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Über 1,8 Milliarden Muslime leben auf allen Kontinenten. Doch was wissen wir über ihren Glauben? Häufig kaum mehr, als dass der Koran ihre heilige Schrift ist, Gläubige fünf Mal am Tag beten und sie zum Ramadan fasten. Dieses Buch ändert das. Malcolm Clark erzählt vom Leben des Propheten Mohammed, berichtet über die Entwicklung seiner Lehre über die Jahrhunderte und erklärt die Bedeutung des Koran. Er zeigt auf, welche Beiträge Muslime in den Naturwissenschaften, der Kunst und der Architektur geleistet haben. So hilft er, Vorurteile abzubauen und muslimische Mitbürger besser zu verstehen.
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Seitenzahl: 556
Islam für Dummies
Die fünf Säulen umfassen den Gottesdienst und grundlegende rituelle Pflichten: die grundlegenden Handlungen, die von einem Muslim verrichtet werden müssen.
Schahada: Das Aussprechen des grundlegenden Glaubensbekenntnisses macht eine Person zum Muslim: »Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt, und ich bezeuge, dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.« Varianten der Schahada werden bei vielen Gelegenheiten verwendet.Salat:Salat ist ein formelles, ritualisiertes Gebet, das fünfmal am Tag in Richtung Mekka verrichtet wird. Es besteht aus einer Folge von Rezitationen und Körperhaltungen, einschließlich Niederwerfung, bei denen die Stirn den Boden berührt (sudschud/sujud).Zakat:Zakat ist eine obligatorische Sozialsteuer, die jeder Muslim von einem bestimmten Mindestvermögen an entrichten muss. Die Steuer beträgt 2,5 Prozent der liquiden Vermögensgegenstände und Einkommen erzeugenden Eigentums. Mit Zakat werden unter anderem Wohlfahrtsorganisationen unterstützt und der Islam gefördert.Saum: Das Fasten vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang im neunten Monat, dem Ramadan; in dieser Zeit dürfen Muslime nicht essen, trinken oder Geschlechtsverkehr haben. Diese Zeit soll den Muslim spirituell erneuern.Hadsch: Wenigstens einmal im Leben soll ein Muslim, sofern er körperlich und finanziell dazu in der Lage ist, die Wallfahrt nach Mekka machen. Während der fünf Haupttage des Hadsch ahmen die Wallfahrer das Ritual nach, das erstmals von Abraham ausgeführt wurde, einschließlich der Umwandlung des Schreins (Kaaba) in Mekka, des Stehens in der Ebene von Arafat und der Opfergabe.Die fünf Säulen des Glaubens stellen eine weitere wichtige Fünfergruppe im Islam dar. Sie werden manchmal auch als die fünf Säulen des Islam bezeichnet.
Glaube an Gott (Allah) als den einzigen Gott.Glaube an die Engel Gottes, darunter Gabriel.Glaube an die Bücher von Gott und an die Gesandten und Propheten, denen sie geoffenbart wurden. Gott sandte seine Propheten und Gesandten, um die Menschen vor dem zu warnen, was passiert, wenn sie den Weg Gottes nicht einhalten. Mohammed ist der letzte Prophet einer Reihe, die mit Adam begann und unter anderen Abraham, Noah, Moses und Jesus einschließt.Glaube an den Tag des Gerichts, Auferstehung der Toten, Paradies und Hölle.Glaube, dass alles gemäß dem Willen Gottes passiert. Der Einzelne bleibt jedoch für seine moralischen und unmoralischen Handlungen verantwortlich.Muslime gehören zu einer oder mehreren institutionalisierten Gruppierungen im Islam:
Sunniten: Etwa 90 Prozent aller Muslime sind Sunniten. Sunna bedeutet »Überlieferung«; für Sunniten sind die Überlieferungen von Mohammed und der ersten beiden Generationen der Gemeinschaft der Muslime maßgebend, die Mohammed folgten.Hauptsächlich im 20. Jahrhundert entstanden Reformbewegungen im Islam, die den politischen Islam vertreten. Einige beschränken sich auf ein Land, andere üben einen breiteren Einfluss aus. Die meisten sind sunnitische Bewegungen, wie die Wahhabiten, die Muslimbruderschaft und die Jamaat-i Islami. Siehe Kapitel 16.Schiiten: Die schiitischen Muslime machen etwa 10 Prozent aller Muslime aus. Die Schiiten bilden die »Partei Alis«; sie