Ein neues Leben auf Bali - Manolo Link - E-Book

Ein neues Leben auf Bali E-Book

Manolo Link

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Beschreibung

Das Aufeinandertreffen zweier Menschen, Aufarbeitung der Vergangenheit und die gemeinsame Liebe, führen den Leser in dieser wahren Geschichte auf die Insel der Götter. Dieses Buch wurde mit dem Preis "Best Author 2018" in Gold des Karina Verlages ausgezeichnet.

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Seitenzahl: 209

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Manolo Link

Ein neues Leben auf Bali

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung der Verlage, Herausgeber und Autor unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

1. Auflage

www.karinaverlag.at

Lektorat: Regina Karolyi, Monika Thees

Covergestaltung:Paula Nolan

2018, Karina Verlag, Vienna, Austria,

Print: ISBN: 978-3-96111-706-2

E-Book: ISBN: 978-3-96610-396-1

Dieses Buch beruht auf Tatsachen. Zum Schutz der

Persönlichkeitsrechte wurden einige Namen geändert.

Für Gisela

Das Buch ist ihr Vermächtnis

1 Abschied

An Zufälle glaubte ich nicht mehr, seit ich all das Unerklärliche in den letzten Jahren erlebt hatte. So wunderte ich mich auch nicht, dass wir nicht den Persischen Golf wie bei früheren Flügen nach Asien, sondern Polen und Russland überfliegen würden. Meine Haare sträubten sich jedoch, als ich Minuten später auf dem Flugmonitor sah, dass wir über Leipzig flogen. Gisela war in Leipzig zur Welt gekommen. Dort hatte ihr Leben ihren Ursprung.

Mein Schwager Franz, der mir den Fensterplatz überlassen hatte, war in seine Zeitung vertieft. Nach elf Stunden landeten wir in Bangkok, wohin mich vor Jahren meine erste und auch letzte Fernreise mit Gisela geführt hatte. Ich vermisste meine Frau umso mehr, als ich an die wundervolle Zeit denken musste, während der wir unser Fernweh gestillt hatten. Fünf Stunden später hob unsere Maschine mit Ziel Bali ab. Tränen schossen in meine Augen, als ich daran dachte, was uns bevorstand. Ich liebte Bali, ich liebte es sehr. Doch der Grund, zum dritten Mal in dieses paradiesische Inselreich einzutauchen, stimmte mich erneut sehr traurig. Als ich Bali unter mir erblickte, glich meine Gefühlswelt den Turbulenzen, die unser Flugzeug erschütterten, während wir durch riesige Tropenwolken flogen. Der Kapitän setzte die Maschine bei herrlichem Sonnenschein sanft auf.

Ich machte mir Sorgen wegen der Urne. Der normale Transportweg wäre per Cargo gewesen. Der Bestatter hätte sie vom Flughafen abgeholt. Bei der Gepäckkontrolle würde der Karton bestimmt Aufsehen erregen.

»Wie bekommen wir die Urne aus dem Flughafen, ohne dass die Beamten unangenehme Fragen stellen oder gar verlangen, den Karton zu öffnen?«, fragte ich Franz.

»Mach dir nicht so viele Gedanken. Es wird keine Probleme geben«, beruhigte er mich.

Nachdem wir unsere Visagebühr entrichtet und die Passkontrolle hinter uns gelassen hatten, gingen wir zum Gepäckband. Unruhe stieg in mir auf. Ob die Urne beide Flüge unversehrt überstanden hat? Nach kurzer Wartezeit erblickte ich den Karton neben meinem kleinen Koffer. Erleichtert nahm ich ihn auf und reichte ihn Franz.

An der Gepäckkontrolle fiel mir eine Frau auf, die vor ihrem geöffneten Koffer stand. Bevor ich Franz mitteilen konnte, sich dorthin zu begeben, weil ich annahm, dass nicht jeder Passagier überprüft würde, beorderte ein älterer Beamter ihn schon mit einer unmissverständlichen Handbewegung zu sich. Natürlich konnte er die Aufforderung nicht ignorieren. Hoffentlich, hoffentlich fragt er nicht, was sich in dem Karton befindet. Er fragte: »Was ist da drin?«, vernahm ich die Worte des Balinesen, als Franz vor ihm stand.

