Irrlicht 52 – Mystikroman - Anne de Groot - E-Book

Irrlicht 52 – Mystikroman E-Book

Anne de Groot

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. …er ist gar nicht tot, dachte Linda, von Grauen übermannt. Er will mich umbringen. Sie sah die scheußliche Fratze näher kommen, immer näher. Und plötzlich verwandelte sie sich in Deans schöne Züge. Dean, der sich über sie neigte, um sie zu küssen. Seine Lippen preßten sich auf die ihren, bis sie keine Luft mehr bekam, bis sie nicht mehr schreien konnte. Jerry, durchzuckte es sie noch. Jerry, warum hilfst du mir nicht? Der graue, wolkenverhangene Himmel war nicht dazu angetan, Linda in Hochstimmung zu versetzen. Ein kleines Sonnenzwinkern hätte sie im Moment ganz gut gebrauchen können, denn immerhin kurvte sie einer ungewissen Zukunft entgegen. »Yellow Bird«, wie sie ihren kleinen gelben Wagen getauft hatte, hielt sich auch bei diesen Kurven tapfer. Er schnaufte zwar hin und wieder und hustete wie eine Nebelkrähe, aber immerhin quälte er seine betagten PS ganz wacker die Küstenstraße hinauf und hinunter. Im Moment ging es hinunter, und zwar in rasanter Fahrt, rechts von ihr gähnte ein Abgrund, nur durch eine lächerliche kleine Mauer gesichert, und links wuchs eine Felswand in den Himmel. Linda unterdrückte einen Seufzer. Sie mußte verrückt gewesen sein, sich auf so ein ungewisses Abenteuer einzulassen. Was versprach sie sich davon, zu wildfremden Menschen zu fahren, auch wenn es zufällig ihre Verwandten waren? Jetzt begann es zu allem Überfluß auch noch zu regnen, und »Yellow Bird« liebte nasse, glitschige Straßen überhaupt nicht. Linda verlangsamte das Tempo des Wagens und stellte nach einer letzten Kurve aufatmend fest, daß im vor ihr liegenden Tal eine kleine Ortschaft auftauchte.

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Irrlicht – 52 –

Das Testament der Lady Abigail

Linda gerät in den Sog schrecklicher Gefahren

Anne de Groot

…er ist gar nicht tot, dachte Linda, von Grauen übermannt. Er will mich umbringen. Sie sah die scheußliche Fratze näher kommen, immer näher. Und plötzlich verwandelte sie sich in Deans schöne Züge. Dean, der sich über sie neigte, um sie zu küssen. Seine Lippen preßten sich auf die ihren, bis sie keine Luft mehr bekam, bis sie nicht mehr schreien konnte. Jerry, durchzuckte es sie noch. Jerry, warum hilfst du mir nicht? Dann versank alles in schwarze Nacht…

Der graue, wolkenverhangene Himmel war nicht dazu angetan, Linda in Hochstimmung zu versetzen. Ein kleines Sonnenzwinkern hätte sie im Moment ganz gut gebrauchen können, denn immerhin kurvte sie einer ungewissen Zukunft entgegen.

»Yellow Bird«, wie sie ihren kleinen gelben Wagen getauft hatte, hielt sich auch bei diesen Kurven tapfer. Er schnaufte zwar hin und wieder und hustete wie eine Nebelkrähe, aber immerhin quälte er seine betagten PS ganz wacker die Küstenstraße hinauf und hinunter.

Im Moment ging es hinunter, und zwar in rasanter Fahrt, rechts von ihr gähnte ein Abgrund, nur durch eine lächerliche kleine Mauer gesichert, und links wuchs eine Felswand in den Himmel.

Linda unterdrückte einen Seufzer. Sie mußte verrückt gewesen sein, sich auf so ein ungewisses Abenteuer einzulassen. Was versprach sie sich davon, zu wildfremden Menschen zu fahren, auch wenn es zufällig ihre Verwandten waren?

Jetzt begann es zu allem Überfluß auch noch zu regnen, und »Yellow Bird« liebte nasse, glitschige Straßen überhaupt nicht.

Linda verlangsamte das Tempo des Wagens und stellte nach einer letzten Kurve aufatmend fest, daß im vor ihr liegenden Tal eine kleine Ortschaft auftauchte.

Mit einem Schlag verbesserte sich ihre Laune.