glauben, Mohammeds Cousin und Schwiegersohn Ali sei sein designierter Nachfolger. Es gibt drei wichtige Untergruppen der Schiiten: Zwölfer (Ithna-Ascharis), Siebener (Ismailiten) und Fünfer (Zaiditen). Siehe Kapitel 12.Sufis: Sufis sind die sogenannten islamischen Mystiker. Über die üblichen Anforderungen der Religion hinaus suchen sie durch Meditation und spirituelles Wachstum persönliche Gotterfahrungen. Es gibt mehrere Sufi-Orden (siehe Kapitel 13). Die meisten Sufis sind Sunniten und können auch konservativ sein. Viele konservative Sunniten betrachten den Sufismus als eine Abweichung.Bahai's und Ahmadis: Diese Gruppen sind Ableger des schiitischen beziehungsweise des sunnitischen Islam aus dem 19. Jahrhundert. Die Bahai's betrachten sich als die jüngste große Weltreligion, erkennen aber an, dass sie historisch – ähnlich wie das Christentum aus dem Judentum – aus dem schiitischen Islam hervorgegangen sind. Die Ahmadis betrachten sich als Muslime. Die meisten anderen Muslime sehen jedoch beide Gruppen nicht als rechtmäßige Formen des Islam an. Siehe Kapitel 14.Drusen, Aleviten und Alawiten: Diese Gruppen sind kleine Sekten mit unorthodoxen Glaubenssätzen und Praktiken, die sich vom Islam abgespalten haben. Drusen und Aleviten betrachten sich zum Teil nicht als Muslime und werden von anderen Muslimen nicht als Muslime anerkannt. Die Alawiten üben auch nichtislamische Praktiken aus. Siehe Kapitel 14.Islam für Dummies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
3. Auflage 2023
© 2023 Wiley-VCH GmbH, Boschstraße 12, 69469 Weinheim, Germany
Original English language edition Islam For Dummies © 2019 by Wiley Publishing, Inc. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This translation published by arrangement with John Wiley and Sons, Inc.
Copyright der englischsprachigen Originalausgabe Islam For Dummies © 2019 by Wiley Publishing, Inc. Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form. Diese Übersetzung wird mit Genehmigung von John Wiley and Sons, Inc. publiziert.
Wiley, the Wiley logo, Für Dummies, the Dummies Man logo, and related trademarks and trade dress are trademarks or registered trademarks of John Wiley & Sons, Inc. and/or its affiliates, in the United States and other countries. Used by permission.
Wiley, die Bezeichnung »Für Dummies«, das Dummies-Mann-Logo und darauf bezogene Gestaltungen sind Marken oder eingetragene Marken von John Wiley & Sons, Inc., USA, Deutschland und in anderen Ländern.
Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autoren und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Coverfoto: © Mazur Travel – stock.adobe.comKorrektur: Frauke Wilkens, München
Print ISBN: 978-3-527-72023-1ePub ISBN: 978-3-527-84035-9
Professor Malcolm Clark hatte über 30 Jahre einen Lehrstuhl für Religionswissenschaften an der Butler University in Indianapolis, Indiana, inne und leitete zeitweilig die Fakultät für Philosophie und Religion. In seinen Vorlesungen und Seminaren behandelte er die Bibel, den Islam, den Koran, die Weltreligionen, amerikanische Religionen, Frauen und Religion, moderne religiöse Strömungen, Ägyptologie und andere Themen. Bevor er Professor an der Butler University wurde, lehrte er sechs Jahre lang am Princeton Theological Seminary.
Professor Clark hat an der Harvard University amerikanische Geschichte studiert und in Yale seinen Master of Divinity und Ph.D. (Magister in Theologie und Doktortitel) erworben. Seine Dissertation hatte die hebräische Bibel und die Antike des Nahen Ostens zum Thema. Als Doktorand studierte er ein Jahr an der Hebrew University in Jerusalem. Professor Clark ist Pastor der Christian Church (Disciples of Christ; deutsch Nachfolger Christi).
Ich widme dieses Buch meinen Kollegen und früheren Studenten an der Butler University, darunter den Studenten, die bei mir den Islam studiert haben, vor allem auch muslimischen Studenten, die mir halfen, den Islam besser kennen und schätzen zu lernen.