»Asche«, antwortete jener selbstbewusst.

Ungläubige, fragende Augen blickten abwechselnd auf den Karton und Franz.

»Was ist da drin?«, fragte der Beamte erneut.

»Asche!«

Ich wurde immer unruhiger und bewunderte gleichzeitig Giselas Bruder, der geduldig und scheinbar ruhig die Fragen beantwortete.

»Öffnen Sie den Karton!«, befahl der Beamte. Ich fühlte meinen Herzschlag, Schweiß trat auf meine Stirn. Franz folgte der Aufforderung. Zum Vorschein kam ein zweiter, grauer, verschnürter und verplombter Karton.

»Waaas ist da drin?«, fragte der Beamte immer ungeduldiger.

Er hat es dir doch schon tausendmal gesagt, ärgerte ich mich. Lass ihn endlich durch. Bitte, lieber Gott, hilf uns und sage dem Menschen, dass er Ruhe geben soll. Die Situation wurde unerträglich.

»Die Asche meiner Schwester«, antwortete Franz.

»Wo wohnt ihre Schwester?«

»Meine Schwester ist gestorben, und ihre Überreste befinden sich hier in diesem Karton.«

Ungläubige Augen fixierten Franz.

»Können Sie den Karton öffnen?«, ließ die nächste Frage nicht lange auf sich warten. Franz zeigte auf die Plombe und erklärte gestenreich, dass dies nicht möglich sei. Nun sah ich Respekt und eine leichte Verunsicherung in den Augen des Beamten. Irgendwie fand er keine Lösung, wirkte unentschlossen. Mit einer hektischen, jedoch eindeutigen Handbewegung ließ er Franz endlich ziehen. Geschafft! Mein Körper fühlte sich nun wesentlich leichter an. Giselas Worte kamen mir in den Sinn: »Nimm Franz mit nach Bali, deine Englischkenntnisse reichen nicht aus, um die Formalitäten zu erledigen.« Wie recht sie gehabt hatte.

Auf der Fahrt zum Hotel, als ich den Anblick der Menschen in ihren farbenprächtigen Sarongs und der lieblich grünen Reisfelder bewusst in mich aufnahm, war Bali mir gleich wieder vertraut. Unser Hotel war ein Traum. Beim Ausladen des Gepäcks eilten zwei junge Pagen herbei. Wir lehnten ihre Hilfe dankend ab, weil unser Gepäck nicht schwer war, was sie, ihrer Gesichtsmimik nach zu urteilen, nicht verstehen konnten.

»Wer nimmt die Urne mit?«, fragte Franz.

»Ich nehme sie«, sagte ich nach kurzem Zögern.

Auf meinem lichtdurchfluteten Doppelzimmer, mit Blick auf den paradiesischen Palmengarten, überlegte ich, auf welcher Seite Gisela am liebsten geschlafen hätte. Eine Schwere legte sich auf mein Herz, als mir so richtig bewusst wurde, dass ich die Überreste Giselas in meinen Armen hielt. Weil sie gerne am Fenster schlief, stellte ich die Urne auf die Nachtkommode neben der Balkontür. Wie schön wäre es gewesen Gisela nun in meine Arme zu nehmen, mich mit ihr über das schöne Zimmer, den Garten und die Reise zu freuen. Oft haben wir uns wie Kinder über die bereichernden kleinen Dinge des Lebens gefreut. Gisela hatte eine herzliche Art, ihre Freude offen und fröhlich zu zeigen. Ihr Lachen war ansteckend, einfach bezaubernd. Deshalb war sie bei ihren Mitmenschen so beliebt. Sie war eine wundervolle Frau.

Im Bad vor dem Spiegel versuchte ich herauszufinden, was der Grund für den unangenehmen Juckreiz in meiner Achselhöhle war. Im Hospiz hatte Gisela mich mehrmals gefragt, was ich für ein Ekzem habe. Ihre Worte hatten mir damals nichts gesagt. Nun befand sich in meiner Achselhöhle ein Ekzem. Nachdenklich stieg ich unter die Dusche. Liebend gerne wäre ich anschließend ins Bett gegangen. Ich war hundemüde wegen der langen Reise und der Zeitverschiebung. Doch von früheren Reisen nach Asien wusste ich, dass es besser ist, sich gleich dem Rhythmus des Landes anzupassen. Deshalb zog ich mich an und ging hinunter durch die kühle Hotelhalle in den Garten, mit seiner tropischen Pflanzenpracht, zum Meer.

