplant ist, was wann darauf gebaut werden soll. 2010 fand in Shanghai die Messe EXPO statt – auch hierfür ist 2009 schon ein Gelände ausgewiesen.
Manche EXPO-Gebäude werden nach dieser Messe stehen bleiben, andere nicht.
Auf lange Sicht sollen die älteren, meist zweistöckigen, Wohngebäude in Shanghai abgerissen werden und durch größere Wohnblocks ersetzt werden. Die wunderschöne Altstadt Shanghais jedoch wird bleiben (zum Glück!), da sie ein Touristenmagnet ist.
Wir spazieren über „The Bund“ (Zhong-Shan-Straße) – eine der bekanntesten Straßen Shanghais. Dort stehen noch einige Kolonialbauten in britischem Stil – und die will man auch erhalten.
Leider können wir nicht auf der bekannten Uferpromenade laufen, von der aus man einen sagenhaften Blick auf das Ufer über dem Fluss Huangpu (der Fluss Huangpu teilt Shanghai in zwei Teile – Puxi und Pudong) genießen kann. Dort stehen einige Wolkenkratzer und auch ein „Fernsehturm“.
Die Uferpromenade wird im März 2009 gerade renoviert. Aber ich habe sie 2007 schon gesehen, als ich zum ersten Mal in China war.
Um 17 Uhr Ortszeit fahren wir in ein Hotel. Mein Mann und ich sind sehr müde.
Unser chinesischer Reiseführer bietet unserer Gruppe ein Abendprogramm für 15 Euro an. Es besteht aus einem Abendessen in einem chinesischen Restaurant in der Altstadt und einem Spaziergang. Wir nehmen daran nicht teil.
Unser Hotel ist das Shanghai Lansheng Hotel in der Quyang Road. Wir staunen nicht schlecht, als wir unser Doppelzimmer sehen – das ist ja schon ein Apartment! Wir wohnten in zwei Zimmern mit jeweils einem Fernseher drin, wir hatten ein großes Bad und zwei Toiletten zur Verfügung!
Natürlich nützen wir die Gelegenheit, an der Hotelrezeption Euro-Scheine in die Landeswährung Yuan (RMB) umzutauschen. Das funktioniert problemlos.
Als wir übrigens den Flughafen PUDONG verließen, priesen uns einige Straßenhändler ihre Armbanduhren an. Wir wissen schon, dass das alles Plagiate sind – also Nachahmerprodukte bereits bestehender hochwertiger Markenprodukte. Wir wollen keine Plagiate kaufen. Wer solche Plagiate kauft, sie dann nach Deutschland einführt und dabei erwischt wird, bekommt Probleme mit dem Zoll. Strafen werden fällig.
Damals im Sommer 1983 hatte ich schon aufgegeben. Dennoch rutschte ich in die Zollverwaltung. Ich ergatterte einen der wenigen Ausbildungsplätze für eine Ausbildung im gehobenen Dienst.
Die Gepflogenheiten während meiner Ausbildung – ja, an sie werde ich mich ewig erinnern. Das, was mir passiert ist, vergisst man nicht. Als ich auf der Warteliste zu einem Ausbildungsplatz für den gehobenen Dienst der Zollverwaltung stand, hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben, ich hatte eine Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma in München angenommen. Mir schwebte vor, auf diese Art und Weise fest in eine Firma ‚hineinzurutschen’.
Ich hatte mir um meine Bewerbung beim Zoll nicht mehr viele Gedanken gemacht. Bis eines Nachmittags eine Dame von der Oberfinanzdirektion Stuttgart bei meinen Eltern anrief. Ob ich noch an der Ausbildung in der Zollverwaltung interessiert sei, wollte sie wissen.
Die Oberfinanzdirektionen sind die Behörden, die dem Finanzministerium direkt untergeordnet sind. Der „Chef“ aller Zollbeamten ist also nicht – wie viele Leute glauben – der Innenminister, sondern der Finanzminister. Die Oberfinanzdirektionen unterstehen dem Bundesministerium der Finanzen direkt, es folgen in der Rangordnung die Hauptzollämter und Zollämter.
