Insua - Manolo Link - E-Book

Insua E-Book

Manolo Link

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Beschreibung

Philippe, ein junger Heiler, folgt der Stimme seines Herzens und zieht im Jahre 1855 von Pamplona nach Fisterra. Im Land seiner Ahnen werden ihm auf seinen Erkundungen Weisheiten vermittelt, die ihn noch intensiver an die Wunder des Lebens glauben lassen. In einer Höhle wird ihm offenbart, dass Fisterra vor Urzeiten eine Insel im Atlantik war, die von den Einheimischen heute noch INSUA genannt wird. Unzählige Fragen tun sich auf.

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Manolo Link

INSUA

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage, Herausgeber und Autor unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

1. Auflage

www.karinaverlag.at

Lektorat: Martin Urbanek

Covergestaltung: Karin Pfolz

2019, Karina Verlag, Vienna, Austria

Print ISBN: 978-3-96443-997-0

E-Book ISBN: 978-3-96661-501-3

Dieses Buch widme ich in Liebe

unseren wundervollen Freunden

in Fisterra und Muxia

Insua

Philippe hatte mal wieder von der grünen Insel im Meer geträumt. Einer Insel die sich unweit vom Festland befand und auf der nur ein Mensch lebte. Er liebte diese Insel und fühlte eine Beziehung zu den Bäumen, Vögeln, Quellen mit klarem Wasser und den mystischen Steinformationen. Eine Höhle berührte ihn auf rätselhafte Weise.

Langsam öffnete er seine Augen. Ein wohliges Gefühl legte sich auf sein Herz, als er über den Hafen aufs Meer und zum Horizont schaute. Möwen begrüßten den sonnigen Tag kreischend in seiner neuen Heimat. Philippe dachte an seine Kindheit in Pamplona. An seine Eltern, die ihn, Marcia und ihre Enkelkinder sicherlich schmerzlich vermissten. Doch sein Entschluss, nach Fisterra überzusiedeln, war der Richtige gewesen. Sein Gefühl bestätigte seine Wahl und das Lächeln Marcias und den Kindern, bezeugten ihm jeden Tag, dass es ihre Bestimmung gewesen war in dieses grüne fruchtbare Land gezogen zu sein. Philippe bedrückte allerdings die Armut und Erkrankungen der Menschen. Er dachte oft darüber nach, auf welche Weise er ihnen am besten helfen konnte.

Obwohl Philippe durch die Heilungen, dem Geld seines Vaters und Miguel, Arzt und Freund, zu kleinem Reichtum gekommen war, hatte er mit Marcia den Entschluss gefasst, in Fisterra ein Haus zu kaufen, das nicht größer und luxuriöser als alle anderen im Ort war. Philippe passte sich den Verhältnissen seiner Nachbarn an und zeigte keinerlei Arroganz als wohlhabender Fremder. Seit seinem Besuch bei seinem Großonkel Fernando wusste er, dass die Menschen in Fisterra nicht mit Reichtum gesegnet waren. Doch das war für ihn nicht ausschlaggebend für den Ortswechsel gewesen.

Er wusste ebenfalls, dass genügend Fisch, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse und Früchte für alle vorhanden waren. Fernando war ein Beispiel dafür gewesen und hatte verdeutlicht, dass Teilen das Verhältnis unter den Menschen zum Wohle aller beeinflusst. Wer mehr hatte, gab etwas an seine Nachbarn, die weniger hatten, ab. Eine einleuchtende Lösung, die ebenfalls zu Frieden und Glück mit den Nachbarn beitrug. So gibt es keine Neider oder Menschen, die sich benachteiligt fühlen. Teilen führe zu Frieden, hatte Fernando ihm öfters gesagt. Er hatte Recht. Genauso war Philippe eingestellt, weil er gerne etwas abgab und wusste, dass Teilen glücklich macht.