Gedankenversunken schlenderte ich über den Strand von Sanur, an dem sich wenige Menschen befanden. Ein Blick auf meine Uhr signalisierte mir, dass es Zeit sei, zurückzugehen. In unserer Hotelanlage setzte ich mich auf einen Stuhl. Meine müden Augen schweiften übers Meer. Wie sehr Gisela Bali und die freundlichen Menschen doch geliebt hatte. Als sie vor vielen Jahren mit ihren Eltern zum ersten Mal nach Bali kam, hatte sie das Gefühl gehabt, nach Hause zu kommen. Die Insel war ihr sehr vertraut erschienen, so, als wäre sie schon einmal dort gewesen. Ihre Eltern hatten ihr mit der Reise eine große Freude bereitet.

Erschrocken schaute ich Franz an, der plötzlich vor mir stand.

»Hallo, Mano, bist du eingeschlafen?«

»Nein, ich musste an Gisela denken. Hast du Mr. Sumastra erreicht?«

»Ja, er kommt morgen gegen zehn ins Hotel«, sagte er erleichtert.

Wir gingen hinunter zum Strand. Das Meer war dunkelblau. Ein sanfter Wind strich über mein Haar. Eine Balinesin kam lächelnd auf uns zu. »Apa khabar?«, fragte ich. »Baik, baik«, antwortete sie etwas verlegen und war erstaunt, dass eine Langnase, wie die Europäer heute noch manchmal genannt werden, sie auf Indonesisch ansprach. Die üblichen Fragen folgten in gebrochenem Englisch. Wo kommt ihr her? Verheiratet? Wie viele Kinder? Junge oder Mädchen? Wie alt? Balinesen würden niemals verstehen, dass es erwachsene Menschen gibt, die nicht verheiratet sind und keine Kinder haben. Wir verabschiedeten uns: »Selamat tinggal – Friede deinem Bleiben«, sagt derjenige, der geht. »Selamat jalan – Friede deinem Weg«, antwortet der Bleibende. Wie schnell mir diese Menschen doch wieder vertraut waren, mit ihrem ehrlichen, offenen Lachen, mit einem gläubigen Herzen, das die Herzen vieler, die das Glück haben, ihnen zu begegnen, mit Liebe erfüllt. Wie üblich in diesen Breitengraden, hielt die Dunkelheit schnell Einzug. Stille war fühlbar. Sie wirkte beruhigend auf mich.

»Was machen wir heute Abend?«, fragte ich Franz.

»Im Hotelgarten werden balinesische Tänze aufgeführt. Dazu gibt es ein indonesisches Buffet.«

»Das würde mir gefallen. Ich ziehe mich um, dann können wir uns anschließend im Garten treffen.«

»Ja, gut, bis gleich.«

Obwohl wir relativ spät zu der Veranstaltung erschienen, wies uns ein Kellner einen Tisch in Bühnennähe zu, der mit einer schneeweißen Decke und Stoffservietten festlich eingedeckt war. Mondschein beleuchtete das Meer und verlieh ihm einen geheimnisvollen Glanz. Aus einem wolkenlosen Himmel erstrahlten unzählige Sterne. Eine berauschende Nacht.

Vertraute Klänge des Gamelan-Orchesters ertönten. Der Legong wurde angekündigt. Auf Bali hat jeder Tanz eine besondere Bedeutung. Nach alter Überlieferung stellt der Legong den himmlischen Tanz göttlicher Nymphen dar. Er wird als anmutigster aller klassischen Tänze Balis bezeichnet. Es ist der Traum eines jeden Mädchens, Legong-Tänzerin zu werden. Schon im zarten Alter von fünf Jahren werden die Mädchen von einem Komitee geprüft und danach für die schwierige Ausbildung ausgewählt. Weil ausschließlich Kinder ihn tanzen, endet ihre Karriere mit vierzehn.