Die Oberfinanzdirektion in Stuttgart ist übrigens nicht mehr der Ansprechpartner für Bewerbungen. Für Baden-Württemberg ist die Oberfinanzdirektion in Karlsruhe zuständig. Dorthin sollte man seine Bewerbung schicken, wenn man an einer Ausbildung in der Zollverwaltung interessiert ist.
Im Juli 1983 rief also überraschend eine Dame der Oberfinanzdirektion Stuttgart bei meinen Eltern an und fragte, ob ich noch daran interessiert sei, Finanzanwärterin zu werden. Finanzanwärter – so nennt man die Auszubildenden im gehobenen Dienst der Zollverwaltung. Ursprünglich hatte die Oberfinanzdirektion in Stuttgart nur acht Ausbildungsstellen vorgesehen. Aber man wollte wohl ein gutes Werk tun und genehmigte zusätzlich weitere vier Ausbildungsplätze. Offensichtlich geschah das ziemlich kurzfristig, und die Dame bei der Oberfinanzdirektion telefonierte mit allen Leuten auf der Warteliste und fragte, ob sie noch interessiert seien.
Natürlich war ich im Juni 1983 noch interessiert an einer Ausbildungsstelle in der Zollverwaltung. Und das sagte meine Mutter der freundlichen Dame von der Oberfinanzdirektion Stuttgart. Die Dame meinte, dass ich auf einmal gute Chancen hätte, doch noch eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Also nahm ich einen Tag Urlaub und ließ mich beim Gesundheitsamt untersuchen. Ich litt an Neurodermitis, aber war das ein Makel? Ich dachte nicht. Die Oberfinanzdirektion fand das auch nicht – man stellte mich ein.
Ende Juli 1983 kündigte ich meine Stelle bei einer Zeitarbeitsfirma in München. Der Abschied fiel mir nicht besonders schwer, denn nach fast zwei Monaten dort hatte ich noch keine engen Bekanntschaften und Freundschaften schließen können.
Zwei Tage Urlaub blieben mir aus diesem kurzen „Abstecher“ als „Anfangssekretärin“ – wie ich in dem Arbeitsvertrag der Zeitarbeitsfirma tatsächlich genannt wurde. Und an einem dieser beiden Tage erhielt ich das ersehnte Einstellungsschreiben der Oberfinanzdirektion Stuttgart. Es lautete:
„Sehr geehrte Frau W.,
ich stelle Sie zum 1. August 1983 als Finanzanwärterin in den Vorbereitungsdienst der Laufbahn des gehobenen nichttechnischen Dienstes der Bundeszollverwaltung ein und weise Sie dem Hauptzollamt Stuttgart-West zur Ableistung des Vorbereitungsdienstes zu.
Die Urkunde über Ihre Ernennung zur Finanzanwärterin wird Ihnen am 01.08.1983 ausgehändigt werden.
Aus Anlass Ihrer Einstellung sage ich Ihnen Umzugskostenvergütung gemäß § 2, Absatz 3 Nr. 1 Bundesumzugskostengesetz, zu. Die Zusage wird bis zum Bezug eines zumutbaren Zimmers hinausgeschoben, längstens bis zum 15. Tag nach Beendigung der Dienstantrittsreise.
Ich bitte Sie, sich am 1. August 1983 (gleichzeitig Reisetag) um 10.00 Uhr bei dem Vorsteher des Hauptzollamtes Stuttgart-West in Stuttgart-Ost, Nordendstraße 1, zum Dienstantritt einzufinden (Anfahrt vom Hauptbahnhof mit Straßenbahn-Linie 9 – Richtung Hedelfingen – bis Haltestelle Bergfriedhof).
Ihre Lohnsteuerkarte bitte ich mitzubringen.
Die Zahlung der Anwärterbezüge wird veranlasst werden, sobald Sie den Dienst angetreten haben. Ich bitte – falls noch nicht geschehen – für die Überweisung Ihrer Bezüge ein Girokonto zu eröffnen und mir Geldinstitut (mit Bankleitzahl) und Kontonummer mitzuteilen.
Am 30.08.1983 beginnen die Fachstudien an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Finanzen – beim Bildungszentrum Sigmaringen. Sie erhalten dazu nach Dienstantritt eine besondere Verfügung über die Unterbringung beim Bildungszentrum und das dafür zu erhebende Unterkunftsentgelt (zurzeit bis zu ca. 200,-- D-Mark (Anmerkung: das sind circa 100 Euro) pro Monat) und das Verpflegungsentgelt (zurzeit 11,-- D-Mark (Anmerkung: das sind circa 5,50 Euro) pro Tag) enthalten wird.
