14,99 €
Atmosphärisch erzählt, gespickt mit literarischen Anspielungen – hier ermitteln Katzen mit krallenscharfem Verstand! Ein dreister Einbruch hält die Kratzburger Kriminalpolizei in Atem: Der Tresor der Mäusemixfabrik wurde des Nachts spektakulär gesprengt und klammheimlich durch die Abwasserkanäle abtransportiert. Eine Fährte lockt ins Amüsierviertel am Hafen. Spätestens als die Leiche des Barkeepers Morpheus im Wasser auftaucht, ist klar, dass die Verbrecherbande vor nichts zurückschreckt. Dem melancholischen Inspektor Mouse bleibt nichts anderes übrig, als über seinen Katzenschatten zu springen und ausgerechnet mit dem grobschlächtigen Oberinspektor Murr zusammenzuarbeiten ... Eine All-Age-Hommage auf den Detektivroman "Zu den großen Qualitäten der Schriftstellerin Caroline Ronnefeldt zählt ihre Fähigkeit, sich und uns Leser immer wieder zu überraschen. Das gelingt ihr auch mit 'Inspektor Mouse' - ein tierisches Vergnügen." – Denis Scheck
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 525
Ein dreister Einbruch hält die Kratzburger Kriminalpolizei in Atem: Der Tresor der Mäusemixfabrik wurde des Nachts spektakulär gesprengt und klammheimlich durch die Abwasserkanäle abtransportiert. Eine Fährte lockt ins Amüsierviertel am Hafen. Spätestens als die Leiche des Barkeepers Morpheus im Wasser auftaucht, ist klar, dass die Verbrecherbande vor nichts zurückschreckt. Dem melancholischen Inspektor Mouse bleibt nichts anderes übrig, als über seinen Katzenschatten zu springen und ausgerechnet mit dem grobschlächtigen Oberinspektor Murr zusammenzuarbeiten …
Hier ermitteln Katzen mit krallenscharfem Verstand!
Dramatis Feles
Auszug aus einem Leitartikel der – KRATZBURGER CHRONIK
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
Epilog
Zur Erinnerung
an Luis Ohnefurcht,
Chefmauser und Wächter
von Haus und Garten.
Souverän, mutig und anhänglich.
Miau, treuer Freund,
für immer in unseren Herzen!
Das weiße Mondlicht war kalt und
klar wie die Gerechtigkeit,
die wir erträumen und nie finden.
Raymond Chandler »Das hohe Fenster«
»Im Mai sind alle Blätter grün,
Im Mai sind alle Kater kühn
Und alle Jüngelinge,
Und wer ein Herz hat, fasst sich eins,
Und wer sich keins fasst, hat auch keins;
Singe, mein Kater, singe!«
Otto Julius Bierbaum »Maikaterlied«,
vertont von Kurt Weill für Gesang und Klavier
Inspektor Selwyn Mouse, ein gut aussehender Thai-Siamkater mit tiefblauen Augen
Polizeipräsident Ignatius Puschel, ein cremefarbener Heilige-Birmakater, Spitzname »der Heilige Bimbam«
Katinka Fellreich, seine Sekretärin und verlässliche rechte Pfote, eine Ragdoll-Katze
Kriminalrat Cornelius Katerfreund, ein älterer Karthäuserkater
Oberinspektor Grobian Murr, ein fetter, schwarz-weißer Kater mit asymmetrischer Blesse und einem abgeknickten linken Ohr
Sergeant Jerry Fischgrät, ein junger rostfarbener Tigerkater mit rosa Nase
Dr. Karl Vogelfang, genannt »der rote Charlie«, ein hagerer roter Tigerkater, Leiter der KTU (Krumme-Touren-Untersuchung)
Professor Lorenz Forens, Chef der Gerichtsmedizin, schneeweißer Norwegischer Waldkater
Polizeihauptwachtmeister Silvester Stumpfkralle
Polizist Toby Pratze, ein grauer Tiger von imposanter Größe
Polizist Kasimir Bart, ein wortkarger Schildpattkater
Firmendirektor Felix von Maunz, ein stattlicher, rauchgrauer Perserkater Seine Frau Anastasia von Maunz, geborene Killmauski, ebenfalls rauchgrau
Ihre Nichte Natascha Killmauski, eine prussischblaue Schönheit aus St. Grätenburg
Johann G. Hinze, der Butler der Familie von Maunz, älterer silbrig getupfter Kurzhaarkater
Syndikus Tigerius Seidig, der Anwalt der Firma, eleganter Bengale mit blassgrünen Augen
Prokurist Moritz Kralle, ein gepflegter Tigerkater in den besten Jahren
Mimi Stubenrein, seine Sekretärin, schwarz-grau gestromte Katze mittleren Alters
Wachmann Marusch Schwänzel, ein alter schwarz-weißer Kater
Luis Pelzig, Gewerkschaftsführer, ein zäher und listiger grau-brauner Tigerkater
Jack Katzowski, Vorarbeiter an der zentrifugalen Mäusemischmaschine, junger weißer Kater mit rötlich getigerten Flecken und einem zweifarbigen Augenpaar
Fritz MacSchlapp, plattohriger Mischlingskater (zur Hälfte Schottisch Faltohr)
Bakrus Ole Tyvson, genannt »der Schwarze Ole«, ein großer Norwegischer Waldkater mit zottigem schwarzem Pelz
Garstigmann Räudig, alias Sandyman Krauley, ein riesiger Maine Coon
Zahlreiche Bandenmitglieder, skrupellose Kriminelle und brutale Schlitzer
Inhaberin Trixie Belinda Musch, schokoladenfarbene Angora, die Dame hinter dem Spiegel
Carlo Koloss Putzig, ihr Türsteher und Rausschmeißer, ein ehemaliger Schiffskater
Mitzi Schnurre, Garderobiere, eine zierliche schwarze Katze
Morpheus C. Matt, ein grauer Tigerkater, Barmixer
Manni Leisegang, ein dürrer schwarz-weißer Kater, Hausmeister
Oberschwester Kreszentia Kratzig, eine silbergraue Kittisch Kurzhaar mit regelmäßigem weißem Dreieck im gestrengen Gesicht
Schwester Millicent, Abessinierkatze, erliegt dem Charme eines kurzfristigen Patienten
Im Prinzip wäre die Anzahl der in der alten Hafenstadt an der Albis begangenen Kapitalverbrechen unter der entschlossenen Leitung des Kratzburger Polizeipräsidenten als seit Jahren rückläufig zu bilanzieren, wären da nicht die gewissenlosen Raubkatzen der gefährlichen Gangsterbande um den legendären Norwegischen Waldkater Bakrus Ole Tyvson, genannt der Schwarze Ole. Dieser hätte eigentlich noch eine Dekade seiner fünfzehnjährigen Haftstrafe für schweren Raub mit Verdacht auf Körperverletzung und Mord im Bau sitzen müssen, und zwar in der als ausbruchssicher geltenden Strafanstalt der berüchtigten Gefängnisinsel St. Leonhart in der wilden See des Katzegatts. Die sich um den skatzinavischen Kriminellen rankenden Gerüchte und Legenden gehen so weit, ihm übernatürliche Kräfte anzudichten, u. a. dass Tyvson dazu in der Lage sei, wenn nötig mit seinen messerscharfen Krallen senkrecht die Wände hochzugehen – eine Fähigkeit, die in einem festungsartigen Kerkerbau wie St. Leonhart von großem Nutzen sein kann. Wie es dem berühmten Häftling vergangenen Sommer dann tatsächlich gelungen ist, unbemerkt die massiven Gitterstangen seines Zellenfensters so weit zu lockern, dass er sie herausziehen konnte, bleibt für die gleich den Wärtern blamierte Gefängnisleitung ein Rätsel. Genauso, dass der Schwarze Ole es anschließend schaffte, wie ein Katzendämon die steile, regennasse Festungsmauer hinabzuklettern und bei meterhohem Wellengang in einer winzigen Nussschale ans Festland zu entkommen. Zweifellos ein echtes Bravourstück, das die Fama um den unheimlichen Bandenchef – schließlich entstammt er einer alten Rasse von Wikingerkatzen – noch verfestigen wird. Die nationale und bald auch über die Landesgrenzen ausgedehnte Fahndung nach Tyvson verlief entgegen aller polizeilichen Anstrengungen ergebnislos. Selbst nach fünf Jahren Einzelhaft scheint sich der Schwarze Ole noch immer auf ein funktionierendes Netz von Helfern und Helfershelfern im Rotlichtmilieu verlassen zu können, um nach seinem Ausbruch so spurlos unterzutauchen, als wäre er mit seinem lächerlichen Boot in Wirklichkeit gekentert und läge als Fischfutter auf dem Grund des Katzegatts. Dass er im Gegenteil quicklebendig in Freiheit agiert, verriet nur kurze Zeit später die Wiederaufnahme der schändlichen Aktivitäten der für ihre Grausamkeit und skrupellose Härte bekannten Schlitzerbande, einer mit Tyvson in Verbindung stehenden Gang aus üblen Streunern, Schlägern und Diebesgesindel, die auch vor dem Schlimmsten nicht zurückschreckt. Besonders ausgeklügelte Raubzüge verraten seit Kurzem wieder die Handschrift des in Freiheit agierenden Meisters. Von irgendeinem gut verborgenen Rattenloch aus zieht Bakrus Ole Tyvson offenbar geschickt die Fäden und hat seine Pfoten immer dann im Spiel, wenn es besonders viel zu holen gibt.
Kratzburg lag in tiefem Schlummer. Der Mond stand hoch am Himmel und schickte sein bleiches Licht über die Dächer der Hafenstadt, in der die Bewohner friedlich in ihren Betten lagen und von jüngst genossenem Mäusespeck, gebuttertem Rattenragout, Forellenflips, geschäumter Dosenmilch und anderen Köstlichkeiten träumten. Kein Wunder, denn bis gestern hatte ganz Kratzburg ein Jubiläum der besonderen Art gefeiert: das hundertjährige Bestehen der alteingesessenen Mäusemixfabrik Musculus, ein Traditionsbetrieb von Weltruf, der neben dem Hafen zu den Hauptarbeitgebern der Stadt zählte.