Als elitärster aller Tänze wird der Legong Kraton angesehen, der in früheren Zeiten nur in Palästen den Fürsten vorgeführt wurde. Lediglich die schönsten und talentiertesten Mädchen tanzten ihn. In heutiger Zeit finden Legong-Kraton-Tänze häufig bei Tempelfesten ihre Aufführung. Und wie an jenem Abend auch auf touristischen Veranstaltungen. Abstrakt und stilisiert wirken die Bewegungen der Tänzerinnen. Vorherrschend wird er von drei Mädchen getanzt, von denen zwei Mitglieder des Königshauses darstellen. Diese stets gleich gekleideten Tänzerinnen werden als »Legong«, was so viel wie Tänzer bedeutet, bezeichnet. »Condong« wird die dritte Tänzerin genannt. Sie stellt eine Figur aus dem Gefolge dar. Tänzerisch wird die Geschichte vom König von Lasem erzählt, der im Wald das verirrte Mädchen Rangkesari findet. Er nimmt es gefangen und sperrt es in ein Haus aus Stein. Ihr Bruder, Prinz von Daha, droht dem König mit Krieg, falls er seine Schwester nicht wieder in die Freiheit entlässt. Weil der König nicht nachgibt, kommt es zum Krieg. Letztendlich stellen die Legong-Tänzerinnen pantomimisch-tänzerisch die Geschichte des Kampfes dar, der seinen Ursprung im 12 Jh. hat.

Zauberhaft sah die junge Tänzerin in ihrem engen Brokatkostüm aus, die nun die Bühne betrat. Geschmeidig glitt sie zu Boden, um sich in einer scheinbar übergangslosen Bewegung wieder zu erheben. Gleichmäßig ließ sie die Finger um ihre Handgelenke kreisen, während sie ihren Körper mit ausgestreckten Ellbogen zu einem Bogen bildete. Unglaublich, wie sie sich gleichzeitig auch noch auf Fächerbewegungen, Fußstellung und Augenhaltung konzentrieren konnte.

Freundlich kümmerten sich die balinesischen Kellner um unser Wohlergehen. Während ich fasziniert dem anmutigen Tanz zusah, der tiefste Emotionen in mir auslöste, weil er mich ständig an Gisela erinnerte, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Am liebsten wäre ich vom Tisch aufgesprungen und weggelaufen. Mir war, als befände ich mich in einem Film. Als entspräche nichts von dem, was sich ereignete, der Realität. Gisela war mir in diesem Moment so unvorstellbar nahe. Glücklicherweise folgte die letzte Tanzaufführung, sonst wäre ich wahrscheinlich doch fortgerannt.

Ich wollte alleine sein, mich bewegen, ging zum Meer und ließ meinen Tränen freien Lauf. Das Weinen tat gut. Irgendwann konnte ich meine Augen nicht mehr aufhalten, schlenderte zum Hotel und legte mich ins Bett. Beim Blick auf den Karton fühlte ich zum ersten Mal eine Liebe für das verschnürte Paket. Ihre Überreste gaben mir das Gefühl, dass Gisela bei mir sei. »Gute Nacht, mein Schatz.«

Mitten in der Nacht wurde ich wach. Verwirrt schaute ich mich im leicht erhellten Zimmer um. Wo bin ich? Was mache ich hier? Mein Körper fühlte sich heiß an, ich war nass geschwitzt. Reste von schweren Träumen schwirrten in meinem Kopf umher. Der Karton holte mich in die Gegenwart zurück, beruhigte mich.

Erschrocken schaute ich auf die Uhr, als ich die schrillen Töne des Telefons vernahm. Acht! Ich nahm den Hörer ab. Ein Balinese wollte mir eine Ausflugstour verkaufen. Halbwach gab ich ihm zu verstehen, seine Dienste nicht in Anspruch nehmen zu wollen und wunderte mich gleichzeitig, dass mir dies in Englisch gelang. Ich schaute zum Karton: »Guten Morgen, Gisela«, stand auf, obwohl ich liebend gerne noch einige Tage geschlafen hätte, und ging unter Wasser (Giselas Worte, wenn sie ein Duschbad nahm). Nachdem ich eine leichte Hose und mein kurzärmeliges Hemd angezogen hatte, ging ich zu Franz’s Zimmer und klopfte an die Tür. Wir freuten uns auf ein gutes Frühstück und begaben uns zum Restaurant, das sich im Garten befand.

