Inside Facebook - Sheera Frenkel - E-Book

Inside Facebook E-Book

Sheera Frenkel

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Beschreibung

Das Buch, von dem Facebook nicht will, dass Sie es lesen! NSA-Skandal, Wahlmanipulationen, Cambridge Analytica, Trump … Das ist nur die Spitze des Eisbergs! Die renommierten »New York Times«-Reporterinnen Sheera Frenkel und Cecilia Kang gewähren einen bisher einzigartigen Einblick in den mächtigsten und undurchschaubarsten Konzern der Welt. Ausgehend von ihrer langjährigen investigativen Recherche, in der sie über Hunderte von Interviews führten, zeigen uns die Autorinnen ein Facebook, das wir so bislang nicht kannten. Dabei kommen sie Sheryl Sandberg und Marc Zuckerberg so nah wie niemand zuvor. Wir erfahren, welche Rollen Zuckerberg und Sandberg spielen, wie in den Hinterzimmern folgenreiche Entscheidungen getroffen, mit Politikern zwielichtige Absprachen vereinbart und undurchsichtige Netzwerke gebildet werden. Und wie eine Maschine zur Geldvermehrung immer weiter am Laufen gehalten wird, koste es, was es wolle – mit verheerenden Folgen: Aushöhlung der Privatsphäre und der Demokratie, eine Gefahr für unsere Gesellschaften. Grandios geschrieben, hautnah berichtet, ein Krimi über Manipulationen und Intrigen in einem der mächtigsten Konzerne der Welt – wie Dave Eggers' »The Circle«, nur real.

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Sheera Frenkel | Cecilia Kang

Inside Facebook

Die hässliche Wahrheit

Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Marlene Fleißig, Frank Lachmann und Hans-Peter Remmler

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]Vorbemerkung der AutorinnenProlog Um jeden PreisKapitel 1 Stechen Sie nicht in ein WespennestKapitel 2 Das nächste große DingKapitel 3 In welchem Geschäft sind wir?Kapitel 4 Die RattenfängerinKapitel 5 Der Warrant CanaryKapitel 6 Eine ziemlich verrückte IdeeKapitel 7 Firma vor VaterlandKapitel 8 #DeleteFacebookKapitel 9 Erst denken, dann teilenKapitel 10 Der Kriegs-CEOKapitel 11 Die Koalition der WilligenKapitel 12 Eine existenzielle BedrohungKapitel 13 Das Oval Office mischt sich einKapitel 14 Gut für die WeltEpilog Es zieht sich hinDankRegister

Für Tigin, Leyla, Oltac, ,

Für Tom, Ella, Eden, ,

Vorbemerkung der Autorinnen

Dieses Buch ist das Ergebnis von mehr als tausend Stunden Interviews mit über vierhundert Personen. Die meisten davon sind Manager, ehemalige und derzeitige Angestellte, Investoren und Berater von Facebook sowie frühere Kollegen, Familienmitglieder, Freunde und Klassenkameraden. Daneben griffen wir auf Interviews mit mehr als hundert Abgeordneten, Aufsichtsbehörden und deren Referenten zurück, mit Verbraucher- und Datenschützern sowie mit Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten, Europa, dem Nahen Osten, Südamerika und Asien. Die Befragten waren direkt an den geschilderten Ereignissen beteiligt oder wurden, in wenigen Fällen, von den direkt involvierten Personen über die Ereignisse unterrichtet. Wenn an manchen Stellen Reporter der New York Times erwähnt werden, sind damit wir und/oder unsere Kollegen gemeint.

Inside Facebook stützt sich zudem auf Informationen aus bislang unveröffentlichten und auf höchster Ebene verfassten oder gebilligten E-Mails, Memos und Whitepapers. Viele Gesprächspartner erinnerten sich sehr genau an bestimmte Konversationen und stellten uns Notizen, Kalender und andere Dokumente aus dem betreffenden Zeitraum zur Verfügung, anhand deren sich die Ereignisse rekonstruieren und verifizieren ließen. Angesichts der auf staatlicher und Bundesebene laufenden Gerichtsverfahren gegen Facebook erteilte die Mehrheit der Befragten aufgrund vertraglicher Verschwiegenheitspflichten und Angst vor Repressalien nur unter der Bedingung Auskunft, lediglich als anonyme Quelle und nicht mit ihrem richtigen Namen genannt zu werden. In den meisten Fällen wurden Szenen von jeweils mehreren Personen bestätigt, darunter von Augenzeugen oder über den Vorgang informierten Individuen. Die Leser sollten deshalb nicht davon ausgehen, dass die in einer bestimmten Szene sprechende Person auch die Informationsquelle war. In Fällen, in denen Sprecher von Facebook bestimmte Vorgänge oder Darstellungen von Management und Ereignissen abstritten, verifizierten mehrere Personen mit unmittelbarer Kenntnis unsere Berichterstattung.

Die Menschen, die mit uns sprachen und dadurch nicht selten ihre Karriere aufs Spiel setzten, waren entscheidend dafür, dass wir dieses Buch schreiben konnten. Ohne ihre Stimmen ließe sich die Geschichte des folgenreichsten gesellschaftlichen Experiments unserer Zeit nicht vollständig erzählen. Sie bieten einen seltenen Einblick in ein Unternehmen, dessen erklärtes Ziel es ist, eine vernetzte Welt freier Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen, dessen Unternehmenskultur indes Verschwiegenheit und bedingungslose Loyalität verlangt.

Zwar teilten Zuckerberg und Sandberg ihrer Kommunikationsabteilung anfänglich mit, dass sie ihre Sicht der Dinge in diesem Buch abgebildet sehen wollten, doch lehnten sie Interviewanfragen wiederholt ab. Dreimal lud uns Sandberg zu Hintergrundgesprächen in Menlo Park und New York ein, mit dem Versprechen, dass diese Unterhaltungen zu längeren und verwertbaren Interviews führen würden. Als sie jedoch von der kritischen Natur unserer Berichterstattung erfuhr, brach sie den direkten Kontakt ab. Offensichtlich deckte sich die ungeschönte Wiedergabe der Facebook-Geschichte nicht mit ihrer Vision des Unternehmens und ihrer Rolle als zweitmächtigster Verantwortlichen.

Zuckerberg selbst, so ließ man uns wissen, habe kein Interesse daran, sich einzubringen.

PrologUm jeden Preis

Einem ehemaligen hohen Facebook-Manager zufolge fürchtete Mark Zuckerberg vor allem drei Dinge: dass die Website gehackt würde, dass seine Angestellten körperlichen Schaden erlitten und dass die Behörden eines Tages sein soziales Netzwerk zerschlagen würden.

Am 9. Dezember 2020 um 14:30 Uhr wurde das dritte Szenario zu einer unmittelbaren Bedrohung. Die US-Handelsbehörde – die Federal Trade Commission (FTC) – und beinahe alle Bundesstaaten verklagten Facebook wegen Schädigung seiner Nutzer und Mitbewerber und strengten eine Zerschlagung des Konzerns an. Auf den Displays von Zigmillionen Smartphones blitzten Eilmeldungen auf. CNN und CNBC unterbrachen ihr reguläres Programm und berichteten. Das Wall Street Journal und die New York Times setzten Nachrichtenbanner ganz oben auf ihre Homepages.

Minuten später gab Letitia James, die Generalstaatsanwältin des Staates New York, deren Behörde die Zweiparteienkoalition von 48 Generalstaatsanwälten koordinierte, eine Pressekonferenz, in welcher sie den Fall darlegte – die heftigste Regierungsoffensive gegen ein Unternehmen seit der Auflösung von AT&T im Jahre 1984.[1] Was sie forderte, kam einer umfassenden Anklageerhebung gegen die gesamte Geschichte von Facebook gleich und insbesondere gegen die Unternehmensführung, Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg.[2]

»Die Geschichte geht zurück bis zu den Anfängen, zur Gründung von Facebook an der Universität Harvard«, begann James. Jahrelang habe Facebook eine gnadenlose Strategie nach dem Motto »Kaufen oder beerdigen« verfolgt, um Mitbewerber auszuschalten. Das Resultat sei die Entstehung eines mächtigen Monopols, das weitreichenden Schaden anrichte. Es missachte die Privatsphäre seiner Nutzer und fördere zudem die Verbreitung schädlicher und verletzender Inhalte, die so fast drei Milliarden Menschen erreichten. »Mit seinen riesigen Ressourcen an Daten und Geld hat Facebook alles zermalmt oder verhindert, was es als potenzielle Bedrohung erkannte«, sagte James. »Sie haben die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher eingeschränkt, Innovation unterdrückt und den Schutz der Privatsphäre von Millionen Amerikanern vermindert.«

Mark Zuckerberg, der in der Anklageschrift über einhundertmal namentlich erwähnt war, wurde als Regeln brechender Unternehmensgründer dargestellt, der durch Schikane und Täuschung zum Erfolg gelangt war. »Wenn man Facebook ins Gehege kam oder dem Verkaufsdruck widerstand, begab sich Zuckerberg in den ›Zerstörermodus‹ und setzte das betreffende Unternehmen dem ›Zorn des Mark‹ aus«, schrieben die Generalstaatsanwälte und zitierten dabei aus E-Mails von Mitbewerbern und Investoren. Der Vorstandsvorsitzende habe derart große Angst davor, gegenüber seinen Rivalen den Kürzeren zu ziehen, dass er »jede Bedrohung im Wettbewerb zu vernichten oder zu behindern suchte, anstatt sie durch Leistung oder Innovation zu übertreffen«. Er habe Mitbewerber ausspioniert und Versprechen gegenüber den Gründern von Instagram und WhatsApp gebrochen, sobald er sich diese Start-ups einverleibt hatte, so die Anklage der Staaten weiter.

