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Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. »Du kannst jetzt zu ihr hinein.« Die Stimme von Lord Emerald of Pendleton klang rauh. Er bemühte sich, seine Besorgnis nicht zu zeigen, der angstvolle Blick seiner Augen sprach jedoch Bände. Charlotte, seine Tochter, die extra aus Edinburg angereist war, wo sie studierte, drückte dem Vater aufmunternd die Hand. »Du siehst bestimmt zu schwarz, Dad. Dr. Harrison meint auch, daß es ihr bald wieder besser gehen wird. Mam hat eine schwere Lungenentzündung, aber sie wird ganz bestimmt wieder gesund.« Leise betrat sie das Schlafzimmer ihrer Mutter. Lady Andrea lag wie verloren in ihrem Bett. Durch das offene Fenster drang warmer Sonnenschein herein, und auch wenn der Arzt die Gefahr von Zugluft betont hatte, so bestand die energische Lady auf frischer Luft. Das Gesicht glänzte dennoch von Schweiß und zeigte eine unnatürliche Blässe. Die ausdrucksvollen Augen stachen daraus hervor. Als sie ihre erwachsene Tochter ins Zimmer treten sah, hob sie in einer schwachen Geste eine Hand. »Charlie, wie schön, daß du gekommen bist. Aber es ist noch zu früh für Trauerreden, ich habe vor, euch alle zu überleben. Mach dir keine allzu großen Sorgen. Das hier wird vorübergehen, und dann werde ich euch nach Herzenslust tyrannisieren.« Charlotte lächelte. »Das hast du nie getan, Mam, und das wirst du auch in Zukunft nicht tun.
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Seitenzahl: 153
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»Du kannst jetzt zu ihr hinein.« Die Stimme von Lord Emerald of Pendleton klang rauh. Er bemühte sich, seine Besorgnis nicht zu zeigen, der angstvolle Blick seiner Augen sprach jedoch Bände.
Charlotte, seine Tochter, die extra aus Edinburg angereist war, wo sie studierte, drückte dem Vater aufmunternd die Hand.
»Du siehst bestimmt zu schwarz, Dad. Dr. Harrison meint auch, daß es ihr bald wieder besser gehen wird. Mam hat eine schwere Lungenentzündung, aber sie wird ganz bestimmt wieder gesund.«
Leise betrat sie das Schlafzimmer ihrer Mutter. Lady Andrea lag wie verloren in ihrem Bett. Durch das offene Fenster drang warmer Sonnenschein herein, und auch wenn der Arzt die Gefahr von Zugluft betont hatte, so bestand die energische Lady auf frischer Luft.
Das Gesicht glänzte dennoch von Schweiß und zeigte eine unnatürliche Blässe. Die ausdrucksvollen Augen stachen daraus hervor. Als sie ihre erwachsene Tochter ins Zimmer treten sah, hob sie in einer schwachen Geste eine Hand.
»Charlie, wie schön, daß du gekommen bist. Aber es ist noch zu früh für Trauerreden, ich habe vor, euch alle zu überleben. Mach dir keine allzu großen Sorgen. Das hier wird vorübergehen, und dann werde ich euch nach Herzenslust tyrannisieren.«
Charlotte lächelte. »Das hast du nie getan, Mam, und das wirst du auch in Zukunft nicht tun. Aber ich mache mir wirklich Sorgen.«
»Quatsch«, erklärte die Frau burschikos, aber mit schwacher Stimme. »Dr. Harrison ist ein Esel, der tatsächlich glaubt, daß mich eine Lungenentzündung dahinrafft. Gib mir noch eine Woche, und ich werde wieder auf den Beinen sein.«
Wie um ihre Worte zu unterstreichen, blitzte es unternehmungslustig in ihren Augen auf. Nein, diese Frau würde nicht einfach aufgeben, Charlie war von den Worten der Mutter überzeugt.