Philippe stellte fest, dass die Menschen unter verschiedenen Krankheiten litten. Das war ein weiterer Grund, wie er glaubte, weshalb er nach Fisterra gekommen war, weil er ihnen helfen konnte. Oft visualisierte er heilende Energie und schickte sie, ohne das Wissen der Erkrankten zu ihnen. Er wollte seine Gabe, dass er Menschen heilen konnte, nicht preisgeben. Das hätte in seinem Leben erneut zu Komplikationen geführt, die er nicht heraufbeschwören wollte.

Zu jener Zeit war es für Menschen aus fremden Gegenden, schwierig in Fisterra in das Dorfleben aufgenommen zu werden. Für Philippe und seine Familie war es leichter, weil Fernando ihn während dessen Besuches vielen Freunden vorgestellt hatte. Die Bar La Frontera spielte in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Christina und Manuel hatten viele Freunde, die sie nach und nach Philippe und Marcia vorstellten. Mit der Zeit hatten die Einheimischen Vertrauen zu ihnen gefasst. Respekt und Freundlichkeit, besonders Kindern gegenüber, war der Schlüssel zur Integration. Das Zugehörigkeitsgefühl war für seine Frau und die Kinder ausschlaggebend für ein glückliches und zufriedenes Leben in ihrer neuen Heimat. Menschen brauchen ihre Nachbarn, wusste Philippe. Sie sind im Stande einander zu helfen und zu geben. Einsame Menschen leiden öfters an Wehwehchen und sind unglücklich.

Die Menschen in Fisterra lebten vom Fischfang. Hin und wieder verirrte sich ein Wal in die Bucht, den sie erlegten. Philippe liebte die fruchtbare Erde und pflanzte neue Gemüsesorten an. Setzlinge hatte er wohlwissend aus Pamplona mitgebracht. Er hatte viel über Vitamine und Mineralien gelesen, die für Gesundheit und Stärkung des Immunsystems von äußerster Wichtigkeit waren. Mit seinen Eltern und Miguel hatte er sich zusätzlich ausgetauscht. Er kam zu der Überzeugung, dass Ernährung, Bewegung, naturreines Wasser und Sauerstoff, die Gesundheit der Menschen entscheidend beeinflussten.

Fernandos Familienhaus wurde von seinem ältesten Sohn Antonio Miguel, deren Frau Julia Mariña und ihren fünf Kindern bewohnt. Antonio und Julia hatten den Entschluss gefasst nur noch mit ihren Zweitnamen angesprochen zu werden. Der Grund hatte etwas mit ihrer Familiengeschichte zu tun, über die sie nicht mehr reden wollten. Philippe akzeptierte dies. Sie wurden zu Philippes und Marcias engsten Freunden, wie Manuel und Christina. Manuels Familienname war Insua. Fisterra wurde von den Einheimischen ebenfalls Insua genannt. Immer wenn Philippe das Wort Insua hörte, sträubten sich ihm die Haare. Warum und weshalb wusste er nicht. Hinterfragte es auch nicht. Wenn er mehr darüber erfahren sollte, dann würde es so sein. Und wenn nicht, dann war es ebenfalls in Ordnung.

Sein Traum kam ihm wieder ins Bewusstsein. Die Insel mit ihren mystischen Felsformationen und der Höhle. Und lediglich ein Mensch hatte dort gelebt. Seltsam, dachte er, gab Marcia einen Kuss und spazierte zum Hafen, wo er seine neuen Freunde begrüßte, in sein Boot stieg und hinaus aufs Meer ruderte. Er hatte sich angewöhnt, wie die Einheimischen zu leben. So erregte er am wenigsten Aufsehen. Nur eines unterschied ihn von allen anderen. Er trank keinen Wein, was aber niemand verstehen konnte. Die häufigste Erklärung war, dass er eine Allergie gegen Wein hatte, oder irgendeine seltsame Erkrankung. Denn Wein gehörte zum Leben der Menschen, wie Fisch und Meer.