Direktor Felix von Maunz ließ sich die festliche Angelegenheit etwas kosten und lud die Kratzburger an jenem Wochenende im Mai mit bester Wettervorhersage kurzerpfote zu einem zweitägigen Festmahl auf das Fabrikgelände im ehemals berüchtigten Gängeviertel in Hafennähe ein. Von hier aus wurden seit nunmehr einem Jahrhundert zahllose Paletten mit Dosen von bestem Mäusemix in allen Geschmacksrichtungen (von deftiger Hausmauskost bis Spitzensorten wie getrüffelter Waldmaus oder Haselmaus in Aspik) in die ganze Welt verschifft. Da die Geschäfte dank seiner geschickten Leitung insbesondere durch die jüngste Expansion der Handelsbeziehungen bis ins prussischblaue Katzarenreich als nichts weniger denn glänzend zu bezeichnen waren, gab es für von Maunz in diesen Feierstunden keinen Grund zu sparen; weder an der üppigen Bewirtung seiner lieben Kratzburger noch am Extralohn der fleißigen Fabrikarbeiter, die seiner Familie und Kratzburg so viel erfreulichen Wohlstand bescherten. Und deshalb durften die fleißigen Arbeiter in dieser milden Frühlingsnacht bis zum demnächst herandämmernden Montagmorgen nicht nur von Mäusemix und Forellenflips träumen, sondern vor allem von der bevorstehenden Auszahlung einer Sonderprämie von sage und schreibe fünfhundert Goldmäusen pro Kopf. Punkt zehn Uhr sollte es so weit sein. In der großen Werkshalle würden in einer extra dafür angefertigten vergoldeten Riesenmausefalle die siebenhundertfünfzig Bündel mit jeweils fünf fetten Banknoten der Kratzburger Karthäuserbank bereitliegen und in Anwesenheit der Familie von Maunz durch den Prokuristen der Firma, Moritz Kralle, und seine reizende Sekretärin Mimi Stubenrein an die Belegschaft verteilt werden. Bei Katzenmusik und Freibier – aber für jeden nicht mehr als ein Krug, und Chatpagner nur für die Familie –, denn so oder so sollte ab Mittag wieder gearbeitet werden.
Seit dem vergangenen Abend ruhte also im Tresor des Direktorenzimmers im ersten Stock des Fabrikkontors das schlanke Sümmchen von dreihundertfünfundsiebzigtausend souris d’or, sprich französischen Goldmäusen. Neben wichtigen Firmenakten und Wertpapieren und noch dazu einem Viertel des Familienschmucks, weil die werte Gemahlin des Direktors, Frau Anastasia von Maunz, ihre Preziosen auf mehrere sichere Aufbewahrungsorte zu verteilen pflegte.
Um sieben Uhr dreißig am Montag des vierzehnten Mai war es dann allerdings mit der feiertäglichen Hochstimmung vorbei, als Prokurist Kralle, ein gepflegter Tigerkater in den besten Jahren, beim Betreten des Kontorgebäudes mit einem Blick erkannte, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmen konnte.
Dass die Eingangstür halb offen stand, mochte gerade noch angehen, obwohl es ungewöhnlich war. Vielleicht hatte der alte Marusch, der als Nachtwächter gegen halb acht seinen Dienst beendete, versehentlich die Tür nicht richtig geschlossen. Allerdings sah ihm das wenig ähnlich und so war es dann ja auch nicht. Denn schrecklicherweise sollten es Maruschs Blutspuren sein, die Moritz Kralle den Weg wiesen. In aufreizend grellem Rot auf den Fliesen des Korridors verschmiert, führten sie ihn in wenigen Schritten bis zu der kleinen Wachstube neben dem Eingang, von wo aus der Alte seine Runden startete.
Der arme Kerl, ein magerer schwarz-weißer Hauskater, lag geknebelt und an das Heizungsrohr gefesselt mit dem Kopf und verklebtem Fell in einer Blutlache. Man hatte ihm mehrmals beide Ohren geschlitzt, das unverkennbare Zeichen der Schlitzerbande. Wer in der Halbwelt jemals auf die Idee gekommen war, sich dieses schrecklichen Mahnmals für eigene Zwecke zu bedienen, schwamm wenig später mit den Kanalratten in irgendeinem brackigen Hafenbecken, allerdings Schnauze nach unten. Nein, niemand wagte mehr, das Original zu kopieren, weil sich die sauberen Methoden dieser Gangster in Windeseile herumgesprochen hatten.
Also war auch Prokurist Kralle auf der Stelle klar, wer den alten Wachmann so zugerichtet hatte. Ebenso, dass dies unmöglich alles sein konnte, was sich nächtens auf dem Maunz’schen Fabrikgelände ereignet haben musste. Wobei augenscheinlich kein Kampf stattgefunden hatte; Marusch war von den Schlitzern gleich im Erdgeschoss unschädlich gemacht worden und dann war man zur eigentlichen Tat geschritten. Kralle schwante Übles. Ein Stockwerk höher, im Büro des Direktors, stand der große, schwarz glänzende Tresor.
Der bestürzte Prokurist löste den Wachmann aus seinen Fesseln und Knebeln. Vorsichtig lehnte er ihn mit dem Rücken gegen die Wand. Nachdem er ihn mit einem Napf Wasser und einem Schluck Lebenselixier, Marke Dicker Kater, aus dem eigenen Silberflakon fürs Erste so weit versorgt hatte, um ihn einen Moment allein lassen zu können, überlegte Moritz Kralle, ob er nicht lieber gleich die Polizei rufen sollte. Allerdings waren für den Nachtwächter die Lichter so früh ausgegangen, dass ihm der Alte nicht hatte verraten können, was eigentlich geschehen war. Eine letzte Hoffnung, dass es doch glimpflicher als gedacht enden würde, lag für Kralle in dem brandneuen dreifach gesicherten Tresor der Sicherheitsfirma Schleicher & Söhne, den der Herr Direktor auf Anraten seiner Versicherung kurz vor Weihnachten angeschafft hatte. Auf leisen Pfoten und mit starr aufgerichteten Schnurrhaaren schlich der Prokurist klopfenden Herzens Stufe für Stufe die Treppe empor.
Nur anderthalb Minuten später verlor er bei dem atemberaubenden Anblick, der sich ihm bot, so vollends die Nerven, dass er zweimal nach Luft schnappte, um danach zu Herrn von Maunz’ Schreibtisch zu stürzen, wo sich links unter der Platte der Alarmknopf befand. Er presste noch immer die Pfote dagegen, als schon längst das gesamte Fabrikgelände und die anliegenden Straßen und Gassen vom schrillen Heulen des Notrufs erschüttert wurden. Die auf dem Dach installierte Sirene heulte, als sei an diesem Montagmorgen ein das Gängeviertel verzehrender Brand ausgebrochen.
Bereits eine Dreiviertelstunde nach Auslösen des Alarms hatte ein halbes Dutzend Uniformierter unter Leitung von Polizeihauptwachtmeister Silvester Stumpfkralle alle Pfoten voll zu tun, die vor dem Kontor rasch anwachsende Katzenmenge in Schach zu halten, damit die Ermittler der Kratzburger Kriminalpolizei ungehindert zum Tatort gelangen konnten. Noch war nicht nach außen gedrungen, was eigentlich passiert war, doch dass es sich bei dem Dröhnen der Werkssirene weder um eine Übung noch um einen Fehler handelte, stand nach Eintreffen mehrerer hochrangiger Beamter und einiger Techniker der Krumme-Touren-Untersuchung, kurz KTU, wohl außer Zweifel.
Die Kette der Polizisten wurde in vorderster Front von Arbeitern und Angestellten der Firma Musculus bedrängt, deren Arbeitstag für gewöhnlich um acht Uhr begann. Dank der Sirenenklänge strömten mit ihnen auch Schaulustige aus den umliegenden Vierteln in den immer voller werdenden Fabrikhof und schon bald begannen wilde Gerüchte die Runde zu machen. Von der brutalen Misshandlung eines Wachmanns war die Rede, die in null Komma nichts zu Mord avancierte, sowie einer schweren Explosion im Direktorenzimmer, obwohl sich niemand daran erinnern konnte, einen entsprechenden Knall gehört zu haben, weder in der Nacht noch in den frühen Morgenstunden. Doch vor allem, heiliger St. Baldrian, sorgte man sich hinter vorgehaltener Pfote um die fünfhundert Goldmäuse pro Kopf; schließlich sollte in knapp zwei Stunden die heiß erwartete Provisionsauszahlung mit einer feierlichen Rede des Herrn Direktors beginnen. Dessen dunkle Limousine war zwar gerade in die Hofeinfahrt eingebogen und der Chauffeur im Schritttempo darum bemüht, Felix von Maunz so weit vorzufahren wie möglich. Auffällig blieb jedoch, dass er nun ohne Gattin auftauchte, stattdessen aber der langjährige Anwalt der Firma, Syndikus Seidig, mit im Fond saß.
In manchen Spitzohren, vielleicht sogar in denen des Herrn Direktor, klang es daher fast spöttisch, dass Hunderte kleiner Fähnchen mit dem Firmenmotto »Musculus – welch ein Genuss!« in den über den Werkstoren befestigten Girlanden wild und ausgelassen in der frischen Frühlingsbrise flatterten. Dahinter lag die mit Blumen, Lampions und Pappmachémäusen in Gold dekorierte Fabrikhalle in kühler Stille, während die nahe Feierstunde einen deutlichen Sprung hatte und sich wie in einem Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt in etwas Groteskes und Monströses verkehrte. Denn wo großzügig hatte gegeben werden sollen, war in großem Stil genommen worden. Und nicht nur einer, der viel hatte, wurde beraubt, sondern Hunderte, die wenig besaßen und für die diese Prämie die mühevoll verdiente Anerkennung jahrelanger Schufterei bedeutete.