»Aber ich bin trotzdem froh, daß du hier bist, mein Kind. Ich denke, es ist an der Zeit, daß ich dir etwas in die Hand gebe, das mich über all die Jahre hinweg begleitet hat. Ein ganz besonderes Erbe, wenn du so willst.«
»Ich verstehe nicht, Mam.«
Die ältere Frau lächelte. »Das mußt du jetzt auch noch gar nicht. Sobald es an der Zeit ist, daß du verstehst, wird sich alles finden, was du wissen mußt.«
Charlie legte die Stirn in Falten. Ihre Mutter sprach doch sonst nicht in Rätseln. Sie war eine praktische,
energische Frau, die es haßte, wenn jemand um den heißen Brei herumredete. Aus dem Nachthemd nestelte sie jetzt eine Kette hervor, die sie stets um den Hals trug.
»Ich möchte, daß du dieses Schmuckstück immer bei dir trägst, Charlotte. Immer.«
Neugierig betrachtete die junge Frau den Anhänger und war ein wenig enttäuscht. Er sah aus wie ein zerbrochenes ägyptisches Kreuz, nichts besonderes also. Und doch rieselte ihr plötzlich ein kalter Schauder über den Rücken.
»Was ist das?« wollte sie wissen.
»Du wirst es zur rechten Zeit erfahren. Aber versprich mir, daß du es nie ablegst. Es ist ungeheuer wichtig.«
Charlotte zögerte. »Ich weiß nicht recht«, sagte sie langsam.
Doch ihre Mutter drückte ihr entschlossen die Kette und den Anhänger in die Hand. »Bitte, versprich mir, daß du es nie ablegst. Alle Frauen in unserer Familie haben es getragen, es ist eine heilige Verpflichtung. Und es kann immer nur an die Tochter weitergegeben werden. Du wirst schon bald, vielleicht zu bald, die Bedeutung dieses Anhängers kennenlernen.« Der tiefe Ernst in den Worten der Lady ließ keinen Widerspruch zu. Charlie hängte sich die Kette um den Hals.
»Wenn du es so wünschst«, murmelte sie, noch immer nicht ganz von der Dringlichkeit überzeugt.
Lady Andrea lachte leise auf, auch wenn es eine Anstrengung für sie bedeutete.
»So, das wäre erledigt. Und jetzt erzähle mir von deinen Studien, mein Kind.«
Charlie fand sich gleich darauf in einer lebendigen Schilderung ihres Alltags und berichtete voller Stolz, daß sie ein Angebot erhalten hatte, für drei Monate in Paris als Austauschstudentin zu leben, ausgerechnet am Kernforschungsinstitut.
Lady Andrea hörte aufmerksam zu, und sie schien sich bei der lebhaften Schilderung ihrer Tochter sogar etwas zu erholen. Doch sie war nun einmal sehr krank, das Gespräch ermüdete sie zusehends. Charlotte bemerkte das und stand auf. Zärtlich, als könnte sie ihre Mutter zerbrechen, nahm sie sie in die Arme und küßte sie sanft.
»Ich werde jetzt gehen, und du mußt schlafen, damit du bald wieder gesund bist. Vater wird auch noch nach dir sehen.«
Lady Andrea zog die Nase kraus. »Dein Vater behandelt mich, als könnte ich nicht einmal mehr allein atmen. Er würde mich am liebsten in Watte packen und in einen Glaskasten setzen.«
»Er liebt dich eben.«
»Ich liebe ihn auch, und ich möchte nicht eine Minute mit ihm missen. Aber kannst du dir vorstellen, welch ein Theater es gäbe, würde ich das gleiche mit ihm versuchen?«
Charlie lachte hellauf, und ihre Mutter war insgeheim froh darüber. Wer konnte schon sagen, wie lange die junge Frau noch Fröhlichkeit empfinden würde. Sie hatte ein schweres Erbe anzutreten, auch wenn sie noch nichts davon wußte.
»Ich will mir das lieber nicht vorstellen«, erklärte sie gespielt ernsthaft. »Aber ich muß dir noch etwas sagen, Mam.« Sie spürte augenblicklich den aufmerksamen Blick ihrer Mutter. »Ich habe mit Jeremy Schluß gemacht. Du sollst es als erste wissen, denn du hast mich damals davor gewarnt, eine Beziehung mit ihm einzugehen.«
»Es war damals deine Entscheidung, und das ist es auch heute. Aber was hat dich dazu gebracht Vernunft anzunehmen?« fragte Lady Andrea etwas ironisch.
