Irrwege des Christentums - Johann Huber - E-Book

Irrwege des Christentums E-Book

Johann Huber

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Beschreibung

Nur wenn Irrtümer und Irrwege der Kirchen zugegeben und revidiert werden, kann die zutiefst menschenfreundliche und Zuversicht gebende Botschaft Jesu vielen kritischen Menschen wieder zugänglich gemacht werden.

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Der Germanistin Christine B. verdanke ich, dass sie zu diesem Buch den Anstoß gegeben und die Entstehung mit sehr wertvollen Anregungen begleitet hat, und der Dipl.-Psych. Verena S., dass sie den Text mit großer Sorgfalt auf seine Allgemeinverständlichkeit hin geprüft hat.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Was bedeutet „christlich“ handeln?

Die Ringparabel

Ist Gott auf der Seite der Stärkeren?

Wie bekämpft man Ungläubige und Ketzer?

Hexenwahn oder wen du gern brennen sähest

Versklavung und Zwangstaufe als Weg zum Himmel

Straferlass beim Gang durch eine Heilige Pforte

Galilei oder der Hochmut kommt vor dem Fall

Die Relativität der Erkenntnis

Der "Jud", das ewige Feindbild der Christen?

Gottes Staat und das Reich des Bösen

Pius XI. und Pius XII. taten, was sie tun konnten

Quellen

Sekundärliteratur

Hilfsmittel

Vorwort

Die Themen, die in diesem Buch angesprochen werden, sind im Lauf der Zeit schon vielfach erörtert worden. Hier geht es aber um die Aufdeckung der Denkfehler, die Christen auf Irrwege brachten. Ich spreche hier allgemein von Christen, weil hier auch Abspaltungen, besonders Jehovas Zeugen, besprochen werden. Das heißt nicht, dass nicht die große Mehrheit der Getauften redlich versuchte und versucht, Christus im Alltag nachzufolgen.

Zumindest die katholische Kirche hat einen Schatz gewahrt, der von der positiven Wirkung her mit anderen Bewegungen nicht vergleichbar ist. Ich denke hier an die Ordensbewegungen, deren Frauen und Männer nicht bloß in der Kirche sitzen und beten, wie sich das manch ein Außenstehender vielleicht denken mag und was sogar zur abfälligen Bemerkung „Betschwester“ führt, denn Ordensleute hängen ihren Dienst nicht an die große Glocke.

Bekannt sind vielen Mutter Teresa (+1997) oder Schwester Dr. Ruth Pfau (+2017). Ich denke auch an Schwester Elisabeth, die aus meiner weiteren Nachbarschaft stammt, zum Orden der 'Missionarinnen Christi' gehört und bis ins hohe Alter in Goiánia im Bundesstaat Goiás in Brasilien Aidskranke betreute. Im letzten Kapitel des Buches werde ich auf Schwester Pascalina Lehnert (+1983) aus Ebersberg zu sprechen kommen. Sie rettete vielen verfolgten Juden in den finstersten Stunden und Jahren der deutschen Geschichte das Leben.

An den kirchlichen Orden sieht man also, dass zur katholischen Kirche großartige Menschen gehörten und immer noch gehören. Das ist es, was ich mit 'Schatz' meine. Trotzdem hat das Christentum im Lauf der Geschichte, besonders in Europa, an Ansehen stark eingebüßt. Das liegt teilweise auch daran, dass Theologen der Kirche die Bibel fehl interpretierten, Amtsträger ihres Amtes nicht gewachsen waren, Zwang ausübten und im Namen Jesu sogar Kriege führen ließen. Aber auch andere Glieder der Kirche erwiesen und erweisen sich ihrer Berufung oft nicht würdig.

Ein erster Fehler von Theologen der Urkirche bestand darin, dass sie das Christentum auf Kosten der Juden hervorhoben. Schon der Apostel Paulus, der selber noch Jude war, schrieb anfangs, die Juden seien von Gott verstoßen worden, was er aber später korrigierte. Trotzdem wiederholten Theologen der folgenden Jahrhunderte immer wieder die Behauptung, die Kirche habe Israel abgelöst, die Juden hätten also ihre Berufung und Auserwählung verloren und seien von Gott sogar verworfen worden.

Bereits im 2. Jahrhundert beschimpften christliche Theologen die Juden als „Gottesmörder“ und verteufelten sie deswegen bis ins 20. Jahrhundert hinein. Noch heute gibt es Christen, die bestreiten, dass die Tora oder genauer der Tanach, die Heilige Schrift der Juden, die die Christen abwertend als "Altes Testament" bezeichnen, einen Eigenwert hat.

Die Behauptung, im vollen Besitz der Wahrheit zu sein, ist deswegen eine Anmaßung, weil unser Schauen wie durch einen Spiegel erfolgt, was schon der Apostel Paulus sagte (vgl. 1. Korintherbrief 13,12). Ein Spiegel hat bekanntlich immer auch einen toten Winkel. Und die Irrwege im Lauf der Geschichte der Kirchen zeigen zur Genüge, wie begrenzt und defizitär unsere Sicht und unser Handeln sind.

Kennzeichen der wahren Religion und des wahren Christseins ist nicht die Orthodoxie, die richtige Lehre, sondern die Orthopraxie, das richtige Handeln, denn an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen (vgl. Matthäusevangelium 7,16). Genau das meint auch die Ringparabel (s. Kapitel 2). Das richtige Handeln macht die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften human. Aber oft lagen falschem Handeln falsche Lehren zugrunde. Und um diese soll es hier gehen.

1. Was bedeutet „christlich“ handeln?

Christliches Handeln besteht ganz einfach in der Erfüllung des Auftrages Jesu Christi. Er sagte: „und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe (...)“. (Mt 28, 20) (1) Die beiden Hauptgebote sind nach Jesus nicht der Predigtdienst, wie Jehovas Zeugen meinen, sondern die Gottes- und die Nächstenliebe, wie schon in der Tora geschrieben steht.