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Widmung
Einführung
Über dieses Buch
Konventionen in diesem Buch
Törichte Annahmen über den Leser
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Wie es weitergeht
Teil I: Die Grundlagen des Islam
Kapitel 1: Eine Annäherung an den Islam
Die Ursprünge des Islam
Die Glaubenssätze des Islam
Die Strömungen des Islam
Die muslimische Weltbevölkerung
Die Hauptländer des Islam
Kapitel 2: Islamische Geschichte
Die vier rechtgeleiteten Kalifen
Das Goldene Zeitalter
Vom 10. bis zum 15. Jahrhundert
Die drei großen späteren Reiche
Kapitel 3: Hingabe an Gott
Die Doktrin von der Einheit Gottes: Tawhid
Klärung der Terminologie: Allah gleich Gott
Gottes Überlegenheit bezeugen
Die Attribute Gottes
Gott lieben und kennen (Sufismus)
Die 99 Namen Gottes aufrufen
Kapitel 4: Was Muslime glauben
Die fünf wesentlichen Glaubensgrundsätze des Islam
Nichtmuslimen den Glauben erklären
Auslegung des Glaubens: Schwierige Glaubensfragen klären
Einige theologische Probleme
Die Ablehnung formeller Glaubensbekenntnisse
Kapitel 5: Im Angesicht Gottes: Himmel und Hölle
Andere Wesen neben Gott und den Menschen
In den Himmel oder die Hölle kommen: Vom Leben zum Tod und zur Auferstehung
Bilder von Himmel und Hölle
Teil II: Mohammed: Der Mann, das Buch und das Gesetz
Kapitel 6: Der Prophet: Mohammed
Die Bühne vorbereiten: Arabien vor Mohammed
Die Geschichte Mohammeds
Mohammed als theologische Persönlichkeit
Die persönliche Beziehung zu Mohammed
Die Suche nach dem historischen Mohammed
Kapitel 7: Das Buch: Der Koran
Eine Einführung in den Koran
Den Koran hören
Den Koran mit Respekt behandeln
Sammlung und Zusammenstellung des Koran
Der Stil des Koran
Interpretation des Koran
Der Koran im Alltag
Die Eröffnung des Koran: Die Fatiha
Kapitel 8: Tradition und Gesetz im Islam
Mohammed imitieren
Gottes Gesetz verstehen
Teil III: Der muslimische Alltag
Kapitel 9: Die fünf Säulen des Gottesdienstes: Die Grundlagen des Islam
Reinigung: Vorbereitung auf den Gottesdienst
Die Schahada (erste Säule): Glaubensbekenntnis
Salat (zweite Säule): Gebet
Zakat (dritte Säule): Hilfe für die Bedürftigen
Saum (vierte Säule): Besinnung und Fasten
Hadsch (fünfte Säule): Die Wallfahrt nach Mekka
Kapitel 10: Andere religiöse Rituale und Bräuche
Jährlich wiederkehrende Rituale
Wendepunkte im Leben
Alltagsbräuche
Rituale der Frauen
Kapitel 11: Muslimische Ethik: Das richtige Leben führen
Ausgangspunkte der islamischen Ethik
Die Anwendung der Ethik auf praktische Fragen
Sexualethik
Ethische Vorschriften für Ehe und Familie
Teil IV: Strömungen im Islam
Kapitel 12: Schiiten
Die Verbreitung der Schiiten
Den Glauben in der Familie halten
Die beiden Ereignisse, die zur Gründung der Schia führten
Die Reihe der zwölf Imame
Gottesdienst in der Zwölferschia
Das Denken der Schiiten
Interaktion: Schiiten, Sufis und Sunniten
Kapitel 13: Sufis
Die Suche nach Gott
Glaube der Sufis
Bedeutende Sufis
Die Sufi-Gemeinschaft
Das Verhalten eines Sufi
Den Glauben in Versen ausdrücken: Sufi-Literatur
Gründung der Sufi-Bruderschaften
Die Ablehnung des Sufismus
Kapitel 14: Weniger bekannte Sekten im muslimischen Spektrum
Ibaditen
Zaiditen (oder Fünferschiiten)
Ismailitische Gruppen (oder Siebenerschiiten)
An den Grenzen des Islam und darüber hinaus
Teil V: Abrahamitische Religionen und der Islam
Kapitel 15: Die Suche nach gemeinsamen Wurzeln: Abrahamitische Religionen
Mitglieder einer Familie
Die Bibel im Koran lesen
Muslimische Auffassung von anderen Religionen
Auf dem Weg zu einem religiösen Dialog
Kapitel 16: Gemeinsame Positionen suchen
Die Sorgen der Muslime
Hauptprobleme
Was die Muslime tun sollten
Was der Westen tun sollte
Teil VI: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 17: Zehn muslimische Beiträge zur Zivilisation
Überlieferung griechischer Schriften
Algebra und Mathematik
Arabische Ziffern
Astronomie
Technik und Ingenieurswesen
Medizin
Pharmakologie
Physik, insbesondere Optik
Architektur
Kapitel 18: Zehn bemerkenswerte Muslime aus Vergangenheit und Gegenwart
Eine lange Reise: Ibn Battuta
Ein Enzyklopädist: al-Tabari
Ein Mann des Schwertes: Saladin
Ein großer König: Akbar
Ein tiefer Denker: Ibn Ruschd
Ein Geschichtsphilosoph: Ibn Khaldun
Ein Held der Revolution: Ali Schariati
Ein Architekt großer Moscheen: Sinan
Der Nobelpreisträger: Naguib Machfus
Der Gesangsstar: Umm Kulthum
Teil VII: Anhänge
Anhang A: Die Jahre zählen: Der muslimische Kalender
Anhang B: Glossar
Anhang C: Weitere Quellen
Bücher
Der Koran
DVDs und Videos
Computersoftware
Islam im Web
Und schließlich …
Abbildungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
Kapitel 1
Tabelle 1.1: Die Anhängerzahl ausgewählter Weltreligionen (2014)
Tabelle 1.2: Die neun Länder mit den meisten muslimischen Bürgern
Kapitel 6
Tabelle 6.1: Das Wort Gottes in Islam und Christentum
Kapitel 9
Tabelle 9.1: Die Teile des Gebetsrufes (adhan)
Anhang A
Tabelle A.1: Muslimische Feiertage zwischen 2015 und 2019
Kapitel 2
Abbildung 2.1: Die Reiche der Omayyaden und Abbasiden in ihrer größten Ausdehnung
Abbildung 2.2: Die Reiche der Osmanen, Safawiden und Moguln
Kapitel 6
Abbildung 6.1: Arabien zu Zeiten Mohammeds
Kapitel 9
Abbildung 9.1: Zwei unterschiedliche architektonische Stilrichtungen beim Bau von...