Der Verlauf der Praktika zwischen den Fachstudienteilen wird gesondert geregelt.
Falls Sie der Einberufung nicht Folge leisten können, bitte ich, mir dies sofort unter Angabe der Gründe mitzuteilen.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag...“
Dieses Schreiben sieht so aus, wie man eigentlich keinen Geschäftsbrief schreiben soll. In der Sprachenschule lernten wir die so genannten „DIN-Normen des Maschinenschreibens“. Und in der Zollverwaltung lernten wir, wie man gerade diese DIN-Normen nicht einhält.
Zum Beispiel schreibt man laut DIN-Norm einen Geschäftsbrief mit einfachem Zeilenabstand. Wenn ein Absatz kommt, schaltet man zweimal, damit der nächste Absatz auch gut „abgesetzt“ ist. Auch Wörter wie „Betreff“ und „Bezug“ schreibt man seit Ewigkeiten nicht mehr, auch nicht mehr „An das Zollamt“, sondern nur noch „Zollamt“. Und vieles mehr. Alleine dafür, um den Zollämtern diese DIN-Normen für das Maschinenschreiben beizubringen, müsste man eine Person gut und gerne in einem Vollzeitjob beschäftigen. Ich weiß nicht, warum die Zollämter ihre Briefe 1983 nicht so schrieben, wie man sie schreiben sollte.
Der Zöllner Zachäus im Neuen Testament der Bibel schien die Regeln für einen Brief, wie man ihn 1983 in der Zollverwaltung schrieb, bereits erfunden zu haben, diese Tradition pflegte man über die Jahrhunderte weiter und wollte sie so leicht nicht aufgeben.
Wie die Briefe der Zollverwaltung heute aussehen, weiß ich nicht.
Am 5. März 2009 genießen mein Mann und ich in Shanghai ein sehr gutes Frühstück.
Wir können aus einem Büffet Brot, Butter, Marmelade, Müsli, weiße Bohnen mit Wurst (das ist wohl für die englischen Touristen gedacht) und vieles andere wählen. Die Spiegeleier werden extra von einem Koch gebraten. Man kann zusehen, wie er die Spiegeleier im Frühstücksraum brät.
Schlanke Chinesinnen rennen mit Kaffeekannen herum und schenken Kaffee nach, wo er gewünscht wird. Natürlich kann man auch Tee bekommen.
Am Vormittag besuchen wir einen Jade-Buddha-Tempel. Das ist ein buddhistischer Tempel, der 1882 mit zwei Buddha-Statuen aus Jade gegründet wurde.
Im Yu-Garten bestaunen wir dann die traditionelle Gartenbaukunst. Dort gibt es viele Pflanzen, ein paar Teiche und Teehäuser.
In Shanghais Altstadt sehen wir unter anderem die Zickzackbrücke. Außerdem trinken wir Kaffee in derselben „Starbucks-Coffee-Shop“-Filiale, in der ich vor zwei Jahren auch schon war.
Nachmittags haben wir Gelegenheit zum Bummel über die Nanjing Lu (Nanjing-Straße), die wichtigste Einkaufsstraße der Stadt. Ich suche nach einem CD-Geschäft, in dem ich 2007 eine CD gekauft habe. Leider ist der CD-Laden umgezogen, und ich weiß nicht, wo er jetzt ist. Aber trotzdem ist die Nanjing Lu einen Besuch wert.
Abends besuchen wir eine Akrobatik-Show mit sehr guten Darbietungen. In Shanghai gibt es vier Theater, in denen man solche Akrobatik-Shows sehen kann.
Im März 2007 war ich in einem anderen Theater. Aber – egal, in welches Theater man geht -, diese Shows sind ihr Geld wert – und wenn man diesen Besuch in Deutschland bei der Buchung einer China-Reise nicht gleich mitbucht, sollte man sich extra circa 25 bis 30 Euro mitnehmen, um dann vor Ort – wenn es vom Reiseleiter angeboten wird – in eine solche Show gehen zu können.