Auf eine tiefe Weise fühlte Philippe manchmal die Anwesenheit von Fernando und da war noch etwas, dass er sich nicht erklären konnte. Immer wenn er sich bei der Höhle von St. Guillermo aufhielt, hatte er das Gefühl, als wenn ihm jemand Botschaften zuflüstern wolle. Fernando hatte ihm gesagt, dass auch der heilige Leonardo in dieser Höhle gelebt hatte.

Vom Meer aus richtete er seinen Blick zum Monte Pindo, dem Berg, der in vergangenen Zeiten Olympico Celtico genannt wurde. Langsam stieg die Sonne vom Olymp der Kelten auf. Philippe konzentrierte sich nicht nur auf den Fischfang, wenn er sich auf dem Meer befand, sondern nahm ebenfalls die Naturfülle in sich auf. Eine bezauberndere Welt hätte der Schöpfer nicht erschaffen können. Die Menschen waren ebenfalls Schöpfer, dachte Philippe, obwohl es nicht allen bewusst war. Jeder Einzelne trägt zur Gestaltung unserer zukünftigen Welt bei. Jedes Wort, jeder kleine Gedanke, jeder noch so unbedeutende Glaubensfunke, gestaltet das kommende Leben auf der Erde. Zuallererst stellt sich ein Gedanke ein, eine Idee, der Glaube, etwas entdecken, schaffen zu können. Das führt, wenn der Mensch sich auf den Weg macht, zur Handlung. Jahrhunderte zuvor hatten Menschen die Idee, die Vorstellung, ein Haus zu bauen. Die ersten Häuser sahen noch recht primitiv aus. Bestanden aus einer einräumigen Hütte. Die heutigen Häuser sind recht komfortabel mit Feuerstellen, Betten, Decken, Kissen, Stühlen und Tischen. Woher wohl kam die Idee Stuhl? Woher der Gedanke einen Tisch herzustellen? Wenn nicht irgendein Mensch den Gedanken gehabt hätte und sich nicht auf den Weg begeben hätte, einen Stuhl oder Tisch zu bauen, gäbe es sie heute nicht. Dann existierten keine Häuser, keine Boote und keine Ruder, realisierte Philippe, als er die beiden Ruder in seinen Händen wahrnahm.

Die Luft war klar an jenem milden Junimorgen. Tage streckten sich über viele Stunden, als wenn sie nicht aufhören wollten zu leben. Nächte waren sternenverhangen, klar und rein. Am liebsten war ihm das Sternenzeichen Kassiopeia. Oft fuhr Philippe nachts hinaus und schaute sich die Sterne vom Meer aus an. Er kam sich oft verloren vor in diesem riesigen Universum. Fühlte dennoch deutlich seine Zugehörigkeit zu dem Unendlichen. Menschen versuchten immer wieder einzuschätzen, wie groß das Universum ist. Er war sich sicher, den Weltraum mit einer Größenordnung absolut nicht einordnen oder einschätzen zu können. Das Universum hatte nichts mit Größe oder Weite zu tun. Es war schon immer da und wird ewig existieren, sich verändern, ausdehnen, zusammenziehen, sterben und gebären. Das Universum lebt und die Menschen leben in ihm wie Samenkörner wandelnder Liebe im ewigen Strom des Lebens.