Kapitel 14
Abbildung 14.1: Stammbaum der verschiedenen islamischen Sekten
Kapitel 15
Abbildung 15.1: Stammbaum der abrahamitischen Religionen
Cover
Titelblatt
Impressum
Über den Autor
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Fangen Sie an zu lesen
Anhang A: Die Jahre zählen: Der muslimische Kalender
Anhang B: Glossar
Anhang C: Weitere Quellen
Abbildungsverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Willkommen bei Islam für Dummies. Konnten Sie Mohammed, Mekka und Medina noch nie auseinanderhalten? Das ist jetzt vorbei. Sie erfahren, was Muslime glauben und tun, woher der Islam kommt und welche Rolle er in der modernen Welt spielt.
Die Ereignisse vom 11. September 2001 versetzten Menschen auf der ganzen Welt in Schock und Trauer. Da diese Terrorakte im Namen des Islam begangen wurden, war diese Weltreligion plötzlich mit Fragen, Fehlvorstellungen und vielleicht Ängsten konfrontiert, die nach Antworten, Aufklärung und Besänftigung suchten. Dieses Buch soll Ihnen helfen, die heutigen Konflikte aus einer auch historisch richtigen Perspektive zu sehen, angefangen von der bis heute nicht verheilten Wunde, die dem Islam vor etwa tausend Jahren von den christlichen Kreuzzügen geschlagen wurde, bis hin zu den fünf Säulen des Islam.
Der Islam gewinnt auch in Deutschland an Bedeutung. Wenn Sie unter oder mit Muslimen leben oder arbeiten oder wenn in Ihrer Nachbarschaft eine neue Moschee steht, kann Ihnen dieses Buch helfen, die Muslime zu verstehen, unbefangener mit ihnen umzugehen und die Anziehungskraft ihres Glaubens kennenzulernen, ohne eine Moschee zu betreten oder gen Mekka zu beten.
Ich bin kein Muslim. Mit diesem Buch will ich den Islam weder verteidigen noch angreifen. Ich reite weder auf Konfliktursachen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen herum, noch gebe ich vor, solche Differenzen seien grundlos. Dieses Buch ist auch kein Lehrbuch. Es gibt zwar Verweise auf andere Werke, aber keine Fußnoten, um Argumente im Text zu untermauern. Es sind mehrere kurze Einführungen in den Islam erhältlich, doch wegen ihrer Kürze müssen sie sich auf wenige Themen beschränken. Islam für Dummies ist länger als eine typische Kurzeinführung von 100 bis 150 Seiten und deshalb umfassender.
In diesem Buch gelten die folgenden Konventionen und Termini:
Das Wort
Muslim
bezeichnet jemanden, der den Islam praktiziert;
islam
heißt im Arabischen
Hingabe an Gott
. Das Wort
Islam
bezeichnet zum einen die Religion der Muslime und zum anderen alle Gegenden der Welt, in denen diese Religion praktiziert wird.
Islamist
nenne ich jemanden, der vorrangig die politische Herrschaft des Islam unterstützt.
Das heilige Buch des Islam, der Koran, besteht aus 114 Kapiteln, den sogenannten Suren. Der Ursprung des Wortes
Sure
ist unter den Gelehrten umstritten. Eine Sure besteht aus durchnummerierten Versen. Ein Verweis auf eine Textstelle des Koran besteht aus der Nummer der Sure und den entsprechenden Versen. So verweist die Bezeichnung
Sure 93:6–10
auf die Verse sechs bis zehn der 93. Sure des Koran.
Eine wesentliche Aussage des Koran sichert zu, er sei das Wort Gottes in der arabischen Sprache. Eine Übersetzung des Koran in andere Sprachen gilt grundsätzlich als Umschreibung oder Interpretation des Koran, die sich vom arabischen Original unterscheidet. Muslimische Konvertiten mussten schon immer einige Suren des Koran auf Arabisch lernen. Deshalb kann man in einem Buch über den Islam und den Koran arabische Termini nicht vermeiden. Die Wörter in diesem Buch (oft in Klammern stehend) sind Transliterationen wesentlicher arabischer Termini. Eine Transliteration ist keine Übersetzung; während diese die Bedeutung eines Wortes in einer anderen Sprache angibt, repräsentiert jene die Schreibweise oder Aussprache eines Wortes einer Sprache (in diesem Fall Arabisch) in einer anderen Sprache (in diesem Fall Deutsch).