»Die Tatsache, daß Jeremy weder Interesse für meine Arbeit als zukünftige Physikerin oder mich oder gar gemeinsame Interessen aufbringt. Für Jeremy gibt es nur Jeremy. Und er kann so gar nicht verstehen, daß ich in diesem Punkt nicht seiner Meinung bin.«
»Sei froh, daß du noch früh genug erkannt hast, welch ein Egoist er ist.«
»Ich werde mich überhaupt nie mehr verlieben«, behauptete Charlie.
»Ach, Kind, wenn der richtige kommt, kannst du dich nicht dagegen wehren – aber dann wirst du es auch nicht mehr wollen.«
»Ganz bestimmt nicht.« Charlotte küßte nach dieser energischen Feststellung ihre Mutter noch einmal und ging hinaus, wo sie in das liebevoll besorgte Gesicht ihres Vaters blickte. Auch ihm gab sie einen Kuß.
»Mam geht es gut, zieh nicht so eine schreckliche Miene, Dad. Und paß auf, daß sie dir nicht ein Kissen an den Kopf wirft, wenn du sie wieder bemuttern willst.«
Er senkte zerknirscht den Kopf. »Habe ich so übertrieben?«
»Noch viel mehr«, bestätigte Charlie grinsend. »Jetzt geh und nimm sie einfach in den Arm.«
Die junge Lady suchte ihr Zimmer auf, wo sie über einiges nachdenken wollte. Was bedeutete die Kette mit dem seltsamen Amulett? Welches Rätsel steckte dahinter? Warum mußte sie den Schmuck immer bei sich tragen? Wer konnte ihr noch darüber Auskunft geben? Sie beschloß schweren Herzens sich zu gedulden, etwas anderes blieb ihr sowieso nicht übrig.
*
Henry David Lester Jean-Baptiste Cunningham war ein Mann von äußerst klarem Verstand. Er befand sich auch zu diesem Zeitpunkt im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Er hatte dennoch seinen letzten Brief in aller Ruhe geschrieben, sein Testament war längst aufgesetzt, alle seine irdischen Dinge waren geregelt. Mit einem traurigen Lächeln nahm er Abschied von seinem Arbeitszimmer, einem sehr persönlich eingerichteten Raum, in dem er sich viele Jahre wohl gefühlt hatte. Ein letztes Mal kontrollierte er den verborgenen Zugang zum geheimen Tresor. Niemand sollte nach ihm in der Lage sein, diesen Zugang zu benutzen. Es war mehr als genug Unheil gekommen über die Menschen durch all die Gegenstände, die dort aufbewahrt wurden. Es durfte einfach nicht sein, daß jemand diesen Raum öffnete und das Unheil wieder freisetzte.
Aus diesem Grund hatte Henry auch kein Wort darüber in seinen persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen. Dieser Raum sollte einfach vergessen werden.
Entschlossen setzte er sich bequem in seinen Sessel und betrachtete die alte Pistole vor sich auf dem Tisch. Ein Familienerbstück, einer der ersten Colts, die aus der neuen Welt nach England gekommen waren. Die Waffe schimmerte, der scharfe Geruch von Waffenöl lag in der Luft. Die kräftige Hand des Mannes umfaßte den Griff, setzte den Lauf an die Schläfe und drückte ohne weiteres Zögern den Abzug.
Der laute Knall ließ den Butler im Nebenzimmer zusammenzucken. Er hatte geahnt, daß sein Herr sich mit dem schrecklichen Gedanken trug, auch wenn er die Hoffnung gehegt hatte, daß dieser letzte Schritt nicht erfolgen würde. Jetzt war es also doch geschehen. Mit Tränen in den Augen ging er nach nebenan, um seine letzten traurigen Pflichten zu erfüllen.