»Das muss möglichst lange unter dem Deckel gehalten werden, zumindest bis der Hof geräumt ist«, hatte sich Tigerius Seidig nach einem unbehaglichen Blick aus dem Wagenfenster an von Maunz gewandt, »sonst kippt die Stimmung und die werden uns hier noch renitent, denn zwischen fünfhundert Mäusen und gar nix liegt ein begreiflicher Anlass zur Empörung.«
Dicht an der Stoßstange der Maunz’schen Limousine klebend, schnurrte ein cremefarbenes Coupé Marke Ozelot durch die Hofeinfahrt und nutzte die von dem großen Wagen geschaffene Gasse. Es parkte aber statt vor dem Kontor schon viel früher neben einer Baracke zur Linken und ein Fahrer stieg aus, der einen hellen Trenchcoat trug. Neben seinem flotten Wagen stehend, betrachtete er mit kritischer Miene den überfüllten Hof. Dann bahnte er sich dank seiner auffälligen Erscheinung mühelos den Weg durch die vor ihm auseinanderweichende Menge. Ein großer, gut aussehender Thai-Siamkater mit ausgeprägter dunkler Gesichtsmaske und tiefblauen Augen, deren Blicke vor allem die Damen nicht so leicht vergaßen. Dabei verfügte dieses außergewöhnliche Augenpaar über eine ganze Reihe von Farbnuancen, von eiskalt und frostig wie türkisfarbenes Gletschereis bei Gefahr und Bedrohung, über geschäftsmäßig stahlblaue Härte im Alltag bis zu veilchenfarbenem Schmelz für die besonderen Momente im Leben eines Katers von Welt.
Jetzt zeigte sich darin eine gewisse kobaltblaue Verdrossenheit.
»Warum ist noch niemandem eingefallen, das Fabriktor zu schließen, Fischgrät?«, knurrte er grußlos den jungen rostfarbenen Tigerkater an, der ihm aus Richtung der Eingangstür mit aufgeregter und zugleich erleichterter Miene entgegenkam.
»Guten Morgen, Inspektor Mouse. Ein Glück, dass Sie so schnell herkommen konnten, so kurz nach Ihrer Auslandsreise«, sagte Sergeant Fischgrät mit der für ihn typischen offenherzigen Freundlichkeit, für die er im ganzen Dezernat geschätzt wurde. Aber nicht unterschätzt, denn Jerry Fischgrät war ein äußerst findiger Kerl, der zum vielversprechenden Beginn seiner Laufbahn in grenzwertigen Situationen schon mehrmals zupackenden Mut bewiesen hatte.
Das wusste auch Inspektor Mouse, der den pfiffigen Sergeant durchaus mochte. Aber jetzt hatte er schlechte Laune, denn erstens war er gestern sehr spät in der Nacht nach einem kabbeligen Flug über den kittischen Kanal nach Kratzburg zurückgekehrt und zweitens sah das Durcheinander, das sich ihm hier auf den ersten Blick bot, ganz nach der unkoordinierten Vorgehensweise seines unmittelbaren Vorgesetzten, Oberinspektor Grobian Murr, aus.
»Murr schon da?«, fragte Mouse betont unbeteiligt und blickte zum Kontor hinüber, wo sich vor der geschlossenen Tür zwei Uniformierte mit grimmiger Miene und verschränkten Pfoten aufgebaut hatten.
»Klaaar, Murr ist schon da«, antwortete Jerry gedehnt und mit einem schrägen Grinsen, das nicht vom allergrößten Respekt gegenüber seinem eigentlichen Chef kündete.
Viel lieber wäre er der ständige Assistent des verwegenen Selwyn Mouse gewesen, der nicht selten von oberster Instanz mit geheimen Sondermissionen beauftragt wurde – sehr zum Ärger des hochrangigeren Murr, der die Abteilung immer dann mit seinem offenkundigen Neid auf den schneidigen Einzelgänger traktierte, wenn Mouse mal wieder zu einem mysteriösen Himmelfahrtskommando aufgebrochen war. »Irgendjemand hält schützend die Hand über diesen dreimal gebürsteten Salonlöwen«, war eine von Murrs Lieblingsdiagnosen der Hintergründe für die exponierte Stellung des Inspektors.
Seine Eifersucht auf Mouse hielt Murr nicht davon ab, ihn aus schäbigem Kalkül höchstpersönlich auf die gefährlichsten Einsätze zu schicken. Anschließend wurde seine Erbitterung umso größer, wenn der aalglatte Stenz die unlösbare Aufgabe so glänzend gemeistert hatte, dass er, Murr, am Ende somit selbst dazu beitrug, den Ruhm des verhassten Thai-Siams noch zu mehren. Trotzdem änderte er sein Verhalten nicht, sondern versuchte es wieder und wieder, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, Mouse auf solch niederträchtige Weise loszuwerden.
Doch der Fall Musculus war offenbar zu brisant, als dass der unbeliebte Oberinspektor allein das Sagen gehabt hätte, nicht einmal zu diesem taufrischen Stand der Ermittlung.
»Das scheint eine ganz große Nummer zu werden – kein Wunder«, meinte Jerry vieldeutig.
Mit einem lässigen Kopfnicken lenkte er Mouses Aufmerksamkeit auf vier abseits des Kontors im Schatten einer großen Katzanie parkende Wagen, zu der sich auch die dunkle Limousine gesellt hatte. Erst jetzt hielt der elegante Chauffeur, der in eine mit silbernen Litzen veredelte Livree im Maunz’schen Rauchgrau gekleidet war, für die beiden dem Fond entsteigenden Kater den Schlag auf. Sogleich wurden sie von weiteren und wie aus dem Nichts herbeieilenden Polizisten umringt, die sie auf ihrem kurzen Weg zur Tür vor den eigenen Arbeitern schützen sollten. Der wartenden Menge war diese Ankunft nicht entgangen: der Herr Direktor und sein seidiger Leib- und Magenanwalt für die wirklich wichtigen Angelegenheiten von Firma und Familie. Die beiden mussten im Kokon des luxuriösen Gefährts noch etwas besprochen oder sich nicht so leicht ins Freie getraut haben; man konnte das so oder so interpretieren. Dabei war Felix von Maunz alles andere als ein Schwächling, sondern ein stattlicher Perserkater mit rauchgrauer Mähne, der sich unter allen Umständen Respekt zu verschaffen wusste.
Rufe ertönten, die von Unruhe und Unmut kündeten. Die Stimmung blieb angespannt. »Was ist denn passiert? Wir verlangen eine Erklärung, Herr Direktor!«, war zu hören, aber schon wurde das bedrohlich konkrete »Was ist mit unserer Provision? Was geschieht um zehn Uhr?« laut und lauter.
Von Maunz blieb plötzlich stehen und starrte unter buschigen Brauen über die Uniformierten hinweg auf die wogende Masse aus dicht gedrängten Leibern und Katzenköpfen.
»Um zehn schlägt zehnmal die Uhr. Bong, bong, bong!«, grollte er wie ein strenger Lehrer, der auf dem Schulhof für Ordnung zu sorgen hat. Von seiner jovialen Jubiläums-Feierlaune des Wochenendes war nicht ein Fitzelchen mehr übrig. Dann fischte er eine große silberne Taschenuhr aus der Weste und las mit nicht nachlassender Stentorstimme für alle die Zeit ab.
»Acht Uhr sechsunddreißig!«, verkündete er. »Soweit ich mich hier auskenne, ist das eine gute halbe Stunde nach Arbeitsbeginn. Einerlei, was los ist, werde ich in den nächsten Minuten veranlassen, dass man die Tore der Werkshalle öffnet, und es wird gearbeitet, bis es bong, bong, bong, zehn Uhr schlägt. Dann komme ich zu euch hinunter und halte eine Rede.«
»Bong, bong, bong«, sagte Jerry neben Inspektor Mouse und kräuselte die rosa Stupsnase. »Was die schnieke Festrede wohl für einen Inhalt haben wird? Ich wünsche dem Herrn Direktor eine goldmäusig geschmeidige Katzenzunge.«
Sie waren stehen geblieben, um das Geschehen zu verfolgen. Es zeigte sich, dass von Maunz’ Autorität außer Frage stand. Die Rufe ließen auf der Stelle nach, Gemurmel erfüllte den Hof. Wenig später strebte der Großteil der Belegschaft tatsächlich den Fabriktoren zu, über denen die bunten Fähnchen noch immer boshaft und keck im Wind wisperten.
Ohne sich weiter um das Geschehen und die Schaulustigen jenseits der abriegelnden Polizeikette zu kümmern, verschwanden von Maunz und sein Syndikus hinter der für sie kurz geöffneten Tür des Kontors. Bevor er ihnen folgte, sah sich Inspektor Mouse noch einmal nach den unter der Katzanie abgestellten Fahrzeugen um. Eines war unverkennbar der hässliche senffarbene Schmauch von Oberinspektor Murr, daneben ein Katerschaftstransporter der Kratzburger Polizei und ein Krankenwagen. Hinter der Limousine des Direktors, dessen Chauffeur gegen die Kühlerhaube gelehnt in all seiner rauchgrauen Eleganz gelangweilt eine Zigarette rauchte, parkte mit einem schwarzen Miezcedes Benz ein zweites stattliches Schlachtschiff.
»Der Polizeipräsident ist zugegen?«, erkundigte sich Mouse bei Sergeant Fischgrät mit einiger Überraschung.
»Ja, der Heilige Bimbam höchstpersönlich und Kriminalrat Katerfreund«, bekam er zur Antwort. »Ich sage ja, ganz große Sache und wenn Sie erst gesehen haben, was oben …«
»Wer wurde verletzt?«, wurde Jerry vom Inspektor grob unterbrochen, dem zweifellos eine Maus über die Leber gelaufen sein musste, wenn nicht zwei.
Statt sich etwas anmerken zu lassen, gab der lebenskluge Sergeant seinem Vorgesetzten lieber die verlangte Auskunft.
»Marusch, der alte Wachmann. Den armen Kerl hat es schwer erwischt, zumal es ein besseres Ehrenamt ist, was er da mit nichts als einer armseligen Taschenlampe bewaffnet Nacht für Nacht wie ein zahnloser Tiger verrichtet. Natürlich war er ihnen wehrlos ausgeliefert. Zuerst haben sie ihn brutal zusammengeschlagen und ihm dann auch noch die Schnurrhaare abgeschnitten. Wochenlang wird er nicht Abstand halten können, bis sie nachgewachsen sind. Was aber viel schlimmer ist: Sie haben ihm beide Ohren geschlitzt und das ist das grausame und typische Erkennungszeichen der Schlitzerbande.«
»Der Schlitzerbande?«, wiederholte Inspektor Mouse abrupt und sah sich nach Jerry um.
Zum ersten Mal an diesem gründlich schief gewickelten Morgen schenkte er seinem jungen Kollegen einen dieser legendär blitzblauen Blicke voll intelligenter Schärfe und Willenskraft.