Die ganze Zeit über war die ehemalige Google-Managerin Sheryl Sandberg an Zuckerbergs Seite und verwandelte seine Technologie in eine Profitmaschine, indem sie ein ebenso innovatives wie schädliches Werbesystem anwandte, das die Nutzer auf persönliche Daten hin »überwachte«. Das Werbegeschäft von Facebook basierte auf einer gefährlichen Rückkopplungsschleife: Je mehr Zeit die Nutzer auf der Seite verbrachten, desto mehr Daten griff Facebook ab. Die Verlockung bestand in der freien Bereitstellung der Dienste, doch hatten die Kunden auf andere Weise hohe Kosten zu tragen. »Die Nutzer zahlen keinen Geldbetrag für die Nutzung von Facebook«, versicherte die Klage der Staaten. »Stattdessen opfern sie im Austausch gegen die Facebook-Dienste ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihre persönlichen Daten.«

Es war eine Unternehmensstrategie, deren Ziel ein Wachstum um jeden Preis war, und niemand in der Industrie verstand es besser als Sandberg, das Ganze zu skalieren. Sie war ungemein gut organisiert, analytisch, fleißig und äußerst geschickt im Umgang mit anderen Menschen, was sie zum perfekten Gegenstück für Zuckerberg machte. Sie kümmerte sich um all jene Bereiche, die ihn nicht interessierten – Politik und Kommunikation, Rechts- und Personalfragen, die Schaffung neuer Einnahmequellen. Da sie in der Öffentlichkeit als geschulte Rednerin und politische Beraterin bestens bekannt war, fungierte sie bei Investoren und in der Öffentlichkeit als angenehmes Gesicht des Konzerns und lenkte damit die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Problem ab.

»Es geht um das Geschäftsmodell«, sagte ein Regierungsvertreter in einem Interview. Sandbergs verhaltensbezogenes Werbemodell behandele menschliche Daten wie Finanzinstrumente, die in Termingeschäften mit Mais oder Schweinebäuchen eingesetzt werden. Ihr Machwerk sei eine »Verseuchung«, sagte der Regierungsvertreter und gab dabei die Worte der Wissenschaftlerin und Aktivistin Shoshana Zuboff wieder, die ein Jahr zuvor geschrieben hatte, Sandberg habe »mit der Übernahme ihrer Position als Zuckerbergs Nummer zwei die Rolle einer Virenschleuder übernommen, die den Überwachungskapitalismus von Google auf Facebook übertrug«.[3]

Da kaum jemand die Unternehmensführung dazu zwingen wollte, sich um das Wohlergehen ihrer Kunden Gedanken zu machen, sei es auf Facebook zu einer »Verbreitung von Falschinformationen und gewaltsamer oder anderweitig abzulehnender Inhalte« gekommen, wie die Generalstaatsanwälte in ihrer Klage unterstellten. Selbst angesichts schwerwiegenden Fehlverhaltens – etwa der russischen Desinformationskampagne und dem Datenschutzskandal um Cambridge Analytica – hätten die Nutzer der Seite nicht den Rücken gekehrt, weil es nur wenige Alternativen gegeben habe, so die Aufsichtsbehörden. James fasste kurz und bündig zusammen: »Statt sich im Leistungswettbewerb zu messen, setzte Facebook seine Macht ein, um Wettbewerber zu unterdrücken, damit es seine Kunden ausnutzen und deren persönliche Daten gewinnbringend vermarkten konnte.«

 

Als die FTC und die Bundesstaaten ihre wegweisenden Gerichtsverfahren gegen Facebook anstrengten, standen wir kurz vor dem Abschluss einer Recherche zu diesem Thema. Diese basierte auf einer fünfzehnjährigen Berichterstattung, welche uns einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen von Facebook ermöglicht hat. In Büchern und im Kino sind verschiedene Versionen der Facebook-Story erzählt worden. Doch obwohl sie allgemein bekannt sind, bleiben Zuckerberg und Sandberg für die Öffentlichkeit rätselhaft, und das aus gutem Grund. Sie verteidigen das von ihnen gepflegte Image mit Zähnen und Klauen (er, der Technikvisionär und Philanthrop, und sie, die Business-Ikone und Feministin) und umgeben das Innenleben des »MPK« (das von den Angestellten gebrauchte Akronym für die Unternehmenszentrale in Menlo Park) mit einem Wall aus Loyalisten und einer Kultur der Verschwiegenheit.

Viele Menschen sehen Facebook als Unternehmen, das vom rechten Weg abgekommen ist: die klassische Frankenstein-Geschichte vom Monster, das sich von seinem Schöpfer losgerissen hat. Wir vertreten einen anderen Standpunkt. Wir glauben vielmehr, dass Zuckerberg und Sandberg bereits in dem Augenblick, als sie sich im Dezember 2007 auf einer Weihnachtsfeier kennenlernten, ahnten, welches Potenzial in dem Unternehmen steckte und dass man es in die globale Macht verwandeln könnte, die es heute ist.[4] Durch ihre Partnerschaft errichteten sie methodisch ein Geschäftsmodell, das – mit einem Umsatz von 85,9 Milliarden Dollar im Jahre 2020 und einem Marktwert von 800 Milliarden Dollar – in seinem Wachstum unaufhaltsam ist und ganz bewusst so entworfen wurde.[5] Wir legen unseren Fokus auf einen Fünfjahreszeitraum – von einer Präsidentenwahl zur nächsten –, in dessen Verlauf das Versagen des Unternehmens, seine Nutzer zu schützen, ebenso zutage trat wie seine Schwachstellen als mächtige globale Plattform. Sämtliche Fragen, die zur Grundlage dessen wurden, was Facebook heute ist, spitzten sich innerhalb dieser Zeitspanne zu.

Es wäre leicht, die Geschichte von Facebook als die eines auf Abwege geratenen Algorithmus zu erzählen. Die Wahrheit ist jedoch wesentlich komplexer.

Kapitel 1Stechen Sie nicht in ein Wespennest

Es war spät am Abend, und seine Kollegen in Menlo Park hatten das Büro schon vor Stunden verlassen, als sich der Facebook-Softwareentwickler zu seinem Laptop zurückgezogen fühlte. Er hatte ein paar Bier getrunken. Wahrscheinlich lag es zum Teil daran, dass sein Entschluss wankte, dachte er. Er wusste, dass er mit ein paar Klicks auf seiner Tastatur das Facebook-Profil einer Frau einsehen könnte, mit der er vor einigen Tagen ausgegangen war. Seiner Meinung nach war es ein netter Abend gewesen, doch sie hatte 24 Stunden nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, keine seiner Nachrichten mehr beantwortet. Er wollte nur rasch einen Blick auf ihre Facebook-Seite werfen, um seine Neugier zu befriedigen, um zu sehen, ob sie vielleicht krank oder im Urlaub oder ihr Hund ausgerissen war. Irgendetwas, das erklären könnte, warum sie an einer zweiten Verabredung nicht interessiert war.

Um 22 Uhr traf er eine Entscheidung. Er loggte sich auf seinem Laptop ein und suchte nach seinem Date, indem er seine Zugriffsberechtigung auf den Datenstrom über sämtliche Facebook-Nutzer nutzte. Er kannte genügend Einzelheiten – Vor- und Nachnamen, Geburtsort, Universität –, so dass er sie innerhalb weniger Minuten gefunden hatte. Die internen Systeme von Facebook boten eine wahre Fundgrube an Informationen, darunter jahrelange private Konversationen mit Freunden über den Facebook Messenger, besuchte Veranstaltungen, hochgeladene Fotos (auch die von ihr gelöschten) und Posts, die sie kommentiert oder angeklickt hatte. Er sah die Kategorien, in welche Facebook sie für Werbekunden eingeordnet hatte: Das Unternehmen hatte befunden, dass sie Mitte dreißig war, politisch links von der Mitte stand und einen aktiven Lebensstil pflegte. Sie hatte vielfältige Interessen, von ihrer Hundeliebe bis hin zu Urlauben in Südostasien. Durch die Facebook-App, die sie auf ihrem Telefon installiert hatte, konnte er sogar ihren Echtzeitaufenthaltsort sehen. Es waren mehr Informationen, als er bei einem Dutzend Abendessen hätte sammeln können. Nun, eine knappe Woche nach ihrem ersten Treffen, lag alles vor ihm.

Die Manager von Facebook betonten ihren Mitarbeitern gegenüber stets, dass jeder sofort entlassen werde, den man dabei erwische, wie er seine Zugriffsberechtigung zum persönlichen Vorteil ausnutze – und sei es auch nur, um den Account eines Freundes oder eines Verwandten einzusehen. Die Manager wussten aber auch, dass es keine Schutzvorrichtungen gab. Das System war als offenes System angelegt, transparent und für alle zugänglich. Es war Teil von Zuckerbergs Gründungsethos, die Bürokratie abzuschaffen, die die Softwareentwickler verlangsamte und sie davon abhielt, schnelle, unabhängige Arbeit zu leisten. Dies wurde bereits praktiziert, als Facebook noch keine hundert Angestellten hatte, und jetzt, Jahre später, mit Tausenden von Softwareentwicklern im gesamten Unternehmen, wurde es auch nicht weiter hinterfragt. Alles, was die Mitarbeiter davon abhielt, ihren Zugriff auf private Daten zu missbrauchen, war ihr eigenes Gewissen.

Im Zeitraum von Januar 2014 bis August 2015 war der Softwareentwickler, der seine Bekanntschaft ausspähte, nur einer von 52 Facebook-Mitarbeitern, die wegen unerlaubten Datenzugriffs entlassen wurden. Männer, welche die Facebook-Profile von Frauen einsahen, an denen sie interessiert waren, stellten die überwiegende Mehrheit der Softwareentwickler, die ihre Privilegien missbrauchten. Die meisten Angestellten, die ihren Zugang ausnutzten, taten kaum mehr, als Informationen über die Betroffenen zu sammeln. Manche hingegen gingen wesentlich weiter. Ein Softwareentwickler nutzte die Daten, um eine Frau zur Rede zu stellen, die ihn auf einer Europareise begleitet hatte. Während des Urlaubs waren die beiden in Streit geraten, und der Softwareentwickler verfolgte sie bis zu ihrem neuen Hotel, wo sie abgestiegen war, nachdem sie das gemeinsame Zimmer verlassen hatte. Ein anderer Softwareentwickler rief die Facebook-Seite einer Frau ab, noch bevor sie sich zum ersten Mal miteinander verabredet hatten. Er sah, dass sie regelmäßig den Dolores Park in San Francisco besuchte, und fand sie dort eines Tages, als sie mit ihren Freunden die Sonne genoss.

Die entlassenen Softwareentwickler hatten Arbeitslaptops verwendet, um bestimmte Accounts aufzurufen, und diese ungewöhnliche Aktivität hatte die Warnsysteme von Facebook ausgelöst, die das Management bezüglich der Übergriffe in Kenntnis setzten. Das waren diejenigen Mitarbeiter, die man ertappt hatte. Es war nicht bekannt, wie viele andere sich nicht hatten erwischen lassen.