Sie hielt Ausschau nach einem Gasthof, fand auch bald auf dem Marktplatz ein altes, wenig verlockend aussehendes Haus mit dem finsteren Namen »Zum schwarzen Mond«.

Sie parkte den Wagen direkt davor, stieg mit Karte und Brief bewaffnet aus und streckte die vom langen Sitzen schmerzenden Beine. Die Luft hier war frisch und kühl. Man spürte die Nähe des Meeres. Ein leichter Wind fuhr ihr durchs Haar, und es regnete nur noch wenig. Gerade soviel, daß es sich wie ein feuchter Schleier über ihr Gesicht legte.

Sie öffnete die schwere Tür, die ein gepeinigtes Quietschen von sich gab, ging durch einen dunklen Vorhang und stand dann in einem muffig riechenden Raum.

Im Dämmerlicht nahm sie undeutlich drei Gestalten wahr, die an der Theke standen.

»Hallo!« grüßte sie forsch.

Drei bärtige Gesichter wandten sich ihr zu und starrten sie an, als hätten sie noch nie ein junges Mädchen in Jeans und weißer Regenjacke gesehen.

Hinter der Theke tauchte eine hagere Gestalt auf. Die schmutzig-weiße Schürze ließ Linda vermuten, daß es sich um den Wirt handelte.

»Hallo!« grüßte er wortkarg zurück.

»Ich hätte gern eine Tasse Tee«, meinte Linda mit ihrem reizendsten Lächeln.

»Tee?« echote der Wirt mit angewiderter Miene. Es war klar, daß er von diesem Getränk wenig hielt. Dann öffnete er eine Tür und brüllte ihren Wunsch ins Dunkel.

Linda hatte an einem der Holztische Platz genommen, steckte sich eine Zigarette an und entfaltete die Karte. Sie spürte, daß die Männer sie beobachteten, kümmerte sich aber nicht weiter darum.

»Ihr Tee, Miß!« Der Wirt stellte eine einfache Porzellantasse mit einer bräunlichen Flüssigkeit vor sie hin. Er blieb am Tisch stehen und blickte auf die Karte.

»Haben Sie sich verfahren?«

»Ich hoffe nicht!« Linda blickte ihn mit ihrem offenen Lächeln an. »Ich möchte nach Schloß Merville. Das liegt doch hier in der Gegend?«

Es wurde plötzlich so still im Raum, als hielten alle den Atem an.

Der Blick, mit dem der Wirt Linda ansah, war äußerst merkwürdig. Sie schüttelte ein leichtes Unbehagen ab und wiederholte ihre Frage.

»Sie sind schon richtig hier«, sagte der Wirt schwerfällig. Er neigte sich zu ihr und starrte ihr aufdringlich ins Gesicht.

»Sind Sie verwandt mit den Mervilles?«

»Lady Merville ist eine Tante von mir«, erklärte Linda. »Ist es noch weit bis zum Schloß?«

»Mit dem Auto höchstens eine halbe Stunde«, murmelte der Wirt. »Wenn Sie an der Küste langfahren, können Sie es nicht verfehlen.«

»Eine bessere Straße gibt es wohl nicht?«

»Es gibt nur die eine Straße, wenn Sie mit dem Auto fahren«, sagte der Wirt.

Linda zahlte für den Tee und brach auf. Sie wollte möglichst noch vor Einbruch der Dunkelheit im Schloß sein. Diese schwierige Küstenstraße zu fahren, war schon bei Tag riskant genug.

Der Wirt begleitete sie bis vor die Tür.

Als sie schon hinter dem Steuer saß und starten wollte, blickte er durch das Seitenfenster. »Jetzt weiß ich auch, wieso Sie mir gleich so bekannt vorkamen«, sagte er mit eigenartig gepreßter Stimme. »Sie sehen genauso aus wie Lady Merville, als sie noch eine junge Frau war.«

*

Linda wunderte sich nicht weiter über die Bemerkung des Wirtes. Warum sollte sie ihrer Tante nicht ähnlich sehen? Immerhin war sie die Schwester ihrer Mutter, die leider vor zwei Jahren an einer heimtückischen Krankheit gestorben war.

Eigenartig, daß Ma überhaupt keinen Kontakt mit ihrer einzigen Schwester hatte, grübelte Linda. Ob sie zerstritten gewesen waren? Sie wußte es nicht. Wenn Linda gefragt hatte, hatte ihre Mutter nur ausweichende Antworten gegeben.