*
Die Stimmung im renommierten Auktionshaus Wilson & Wilson war vor Aufregung gespannt. Diese Versteigerung war der absolute Höhepunkt des Jahres, und sie war auf ziemlich überraschende und ungewöhnliche Weise zustande gekommen.
Mark Cunningham, der Neffe des auf so unrühmliche Weise aus dem Leben geschiedenen Lord Henry, war der Universalerbe, da es niemanden sonst gab, der ein Anrecht auf das Erbe erheben konnte. Bis auf die äußerst großzügigen Legate an den Butler und das übrige Personal hatte der junge Mann das ganze Erbe für sich allein; naja fast, wenn man so wollte. Als ziemlich leichtsinniger Mensch mit einer Vorliebe für Wetten, teure Kleidung und sonstigen Luxus im allgemeinen legte er wenig Wert auf die Kostbarkeiten, die sein Onkel im Laufe seines Lebens angesammelt hatte. In weiser Voraussicht hatte Henry Bestimmungen erlassen, nach denen die meisten Dinge nicht veräußert werden durften. Mark bekam auch nicht die Verfügungsgewalt über das finanzielle Vermögen, denn dann hätte er es in kurzer Zeit verschleudert. Nur eine jährliche Summe stand zu seiner freien Verfügung, was den jungen Mann mehr als nur ein wenig ärgerte. In einer Nacht voller Glückseligkeit und ziemlich viel Whisky hatte Mark durch einen unglaublichen Zufall eine Geheimtür geöffnet, hinter der sich eine wahre Schatzkammer auftat. Und nicht eines dieser wertvollen Teile fand sich in der Liste, die zu den unverkäuflichen Gegenständen gehörte. Mark hatte nicht eine Sekunde gezögert und das Auktionshaus informiert. Die jährliche Apanage aus dem Erbe konnte so bedeutend aufgestockt werden. Es hatte keinen Eindruck auf ihn gemacht, daß der Butler ihn förmlich anflehte, nichts davon zu berühren, den Raum wieder zu verschließen und alles zu vergessen. Er brauchte Geld, viel Geld. Und hier war eine Möglichkeit, die strengen Klauseln im Testament zu umgehen.
Wilson & Wilson brauchten nicht lange, um die Auktion vorzubereiten, die Leute waren erfahren und wußten den Wert der Gegenstände sehr wohl richtig einzuschätzen. Es würde ein glänzendes Geschäft für beide Seiten werden.
In den vornehmen Räumlichkeiten des Auktionshauses mitten in London trafen eine Menge Leute ein, die über genügend Geld verfügten, um diese unglaublichen Stücke für einen stolzen Preis zu erwerben. Mark schaute sich zufrieden um. Einen kurzen Augenblick dachte er noch einmal an die Begegnung mit den beiden Historikern, die ihn unbedingt davon hatten abhalten wollen, die Auktion zu veranstalten. Er hätte ja verrückt sein müssen, wäre er auf dieses seltsame Angebot eingegangen.
*
»Zwei Besucher möchten Sie sprechen, Sir«, meldete der Butler Harrison. Er hegte keinen großen Respekt gegenüber dem Erben seines Herrn. Niemals hätte er ihm die formelle Anrede zugestanden, also blieb es bei dem durchaus höflichen, aber nicht besonders respektvollen »Sir« statt des sonst angemessenen »Euer Lordschaft«.
»Wer sind die, und was wollen die von mir?« fragte Mark unwillig.
Auf einem silbernen Tablett trug Harrison die Visitenkarten. Jean-Michel Cassatel und Ysabel al Nouri, Historiker. Mehr war den Karten nicht zu entnehmen, obwohl allein das Material und der Druck in Goldlettern darauf hindeuteten, daß es sich nicht um unwichtige Leute handelte.
»Ich habe keine Zeit für sowas«, wehrte der junge Mann ab, doch der Butler machte keine Anstalten, sich wieder zu entfernen.