Mark Zuckerberg selbst wurde erstmals im September 2015 mit dem Problem konfrontiert, drei Monate nach der Einstellung von Alex Stamos, dem neuen Sicherheitschef von Facebook. Seine Topmanager waren im Konferenzraum, dem »Aquarium«, versammelt und machten sich auf schlechte Nachrichten gefasst: Stamos war bekannt für seine unverblümten Worte und hohen Maßstäbe. Eines der ersten Ziele, die er sich gleich nach seiner Einstellung in jenem Sommer gesetzt hatte, war eine umfassende Evaluierung der aktuellen Sicherheitslage bei Facebook. Es sollte die erste Bewertung ihrer Art sein, die jemals von einem Außenstehenden vorgenommen wurde.

Als sie unter sich waren, flüsterten die Manager einander zu, dass es unmöglich sei, innerhalb solch kurzer Zeit eine gründliche Erhebung durchzuführen, und dass alles, was Stamos auch zu berichten habe, kaum mehr als oberflächliche Probleme anschneiden könne und lediglich dazu diene, dem neuen Sicherheitschef am Beginn seiner Beschäftigung eine Möglichkeit zur Profilierung zu bieten. Es würde allen das Leben erleichtern, wenn Stamos die Haltung eines uneingeschränkten Optimismus einnähme, die in den Chefetagen bei Facebook vorherrsche. Tatsächlich ging es dem Unternehmen besser denn je: Auf Instagram hatte man unlängst neue Werbemöglichkeiten erschlossen und mit einer Milliarde Nutzer, die sich täglich auf der Plattform einloggten, einen neuen Meilenstein erreicht.[6] Alles, was sie tun mussten, war, sich zurückzulehnen und zu lauschen, wie die Maschine weitersurrte.

Stattdessen aber hatte Stamos eine Präsentation im Gepäck, die detailliert Probleme in den Kernprodukten, innerhalb der Belegschaft und in der Unternehmensstruktur von Facebook aufzeigte. Die Firma widme ihre Sicherheitsbemühungen vorwiegend dem Schutz der eigenen Website, wohingegen Apps, darunter Instagram und WhatsApp, weitgehend ignoriert würden, teilte er den Anwesenden mit. Facebook war seinen Versprechungen nicht nachgekommen, Nutzerdaten in seinen Zentren zu verschlüsseln – im Gegensatz zu Stamos’ vorherigem Arbeitgeber Yahoo, der in den zwei Jahren, seit NSA-Whistleblower Edward Snowden aufgedeckt hatte, dass die Regierung möglicherweise die ungesicherten Nutzerdaten der Silicon-Valley-Unternehmen ausspähte, rasch mit der Datensicherung begonnen hatte.[7] Die Verantwortung für den Datenschutz bei Facebook war über das ganze Unternehmen verstreut, und dem von Stamos präsentierten Bericht zufolge war das Unternehmen »weder technisch noch kulturell bereit«, der aktuellen Problematik etwas entgegenzusetzen.

Am schlimmsten aber sei, so Stamos, dass innerhalb der vergangenen achtzehn Monate zwar Dutzende Angestellte wegen missbräuchlichen Datenzugriffs entlassen worden seien, Facebook jedoch nichts unternehme, um dieses eindeutig systemische Problem zu lösen oder zu vermeiden. Anhand eines Schaubilds zeigte Stamos, wie Softwareentwickler beinahe monatlich die ihnen zur Verfügung gestellten Instrumente, die ihnen bei der Entwicklung neuer Produkte einen leichten Zugang zu Daten ermöglichen sollten, dazu genutzt hätten, die Privatsphäre von Facebook-Nutzern zu verletzen und in ihr Leben einzudringen.

Wenn die Öffentlichkeit von diesen Übergriffen erführe, gäbe es einen Aufschrei: Seit mehr als einem Jahrzehnt hatten Tausende Facebook-Softwareentwickler freien Zugriff auf die persönlichen Daten von Usern. Die von Stamos hervorgehobenen Fälle waren nur diejenigen, die dem Unternehmen bekannt waren. Hunderte weitere könnten unbemerkt geblieben sein, warnte er.

Zuckerberg war über die Zahlen, die Stamos vorlegte, sichtlich bestürzt und außer sich, dass man ihn nicht schon früher auf dieses Thema aufmerksam gemacht hatte. »Jeder in der Softwareentwicklung wusste, dass es Fälle gab, in denen Mitarbeiter unangemessen mit Daten umgegangen waren«, erinnerte sich Stamos. »Niemand hatte alles einmal zusammengetragen, und jetzt waren sie überrascht, wie viele Softwareentwickler Daten missbraucht hatten.«

Warum denn niemand daran gedacht habe, das System zu überprüfen, das den Softwareentwicklern Zugang zu den Nutzerdaten gewährte, fragte Zuckerberg. Niemand im Raum wagte zu sagen, dass es sich um ein System handelte, dass er selbst entworfen und eingeführt hatte. Über die Jahre hatten seine Mitarbeiter alternative Methoden der Datenspeicherung vorgeschlagen, doch vergebens. »Zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte von Facebook gab es Wege, die wir hätten einschlagen können, Entscheidungen, die wir hätten treffen können, wodurch die von uns gesammelten Nutzerdaten begrenzt oder sogar verringert worden wären«, sagte ein langjähriger Mitarbeiter, der 2008 ins Unternehmen eingetreten war und dort in verschiedenen Teams gearbeitet hatte. »Aber das stand im Widerspruch zu Marks DNS. Noch bevor wir ihm diese Optionen aufzeigten, wussten wir, dass er diesen Weg nicht einschlagen würde.«

Die Manager von Facebook, darunter auch Führungsfiguren im Bereich der Softwareentwicklung wie Jay Parikh und Pedro Canahuati, priesen gegenüber Neuzugängen in ihren Entwicklerteams den Datenzugriff wie ein Verkaufsargument. Facebook war das größte Versuchslabor der Welt, mit einem Viertel der Weltbevölkerung als Probanden. Die Manager stellten diesen Datenzugriff als Teil der radikalen Transparenz bei Facebook und Ausdruck des Vertrauens in die Softwareentwickler dar. Freute sich eine Nutzerin, wenn sie ihrem Bruder mit einem Luftballon-Emoji zum Geburtstag gratulieren konnte, oder bekam der Geburtstagskuchen die höhere Zugriffsrate? Statt in einem langwierigen und bürokratischen Prozess herauszufinden, was am besten funktionierte, konnten die Softwareentwickler die Motorhaube öffnen und in Echtzeit selbst nachsehen. Doch Canahuati warnte die Softwareentwickler, dass der Datenzugriff ein Privileg sei. »Für diesen Missbrauch gab es keinerlei Toleranz, weshalb das Unternehmen stets sämtliche Mitarbeiter feuerte, bei denen ein zweckwidriger Datenzugriff festgestellt wurde«, sagte er.

Stamos sagte Zuckerberg und den anderen Managern, es sei nicht damit getan, Angestellte hinterher zu feuern. Facebook trage die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es zu solchen Verletzungen der Privatsphäre gar nicht erst komme. Er bat um die Genehmigung, das aktuelle System zu ändern und den Softwareentwicklern mehrheitlich den Zugriff auf private Daten zu entziehen. Wenn jemand Informationen über eine Privatperson benötige, dann müsste er oder sie eine formelle Anfrage über die richtigen Kanäle stellen. Das damals bestehende System gewährte 16744 Facebook-Mitarbeitern Zugang zu privaten Nutzerdaten. Stamos wollte diese Zahl auf unter 5000 senken. Zugriff auf besonders sensible Informationen wie GPS-Position oder Passwort sollte auf weniger als einhundert Mitarbeiter begrenzt werden. »Zwar wusste jeder, dass den Softwareentwicklern ein riesiges Datenvolumen offenstand, doch hatte sich niemand darüber Gedanken gemacht, wie sehr das Unternehmen gewachsen war und wie viele Personen inzwischen Zugang zu diesen Daten hatten«, erklärte Stamos. »Die Leute achteten nicht darauf.«

Jay Parikh, der Technologiechef von Facebook, wollte wissen, warum das Unternehmen sein System komplett umkrempeln müsse. Bestimmt könne man Schutzvorkehrungen treffen, die den Informationszugriff für die Entwickler begrenzten oder Alarm schlügen, wenn diese bestimmte Datentypen abriefen. Die vorgeschlagenen Veränderungen würden die Arbeit vieler Produktteams erheblich verlangsamen.

Pedro Canahuati, der Leiter der Produktentwicklung, stimmte zu. Er sagte zu Stamos, die Entwickler vor jedem Datenzugriff eine schriftliche Anfrage einreichen zu lassen, sei nicht praktikabel. »Das hätte die Arbeit im gesamten Unternehmen erheblich verlangsamt, sogar die Arbeit in anderen Schutz- und Sicherheitsbereichen«, führte er aus.

Eine Veränderung des Systems habe oberste Priorität, sagte Zuckerberg. Er bat Stamos und Canahuati, eine Lösung auszuarbeiten und die Anwesenden innerhalb eines Jahres über ihre Fortschritte zu informieren. Für die Softwareteams bedeutete dies jedoch einen schweren Umbruch. Viele Manager im Raum murrten im Stillen, Stamos habe ihren Boss überredet, eine großangelegte strukturelle Veränderung vorzunehmen, indem er ihm schlicht ein Worst-Case-Szenario präsentiert habe.

Eine Managerin war bei dem Treffen im September 2015 bezeichnenderweise nicht anwesend. Seit dem Tod von Sheryl Sandbergs Ehemann waren erst vier Monate vergangen. Sicherheit lag in Sandbergs Zuständigkeitsbereich, und technisch gesehen unterstand ihr damit auch Stamos. Die von ihm geforderten weitreichenden Veränderungen hatte sie jedoch nie empfohlen und war auch nicht hinzugezogen worden.

Stamos setzte sich an diesem Tag durch, aber er schuf sich ein paar mächtige Feinde.

 

Spät am Abend des 8. Dezember 2015 hielt sich Joel Kaplan im Business Center eines Hotels in Neu-Delhi auf, als ihn ein dringender Anruf aus Menlo Park erreichte. Ein Kollege teilte ihm mit, dass man ihn für eine Notfallsitzung benötige.