Jetzt hatte sie ganz überraschend von Tante Abigail eine Einladung erhalten und war sofort aufgebrochen. Sie hatte in London ja sowieso nichts zu versäumen. Es waren Semesterferien. Außerdem brannte sie vor Neugierde, ihre fremden, adeligen Verwandten kennenzulernen.

Zudem hatte die Einladung Lady Mervilles einen äußerst befremdlichen Nachsatz gehabt. »Komm, so schnell du kannst«, hatte sie geschrieben. »Ich brauche dich!«

Die Worte waren mit flüchtiger Schrift aufs Papier geworfen, wie jemand schreibt, der in höchster Eile ist.

Jetzt, wo Linda darüber nachdachte, fand sie es wirklich sehr merkwürdig. Zwar hatte die Tante nie versäumt, ihr zum Geburtstag ein kostbares Geschenk zu senden, aber sonst hatte sie sich nie um sie gekümmert.

Warum verlangte sie jetzt so dringend nach ihrer Gegenwart?

Auf all meine Fragen werde ich ja bald eine Antwort haben, beruhigte sich Linda. Aber die Straße hier war wirklich eine Katastrophe!

Sie warf einen beunruhigenden Blick auf das Gestrüpp seitlich der Straße. Ein phantastisches Versteck für irgendwelche Straßenräuber, überfiel es sie.

Zum Glück war sie keine ängstliche Natur, und wenn sie jetzt ein leichter Schauer überlief, kam das sicher nur daher, weil sie übermüdet war.

Da, waren das nicht die Türme der Burg, die wie schwarze Zeigefinger gen Himmel ragten?

Ihr Herz machte einen freudigen Sprung. Sie war am Ziel, hatte es fast geschafft. Die paar Serpentinen würde der Wagen auch noch schaffen.

Der steinige Weg entfernte sich vom Meer, ging zwischen mannshohem Gestrüpp und verkümmerten Bäumen dahin. Es wurde plötzlich so dunkel, daß Linda die Scheinwerfer einschalten und das Tempo verlangsamen mußte.

Sie sah, wie die Türme näherrückten und spürte Erregung in sich aufsteigen. Bisher war ihr Leben in geraden, ein wenig langweiligen Bahnen verlaufen. Kam jetzt endlich das Abenteuer, nach dem sie sich zeitlebens gesehnt hatte?

Wie hynotisiert starrte sie die Türme an. Plötzlich ging es haarscharf in eine Kurve. Der Wagen schleuderte leicht. Linda riß das Steuer herum, blickte auf den Weg und stieß einen erschrockenen Schrei aus.

Nur einige Meter von ihr entfernt lag die Gestalt einer Frau.

*

Linda bremste so scharf, daß sie nach vorn geschleudert wurde. Sie sprang aus dem Wagen und lief zu der offensichtlich ohnmächtigen Frau hin.

Ein scharfer kalter Wind warf sich ihr entgegen, riß an ihrem Haar und nahm ihr den Atem.

Trotzdem kämpfte sie sich weiter.

Im Gebüsch raschelte es gespenstisch, fern war ein leichtes Brausen zu hören. Der Schrei der wilden Möwen klang bis zu ihr her.

Linda lief verzweifelt. Immer näher kam sie der regungslosen Gestalt, die im diffusen Licht der Dämmerung unwirklich aussah.

»Kann – ich Ihnen helfen?« Schwer atmend neigte sie sich über die Frau und spürte, wie sich alles in ihr vor Entsetzen sträubte.

Sie blickte in das starre Antlitz einer Schaufensterpuppe.

Das ist eine Falle, überfiel es sie siedendheiß.

Mit einem ersticken Stöhnen warf Linda sich herum und raste zum Wagen zurück.

Linda gehörte nicht zu den Mädchen, die beim Anblick einer Maus auf den nächsten Stuhl springen. Horrorfilme entlockten ihr höchstens ein amüsiertes Lächeln, und an irgendwelche Geister glaubte sie nicht.

Doch jetzt verspürte sie zum ersten Mal in ihrem jungen Leben echtes Grauen.

Sie erwartete jeden Moment einen Überfall. Im Geiste spürte sie schon rohe Fäuste, die sie zu Boden rissen. Schon glaubte sie den heißen Atem eines Verfolgers im Nacken zu spüren, sein Keuchen zu hören. Doch da war nichts als ihr eigenes wildes Atmen, der heftige Wind und der klagende Schrei der Möwen.