Jesus zeigte in seiner "Bergpredigt", wie beide Gebote im Alltag verwirklicht werden können. Nach ihm gehören Gottes- und Nächstenliebe zusammen. Nächstenliebe beginnt beim Respekt gegenüber dem anderen. Wer seinen Mitmenschen als Dummkopf oder als (gottlosen) Narren bezeichnet, verstößt schon gegen sie (vgl. Mt 5,22).

Die Achtung vor dem Mitmenschen hat auch gemäß Artikel 1 unseres Grundgesetzes höchste Priorität: „Die Würde des Menschen ist unantastbar." Jeder Mensch verdient Achtung sowohl in seinem physischen wie auch in seinem geistigen Sein. Daraus ergeben sich jene Tugenden, die ich entwickeln muss, um dem anderen zu diesem Recht zu verhelfen. Das geht so weit, dass man auch Fehler und (religiöse) Irrtümer anderer ertragen muss. Der Apostel Paulus schreibt im ersten Korintherbrief: „Was geht es mich denn an, die Außenstehenden zu richten?“ (1. Korintherbrief 5,13)

Mit Blick auf die anderen Religionen ist deshalb zu sagen, dass Christen nicht einmal die Gefühle der Angehörigen anderer Religionen verletzen dürfen, nur weil einige wenige Verblendete Terror üben, oft auch gegen die Grundsätze ihrer eigenen Religion und oft auch aus Rache dafür, dass sie vorher beleidigt wurden.

In Talk-Shows versuchen Leute immer wieder zu ergründen, warum es in Deutschland, aber nicht nur da, so viel öffentlich und im Internet vorgetragenen Hass gibt. Schon in der Bibel steht: „Denn sie säen Wind und sie ernten Sturm“ (Hosea 8,7). Man kann das modifizieren in: „Wer beleidigt, wird Hass ernten.“

Kurz nach der Veröffentlichung einer Mohammed-Karikatur in 'Charlie Hebdo' in Paris, war ich in Dakar, der Hauptstadt der Republik Senegal. Alle Muslime, die ich dort traf, fühlten sich durch die Karikatur ihres Propheten beleidigt. Es kam zu einer Großdemonstration, die ich meiden musste, um als Europäer nicht angegriffen zu werden.

Und wie reagierten deutsche und französische Politiker auf die Verunglimpfung des Propheten und die Ermordung der Satiriker? Sie demonstrierten für die Meinungsfreiheit, weil sie nicht wissen, dass Satire eben nicht alles darf. Die Grenzen sind dort, wo die Würde des Menschen verletzt wird (vgl. Art. 1 Grundgesetz).

Wir halten uns gern zu gute, religiös aufgeklärt zu sein, und meinen deshalb, gegenüber Religionen frei von Vorurteilen zu sein. Religiosität oder Atheismus ist aber keine Frage des Vorurteils oder des Intellekts, denn beide gehören zu den Menschenrechten. Vielleicht haben viele keine Achtung vor der religiösen Überzeugung anderer, weil sie selber keine haben. Und vielen Christen ist nicht bewusst, dass den Muslimen ihre Überzeugung offenbar noch mehr bedeutet als uns Christen oder den Atheisten.

Bis 1969 konnte in Deutschland die öffentliche Schmähung Gottes als Strafrechtsbestand geahndet werden. Das ist entfallen. Man kann das so rechtfertigen, dass der Staat nicht dazu da ist, Gott zu schützen. Er hat aber sehr wohl die Pflicht, seine Bürger zu schützen. Heute wird aber die Beschimpfung einer Religion oder eines Bekenntnisses nur noch dann geahndet, wenn der öffentliche Friede gestört wurde. Das ist jedoch Ermessenssache des Richters (vgl. § 166 Strafgesetzbuch).

Nach der Verunglimpfung des Propheten durch 'Charlie Hebdo' forderte Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg, den Wegfall dieser Einschränkung. Man kann nun streiten, ob das Strafrecht hilft, religiöse Gefühle anderer Menschen zu achten, wenn der Sinn für die Achtung der Überzeugung des anderen in einer Gesellschaft verloren gegangen ist. Jedenfalls hätten damals alle Politiker, aber die Bischöfe zuerst, wie ein Mann aufstehen und sich für die Verletzung der Gefühle aller Muslime entschuldigen können und müssen, um zu zeigen, dass Respekt gegenüber jeder Religion gilt.

Leuten, die meinen, Satire dürfe alles, fehlt es meines Erachtens entweder an der guten Kinderstube oder sie sind vom Zeitgeist geblendet. Es genügt eben nicht, sich nachher über die Verrohung der Sitten in unserer Gesellschaft zu beklagen, ohne schon vorher dagegen eingeschritten zu sein.

Hinter der Behauptung, Satire dürfe alles, versteckt sich letztlich ein Vorurteil oder genauer eine Form ideologischen Denkens. Albert Schlereth (+2016) hat in einem Religionsbuch für das erste Semester der Kollegstufe des Gymnasiums in Bayern Merkmale für ideologisches Denken und Verhalten aufgestellt. Ich habe sie hier stellenweise ergänzt bzw. leicht geändert. Anhand dieses Leitfadens kann überprüft werden, ob Haltung und Verhalten human sind und der im Grundgesetz geforderten Achtung der Würde des anderen entsprechen:

Der Ideologe hinterfragt seine eigenen Denkvoraussetzungen nicht. Er ist unkritisch gegen sich selbst.

Der Ideologe sieht die Wahrheit immer nur auf seiner Seite. Teilwahrheiten auf Seiten seiner Gegner erkennt er nicht an, um seinen Alleinvertretungsanspruch auf Wahrheit nicht zu verlieren.

Er erkennt nicht, dass niemand die absolute Wahrheit über einen Tatbestand hat, da unser Denken begrenzt ist.