»Selamat pagi«, – »Friede deinem Morgen«, entgegneten wir dem Kellner, der uns freundlich auf Englisch begrüßte. Verlegen kicherte er. Wir setzten uns an einen Tisch mit Meerblick. Eine leichte Frische fühlte ich auf meinen Armen. Kaffee wurde serviert. Das gesamte Frühstücksbuffet spiegelte die Wärme der Menschen wider. Ananasstücke waren in Stern- und Melonen in Herzform geschnitten und liebevoll präsentiert. Gisela liebte Papaya.

Nach dem Frühstück setzten wir uns in die Hotellounge und warteten auf den Bestatter. Schon als Mr. Sumastra die Hotelhalle betrat, ahnte ich, dass er es war, obwohl ich ihn nie zuvor gesehen hatte. In seinem braunroten Sarong stellte er eine würdevolle Erscheinung dar. Er war Mitte fünfzig, groß gewachsen und hatte volles kräftiges Haar. Vom ersten Augenblick an strahlte er mit seinen sanften braunen Augen eine Liebenswürdigkeit aus, die mein Herz berührte. Ich wunderte mich über seinen weichen Händedruck bei unserer Begrüßung. Später erfuhr ich, dass ein fester Händedruck auf Bali verpönt ist, weil niemand durch Muskelkraft seine Stärke beweisen muss.

Wir besprachen mit ihm den Ablauf der Bestattungszeremonie. Mr. Sumastra teilte uns mit, dass wir Giselas Asche, ihrem Wunsch entsprechend, in GitGit am Wasserfall beisetzen durften. Beim letzten Fax hatte er dies noch als unmöglich erklärt, weil es auf Bali üblich ist, die Asche der Verstorbenen dem Meer zu übergeben. Alles würde in Giselas Sinn stattfinden, dachte ich. Wie verabredet würde ein Pedanda-Priester (Hohepriester im Hinduismus) die Feierlichkeiten abhalten. Seinen Angaben zufolge wäre mittags um eins die beste Zeit für die Bestattung, weil die Konstellation der Sterne dann am günstigsten sei. Morgen früh um elf würde uns jemand im Hotel abholen, versprach Mr. Sumastra und verabschiedete sich.

Die verbleibenden Stunden des Tages wollten Franz und ich nutzen, um uns etwas von dem Bali anzusehen, das Gisela so geliebt hatte. Besonders mochte sie die hübschen Menschen. Sie liebte deren bunte, fröhliche Kleider, die Art, wie sie respektvoll mit einander umgingen, und ihre Geduld. Gisela liebte das Grün der kunstvoll angefertigten Reisterrassen, die Palmen, die Blütenpracht, die Wärme, die Gerüche und Balis Religion.

Vor dem Hotel boten uns einige Taxifahrer ihre Dienste an: »Mister transport, mister transport?« Unser Fahrer, mit dem wir uns schnell über Preis und Ziele einigten, trug den Namen Rai und erwies sich als ruhiger, besonnener Vertreter. Durch Balis Hauptstadt Denpasar fuhren wir Richtung Norden, sahen erste Reiskulturen und fleißige Menschen, die in der Hitze des Tages ihre schwere Arbeit verrichteten. Das intensive Grün, das mich immer schon an diesem Land faszinierte, stimmte mich etwas hoffnungsvoller. Auch ich liebte Bali. Mit einem Mal war Ruhe in mir. Ich empfand eine tiefe unerklärbare Dankbarkeit und Liebe, obwohl es schmerzhaft war. Irgendetwas schien mir erklären zu wollen, dass alles seine Richtigkeit habe und ich Vertrauen haben solle.

Bewusst nahm ich beim Blick aus dem Fenster das lebhafte Treiben links und rechts des Weges auf. In den Flüssen badeten Menschen und wuschen ihre Wäsche. Eine alte Frau trug wie vor Tausenden von Jahren einen schweren Krug auf ihrem Kopf. Die Reisterrassen glichen Kunstwerken in Grün. Ich fühlte mich in eine andere Zeitepoche versetzt. Wann immer Rai seinen Wagen parkte, erfreuten meine Augen sich an den kleinen Opferschalen, liebevoll verziert mit Reis, Keksen und bunten Blütenblättern, mit denen die Balinesen den Göttern huldigen. Überall waren sie zu sehen. Zu Füßen der Götterskulpturen, an Reisfeldern, vor Haustüren, an Flüssen und sogar im modernen Flughafengebäude.