Philippe warf sein Netz aus, dachte an frischen Fisch, den Marcia und die Kinder zu schätzen wussten. Marcia liebte zudem ihren großen Garten aus dem sie nicht nur Orangen, Zitronen, Feigen und Äpfel erntete, sondern ebenfalls Kräuter für gesundes Essen angepflanzt hatte. In Galicien war es im Winter feucht, kalt und stürmisch, was oft zu Erkältungskrankheiten führte. Marcia gab großzügig von ihren Heilkräutern und trug so zur Linderung von Beschwerden ihrer Nachbarn bei. Die Menschen mochten sie, zumal Marcia immer ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu haben schien. Einige Menschen lebten jedoch nicht glücklich, wie Philippe und Marcia feststellten. Die Gründe waren Armut, Erkrankungen und Entbehrung. Manche waren unglücklich, weil sie mehr wollten, waren mit dem, was sie besaßen, unzufrieden. Alle in Fisterra hatten genügend Nahrung, ausreichend Fisch, Kartoffeln, Gemüse, Obst und Brot. Wenn nicht aus dem eigenen Garten, so erhielten sie das Nötigste von den Nachbarn. Philippe hatte noch etwas Kostbares entdeckt. In und um Fisterra befanden sich viele Quellen mit glasklarem frischem Wasser. Reines Trinkwasser war für die Menschen unvorstellbar wertvoll. Ausreichend Wasser trinken, hielt manche Erkrankung fern. Das gesamte, perfekt abgestimmte System Mensch benötigt jeden Tag Wasser und ausreichend Sauerstoff. Marcia und die Kinder holten Wasser regelmäßig von der nahegelegenen Quelle. Manchmal auch von der Quelle Cabanas auf dem Weg zum Cup Fisterra, das aus den Bergen reichlich floss.

Philippe zog seine Weste aus, die ihm in den frühen frischen Morgenstunden Wärme gespendet hatte, ließ sein Blick über den fernen blauen Horizont schweifen, atmete tief ein und erfreute sich seines Seins. Das Leben ist berauschend, fand er. Ihm fehlte nichts.

Was kann der Mensch sich mehr wünschen, als eine liebenswerte Frau wie Marcia und drei gesunde, glückliche Kinder. Er ruderte weiter im Kreis und fühlte, dass sich einige Fische in seinem Netz befanden. Philippe hatte die Philosophie von Fernando, was das Fischen anbetraf, übernommen. Er fing nur so viele, dass sie genügend für ein zwei Tage hatten und dass er einige Fische an ältere Nachbarn abgeben konnte, die nicht mehr in der Lage waren sich aufs Meer zu begeben, oder an Witwen, die alleine lebten. Es gab ausreichend Fische im Meer. Philippe holte das Netz ein und freute sich über den Fang. Langsam ruderte er zurück zum Hafen, wo ihn einige Freunde begrüßten, die sich jeden Morgen dort für ein Schwätzchen einfanden. Immer war jemand da, der ihm half, die Fische in seinen Karren zu laden.

Marcia arbeitete in ihrem Kräutergarten, als Philippe mit dem Fang des Tages eintraf. Freudestrahlend lief sie auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und gab ihm einen Kuss.

»Wie war der Fang, mein Lieber.«

»Der Fang war gut, mein Schatz. Ist das nicht ein wunderschöner Morgen?«

»Ja, schöner kann ein Tag nicht beginnen, wie dieser. Glaubst du, dass wir in den nächsten Tagen auf Regen hoffen können? Der Garten könnte etwas Wasser gebrauchen.«

»Die Fischer sind der Meinung, dass es vielleicht in zwei drei Tagen etwas regnen könnte. Jedoch nicht viel. Das kann sich auch ändern. Wir leben am Atlantik und der hat seine eigenen Launen.«

»Dann hole ich später mit den Kindern Wasser aus dem Bach und gebe es den Kräutern.«

»Das finde ich gut, dann brauchen deine zarten Pflänzchen nicht länger auf das kühle Nass zu warten.«

Sie trugen die Fische in Eimern ins Haus und Philippe machte sich gleich auf den Weg, einige an seine Nachbarn zu verteilen. Für Philippe fühlte sich das Leben reich an. Es gab allerdings auch Menschen in Fisterra, die immer mehr wollten, ihr Haus ständig vergrößerten und mehr Land kauften, weil sie mehr Fische fingen als andere. Sie fuhren nicht nur einmal am Tag hinaus aufs Meer. Bei günstigem Wetter sah man sie den ganzen Tag auf dem Wasser. Sie verkauften die Fische und kamen zu Reichtum, wie sie glaubten. Doch eigenartigerweise sahen diese Menschen nicht wirklich glücklich aus. Ihre Gesichter zeigten oft einen Schimmer von Verbitterung. Manche, die weniger hatten, sahen zufriedener aus. Sie machten sich nicht den Stress, mehr haben zu wollen als andere. Diejenigen, die teilten, was sie hatten, strahlten Glück aus und genossen die arbeitsfreie Zeit um sich am Hafen mit ihren Mitmenschen auszutauschen und für die Familie da zu sein. Es war ihnen bewusst, dass sie Geld zum Leben benötigten. Gleichwohl war ihnen ebenso klar, dass es mit etwas weniger ebenfalls möglich war.