Dem Ideologen geht es im Grunde gar nicht um Wahrheit, sondern um Macht und Einfluss.

Dem Ideologen geht es auch nicht um den Mitmenschen, sondern um eine bloße Idee (zum Beispiel die Überlegenheit seiner Rasse, seines Systems, seiner Religion etc.) und um ihre Durchsetzung.

Der Ideologe bemisst die Wahrheit von einem Vorurteil her, sei es religiöser oder wissenschaftlicher Natur.

Der Ideologe überzeugt nicht, sondern überredet.

Der Ideologe sagt, wer irrt, habe auch weniger Rechte.

Der Ideologe teilt in gute und in böse Menschen ein. Wer ihm nicht folgt, ist böse. Deshalb verteufelt er andere.

Der Ideologe ist bereit, die Würde des anderen zu verletzen, um seine Meinung zu publizieren und durchzusetzen.

Der Ideologe streut Fake News, Falschinformationen aus, um andere zu diskreditieren und sich zu profilieren.

Der Ideologe beansprucht Unfehlbarkeit, macht aber selber viele Fehler.

Der Ideologe arbeitet am Ende mit Angst und Terror. (

2

)

Immer wenn Menschen diese Leitlinien aus den Augen verlieren, laufen sie Gefahr, inhuman zu werden.

Der Dalai Lama, der bedeutendste Vertreter des tibetanischen Buddhismus unserer Zeit, geht so weit zu sagen: "Beten allein hilft nicht. Wir müssen handeln, deshalb ist Ethik wichtiger als Religion." (4) Schon Jesus hatte in der Bergpredigt sinngemäß erklärt, dass Nächstenliebe vor dem Kult kommt (vgl. Mt 5, 23. 24). Und beim Weltgericht wird Christus sagen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan.“ (Mt 25,45)

Zu diesen geringsten Brüdern gehören nicht bloß die Angehörigen des eigenen Bekenntnisses oder der eigenen Religionsgemeinschaft. Deshalb halfen Pius XI. und Pius XII. auch Angehörigen des jüdischen Glaubens, die zur Zeit dieser Päpste in schwerster Not waren.

Ein Gott, der liebt und Liebe fordert, verlangt von uns nicht Gewalt, nicht Tier- oder Menschenopfer, keinen Zwang und keine Kriege zur Verbreitung unserer Religion oder unseres Glaubens. Im 1. Petrusbrief 2,5 heißt es, wir sollen nur geistige Schlachtopfer darbringen, was nichts Anderes bedeutet, als dass unser ganzes Streben dem Wohl unserer Mitmenschen dienen soll.

Anselm von Canterbury (+1109) stellte das Axiom (= Grundsatz) auf „fides quaerens intellectum“ (Glaube verlangt Verständnis, Einsicht, Übers. durch den Verfasser), mit anderen Worten, Glaube darf nicht unlogisch sein nach dem Motto „Credo, quia absurdum est“ (sinngemäß: Ich glaube etwas, obwohl dies Unsinn ist).

Aber gerade Anselm verlangte damals selber ein „sacrificium intellectus“ (die Aufgabe des Verstandes, Übers. durch den Verfasser) dadurch, dass er lehrte, Jesus sei deshalb in die Welt gekommen, um mit seinem gewaltsamen Tod unendliche Genugtuung zu leisten und die verletzte Ehre Gottes wieder herzustellen. Das wäre von Gott gutgeheißene Gewalt gewesen.

Das war aber nicht das Gottesbild Jesu, der einen bedingungslos liebenden Gott verkündete. In meinem Buch „Missgriffe der neuen Einheitsübersetzung der Bibel“ (2019) habe ich aufgezeigt, dass die Meinung, Jesus habe durch seinen Tod die Tieropfer (sog. "Sühneopfer") des Alten Testamentes ersetzen müssen, um Sühne zu erwirken, auf einem sprachlichen Irrtum beruht. Hebräisch 'KIPPAER' bedeutet nämlich nicht 'sühnen', sondern 'von der Sünde Abstand nehmen', das heißt, sie bereuen, was bis zum Ende des Tempels im Jahr 70 n. C. auch mit dem sog. 'Sündenbock', der in die Wüste geschickt wurde, zum Ausdruck kam.

Gerhard Ludwig Kardinal Müller, bis 2017 Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan, schrieb deshalb schon im Jahr 1992, dass Jesu Tod auch ganz anders verstanden werden könne bzw. müsse. Seine beachtenswerte Meinung dazu habe ich in meinem Buch von 2019 ebenfalls dargelegt.

Religion und Glaube sollten Motive für ethisches Handeln bieten, aber sie bewirken manchmal das Gegenteil. Nach den Anschlägen auf die Satire-Zeitschrift 'Charlie Hebdo' in Paris sagte der Dalai Lama dazu: "An manchen Tagen denke ich, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten. Alle Religionen und alle heiligen Schriften bergen ein Gewaltpotential in sich. Deshalb brauchen wir eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen." (5) Das heißt jedenfalls, dass Religionsgemeinschaften, die ihre Angehörigen zur Gewaltanwendung inspirieren, ihre Legitimation verlieren.

__________________

(1) Zit. n. Katholische Bibelanstalt (Übers. u. Hg.): Die Bibel. Die neue Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. (nEÜ). Gesamtausgabe, 1. Aufl. Stuttgart 2016. Danach wird im Buch zitiert, wenn nichts anderes vermerkt ist.

(2) Teilweise übernommen aus Siegfried Gruber u. a. (Hg.): Grundkurs Religion 1. Glauben und Wissen. München 1977, S. 86 f.

(3) Blaise Pascal: Pensées. Extraits. Zit. n. Nouveaux classiques Larousse.

(4) Zit. nach Franz Alt: Seid Rebellen des Friedens! In: Münchner Kirchenzeitung 27/2020, S. 28.