»Ich würde empfehlen, die Herrschaften wenigstens anzuhören. Ihr Onkel war als Sammler in Fachkreisen durchaus bekannt und geschätzt, er verfügte neben seiner Sachkenntnis auch über beste Verbindungen in alle Welt…«
»Ja, ja, ja, schon, gut, ich verstehe. Auch wenn ich in Ihren Augen nur ein Dummkopf bin, so weiß ich doch gute Verbindungen zu schätzen. Führen Sie die beiden herein.«
Harrison senkte den Kopf und bedauerte nicht zum erstenmal, daß sein Herr nicht mit einem anständigen Nachkommen gesegnet war.
Mark hingegen setzte ein hochmütiges Gesicht auf. Was auch immer diese Historiker wollten, sie würden es nicht so einfach bekommen, eine Gegenleistung wollte er auf jeden Fall verlangen – eine finanzielle Gegenleistung.
Ein bewundernder Pfiff entfuhr ihm, als er der Frau ansichtig wurde. Ysabel al Nouri war bildhübsch, mochte Ende zwanzig sein, mit prachtvollem schwarzem Haar und ausdrucksvollen Augen. Wie kam eine Frau dieser Klasse dazu, als Historikerin zu arbeiten?
»Was kann ich für Sie tun, Gnädigste?« wandte sich Mark an sie und beachtete ihren Begleiter nicht weiter.
»Wie schön, wir können ohne Umschweife gleich zum Wesentlichen kommen?« fragte Ysabel mit rauchiger Stimme. Anmutig ließ sie sich auf dem angebotenen Sessel nieder. Jean-Michel setzte sich ebenfalls.
»Schön, daß wir nicht lange herumreden müssen, Zeit ist kostbar«, fuhr die Frau fort. »Es geht um die Gegenstände, die Sie zur Auktion freigegeben haben. Wir möchten gern, daß Sie diesen Auftrag zurückziehen und alle Artefakte in fachkundige Hände geben, wo sie kein weiteres Unheil anrichten können.«
Verblüfft ließ sich Mark auf einen Stuhl sinken. Ein solches Ansinnen war das letzte, mit dem er gerechnet hatte. Woher wußten die beiden überhaupt davon?
»Was soll das heißen – weiteres Unheil?« fragte er, um etwas Zeit zum Nachdenken zu bekommen.
Ysabel runzelte die Stirn. Konnte es denn möglich sein, daß Mark gar keine Ahnung hatte, über welches bösartige Potential er da verfügte? Dann war die Sache viel komplizierter, als sie befürchtet hatte. Ursprünglich waren sie und ihre Auftraggeber davon ausgegangen, daß der junge Mann recht genau über die Herkunft der Gegenstände Bescheid wußte. Offenbar war das nicht der Fall. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Jean-Michel, dann beschloß sie, Mark wenigstens etwas zu erzählen.
»Jeder der Gegenstände, die Ihr Onkel so geschickt verborgen hatte, besitzt eine eigene Geschichte. Und alle sind mit ungewöhnlichen und zumeist grausamen Einzelheiten verbunden.«
»Soll das heißen, es liegt ein Fluch darauf?« erkundigte sich Mark hilfsbereit spöttisch.
»So könnte man es ausdrücken. Falls Menschen damit in Berührung kommen, die nicht vertraut damit sind oder den Fluch womöglich aktivieren, kann es zu großen Unglücken kommen«, erklärte Ysabel ernsthaft.
Mark stand kopfschüttelnd auf, ein ungläubiges Lächeln lag auf seinen Lippen.
»Sie wollen mir tatsächlich einreden, daß Sie hergekommen sind, um mir diese – diese Räuberpistole aufzutischen und mich auf diese Weise daran zu hindern, den ganzen Plunder zu nützlichem Geld zu machen? Ich muß zugeben, die Idee ist ungewöhnlich, aber sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Ich glaube nicht an Flüche, nur an den wohlgefälligen Ton von Bargeld. Mit dem ganzen Zeug kann ich nichts anfangen. Staubfänger, wenn Sie so wollen. Also werde ich es verkaufen. Wenn Sie Interesse daran haben, steht es Ihnen frei, Ihr Geld dafür auszugeben und mitzubieten.«
Ysabel war bleich geworden. Sie hatte schon fast mit dieser Reaktion gerechnet. Jean-Michel biß sich auf die Lippen, dann stand er ebenfalls auf.
