Irrwege der Liebe - Catherine Cookson - E-Book

Irrwege der Liebe E-Book

Catherine Cookson

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Beschreibung

Eine junge Frau kämpft um ihr Glück

Seit dem frühen Tod ihrer Eltern lebt die junge Bridget auf dem Landsitz ihrer Verwandten. Da sie ein großes Vermögen erben wird, soll sie Laurence, den Sohn ihrer Pflegeeltern, heiraten. Sie glaubt auch, Laurence zu lieben, doch dann macht sie eine schreckliche Entdeckung.

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Seitenzahl: 309

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CATHERINE COOKSON

Irrwege der Liebe

Roman

Aus dem Englischen von Ruth Sander

WILHELM HEYNE VERLAG

Das Buch

Seit dem frühen Tod ihrer Eltern lebt Bridget Gether auf dem Landsitz der Overmeers im Norden Englands. Ihre Pflegeeltern planen Bridgets Hochzeit mit ihrem Sohn Laurence, da sie eine reiche Erbin ist. Auch die junge Frau glaubt, Laurence zu lieben, bis sie sein Verhältnis mit einer anderen Frau entdeckt und von ihrem Jugendfreund Bruce vor ihrem zukünftigen Ehemann gewarnt wird.

Als sich Bridget daraufhin weigert, Laurence zu heiraten, überstürzen sich die Ereignisse: Ihre Großmutter und der Arzt John MacDonald reisen aus London an, um Bridget zurückzuholen, es kommt zum Streit zwischen John und Laurence und Letzterer wird wenig später ermordet aufgefunden. Die Polizei verdächtigt Bruce und John, doch auch Bridget hat für die Tatzeit kein Alibi.

Die Autorin

Die Originalausgabe THE BLIND YEARS erschien bei Bantam Press, London

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Vollständige deutsche Erstausgabe 09/2008 Copyright © 1998 by Catherine Cookson Copyright © 2008 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagfoto: © Kate Sears/Iconica/Getty Images Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von

shutterstock/Siwebad Veerapaisarn, solominviktor)

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorinCopyrightEINSZWEIDREIVIERFÜNFSECHSSIEBEN

EINS

»Bridget Gether, weißt du eigentlich, dass ich hier nun schon seit fünf Minuten neben dir sitze und du mich noch kein einziges Mal angesehen hast?«

»Doch, natürlich habe ich gleich gemerkt, dass du da bist.«

»Na, das ist ja immerhin etwas … manchmal vergisst du mich einfach, nicht wahr? Erinnerst dich nicht einmal mehr daran, wie ich aussehe, vor allem wenn du einen Pinsel in der Hand hast. Was machst du denn jetzt?« Er beugte sich vor. »Ich finde, der Hügel dort sieht eher braun aus. Er ist auch braun; also warum malst du ihn dann mit Purpurrot und Orange?«

»Weil ich ihn so sehe. Und … und ich weiß genau, wie du aussiehst, Laurence, auch wenn ich gleichzeitig male.« Noch immer sah die junge Frau den Mann nicht an, stattdessen ließ sie den Blick auf ihre Palette sinken, so dass ihr schulterlanges, kastanienbraunes Haar wie ein Schleier niederfiel und ihr Gesicht verbarg. Dann richtete sie ihr Augenmerk, der Hand folgend, wieder auf die Leinwand, die auf einer niedrigen Staffelei im Gras vor ihr stand, und ihre vollen, zarten Lippen bewegten sich langsam, als sie hinzusetzte: »Ich sehe dich immer vor mir … morgens, mittags, abends und in der Nacht.« Ein leichter Schauer durchrieselte sie, als sie spürte, dass der Mann seine Finger durch ihr Haar gleiten ließ, um ihren Nacken zu streicheln.

»Und wie siehst du mich?«, raunte Laurence Overmeer ihr zu.

Bridget zögerte kurz, ehe sie mit einem unterdrückten Lachen in der Stimme antwortete: »Für mich bist du der größte, stärkste und schönste Mann in der ganzen Grafschaft.«

»Was! Bloß in der Grafschaft?«

»Nun, vielleicht auch noch von Northumberland und Cumberland.«

»Das will ich doch meinen«, brummte er amüsiert, während er sie mitsamt ihrem Campinghocker so plötzlich zu sich herumdrehte, dass die Farbe auf dem Bild verschmierte und Bridget erschrocken aufschrie. Doch auch sie lachte, als er ihr Gesicht in beide Hände nahm und kopfschüttelnd ihre Züge studierte. Obwohl es einige Zeit dauerte, ehe er weitersprach, hielt sie so lange still, bis er schließlich murmelte: »Was macht dich bloß so faszinierend, Bridget? Das frage ich mich immerzu, denn eine Schönheit bist du nicht, weißt du? Herzförmige Gesichter sind aus der Mode und dein Teint ist zu dunkel, um dich als typische »englische Rose« gelten zu lassen. Ich gebe allerdings gerne zu, dass du besonders schöne Augen hast. Vielleicht sind es ja diese sanften grauen Rehaugen. Trotzdem bist du keine Schönheit – also was ist es? Ist es womöglich deine Zurückhaltung, deine Verträumtheit, die dich fast unnahbar macht? Weckt sie in Männern den Wunsch, dich an sich zu reißen? Ist es das, Bridget?«

Bridget war das Lachen vergangen. Mit geradezu trauriger Miene antwortete sie: »Es ist mir ganz gleich, was es ist, Laurence, solange es dich nur dazu bringt, mich zu lieben.«

»Ich liebe dich ja und in vierzehn Tagen werde ich dir zeigen, wie sehr.«

Bridget ließ ein wenig den Kopf hängen, da wurde sie mit einem plötzlichen Ruck auf die Füße gezogen und verschwand fast im Griff seiner starken Arme. Als Laurence seine Lippen auf die ihren presste, erwiderte sie seinen Kuss voller Leidenschaft, doch schon einen Augenblick später versuchte sie, mit einer hastigen Körperdrehung von ihm loszukommen.