(5) Zit. n. Franz Alt, ebd.

2. Die Ringparabel

Mit seinem Werk „Nathan der Weise“ (1) kam Gotthold Ephraim Lessing (+1781) auf eine Phase der Geschichte zu sprechen, in der das Verhältnis zwischen den drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam besonders angespannt war wie heute ja auch. Mit seiner Ringparabel zeigte Lessing einen Weg aus dieser Sackgasse heraus. Dieser ist noch heute gültig. Er lautet Respekt, Toleranz und Wettstreit um das Gute.

So wird zum Beispiel erzählt, dass zur Zeit des dritten Kreuzzuges (1189-1192) Sultan Saladin (+1193) seinem Gegner Richard Löwenherz (+1199) zur Gesundung Obst und zur Kühlung der Getränke Schnee („Eiswürfel“) vom Berg Hermon gesandt haben soll.

Nach Lessings Ideendrama „Nathan der Weise“ soll der Sultan Saladin den Juden Nathan begnadigt haben. Als der Muslim Geld braucht, lässt er den Juden zu sich kommen. Um ihm zu schmeicheln und um nicht mit der Türe ins Haus zu fallen, will er seine Weisheit testen. Er fragt ihn, welche die wahre Religion sei. Nathan erkennt die Falle und erzählt ein Gleichnis, die sogenannte Ringparabel:

Ein Mann besitzt einen Ring, der seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm machen kann, vorausgesetzt, er trägt ihn in dieser Zuversicht. Der Ring wird vom Vater immer an seinen Lieblingssohn weitergegeben. Als nun ein Vater seine drei Söhne gleich lieb hat, lässt er zwei Ringe nachmachen: „(...) Möglich, dass der Vater nun die Tyrannei des einen Rings nicht länger in seinem Hause dulden wollen! (…)“ (III 7 V 2035-2037).

Nach dem Tod des Vaters will jeder der Söhne mit seinem Ring „der Fürst des Hauses sein. Man untersucht, zankt, man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht erweislich (...)“. (III 7 V 1960-1963). Deshalb wollen die drei Söhne gerichtlich klären lassen, welcher Ring der echte ist. Der Richter weist es von sich, Rätsel zu lösen, aber gibt zu bedenken: „(...) Ich höre ja, der rechte Ring besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen vor Gott und den Menschen angenehm. Das muss entscheiden (...)“. (III 7 V 2015- 2018)

Weil sich die Brüder aber untereinander stritten, kam der Richter zu dem Schluss, dass möglicherweise alle drei Ringe nicht echt sind. Der Vater habe vermutlich alle drei Ringe nachmachen lassen. Daraus folgerte der Richter, „so seid ihr alle drei betrogene Betrüger (...)“. (III 7 V 2023-2024)

Trotzdem empfahl der Richter den Brüdern: „Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf´!“ ( III 7 V 2043-2048). Und wenn sich der Steine Kräfte im Ring eines jeden bei ihren Nachkommen nach vielen Tausend Jahren zeigen, werde ein viel weiserer Richter als er sprechen.

Lessing vertrat hier den Primat (Vorrang) der sog. „natürlichen Religion“ vor dem Glauben an die sog. Offenbarungsreligionen, Judentum, Christentum und Islam, die angeblich vor allem auf Wundern beruhten. Damit würden diese drei Religionen nicht auf Vernunft, sondern auf Geschichte, und damit „allein auf Treu und Glauben“ aufbauen.

Das waren schon die Ideen von Hermann Samuel Reimarus (+1768), einem Hamburger Gymnasiallehrer für orientalische Sprachen. Lessing hatte dessen Ideen vor seinem Drama „Nathan der Weise“ publiziert und dafür ein generelles Publikationsverbot auf dem Gebiet der Religion erhalten. Mit seinem Ideendrama führte er die Diskussion literarisch weiter.

Das oberste Lehramt der katholischen Kirche reagierte auf die Idee der Aufklärung vom Primat der Vernunft circa ein Jahrhundert später und versuchte Offenbarung und Vernunft dadurch in Einklang zu bringen, dass die Bischöfe im Vatikanum I (1869/70) erklärten, Glaube und Vernunft können sich nicht widersprechen, „(...) cum recta ratio fidei fundamenta demonstret.“ (DS 3019) (2) (da die recht gebrauchte Vernunft die Grundlagen des Glaubens beweist, Übers. durch den Verfasser).

Von dieser Begründung ist die katholische Theologie längst abgerückt, denn der Glaube an die Auferstehung zum Beispiel ist kein Ergebnis schlussfolgernden Denkens. Doch der Grundsatz, dass Glaube nicht unsinnig sein darf, gilt in der Theologie nach wie vor. Ob diesem Axiom alles entspricht, was Theologen von sich gaben und geben, wäre im Einzelfall zu prüfen.

Ähnlich wie Lessing hatte schon der Apostel Paulus von einem Wettstreit im Glauben gesprochen, nämlich davon, dass Gott das Judentum (zeitweise) zurücksetze, um auch die Heiden von Gottes Liebe zu überzeugen, was noch ein späteres Thema sein wird. Der Apostel sprach von einem Wettlauf im Stadion, wo nur einer gewinnt. Er fügte hinzu: „(...) Lauft so, dass ihr ihn (alle, Einfügung des Verfassers) gewinnt!“ (1. Brief an die Korinther 9,24).

Im ausgehenden Mittelalter gab es einen herausragenden deutschsprachigen Universalgelehrten: Nikolaus Kardinal von Kues (+1464). Er lehrte zum Beispiel als erster die Unendlichkeit des Universums. Als Bischof von Brixen verbot er den Südtirolern zwar das Tanzen, aber seine christliche Theologie zeichnete sich durch eine bis dahin unbekannte Großzügigkeit und Toleranz aus.