»Ja, eben die.« Nun klang der Sergeant fast schüchtern. »Aber was sie im Direktorenzimmer angerichtet haben, ist selbst für die Schlitzer ein starkes Stück.«
»Bakrus Tyvson, der Schwarze Ole!«, zischte Mouse so verächtlich, dass Jerry ein Schauder den rostroten Rücken hinablief. »Lassen Sie uns nach oben gehen, Fischgrät.«
Wie Türsteher eines Halbweltclubs standen die beiden Posten, die Polizeihauptwachtmeister Stumpfkralle unterstellt waren, vor der Tür des Kontors. Ihrer Körpersprache nach waren sie noch immer durchaus dazu bereit, den Eingang, wenn nötig, mit Zähnen und Klauen gegen Unbefugte zu verteidigen, obwohl sich die Menge auf dem Hof nach der Ansage des Direktors weiter zerstreut hatte. Mit einem neuen Ansturm war kaum mehr zu rechnen. Als Mouse mit Jerry vor ihnen auftauchte, tippte sich der eine, ein grauer Tiger von imposanter Größe und mit einem feschen weißen Latz unter der dunkelblauen Uniform, respektvoll an die Dienstmütze.
»Moin, moin, Inspektor. Gut, Sie dabeizuhaben.«
Mit einem knappen »Moin, Sergeant« begrüßte er danach auch Fischgrät, der ihm freundlich zunickte. Toby Pratze war ein gutmütiger Riese, den alle mochten. Bis auf jene, mit denen er sich aus beruflichen Gründen anzulegen hatte, denn sein Übermaß an Kraft machte Toby in pfotengreiflichen Situationen zu einem äußerst durchsetzungsstarken Gegner, weshalb er in den zwielichtigen Vierteln des Hafens nicht selten auf Streife geschickt wurde.
»Danke, Toby«, sagte Mouse und: »Morgen, Bart.«
Als sei dies sein Stichwort, öffnete ihnen daraufhin der zweite Posten, ein breitschultriger Schildpattkater namens Kasimir Bart, die Tür. Wortkarg ließ er die ranghöheren Polizisten an sich vorbei. Der Korridor war leer bis auf einen Techniker der KTU, der sich auf der Schwelle der Wachstube nach ihnen umdrehte. Die auf den Bodenfliesen verwischten Blutspuren des unglücklichen Marusch erzählten eine finstere Geschichte über dessen nächtliches Martyrium.
»Sind alle oben«, nuschelte sich der Techniker noch in die schütteren Schnurrhaare, als der Inspektor mit Jerry im Schlepptau schon in großen Schritten die Treppe hinaufeilte.
Auf dem mit edlem Kratzbaumholz getäfelten Flur der Maunz’schen Geschäftsräume ging es deutlich belebter als im Erdgeschoss zu. Überall war Personal der verschiedenen Abteilungen des Kommissariats mit irgendwelchen Dringlichkeiten beschäftigt.
Ein älterer Karthäuserkater steckte seinen gedrungenen blaugrauen Schädel aus einer auffälligen, mit dem Zeichen der Firma Musculus versehenen Doppeltür. Kaum dass er die beiden Neuankömmlinge mit einem kurzsichtigen Zwinkern seiner bernsteinfarbenen Augen erkannt hatte, kam Kriminalrat Cornelius Katerfreund in all seiner liebenswürdigen Molligkeit auf dicken Pfoten aus dem Direktorenzimmer getapst.
»Selwyn, endlich!« Wie auf einen verlorenen Sohn steuerte Mouses alter Gönner im Olymp der Kratzburger Ordnungsmacht erleichtert auf den Inspektor zu und nahm ihn erst mal beiseite. »Lass dir sagen, dass die Sache mehr als kritisch ist und der immense Schaden noch gar nicht zu ermessen«, erklärte Katerfreund ohne Umschweife. »Da ist erstens die auf ihren versprochenen Zuschlag wartende Arbeiterschaft, der in weniger als einer Stunde eine halbwegs zufriedenstellende Ansage gemacht werden muss, sonst droht am Ende noch Streik. Zweitens kann es sein, dass angesichts der vertrackten Lage da drinnen«, er wies mit dem Kinn in Richtung der einen Spalt offen stehenden Doppeltür, »die Versicherung der Firma für den Verlust möglicherweise nicht aufkommen wird.«
Just in diesem Moment drang der knurrige Bariton des Direktors aus dem Zimmer, laut genug, dass auf dem Flur jedes Wort zu verstehen war. Von Maunz klang, als sei er am Telefon, auch weil keine anderen Stimmen zu hören waren.
»Soll sofort herkommen und sich das ansehen«, verlangte er ungeduldig. »Ja, selbstverständlich jetzt gleich, Donner und Angoria! Ich will schließlich wissen, woran ich bin.«
Grußlos knallte er den Hörer so hart auf die Gabel, dass dem Gesprächsteilnehmer am anderen Ende der Strippe ordentlich die Ohren klingeln mussten.
»Und drittens wäre, besser gesagt, war da der kostbare Schmuck der Frau Direktor«, schickte sich Kriminalrat Katerfreund draußen vor der Tür an, seine Aufzählung zu vollenden. »Weder von Maunz noch sein Anwalt Seidig haben uns bis jetzt darüber aufgeklärt, was den Herren offenbar gewaltige Sorgen macht. Aber der Heilige Bimbam bleibt dran und wird es ihnen sicher bald aus der Nase ziehen.«
Der Karthäuser war derart in seine Schilderung vertieft, dass es ihm gar nicht auffiel, den ehrenwerten Polizeipräsidenten im Eifer des Gefechts bei seinem in den unteren Rängen in hohem Gebrauch stehenden Spitznamen genannt zu haben. Inspektor Mouse überging den kleinen Fauxpas geflissentlich. Ebenso, dass Sergeant Fischgrät sein spontanes Kichern in ein künstlich klingendes Hüsteln verwandelte, das so schnell erstarb, wie es gekommen war.
»Schau dir die Bescherung am besten selber an, Selwyn«, schloss Katerfreund. Als gestattete er nun endlich den Eintritt ins Weihnachtszimmer, wies er mit einer fast einladenden Geste auf die verheißungsvolle Pforte zum Tatort. »Eins noch, Junge, halte dich gegenüber dem Oberinspektor ein bisschen zurück. Murr hofft nämlich, dass seine große Stunde schlägt«, gab der Kriminalrat Mouse zuletzt halblaut mit auf den Weg.
Der stieß bereits die Flügel der Doppeltür auf. Dann bot sich ihm und Jerry ein derart bizarres Bild, dass es nicht nur dem jungen Sergeant, der heute schon einmal hier gewesen war, die Sprache verschlug.
In dem eleganten Büro, an dessen Wänden sich die dunkle Täfelung des Korridors fortsetzte, fiel der Blick zuerst auf den dem Eingang gegenüber stehenden Schreibtisch des Direktors, hinter dem sich ein von schweren rauchgrauen Samtportieren umrahmtes Bogenfenster erhob. Ein Sonnenstrahl fiel von draußen ein. In seiner schrägen Lichtbahn tanzten auffällig viele Partikel von Staub und Schmutz, aufgewirbelt durch einen spürbaren Luftzug von links. Mit den Örtlichkeiten dank früherer Termine so weit vertraut, hatte Mouse exakt an der Stelle, von wo es nun wehte, den großen Tresor erwartet, wenn auch aufgebrochen und in einem Zustand gravierender Verwüstung. Stattdessen schockierte ihn dort gähnende Leere im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wo bis vor wenigen Stunden der unbezwingliche Panzerschrank mit seiner massiven Präsenz die hohen Sicherheitsvorkehrungen der Firma Musculus auswies, klaffte im Mauerwerk der aufgerissenen Wand ein riesiges Loch, wie der sperrangelweit geöffnete Schlund eines gefräßigen Monstrums kühlen Hauch ausatmend. Selbst der Inspektor war im ersten Moment so perplex, dass er sich danach umsah, ob nicht irgendein Herkules der Kratzburger Unterwelt den Tresor nur in eine andere Ecke verschoben hatte.
›Eigentlich schwer vorstellbar‹, wie Mouse sich in seinen blitzartig arbeitenden Gedanken sofort korrigierte, bis sich eine Sekunde später die Erkenntnis verfestigt hatte, dass das Spitzenfabrikat von Schleicher & Söhne wirklich und wahrhaftig samt Inhalt verschwunden war. Immerhin nicht spurlos – nein, das ganz und gar nicht, sondern »ab durch die Mitte der Wand«, so wie es aussah. Ehrlich beeindruckt pfiff Mouse durch die Zähne.
»Teufel auch, ein starkes Stück«, sagte er und ging an einem Quartett aufgeregt disputierender ranghoher Herren vorbei und zu der riesigen Öffnung hinüber, vor welcher der Leiter der KTU mit zwei Mitarbeitern damit beschäftigt war, Spuren zu untersuchen.
»Hallo, Charlie«, begrüßte der Inspektor den obersten Techniker, einen Schlacks von einem mageren Kater mit feuerrotem Fell. »Ganz nettes kleines Mauseloch. Wo ist denn der dicke, fette Käse hin?«
»Mindestens drei Stockwerke tiefer«, sagte der Rote und versuchte, sich mit der linken Pfote Ziegelstaub und zerbröselten Putz aus dem Gesicht zu wischen, mit mäßigem Erfolg. »Diese gewaltige, mit Gold gefüllte Kanonenkugel hat dank der Fallgeschwindigkeit, die sie bei ihrem Gewicht entwickeln konnte, sogar das Kellergeschoss durchschlagen und ruht nun vermutlich am Mittelpunkt der Erde oder in der Hölle. Wollen Sie mal sehen?«
Inspektor Mouse folgte ihm an den Rand des Lochs, vor dem links und rechts Stative mit Scheinwerfern standen. Einer von Charlies Untergebenen machte ihnen bereitwillig Platz. Der rote Kater ließ Mouse den Vortritt und so schlug der Inspektor neben den schartigen Rändern der Öffnung die Krallen in die Wand. Wagemutig beugte er sich über einen scheinbar bodenlosen Abgrund, denn das Lampenlicht reichte nur ein begrenztes Stück in die Tiefe.