Laurence hielt Bridget jedoch weiter an sich gedrückt, ihre Gesichter berührten sich allerdings nicht mehr – und in seinem waren Erstaunen und eine Spur von Verärgerung zu lesen, als er fragte: »Warum tust du das immer, Bridget? Gefällt es dir nicht, wenn ich dich küsse?«

»Aber natürlich gefällt es mir, Laurence.«

»Warum also?« Sofort löste er seinen Griff und ließ die Arme sinken. Bridget trat langsam zurück und blickte geradeaus, was bedeutete, dass sie genau auf seine Schulter sah, und murmelte: »Ich weiß es nicht, Laurence. Ich will das gar nicht.« Dann hob sie den Kopf, sah ihm nun in die Augen und sagte schlicht: »Ich liebe dich.«

»Aber du hast Angst vor mir?«

»Nein, nein, das ist es nicht, Laurence, ich habe keine Angst vor dir. Warum sollte ich auch? Ich kenne dich, seitdem ich denken kann.« Sie lächelte. »Meine erste Erinnerung an dich ist, wie du neben Großmutters Stuhl stehst, und Großmutter sagt: ›Hör auf, dich so vollzustopfen, Laurie. Gib mir diese Bonbons.‹«

»Das hast du mir schon einmal erzählt, aber ich glaube nicht, dass du dich wirklich an etwas Derartiges erinnern kannst. Ich kann es jedenfalls nicht. Und außerdem habe ich mich nie mit Süßigkeiten vollgestopft.«

»Oh doch, das hast du. Großmutter hat erzählt, dass du immer gefuttert hast, bis dir schlecht wurde … wenn du etwas mochtest, konntest du einfach nicht widerstehen.«

Ein ungemütliches Schweigen breitete sich aus. Im schrägen Licht der Abendsonne verharrten beide so regungslos, dass ihre langen Schatten mit denen der Bäume verschmolzen, die sich rechts neben der kleinen Zedernholzhütte abzeichneten, die am Ufer über dem Teich stand. Der Teich an sich war nur eine Vertiefung in einem Felsplateau, die von einem kleinen Bach gespeist wurde, der die Rinne zwischen den Felsklippen hinunterplätscherte. Was aus dem Teich abfloss, ergoss sich über einen langen, teilweise bewaldeten Abhang in den Fluss Lune.

Auf dem über vier Hektar großen Anwesen der Overmeers mit seinen Wäldern und Gärten gab es keinen schöneren Ausblick als den von oberhalb des Teiches. Denn jenseits des schräg abfallenden Waldes, durch den der Bach floss, lagen die Fells, die Hügel um den Mickle Fell, der sich – zumindest aus der Entfernung betrachtet – wie ein Vater aus dem Bett des Waldes über alle anderen erhob.

Doch im Augenblick hatte Bridget keinen Sinn für die Schönheit, die sich vor ihr ausbreitete, denn wieder einmal hatte sie mit einem verstörenden Gefühl zu kämpfen. Es war durch die Erinnerung an den Vorfall in Laurences Kindheit ausgelöst worden; eine Erinnerung, die sie wachgerufen hatte, obwohl sie wusste, dass sie ihn verärgern würde. Warum also hatte sie das getan? Der einzige Grund, der ihr einfiel, war, dass ein Teil, ein kleiner Teil von ihr, Laurence – auf Französisch gesagt – nicht sympathique fand. Es war ungefähr so wie bei der alten Nancy, die, wenn sie in ihrer Küche im Haus beschäftigt war und gebeten wurde, Kate, dem Hausmädchen, etwas auszurichten, gelegentlich erwiderte: »Sagen Sie’s ihr selbst, Miss Bridget, ich bin heut nicht gut auf sie zu sprechen.«

Doch warum fand sie Laurence insgeheim »unsympathisch«? Schließlich liebte sie ihn, genau wie sie gesagt hatte. Sie hatte ihn immer geliebt. Und warum stellte sie sich Fragen, deren Antworten sie schon kannte? Sie wusste jedoch recht genau, was sie insgeheim »unsympathisch« fand.

»Machst du dir irgendwelche Sorgen, Bridget?«, fragte Laurence, ohne näher zu kommen.

»O nein. Nein, ich wüsste nicht, warum.« Bridget drehte sich um und blickte ihn über die Schulter hinweg an; sie schauten einander eine ganze Weile in die Augen, bis er sagte: »Du bist jetzt die Einzige in meinem Leben, glaubst du mir das?«

Sie sagte nicht, ja, Laurence, denn sie dachte nur daran, dass er gesagt hatte, du bist jetzt die Einzige in meinem Leben. Ihr war, als hätte dieses jetzt sie wie ein Dreizack an mehreren Stellen durchbohrt, denn urplötzlich litt sie schreckliche Schmerzen. Er hatte nicht, wie gewöhnlich, gesagt, du bist die Einzige in meinem Leben, sondern du bist jetzt die Einzige in meinem Leben.

»Du glaubst mir doch?« Er war auf sie zugetreten, und sie antwortete schlicht: »Ja, Laurence, ich glaube dir.«

»Und warum bist du dann so bedrückt? Na komm, lass uns zurückgehen; Mutter hat eins ihrer köstlichen Abendessen vorbereitet. Man könnte meinen, ich würde fünf Jahre fortgehen anstatt nur für fünf Tage. Wirst du mich vermissen?« Seine breite Brust versperrte ihr erneut die Sicht, doch sie schaute zu ihm auf und sagte aus tiefstem Herzen: »Jede Minute, die du fort bist.«

»Dann küss mich.«

Leicht erschrocken schaute sie auf seine Arme, doch er machte keinerlei Anstalten, sie an sich zu ziehen.