Nur Stunden zuvor hatte Donald J. Trumps Wahlkampfmanager auf Facebook das Video von einer Rede gepostet, die der Kandidat in Mount Pleasant im US-Bundesstaat South Carolina gehalten hatte. Darin versprach Trump ein drastisch härteres Vorgehen gegen Terroristen und verband danach Terrorismus mit Einwanderung. Präsident Obama, sagte er, habe illegale Einwanderer besser behandelt als verwundete Kriegsteilnehmer. Trump werde anders sein, versicherte der Präsidentschaftskandidat der Menge. »Donald J. Trump fordert einen totalen und vollständigen Einwanderungsstopp für Muslime in die Vereinigten Staaten, bis den Vertretern unseres Landes klarwird, was zum Teufel hier vor sich geht«, verkündete er.[8] Das Publikum brach in Begeisterungsstürme aus.

Trump hatte seine radikale Haltung in Herkunfts- und Einwanderungsfragen zum zentralen Bestandteil seiner Präsidentschaftskampagne gemacht. Die zusätzliche Verlagerung des Wahlkampfs in die sozialen Medien war wie Öl ins Feuer. Auf Facebook erhielt das Video der Anti-Muslime-Rede rasch mehr als 100000 Likes und wurde 14000 Mal geteilt.

Das Video brachte die Plattform in eine Zwickmühle. Auf einen Kandidaten wie Trump war man nicht vorbereitet gewesen, da er einerseits zwar eine gewaltige Anhängerschaft generierte, andererseits jedoch viele Nutzer und Mitarbeiter gegeneinander aufbrachte. Zuckerberg und Sandberg wandten sich an ihren Vice President of Global Public Policy, der zu diesem Zeitpunkt in Indien war, um dort Zuckerbergs kostenlosen Internetservice zu retten, und baten um Rat.

Kaplan berief eine Videokonferenz ein, an der neben Sandberg auch der Chef der Abteilung Unternehmenspolitik und Kommunikation, Elliot Schrage, sowie Monika Bickert, die Chefin für weltweite Content-Richtlinien, sowie einige weitere Manager im Bereich Unternehmenspolitik und Kommunikation teilnahmen. Kaplan war seinen Kollegen in der Firmenzentrale dreizehneinhalb Stunden voraus und seit Tagen unterwegs. Er schaute sich das Video in Ruhe an und nahm die Bedenken der Gruppe entgegen. Zuckerberg, so sagte man ihm, habe klargestellt, dass ihm der Post Sorgen bereite und dass sich vielleicht ein Argument fände, ihn von der Plattform zu entfernen.

Als sich Kaplan schließlich selbst einbrachte, riet er den Managern, nicht übereilt zu handeln. Die Entscheidung über Trumps antimuslimische Rhetorik werde durch die Politik kompliziert. Die vielen Jahre, in denen Facebook die Demokraten finanziell und öffentlich unterstützt habe, hätten das Image des Unternehmens bei den Republikanern, die zunehmend misstrauisch wurden, verblassen lassen. Kaplan war kein Teil von Trumps Welt, aber er sah dessen Kampagne als ernste, reale Bedrohung. Trumps große Anhängerschaft auf Twitter und Facebook zeugte von einer gähnenden Kluft innerhalb der Republikanischen Partei.

Den Post eines Präsidentschaftskandidaten zu entfernen sei eine schwere Entscheidung und würde von Trump und seinen Anhängern als Zensur gewertet, fuhr Kaplan fort. Sie würde als weiteres Zeichen für eine liberal gefärbte Bevorzugung von Trumps Hauptwidersacherin Clinton gesehen werden. »Stechen Sie nicht in ein Wespennest«, warnte er.[9]

Sandberg und Schrage äußerten sich weniger klar dazu, wie man mit Trumps Account verfahren solle. Sie vertrauten auf Kaplans politischen Instinkt; sie hatten keinerlei Verbindungen zu Trumps Kreisen und keine Erfahrung mit seiner Art von Schockpolitik. Einige der zugeschalteten Manager indes waren entsetzt. Offenbar stellte Kaplan Politik über Prinzipien. Er sei so besessen davon, das Schiff auf Kurs zu halten, dass er nicht erkannte, dass Trumps Kommentare das Meer in Aufruhr versetzten, wie es ein Teilnehmer der Videokonferenz formulierte.

Mehrere leitende Manager sprachen sich dafür aus, Kaplan zu folgen. Sie äußerten ihre Bedenken hinsichtlich der Schlagzeilen und der zu erwartenden Gegenreaktion, wenn sie die Kommentare eines Präsidentschaftskandidaten sperren würden. Trump und seine Anhänger betrachteten Führungsfiguren wie Sandberg und Zuckerberg ohnehin bereits als Teil der liberalen Elite, als reiche und mächtige Torwächter von Informationen, die mit ihren geheimen Algorithmen konservative Stimmen zensieren konnten. Facebook musste unparteiisch wirken. Das war unabdingbar, um das Geschäftsmodell zu schützen.

Die Unterredung verlagerte sich nun dahin, die Entscheidung zu begründen. Der Post könnte als Verletzung der Standards der Facebook-Community gesehen werden. Es gab User, die der Trump-Kampagne Volksverhetzung vorwarfen. Auf dieser Grundlage könnte man den ganzen Account löschen. Schrage, Bickert und Kaplan, allesamt Harvard-Absolventen im Fach Rechtswissenschaften, gaben sich daher größte Mühe, juristische Argumente für eine weitere Duldung des Posts zu finden. Um die Entscheidung zu rechtfertigen, betrieben sie Haarspalterei darüber, was Volksverhetzung eigentlich genau ausmache, bis hin zu Trumps Gebrauch der englischen Grammatik.

»Irgendwann scherzten sie, Facebook müsse eine Version dessen ersinnen, wie ein Richter des Supreme Court einmal Pornographie definiert habe: ›Ich weiß es, wenn ich welche sehe‹«, erinnerte sich ein Mitarbeiter, der an der Konferenz teilnahm. »Konnten sie eine klare Linie ziehen, was Trump sagen müsste, um gesperrt zu werden? Es erschien nicht klug, diese Linie zu ziehen.«

Technisch gesehen blockierte Facebook hetzerische Inhalte, doch die Definition des Unternehmens, was darunter zu verstehen sei, änderte sich fortwährend. Wogegen man vorging, war in jedem Land etwas anderes und von der lokalen Gesetzgebung abhängig. Es gab universell gültige Definitionen für die Sperrung von Kinderpornographie und Gewalt. Volksverhetzung hingegen war nicht nur länderspezifisch, sondern zudem eine kulturelle Frage.

Bei ihrer Diskussion kamen die Manager schließlich darauf, dass sie Trumps Worte gar nicht rechtfertigen müssten, wenn ihnen nur einfiele, wie man dies umgehen könnte. Die Gruppe einigte sich darauf, dass politische Aussagen unter einem Standard des »Nachrichtenwerts« zu schützen seien. Der Gedanke war der, dass politische Aussagen besonderen Schutzes bedürften, da die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, sich auf der Grundlage unveränderter Standpunkte ein eigenes Bild von den Kandidaten zu machen. Die Facebook-Manager schufen als Kurzschlussreaktion auf Donald Trump die Basis für eine neue Politik der Redefreiheit.

»Das war Bullshit«, erinnerte sich ein Mitarbeiter. »Sie dachten sich das auf die Schnelle aus.«

Für Kaplan war dies ein entscheidender Augenblick, was seinen Marktwert betraf. Er machte sich damit zwar nicht bei allen Konferenzteilnehmern beliebt, doch er erteilte wertvollen Rat hinsichtlich einer wachsenden Bedrohung aus Washington.

Als Sandberg 2008 zu Facebook stieß, hatte das Unternehmen die Konservativen seit längerer Zeit vernachlässigt. Es war ein gefährliches Versäumnis: Wenn es um die Regulierung von Datenspeicherung ging, waren die Republikaner Verbündete von Facebook. Als es im Repräsentantenhaus 2010 zu einer republikanischen Mehrheit kam, stellte Sandberg Kaplan ein, um die stark demokratisch geprägte Lobby-Abteilung auszugleichen und die in Washington vorherrschende Wahrnehmung zu verändern, dass das Unternehmen die Demokraten bevorzuge.

Kaplan brachte handfeste konservative Referenzen mit. Der ehemalige stellvertretende Stabschef von Präsident George W. Bush war auch ein ehemaliger Artillerieoffizier des Marine Corps und ein Absolvent der Harvard Law School, der für den Supreme-Court-Richter Antonin Scalia gearbeitet hatte. Er war das Gegenteil des typischen liberalen Technikfreaks im Silicon Valley und mit seinen 45 Jahren zudem ein paar Jahrzehnte älter als ein Großteil der Beschäftigten in Menlo Park. (Er und Sandberg hatten sich 1987 in ihrem ersten Jahr in Harvard kennengelernt. Sie hatten eine kurze Beziehung, nach deren Ende sie befreundet blieben.)

Kaplan war ein Workaholic, der, wie Sandberg, eine gute Organisation schätzte. In seinem Büro im Weißen Haus hatte er ein dreiteiliges Whiteboard mit Listen sämtlicher brennender Themen, deren sich die Administration annehmen musste: die Rettung der Autoindustrie, die Einwanderungsreform und die Finanzkrise. Seine Aufgabe war es, die komplexen politischen Fragen zu managen und Probleme vom Oval Office fernzuhalten. Bei Facebook nahm er eine ähnliche Position ein. Er sollte das Geschäftsmodell vor staatlicher Einmischung schützen. Was das betraf, war er ein ausgezeichneter Mitarbeiter.

2014 hatte Sandberg Kaplan neben der Lobbyarbeit in Washington auch mit der Leitung der globalen Unternehmenspolitik betraut. In den vergangenen zwei Jahren hatte sich Facebook auf eine mögliche republikanische Regierung nach Obama vorbereitet. Aber Trump warf sie aus der Bahn. Er gehörte nicht zum republikanischen Establishment. Kaplans politisches Kapital schien, was den ehemaligen Reality-TV-Star anbelangte, wertlos.