Es ist verboten, während dieser Shows zu fotografieren oder zu filmen. Aber es gibt die Möglichkeit, sich eine DVD von dieser Show direkt im Theater zu kaufen. Der Preis für eine solche DVD liegt 2009 bei ungefähr 150 Yuan (circa 15 bis 17 Euro).
Wir sehen für den Eintrittspreis von 20 Euro pro Person eine einmalige Show, die fast zwei Stunden (mit einer Pause von 10 Minuten) dauert. So bestaunen wir zum Beispiel einen jungen Mann, der auf einem Holzschiff auf die Bühne fährt, sich auf Rollen stellt und sein Gleichgewicht so ausbalancieren kann, dass er diverse Gegenstände (Tassen, Unterteller) auf seinem Kopf stapeln kann.
Wir sehen einen Chinesen, der mit seinem Körper eine Bodenvase in die Luft wirft und sie mit dem Rücken und anderen Körperteilen so auffängt, dass sie nicht zu Bruch geht.
Wir sehen junge Männer, die eine Menschenpyramide bilden können und so beweglich sind, dass sie durch Reifen springen.
Natürlich darf auch die Motorradnummer mit der Netzkugel nicht fehlen. Während ich 2007 vier Motorradfahrer sah, die nacheinander in eine Netzkugel fuhren und so fuhren, dass sie sich gegenseitig nicht in die Quere kamen – so sehen wir diesmal acht Motorradfahrer, die in einer Netzkugel herumfahren.
Und wir sehen vieles andere.
Die Chinesen sind bekannt dafür, dass sie gute Akrobaten sein können.
Über Zollformalitäten lernte ich das meiste nach dem Grundstudium in einigen Firmen.
Das klingt albern, ist aber tatsächlich so. Das erste Ausbildungsjahr in den Verwaltungen des Bundes besteht nämlich zum größten Teil aus einem Grundstudium, das Wissen über allgemeines Recht vermittelt. Ein Schnellkurs in Jura, für den Juristen immerhin zwei Jahre brauchen dürfen – uns wurde dieses Wissen in sechs Monaten vermittelt.
Aber ich greife vor. Ich sollte mich wieder in die Person der jungen Victoria versetzen – eine junge, schlanke Dame voller Träume. Die junge Victoria – genannt Vicky - hat andere Probleme als die Vicky, die 2019 in der Welt herumreist.
Heute habe ich mehr Lebenserfahrung, mehr Berufserfahrung. 1983 lechzte ich noch richtiggehend danach. Die Vorteile einer Ausbildung beim Zoll lagen auf der Hand. Einer zum Beispiel ist: alle Auszubildenden, die die Abschlussprüfung bestehen durften, wurden in die Zollverwaltung übernommen.
Und mit diesem Wissen, viel Motivation und einer gehörigen Prise Enthusiasmus begann ich meinen ersten Arbeits- und Ausbildungstag in der Zollverwaltung. Ich fuhr mit dem Zug von meiner Heimatstadt nach Stuttgart. Das sind etwas mehr als 70 Kilometer. Das frühe Aufstehen machte mir nichts aus, das war ich schon von meinen Besuchen auf der Sprachenschule gewohnt.
Am Hauptbahnhof angekommen, musste ich in die Straßenbahn der Linie 9 in Richtung Hedelfingen steigen. Kein Problem. Ich stieg an der Haltestelle „Bergfriedhof“ aus und lief zum Hauptzollamt Stuttgart-West, das genau gegenüber lag.
Pünktlich um 10.00 Uhr an diesem 1. August 1983 saßen zwölf junge Leute, fünf Damen und sieben Herren, erwartungsvoll um den großen Tisch in einem Ausbildungssaal des Hauptzollamtes Stuttgart-West und musterten sich gegenseitig. Ich fühlte neugierige Blicke auf mir, schaute aber genauso die anderen an, so wie sie mich anschauten.
Ich sah den blonden Felix. Ein Draufgänger, immer zu Scherzen aufgelegt, der aber auch sehr viel wusste. Kein Wunder, er hatte das Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium gemacht.
Ich nahm Hartmut wahr, einen hochaufgeschossenen dunkelhaarigen jungen Mann, dessen Adamsapfel immer hektisch hin und her hüpfte, wenn er sprach. Hartmut hatte vor, später einmal bei der Zollfahndung zu arbeiten. Das würde er uns immer wieder erzählen.