Endlos kamen ihr die wenigen Meter bis zu ihrem Auto vor.

Keuchend, am Ende ihrer Kräfte, warf sie sich in den Wagen, versuchte sofort zu starten. Als der Wagen nicht gleich ansprang, überkam sie Panik.

Gewaltsam zwang sie das Zittern ihrer Hände zur Ruhe und versuchte es noch einmal. Diesmal sprang »Yellow Bird« sofort an. Der Wagen schoß vorwärts.

Lindas Blick hing an der Straße. Gleich mußte die Puppe kommen. Sie würde einfach darüber hinwegfahren. Sie konnte es nicht riskieren, darum herum zu fahren und vielleicht mit den Vorderrädern in die Büsche zu geraten.

Ihre Hände umklammerten das Steuer. Jetzt war sie dicht vor der Stelle. Doch wo war die Puppe?

Ein keuchender Laut entrang sich ihrer Kehle. Die Puppe war fort. Jemand mußte sie weggenommen haben, als sie zum Wagen zurückrannte.

Eisiges Entsetzen überströmte sie.

Also war doch jemand dagewesen. Jemand, der sie genau beobachtet hatte. Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, daß sie so schnell war.

Doch wer konnte ein Interesse daran haben, sie zu überfallen? Außer den Mervilles wußte doch niemand, daß sie kam. Und sie hoffte nicht, daß die Mervilles zu den Leuten gehörten, die ihre Gäste mit solchen makabren Scherzen empfingen.

Sicher hat das alles gar nicht mir gegolten, versuchte Linda sich zu beruhigen. Falls es sich um irgendwelche Räuber gehandelt hat, was wäre bei mir schon groß zu holen? Das bißchen Waisenrente, das ich bekomme, würde selbst bei einem Bettler Mitleid erwecken.

Lindas Gedanken wurden abgelenkt, denn jetzt näherte sie sich einer hohen, düsteren Mauer, die den Weg abschnitt. Das kunstvolle schmiedeeisserne Tor war einladend geöffnet, so daß Linda den Wagen ungehindert in den gepflasterten Innenhof lenken konnte.

Nur wenige Laternen verstreuten ein gelbliches Licht. Dahinter ragten dunkle Mauern auf. Das mußte das Schloß sein.

Sie bedauerte, daß sie nicht mehr erkennen konnte, denn es war plötzlich finster geworden. Aber wenigstens war sie bei ihren Verwandten heil angekommen und »Yellow Bird« ebenfalls.

Mit einem tiefen, befreienden Seufzer stieg Linda aus und schaute sich um. Keine Menschenseele war zu sehen. Hier wehte der Wind nicht ganz so heftig, doch der klagende Schrei der Möwen klang ganz nah. Sie hörte auch das leise Rauschen, das ähnlich klang, wie wenn der Wind in den Blättern der Pappeln spielte.

Das Meer muß ganz nah sein, dachte Linda hoffnungsvoll. Sie freute sich, ihre Ferien am Meer verbringen zu dürfen. Es war doch eigentlich nett von ihrer Tante Abigail gewesen, sie einzuladen.

»Hallo!« erklang es plötzlich hinter ihr.

Erschrocken fuhr sie herum und sah sich einem jungen, schlanken blonden Mann gegenüber, der ihr jetzt beide Hände entgegenstreckte. »Sie müssen Kusine Linda sein«, sagte er mit warmer, angenehm klingender Stimme. »Herzlich willkommen auf Schloß Merville!«

*

Lord Dean Merville, so hatte sich der junge Mann vorgestellt, führte sie in die Halle. Im Kamin brannte ein behagliches Feuer und warf sein zuckendes Licht über die Köpfe einiger unheimlich aussehender ausgestopfter Tiere, die als Jagdtrophäen an den Wänden hingen.

»Komm, setz dich an den Kamin«, sagte Dean liebenswürdig »Du wirst nach der langen Fahrt erschöpft sein. Hoffentlich hattest du eine gute Fahrt?«

»O ja, danke!« Angenehm berührt ließ Linda sich in dem Sessel vor dem Kamin nieder. Ihr Cousin Dean schien ja ganz reizend zu sein.

Er setzte sich ihr gegenüber. Sein Gesicht lag im Halbschatten. Trotzdem konnte Linda feststellen, daß seine klaren Züge von fast klassischer Schönheit waren. Mit dem metallisch schimmernden halblangen blonden Haar hätte er wie ein Mädchen gewirkt, wäre nicht die kraftvolle Männlichkeit gewesen, die er ausstrahlte. Wie er dort vorn leicht vornübergeneigt im Lehnstuhl hockte, wirkte er wie eine straffgespannte Stahlfeder und voller Energie.