Hinzu kam, dass Trump Facebook zwar neue Kopfschmerzen bereitete, andererseits aber auch Intensivnutzer und wichtiger Anzeigenkunde war. Von Beginn des Wahlkampfs an steckten Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und sein Internetberater Brad Parscale den Großteil ihres Medienbudgets in das soziale Netzwerk.[10] Sie konzentrierten sich auf Facebook, weil es billige und einfache Targeting-Tools zur Verstärkung der Wirksamkeit von Wahlwerbung bot. Parscale nutzte die Microtargeting-Tools von Facebook, indem er eigene E-Mail-Listen mit denen der Facebook-Nutzer abglich. Er arbeitete mit Facebook-Angestellten, die in Trumps Wahlkampfzentrale in New York City eingebettet waren, um auf Hillary Clintons tägliche Ansprachen zu reagieren und spezifische Publikumssegmente mit negativen Anzeigen anzupeilen.[11] Sie kauften Tausende postkartenartiger Werbeanzeigen und Videobotschaften. So erreichten sie spielend mehr Menschen als über das Fernsehen, und Facebook war dabei ein eifriger Partner. Trump wurde auf der Plattform omnipräsent.[12]

Die Präsidentschaftswahlen 2016 beseitigten jegliche Zweifel an der Bedeutung der sozialen Medien im politischen Wahlkampf. Anfang 2016 gaben 44 Prozent aller Amerikaner an, ihre Informationen über Kandidaten über Facebook, Twitter, Instagram und YouTube zu beziehen.[13]

Fast ein Jahrzehnt lang berief Facebook zum Ende jeder Woche eine informelle unternehmensweite Sitzung ein, bekannt als »Questions and Answers« oder »Q&A«. Das Format war simpel und in der Branche recht üblich. Zuckerberg hielt eine kurze Ansprache und beantwortete dann die Fragen, die von den Mitarbeitern unter allen vorab eingereichten Fragen die meisten Stimmen erhalten hatten. Wenn er auf die Fragen mit den meisten Stimmen eingegangen war, nahm Zuckerberg ungefilterte Fragen aus dem Publikum entgegen. Es war entspannter als das vierteljährliche unternehmensinterne »All-Hands«-Treffen (etwa: »Alle Mann an Bord«), das eine straffere Agenda mit festen Programmpunkten und Präsentationen hatte.

Ein paar hundert Mitarbeiter nahmen an dem Meeting in Menlo Park teil, und Tausende weitere in Facebook-Niederlassungen auf der ganzen Welt verfolgten es per Live-Stream. Vor dem Q&A nach Trumps Anti-Muslime-Video hatten Angestellte in ihren internen Facebook-Gruppen (den sogenannten Tribes, den »Stämmen«) kritisiert, die Plattform hätte Trumps Rede von der Website nehmen sollen. In den breiteren Workplace-Gruppen (den »Arbeitsplatzgruppen«), wo professionellere Diskussionen stattfanden, forderten Teilnehmer eine Offenlegung, wie Facebook bislang mit Regierungsvertretern auf der Website umgegangen war. Sie waren erzürnt, dass die Unternehmensführung nicht gegen die von ihnen eindeutig als hetzerisch wahrgenommenen Parolen Stellung genommen hatte.

Ein Mitarbeiter trat an ein Mikrophonstativ, und die Leute verstummten. Ob Zuckerberg sich verpflichtet fühle, das Video der Trump-Kampagne zu sperren, in dem ein Einreisestopp für Muslime gefordert wird, fragte er. Das Abzielen auf Muslime, so der Mitarbeiter, verletze aus seiner Sicht die internen Regeln über hetzerische Inhalte.[14]

Zuckerberg war harte Fragen bei den Q&As gewohnt. Man hatte ihm schon unüberlegte Verträge, mangelnde Diversität innerhalb der Belegschaft und sein aggressives Verhalten gegenüber der Konkurrenz vorgeworfen. Der Mitarbeiter, der nun vor ihm stand, stellte ihm jedoch eine Frage, in der sich seine eigene Chefetage nicht einig war. Zuckerberg griff auf eins seiner Kernthemen zurück. Es sei eine schwierige Frage, räumte er ein, doch er sei ein unerschütterlicher Verfechter der Meinungsfreiheit. Den Post zu entfernen sei daher zu drastisch.

Es war ein libertärer Grundsatz, den Zuckerberg wieder und wieder bemühte: der alles überwiegende Schutz der Redefreiheit, wie er im 1. Zusatzartikel der Bill of Rights formuliert war. Seine Interpretation von Redefreiheit war, dass keine Zensur stattfinden solle; Facebook solle einer ganzen Kakophonie widerstreitender Stimmen und Meinungen eine Plattform bieten, deren Nutzer sich umfassend informieren könnten. Die im Jahre 1791 beschlossene Redefreiheit gewährleistete Meinungsvielfalt ohne Einschränkungen seitens der Regierung. Der Zusatz war zur Förderung einer gesunden Demokratie und somit zum Schutz der Gesellschaft gedacht. Gezielte Werbung, die Klicks, schlüpfrige Inhalte und Nutzerdatengewinnung priorisierte, lief den Idealen einer gesunden Gesellschaft jedoch entgegen. Die den Facebook-Algorithmen innewohnenden Gefahren wurden »von Politikern und Experten vereinnahmt und verdreht, die sich über Zensur entrüsteten und eine Moderation der Inhalte als Niedergang der Meinungsfreiheit im Netz darstellten«, meinte Renée DiResta, eine Desinformationsforscherin am Internet Observatory der Universität von Stanford. »Es gibt kein Recht auf algorithmische Verstärkung. Vielmehr ist dies das eigentliche Problem, das behoben werden muss.«[15]

Es war eine komplizierte Angelegenheit, doch zumindest für manche war die Lösung einfach. In einem Blogpost in der für alle Mitarbeiter offenen Workplace-Gruppe erklärte Monika Bickert, Trumps Post werde nicht entfernt. Die Leute, sagte sie, könnten dessen Inhalt selbst beurteilen.

Kapitel 2Das nächste große Ding

Man kann nicht verstehen, wie Facebook an diesen kritischen Punkt gelangte, ohne darauf zurückzublicken, wie weit das Unternehmen gekommen war – und in welch kurzer Zeit.

Beim ersten Mal, als Mark Zuckerberg eine Website namens »The Facebook« sah, war diese von jemand anderem erfunden, programmiert und benannt worden. Es war ein ideelles Projekt, das Freunden dabei helfen sollte, miteinander in Verbindung zu treten. Es war gratis. Zuckerbergs instinktive Reaktion war, dass er es knacken wollte.

Im September 2001 war Zuckerberg siebzehn Jahre alt und besuchte die Abschlussklasse der Phillips Exeter Academy, einer renommierten Internatsschule in New Hampshire, aus der seit mehr als zwei Jahrhunderten Führungskräfte in Wirtschaft und Regierung hervorgingen. Als Sohn eines Zahnarztes hatte Zuckerberg einen anderen familiären Hintergrund als viele seiner Kameraden, die Abkömmlinge früherer Staatsoberhäupter und großer Unternehmensführer waren. Doch der schlaksige Teenager fand schnell seinen Platz, hatte gute Noten in Latein und Informatik und wurde bald zum Computerfreak des Campus. Mit reichlich Red Bull und Cheetos veranstaltete er mit anderen Schülern nächtliche Programmiergelage, bei denen man versuchte, die Systeme der Schule zu hacken oder Algorithmen für eine beschleunigte Erledigung der Hausaufgaben auszutüfteln. Manchmal organisierte Zuckerberg auch Programmierwettbewerbe; in der Regel gewann er.

Damals plante die Schülervertretung, das Schülerverzeichnis online zu stellen. Das »Photo Address Book«, ein laminiertes Taschenbuch, in dem sich Namen, Telefonnummern, Adressen und Passbilder der Schüler fanden, war eine Institution in Exeter. »The Facebook«, wie es von allen genannt wurde, hatte sich seit Jahrzehnten kaum verändert.

Die Initiative war von dem Schülervertreter Kristopher Tillery gekommen, der im selben Jahrgang wie Zuckerberg war. Als Programmierer betrachtete sich Tillery als Dilettant, doch war er fasziniert von Unternehmen wie Napster und Yahoo, die unter seinen Mitschülern äußerst beliebt waren. Er wollte, dass Exeter, eine 1781 gegründete Schule, einen coolen und modernen Anstrich bekam. Was also wäre besser, dachte er, als das Facebook-Verzeichnis ins Internet hochzuladen?

Dass es derart einschlagen würde, hatte er allerdings nicht erwartet. Das Profil sämtlicher Schulkameraden mit ein paar Klicks abrufen zu können, war etwas Neues. Es katapultierte die Kunst des Streichespielens auf eine neue Ebene. Sardellenpizzas wurden in Wohnheimzimmer geschickt. Schüler, die sich als Vertreter der Schule ausgaben, riefen Klassenkameraden an, warnten sie vor einer Überflutung des Gebäudes oder bezichtigten sie, eine Hausarbeit abgeschrieben zu haben.

Es dauerte nicht lange, da beklagten sich die ersten Schüler bei Tillery über ein Problem: Die Seite für Mark Zuckerberg funktionierte nicht. Wann immer jemand versuchte, Zuckerbergs Eintrag auf der Website zu öffnen, stürzte der Browser ab. Das Fenster schloss sich, und manchmal erstarrte auch der gesamte Computer und musste neu hochgefahren werden.