»Nimm mich in den Arm und küss mich.«

Sie wiegte den Kopf und ihre langen dunklen Wimpern flatterten ein wenig, dann stotterte sie: »Aber Laurence, ich … ich komme mit meinen Armen gar nicht ganz um dich herum.« Kein Muskel seines Gesichts reagierte auf die verhaltene Heiterkeit in ihrer Stimme. Sein gerader Mund blieb starr, die Flügel seiner Nase – die für einen Mann seiner Statur recht klein war – bebten kaum merklich und unter seinen halb geschlossenen Lidern drang nur ein Schimmer dunkelblauen Lichts hervor.

Bridget beugte sich vor, schlang langsam die Arme um seinen Hals und legte mit geschlossenen Augen ihre Lippen auf die seinen. Der Druck ihres Mundes war sanft und wurde nicht erwidert. Daraufhin nahm sie mit niedergeschlagenem Blick wieder Haltung an; es war, als habe sie bei einer ganz einfachen Aufgabe versagt und sei sich dessen auch schmerzlich bewusst.

»Es tut mir leid, Laurence.«

»Leid?«, fragte er mit hoher Stimme und offensichtlich erheitert. »Was tut dir denn leid? Na komm schon.« Er legte ihr die Hand unters Kinn und brachte sie dazu, ihn anzusehen. »Ich habe dich gebeten, mich zu küssen, und du hast mich geküsst. Was könnte ich sonst noch wollen? Aber nun komm.« Damit nahm er ihren Arm und drehte sie der Staffelei zu. »Pack diese schmutzigen Sachen weg und lass uns ins Haus gehen. Wenn wir zu spät zum Abendessen kommen, wird es Ärger geben.«

Gehorsam nahm Bridget Staffelei und Palette und brachte sie in die Zedernhütte, dann holte sie ihre Farben. Zurück in der Hütte, als sie hinter der Tür stand und ihre Hände an einem terpentingetränkten Lappen abwischte, ließ sie plötzlich den Kopf hängen und biss sich fest auf die Lippen. Warum hatte sie ihn nicht küssen können, so wie er es gewollt hatte? Warum nur? Er war ärgerlich und böse auf sie. Oh, sie kannte alle diese Anzeichen. Und hatte er nicht gesagt, dass sie jetzt in seinem Leben die Einzige war? Also, wenn sie wollte, dass die Dinge blieben, wie sie waren, musste sie aufhören so … was war das richtige Wort? Schüchtern? Überempfindlich? Zurückhaltend? Er nannte es zurückhaltend, er hatte immer gesagt, sie sei zurückhaltend. Dabei wollte sie gar nicht so sein; sein bloßer Anblick weckte in ihr den Wunsch, sich in seine Arme zu werfen und sich derart fest an ihn zu klammern, dass sie eins wurden.

Er steckte seinen Kopf durch die Tür. »Kommst du nun, was machst du denn so lange?«

»Ich mache mir nur die Hände sauber.«

»Du kannst sie doch im Haus waschen.«

»Nein, das muss ich hier tun; du weißt doch, wie sehr Tante Sarah den Geruch von Farbe hasst.«

Während Bridget im einzigen Raum der kleinen Hütte am Eckwaschbecken stand und sich die Hände säuberte, rief Laurence von draußen: »Ach, ich habe ganz vergessen, dir zu erzählen, dass Mutter einen Brief von Großmutter bekommen hat. Großmutter hat beschlossen, dir zur Hochzeit die Tiara und die Kette zu schenken.«

Bridget hielt beim Einseifen inne, wandte überrascht den Kopf zur Tür und schrie: »Aber ich will sie gar nicht. Großmutter hat sie doch Yvonne versprochen und Yvonne rechnet nun auch damit, sie zu bekommen. Sie wird enttäuscht sein.«

»Man nimmt, was man kriegen kann, Mädchen, insbesondere von Großmama.«

»Aber ich trage nie Schmuck, das weißt du doch; Yvonne in Amerika würde vor lauter Freude aus dem Häuschen sein.«

»Man kann nie wissen, wann sich eine Gelegenheit ergibt, eine Tiara zu tragen. Wie auch immer, du wirst sie bekommen.«

»Aber Großmama gibt mir doch schon fast ihr ganzes Silber und den Rembrandt und den Corot. Ich kann das einfach nicht annehmen.«

Bridget warf das Handtuch beiseite und eilte nach draußen, wobei sie wiederholte: »Ich kann das einfach nicht annehmen, Laurence; es wäre Yvonne gegenüber nicht fair.«

»Ach was, Yvonne gegenüber nicht fair!«, spottete Laurence. »Yvonne ist eine Cousine, die du zweimal im Leben getroffen hast und womöglich nie wieder siehst.«

»Natürlich werde ich das, du hast gesagt, dass wir nächstes Jahr nach Amerika fahren.«

»Ach ja. Na egal, wenn Großmutter sich in den Kopf gesetzt hat, dass du die Sachen haben sollst, wirst du daran wohl nichts ändern können, Du kennst doch Großmama.«

Während Bridget schweigsam neben Laurence herlief – den von Ebereschen gesäumten Weg hinauf in den Wald hinein – dachte sie, ja, ich kenne Großmama. Besser als irgendjemand anders. Großmama war ihr gleichzeitig Mutter, Vater und Familie und sie liebte sie sehr – doch Großmama war eine dickköpfige alte Frau. Sie hätte eigentlich wissen müssen, dass Bridget keinen Wert auf Schmuck legte. Gold und Juwelen bedeuteten ihr überhaupt nichts. Außerdem hatte Bridget genug eigenes Geld, um sich jedes gewünschte Schmuckstück leisten zu können, falls sie es wirklich haben wollte. Yvonnes Familie hingegen – obwohl keineswegs arm – war nicht in der Lage, der einzigen Tochter Diademe zu kaufen. Großmutter hatte wohl wieder eine ihrer Launen … manchmal war sie richtig stur. Tante Sarah sagte immer, Großmama sei ein weiblicher Esel.