Weiterhin saß Robert an diesem großen Tisch. Robert, ein schüchterner dunkelhaariger Typ mit Brille. Robert wusste viel und wohnte nicht weit weg von Sigmaringen, dessen Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Zoll, wir noch kennen lernen würden. In Sigmaringen befand sich viele Jahre die einzige Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Finanzen, in Deutschland.
Sabine, eine lockige dunkelhaarige Dame mit großen Augen, wohnte ganz in seiner Nähe.
Tatjana hatte eigentlich das „große Los“ gezogen – sie wohnte direkt in Sigmaringen und würde, wenn wir auf der Fachhochschule waren, nicht darauf angewiesen sein, sich in eines der kleinen Dreibettzimmer pferchen zu müssen. Sie konnte zu Hause ihren Lernstoff pauken.
Dann erblickte ich Guido, einen rothaarigen Kerl, der sich – wie ich später erfahren würde – intensiv mit Esoterik beschäftigte und ein großes Allgemeinwissen hatte. Guido konnte hervorragend malen und zeichnen, und er schien Eberhard zu kennen, mit dem er sich intensiv unterhielt. Eberhard kam aus einer Stadt nicht weit weg von Guidos Wohnort.
Auch Britta bemerkte ich, deren Vater irgendwo Zollamtsvorsteher war. Britta, die schlanke, dünne Blondine, immer perfekt gekleidet, mit einem Hauch Rouge auf den Wangen mit rehbraunen Augen, deren Lider sie mit Lidschatten betonte.
Monika dagegen war ruhig, sie sagte nicht viel, sie wirkte unscheinbar, verschlossen. Es war schwer, mit ihr ein Gespräch zu beginnen. Noch war sie nicht aufgetaut, noch plauderte und lachte sie nicht wie Felix oder Guido.
Den langen blonden Christoph darf ich nicht vergessen. Auch er trug eine Brille, auch er war schüchtern, auch er taute erst im Laufe unserer Ausbildung auf. Am Anfang wussten wir alle nicht, was wir von ihm halten sollten. Am Schluss unseres ersten Ausbildungsjahres würden wir sagen: „Christoph ist und war immer ein dufter Kumpel!“
Schließlich war auch Siegmar anwesend. Siegmar war dunkelhaarig, sah beinahe schon aus wie ein Italiener. Dabei war er waschechter Schwabe. Das merkte man spätestens dann, wenn Siegmar sprach. Auch Siegmar hatte viel Humor, hielt sich aber dezent im Hintergrund, wenn er nicht gefragt wurde, wenn er nicht gemeint war.
Die Sonne strahlte an diesem 1. August. Sie schien für uns, und sie schien auf den alten großen Tisch, der schon von unzähligen Finanzanwärtern vor uns zerkratzt wurde. Er erinnerte mich an die Tische in dem Gymnasium, in dem ich Abitur machte. Zum Glück wurden diese Tische in diesem Gymnasium einmal ausrangiert, als die Schule von Grund auf renoviert wurde. Aber hier auf diesem Hauptzollamt konnte man solche Tische immer noch verwenden.
Um zehn Uhr flog die Türe auf. Ein blonder Herr mit Brille trat ein und musterte uns. Die meisten von uns Auszubildenden kamen gerade frisch vom Gymnasium, hatten ihr Abitur soeben bestanden, und für sie begann das Berufsleben.
„Guten Morgen! Ich darf Sie alle im Namen des Hauptzollamtes Stuttgart-West herzlich begrüßen!“ Der blonde Herr strahlte über beide Ohren. „Mein Name ist Oswald, und ich bin Ihr Ausbildungsleiter.“ Nervös räusperte er sich und sah auf die Uhr. „Herr Eggler, der Leiter dieses Hauptzollamtes, wird Sie gleich begrüßen und vereidigen. Na – wo bleibt er denn nur?“
Wieder ging die Türe auf. Ein bekanntes Gesicht. Aha, das war einer der Herren, die den mündlichen Einstellungstest an der Oberfinanzdirektion Stuttgart vornahmen. Herr Eggler hieß er. Seine braunen Haare hatte er ordentlich mit Pomade zurückgekämmt. In breitem Dialekt begrüßte er uns:
„Guten Morgen! Herzlich willkommen im Hauptzollamt Stuttgart-West! Ich wünsche Ihnen einen guten Anfang!“
Anschließend verlor er einige Worte über die Vereidigung. Heute würden wir zwölf Neulinge unsere Beamten-Urkunden feierlich ausgehändigt bekommen. Ich war sehr aufgeregt.