Weil Philippe immer früh aufs Meer ruderte, hatte er anschließend Zeit zum Schreiben. Seine Erlebnisse, Gefühle und Gedanken aufzuschreiben, erfüllten ihn mit Freude und war gleichzeitig eine Art Entdeckungsreise in ihm, ins Leben und in die universelle Intelligenz, die sich, wie er glaubte, in allen und allem befand. Schließlich war alles mit allem verbunden. Philippe hatte den Entschluss gefasst, seine Erfahrungen den Menschen in schriftlicher Form zu hinterlassen, die sich dafür in Zukunft interessierten.

Während des Schreibprozesses entdeckte Philippe Erstaunliches. Oft schrieb er Worte nieder, die nicht seinen Gedanken entstammten, wie er glaubte. Er nannte sie intuitive Eingebungen, die seinen Gefühlen entsprangen. Das war für ihn immer wieder spannend und gleichsam erstaunlich. Anfangs, während solcher Erfahrungen, hatte er sich noch gefragt, wieso, weshalb und woher kommen die Worte, die er niederschrieb. Irgendwann hatte er es aufgegeben darüber nachzudenken. Denn es war nicht wichtig, woher sie kamen, sondern dass es so war. Alles hinterfragen musste und wollte er nicht.

Philippe schrieb zwei Stunden, dann unternahm er einen Spaziergang am Hafen und trank mit seinen Freunden einen Kaffee im La Frontera, wo sich zu dieser Zeit immer die gleichen Menschen aufhielten, Karten spielten, rauchten, Kaffee oder Wein tranken und sich über das Tagesgeschehen austauschten. Die Kinder von Christina und Manuel hatten mittlerweile die Bar übernommen und wie ihre Eltern, stets ein offenes Ohr für ihre Gäste und waren deshalb ebenso beliebt.

Nach dem Mittagessen, das vorwiegend aus Fisch, Muscheln, Fleisch, Eiern, Kartoffeln, Salat und Gemüse bestand, wurde Siesta gehalten. An den Nachmittagen erkundete Philippe oft mit Marcia die nähere Umgebung. Am meisten faszinierten sie die heiligen Steine auf dem Monte Facho und die Höhle von St. Guillermo auf den Anhöhen von Fisterra. Marcia tauschte sich gerne mit ihrem Mann aus. Auch sie hörte auf ihre intuitiven Gedanken und Gefühle. Und das gestaltete ihr Leben als Paar wertvoll. Sie tauschten sich offen aus und erkannten auch ihre Andersartigkeit an. So lernten sie von- und miteinander. Liebevoller Umgang, Respekt und die Beziehung zur göttlichen Intelligenz waren ihre höchsten Gebote.

Marcia hatte den Gedanken gefasst und Philippe wissen lassen, dass sie es gerne sehen würde, wenn er die Kinder von Fisterra unterrichten könnte. Sein Wissen war kostbar für die Menschen. Und diejenigen, die davon profitieren, werden es an andere weitergeben. Da Philippe keinerlei Entlohnung für seine Lehrtätigkeit beanspruchte, zeigten sich die Verantwortlichen und gleichfalls der Priester, nach längeren Gesprächen einverstanden und ließen ihn an einigen Tagen nachmittags für ein paar Stunden unterrichten. Philippe war bewusst, dass er den Kindern nichts Gegenteiliges vermitteln durfte, als das, was in der Bibel stand. Die meisten Kinder waren begeistert vom Unterricht mit ihrem neuen Lehrer. Sie lernten mit Freude. Was gibt es Besseres für Kinder als mit Freude zu lernen.