Beim Gedanken an Laurences Mutter kam Bridget eine Idee. Tante Sarah war letzte Woche nach Somerset gefahren, um Großmutter in Chard zu besuchen. Ob das etwas mit Großmamas Entscheidung zu tun hatte, ihrem ohnehin üppigen Hochzeitsgeschenk noch etwas hinzuzufügen? Allerdings glaubte sie kaum, dass Tante Sarah großen Einfluss auf die alte Dame hatte, denn die beiden hatten sich von Anfang an nicht gemocht. Es hatte mit Großmutters erster Hochzeit begonnen, als sie einen Witwer namens Arnold Lacey geehelicht hatte. Er war der Besitzer von Balderstone House und hatte ein Kind, Sarah.

Sarah war acht, als die lebhafte, in der ganzen Grafschaft umschwärmte rabenschwarze Schönheit Hester Foley ihre Stiefmutter wurde. Doch auf den Tag genau ein Jahr später verlor Sarah ihren Vater und ihre Stiefmutter den Mann. Es war der Tag der großen Jagd. Am Abend brachte man seinen Leichnam und den seines Pferdes vom Grund des Abhangs, den sie hinabgestürzt waren.

Nach einer angemessenen Frist von drei Jahren heiratete Sarahs Stiefmutter Roland Gether. Er zählte nicht zur Landaristokratie, sondern war ein reicher Industrieller, dessen Motto lautete: »Wo Dreck ist, ist auch Geld«. Daher zog die Familie nach Newcastle – allerdings ins beste Wohnviertel der Stadt. Trotzdem wurde Balderstone House nicht verkauft, aus einem ganz einfachen Grund: Es war Sarah vermacht worden, denn es handelte sich um das Elternhaus ihrer Mutter.

Aus Hester Laceys zweiter Ehe stammten zwei Söhne, Arthur und Paul. Beide heirateten jung und innerhalb eines Jahres; innerhalb eines weiteren Jahres gebaren beide Ehefrauen Töchter. Das geschah im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs, und Arthur, der um die Sicherheit seiner Frau und seines Kindes fürchtete, schickte seine Familie nach Amerika. Pauls Frau weigerte sich, ihren Mann zu verlassen, und besiegelte damit ihr Schicksal, denn während der deutschen Luftangriffe wurden Paul und seine Frau zusammen mit Roland Gether, seinem Vater, getötet. Bridget, Pauls Tochter, kam zu ihrer Großmutter, die damals nach Somerset evakuiert war, und blieb von da an bei ihr.

Jahre zuvor war Sarah Lacey in ihr Geburtshaus zurückgekehrt, denn mit einundzwanzig Jahren konnte sie über das Geld verfügen, das ihr Vater in einem Treuhandfonds für sie angelegt hatte. Nachdem sie Balderstone wieder bezogen hatte, machte sie Haus und Anwesen zu ihrem Lebensinhalt. Sie war dreiunddreißig, als sie Vance Overmeer kennenlernte und sofort auch heiratete. Vance war sechs Jahre jünger, groß, blond, charmant und pleite, doch unter Sarahs Anleitung blieb er das nicht lange. Im ersten Jahr ihrer Ehe kam ein Sohn zur Welt, den sie Laurence nannten und der charakterlich wie auch äußerlich ganz nach seinem Vater schlug – von Sarah schien er gar nichts mitbekommen zu haben. Ob Sarah sich darüber freute oder ärgerte, wusste niemand zu sagen, denn noch nie war jemand mit Sarah Overmeer vertraut geworden.

Sie konnte zwar sehr einschüchternd wirken, doch Bridget hatte keine Angst vor ihr. Sie hatte Sarah stets gemocht, konnte zwar nicht behaupten, dass sie ihre Tante verstand, doch daran dachte bei Tante Sarah ohnehin niemand. Man nahm sie als das, was sie war – die uneingeschränkte Herrin des Hauses und Gebieterin über alles, was sich darin befand, einschließlich der Männer.

Bridget hatte stets einen Teil der Ferien in Balderstone verlebt, die meiste Zeit verbrachte sie allerdings bei ihrer Großmutter. Von einer Klosterschule an der Südküste hatte sie dreimal im Jahr den Zug nach Durham oder nach Somerset genommen, je nachdem, welchen Ort sie zuerst besuchen sollte. Als Kind hatte sie es geliebt, bei ihrer Großmutter zu sein, doch als sie heranwuchs, bekam sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie am Ende des Schuljahres feststellte, dass sie am liebsten zuerst nach Norden gefahren wäre, weil sie dort womöglich Laurence traf. Manchmal, wenn ausgemacht worden war, dass sie direkt nach Balderstone fahren sollte, glaubte sie erst, Glück gehabt zu haben. Doch nach ihrer Ankunft musste sie häufig zu ihrer größten Enttäuschung erfahren, dass Laurence zum Schilaufen oder zum Segeln gereist war, oder sich später auch auf Geschäftsreise für die Firma befand, denn der Name Overmeer wurde in der Textilbranche immer bekannter.