Grabeskälte wehte ihn von dort an. Der Thai-Siam blickte in einen quadratischen alten Kamin – denn dass es sich darum handelte, verriet ihm das rußige Mauerwerk –, der einen Durchmesser von etwa zwei Metern hatte. In die richtige Position gebracht, musste es für den Maunz’schen Tresor darin so rasend abwärts gegangen sein wie in einem Aufzugsschacht die Kabine eines Lifts, die sich aus ihrer Halterung gelöst hatte. Mouse sah im Radius der Scheinwerferkegel kaum Schleifspuren an den Wänden. Das war bemerkenswert, denn die große Frage war, wie es das Diebespack geschafft hatte, den Metallkoloss so passgenau in den Kamin zu befördern, dass er senkrecht nach unten stürzte, ohne sich bei dem begrenzten Platz zu verkeilen und stecken zu bleiben.
»Von echten Könnern meisterhaft geplant und ausgeführt«, hörte Mouse die heisere Stimme des Chefs der KTU neben seinem rechten Ohr.
Sogleich stemmte er sich aus der Öffnung heraus und nahm den roten Charlie mit einem stechend blauen Blick ins Visier.
»Wenn Sie wissen wollen, wie das zu schaffen war«, fuhr dieser auf die unausgesprochene Frage des Inspektors hin fort, »würde ich sagen, dass es etwas Hydraulisches gewesen sein muss. Irgendeine im Prinzip genial einfache und an Ort und Stelle schnell zusammengeschraubte Vorrichtung, die es ihnen ermöglichte, den Tresor wie am Lastenarm eines Krans so präzise in Stellung zu bringen, dass er anschließend als reifer Apfel vom künstlichen Baum fallen konnte. Die Gangster nahmen die Schwierigkeit in Kauf, das wie auch immer geartete Ding hierherzubefördern, aufzurichten, zu benutzen, danach wieder auseinanderzubauen und abzutransportieren. Ein beträchtlicher Aufwand, der sich aber mehr als gelohnt hat, wie wir nun wissen.«
Nachdenklich fuhr er sich über den Nasenrücken und hinterließ darauf eine graue Mehlspur.
»Leider wissen wir aber nicht, wo das bleischwere Monstrum geblieben ist«, verriet er Mouse nach einem kleinen erschöpften Seufzer. »Es hat, wie gesagt, auch den Boden des Kellergewölbes so glatt passiert wie ein Messer die Butter. Wir waren eben unten und haben uns das angesehen. Ein paar meiner Jungs sind noch dabei zu untersuchen, was es damit auf sich hat. Aber schon jetzt ist klar, dass unsere saubere Kundschaft gewusst haben muss, dass der Kellerboden dünn ist und sich darunter ein weiterer Hohlraum befindet.«
»Die Gänge der Kanalisation. Das Labyrinth unter der Stadt«, sagte Mouse mit einer gewissen Faszination. Er hatte gleich verstanden, worauf Charlie hinauswollte. »Also dahin führt die Spur. Und sie hatten genug Zeit, den Tresor in ein irgendwo in der Tiefe liegendes Rattenloch von einem Versteck zu bringen, um ihn dort in aller Ruhe auseinanderzunehmen.« Er pfiff ein weiteres Mal durch die Zähne. »Auf seine finstere Art ist der Schwarze Ole ein Meister des Verbrechens, ein Phantom der Unterwelt mit scheinbar überkätzischen Kräften«, sinnierte der Inspektor.
Der rote Charlie sah ihn überrascht an. Dabei lag in Mouses Worten bei aller fachlichen Anerkennung nicht ein Hauch von Respekt, den sich Tyvson auf der falschen Seite des Lebens verdiente. Der Kopf der Schlitzerbande war ein brillanter, aber ruchloser Gegner, zu dessen Repertoire nicht nur ausgetüftelte Einbrüche gehörten, sondern auch gewissenloses Vorgehen und sinnlose Gewalt, die selbst vor einem so schwachen Opfer wie dem Wachmann Marusch und dessen nun geschlitzten Ohren nicht haltmachte.
»Ein Phantom, das wir jagen und dingfest machen werden«, knurrte Mouse. »Da er sich seit Neuestem offenbar gern in unterirdischen Gängen herumtreibt, mag Tyvson, sobald wir ihn haben, ein für alle Mal im tiefsten Verlies von St. Leonhart verschwinden.«
»Vielleicht hätten Se die Güte, uns an Ihren verwegenen Zukunftsvisionen teilhaben zu lassen, Mouse«, meldete sich hinter ihnen eine unangenehm schnarrende Stimme.
Weder der Angesprochene noch Charlie mussten sich erst umdrehen, um zu wissen, dass ein fetter schwarz-weiß gefleckter Hauskater auf sie zukam. Seine asymmetrische Gesichtszeichnung zauberte ihm entgegen seiner vorherrschend miesepetrigen Gemütslage ein schräges Dauergrinsen auf die breite Visage – passend zum abgeknickten linken Ohr, einem Andenken aus Straßenkämpfen, als Grobian Murr als junger Wachtmeister Streife lief. Zeiten, die, Gottkater sei Dank, der Vergangenheit angehörten.
Allerdings genügte die Gegenwart noch nicht seinen hohen Ansprüchen, auch wenn er es inzwischen zum Oberinspektor gebracht hatte und einem weiteren Aufstieg in der kriminalpolizeilichen Hierarchie eigentlich nichts im Wege stand. Gedanklich sah Murr daher gern in die Zukunft und sich selbst in der Beletage des Polizeipräsidiums: im weitläufigen Büro des Heiligen Bimbams höchstpersönlich, auf seinem Stuhl mit der hohen Lehne und den Löwenköpfen hinter dem billardfeldbreiten Schreibtisch aus Eiche. Vor solch verheißungsvollen Ausblicken tauchte wie ein nicht zu entfernender Fussel auf der Linse dieser verfluchte, blauäugige Schnösel auf, ein Störfaktor auf dem langen, allzu langen Weg aus den Niederungen der Murr’schen Karriere bis zum Gipfel.
Der Oberinspektor war sich dessen bewusst, dass ihn mit Selwyn Mouse etwas nicht Kalkulierbares verband, was vielleicht nur ihm selbst auf Dauer schaden würde. Denn als Protegé von Cornelius Katerfreund, diesem dicklichen Trottel von einem Kriminalrat, und noch höherer Persönlichkeiten, die lieber unerkannt im Hintergrund blieben, verfügte die beste Spürnase des Dezernats über eine Narrenfreiheit, die Mouse in Murrs Augen schamlos ausnutzte. Wie in einer Dauerfehde fühlte sich der Oberinspektor durch den arroganten Stutzer immer wieder aufs Neue herausgefordert. Was nicht etwa daran lag, dass Mouse etwas tat, um ihr unerklärtes Duell in Gang zu halten, sondern weil er im Gegenteil gar nichts tat. Geschmeidig im Umgang, dabei aufreizend desinteressiert, suchte er weder Streit noch Wettkampf noch Auskunft. Nein, er übersah seinen Vorgesetzten, wenn möglich, beschränkte ihren beruflichen Austausch auf ein gerade noch vertretbares Minimum und zeigte ihm, Murr, die kalte, elegant gewölbte Schulter. Wenn etwas ein »Katz- und Mausspiel« zu nennen war, dann dieser demütigende Schwebezustand, in dem einer ganz sicher nicht die Maus war und zwar jener, der ihren Namen trug.
»Guten Morgen, Oberinspektor«, begrüßte ihn die Maus, nein, Inspektor Mouse in einem Ton, der an formvollendeter Höflichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Und dennoch mochte darin versteckter Sarkasmus liegen, denn Murr hatte vorhin nicht gegrüßt, sondern wie so oft gleich gemosert.
Den Inspektoren und dem Chef der KTU näherten sich in Begleitung von Sergeant Fischgrät jetzt jene vier Kater, die bis eben in eine mehr als angeregte Unterhaltung vertieft gewesen waren, was ihre angespannten Mienen verrieten.
»Murr hat mich aufgehalten«, gelang es Jerry, Mouse hinter vorgehaltener Pfote anzuvertrauen, als er wieder an seine Seite schlüpfte.
Falls der Sergeant dem noch etwas hatte hinzufügen wollen, sparte er sich das für später auf, denn alle Aufmerksamkeit galt nun einer imposanten Gestalt von unverkennbarer Autorität. Es handelte sich um Ignatius Puschel, den Kratzburger Polizeipräsidenten, einem großen, cremefarbenen Heilige Birmakater mit einem wahren Löwenhaupt, umrahmt von einem flauschigen Backenbart. Väterlicherseits aus einer alten hausgenossischen Familie stammend, überdies Träger des Flohbandordens Erster Klasse, war sich Puschel seiner gravitätischen Ausstrahlung durchaus bewusst, die weniger von abgehobener »Heiligkeit« als einer sehr zupackenden Bodenständigkeit kündete, was jedoch nichts an seinem ihm hartnäckig anhaftenden Spitznamen änderte. Sollte noch jemand daran gezweifelt haben, dass es sich aktuell um eine schwerwiegende Angelegenheit allerhöchster Priorität handelte, wusste sich ein solcher Ignorant spätestens durch die Anwesenheit des Heiligen Bimbams eines Besseren belehrt.
Blaue Blicke wechselten von links nach rechts, als die ultramarinfarbenen Augen des Birmakaters sich mit denen des Thai-Siams trafen und in einem fast unmerklichen Moment einen erstaunlich vertrauten Umgang jenseits aller Hierarchien bekundeten. Der Moment verging, nun blickte Puschel mit strenger Miene in die Runde, die in respektvollem Schweigen darauf wartete, wie sich Seine Exzellenz zum Ernst der Lage äußern würde.
Außer dem Präsidenten hatte die vierköpfige Gruppe aus Direktor von Maunz, Syndikus Seidig und Prokurist Kralle bestanden. Inzwischen war auch Kriminalrat Katerfreund zugegen und sah sich mit dem für ihn typischen, treuherzigen Gesichtsausdruck um. Ein probates Mittel, fälschlicherweise nicht für voll genommen zu werden – doch wehe dem, der sich so irrte.