Als Tillery der Sache nachging, stellte er fest, dass Zuckerberg einen zusätzlichen Code in sein Profil eingebaut hatte, der den Crash verursachte. Es war leicht zu beheben. Natürlich, dachte Tillery, typisch Mark. »Er maß sich gern mit anderen und war sehr, sehr, sehr schlau. Er wollte sehen, ob er das, was ich machte, nicht ein bisschen weitertreiben könnte. Ich betrachtete es als Test und Demonstration seinerseits, dass er, na ja, einfach mehr draufhatte als ich.«

Der Facebook-Gründungsmythos – wie sich Zuckerberg eines Abends zwei Jahre später in Harvard betrank und einen Blog eröffnete, um Kommilitoninnen zu bewerten – ist inzwischen sattsam bekannt. Eines wird dabei jedoch oft vergessen: Zwar nahmen viele Studenten Zuckerbergs Schöpfung, die er »FaceMash« nannte, sofort dankbar an, andere hingegen waren besorgt über den Bruch der Privatsphäre. Wenige Tage nach dem Start von FaceMash schickten zwei Harvard-Studentengruppen – die pan-lateinamerikanische Kulturvereinigung Fuerza Latina und die Association of Black Harvard Women – E-Mails an Zuckerberg, in denen sie ihre Bedenken hinsichtlich seiner Seite zum Ausdruck brachten.[16]

Zuckerberg antwortete beiden Gruppen direkt und erklärte, dass ihn die Beliebtheit der Seite selbst überrascht habe. »Es war mir bewusst, dass einige Teile noch etwas unzureichend waren, und ich hätte gern mehr Zeit gehabt, darüber nachzudenken, ob es wirklich angemessen war, das für die Harvard-Gemeinde freizugeben«, schrieb er in einer E-Mail, von welcher er wusste, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen würde. Dann fügte er hinzu: »So wie es gelaufen ist, habe ich es mir nicht vorgestellt, und ich entschuldige mich für alle Schäden, die daraus entstanden sind, dass ich nicht bedacht habe, wie rasch sich die Seite verbreiten und welche Folgen das nach sich ziehen würde.«

Die EDV-Abteilung in Harvard reichte eine Beschwerde gegen Zuckerberg ein, in der sie ihm eine Copyright-Verletzung vorwarf; zudem habe Zuckerberg möglicherweise gegen Richtlinien zum Identitätsdatenschutz verstoßen. Bei seiner Anhörung wiederholte er die Erklärung, die er gegenüber den Studentengruppen abgegeben hatte. Die Seite sei ein Programmierexperiment gewesen. Ihn hätten die Algorithmen und die Computerwissenschaft dahinter interessiert, durch welche die Seite funktionierte. Er habe nie erwartet, dass das Projekt derart um sich greifen würde, und er entschuldige sich, wenn sich seine Mitstudenten in ihrer Privatsphäre beeinträchtigt sähen. Die Anhörung endete nach einem bald vertrauten Muster: Er kam mit etwas Schelte davon und erklärte sich bereit, regelmäßig einen Berater der Universität aufzusuchen.

Dann machte er sich wieder daran, ein privates soziales Netzwerk nur für Studierende einzurichten. Mehrere seiner Kommilitonen hatten bereits Ähnliches im Sinn, allen voran die Brüder Cameron und Tyler Winklevoss, die mit dem ähnlich gut vernetzten Divya Narendra zusammenarbeiteten und sich bereits mit der Frage an Zuckerberg gewandt hatten, ob er für sie programmieren wolle. Zuckerberg war jedoch auf einen Studenten fokussiert, der ihm ein gutes Stück voraus war. Früher in jenem Herbst hatte ein jüngerer Kommilitone namens Aaron Greenspan die Netzwerkseite »the Face Book« freigeschaltet. Es war eine einfach gestaltete Seite, die professionell wirken sollte. Greenspan wollte eine Ressource zur Verfügung stellen, die von Professoren oder Arbeitssuchenden genutzt werden könnte. Die ersten Entwürfe von »the Face Book« ernteten jedoch viel Kritik, weil sie Studenten erlaubten, persönliche Details über Kommilitonen zu posten, und die Studentenzeitung The Harvard Crimson kritisierte das Projekt als mögliches Sicherheitsrisiko.[17] Als Resultat dieser Rückschläge wurde die Seite rasch abgeschaltet.

Nachdem er seinen Namen überall auf dem Campus gehört hatte, wandte sich Greenspan an Zuckerberg, und zwischen den beiden entwickelte sich eine kompetitive Freundschaft. Als er am 8. Januar 2004 eine Textnachricht von Zuckerberg erhielt, war Greenspan überrascht, denn er hatte diesem seinen AOL-Nutzernamen nicht gegeben. Früher am Abend hatten sich die beiden zum Abendessen im Kirkland House getroffen. Im Verlauf der etwas gehemmten Unterhaltung hatte Zuckerberg Greenspans Fragen abgewehrt, welche Art von Projekten er denn als Nächstes verfolgen wolle. Im Text-Chat äußerte Zuckerberg nun den Gedanken, dass man sein noch in Entwicklung befindliches soziales Netzwerk mit Greenspans Projekt verbinden könne.[18] Greenspan wies den Vorschlag zurück, seine Seite neu zu gestalten, fragte aber seinerseits Zuckerberg, ob er seine Arbeit in Greenspans bereits bestehendes Angebot integrieren wolle.

»Es wäre etwa so, wie die Fluggesellschaft Song zu Delta Airlines gehört«, schrieb Greenspan.

»Delta ist der Eigentümer von Song«, erwiderte Zuckerberg.

Zuckerberg war nicht begeistert von der Idee, seine Ambitionen darauf zuzuschneiden, was Greenspan bereits aufgebaut hatte, und fragte stattdessen offen, ob sie das möglicherweise zu Konkurrenten machte. Zuckerberg schwebte etwas weniger Formelles vor. Die User sprachen über ihre Hobbys oder ihre Lieblingsmusik vermutlich lieber in ihrem Wohnzimmer als im Büro. Wenn das soziale Netzwerk »zu funktional« wirke, würden die User nicht so viel preisgeben, sagte er zu Greenspan. Er wolle einen Ort schaffen, wo man »Zeit verschwenden« könne.

Daneben offenbarte er, dass er bereits darüber nachdenke, wie sich persönliche Daten zu verschiedenen Zwecken weiterverwenden ließen. Greenspans Seite forderte ihre Nutzer auf, bestimmte Informationen für einen bestimmten Zweck mitzuteilen. Telefonnummern ermöglichten Kommilitonen, miteinander in Kontakt zu treten; Adressen ermöglichten Lerngruppen, Treffpunkte zu vereinbaren. »Auf einer Website, wo die Leute Informationen nur für eine Sache preisgeben, braucht es eine Menge Arbeit und Umsicht, wenn man diese Information für etwas anderes nutzen will«, schrieb Zuckerberg. Er wolle, dass die User ihre Daten ergebnisoffen preisgäben. So ließen sich breiter gestreute und differenziertere Informationen gewinnen.

Die beiden diskutierten die Möglichkeiten einer gemeinsamen Nutzerdatenbank oder einer automatischen Registrierung für beide Versionen von »Thefacebook« (wie der Name nun geschrieben wurde), wenn man sich nur für eine anmeldete. Die Unterhaltung ging hin und her, doch schließlich befand Zuckerberg, dass sein Projekt einzigartige Features bot, und bevorzugte sein eigenes, zwangloseres Konzept.

Zuckerberg ahnte, dass der Erfolg seiner Seite von der Bereitschaft seiner Mitstudenten abhing, persönliche Details über sich selbst preiszugeben. Menschliches Verhalten faszinierte ihn. Seine Mutter praktizierte als Psychiaterin, bevor sie Kinder bekam, und er studierte selbst Psychologie. Er konzentrierte sich darauf, wie leichtfertig Studenten persönliche Informationen preisgaben. Jedes Foto von einem Trinkgelage, jeder dumme Witz und jede zitierfähige Geschichte war kostenloser Content. Diese Inhalte würden mehr Menschen dazu bringen, sich bei Thefacebook anzumelden, um nichts zu verpassen. Die Herausforderung bestand darin, die Seite zu einem Ort zu machen, wo die User gedankenlos scrollten: »Ich will sozusagen das neue MTV sein«, sagte er zu Freunden.[19] Je mehr Zeit die Nutzer auf Thefacebook verbrächten, desto mehr würden sie über sich preisgeben, absichtlich oder nicht. Die Freunde, deren Seiten sie besuchten, die Häufigkeit, mit der sie diese Seiten besuchten, die Freundschaftsanfragen, die sie zuließen – jede einzelne Verbindung beschleunigte Zuckerbergs Vision eines expansiven Netzes sozialer Interaktionen.

»Mark sammelte Daten um der Daten willen, und ich glaube, er ist mir hier sehr ähnlich; ich glaube, er erkannte, dass man umso genauer ein Modell der Welt konstruieren und es verstehen konnte, je mehr Daten man hatte«, sagte Greenspan, der mit Zuckerberg in Kontakt blieb, nachdem dieser seine eigene Website an den Start gebracht hatte. »Daten besitzen eine gewaltige Macht, und Mark erkannte das. Was Mark eigentlich wollte, war Macht.«

Zuckerbergs Seite versicherte den Studenten, dass das Netzwerk auf Harvard begrenzt und somit grundsätzlich privater Natur sei. Doch bereits in den ersten Nutzungsbedingungen von Facebook fand sich nichts darüber, wie die privaten Angaben der User (welche diese noch nicht als persönliche Daten im heutigen Sinne betrachteten) verwendet würden. In späteren Jahren verwies Zuckerberg gebetsmühlenartig auf das Potenzial seiner Erfindung, Menschen miteinander zu verbinden – ja, die ganze Welt. In jenen frühen Tagen hatte er hingegen einen vollkommen anderen Fokus. In einem Online-Chat stellte er klar, welch großen Zugriff er auf die von ihm gesammelten Daten habe.[20] Zuckerberg begann die Konversation mit einer Prahlerei. Er ließ einen Freund wissen, dass dieser nur ein Wort zu sagen brauche, sollte er jemals Informationen über irgendjemanden in Harvard benötigen.

Zuck: ich habe über 4000 E-Mails, Bilder, Adressen, sns [sorry not sorry]

Freund: was?! wie hast du das denn geschafft?

Zuck: die Leute haben es eingegeben

Zuck: ich weiß nicht, warum

Zuck: sie »vertrauen mir«

Zuck: Vollidioten

Im Januar 2005 schlurfte Zuckerberg in einen kleinen Konferenzraum der Washington Post zu einem Geschäftstreffen mit dem Vorsitzenden einer der ältesten und angesehensten Zeitungen Amerikas. Zuckerberg hatte gerade den ersten Geburtstag seines sozialen Medienunternehmens Thefacebook gefeiert. Mehr als eine Million Menschen nutzten seine Website, womit sich der Zwanzigjährige nunmehr in exklusiver Gesellschaft befand. Unter gleichgesinnten Technikfreaks genoss Zuckerberg seinen Prominentenstatus, aber vor diesem Treffen war er sichtlich nervös.

Die politischen Machenschaften in Washington, D.C. waren ihm unbehaglich, und die exklusive Medienwelt der Ostküste war ihm fremd. Nur sechs Monate zuvor war er mit ein paar Freunden von Harvard ins kalifornische Palo Alto gezogen.[21] Was als Sommerferienexperiment begonnen hatte – Thefacebook von einem Fünfzimmerranchhaus mit Seilrutsche über dem Swimmingpool aus zu betreiben –, war zu einer längeren Abwesenheitsphase vom Studium geworden. Man hatte stattdessen Treffen mit Risikokapitalgebern und Unternehmern anberaumt, die einige der spannendsten Technologieunternehmen der Welt leiteten.