Als Bridget achtzehn wurde, beschloss man, sie für zwei Jahre ins Ausland zu schicken, ein Jahr sollte sie in Paris wohnen und eines in Deutschland. Sie protestierte lauthals gegen diese neuen Pläne. Was hatte man schon davon, »den letzten Schliff« zu bekommen? Sie war nicht dazu geschaffen, im Gesellschaftsleben eine große Rolle zu spielen. Nicht dass sie Menschen nicht gemocht hätte. Weit gefehlt! Aber Partys und ähnliche Belustigungen bedeuteten ihr nichts. Sie konnte zwar tanzen und tat es gelegentlich auch ganz gern, doch was sie wirklich mochte, ja sogar liebte, das war das Malen. Sie wollte nur eines – malen. Wozu nur, fragten alle – in Somerset und in Balderstone –, die miteinander über ihr Leben bestimmten. Du kannst zum Zeitvertreib malen, doch große Mühe brauchst dir nicht zu geben, schließlich wirst du nie deinen Lebensunterhalt damit verdienen müssen.

Wie oft sie sich schon gewünscht hatte, tatsächlich vom Malen leben zu müssen, denn dann wäre sie standhaft geblieben und hätte sich geweigert, diese zwei Jahre zu vergeuden. Andererseits, hätte sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, so wäre vom »letzten Schliff« nie die Rede gewesen und niemand hätte etwas gegen harte Arbeit einzuwenden gehabt. Das wusste sie natürlich auch.

Während sie an den Ebereschen entlang und durch den Wald spazierten, wurde Laurences Missfallen für Bridget immer spürbarer. Es verletzte sie, doch gleichzeitig fragte sie sich, was er denn von ihr erwartete. Was nur, was? Zur Antwort erschien ein sehr lebhaftes Bild vor ihrem geistigen Auge, das ihr Blut schneller durch den Körper kreisen ließ, und ihr wurde so heiß, dass sie glaubte, sogar ihr Haar sei eine Schattierung dunkler geworden.

Oft bekam sie keine Antwort, wenn sie sich selbst Fragen stellte. Sinn und Zweck schienen in der Verträumtheit, die sie umgab, einfach abhanden zu kommen. Doch manchmal, wie gerade eben, gab sie sich die Antwort auf der Stelle, und zwar mit geradezu blitzartiger Geschwindigkeit. Dann kam das, was sie ihr »großmütterliches Erbe« nannte, zum Vorschein. Und sie stellte fest, dass dieser Teil von ihr, je älter sie wurde, ein immer größeres Stück ihres sonst so ruhigen und zurückhaltenden Charakters ausmachte. In solchen Augenblicken dachte sie in überaus anschaulichen Bildern, und ihr entschlüpften Erwiderungen, die nicht nur ihre Gesprächspartner sondern auch sie selbst erstaunten. Doch das kam nur sehr selten vor. Meist verlief ihr Leben – ob in Balderstone House oder im riesigen Landhaus ihrer Großmutter – in angenehm ruhigen Bahnen. Nur in den letzten sechs Monaten war es etwas aufregender gewesen, denn seit dieser Zeit war sie mit Laurence Overmeer verlobt.

Wie war es eigentlich zu der Verlobung gekommen? Das hatte sie nie ganz verstanden; jedenfalls hatte es vor der Liebeserklärung keinerlei zarte Annäherungsversuche gegeben. Angefangen hatte es an einem Morgen, an dem sie am Bett ihrer Großmutter saß und die Post öffnete. Hester Gether hatte über den Rand des Briefes geschaut, den sie gerade las; ihre Augen zwinkerten selbst mit neunundsiebzig noch ebenso verschmitzt wie zu ihrer Jungmädchenzeit. Und mit diesem Zwinkern drückte sie zuweilen mehr aus als mit Worten. So war es auch in jenem Augenblick, als sie sagte: »Deine Tante Sarah schreibt, sie möchte gerne, dass du zu ihnen hochfährst, denn sie planen eine kleine Party. Laurence bringt ein paar Freunde aus Holland mit. Sie denkt, es könnte dir Spaß machen.«

Dann hatte die alte Dame den Brief langsam auf die gesteppte Satinbettdecke sinken lassen, ihn mit ihren Händen bedeckt, sich aus ihren Kissen zu Bridget vorgebeugt und verkündet: »Deine Tante Sarah hat vor, dich zu verheiraten.«

»Wen, mich?«

»Du hörst dich an wie diese Witzfigur, die über eine Mauer linst … Wen, mich? Ja, dich. Sie meint, du hast lange genug in deinem Wolkenkuckucksheim gelebt.«

»Und was denkst du, Großmama?«, hatte Bridget gefragt, nun ihrerseits mit einem Zwinkern im Blick.

»Ich denke, dass irgendwo, tief in dir ein bisschen von mir steckt und du das Richtige tun wirst.«

»Und was ist das Richtige, Großmama?«

»Folge deinem Herzen.«

Großmutter ahnte nicht, dass sich Bridgets Herz schon seit Jahren nach Laurence sehnte. Bridget hatte ihre Gefühle jedoch vor ihrer Großmutter verborgen, da sie wusste, dass die alte Dame nicht allzu viel von Laurence hielt. Nicht dass sie das offen gesagt hätte, doch durch ihr beredtes Schweigen, das leichte Kräuseln der Nase, das Vorschieben der Unterlippe, wenn sein Name fiel, verriet die alte Dame, welche Meinung sie vom Sohn ihrer Stieftochter hatte.

Als Bridget in Balderstone ankam, gab es überraschenderweise gar keine anderen Gäste, keine jungen Männer aus Holland und auch keine Party. Es sei etwas dazwischengekommen, hatte Tante Sarah gesagt. Allerdings habe sie keinen Grund gesehen, Bridget vom Kommen abzuhalten, da Laurence zu Hause sei und Gesellschaft brauche.