In seinem Werk 'De pace fidei' (1453), was Frieden zwischen den Religionen meint, schreibt Nikolaus Cusanus, dass die unterschiedlichen Weisen der Erkenntnis und der Verehrung Gottes von Gott gewollt sind und deshalb nicht mit Gewalt beseitigt werden dürfen. Er reagierte hier auf die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 völlig anders als die Päpste, wie noch zu zeigen ist. Wären sie ihm gefolgt, sähe die Welt heute wahrscheinlich anders aus.

_______________________

(1) Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Berlin 1779, zit. n. Reclam-Universal-Bibliothek.

(2) Zit. n. Denzinger-Schönmetzer (DS): Enchiridion symbolorum, definitionum et declarationum de rebus fidei et morum. Editio XXXIV.

Das 'Enchiridion' ist eine Sammlung kirchlicher Lehrverkündigungen in lateinischer Sprache, wie es Neuner- Roos in deutscher Sprache ist.

Neuner-Roos wird hier immer in der Ausgabe von 1938 zitiert.

3. Ist Gott auf der Seite der Stärkeren?

Amtsträger der Kirche verbündeten sich aber ab dem 4. Jahrhundert mit staatlicher Gewalt, um ihre Lehre durchzusetzen. Das war nicht das, was Jesus verlangt hatte. Kein geringerer als Joseph Kardinal Höffner (+1987), späterer Erzbischof von Köln und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, stellte in einer umfassenden Studie über „Kolonialismus und Evangelium“ schonungslos fest, Krieg sei von der Kirche als Gericht Gottes über heidnischen Unglauben verstanden worden. Der Krieg habe seine furchtbare Totalität dann entfaltet, wenn der Kampf gegen Nichtchristen geführt wurde. (1)

So verbot zum Beispiel Papst Innozenz II. (1130-1143) auf dem 2. Konzil im Lateran im Jahr 1139, dass sich Christen mit Pfeil und Bogen oder mit einer Armbrust bekriegen, ähnlich wie man heute den Einsatz von bewaffneten Drohnen wegen der Distanz oder der Streuung ablehnt. Der Einsatz von Distanzwaffen gegen die Muslime war aber erlaubt.

Dieses Verhalten gegenüber den sog. "Ungläubigen" ist vor allem auf ein falsches Verständnis des Missionsauftrages Christi und der Taufe zurückzuführen. Erst die Anerkennung der Gewissens- und der Religionsfreiheit durch das Vatikanum II (1962-1965) brachte eine endgültige Abkehr von der Zuhilfenahme staatlicher Zwangsmaßnahmen, sieht man vom Einzug der Kirchensteuer durch den Fiskus in Deutschland ab. Kirchenstrafen gibt es allerdings bis heute, wie noch zu zeigen ist.

Die Attraktivität des Christentums im Römischen Reich bestand zu Beginn in der Katholizität, das heißt in der Universalität der Kirche. Jeder konnte Christ werden, Arm oder Reich, Jude oder Heide, Römer oder Germane und so fort, ohne Ansehen der Person.

Als aber die Kirche im Römischen Reich nicht mehr verfolgt wurde, ließen ihre Theologen zur Durchsetzung der von ihnen als richtig erachteten Lehre andere verfolgen und forderten selber Gewaltanwendung vor allem gegen die Juden. Anfangs wurde die Kirche vom römischen Staat verfolgt. Dann verfolgte dieser im Namen der Kirche Andersgläubige.

Dabei konnte sich die Kirche auf Glaubenskriege der Juden im Alten Testament berufen, die aber, wie uns Fachexegeten sagen, vermutlich keine waren. Manche Theologen sprechen statt von "Altem" von "erstem" Testament. Das ist aber nur dann berechtigt, wenn man unter 'Testament' nicht 'Bund', sondern 'Bundesschluss' versteht. Das Neue Testament meint dementsprechend keinen zweiten Bund, sondern den (zum vierten Mal) "erneuerten" alten und ewigen Bund Gottes.

Im Buch Numeri oder 4. Buch Mose 25,1 steht geschrieben: „Als sich Israel in Schittim aufhielt, begann das Volk mit den Moabiterinnen Unzucht zu treiben“. Das Verbrechen bestand aber nicht darin, so klärt uns Vers 25,2 auf, dass sich israelitische Männer mit moabitischen Frauen einließen, denn Moses selbst war ja mit einer Nichtjüdin, einer Midianiterin, verheiratet. Vielmehr entbrannte angeblich Gottes Zorn darüber, dass sich israelitische Männer von Moabiterinnen zu den Opferfesten ihrer Götzen einladen und so vom rechten Glauben an Gott abspenstig machen ließen.

Die Führung der Juden glaubte, diesen Glaubensabfall mit der Todesstrafe ahnden zu müssen. "Und der HERR sprach zu Mose: Nimm alle Anführer des Volkes und richte sie hin für den HERRN im Angesicht der Sonne, damit sich der glühende Zorn des Herrn von Israel abwendet.“ (Buch Numeri bzw. 4. Buch Mose 25,4). Man schob die Schuld an einer Seuche auf den Götzendienst von Israeliten. Die Führer wurden auch hingerichtet.

Fachexegeten sagen uns heute, dass diese Erzählungen des Buches Numeri eher in den Bereich der Sagen gehörten. Sie passen auch nicht zum Buch Exodus, wo gerade in der Auseinandersetzung mit dem Pharao in Ägypten Gott sehr wirkmächtig auftrat, denn nicht die Menschen müssen Gott durch Krieg zu seinem Recht verhelfen, sondern Gott steht auf der Seite der Schwächeren. Dies zeigt uns auch eine Analyse der Anreden Gottes im Alten Testament, der Heiligen Schrift der Juden.