»Also«, knurrte der Polizeipräsident und strich sich mit seiner dicken birmanischen Pfote in reinstem Weiß über die hellbraune Samtwestenbrust eines teuren Dreiteilers. »Halten wir mal fest, was wir bis jetzt haben. Deshalb denke ich, verehrter von Maunz, sollten zuvor Sie oder Sie, werter Seidig, da wir hier so nett und vollzählig beisammen sind, endlich, wie sagt man doch so treffend, die Katze aus dem Sack lassen. Verzeihen Sie mir den vulgären Ausdruck, aber Schweigen nützt hier niemandem und schon gar nicht Ihnen.«
Angesichts dieses überraschenden präsidialen Auftakts kniff Inspektor Mouse die Augen zusammen und musterte die beiden Angesprochenen aus schmalen blauen Schlitzen. Demnach hatte die Aufregung der Herren, die ihm schon eben im Vorbeigehen aufgefallen war, wohl darin bestanden, dass der Vorstand von Musculus der Polizei irgendeine wichtige Auskunft vorenthielt. Etwas noch Verborgenes war hier im Gange, ganz so, wie es der gute Katerfreund auf dem Flur angedeutet hatte.
Von Maunz machte fast den Eindruck, als sei noch Schlimmeres geschehen als der Raub der Provisionsgelder. Keinem war entgangen, dass der prachtvolle Schnurrbart des grauen Persers bei Puschels Aufforderung heftig erzitterte. Und entgegen seiner Profession wirkte selbst das schmale, seriöse Bengalengesicht seines Syndikus ungewöhnlich bestürzt, die Leopardenflecken auf dem elfenbeinfarbenen Pelz schienen zu changieren, ein exotisches Anzeichen großer Nervosität. Prokurist Kralle sah so blass und angespannt aus, als hätte er sich von dem Schreck in der Morgenstunde bislang nicht erholt.
Dennoch schwieg von Maunz, genau wie sein Anwalt.
Präsident Puschel räumte beiden noch eine kurze Gnadenfrist ein. »Na gut, dann lassen Sie erst mal hören, Murr«, verlangte er von seinem Oberinspektor.
Ein Stichwort, das diesen so auffällig Haltung annehmen ließ wie ein übereifriger Musterschüler, den es in der ersten Reihe zwanghaft nach Meldung und Selbstbeweis drängt.
»Der abgängige Tresor stand vor einem stillgelegten Kamin, watt sich, wie wir nun wissen, als bodenloser Leichtsinn erwiesen hat. Ich betone bodenlos«, legte sich Murr schadenfroh ins Zeug, in Kauf nehmend, dass er mit seiner Häme nicht weit kommen würde, doch direkter Angriff schien ihm schon immer das beste Mittel der Wahl.
»Erlauben Sie mal, was heißt in diesem Zusammenhang Leichtsinn?«, ging Tigerius Seidig sogleich dazwischen. »Der Panzerschrank stand vor einer geschlossenen, verputzten Wand.«
»Jeder, der et schafft, einen Gebäudeplan des Kontors zwischen die Krallen zu bekommen, watt wohl nich datt Schwierigste auf der Welt sein wird, kann darauf ablesen, datt hinter dem schmächtigen Mauerwerk ein alter Schacht liegt«, hielt Murr mit seiner Kodderschnauze unverzagt dagegen. »Übrigens auch an vielen anderen Stellen im ganzen Haus; da herrscht an günstigen Einstiegsmöglichkeiten kein Mangel. Wie die Versicherung datt wohl findet?«
Um die vornehme oder auch taktische Zurückhaltung des Herrn Direktors war es geschehen. Ganz so, wie es Murr und wohl auch Präsident Puschel beabsichtigt hatten.
»Verflucht noch eins, Sie unverschämter Schlaumeier!«, schnauzte von Maunz dünnhäutig. Seine kupferfarbenen Augen versprühten Funken in Richtung der ihm in ihrer schwarz-weißen Schrägheit feixend vorkommenden Visage des Oberinspektors. »Was wollen Sie damit andeuten? Der Einbau unserer hochmodernen Heizungsanlage geschah durch das bekannte Architekturbüro Katz & Haus, das die baulichen Gegebenheiten sinnvoll zu nutzen wusste. Teilweise gelang es den Ingenieuren sogar, die neuen Rohre durch die alten Schächte zu verlegen, die mit Wärme aus dem zentralen Heizraum im Keller beschickt werden. Was das elende Holz- und Kohleschleppen durch alle Stockwerke ein für alle Mal beendete.«
»Gelegenheit macht Diebe«, provozierte Grobian Murr mit ungetrübter Miene weiter. »Sparen Se sich Ihre Werbeveranstaltung für bullernde Öfen! Mich beeindruckt datt weit weniger als die Findigkeit der Gangster, die für ihre Zwecke ebenso doll und sinnvoll geplant haben wie die geschniegelten Schreibtischkratzer von Katz & Haus.«
Sergeant Fischgrät bemerkte, dass neben ihm Mouse sacht erbebte, als befiele den Inspektor bei Murrs bekannt pfotenfesten Umgangsformen allmählich ein leises Schaudern. Jerry sah zur Seite, doch das gemeinhin so ausdrucksvolle Gesicht des Siams war leer wie eine Geldkatze zum Monatsende.
Derweil nahm Murr unter Volldampf einen weiteren Anlauf. Sein abgeknicktes Ohr ließ ihn im Scheinwerferlicht verschlagen und halbseiden aussehen. »Entweder hätte man diese Schächte einfach zuschütten sollen«, überlegte der fette Hauskater laut, ohne sich um jegliche architektonische Expertise zu kümmern, »oder sie doppelt und dreifach versiegeln, damit da nix durchkommt.«
»Dann würde aber auch keine Wärme durchdringen, Herr Oberinspektor«, meldete sich die pingelig klingende Stimme von Prokurist Kralle, der sich plötzlich bemüßigt fühlte, für seinen Chef in die Bresche zu springen. Schließlich wusste er, wie stolz von Maunz auf die behutsame Modernisierung der traditionellen, noch aus Gründungszeiten stammenden Firmengebäude war, die teilweise unter Denkmalschutz standen. Was sich dieser abstoßend gewöhnliche Beamte allein durch seinen Ton herausnahm, war in den Augen und Ohren von Moritz Kralle infam. Man musste sich wundern, dass dies in Anwesenheit der ranghöchsten Vertreter des Dezernats geschah.
»Statt Wärme war et der Vorschlaghammer eines ausgekochten Ganoven der Schlitzer. ’ne echt brandheiße Angelegenheit würde ich sagen«, schnarrte Murr.
»Meine Herren, ich darf wohl bitten!«, schaltete sich ein weiteres Mal Syndikus Seidig ein. »Bleiben wir doch sachlich und vernünftig. Der heutige bedauerliche und verlustreiche Vorgang hat wohl kaum eine Unterlassung der Firma Musculus zur Ursache. Denn seien wir ehrlich: Wer wäre vorher darauf gekommen, dass innerhalb eines geschlossenen Gebäudekomplexes ein stillgelegter Kamin für etwas so Abstruses wie diesen brachialen Einbruch genutzt würde?«
Noch während er sprach, sah der Anwalt zum x-ten Mal mit nervöser Scheu zu dem klaffenden Loch in der Wand hinüber, als verhöhne dies böse Gähnen nicht nur die Würde der Firma, sondern die somit offenkundige Naivität ihrer Leitung.
»Einer ist darauf gekommen, womöglich lange bevor Katz & Haus überhaupt mit der Planung begonnen hat«, meldete sich eine kühle, kompetent klingende Stimme. Damit vermasselte Mouse dem auf den nächsten verbalen Grobeinsatz lauernden Murr erst mal die Tour. »Leider sollte man immer mit den ebenso schändlichen wie genialen Einfällen von Bakrus Ole Tyvson rechnen. Der von irgendwo aus dem Untergrund und selbst aus dem Gefängnis scharf beobachtet, abwägt und, falls ihn seine Erkenntnisse zu einem Plan inspirieren, so lange tüftelt, bis er weiß, unter welchen Vorkehrungen er diejenigen losschicken muss, die ihm bedingungslos folgen.« Inspektor Mouse begegnete seinem nächsten Vorgesetzten mit einem beinahe arglos zu nennenden Blick. »Ich schließe mich der kompetenten Einschätzung von Oberinspektor Murr an, wonach es sich bei den Tätern um niemand anderen als die Schlitzerbande unter besagtem Führer handelt, der für diesen komplizierten und aufwändigen Einbruch verantwortlich ist«, fuhr er so geschliffen wie ein Kristallglas fort.
Der mit kollegialer Anerkennung bedachte Murr schnappte nach Luft.
»Das bezeugen ja auch die grausamen Verletzungen Ihres Wachmanns«, wandte sich Mouse direkt an den Firmendirektor, was dem Oberinspektor in Anwesenheit zweier polizeilicher Schwergewichte wie Puschel und Katerfreund weiterhin keine Gelegenheit gab, Mouse gewohnt unverfroren in die Schranken zu weisen, um endlich selbst wieder zu Wort zu kommen. Aber dessen nicht genug, war es nun, als hätte dieser routiniert und selbstverständlich die Leitung eines Verhörs übernommen, bei dem die Murr’schen Holzhammermethoden versagten. Mit den zu befragenden Herren musste offenkundig eine feinere Klinge geführt werden, um durch schneidende Fragen geschickt freizulegen, was bislang ungesagt geblieben war.
Am Ende sah Murr das sogar ein und überließ dem siamesischen Schniegelburschen innerlich vor Wut kochend das Feld, hatte er doch gerade einen unauffälligen, aber für ihn deutlich zu verstehenden Blick des Heiligen Bimbams empfangen, der den Oberinspektor durchaus wohlwollend, aber entschieden zurück in die zweite Reihe beorderte.
Nach dem ungeschlachten Einstieg, der bereits eine gewisse verstörende Wirkung zeigte, war auch in Puschels Augen auf den letzten Metern Feinarbeit erforderlich. Im vorbereiteten Terrain ließ Selwyn Mouse, souverän wie immer, die Bombe platzen.