»Die Fahrt war angenehm, bis auf einen kleinen Zwischenfall«, erzählte Linda. Sie berichtete von der Schaufensterpuppe auf dem Weg, die sie für eine verletzte Frau gehalten hatte, und während sie sprach, merkte sie, wie kindisch und albern das alles klang.

»Bist du sicher, daß deine angegriffenen Nerven dir nicht einen Streich gespielt haben?« meinte Dean, während es um seine Lippen belustigt zuckte. »Wenn man lange unterwegs ist, ermüdet man leicht und man bildet sich Dinge ein…«

»Aber es war eine Schaufensterpuppe, das könnte ich beschwören«, entgegnete Linda heftig.

»Dann werde ich hingehen und sie mir ansehen.« Dean stand auf, aber Linda sagte schnell:

»Das wird keinen Sinn haben, als ich weiterfuhr, war sie plötzlich nicht mehr da.«

»Tatsächlich?« Dean lachte lautlos, und Linda mußte gegen ihren Willen mitlachen.

»Das hört sich für jemanden, der nicht dabei war, schrecklich albern an«, gab sie zu. »Ach, reden wir nicht mehr darüber. Es ist ja weiter nichts passiert, nur, daß ich einen ganz gehörigen Schrecken bekommen habe.«

»Das tut mir leid!« Sein Gesicht hatte sich verdüstert. Er warf ihr einen forschenden Blick zu. »Du siehst nicht aus wie jemand, der leicht zu erschrecken ist.«

»Nein!« Linda lächelte. Sie schlang die Hände um die Knie und erinnerte sich daran, daß sie noch immer ihre ­Jeans trug, was ihr neben Deans Eleganz, er hatte einen braunen Samtanzug und ein weißes Rüschenhemd an, unpassend vorkam. Neben ihm fühlte sie sich verschmutzt und unwohl, und sie hätte sich gern umgezogen und frisch gemacht.

Dean schien ihre Gedanken zu spüren. »John kümmert sich um dein Gepäck«, meinte er zuvorkommend. »Wir werden noch einen Whisky zusammen trinken, dann zeige ich dir deine Räume.«

Geschmeidig stand er auf und trat an einen jener rustikalen, fast schwarzen Schränke, mit denen die Halle vollgestopft war.

Lindas Blick wanderte unterdessen umher. Der große Raum war halbhoch mit dunklem Holz vertäfelt, was seinen düsteren Eindruck noch unterstrich. Der Anblick der zahlreichen ausgetopften Tiere war auch nicht dazu angetan, Freundlichkeit zu verbreiten.

»Mein Vater war ein großer Freund der Jagd«, erklärte Dean, der ihre Blicke bemerkt hatte. »Dieser Eber dort…«, er deutete auf den mächtigen Kopf eines Wildschweines, »ist Papa letzten Endes zum Verhängnis geworden. Er hatte ihn wohl nicht richtig getroffen«, fuhr Dean im Plauderton fort. »Der todwunde Eber brachte sein Pferd zu Fall, und Vater stürzte so schwer, daß er bald darauf starb.«

»Wie schrecklich«, flüsterte Linda erschauernd. Schnell nahm sie den Blick von dem gräßlichen Tier fort, das ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte.

»Entschuldige, ich hätte dir diese Geschichte nicht erzählen sollen«, meinte Dean ruhig. »Du bist ganz blaß geworden. Hier, trink einen Schluck Whisky. Das wird dir guttun. Trinken wir auf deine glückliche Ankunft!«

»Ich muß mich für die freundliche Einladung bedanken«, sagte Linda. »Ist Tante Abigail nicht da? Ich würde sie gern begrüßen.«

Deans schönes Gesicht wurde ernst. Er lehnte am Kamin und hielt das Whiskyglas zwischen den Händen. »Mama fühlt sich leider gar nicht wohl«, meinte er in bedauerndem Ton.

»Das tut mir leid. Was fehlt ihr denn?«

»Schwer zu sagen«, seufzte er. »Vielleicht eine Influenza? Sie kränkelt schon seit längerer Zeit. Wir werden nachher zu ihr gehen. Aber nur ganz kurz. Sie braucht vor allem Ruhe.»