Dabei kommt dem Begriff 'Jhwh' eine besondere Bedeutung zu. Im Hebräischen schreibt man fast keine Vokale. Man muss sie beim Lesen selber ergänzen. Dazu kommt hier, dass die Juden das Wort 'Jhwh' nicht aussprechen. Es wäre wohl als „yachw`ä“ zu lesen. Um daran zu erinnern, dass die Juden dieses Wort nicht in den Mund nehmen, wird es in diesem Buch immer ohne Vokale erscheinen. Zur Bedeutungserklärung des Begriffes 'Jhwh' inmitten der übrigen Titel für Gott dient folgender sprachwissenschaftlicher Exkurs. Der übrige Text (ab S. →) ist auch ohne ihn verständlich.

Exkurs

Das Buch Exodus sagt uns, dass Gott den Erzvätern oder Urvätern Abraham, Isaak und Jakob als 'EL Schaddaj“ erschienen sei. 'EL' ist die Abkürzung des Gattungsbegriffs 'Elohim', wie auch Adam, der Mensch, ein Mehrzahlwort ist. 'Schaddaj' bedeutet mächtig. Als Jakob nach dem nächtlichen Ringen mit dem Unbekannten den Namen 'Jizra-EL' (= Gottesstreiter) erhielt, fragte er nach dessen Namen, aber er erhielt nur die Antwort: „Was fragst du mich nach meinem Namen?“ (Genesis oder 1. Buch Mose 32,23-33) Es sollte Jakob wohl genügen zu wissen, dass Gott mächtig ist.

In der deutschen Version des Vaterunsers wird die altgriechische und die lateinische Stellung des besitzanzeigenden Fürwortes nachgeahmt. Jesus griff in der Anrede Gottes auf Jesaja 64,7 zurück. Dort bezeichnete der Prophet Gott als unseren Vater, weil er uns aus Ackerboden (= hebräisch 'adamah') geformt hat.

Lange vorher schon, vermutlich im 13. Jahrhundert v. C., war eine neue Bezeichnung Gottes durch Mose hinzugekommen: 'Jhwh'. Er hatte diesen Begriff wohl bei seinem Schwiegervater, einem Priester im Land der Midianiter, kennengelernt. Mit diesem Begriff wurde der Gott der Israeliten von den Göttern der anderen Völker unterscheidbar.

Als Mose Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters hütete, sah er plötzlich einen brennenden Dornbusch. Eine Stimme stellte sich ihm vor: „(...) Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.“ (2. Buch Mose oder Exodus 3,6) Dann will Gott Mose zum Pharao senden. Doch Mose sträubt sich. Da sagt Gott zu ihm: „Ich werde mit dir sein“ (Ex 3,12). Das genügt Mose aber nicht. Deshalb wendet er ein: „Da werden sie mich fragen: Wie heißt derjenige, der mich sendet?“ (Ex 3,14). Gott antwortete ihm:

„Ehjeh ascher ehjeh“ (Ex 3,14). „Ich bin, der ich bin.“ (nEÜ)

„Ich werde mich erweisen, als was ich mich erweisen werde.“ (Neue-Welt-Übersetzung der Bibel durch die Wachtturm Gesellschaft) (2)

Beide Übersetzungen ins Deutsche haben gemeinsam, dass sie Tautologie sind, also eine Aussage, die immer wahr ist, weil sie das Gesagte nur wiederholt. Der Fragesteller ist nach der Antwort genauso klug wie vorher. Weil der Verfasser dieser Bibelstelle dies wohl kaum beabsichtigte, sind beide Übersetzungen als missglückt zu bezeichnen.

Nach den zitierten Übersetzungen hätte Gott hier jede nähere Auskunft über sich verweigert. Dann hätte es aber genügt, zu sagen: „Ich bin Jhwh, und das soll dir und dem Pharao genügen.“ Damit wäre hinreichend zum Ausdruck gekommen, dass Gott und sein Name ein Geheimnis bleiben sollen.

Manche Theologen behelfen sich daher damit, dass sie behaupten, „Ehjeh“ sei eine volkstümliche Etymologie von 'Jhwh'. Das trifft aber deshalb nicht zu, weil 'Etymologie' die Herleitung eines Wortes von seiner Wurzel bedeutet. 'Jhwh' und 'Ehjeh' gehen aber sehr wahrscheinlich auf zwei verschiedene Verben zurück, 'Jhwh' auf ''hawah' und 'Ehjeh' auf 'haja'.

Beide Verbwurzeln (im Deutschen 'Infinitiv') bedeuten 'sein' oder 'werden'. 'Jhwh' und 'Ehjeh' werden von den meisten Sprachforschern als die zu beiden Verbwurzeln gehörenden Formen des Durativs, der Verlaufsform, die im Deutschen in etwa dem Partizip Präsens entspricht, aufgefasst. Danach ist Ehjeh also nur ein Synonym für Jhwh.

Jehovas Zeugen dagegen erblicken in der Durativform der beiden Verben einen Bedeutungsunterschied: Jhwh bedeute „Er veranlasst zu werden“ und Ehjeh „Ich werde mich erweisen“. (3) Ehjeh biete also eine zusätzliche Auskunft über Gott. So schreibt die Wachtturm Gesellschaft, „dass dies keine Änderung des Gottesnamens bedeutete, sondern nur einen zusätzlichen Einblick in die Persönlichkeit Gottes bieten sollte (…).“ (4)

Hierbei stellt sich aber die Frage, welche neue Erkenntnis über Gott ein Satz liefern soll, der lautet „Ich werde mich erweisen, als was ich mich erweisen werde." Diese Auskunft ergibt leider keinen Sinn und folglich auch keine neue Erkenntnis über Gott.

Damit sind wir wieder auf die neue Einheitsübersetzung zurückgeworfen: „Ich bin, der ich bin“. Dies ist aber, wie schon gesagt, ebenfalls eine Tautologie. Wieso sollte Gott Mose gerade bei dieser enorm wichtigen Mission mit einer Verweigerung der Auskunft vor den Kopf stoßen haben wollen? Im Gegenteil, er musste ihn doch ermutigen. Auch deshalb kann diese Tautologie nicht der Sinn der Antwort Gottes an Mose gewesen sein.