In seiner Freizeit streifte Philippe öfters umher, sah sich Land, Meer, Himmel, Steine und Pflanzen bewusst an. Fühlte in all das hinein, sodass er nicht nur alles mit dem Verstand, mit seinen fünf Sinnen, sondern auch mit dem Herzen aufzunehmen im Stande war. Sein Herz teilte ihm im Stillen mehr mit, als sein Verstand. Es war die Anderswelt, die ihn faszinierte, die mit Worten und dem Intellekt nicht zu beschreiben war. Mit Fernando hatte er sich darüber austauschen können. Das war mit vielen anderen nicht möglich. Philippes Herz teilte ihm mit, dass sich hinter der sichtbaren Welt eine weitaus faszinierendere verbirgt. Er tauchte nur zu gerne in diese Welt ein, obwohl ihm die Rückkehr in die physische Realität nicht immer leichtfiel. Fisterra in Galicien schien dazu geschaffen, um in diese Welten einzutauchen. Weshalb wohl glichen viele Felsen Echsen, Delphinen, Schildkröten und Walen? Manchmal entsprach das Gesamtbild einer erstarrten Anderswelt. Als hätte ein Bildhauer des Himmels, dies auf eine Leinwand der Natur gezaubert. Jeder Vogel, jede Blume, jeder Schmetterling, Fisch, Pilz, Baum war ein Wunder. Ein Mensch stellte ein unbegreifliches Wunder dar. Die Innenwelt eines Menschen glich dem des Universums. Die Innenwelt des Menschen war ein Universum, glaubte Philippe. Fernando fehlte ihm. Marcia hatte eine etwas differenzierte Sicht auf diese Dinge. Doch es bereicherte ihn. Wenn jeder Mensch die gleiche Anschauungsweise, ein ähnliches Bewusstsein oder Intelligenz hätte, lernten sie nicht voneinander und es wäre langweiliger bei Kommunikationen und Auseinandersetzungen. Philippe liebte die tiefen Gespräche mit Marcia, die nicht immer in Einklang endeten.

Auf der Insel spielten sich seltsame Dinge ab. Die Insel schien mit dem Land zusammenzuwachsen. Philippe erschrak, als er an jenem Morgen aus seinem Traum erwachte. Insua, dachte er. Insua heißt Insel. Demnach war Fisterra in vergangenen Zeiten ein Eiland gewesen. Ich träume ständig von der Insel Insua und heute lebe ich hier, kam ihm in den Sinn. Philippe entschied sich, nach dem Frühstück zur Höhle zu gehen. Nachdem er den moosbewachsenen Hohlweg, der wie ein Geburtskanal wirkte, hinter sich hatte, öffnete sich ihm einer seiner Lieblingsausblicke auf den Strand von Mar de Fora und gleichzeitig auf den von Langosteira. Die Landschaft zwischen den beiden Stränden bestand aus Dünen. Philippe stellte sich vor, wie es früher in Fisterra ausgesehen haben könnte, als der Wasserspiegel um etliches höher war. Aus dieser Perspektive war deutlich zu erkennen, dass Fisterra früher eine Insel war. Wieso träume ich ständig von der Insel? Und wieso lebte dort nur ein Mensch? Fragen, auf die er keine Antwort erhielt. Er wanderte weiter zur Höhle von St. Guillermo.

Immer wenn Philippe vor der Höhle stand und auf die Hinterwand schaute, schauderte ihn. Sein Gefühl schien ihm etwas mitteilen zu wollen. Aber was? Er ließ sich auf die Knie nieder, kroch zum Ende der Höhle und erschrak. Hinter den grünen Sträuchern entdeckte er eine Unregelmäßigkeit. Es sah aus wie ein Eingang. Philippe hatte keine Angst, doch diese Öffnung ließ ihn nachdenklich werden. Nachdem er Erde und einen großen Stein beiseitegeschoben hatte, öffnete sich ein Gang vor seinen Augen. Er legte sich auf den Rücken und ließ sich hinuntergleiten. Nun befand er sich im Innern der Höhle.