Hatte es die jungen Männer aus Holland womöglich nur in Tante Sarahs Fantasie gegeben? Wohl kaum, denn Laurence erklärte ebenfalls, am Hauptsitz der Firma in Holland habe sich ein Problem ergeben, das die Anwesenheit seiner zwei besten Freunde erforderlich gemacht habe. Und ein Dritter sei krank geworden. Daher gab es keinen Grund anzunehmen, das Ganze sei ein abgekartetes Spiel gewesen, um sie und Laurence zusammenzubringen.

Doch Hester Gether ließ sich nicht von dieser Meinung abbringen, nachdem man ihr die Neuigkeit überbracht hatte, dass Laurence Bridget einen Heiratsantrag gemacht habe.

So groß war ihr Zorn, dass sie sogar damit drohte, auf der Stelle nach Balderstone zu kommen; und deshalb hatte Sarah Laurence auch geraten, Bridget sofort zu ihrer Großmutter zu bringen und der alten Dame zu beweisen – dabei lächelte sie säuerlich –, dass seine Absichten ehrenvoll seien.

Bridgets Unterredung mit ihrer Großmutter war nur kurz, eine Sache von Minuten.

Warum sie das getan habe, fragte Hester.

Weil sie ihn liebe, hatte Bridget geantwortet.

Seit wann, fragte Hester.

Seit sie denken könne, antwortete Bridget.

Daraufhin hatte Hester geseufzt, den Kopf in die Hände gestützt und gesagt: »Schick mir Laurence.«

Laurence blieb länger als nur ein paar Minuten bei der alten Dame. Genau genommen eine ganze Stunde, denn Bridget hatte auf die Uhr geschaut, ängstlich die Minuten gezählt und sich gefragt, ob er wohl gleich aus dem Zimmer kommen und sagen würde, Großmutter habe es verboten. Doch im Grunde wusste sie, dass niemand Laurence davon abhalten konnte, zu tun, was er wollte. Niemand machte ihm etwas streitig, das er sich wünschte. Auch damals musste sie an den Vorfall mit den Süßigkeiten denken … Hör auf, dich so vollzustopfen, Laurence, übertreib es nicht …

Als sie durch den Rosengarten und an der von Pfauen bewachten Eibenhecke vorbei in Sichtweite des Hauses kamen, hatten sie noch immer kein Wort miteinander gewechselt.

Balderstone war ein hässliches Haus. Es war schwer, einen Bau, der aus Bruchsteinen von den nahen Hügeln errichtet worden war, hässlich aussehen zu lassen, doch bei Balderstone war es gelungen. Es ähnelte einer riesigen Kiste mit zwei Griffen und einem Deckel, wobei die Griffe von einer Gruppe von Schornsteinen an der Ost- und Westseite des Schieferdaches gebildet wurden. Selbst die Rasenflächen, die aus allen Richtungen bis ganz an die Mauern reichten, machten es nicht schöner. Und die Fenster, die mit der simslosen Front eine gerade Linie bildeten, wie auch die Eingangstür, die zwar beeindruckte, doch ohne den Schmuck eines Vordachs auskommen musste, verstärkten den nüchternen, abweisenden Eindruck noch, den das Ganze machte.

Wenn die Steinmauern mit Kletterpflanzen bewachsen gewesen wären, hätte alles ganz anders ausgesehen, doch Sarah Overmeer wollte kein »Grünzeugs« an ihrem Haus hochranken lassen. Vor einigen Jahren hatte sie der Anbringung einer eisengestützten Überdachung an der Südseite zugestimmt, die die Salon- und Arbeitszimmerfenster miteinander verband, die zu Türen umfunktioniert worden waren – doch zu mehr war sie nicht bereit.

Im Gegensatz zur denkbar hässlichen Fassade des Hauses waren die umliegenden Gärten sowohl von der Anlage als auch von der Bepflanzung her wunderschön. Und Schönheit umfing den Besucher ebenfalls, sobald er die Schwelle des Hauses übertrat und vor sich, hinten aus der großen Empfangshalle aufsteigend, die halbrunde Treppe mit dem schmiedeisernen Geländer sah. Wohin das Auge auch blickte, es fiel auf gepflegte antike Möbelstücke und üppig gepolsterte Sitzgelegenheiten. Der mittlere Teil des Hallenbodens war mit einem fein geknüpften chinesischen Teppich bedeckt, dessen leuchtende Farben zusammengenommen eine sanfte Harmonie ergaben und dessen cremefarbener Grundton von den schweren Brokatvorhängen an den Fenstern aufgenommen und wiederholt wurde.

Die Eleganz der Halle setzte sich im ganzen Haus fort, denn Sarah Overmeer war stolz darauf, niemals etwas halb zu tun.

Als sie hereinkamen, war die Halle leer, daher wandte sich Bridget, unfähig Laurence’ Missfallen noch länger auszuhalten, ihm zu und flüsterte: »Es tut mir leid, Laurence.«

Laurence, der vor einem schmalen Spiegel zwischen zwei zierlichen Beistelltischen stand und seine Krawatte zurechtrückte, fuhr herum; seine Miene und seine ganze Haltung drückten Erstaunen aus und er fragte: »Wie bitte? Wie meinst du das? Was tut dir leid?«

Bridget schluckte und musterte ihre Fußspitzen, dann schüttelte sie den Kopf. So war Laurence am schlimmsten. Er konnte einem das Gefühl geben, sich alles nur eingebildet zu haben.