Die Balinesen glauben, das Land, auf dem sie leben und das sie bearbeiten, nicht zu besitzen, sondern lediglich gepachtet zu haben. Deshalb behandeln sie es sorgsam, um es ihren Nachkommen in einem guten, fruchtbaren Zustand zu hinterlassen. Die Ausbeutung der Erde wäre eine schwere Verfehlung, würde die Götter erzürnen und die Ernten mager ausfallen lassen. Balinesen fühlen sich als Teil des Landes. Sie schmücken dieses Land ebenso wie die vielen Schmetterlinge, vielfarbigen Hibiskus Blüten, die feurigen Weihnachtssterne und die leuchtenden Bougainvillea. Sie legen die Reisterrassen so an, dass es den Göttern gefällt. Entsprechend kunstfertig gestaltet, bieten sie dem Betrachter ein anmutiges Bild. Auf dieser Insel passt einfach alles zusammen. Menschen, Tiere, Pflanzen, die Erde und das Meer bilden eine Einheit. Ganz Bali ist eine Einheit. Ganz Bali ist Religion.

Immer deutlicher fühlte ich, dass Gisela ihrem Bruder und mir ihrBali nahe bringen und zu verstehen geben wollte: »Seht, wie schön und bezaubernd es hier ist. Hier wollte ich hin, hier bin ich, und hier bleibe ich.« Unser Aufenthalt kam mir vor wie ein Abschiednehmen, ein endgültiges unwiderrufliches Abschiednehmen, das sich über mehrere Tage und Stationen hinzog.

Weil ich eine Toilette aufsuchen musste, bat ich Rai, bei nächster Gelegenheit anzuhalten. »Kamar kecil«, lachte er, was wortwörtlich »kleiner Raum« bedeutet. Minuten später parkte er den Wagen. Während ich die Stufen zum Restaurant hochstieg, fühlte ich Außergewöhnliches. Mir wurde klar, dass ich mit Gisela, Bärbel und Klaus schon einmal hier gewesen war. Wir hatten das Paar aus Bad Tölz während unserer letzten Balireise im Hotel kennen gelernt. Bärbel, eine Weltreisende, hatte ihren Verlobten, einen Urbayern, überredet, auf Bali zu heiraten. Gisela war damals Trauzeugin, ich für die Hochzeitsfotos zuständig gewesen.

Nachdem ich meine Notdurft verrichtet hatte, verspürte ich den Wunsch, mich nochmals im Restaurant umzusehen. Dass sich ausgerechnet auf dem Tisch, an dem wir damals gegessen hatten, ein Reservierungshinweis befand, obwohl das gesamte Restaurant mit etwa sechzig Tischen fast leer war, fiel mir gleich auf. Doch was mir unheimlich erschien und eine Gänsehaut bereitete, war die Tatsache, dass im ganzen Restaurant nur ein Stuhl an einem Tisch angelehnt war. Und dieser Stuhl war derjenige, auf dem Gisela gesessen hatte. Ich konnte mich genau daran erinnern: Der besagte Stuhl war Gisela im Wege gewesen, während sie ein Foto von uns machen wollte. Deshalb hatte sie den Stuhl an den Tisch angelehnt. Auf dem Bild ist dies deutlich zu erkennen. Nachdenklich stieg ich die Stufen hinunter.

Es dauerte nicht lange, bis wir Besakih, den Muttertempel aller balinesischen Tempel, erreichten. Franz trug eine kurze Hose und musste sich daher einen Sarong besorgen, den ihm ein Verleiher fachmännisch um die Hüfte wickelte. Mit entblößten Beinen darf niemand die Tempelanlage betreten. Der bunte Sarong passte vortrefflich zu Franz’ weißem Hemd. An jenem Tag hatten wir das seltene Glück, den Gunung Agung, Balis höchsten Vulkan, im Hintergrund bei strahlend blauem Himmel anzutreffen. Meistens versteckt er sich hinter dicken Tropenwolken. Die Balinesen glauben, dass sich ihre Götter die Berge als Thron errichtet haben. Für sie bedeutet der Gunung Agung der Nabel der Welt.