Herr Eggler erzählte uns auch einiges über die Rechte und Pflichten eines Beamten.
Verankert sind alle Rechte und Pflichten eines Beamten im so genannten „Beamtenrecht“. Ein Beamter zahlt zwar weniger Sozialabgaben, aber er hat mehr Pflichten als Rechte. Viele Dinge, die heutzutage von vielen Leuten als „Kavaliersdelikte“ angesehen werden, sollte ein Beamter lieber bleiben lassen, zum Beispiel „Schwarzfahren“ in öffentlichen Verkehrsmitteln. Er könnte sonst Schwierigkeiten mit seiner Dienstbehörde bekommen.
Heute erhielten wir allerdings nur einen groben Überblick über die Pflichten eines Beamten. Mehr würden wir noch während der Ausbildung an der Fachhochschule erfahren.
Nach einer kleinen Pause an der frischen Luft wurden wir nacheinander vereidigt. Ich wurde zuerst aufgerufen – zu meiner Verblüffung.
Mutig betrat ich den „Vereidigungsraum“.
„Wie fühlen Sie sich?“ Herr Eggler lächelte mir zu.
„Irgendwie komisch!“ Ich zitterte ein wenig, obwohl eine Vereidigung „kurz und schmerzlos“ vor sich geht.
Ich durfte wählen, ob ich den Eid mit oder ohne die religiöse Formel „So wahr mir Gott helfe!“ sprechen wollte. Ohne Zögern entschied ich mich für die religiöse Formel. Feierlich erhob ich also die rechte Hand und sprach die Worte nach, die mir Herr Eggler vorsagte:
„Ich schwöre, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und alle in der Bundesrepublik geltenden Gesetze zu wahren und meine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen – so wahr mir Gott helfe!“
Ein erhebender Moment war das, feierlich. Fast wie eine Hochzeit. Nur wurde ich in diesem feierlichen Moment Beamtin auf Widerruf und nicht Ehefrau.
Herr Eggler überreichte mir die Beamtenurkunde, die ich ehrfürchtig in die Hände nahm. Ich war Beamtin – endlich! Ein erhebendes Gefühl erfasste mich, und stolz schritt ich aus dem Raum, trat in die Mitte meiner neuen Kollegen und teilte dem Nächsten mit, er dürfe sich jetzt vereidigen lassen.
So wurden in einigen Minuten aus zwölf jungen Leuten fünf Beamtinnen und sieben Beamte auf Widerruf. Beamte auf Widerruf sind nicht „unkündbar“ – sie dürfen noch entlassen werden.
Unterdessen war es Mittag geworden, und ein Herr der Gewerkschaft „Bund der deutschen Zollbeamten“ – kurz „BDZ“ genannt – lud uns zum Essen in eine nahegelegene Gaststätte ein. Das Essen war für beide Seiten zufriedenstellend: Wir frischgebackene Beamte genossen ein ausgezeichnetes Schnitzel auf Kosten des „BDZ“, und der „BDZ“ köderte auf diese Weise neue Mitglieder! Denn natürlich wurden während dieses Mittagessens nicht nur Kugelschreiber, Gehaltstabellen und Aufkleber verteilt, sondern auch ein Formular, in dem man gleich seinen Beitritt zum „BDZ“ schriftlich erklären konnte – mit Datum und Unterschrift natürlich. Beinahe alle von uns wurden Gewerkschaftsmitglieder!
Monate später erfuhr ich, dass die Gewerkschaft „BDZ“ insgesamt sehr wenig Einfluss hatte. Wer wirklich etwas im öffentlichen Dienst bewegen wollte, schloss sich am besten der Gewerkschaft Verdi (in den 1980er-Jahren hieß diese Gewerkschaft ÖTV) an. Das ist – soweit ich weiß – bis heute so geblieben.
Aber, was wussten wir frischgebackenen Beamten auf Widerruf schon über Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst in unserer Vorfreude auf unsere Ausbildung in der Zollverwaltung? Überhaupt nichts.