Das Arabische verwendet andere Buchstaben als das Deutsche. Für manche arabischen Buchstaben gibt es keine deutsche Entsprechung. So enthält das Arabische mehrere »t«-Buchstaben, die beim Schreiben durch verschiedene Markierungen über oder unter dem Buchstaben (
diakritische Zeichen
) unterschieden werden. Doch hier schreibe ich einfach »t«.
Außerdem enthält das Arabische wie andere semitische Sprachen zwei Konsonanten, die in westlichen Sprachen nicht vorkommen:
hamza
und
’ayin
(ein gutturaler Kehllaut). Die Aussprache beider Laute ist für Westler schwierig. Schriftlich werden sie oft durch die Apostrophe ‘ und ’ dargestellt. In diesem Buch werden diese unterschiedlichen Apostrophe einheitlich durch ' bezeichnet.
Manche arabischen Wörter werden im Deutschen unterschiedlich dargestellt. Wenn Sie in Texten über den Islam zwei ähnliche Wörter mit leicht unterschiedlicher Schreibweise sehen, repräsentieren diese wahrscheinlich dasselbe arabische Wort. So sind
'id
und
Eid
zwei unterschiedliche Transliterationen desselben arabischen Wortes, das Festivitäten bezeichnet. Ich verwende jeweils die gebräuchlichste, vertrauteste Form, selbst wenn sie technisch nicht korrekt ist. So bezeichne ich die heilige Stadt des Islam mit dem vertrauten Namen
Mekka
, auch wenn
Makka
den arabischen Namen dieser Stadt genauer repräsentieren würde.
Vollständige arabische Namen können sehr lang sein; deshalb benutze ich üblicherweise eine abgekürzte Version. So bezeichne ich den Gründer der Hanafiten-Rechtsschule als
Abu Hanifa
, obwohl er eigentlich
Abu Hanifa al-Nu'man ibn Thabit ibn Zuta
heißt.
Beim Schreiben dieses Buches habe ich mir vorgestellt, wer Sie sein könnten, was Sie erlebt haben könnten und was Sie von diesem Buch erwarten könnten:
Sie müssen nichts über den Islam oder andere Religionen wissen, wenn Sie zu diesem Buch greifen. Doch wenn Sie eine Religion studieren, möchten Sie deren Schlüsselbegriffe und Termini oft mit denen anderer Religionen vergleichen. Deswegen finden Sie hier auch Termini aus Judentum, Christentum, Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus. Sie können diese Verweise auf andere Religionen allerdings überspringen. Die meisten Bücher über den Islam enthalten mehr Vergleiche mit dem Christentum und dem Judentum als mit fernöstlichen und südostasiatischen Religionen. Warum? Christentum, Judentum und Islam sind verwandte Religionen, die derselben abrahamitischen »Familie« entstammen (siehe
Teil V
). Natürlich können Sie eine einzelne Religion umso besser verstehen, je mehr andere Religionen und Kulturen Sie kennen.
Sie müssen kein Muslim sein, um den Islam zu verstehen. Gläubige und Nichtgläubige oder Atheisten können gemeinsam zu besseren Einsichten in den Islam kommen.
Ich bin nicht allwissend. Meine Beschreibungen eines bestimmten Glaubens oder einer Praxis im Islam sind sicher nicht die einzig möglichen.
Nicht alle Muslime werden mit allen Punkten in diesem Buch übereinstimmen.
In diesem Buch versuche ich nicht, den Islam neu zu interpretieren, sondern stelle den Konsens des Denkens vieler Gelehrter und Theologen dar.
Wer ein Buch über eine Religion schreibt, die über 1.400 Jahre alt ist, über 1,8 Milliarden Anhänger hat und auf dem ganzen Globus vertreten ist, muss aus einer Fülle von Informationen auswählen. Deshalb werden Sie in diesem Buch vielleicht nicht alle Antworten auf Ihre Fragen über den Islam finden. Doch ich habe in jedem der sieben Teile des Buches versucht, zusammenhängende Themen zu behandeln. Falls Sie im Inhaltsverzeichnis nicht finden, was Sie suchen, sollten Sie es mit dem Stichwortverzeichnis am Ende des Buches versuchen.
Was die Muslime glauben; eine kurze Geschichte des Islam; allgemeine Informationen über die islamische Weltbevölkerung und die wichtigsten islamischen Länder.
Der Begründer des Islam: Mohammed; der Koran; die rechtlichen und moralischen Lehren des Islam.
Der muslimische Gottesdienst; Rituale um Geburt, Heirat und Tod; einige islamische Bräuche.
Unterströmungen im Islam; Schiiten, Sunniten, Sufis, Drusen und andere.