Langsam stiegen wir die zahlreichen Stufen hinauf, bis sich uns das Innere der Anlage öffnete, das von vielen betenden und opferbringenden Gläubigen, in traditionellen gelben Sarongs und weißem Oberkleid, gesäumt wurde. Ein älterer Tempelwächter kam lächelnd auf uns zu. In gutem Englisch bot er seine Dienste als Fremdenführer an. Wir nahmen sein Angebot gerne entgegen. So hatten wir einen Einheimischen, der uns in die Geheimnisse des mystischen Ortes einzuweihen vermochte. Voller Stolz erklärte er uns die Bedeutung und Geschichte der heiligsten Stelle auf Bali. Innerhalb des Tempelbereichs hat jedes Fürstentum Balis sein eigenes kleines Gotteshaus. Der Besakih symbolisiert die religiöse Einheit des hinduistisch-balinesischen Glaubens. Mit leuchtenden Augen erzählte der Alte uns von einem Wunder, das sich im Februar 1963 während des Eka Dasa Rudra ereignet hatte. Es ist das größte balinesische Opferfest, das nur alle hundert Jahre gefeiert wird. Schon bei den Vorbereitungen zum Fest zeigte der Gunung Agung erste Anzeichen eines Ausbruchs. Zur Eruption kam es ausgerechnet am 8. März, während der Opferzeremonien. Über hundert Menschen fanden den Tod. Unzählige Häuser, sowie nahezu die gesamte Ernte der Insel wurden zerstört. Jahrhunderte hatte sich der Gunung Agung ruhig verhalten. Weil er ausgerechnet zum Eka-Dasa-Rudra-Fest seine Lavamassen ausspie, glaubten die Balinesen, dass die Götter verstimmt seien. Doch auf wundersame Weise wurde die Tempelanlage von der herabströmenden Lava verschont. Kurz vor der Anlage teilte sich der Lavastrom ohne erklärbaren Grund und floss rechts und links am Tempel vorbei.

Nach der 90-minütigen Führung waren wir tief beeindruckt und bedankten uns herzlich. Mit weichem Händedruck verabschiedete uns der ständig lächelnde Alte. Mich verblüffte, dass Menschen überhaupt in der Lage sind, ständig zu lächeln. Wir gingen zum Sarongverleiher, der Franz aus seinem Sarong wickelte. Nach einem kurzen Abstecher in die kamar kecil stiegen wir in den Toyota, der nun als Sauna hätte dienen können.

Bei Penelokan, einem kleinen Gebirgsdorf, bot sich uns ein einzigartiger Blick auf den heiligen Gunung Batur, einer der aktivsten Vulkane dieser Erde. Vor unseren Füßen breitete sich tiefblau, in einem fünfzehn Kilometer langen Krater eingebettet, der Batursee aus. Mutter Natur hatte an diesem Ort eine Landschaft geschaffen, die mich mit Ehrfurcht erfüllte. Es dauerte nicht lange, bis wir die Aufmerksamkeit von einigen Händlern erregten. Die Menschen waren nicht reich mit Materiellem gesegnet, besaßen jedoch etwas viel Wertvolleres. Ihr Glaube, ihre Liebe, ihr Lachen, ihre Arbeit und ihr Glücklichsein sind ihr Reichtum. Und das hat für mich einen weitaus höheren Stellenwert als alles Geld und Gold dieser Erde. Nie zuvor in meinem Leben sind mir Menschen begegnet, die eine solche Zufriedenheit ausstrahlen und so viel lachen, obwohl auch sie in vergangenen Tagen, Krieg und Gewalt über sich ergehen lassen mussten.

Rai riet zum Aufbruch, wenn wir den spektakulären Sonnenuntergang bei Tanah Lot nicht verpassen wollten. Tanah Lot, ein kleiner Tempel, der auf einem Felsen in Ufernähe thront, bedeutet Land inmitten des Meeres, und er wird von zwei riesigen heiligen Schlangen, die in einem der Schreine leben, bewacht. Nach flotter Fahrt erreichten wir einen von Balis touristischen Höhepunkten. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Meer wurden Erinnerungen in mir wach. Ich musste daran denken, wie glücklich und voller Vorfreude Gisela gewesen war, als wir vor nicht allzu langer Zeit den gleichen Weg zurücklegt hatten.

