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Luiz Heinrich Mann (1871-1950) war ein deutscher Schriftsteller aus der Familie Mann. Er war der ältere Bruder von Thomas Mann. Ab 1930 war Heinrich Mann Präsident der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste, aus der er 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ausgeschlossen wurde. Mann, der bis dahin meist in München gelebt hatte, emigrierte zunächst nach Frankreich, dann in die USA. Im Exil verfasste er zahlreiche Arbeiten, darunter viele antifaschistische Texte. Seine Erzählkunst war vom französischen Roman des 19. Jahrhunderts geprägt. Seine Werke hatten oft gesellschaftskritische Intentionen. Die Frühwerke sind oft beißende Satiren auf bürgerliche Scheinmoral. Mann analysierte in den folgenden Werken die autoritären Strukturen des Deutschen Kaiserreichs im Zeitalter des Wilhelminismus. Resultat waren zunächst u. a. die Gesellschaftssatire "Professor Unrat", aber auch drei Romane, die heute als die Kaiserreich-Trilogie bekannt sind. Im Exil verfasste er die Romane "Die Jugend des Königs Henri Quatre" und "Die Vollendung des Königs Henri Quatre". Sein erzählerisches Werk steht neben einer reichen Betätigung als Essayist und Publizist. Er tendierte schon sehr früh zur Demokratie, stellte sich von Beginn dem Ersten Weltkrieg und frühzeitig dem Nationalsozialismus entgegen, dessen Anhänger Manns Werke öffentlich verbrannten.
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Seitenzahl: 14
Nur wenig Licht gelangt von den weit herabgebrannten Kerzen des Tannenbaumes, der zwischen den dicht verhangenen Fenstern vom Boden zur Decke ragt, in die Ecke des großen altmodischen Gemaches, die das Kanapee einnimmt. Sein geblümtes, geripptes Damastpolster lehnt sich würdig gegen die dunkle Holztäfelung der Wand, wie es seit drei Menschenaltern getan hat, und die beiden Alten sitzen darauf, er und sie aufrecht nebeneinander, jedes in seiner Ecke, weder allzu nah dem andern, noch auffällig von ihm zurückgezogen – gerade so wie sie die vielen, vielen Jahre nebeneinander gelebt haben. Nichts ist zu vernehmen als der metallene Puls der goldenen Stutzuhr, an die sich die Porzellanschäferinnen mit ihren verblaßten Farben lehnen, drüben auf der Konsole des weitgeschweiften Eckschrankes; lange Zeit nichts, bis plötzlich der alte Mann den schräg auf gestützten Arm ganz auf die Lehne des Kanapees zurücksinken läßt; da knittert und raschelt das Papier in seiner Hand, daß es wie ein Zusammenschrecken klingt.
Doch zeigt die Haltung der beiden Menschen nicht mehr Unruhe als die Bewegung, mit der die alte Frau den Brief, der noch spät an diesem Weihnachtsabend für sie angekommen war, ihrem Manne zugereicht hat. Das ist geschehen, als sie sich, müde von der Bescherung und nachdem das Kind, ihre Enkelin, sich entfernt hatte, in ihren Ruhewinkel zurückzogen. Da hat der Alte seine Brille hervorgeholt und unter dem Licht der steifen weißen Lampe, die auf dem Seitentischchen steht, bedächtig die verschnörkelten Schriftzüge entziffert, die von einem Manne kommen, der seit fünfzig Jahren der Anwendung deutscher Zeichen nur wenig gewohnt gewesen und seine altmodische Schreibweise nicht verlernt hat.