Die Geschichte der drei abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam); ihr heutiges Verhältnis; Modernisierung und Globalisierung des Islam in den vergangenen hundert Jahren; Kontakt des Islam mit anderen nichtabrahamitischen Religionen.
Hervorragende Beiträge des Islam zur Zivilisation; wichtige Muslime.
Umrechnung des islamischen Kalenders in den westlichen und umgekehrt; ein Glossar islamischer Begriffe; zusätzliche Quellen über den Islam.
Wichtige Informationen werden in diesem Buch durch die folgenden Symbole gekennzeichnet:
Ein Zitat aus dem Koran und einem anderen islamischen Text.
Wichtige oder nützliche Informationen über den Islam.
Informationen, die Sie benötigen, um andere Aspekte des Islam zu verstehen.
Informationen, die kontrovers sind oder leicht missverstanden werden.
Informationen, die mehr Details liefern, als Sie wahrscheinlich wissen wollen, aber trotzdem das Verständnis des Islam fördern. Falls Sie mit den Grundlagen zufrieden sind, überspringen Sie diese Abschnitte.
Dieses Buch ist so konzipiert, dass Sie direkt zu den Themen springen können, die Sie am Islam am meisten interessieren. Es ist kein Roman, den Sie von Anfang bis Ende lesen müssen. Ich schlage vor, mit Kapitel 1 zu beginnen, um einen schnellen Überblick über den Ursprung des Islam und seine Glaubenssätze zu bekommen. Danach können Sie andere Interessen verfolgen:
Der Glaube im Islam:
Kapitel 3
,
4
,
5
,
7
,
8
und
11
.
Rituale und Verehrung im Islam:
Teil III
.
Geschichte des Islam:
Kapitel 2
und
5
.
Islam in der modernen Welt:
Kapitel 16
und
18
.
Die Beziehung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen:
Kapitel 15
und
16
.
Oder stellen Sie Ihren eigenen Leseplan auf!
Teil I
IN DIESEM TEIL …
Auch wenn Sie dieses Buch an beliebiger Stelle aufschlagen können, empfehle ich Ihnen, zunächst diesen Überblick über den Ursprung des Islam zu lesen. Sie lernen die Hauptzweige des Islam kennen und erfahren, in welchen Ländern die meisten Muslime leben. Kapitel 2 gibt Ihnen einen Überblick über die Geschichte des Islam. Einige Verweise in anderen Kapiteln des Buches sind leichter zu verstehen, wenn Sie den historischen Hintergrund kennen.
Hauptsächlich geht es in diesem Teil jedoch darum, was Muslime glauben und wie sie sich Gott vorstellen. Sie lernen die wichtigsten Attribute Gottes im Islam (seine Einzigartigkeit sowie seine anderen Eigenschaften), seine Namen und die Handlungen kennen, mit denen der Glaube an Gott zum Ausdruck gebracht wird. Außerdem werden theologische Schlüsselfragen im frühen Islam behandelt, wie etwa die Beziehungen zwischen Glauben und Leben und Theologie und Philosophie. Am Ende dieses Teils werden die islamischen Glaubensvorstellungen über den Tod, das Jüngste Gericht und die Vorstellungen von Himmel und Hölle behandelt.
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Einen Überblick über Ursprung, Glauben und Praktiken des Islam gewinnenDie Verteilung der muslimischen Weltbevölkerung kennenlernenIn diesem Kapitel erhalten Sie einen ersten Überblick über den Islam, der dann im Rest des Buches vertieft wird: wie der Glaube begann, was Muslime glauben, wie sich die Glaubensvorstellungen verschiedener Richtungen unterscheiden und wie viele Muslime wo auf dem Globus leben.
In diesem Kapitel werden die Themen nur angerissen; in späteren Kapiteln werden sie jeweils eingehender behandelt.
Etwa 610 n. Chr. erschien in Mekka, einer Stadt im heutigen Saudi-Arabien, der Engel Gabriel einem Mann namens Mohammed. Gabriel teilte Mohammed mit, Gott habe Mohammed als seinen Propheten auserkoren. Die Offenbarungen, die Mohammed bis zu seinem Tod im Jahre 632 empfing, bilden den Koran, das heilige Buch des Islam. Mohammed glaubte, er werde die ursprüngliche Religion der Menschheit wiederherstellen und vollenden, und sah sich in einer Linie mit den biblischen Propheten stehen, die ebenfalls von Gott gesendet worden waren, um die Menschen zur Unterwerfung unter Gott aufzurufen.
Mohammeds Zeitgenossen in Mekka waren Polytheisten, beteten demnach viele Götter an und lehnten Mohammeds Aufforderung ab, nur einen einzigen Gott anzubeten. 622 emigrierte Mohammed mit einer kleinen Gruppe gläubiger Anhänger aus Mekka nach Norden in die Stadt Yathrib, die von den Muslimen in Medina (al-Madina) umbenannt wurde. Dieses Jahr wurde später zum ersten Jahr des muslimischen Kalenders erklärt (siehe Anhang A). In Medina gründete Mohammed das erste muslimische Staatswesen.