Unmittelbar am Strand befinden sich einige kleine Restaurants. In einem davon verfolgten wir bei einem kühlen Getränk den an Schönheit nicht zu überbietenden Sonnenuntergang. Als die meisten Touristen schon in ihren Bussen und Autos saßen, bewunderten wir den nun feuerroten Himmel.

Zu Bali bekam ich eine immer tiefere Beziehung. Und ich war davon überzeugt, dass es Giselas Bruder nicht anders erging. Ich fühlte, dass mir der Abschied von Bali dieses Mal sehr schwer fallen würde. Auf der Nachtfahrt nach Sanur beschäftigten mich die Erlebnisse des Tages. Über spärlich beleuchtete Straßen, erreichten wir unser Hotel. Wir verabschiedeten uns von Rai, einem Menschen, den wir liebgewonnen hatten. Es fiel mir leicht, diese Menschen ins Herz zu schließen. Man musste sie einfach mögen. Ich bin überzeugt, dass die Religion und der damit verbundene Glaube die Menschen auf Bali rücksichtsvoller und freundlicher miteinander umgehen lassen. Balinesen achten und respektieren einander mehr als wir in unserer europäischen »Ellenbogen-Gesellschaft«, wo manche nur an sich selber denken. Natürlich sind auch sie nicht perfekt, natürlich haben auch sie mit Problemen zu kämpfen.

Wir befanden uns am Strand. Der Mond war Minuten zuvor über dem Meer aufgegangen. Ein mir unbekannter Sternenhimmel erzählte vielstimmig aus fernen Welten. Es war eine besondere Nacht, klar und warm, berauschend in ihrer Schönheit. Schon während meines ersten Aufenthalts wirkte die Insel betörend auf mich. Von anderen Touristen hatte ich erfahren, dass es ihnen ebenso ergangen war. Ein deutscher Arzt, seit Jahren auf Bali lebend, berichtete von Lichterscheinungen und rätselhaften Erlebnissen, für die er keine Erklärung wusste. Er selber bezeichnete sich als ganz normalen Menschen, der keinen Sinn für Übernatürliches habe.

Wir gingen in ein Restaurant, das sich nicht weit vom Meer befand. Während ich meine Suppe aß, wechselte die aus den Lautsprechern ertönende Musik. Mir fiel der Löffel aus der Hand, meine Haare sträubten sich.

»Das glaube ich nicht.«

Franz sah mich fragend an.

»Die Musik – haargenau die gleiche, die Gisela und mich so oft auf Bali verzaubert hat. Wir liebten sie.«

»Alles nur Zufall«, meinte Franz.

»Nein Franz, ich glaube nicht mehr an Zufälle. Wenn ich auf das Leben mit Gisela zurückblicke, dann fallen mir ungewöhnlich viele angebliche Zufälle ein. Da passt ein Zufall-Rädchen perfekt ins andere. So, als wenn es jemand zusammengefügt hätte. Das kann alles kein Zufall sein.«

Kopfschüttelnd griff Franz zum Glas: »Das ist mir zu fantastisch.«

Inzwischen war ich so weit, mich über nichts mehr zu wundern. Meine Gefühlswelt war in einem Aufruhr, den ich so nicht kannte. Dinge geschahen, und waren geschehen, für die es keine logische Erklärung gab. Natürlich konnte man dies mit dem Wort Zufall abtun. Doch das war mir zu einfach. Oft habe ich mir die Frage gestellt, warum Gisela ausgerechnet auf den Tag genau, es war der 17. Februar, sieben Jahre nach unserer ersten Begegnung gestorben ist. Genau sieben Jahre haben wir zusammengelebt.

Bevor wir die Rechnung beglichen, fragte Franz die Kellnerin nach Titel und Interpret der CD. »Degùng Sabilulungan von Suara Parahiangan«, schrieb sie auf einem Notizblatt. Ich wollte die Musik, wenn irgendwie möglich, erwerben.