»Bridget entschuldigt sich? Hat unsere kleine Jungfer im. Grünen in ihrem ganzen Leben je etwas getan, für das sie sich entschuldigen müsste?« Er spielte ein grausames Spiel mit ihr und sie konnte das nicht ertragen. Sie wandte sich rasch von ihm ab und wollte gerade die Treppe hinaufsteigen, als sich am anderen Ende der Halle eine Tür öffnete und Sarah Overmeer erschien, die, den Blick auf Bridget gerichtet, einen Moment verharrte.

Sarah war eine hochgewachsene Frau, so dunkel wie ihr Sohn hell, und dabei ebenso groß wie er, jedoch schlank. Sie trug ein blaues Samtkleid mit einer üppigen weißen Latzschürze darüber. Während sie die Schürzenbänder in ihrem Rücken aufknotete, sagte sie: »In einer Viertelstunde gibt es Abendessen und ihr seid noch nicht fertig.« Dann wandte sie sich ab, trat ein paar Schritte zu einem Eichenschrank hin, öffnete ihn und hängte ihre Schürze auf.

Sarah Overmeer war in der Grafschaft für vieles bekannt, nicht zuletzt für die Köstlichkeit der Speisen, die auf ihren Tisch kamen – eine Folge ihres strengen Regiments in der Küche. Man erzählte sich eine Geschichte über Sarah und die Köchin, die sie eingestellt hatte, als sie Vance Overmeer heiratete. Diese Köchin hatte sich über die ständige Einmischung in der Küche beklagt – Schnüffelei hatte sie es sogar genannt – und öffentlich erklärt, dass sie keine Lady kenne, die auch nur im Traum daran dächte, sich in der Küche die Finger schmutzig zu machen. Ladys gaben Anweisungen und überließen alles andere der Person, die sie dafür bezahlten, sie auszuführen. Den Gerüchten nach packte Sarah daraufhin die Köchin am Genick und warf sie eigenhändig aus der Küche. Ob das nun stimmte oder nicht, jedenfalls wurde die Frau mit ihrer gesamten Habe umgehend zum fünf Meilen entfernten Bahnhof befördert, damit sie noch den Mittagszug erwischte, der sie fortbringen sollte – wohin auch immer.

Danach gaben sich die Köchinnen bei Sarah die Klinke in die Hand, bis sie in Middleton, einer Stadt, die praktisch vor der Haustür lag, auf Arthur MacKay und seine Frau Nancy stieß, die sie beide selbst ausbildete, MacKay als Butler und Nancy als Köchin. Seither lief der Haushalt wie geschmiert – zumindest was die Dienstboten betraf.

Sarah trat zu ihrem Sohn, und als sie seinem Blick folgte, sah sie Bridget um die Ecke des oberen Treppengeländers verschwinden. Sie wandte sich ab und bewegte sich langsam aufs Esszimmer zu, dabei fragte sie leise: »Was ist denn los?«

»Gar nichts.«

Da blieb sie stehen und warf Laurence einen kurzen Blick zu, ehe sie ihren Weg fortsetzte.

Laurence, der an der Stelle stehen blieb, an der seine Mutter ihn verlassen hatte, ballte eine Hand zur Faust und stieß sie geräuschlos in die Handfläche der anderen Hand, dann eilte er durch die Halle in Richtung des Arbeitszimmers. Dort angekommen, ging er direkt zum Barschrank und nahm ein Tablett heraus, auf dem eine Flasche Whisky samt Soda und Gläsern stand. Dann schenkte er sich einen guten Schluck ein. Als sein Blick auf den großen Tageskalender auf dem Schreibtisch fiel, murmelte er: »Am vierzehnten. Erst am vierzehnten. Noch fünfzehn Tage – und dann?« Damit stürzte er den Whisky in einem Zug hinunter, tupfte sich den Mund mit dem Taschentuch ab und murmelte, ohne eine Spur von Zweifel oder Unsicherheit im Blick: »Ich werde meinen Willen bekommen; sie hat ihre Chance gehabt. Wenn sie sich nicht beugt, muss man sie brechen – und zwar je eher, desto besser.«

Unsere kleine Jungfer im Grünen. Bridget wiederholte die Bezeichnung im Stillen, während sie die Treppe hinaufstieg. Früher, wenn Laurence diesen Ausdruck gebraucht hatte, hatte seine Stimme einen liebevollen Unterton gehabt, mit dem er auf ihre elfenhafte Zartheit anspielte. Aber so, wie er ihn eben ausgesprochen hatte, war bloß Verbitterung und kaum verhüllter Ärger herauszuhören.

Dabei wollte sie ihn doch gar nicht verärgern; warum konnte sie sich nicht so verhalten, wie er es erwartete?

»Sie geht vorbei und sagt nicht einmal: ›Ach, du lebst noch?‹« Die Stimme, die aus einer offenen Tür auf der linken Seite des breiten Treppenabsatzes kam, unterbrach ihre Selbstvorwürfe und ließ sie herumfahren zu einem Mann, der im Morgenmantel am Türrahmen lehnte.

»Oh, John, es tut mir leid. Ich wollte nach dem Umziehen vorbeikommen.« Sie eilte auf ihn zu. »Ich brauche nur fünf Minuten, höchstens zehn. Wie fühlst du dich?«

»Gut, gut … abgesehen von den Beinen, dem Kopf und dem Magen; aber dem Rest geht’s gut.«

Bridget blieb vor dem Mann stehen, schaute zu ihm auf und lachte ihn an.

John MacDonald war ebenso groß wie Laurence und hätte wohl, falls seine langen Glieder ähnlich gut gepolstert gewesen wären, einen ebenso kraftvollen Eindruck gemacht. Doch trotz des Morgenmantels wirkte er eher knochig und dürr. Auch sein Gesicht war hager, was dazu führte, dass er insgesamt recht streng aussah. Doch diese Strenge wurde durch seine tief liegenden braunen Augen gemildert, die trotz des durchdringenden Blickes Sinn für Humor und echte Herzenswärme erkennen ließen.