Jetzt konnten wir nicht mehr Mitglieder des „ÖTV“ werden, ohne beim „BDZ“ zu kündigen – der „BDZ“ war nun einmal schneller gewesen!
Wir zwölf „neuen“ Finanzanwärter sollten jetzt ein vierwöchiges Einführungspraktikum auf dem Hauptzollamt Stuttgart-West absolvieren. Wir waren gespannt darauf wie die sprichwörtlichen „Flitzebogen“.
Meine neuen Kollegen gefielen mir sofort. Wir waren eine tolle Gruppe, einfach total coole Typen! Jeder von uns zeigte besondere Begabungen und Fähigkeiten und steuerte so zum guten Klima unter uns bei. Es dauerte nicht lange, bis wir uns beschnuppert hatten.
Jeder fand eine oder mehrere Personen, mit denen sie oder er besonders gerne zusammen war. Viele von uns besaßen eine Offenheit und Herzlichkeit, die sehr auf mich abfärbte – wirkte ich doch eher zugeknöpft und schüchtern. In der Bundeszollverwaltung lernte ich, mehr aus mir herauszugehen, meine Schüchternheit zu vergessen und zu kämpfen.
An einigen Tagen unseres neuen Arbeitsalltags versammelten wir „neuen“ Finanzanwärter uns im Hauptzollamt Stuttgart-West und erhielten Informationen über die Tätigkeit eines Zollbeamten.
Leute aus verschiedenen Fachbereichen erklärten uns in groben Zügen, wie ihre Arbeit aussah. Es gab beispielsweise eine Stelle, die Schnapsbrennereien, Likörhersteller und andere Firmen und Personen, die alkoholische Getränke herstellten, kontrollierte und die entsprechenden Verbrauchssteuern erhob.
Wussten Sie, liebe Leserin und lieber Leser, dass es eine Schaumweinsteuer gibt? Zumindest gab es sie damals, als ich Finanzanwärterin in der Bundeszollverwaltung war.
Fragen über die Erhebung der Schaumweinsteuer – so erklärte uns fachkundig der zuständige Abteilungsleiter Herr Poscherswerder – waren ganz einfach zu beantworten, indem man die Paragraphen §§ sowieso bis sowieso des zugehörigen Gesetzes, die Abschnitte Nummer sowieso bis sowieso der dazugehörigen Dienstanweisung zur Schaumweinsteuer und etliche andere Gesetze, Verordnungen, Dienstanweisungen und so weiter zu Rate zog. Wir staunten Bauklötze und verstanden nur Bahnhof.
Aber wir waren zuversichtlich. Noch standen wir am Anfang unserer Ausbildung. Irgendwann würden auch wir so fachkundig daher plaudern wie Herr Poscherswerder. Irgendwann würden wir die Fachfrauen und Fachmänner in Sachen „Zoll“ sein – nur abwarten!
Oder wir hörten den interessanten Vortrag von Frau Eiferle, der Abteilungsleiterin der „Zollwerterhebungsstelle Stuttgart“ – so möchte ich dieses Ressort einfach nennen, denn den genauen Namen weiß ich nicht mehr. Diese Abteilung befasste sich mit Problemen, wie „Wann soll der Zollwert erhoben werden, und für welche Produkte, für welche Waren mit welchen Warenwerten?“
„Aber nichts leichter als das!“, erklärte uns Frau Eiferle so übereifrig wie ihr Nachname. „Sie schlagen einfach in den Paragrafen §§ sowieso und sowieso des entsprechenden Gesetzes, der erweiterten Fassung von 1949, nach, vergleichen diese Paragrafen mit der dazugehörigen Dienstanweisung und haben dann die Lösung!“
Wir nickten wie begossene Pudel und hatten so gut wie gar nichts verstanden, waren aber sicher, unter der fachkundigen Anleitung der Zollbeamten, die wir während unserer Ausbildung treffen würden, und der Dozenten an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Finanzen, in Sigmaringen irgendwann alles zu verstehen.
Noch weitere Damen und Herren stellten sich bei uns vor – ihres Zeichens alle Abteilungsleiter irgendwelcher Abteilungen, von denen wir vorher weder gehört, noch im Traum gedacht hatten.