»Sie verkennen den Ernst der Lage«, begann er. »Es geht bei diesem Fluch, wie Sie es nennen, um konkrete Bedrohungen für Leib und Leben Unschuldiger. Alle diese Gegenstände müssen unter Kontrolle gehalten werden.«
»Da Ihnen offenbar soviel daran liegt, nennen Sie mir einen guten Preis«, forderte Mark unverblümt. Der andere Mann seufzte. Er besaß durchaus das Rechte eine Summe anzubieten, er fürchtete aber zu Recht, daß sein Gegenüber sich damit nicht zufrieden geben würde. Genauso war es auch. Mark Cunningham lehnte zwei Millionen Pfund ab.
*
An dieses Gespräch dachte Mark gerade noch einmal und lächelte verächtlich. Zwei Millionen Pfund? Was war das schon, angesichts der Möglichkeit, fast das Doppelte herauszuschlagen.
Reginald Wilson war beeindruckt gewesen von dieser Sammlung und hatte als untere Grenze drei Millionen veranschlagt. Mark konnte seine Erregung kaum noch bezähmen. Hoffentlich ging es bald los. Dann würde das so dringend benötigte Geld rasch fließen, und er konnte seine Schulden bei diversen Kredithaien endlich bezahlen. Aufgrund des Reichtums von Onkel Henry und der zu erwartenden Erbschaft hatte man ihm großzügige Darlehen gewährt, die er ausnahmslos verspielte. Mit dieser Einschränkung im Testament, die ihm nur eine jährliche niedrige Auszahlung garantierte, ohne das Grundkapital anzugreifen, hatte er nicht gerechnet.
Aber diese Sorge würde er vorerst mit dem heutigen Tage los sein.
Noch einmal schweifte der Blick des Mannes über das Publikum. Wohlhabende Menschen, die nur zu gern bereit waren, für diesen überflüssigen Plunder reichlich Geld auszugeben. Was hatten diese eingebildeten Historiker dagegen schon zu bieten?
Doch auch Wilson hatte bei einigen der Gegenstände die Stirn gerunzelt. Offenbar schien doch etwas Wahres an der Geschichte vom Fluch zu sein. Naja, nicht sein Problem. Sollte sich damit abplagen, wer unbedingt wollte.
Zwei Personen erregten die Aufmerksamkeit von Mark. Die beiden schienen irgendwie nicht hierher zu gehören. Sie wirkten nicht wie potentielle Käufer, eher nur neugierig und sogar verloren. Ach, bestimmt täuschte er sich.
Mark wandte sich ab. In wenigen Augenblicken würde die Auktion beginnen.
Hätte er um die wahre Mission dieser beiden Personen gewußt, wäre es ihm vielleicht doch etwas mulmig geworden.
*
Marius de Monteuil war trotz seines französischen Namens italienischer Abstammung. Aber er lebte und arbeitete als Arzt in der Schweiz, wo er sich außerordentlich wohl fühlte. Als Internist an einer Privatklinik mit dem Recht, auch eine eigene Praxis zu unterhalten, hatte er quasi das große Los gezogen. Zu seinem Glück fehlte ihm eigentlich nur noch die passende Frau, aber bisher gab es keine, die mehr als flüchtiges Interesse bei ihm geweckt hatte. Ein Wermutstropfen in seinem wohlgeordneten Leben war der kürzliche Tod seines Vaters gewesen. Er war auf einer Paßstraße von einem rücksichtslosen Autofahrer abgedrängt worden. Marius hatte sich im Wagen dahinter befunden und für seinen Vater nichts mehr tun können. Noch mit den letzten Atemzügen hatte der Mann seinem Sohn einen Gegenstand in die Hand gedrückt und das Versprechen gefordert, dieses Amulett immer bei sich zu tragen und nie aus den Augen zu lassen. Marius hätte in diesem Augenblick alles versprochen, wenn es ihm nur möglich gewesen wäre, den nahenden Tod zu verhindern. Aber auch seiner Kunst waren Grenzen gesetzt.