»Er war wie ein eigenbrötlerischer Filmstar«, stellte ein Freund fest, der für das Start-up arbeitete und regelmäßig das Haus in Palo Alto besuchte, das Zuckerberg und seine Mitbewohner »Casa Facebook« nannten. »Nach den Maßstäben von Silicon Valley war Facebook noch klein, aber viele Leute sahen in ihm bereits das nächste große Ding.«

An die Stelle der Ideen, die Zuckerberg vermutlich in seinem dritten Studienjahr in Harvard aufgesogen hatte, traten nun die Philosophien von Unternehmerfiguren wie Peter Thiel, dem Mitbegründer von PayPal, der im August 2004 eine halbe Million Dollar in Thefacebook investiert hatte, und von Netscape-Mitbegründer Marc Andreessen. Als zwei der mächtigsten Männer im Silicon Valley taten sie mehr, als nur in neue Start-ups zu investieren oder welche zu gründen: Sie formten das Ethos dessen, was es bedeutete, ein unschuldiger Techie zu sein. Diese Ideologie wurzelte in einer Version des Libertarismus, die Innovation und freie Märkte befürwortete und sich gegen eine Überreichweite von Staat und Verordnungen wandte.[22] Im Kern steckte darin ein Glaube an individuelle Autonomie, inspiriert von Philosophen und Denkern wie John Stuart Mill und Ayn Rand, die für Rationalismus und Skepsis gegenüber der Obrigkeit standen. Treibende Ziele waren Fortschritt und Profit. Die neue Unternehmenskultur von Silicon Valley räumte mit althergebrachten Vorgehensweisen auf, mit ineffizienten und schlechten Gewohnheiten, die es zu brechen galt. (2011 finanzierte Thiel ein Stipendium für College-Studierende, die ihren Bildungsgang abbrechen und ein Lehrverhältnis eingehen wollten.)[23]

Die Ausbildung war informell. »Ich sah Mark nie ein Buch lesen und hörte ihn auch nie Interesse an Büchern äußern«, sagte ein Freund, der sich an viele nächtliche Videospielmarathons erinnerte, bei denen vage Ideen über Kriegsführung und Schlachten als Allegorien für das Geschäftsleben gebraucht wurden. »Er sog Ideen auf, die damals im Raum standen, aber es interessierte ihn nicht sonderlich, woher diese Ideen stammten. Und er hatte definitiv kein größeres Interesse an Philosophie, politischem Diskurs oder Wirtschaftslehre. Wenn man ihn fragte, sagte er immer, er habe schon genug damit zu tun, die Welt zu erobern, um noch zu lesen.«

Außerhalb der Welt der Technikbegeisterten und Entwickler hatte Zuckerberg nur wenige Kontakte. In den Ferien hatte seine Kommilitonin Olivia Ma jedoch ihren Vater, einen für neue Geschäftsfelder zuständigen Vice President der Washington Post, dazu überredet, sich mit dem frühreifen jungen Programmierer zu treffen, dessen Website landesweit die College-Campusse stürmte. Der Vater zeigte sich beeindruckt und berief ein Treffen am Hauptsitz des Blattes ein.

Zuckerberg erschien in der Redaktion in Jeans und Pullover, begleitet von Sean Parker, dem Schöpfer von Napster, der seit einigen Monaten neuer Facebook-Präsident war. Der Letzte, der das kleine Konferenzzimmer betrat, in das man sie gebeten hatte, war Donald Graham, Vorsitzender der Post und in dritter Generation Leiter des Familienunternehmens.

Graham gehörte zum festen Inventar der Gesellschaftsspalten von New York und Washington. Während er aufwuchs, verkehrte er mit den Familien von John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson oder von Wirtschaftsbossen wie Warren Buffett. Unter seiner Führung hatte die Post über zwanzig Pulitzer-Preise und andere Auszeichnungen gewonnen – nicht zuletzt dank der Reputation, die die Zeitung durch ihre bahnbrechende Watergate-Berichterstattung erworben hatte. Doch Graham erkannte die drohende Gefahr der digitalen Medien. Die Werbekunden waren begeistert über die explosionsartige Zunahme der Internetnutzung, und Anbieter wie Google und Yahoo kratzten Geschichten von CNN, der Post und anderen Medien zusammen, um das Publikum auf ihre Plattformen zu locken und damit weg von den gerade erst entstehenden eigenen Seiten der Nachrichtenorganisationen.

Graham wollte eine neue Lesergeneration erreichen. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen in der Musik- und Filmindustrie hatte er gegenüber den neuen Plattformen keine feindliche Haltung angenommen; vielmehr war er um Austausch und potenzielle Partnerschaften bemüht. Er hatte bereits mit Jeff Bezos über den Büchervertrieb von Amazon gesprochen. Nun war er neugierig auf den jungen Technikfreak, der sich gerade eine Auszeit von seiner Alma Mater nahm. »Ich besaß kein tieferes Verständnis von Technik, aber ich wollte etwas darüber erfahren«, erinnerte sich Graham.

Der Junge wirkte auf ihn auffallend gehemmt und schüchtern. Zuckerberg schien nicht zu blinzeln, während er dem fast vierzig Jahre älteren Graham stockend erklärte, wie Thefacebook funktionierte. Die Studenten in Harvard richteten ihre Seiten selbst ein und veröffentlichten darauf einige grundlegende Informationen: Name, Klasse, Wohnheim, College-Clubs, Heimatstadt, Fächer. Ein Student konnte nach anderen suchen und sie bitten, seine »Freunde« zu werden. Waren sie erst verbunden, kommentierten sie gegenseitig ihre Seiten und posteten Nachrichten. »Wer geht am Dienstagabend in die Widener Library? Will jemand auf die Chemieprüfung lernen?« Die Website hatte ein paar lokale Werbekunden aus Cambridge, gerade genug, um die Rechnungen für neues Gerät zahlen zu können.[24]

»Nun, das war es wohl mit der Crimson«, sagte Graham, der damit Harvards Studentenzeitung meinte. »Wegen Ihnen wird keine Pizzeria in Cambridge mehr in der Crimson inserieren.« Angesichts der wachsenden Bekanntheit des sozialen Netzwerks und der vergleichsweise geringen Anzeigenkosten wäre jedes Reisebüro, jedes Sport- oder Computergeschäft mit studentischer Zielgruppe dumm, wenn es nicht auf der Seite Werbung schaltete, fügte er hinzu.

Zuckerberg lachte. Ja, sagte er. Es gehe ihm aber eigentlich weniger um den Umsatz, erklärte er – Graham stellte später fest, dass Zuckerberg den Unterschied zwischen Profit und Umsatz nicht zu kennen schien –, sondern um die Menschen. Er wollte mehr Nutzer. Er sagte zu Graham, er müsse möglichst schnell sämtliche Colleges im Land erreichen, bevor es jemand anderes tue.

Die Plattform war fokussiert auf Expansion und Nutzeraktivität. Im Gegensatz zur Post hatte Zuckerberg einen langen Vorlauf, um ein entsprechendes Publikum aufzubauen, ohne dabei Geld verdienen zu müssen. Graham war beeindruckt von der potenziellen Reichweite des Unternehmens. Er betrachtete es nicht als Bedrohung für das traditionelle Zeitungsgeschäft, sondern als Technologie, die für die Post ein guter Partner auf dem Weg in eine digitale Zukunft sein könnte; er hatte gesehen, in welche Schwierigkeiten die Musik- und Unterhaltungsindustrie während dieser Umbruchphase geraten war. Nachdem sie sich etwa zwanzig Minuten unterhalten hatten, sagte er zu Zuckerberg, dass er Thefacebook für eine der besten Ideen halte, von denen er in den letzten Jahren gehört habe. Wenige Tage nach dem Treffen bot er ihm für eine zehnprozentige Beteiligung 6 Millionen Dollar an.

Parker gefiel der Gedanke eines Investments von einer Medienfirma. Er war der Meinung, dass er sich bei Napster mit Risikokapitalgebern die Finger verbrannt hätte, und vertraute ihnen daher nicht. Im Gegensatz zu Zuckerberg wirkte Parker wie ein raffinierter Verkäufer. Angesichts seiner Biographie als Mitbegründer einer Musiktauschbörse, die wegen Piraterie mehrfach von Plattenfirmen verklagt worden war, schien es ein wenig ironisch, dass er die Beteiligung eines Medienunternehmens bevorzugen würde. Nichtsdestotrotz entwarfen die drei rasch die groben Umrisse eines Deals. Es gab keine schriftlichen Unterlagen, nur eine mündliche Übereinkunft.

In den nächsten paar Wochen handelten die Anwälte der Washington Post mit Thefacebook einen offiziellen Vertrag aus. An einem Punkt forderte Thefacebook mehr Geld und eine Vorstandsmitgliedschaft Grahams. Im März rief Zuckerberg Graham an. Er habe ein »moralisches Dilemma«, gestand er. Er habe ein Angebot von der Venture-Capital-Firma Accel Partners erhalten, das mehr als doppelt so hoch sei wie das, was Graham auf den Tisch gelegt habe.

Accel boten gewaltige finanzielle Möglichkeiten ohne die Umständlichkeit oder die althergebrachten Werte einer traditionellen Finanzierung. Es bestand kein Interesse, junge Gründer wie Zuckerberg in Fragen von Wirtschaftlichkeit oder Haftung zu drängen. Start-ups wurden ermutigt, mit monatlichen Millionenverlusten zu operieren, solange sie Kunden gewannen und innovativ blieben. Die Strategie war einfach: Sei der Erste auf dem Markt, wachse wie verrückt und kümmere dich erst später ums Geld.