»Ich verstehe nie, wie Ärzte krank werden können; ich dachte immer, sie besäßen eine Art Zauberformel, die sie schützt«, sagte Bridget, immer noch lächelnd. Ihr wurde bewusst, dass sie in Gesellschaft dieses Mannes stets zum Lächeln oder Lachen aufgelegt war. Seine herbe Art hatte sie nie eingeschüchtert.

»Das dachte ich auch. Seltsam, nicht?« Er nickte ihr zu. »Und dann von der gemeinen Grippe niedergestreckt zu werden! Wenn ich an all die Fische denke, die jetzt fröhlich im Wasser herumschwimmen und sich über mich totlachen … Ach, es macht mich ganz verrückt. Und das muss ausgerechnet in meinem Urlaub passieren! Ich frage dich, hast du je so einen Glückspilz gesehen? Außerdem« – er deutete anklagend mit dem Finger auf sie – »sitze ich den ganzen Nachmittag hier fest und keine Seele kommt mich besuchen.«

»Oh, tut mir leid, John, nach dem Abendessen werde ich zu dir kommen und mich ausführlich mit dir unterhalten.«

»Das wirst du nicht, vielen Dank, wir werden heute Abend unten miteinander reden. Ich komme zum Abendessen herunter … ich bin schon fertig.« Er zog die Aufschläge seines Morgenmantels auseinander.

»Oh, gut … gut. Oh, das freut mich … ich seh’ dich dann gleich. Jetzt muss ich mich beeilen.«

Im Umdrehen warf sie ihm ein breites Lächeln zu, dann rannte sie über den breiten Treppenabsatz zu ihrem Zimmer.

Ihr blieb keine Zeit für ein Bad, daher wusch sie sich nur kurz, trug ihr spärliches Make-up auf und hüllte ihren schmalen, fast kindlichen Körper in ein graues Baumwollkleid, dessen Schlichtheit über den teuren und exklusiven Schnitt hinwegtäuschte.

Nun fühlte sie sich besser, sie fühlte sich jedes Mal besser, wenn sie John getroffen hatte … John, der ihr wie ein Bruder war … fast wie ein Vater. O nein, nicht wie ein Vater! Lachelnd tadelte sie sich selbst für diesen Gedanken. John mit seinen fünfunddreißig Jahren – ihr Vater? Jedenfalls wirkte er älter, als er war. Ihre Tante Sarah sagte immer, John sei mit zwölf auf einen Schlag erwachsen geworden, und zwar 1940, als er Vater und Mutter bei einem Luftangriff auf London verlor. Von da an hatte er in Balderstone gewohnt. Seither betrachtete er es als Zuhause und nannte Sarah und Vance Overmeer Tante und Onkel, obwohl sie gar nicht blutsverwandt waren, denn Sarah war bloß eine Schulfreundin seiner Mutter gewesen.

Trotzdem brachte Bridget Balderstone nie mit John in Verbindung, denn er hielt sich nur noch selten für längere Zeit dort auf, im Augenblick war es dazu nur gekommen, weil er auf dem Weg zum Angelurlaub in Schottland krank geworden war. Das lag sicher daran, dass John seine Praxis in London hatte. Und außerdem war die Beziehung zwischen ihm und ihrer Tante seit seiner Hochzeit, von der Tante Sarah nur als »diese schockierende Geschichte« sprach, natürlich etwas angespannt.

Das Läuten der Glocke schreckte sie auf. Erst wollte sie eilig aus dem Zimmer stürzen, doch dann hielt sie inne, ging zum Drehspiegel und betrachtete sich einen Augenblick lang prüfend. Es war, wie Laurence gesagt hatte: Sie war keine klassische Schönheit. Allerdings hatte er auch gesagt, sie habe »das gewisse Etwas«. Sie neigte den Kopf zur Seite. Was war es? Sie konnte es weder sehen noch fühlen, doch was immer es sein mochte, sie betete – sie faltete tatsächlich die Hände – ja, sie flehte, dass es Laurence lebenslang an sie fesseln möge.

Sie stürzte nicht aus dem Zimmer und rannte auch nicht über den Treppenabsatz die Stufen hinunter, wie sie es meist tat, wenn die letzte Glocke geläutet wurde. Stattdessen ging sie langsam, fast schon gemessenen Schrittes, in die Halle hinab, wo sie Laurence und John scherzend im Esszimmer verschwinden sah.

Dieser Anblick verblüffte sie derart, dass sie stehen blieb und ein warmes Gefühl ihren Körper durchströmte. Wie lange mochte es her sein, dass sie diese beiden Männer zusammen hatte lachen sehen? Das war schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht klar gewesen, wie sehr sie die ganze Zeit über von der Stimmung zwischen den beiden beeinflusst worden war. Auch hatte sie bis zu dieser Sekunde nicht begriffen, dass das vorherrschende Gefühl zwischen ihnen – der eine kaschierte es mit Zurückhaltung, der andere mit Sarkasmus – Hass war. Doch im Augenblick lachten die beiden zusammen, und während Bridget sich dem Esszimmer näherte, hörte sie auch, worüber sie sich so amüsierten: über all die Fische, die sich über John »totlachten«.

Plötzlich fühlte sie sich so glücklich, dass sie den kindischen Wunsch verspürte hochzuspringen, einfach in die Luft zu springen … auf und nieder, auf und nieder. Doch sie ermahnte sich selbst, mach dich nicht lächerlich, Bridget Gether, du bist verrückt.