Wenn man einen Blick auf den Kult der anderen Religionen um Israel herum wirft, sieht man, wie wichtig es war, den Namen des zuständigen Gottes zu kennen, um ihn herbeirufen zu können, denn er konnte ja gerade anderweitig beschäftigt sein. Elija machte sich über die Baalspriester lustig, weil ihr Gott kein Feuer herabschickte, um ihr Opfer zu entzünden. "Um die Mittagszeit verspottete sie Elija und sagte: Ruft lauter! Er ist doch Gott. Er könnte beschäftigt, er könnte beiseite gegangen oder verreist sein“ (1 Könige 18,27). Auch Mose musste damit rechnen, dass ihn Jhwh im Stich lässt, weil er ihn noch nicht kannte.

Die Katholiken rufen in der sog. Allerheiligenlitanei die einzelnen Heiligen an. Unter diesen gibt es die 14 Nothelfer, von denen jeder in einer speziellen Notlage um Hilfe gerufen werden kann, was aber noch keine Hilfe garantiert. Ex 3,14 will uns nun sagen, Mose braucht dem Pharao gegenüber nicht zu befürchten, dass Gott ihn im Stich lässt, denn er wird mit ihm sein.

Wenn man die Polysemantik (Vieldeutigkeit) der Vokabel der hebräischen Sprache in Betracht zieht, kann man Ex 3,14a+b als Wortspiel ausmachen, bei dem dasselbe Verb jeweils etwas anderes bedeutet. Ex 3,14a ist ein Versprechen und Ex 3,14b ist der Inhalt dieses Versprechens, hier die Bekräftigung oder Wiederholung von Ex 3,12: „Ich werde mit dir sein“. Ex 3,14 bedeutet also sinngemäß: Du wirst schon sehen, dass ich mit dir sein werde.

Je nach Kontext können viele hebräische Vokabel je nach Kontext einen anderen Sinn annehmen bis hin zum Gegenteil, ähnlich wie im Deutschen 'sanktionieren' sowohl 'akzeptieren' als auch 'abstrafen' bedeuten kann. So könnte man deutsch sagen: „Ich sanktioniere es nicht, dass der Angeklagte sanktioniert wird.“ Diese Doppeldeutigkeit kommt im Unterschied zum Hebräischen im Deutschen nur sehr selten vor, außer zum Beispiel im Wortspiel: „Ich heiße Meier und Sie willkommen.“

Ein typisches Beispiel für die Vieldeutigkeit hebräischer Vokabeln ist das folgende: In der griechischen Version des Lukasevangeliums „lobte“ Jesus den „klugen“ Verwalter, der seinen Herrn im Gleichnis gleich zweifach hintergangen hatte (vgl. Lukas 16,8). In Wirklichkeit hat das hebräische Adjektiv 'arúm', auf das das altgriechische Adjektiv für 'klug' zurückgeht, auch die Bedeutung von 'hinterlistig'.

Und das hebräische Verb 'barech' bedeutet sowohl 'segnen' und 'loben' als auch 'verwünschen'. (5) Gott hatte schon zu Abraham gesagt: "Wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen (…)“ (1. Buch Mose oder Genesis 12,3). 'Fluch' ist in der hebräischen Bibel das Gegenteil von Segen. Gott entzieht dem Verfluchten seinen Segen. Er will mit ihm nichts mehr zu tun haben. Beim Jüngsten Gericht wird Jesus zu den Bösen sagen: "Geht weg von mir, ihr Verfluchten" (Mt 25, 41).

Jesus lobte also im Gleichnis den hinterlistigen Verwalter ursprünglich nicht, sondern fand sein Handeln verwerflich und distanzierte sich von ihm. Dies zeigt auch die Quintessenz des Gleichnisses: "Und wenn ihr im Umgang mit dem fremden Gut nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann das Eure geben" (Lk 16,12). Lukas brachte aber in seiner griechischen Version, ob absichtlich oder nicht, einen anderen Sinn in Jesu Gleichnis hinein.

Ich fasse zusammen: Ex 3,14 bietet, wenn als bloße Tautologie übersetzt, keine zusätzliche Information über Gottes Persönlichkeit. Im Kontext geht es wohl kaum um die Verweigerung einer Näherbestimmung der Person Gottes, weil Gott damit Mose vor den Kopf gestoßen hätte. Folglich kann Ex 3,14 nur als Bekräftigung der Ankündigung Gottes in Ex 3,12, dass er mit Mose sein werde, aufgefasst werden: „Ich werde mich als einer (und nicht als etwas!) erweisen, der mit dir ist.“ (Ex 3,14) („mit dir“ ist von Vers 12 her sinngemäß zu ergänzen).

Salopp könnte man auch sagen: „Ich werde dabei sein als einer, der machtvoll mitmischt.“

Jhwh erwies sich dann vor dem Pharao tatsächlich als einer, der dadurch viel mächtiger handelte als die ägyptischen Götter, dass Aarons Schlange die der ägyptischen Priester verschlang. Auch die ägyptischen Plagen, die den Pharao dazu brachten, die Israeliten ziehen zu lassen, zeigten Jhwhs Macht.

Die Bedeutung hebräischer Ausdrücke wird in der Übersetzung deshalb nicht immer ganz getroffen, weil in den anderen Sprachen die Polyphonie (Vielklang) des Hebräischen oft nicht ganz übermittelt werden kann. Zum Beispiel wird immer übersetzt, der Gott der Bibel sei barmherzig, gerecht, lieb und so fort.