630 führte Mohammed eine Armee der größer werdenden muslimischen Gemeinde gegen Mekka, das sich kampflos unterwarf. Als Mohammed zwei Jahre später starb, hatte der größte Teil Arabiens den Islam übernommen und war Teil der islamischen Gemeinschaft geworden. Auf Mohammed folgten mehrere Herrscher (Kalifen), die den Islam als neue Macht auf der weltpolitischen Bühne etablierten. In weniger als hundert Jahren überrannten muslimische Armeen die meisten Länder von der Nordwestgrenze Indiens im Osten bis nach Spanien im Westen und vereinigten sie zu einem einzigen großen Reich, einem sogenannten Kalifat.
Danach ging die ursprüngliche Einheit des Islam allmählich verloren und konnte nie wiederhergestellt werden. Das Kalifat zerfiel 1258 unter dem Ansturm der Mongolen. In den folgenden Jahrhunderten breitete sich der Islam weiter aus. Neue muslimische Königreiche kamen und gingen. Am Ende des 17. Jahrhunderts war die militärische Kraft des Islam erschöpft. In der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen die meisten muslimischen Länder direkt oder indirekt unter die Kontrolle europäischer Nationen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewannen die muslimischen Nationen ihre Unabhängigkeit zurück. Trotz des politischen und wirtschaftlichen Niedergangs nahm die Anzahl der Muslime auf der Welt im 20. Jahrhundert schnell zu, und der Islam entwickelte sich zum ersten Mal in der Geschichte zu einer wahrhaft globalen Religion.
Muslime haben mit Christen und Juden viele grundlegende Glaubenssätze gemeinsam, während sich ihre Religion von östlichen Religionen wie dem Hinduismus, Buddhismus oder Taoismus grundsätzlich unterscheidet:
Gott erschuf die Welt und alles, was sich in ihr befindet.
In Seinem geoffenbarten Wort legte Gott die Prinzipien für das Leben nieder, darunter auch die Sorge für die Armen.
Niemand darf andere Götter, Geld, Macht oder sich selbst verehren.
Am Ende der Zeit wird Gott alle Menschen richten.
Wer die Gebote Gottes befolgt hat, kommt in den Himmel.
Gott verlangt von allen Menschen, sich Seinem Willen zu unterwerfen, den Er in Seinem geoffenbarten Gesetz kundgetan hat. Dies kommt auch in dem Wort Islam zum Ausdruck: Es bedeutet wörtlich Hingabe oder Unterwerfung. Das Wort Islam hat dieselben Wurzeln wie das Wort für Frieden. Der Islam wird oft als die Religion der Hingabe an Gott aufgefasst. Die grundlegenden islamischen Glaubenssätze werden durch die fünf Säulen des Glaubens zusammengefasst (siehe Kapitel 4).
Islamist der Name der Religion. Ein Muslim ist ein Anhänger der islamischen Religion. Das Wort Muslim bedeutet »einer, der sich Gott hingibt«. Ein Muslim ist kein Mohammedaner, und Muslime sind nicht Angehörige einer »mohammedanischen Religion«, weil Mohammed nur ein Mensch war. Muslime verehren Gott, nicht Mohammed.
Die grundlegende religiöse Praxis eines Muslim wird durch die fünf Säulen der Gottesverehrung zusammengefasst (siehe Kapitel 9): Muslime müssen sich dazu bekennen, dass es keinen Gott außer Allah gibt und dass Mohammed sein Gesandter ist (Glaubensbekenntnis). Fünfmal am Tag müssen sie ihre Tätigkeit unterbrechen, um zu Gott zu beten (Gebet). Einmal im Jahr, im Monat Ramadan, müssen sie vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang fasten (Fasten). Einmal im Jahr müssen sie einen bestimmten Teil ihres Vermögens für einen gemeinnützigen Zweck spenden (Sozialabgabe). Und einmal im Leben muss jeder dazu fähige Muslim nach Mekka pilgern (Wallfahrt).
Der Islam hat zwei Hauptströmungen: die Sunniten und die Schiiten.
Sunniten machen etwa 90 Prozent der muslimischen Weltbevölkerung aus. Mit Sunna werden die Traditionen und Bräuche bezeichnet, die von Mohammed und den frühen Muslimen befolgt wurden.Nach Mohammeds Tod glaubten einige Muslime, die Nachfolge habe seinem Vetter und Schwiegersohn Ali zugestanden (und nicht den ersten drei Kalifen nach Mohammed). Der Terminus Schiabezeichnet die »Partei« Alis, deren Anhänger der Ansicht waren, die religiöse und politische Führung der Muslime müsse immer in der Familie Mohammeds (also zunächst bei Ali und seiner Frau Fatima) bleiben. Streitigkeiten über die Erbfolge spalteten die Schiiten in verschiedene Gruppen: die sogenannten Zwölfer (ithna-aschariyya), die Ismailiten und die Zaiditen (siehe Kapitel 12).Die Sufis bilden eine andere große Gruppe der Muslime. Der Sufismus ist die islamische Mystik und keine Sekte wie die Sunniten oder Schiiten. Ein Sufi ist normalerweise auch ein sunnitischer (oder seltener ein schiitischer) Muslim. Die vielen Sufi-Orden (siehe Kapitel 13) sind den vielen Mönchsorden der katholischen Kirche vergleichbar, obwohl Sufis meist verheiratet sind.