»Syndikus Seidig, wollen Sie oder der Herr Direktor uns nun bitte mitteilen, was sich außer der umfänglichen Summe von dreihundertfünfundsiebzigtausend souris d’or im Tresor befunden hat?«, lautete die Aufforderung der angenehmen, dabei so distanziert klingenden Stimme, als erübrige sich die Verweigerung einer zügigen Antwort von vornherein. »Der Schwarze Ole hätte bei einem Einbruch in die Karthäuserbank sicherlich mehr Geld erbeutet«, führte Mouse weiter aus. »Da es nach Lage der Dinge ganz danach aussieht, dass es Tyvson gelungen ist, die verzweigten Gänge der Kratzburger Kanalisation für seine üblen Zwecke zu nutzen, hätte er genauso gut versuchen können, in die Keller der Bank einzudringen, doch das hat er nicht getan. Deshalb möchte ich wissen, was hier aufbewahrt wurde, das so kostbar und begehrenswert sein muss, dass es die Schlitzer und ihren kühl kalkulierenden Chef zu diesem Fischzug reizte. Also, meine Herren, lassen Sie mal hören. Wir sind alle ganz Ohr.«
Die abschließende Einschätzung des Inspektors entsprach unbedingt den Tatsachen, denn alle im Direktorenzimmer merkten bei seinen Worten auf, vom Polizeipräsidenten und den anwesenden Kriminalern bis zu den an der Tür postierten Wachtmeistern und den beiden Mitarbeitern der KTU, die auf Anweisung des roten Charlie dabei waren, die Scheinwerfer neu zu justieren, um, wenn möglich, noch tiefer in den Schacht hineinzuleuchten. Jeder, wirklich jeder, war auf der Stelle ganz Ohr.
Direktor von Maunz, sonst selten um eine schlagfertige Entgegnung verlegen, wandte sich schweigend und mit einem betretenen Blick an Syndikus Seidig, der neben ihm stand und für einen letzten Moment der Sammlung nachdenklich ins Leere starrte. Weil aber diese Leere aus dem entsetzlichen Loch in der Wand bestand, ergab sich der Anwalt der Eloquenz des schneidigen Inspektors.
»Tatsächlich gäbe es da noch eine Mitteilung zu machen, wenn Sie darauf bestehen«, begann Seidig vage.
»Ach, wirklich?«, knurrte Murr, um nicht ganz in Vergessenheit zu geraten. »Wurde aber auch langsam Zeit.«
»Verflixt noch mal, halten Sie sich gefälligst zurück, Murr«, hielt ihn ein erstaunlich rabiat klingender Kriminalrat Katerfreund von weiteren Einschätzungen ab.
»Besten Dank«, meinte Syndikus Seidig, als wüsste er Katerfreunds Eingreifen mindesten so sehr zu schätzen, wie er den fetten Oberinspektor verabscheute. Der Blick seiner blassgrünen Augen wurde scharf und kühl wie Katzenminze. »Herr Direktor von Maunz wäre bereit, die gewünschten Informationen zu erteilen«, sprach der Anwalt zuerst Mouse an und sah dann von ihm zum Polizeipräsidenten hinüber, »vorausgesetzt, dass dies in einem deutlich kleineren Kreis geschieht und wir uns die Herren aussuchen werden, die dabei zugegen sein dürfen.« Jetzt hatte Seidig sich wieder sicher im Griff und klang entsprechend entschieden. »Da Herr von Maunz nicht verpflichtet ist, Sie in einen eher privaten Sachverhalt einzubeziehen, der nur bedingt mit dem Raub an der Firma Musculus zusammenhängt, müssen wir darauf bestehen«, schloss er hochnäsig.
»Heiliger Katzendreck, gut gebrüllt Löwe«, hörte Mouse Jerry neben sich leise maunzen. »Ob sich der Heilige Bimbam das gefallen lässt?«
Die Antwort Ignatius Puschels ließ nicht auf sich warten.
»Dass Sie es sich herausnehmen, uns Bedingungen zu stellen, obwohl Sie auf die Unterstützung der Polizei dringend angewiesen sind, vermerke ich hiermit fürs Protokoll«, sagte der große Birmakater gelassen. »Teilen Sie uns doch gleich mit, wem Sie Ihr privates Problemchen anzuvertrauen gedenken, mein guter Seidig, und dann lasse ich Sie wissen, ob mir das passt.« Seine anfangs so gleichmütig klingende Stimme ging in ein drohendes Grollen über.
Der Syndikus wich zurück und trat von Maunz versehentlich auf die Pfote. »Verzeihung«, murmelte er verdattert, aber der Direktor schenkte ihm schon keine Beachtung mehr.
»Lass es gut sein, Ignatius, keiner will hier Ärger machen, denn Ärger gibt es bereits mehr als genug«, wählte der Perserkater eine überraschend vertraute Anrede, als er sich mit schicksalsergebener Miene an Puschel wandte. Aber schließlich war man ja eigentlich per Du, verkehrte seit Jahren im gleichen Club und spielte zusammen Mizigolf. Zum zweiten Mal an diesem Morgen zückte von Maunz die große silberne Taschenuhr und sah nach der Zeit.
Bei dem bereits vertrauten Anblick kamen Mouse und Jerry unabhängig voneinander auf die Idee, ob der Herr Direktor nun nicht ein weiteres »bong, bong, bong« anstimmen würde, um nach der Belegschaft auch die ihn bedrängenden Kriminaler zur Ordnung zu rufen.
»Neun Uhr zweiundzwanzig«, verkündete von Maunz mit penetranter Genauigkeit, »in einer guten halben Stunde muss ich meinen Arbeitern Rede und Antwort stehen und mir bis dahin irgendetwas einfallen lassen, wie ich sie für den Ausfall von fünfhundert Goldmäusen entschädigen kann. Also lassen Sie uns schnell machen. Damit die Polizei fürs Erste einen Überblick über die gesamte Lage erhält, darf ich nun außer Syndikus Seidig folgende Herren ins kleine Kabinett bitten: selbstverständlich den Herrn Präsidenten und Kriminalrat Katerfreund, desgleichen Inspektor Mouse.« Danach sprach er seinen Prokuristen an und behielt den gewohnten Befehlston bei, in den er sich warm redend schnell zurückgefunden hatte. »Kralle, wollen Sie so gut sein, schon einmal nach unten zur Belegschaft zu gehen? Vielleicht könnte Sie der durchsetzungsstarke Oberinspektor begleiten. Das schafft den nötigen Respekt.«
Er schlug dies vor, obwohl jeder merkte, wie sehr Murr noch daran zu knabbern hatte, dass ihn von Maunz bei der eben getroffenen Auswahl ohne mit dem Schnurrhaar zu zucken überging und statt seiner – wie konnte es anders sein? – diesen feinen Pinkel von Inspektor einbestellte.
»Oberinspektor Murr gehört nicht zum Personal der Firma Musculus«, meldete sich Kriminalrat Katerfreund, doch ohne darauf zu dringen, ihn im Kabinett mit dabeihaben zu wollen, worauf leider auch Präsident Puschel nicht bestand und schon gar nicht Inspektor Mouse.
Dennoch wusste Murr mit sicherem Instinkt, dass dies nicht der richtige Moment war, um sich darüber zu beschweren. Nicht in dieser labilen Situation mit einem offenbar in noch größere Kalamitäten verstrickten Firmenvorstand in der oberen Etage und der um ihr Geld gebrachten Arbeiterschaft ein Stockwerk tiefer.
Das Büro des Direktors begann sich zu leeren. Alle strebten dem Ort ihres nächsten Wirkens zu, einige enttäuscht, um ein Katzenhaar nicht erfahren zu haben, welchen Schatz der Tresor außer einer Menge Geld noch enthalten hatte. Sergeant Fischgrät, der von Murr knurrend dazu aufgefordert worden war, sich mit ihm und Prokurist Kralle in die Werkshalle zu verfügen, waren aufgrund der verpassten Gelegenheit für einen kurzen Augenblick die aufgeweckten Gesichtszüge entglitten.
»Lassen Sie nur, Fischgrät«, sagte Inspektor Mouse und legte ihm aufmunternd die Pfote auf die Schulter. »Etwas sagt mir, dass Ihre Stunde in dieser vertrackten Geschichte noch schlagen wird. Nur die Ruhe und ein bisschen Geduld.«
Damit wandte er sich ab, um der kleinen Prozession zu folgen, die sich unter Führung von Felix von Maunz auf den kurzen Weg zu der unauffälligen Tür in der Wandtäfelung rechts vom Schreibtisch gemacht hatte.
Jerry sah ihm nach. Auf seinem rostfarbenen Tigergesicht war alle Betrübnis einem stolzen Lächeln gewichen.
»Kannste dir was drauf einbilden, Junge«, meinte der rote Charlie, der mit seinem Team am Tatort zurückblieb. »Inspektor Mouse scheint dich wirklich zu mögen.«
Mit einem so wohligen Gefühl in der Magengegend, als hätte er gerade eine Schale lauwarme Milch geschlabbert, verließ der Sergeant leichtpfotig das Maunz’sche Büro, was weder zum Ernst der Lage recht passen wollte noch zu dem ihm aus dem Korridor entgegenschallenden herben Anraunzer Grobian Murrs »sich, himmeldonnerwetternochmal, gefälligst zu beeilen«.
Das kleine Kabinett, das sie soeben nur noch zu fünft betraten, diente ganz offensichtlich der Bequemlichkeit des Herrn Direktors. Ein rundum vertäfeltes Schmuckkästchen von einem intimen Ruheraum, mit einem samtbezogenen Canapé, daneben ein Rauchtischchen, auf dem ein edler kleiner Humidor von Schmauch & Fauch stand und eine Flasche alter Cognac aus der Châtrente. Hinter einem halb zugezogenen Vorhang befand sich ein Waschbecken aus blassblauem Porzellan (Mouse bemerkte Barbierzeug), über dem ein ovaler Spiegel hing, in dem sich der zierliche, venezianische Kronleuchter widerspiegelte. Funkelnd erstrahlte er, sobald sich die Tür öffnete, denn das Kabinett hatte kein Fenster.
»Allerliebste kleine Denkerklause, das muss man dir lassen, Felix«, stellte Präsident Puschel anerkennend fest. »Hier werden wohl die ganz speziellen Delikatessen von Musculus ausbaldowert oder die Aktienkurse studiert.« Schon umwölkte sich seine kurzfristig aufgehellte Miene wieder, der Heilige Bimbam betrachtete den alten Bekannten mit Skepsis und Strenge. In dem plötzlich eng wirkenden Raum stand man sich dicht gegenüber, was den Eindruck eines konspirativen Treffens noch verstärkte.