Überraschenderweise war es nicht vollends dunkel. Die Wände erstrahlten in einem sanften Licht. Er richtete sich auf und setzte behutsam einen Fuß vor den anderen. Auf irgendeine Art erschien es ihm, als wenn er dies alles kennen würde. Im gleichen Moment kam ihm sein Traum wieder in den Sinn. Hatte er die Höhle im Traum zuvor gesehen? Womöglich war dem so. War etwa die Zukunft in unseren Träumen schon real? Waren Menschen in der Lage, in Träumen die Zukunft zu sehen? Warum nicht, dachte Philippe. Wie wohl ist das Leben zu verstehen? Alles ist voller Geheimnisse. Niemand weiß, wo es hinführt und niemand weiß, wo wir herstammen. Wieso wissen wir Menschen nicht, wo wir herkommen? Wir leben auf einem Planeten im unendlichen Universum, dem Menschen irgendwann den Namen Erde gegeben haben. Auf Spanisch heißt er Tierra. Fisterra, auf Spanisch Finisterre, bedeutet Ende der Erde. Früher glaubten die Menschen, dass die Erde eine Scheibe sei und demnach Fisterra das Ende der Welt war.

Der Tunnel erstreckte sich linker Hand und führte tiefer in den Berg hinein. Irgendetwas hinderte ihn, sich weiter vorzuwagen. Wenn jemand anderes die Öffnung entdeckt, was dann? Er entschloss sich, zurückzugehen und das Geheimnis für sich zu bewahren. Als er zum Eingang gelangte, kroch er aus der Höhle, schob Erde und den großen Stein davor und dehnte die Sträucher so, dass sie alles verdeckten. Das gleißende Licht der Sonne blendete ihn, sodass er die Augen mit seiner Hand beschattete. Das Erste, was er erblickte, als er seine Augen wieder öffnete, war der Olymp der Kelten, der ihn magisch anzuziehen schien. In jenem Moment fühlte Philippe eine intensive Verbindung zwischen der Höhle von St. Guillermo und dem kraftvollen Berg, den sich die Kelten als Sitz ihrer Götter auserkoren hatten. Die weisen Druiden wussten von den Naturkräften, von der Weisheit der Natur und wo Energien verstärkt auftraten. Das spürten feinfühlige Menschen, Tiere und Pflanzen. Philippe nahm sich vor, in den nächsten Tagen den Olymp der Kelten zu erkunden. Doch jetzt war es an der Zeit, sich auf den Weg zum Mittagessen zu begeben. Ansonsten würden Marcia und die Kinder ihn vermissen.

Singend wanderte Philippe den Berg hinunter, nahm den Geruch der Erde in sich auf, schaute aufs weite Meer und sah ein großes Boot. Ein wohlhabender Einwohner hatte sich ein stattliches Boot zugelegt, um mehr Fische zu fangen, was vielerlei Diskussionen und Neid unter den anderen Fischern ausgelöst hatte. Wenn immer mehr Fische gefangen werden, dann haben die Fische keine Zeit mehr, neue Fische zu erzeugen. Das Ergebnis wird sein, dass es irgendwann keine Fische mehr geben wird. Und das ist für niemanden von Nutzen.

Marcia begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln:

»Essen ist fertig mein Lieber. Die Kinder sind hinter dem Haus und spielen mit dem Hund, sie kommen gleich.«

Philippe nahm sie ihn den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen: »Ich liebe dich, Marcia.«

»Ich dich auch, mein Schatz.«

Philippe schlenderte zum Schrank, nahm fünf Teller und das Besteck aus der Schublade. Ihre Kinder kamen nach und nach in die Küche.