Graham wusste es zu schätzen, dass Zuckerberg offen über sein Dilemma gesprochen hatte. Er sagte dem jungen Mann, er solle das Angebot annehmen, das ihm für sein Unternehmen am besten erscheine. Der Ratschlag kam Zuckerbergs kompetitiven Instinkten entgegen. »Wenn man Mark begegnete, war es das Erste, was einem an ihm auffiel«, sagte der langjährige Freund, der regelmäßig die Casa Facebook besucht hatte. »Er war niemand, der gern verlor.«

 

Im Winter des Jahres 2005 gehörte Thefacebook zu den Unternehmen in Silicon Valley, über die am meisten geredet wurde. Es war nicht nur die schiere Anzahl neuer Nutzer, welche die Plattform tagtäglich zu gewinnen schien, sondern ihre eigentliche Goldmine – die Nutzerdaten. Von dem Augenblick an, in dem sie einen Account eröffneten, gaben die User freiwillig persönliche Daten preis: Heimatorte, Telefonnummern, besuchte Schulen und ausgeübte Jobs, ihre Lieblingsmusik und -bücher. Ende 2004 hatten sich bereits eine Million College-Studenten auf der Seite angemeldet.[25] Noch beeindruckender war, dass sie sich mehr als viermal täglich bei Thefacebook einloggten. Auf jedem Campus, für den Zuckerberg die Seite freischaltete, meldete sich die Mehrheit der Studierenden an.

Investoren sahen in Zuckerberg den nächsten genialen Gründer, der in die Fußstapfen von Gates, Jobs und Bezos trat. »Es war ein Denken, das damals im Valley vorherrschte, diese Ansicht, dass man Gründer nicht in Frage stellte, dass sie Könige waren«, bemerkte die Journalistin Kara Swisher, die den Aufstieg Zuckerbergs mitverfolgte und auch seine Mentoren aufmerksam beobachtete. »Mein Eindruck von Zuckerberg war der eines geistigen Dünnbrettbohrers, der sich sehr leicht von Andreessen oder Peter Thiel beeinflussen ließ. Er wollte, dass sie ihn für clever hielten, also beherzigte er ihre Veränderungsvorschläge und übernahm auch die von ihnen propagierte libertäre Einstellung.« Es sei dabei kein Nachteil gewesen, dass Zuckerberg eine rastlose Tatkraft verströmte, die ihn dazu zwang, alles erdenklich Notwendige für den Erfolg seines Unternehmens zu tun, fuhr Swisher fort.

Diesen Killerinstinkt hatte er bereits bewiesen, als er im ersten Unternehmensjahr die Kontrolle über Thefacebook an sich gerissen hatte. In Harvard hatte Zuckerberg großzügig Titel vergeben und Freunde für sein neues Unternehmen rekrutiert; einer seiner Klassenkameraden, Eduardo Saverin, erhielt für die bescheidene Summe, die er als Anschubfinanzierung in Thefacebook investiert hatte, den Titel eines Mitbegründers. Im Juli 2004 jedoch gründete Zuckerberg ein neues Unternehmen, welches die gemeinsam mit Saverin gegründete LLC (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) im Wesentlichen aufkaufte. Das Arrangement erlaubte es Zuckerberg, die Anteile so umzuverteilen, dass er sich eine Mehrheit sichern konnte, während Saverins Anteil von rund 30 auf weniger als 10 Prozent schrumpfte. Saverin protestierte gegen diese Entscheidung und klagte später auf Kompensation. Der damalige Vorstand, der aus zwei frühen Investoren bestand, Jim Breyer von Accel und Peter Thiel, übte im Grunde lediglich eine beratende Funktion aus und ließ Zuckerberg dabei einen weiten Entscheidungsspielraum.[26]

Im September 2005 wurde die Plattform, die den bestimmten Artikel ihres Namens über Bord geworfen hatte und nur noch »Facebook« hieß, auch für Highschool-Schüler zugänglich und expandierte an weiteren Universitäten. Von seiner winzigen Zentrale über einem China-Restaurant an der Haupteinkaufsstraße von Palo Alto feuerte Zuckerberg seine Angestellten zu immer längeren Schichten an, um mit der Nachfrage Schritt zu halten. Als die Seite gegen Jahresende mehr als 5,5 Millionen Nutzer verzeichnete, begann er seine wöchentlichen Treffen damit zu beenden, dass er seine Fäuste in die Höhe reckte und »Marktherrschaft!« schrie.

Im Kielwasser der Angebote von Accel und der Washington Post gingen weitere Investitions- und Übernahmeangebote ein[27] – Viacom, Myspace, Friendster. Das Angebot des Webdienstleisters Yahoo, der im Juni 20061 Milliarde Dollar bot, war besonders schwer auszuschlagen. Nur wenigen Tech-Start-ups in der Größe von Facebook, das obendrein keinerlei Gewinn machte, war eine solche Summe geboten worden. Mehrere Mitarbeiter drängten Zuckerberg, das Angebot anzunehmen. Sein Vorstand und seine anderen Berater sagten ihm, er könne Facebook mit der Hälfte des Geldes in der Tasche verlassen, wodurch er über Mittel und Status verfügt hätte, alles zu tun, was er nur wollte.

Das Übernahmeangebot von Yahoo zwang ihn, seine langfristige Vision zu überdenken. Im Juli teilte er Thiel und Breyer mit, dass er nicht wisse, was er mit dem Geld anfangen solle, und er vermutlich einfach eine andere Version von Facebook gründen würde.[28] Tatsächlich erkannte er auch, dass die Plattform exponentiell wachsen könnte. »Es war das erste Mal, dass wir uns Gedanken über die Zukunft machen mussten«, sagte er. Er und Mitbegründer Dustin Moskovitz beschlossen, »mehr als nur die zehn Millionen Menschen zu vernetzen, die zur Schule gingen«.[29]

Zuckerbergs gesamtes Managementteam kündigte unter Protest, als er den Deal mit Yahoo ablehnte. Es sei sein Tiefpunkt als Unternehmensführer gewesen, erinnerte er sich später. Daneben war es auch ein Wendepunkt für das Unternehmen. »Der schmerzliche Teil war nicht, das Angebot abzulehnen. Es war die Tatsache, dass danach ein großer Teil der Mitarbeiter das Unternehmen verließen, weil sie nicht daran glaubten, was wir taten.«

Allerdings stärkte der Schachzug Zuckerbergs Reputation. Der Wagemut schaffte neues Vertrauen in das Unternehmen. Er fing an, Mitarbeiter von Microsoft, Yahoo und Google abzuwerben. »Die Leute wollten bei Facebook arbeiten; es hatte diese Aura, dass es das nächste große Ding werden würde«, stellte ein Mitarbeiter fest, der unter den ersten fünfzig Angestellten war. »Man wusste, wenn man Facebook im Lebenslauf stehen hätte, würde das gut aussehen.«

Trotz des steigenden Ansehens blieb die Unternehmenskultur bruchstückhaft. Alle saßen an denselben kleinen Tischen, die oft mit den Kaffeebechern und Schokoladenpapierchen der letzten Schicht übersät waren. Meetings wurden abrupt abgesagt, wenn die Programmierer keine fertigen Prototypen ihrer Ideen präsentieren konnten, obwohl es keine Manager gab, die sich diesbezüglich einbringen oder Anleitung geben konnten. Nächtelange Hackathons, bei denen mit Bier und Energy-Drinks aufgeputschte Mitarbeiter neue Funktionen programmierten, waren gang und gäbe.

Zuckerberg genoss die Programmiersessions, doch arbeitete er die meiste Zeit an einer Idee, durch die Facebook seine Konkurrenten aus dem Rennen schlagen würde, wie er glaubte, einer Idee, die ihm die Zuversicht verliehen hatte, das Angebot von Yahoo auszuschlagen: eine maßgeschneiderte zentrale Zielseite zu werden.[30] Bis dahin mussten sich die Nutzer zur persönlichen Seite anderer Nutzer durchklicken, wenn sie Updates von ihren Freunden einsehen wollten. Facebook war damals wie ein simples Verzeichnis, in dem es keine Verbindungen zwischen einzelnen Profilen und keine Möglichkeit gab, auf einfache Weise miteinander zu kommunizieren. Die neue Funktion namens »News Feed« sollte aus Posts, Fotos und Statusaktualisierungen herausziehen, welche die Nutzer bereits in ihre Facebook-Profile eingetragen hatten, und diese zu einem einheitlichen Feed zusammenfassen – also zu einem kontinuierlich aktualisierten Informationsstrom.

Trotz des Namens sah Zuckerberg die traditionelle Nachrichtendefinition bei News Feed aufgeweicht. Statt einer von Redakteuren bestimmten Hierarchie von Artikeln, die auf der Titelseite einer Zeitung oder der Homepage einer Website erschienen, schwebte Zuckerberg eine personalisierte Hierarchie der »Interessantheit« vor, welche bestimmte, was die einzelnen Nutzer in ihrer jeweiligen Version des Feeds zu sehen bekamen.[31] Vor allem aber würden die Nutzer Inhalte über sich selbst sehen wollen, also sollte jeder Post, jedes Foto und jede Erwähnung eines Nutzers ganz oben in seinem News Feed erscheinen. Als Nächstes kämen Inhalte über Freunde, in absteigender Reihenfolge nach Anzahl der Interaktionen des Nutzers mit ihnen. Darauf würden Inhalte von verlinkten Seiten und Gruppen folgen.

So einfach News Feed in seinen Notizen aussah, wusste Zuckerberg doch, dass es nicht leicht umzusetzen war. Er brauchte jemanden, der ihm bei der Entwicklung eines Algorithmus half, der einordnen könnte, was die User sehen wollten. Er wandte sich an Ruchi Sanghvi, einen seiner ersten Angestellten und Programmierer, der die technische Seite koordinieren sollte. Für die Projektleitung zuständig war eine Gruppe von Managern, die Zuckerberg erst kürzlich eingestellt hatte, allen voran Chris Cox.

Cox stammte aus einem Graduiertenprogramm in Stanford, das die natürliche Sprachverarbeitung untersuchte, einen Bereich der Linguistik, der sich damit befasste, wie sich mittels künstlicher Intelligenz die Sprachgewohnheiten von Menschen per Computer verarbeiten und analysieren ließen. Mit seinem kurzen Haarschnitt und seinem stets gebräunten Teint wirkte er wie ein Surfer, aber er klang wie ein Technokrat. In Stanford war Cox der Beste seiner Klasse gewesen; dass er die Universität verließ und zu einem kleinen Start-up ging, das mit den größeren und finanziell besser ausgestatteten Myspace und Friendster konkurrierte, bestürzte seine Professoren und Kommilitonen. Er hatte den Job bei Facebook angenommen, ohne Zuckerberg persönlich kennengelernt zu haben, doch von dem Augenblick an, als man die beiden einander vorstellte, passte es auf Anhieb. Cox besaß Charisma und die Gabe, seinen Boss zu beruhigen, und schien intuitiv zu wissen, was Zuckerberg von einem Produkt oder einem Design halten würde.