Weil das Hebräische im Präsens das Partizip verwendet, heißt es wörtlich, Gott ist „barmherzigend“. Gott handelt also barmherzig, er erweist sich als gerecht oder er schafft Recht. Er ist nicht lieb, sondern er erweist sich als lieb, er ist nicht der Herr, sondern er herrscht. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass Gott keine statischen Eigenschaften oder Namen wie uns anhaften. Es geht immer um Gottes "Tätigkeit" für uns.

Ex 3,15b wird meist so übersetzt. "Jhwh ist mein Name für immer, und so wird man mich nennen (...)". Diese Wiedergabe trifft nicht ganz den Sinn. Im Deutschen sagt man zum Beispiel: „Mein Name, meine Person, ist hier nicht gut angesehen“. Damit ist gemeint: „Ich bin hier nicht gut angesehen.“ Tatsächlich kann hebräisch 'Schem' je nach Kontext sowohl Name als auch Person bedeuten. Überträgt man dies auf Ex 3,15b, dann müsste man treffender übersetzen: „Jhwh bin ich für immer und so betiteln (und nicht „nennen“) mich alle (...)“.

Die neue Einheitsübersetzung gibt 'Jhwh' jetzt immer mit 'HERR' wieder, um der Gewohnheit der Juden gerecht zu werden, die statt 'Jhwh' heute 'Adonaj' (= meine Herren) sagen. Die Wachtturm Gesellschaft kritisiert das und verweist zu Recht darauf, dass durch diese Wiedergabe Widersinn entstehen kann. Nehmen wir den Psalmvers 8,10: „HERR, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde! “ 'HERR' ist aber nicht Gottes Name. Im hebräischen Originaltext steht hier: "Jhwh, unser Herr". Nur wenn man 'Jhwh' stehen lässt, ergibt der nachfolgende Satz "Wie gewaltig ist deine Anrede, dein Titel" Sinn.

Wenn man "gewaltig" auf "Herr" beziehen möchte, müsste man logischerweise fortfahren: "Wie gewaltig bist du!" (deine Person). Der eigentliche Sinn dieses Verses ist in der Einheitsübersetzung der fixen Idee zum Opfer gefallen, man könne "Jhwh" immer mit "HERR" wiedergeben.

Den gleichen Befund zeigt die deutsche Wiedergabe von Psalm 113 in der Einheitsübersetzung. Vers 1 und 2 lauten: „Halleluja! Lobt, ihr Knechte des HERRN, lobt den Namen des HERRN. Und der Name des HERRN sei gepriesen(...)." Der Auftakt von Vers 1 bedeutet: „Lobt Jhwh!“ Also schon die Einleitung zeigt, dass es nicht um Gottes Namen geht, sondern um seine Person, ihn selbst.

In Vers 4 geht es dann weiter mit: "Der HERR („Jhwh“) ist erhaben über alle Völker, über den Himmeln ist seine Herrlichkeit." Wenn es in Psalm 113,1.2 wirklich um Gottes Namen ginge, hätte der Psalmist fortfahren müssen: „Der Name des Herrn ist erhaben über alle Völker, über den Himmeln ist seine Herrlichkeit.“

Der Sinn der Schriftstelle ist also: "Lobt Jhwh, lobt, ihr Knechte Jhwhs, lobt ihn (= die Person Jhwh)! Er (= die Person Jhwh) sei gepriesen!" Und V 4: "Jhwh ist erhaben..." Die lateinische Übersetzung "Sit nomen Domini benedictum" ergibt dann den richtigen Sinn, wenn man "nomen" mit 'Person' übersetzt, was lateinisch 'nomen' auch bedeuten kann.

Von daher verbietet es sich eigentlich, von sieben Namen oder Eigenschaften Gottes, zum Beispiel der Eigenschaft der Weisheit zu sprechen, auch wenn das gut gemeint ist. In 'Sprichwörter', einem Buch des Alten Testaments, wird die „Weisheit“ Gottes (griech. 'sophía') deshalb auch nicht als Eigenschaft, sondern als Frau oder als Tochter dargestellt, die aus Gott geboren werde.

Die Juden vermieden und vermeiden es, wie dargelegt, wohl deshalb das Wort 'Jhwh' auszusprechen, weil sie nicht wie die Heiden Gott herbeizitieren dürfen, was Aberglaube wäre. Trotzdem werfen Jehovas Zeugen ausgerechnet den Juden Aberglauben vor: Es „kam die abergläubische Vorstellung auf, es sei verkehrt, den göttlichen Namen laut auszusprechen.“ (6)

Was ist an dieser Praxis abergläubisch? Gerade das Aussprechen der Namen der Gottheiten geschah in der abergläubischen Vorstellung, sie damit beeinflussen zu können, was die Juden dadurch vermeiden, dass sie „Jhwh“ nicht aussprechen. Aus Schriften der jüdischen Sekte der Esséner (von ca. 250 v. C. bis 70 n. C) in Qumran am Toten Meer wissen wir, dass die Juden vermutlich schon seit dem Exil (6. Jhdt v. C.) anstelle von „Jhwh“ Ersatzwörter benutzten wie zum Beispiel 'Adonaj' (= meine Herren), 'Elohim' (= Gott, Götter), 'ha Schem' (= der Name, die Person).

Trotzdem behauptet die Wachtturm Gesellschaft, Jesus habe die „menschlichen Regeln der Juden“ gebrochen und „Jehova“ ausgesprochen: „Es ist daher unwahrscheinlich, dass er den Namen Gottes nicht aussprach.“ (7) „Ja, es wäre höchst unvernünftig zu denken, Jesus habe den Namen Gottes nicht gebraucht“. (8) Da war aber nur der Wunsch der Vater des Gedankens. Jehovas Zeugen ersetzen deshalb in ihrer deutschen Version des Neuen Testamentes 'Herr' dort mit 'Jehova', wo Gott gemeint ist.

Das sei ihnen unbenommen. In Wirklichkeit ist es aber so, dass auch laut Übersetzung der Wachtturm Gesellschaft