»Da bin ich ja in einem ungünstigen Augenblick gekommen«, meinte Linda betroffen.

»Das würde ich nicht sagen.« Dean lächelte auf sie herab. »Ich bin ja da und kann mich um dich kümmern. Zwar habe ich erst vor kurzem erfahren, daß ich eine Kusine habe, aber jetzt, wo ich dich sehe, bin ich angenehm überrascht«, sagte er leise.

Ein reizender Mensch, sagte sich Linda und vergaß für einen Moment, daß sie solche charmanten Männer im Grunde nicht mochte. Jemand, der zuviel und zu bereitwillig lächelt, hat eine Menge zu verbergen, hatte sie bisher immer geglaubt.

Doch auf Dean traf das gewiß nicht zu. Er schien eben ein vollkommener Gentleman zu sein.

Dean zog einige Male an einer dicken seidenen Kordel.

Gleich darauf teilte sich ein dunkelbrauner Samtvorhang im Hintergrund der Halle, und ein älterer Mann mit eisgrauem Haar kam ins Blickfeld.

»Das ist John, unser Butler«, stellte Dean vor. »John, führe Miß Linda bitte auf ihr Zimmer. In einer halben Stunde wünsche ich dann das Dinner.«

»Sehr wohl, Mylord!« Er verneigte sich leicht gegen den jungen Mann und wandte dann Linda den Blick seiner hellen, fast farblosen Augen zu. »Würden Sie mir bitte folgen, Miß Linda?«

Während sie hinter dem Diener die teppichbelegten Stufen hinaufschritt, hatte sie das peinliche Gefühl, von Dean beobachtet zu werden.

Ein leises Frösteln überlief sie, das sie sich nicht erklären konnte. Wahrscheinlich war sie nur übermüdet und hungrig, und ihre Nerven waren überreizt. All das Fremde, das auf sie einströmte, mußte erst einmal verkraftet werden.

Von der Galerie oben warf sie einen Blick in die Halle zurück. Dean stand vor dem Kamin und stocherte mit gesenktem Kopf in der Glut. Sein schönes ebenmäßiges Gesicht sah aus wie in Blut getaucht.

Wieder überflutete Linda dieses seltsame, unerklärliche Unbehagen. Bis Johns Stimme sie aufstörte.

»Ihr Zimmer, Miß. Das Gepäck habe ich bereits hinaufgebracht.« Er hatte eine der unzähligen dunklen Türen auf dem Gang geöffnet. Linda folgte ihm neugierig und stieß einen entzückten Schrei aus.

Sie stand in dem elegantesten Boudoir, das sie jemals gesehen hatte.

*

Nachdem John sich diskret entfernt hatte, hatte Linda Zeit, sich in Ruhe umzusehen.

Die goldbedruckten Seidentapeten schimmerten im Glanz der Wandlampen, die wie goldene Rosen geformt waren, aus deren Blütenkelchen das Licht fiel.

Das gobelinbestickte Bett trug einen roten Seidenhimmel und sah herrlich bequem aus. Linda strich leicht mit der Hand über die rosé-angehauchte seidene Bettwäsche und sagte sich, daß sie hier bestimmt wundervoll schlafen würde.

Rot war in diesem Raum die beherrschende Farbe, von den dunkelroten Samtvorhängen an den Fenstern, dem Teppichboden in gleicher Farbe, bis zu den etwas helleren zierlichen Möbeln aus Rosenholz.

Auf dem Damensekretär am Fenster stand in einer weißgoldenen Porzellanvase ein herrlicher Strauß dunkelroter Rosen.

Wer mochte die Rosen hierhergestellt haben, fragte sich Linda. War es vielleicht Dean?

Sie spürte bei diesem Gedanken eine leise Erregung in sich aufsteigen. Ob Dean noch frei ist? fragte sie sich plötzlich. Kaum anzunehmen bei einem so gutaussehenden, charmanten jungen Mann, der dazu offensichtlich in den besten Verhältnissen lebte.

Sicher werden die Mädchen Schottlands bei jedem Fest ein Wettrennen auf ihn veranstalten. Bestimmt ist er schon in festen Händen.

Bei diesem Gedanken streifte sie flüchtiges Bedauern. Um sich abzulenken, öffnete sie die Tür neben dem Kleiderschrank und blickte in ein elegantes schwarzgekacheltes Bad mit rosenholzfarbenen Garnituren.