»Im Namen der Familie von Maunz muss ich auf absolute Diskretion bestehen«, verlangte Syndikus Seidig von den drei Kriminalbeamten. »Von dem, was Sie gleich zu hören bekommen, darf nichts an die Öffentlichkeit dringen. Ich rechne auf Ihr Verständnis. Spätestens, sobald Sie erfahren, um was es sich handelt.«
»Dann wollen wir mal hoffen, dass sich nicht auch hinter diesen Paneelen ein Hohlraum befindet, in dem jemand mithören könnte«, entgegnete Präsident Puschel trocken.
Der Direktor und sein Anwalt gingen auf den kleinen Scherz nicht ein, doch von Maunz begann mit gesenkter Stimme zu sprechen, als gäbe es wahrhaftig keine Garantie, dass die Wände nicht doch Ohren hätten. Nach dem heutigen Morgen schien so einiges möglich.
»Meine Frau ist, wie Sie vielleicht wissen, eine geborene Killmauski, einem alten Adelsgeschlecht aus St. Grätenburg im prussischblauen Katzarenreich«, sagte er.
Das war eine so unerwartete, ja fast absurd anmutende Eröffnung, dass Inspektor Mouse für einen kurzen Augenblick Schwierigkeiten hatte, die Contenance zu wahren und nicht laut herauszuplatzen. Am leichten Zucken der präsidialen Schnurrhaare und der bemüht stoischen Miene von Katerfreund konnte er ablesen, dass es den beiden wohl ähnlich erging.
Felix von Maunz bemerkte nichts, als er gedrängt fortfuhr: »Anastasia pflegt ihren Schmuck, der aus kostbaren Erbstücken ihrer berühmten Sippe besteht, an verschiedenen Orten aufzubewahren. Allen, mit denen wir vertrauten Umgang pflegen, ist dies durchaus bekannt. Auch Prokurist Kralle weiß, dass eine der Schatullen im Firmentresor verwahrt wird. Meine Gattin war stets davon überzeugt, dass im Falle eines Einbruchs wenigstens nur ein Teil abhandenkäme, womit sie, wie wir nun leider wissen, durchaus recht hat. Als die Firma Ende letzten Jahres den neuen Tresor anschaffte, war nicht nur Anastasia von dessen vorzüglichen Sicherheitsstandards sehr beeindruckt – ich stehe da in gleicher Verantwortung –, was zu dem folgenschweren Entschluss führte, ihm ein ganz besonderes Stück anzuvertrauen …«
›Aha‹, dachte Mouse, ›allmählich, Nachtigall, hör’ ich dich singen – flöt’ mal schön weiter.‹
Die rauchgraue Nachtigall in Gestalt des sichtlich geplagten Direktors drang gerade zum Kern der Sache vor: »… ein außergewöhnliches Juwel, das meiner Frau als Leihgabe für eine begrenzte Dauer in Verwahrung gegeben wurde. Was eingedenk dessen, wem dieser Schmuck in Wirklichkeit gehört, eine ganz besondere Ehre bedeutet und nun eine Katastrophe.«
Der stattliche Perserkater sah plötzlich kläglich aus.
»Ein Kleinod als eine Art Wanderpokal für Damen der Gesellschaft?«, wunderte sich Ignatius Puschel. »Irgendwie glaube ich, so etwas schon einmal gehört zu haben. Ich meine sogar, erst kürzlich hätte meine eigene Frau mir etwas Entsprechendes aus einem Artikel in Kater’s Bazaar vorgelesen. Sapperlot, ich war wohl mal wieder ein wenig unaufmerksam.«
»Herr Direktor, bitte fahren Sie fort. Wir verlieren kostbare Zeit.« Mouse war nah daran, die Geduld zu verlieren.
»Kostbar«, pickte von Maunz aus seinem Satz das eine Wort und schmeckte ihm nach, als sei es etwas Ungenießbares. Dann nahm er den finalen Anlauf. »Es war das Grüne Auge von Katzinopel, das Anastasia erst im letzten Monat dem Tresor anvertraute. Der berühmte Smaragd der Katzaren!«
Jetzt stöhnte auch der Polizeipräsident, bevor es im Kabinett mäuschenstill wurde. Dann war es Kriminalrat Katerfreund, der als Erster das Schweigen wieder brach.
»Das kann doch nicht wahr sein«, maunzte er indigniert und kratzte sich ratlos den runden Schädel. »Ist der Stein gut versichert?«
»Ja, natürlich. Allerdings hilft uns dieser Umstand derzeit nur wenig«, schaltete sich wieder Syndikus Seidig ein, denn sein Arbeitgeber schien eine kurze Pause zu brauchen.
Die Formulierung des Anwalts wirkte auf die drei Kriminaler einigermaßen rätselhaft.
»Der Smaragd ist Teil eines Perlencolliers«, fuhr dieser fort zu erklären, »welches beim nächsten großen Empfang im prussischblauen Konsulat unbedingt getragen werden muss. Da die Killmauskis nach einigen Verwerfungen im Katerreich über die ganze Welt verstreut sind, ist dies eine Ehrbezeugung, die ihre alte Verbundenheit mit den Katzaren beweist und umgekehrt eine große Gunst. Denn das Grüne Auge gehört in Wirklichkeit niemand anderem als seiner Hoheit Katzewitsch Alexander Balkonski höchstpersönlich.«
Ignatius Puschel stöhnte erneut, diesmal lauter. Mouse schüttelte ungläubig den Kopf, während Katerfreund einen bernsteinfarbenen Blick zur getäfelten Zimmerdecke sandte.
»Dieser Empfang findet schon Anfang nächsten Monats statt«, ergänzte von Maunz und zog diesmal nicht die silberne Uhr, sondern ein großes blütenweißes Taschentuch aus der Weste, mit dem er sich die Stirn betupfte. »Unsere Nichte Natascha ist bereits aus St. Grätenburg angereist. Anastasia hat entschieden, dass sie es sein soll, die das Collier zu dem besonderen Anlass tragen und sich damit öffentlich zeigen wird, bis es ein Sicherheitskommando der Krone wieder mit zurücknimmt, um es danach einem anderen Mitglied der Sippe der Killmauskis für eine gewisse Zeit zu überlassen. Was nun alles nicht mehr möglich ist, denn ausgerechnet die Familie von Maunz hat das in sie gesetzte Vertrauen bitter missbraucht«, schloss er mit einem Anflug von Verzweiflung. »Verstehen Sie deshalb, meine Herren, hohe Versicherung hin oder er, es ist der unerhörte Skandal, den ich fürchte!«
»Und hoffentlich den berechtigten Zorn Ihrer Arbeiter«, erlaubte sich Mouse einzuwenden. »Ist Ihnen da schon Ersatz eingefallen oder geht es hier vor allem um Kronjuwelen?«
»Katzen, hört die Signale! Na, na, Inspektor, Sie klingen ja schon fast wie der rote Charlie«, meinte Präsident Puschel mit mildem Tadel und unter Hinweis auf den Chef der KTU, dessen Kämpferherz für die Gewerkschaft schlug. »Zu Ihrer Beruhigung, Mouse, die Kratzburger Polizei wird, zumal sie ja nicht einmal offiziell mit der Wiederbeschaffung des Grünen Auges von Dingsbums betreut ist, alle Kräfte auf die Suche nach dem Tresor, besser gesagt seines goldigen Inhalts verwenden. Falls es gelingt, Täter samt Beute zu stellen, wäre es mehr als wünschenswert, wenn auch nicht unbedingt wahrscheinlich, dass der Schmuck mit dabei ist.«
»Nein, ganz gewiss nicht«, stimmte ihm Mouse zu. »Für meine Begriffe war einzig und allein der in vieler Hinsicht wertvolle Stein der dicke Braten, den der Schwarze Ole gerochen hat. Man kann damit nämlich ganze Regierungen unter Druck setzen. Das Geld ist da wenig mehr als der Beiguss, mit dem er seine Leute bezahlen kann.«
»Da Sie ja nun Bescheid wissen, was haben Sie in dieser hochsensiblen Angelegenheit vor zu tun?«, erkundigte sich Syndikus Seidig, dem eigenen Namen mit seinem geschmeidigen Ton alle Ehre machend.
»Bescheid wissen über hochsensible Angelegenheit?«, wiederholte Puschel seinerseits im Schnauzton. »Ich könnte mich jetzt fein dafür bedanken, dass Sie überhaupt so gütig waren, uns zu informieren, und Sie danach diesem Wirrwarr aus Gesellschaftsgedöns, diplomatischen Verwicklungen, der Einschätzung Ihrer Versicherung sowie den prussischblauen Sicherheitsagenten überlassen. Stattdessen, weil mir die weitreichende Bedeutung dieser speziell zu behandelnden Sache durchaus klar ist und nicht zuletzt aus alter Verbundenheit mit Direktor von Maunz, der sich wie seine ganze Familie um das Wohl von Kratzburg verdient gemacht hat, was wir erst gestern noch gebührend gefeiert haben … Kurzum, aus all diesen vielschichtigen Gründen werde ich zur Fahndung nach dem verschwundenen Juwel meinen besten Ermittler abstellen.«
Im Kabinett gab es keinen, der sich fragte, um wen es sich dabei handelte, nicht einmal der Gemeinte selbst.
»Das riecht nach einem Fall für Sie, Mouse«, fühlte sich Cornelius Katerfreund dennoch bemüßigt zu sagen. »Sei es gepriesen und gepfiffen.«
»Heiligster St. Baldrian, nur ein Einziger? Sind Sie noch bei Trost und Verstand?«, empörte sich Seidig.
»Zwei«, meldete sich der Inspektor selbst. »Preisen und pfeifen können wir unter Umständen später, sollten wir das Glück haben, erfolgreich zu sein. Fürs Erste würde mir reichen, diesmal als persönlichen Assistenten Sergeant Jerry Fischgrät für meine Ermittlungen hinzuziehen zu können. Und nur Ihnen, Katerfreund, und dem Herrn Präsidenten will ich unterstellt sein und ansonsten völlig freie Pfote haben«, verlangte Mouse.
»Einverstanden, Inspektor«, konnte Ignatius Puschel gerade noch von sich geben, als jemand so donnernd anklopfte, dass es das ganze Kabinett erschütterte.