Die Zugehörigkeit zu Religionen zu bestimmen, ist nicht leicht, doch die vorhandenen Studien liefern plausible Schätzungen (siehe Tabelle 1.1). Demografen (Bevölkerungswissenschaftler) beurteilen nicht, ob die Menschen ihre Religion aktiv praktizieren oder fast nie einen Tempel oder eine Synagoge, Moschee oder Kirche betreten. Wenn eine Studie weltweit 360 Millionen Buddhisten ausweist, bedeutet dass nur, dass sich 360 Millionen Menschen als Buddhisten bezeichnen.
Religion
Anhänger
Prozentsatz
Christentum
1,9 Milliarden
31–33 Prozent
Islam
1,8 Milliarden
27–29 Prozent
Hinduismus
881 Millionen
14 Prozent
Buddhismus
360 Millionen
6 Prozent
Judentum
14 Millionen
unter 0,5 Prozent
Tabelle 1.1: Die Anhängerzahl ausgewählter Weltreligionen (2014)
Sowohl das Christentum als auch der Islam wachsen noch, hauptsächlich im vergangenen Jahrhundert in Afrika. Einige muslimische Länder haben die höchsten Fruchtbarkeitsraten der Welt. Dies erklärt einen großen Teil des Wachstums des Islam.
Ein Vergleich der Zahlen von 1900 und 2000 liefert einige interessante Erkenntnisse: 1900 repräsentierten die 555 Millionen Christen 32 Prozent der Weltbevölkerung, etwa so viel wie heute. Dagegen machten die 200 Millionen Muslime nur 12,3 Prozent der Weltbevölkerung aus, während der Islam heute einen Anteil von über 27 Prozent hat. Weil dieser Prozentsatz zunimmt, wird der Islam als die am schnellsten wachsende Weltreligion bezeichnet.
Nicht alle Araber sind Muslime, und nicht alle Muslime sind Araber (die ursprünglichen Bewohner des Nahen Ostens, die später den Hauptteil der Bevölkerung vieler Länder im Nahen Osten und Nordafrika, vom Irak bis Marokko, stellten). Tatsächlich stellen die Araber nur etwa 20 Prozent der muslimischen Weltbevölkerung. Dagegen leben in Südasien (Pakistan, Bangladesch und Indien) etwa 300 Millionen Muslime. Indonesien ist das bevölkerungsreichste muslimische Land. Im Nahen Osten leben etwa 200 Millionen Muslime, doch die beiden größten muslimischen Länder im Nahen Osten – Türkei und Iran – sind keine arabischen Länder. Natürlich ist Arabisch die Sprache des Islam; und die arabische Kultur hat einen unauslöschlichen Eindruck auf den Islam hinterlassen, auch wenn die meisten Muslime nicht Arabisch sprechen.
Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass jeder Araber ein Muslim ist. In den USA leben mehr Araber, die sich zum Christentum bekennen als zum Islam. Im Libanon stellen die arabischen Christen eine große Minderheit der Bevölkerung. Im Irak ist ihr Anteil zwar kleiner, aber nicht unbedeutend. Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts stellten die arabischen Christen auch in Palästina eine einflussreiche Minderheit der Bevölkerung, obwohl seitdem viele in die Vereinigten Staaten und in andere Länder ausgewandert sind. Dennoch sind über 90 Prozent der Araber Muslime.
Viele Nichtmuslime setzen Araber einfach mit Muslimen gleich. Zwar sind die meisten, aber nicht alle Araber Muslime. Christliche Araber zählen im Libanon zu den drei Hauptglaubensgemeinschaften. Andere muslimische Länder wie der Irak haben kleine, aber alte christliche Bevölkerungsgruppen, deren Geschichte bis in die Zeit zurückreicht, in der der Hauptteil der Bevölkerung christlich war. Auf der arabischen Halbinsel gab es, abgesehen von Grenzregionen wie dem Jemen, nie bedeutende christliche Bevölkerungsanteile. Vor ihrem Übertritt zum Islam waren die meisten Araber dort Polytheisten.
Die Muslime konzentrieren sich in einem zusammenhängenden Band von Ländern, das sich von Nordafrika über den Mittleren Osten, Südasien bis Malaysia und Indonesien in Südostasien erstreckt. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in diesen Ländern (außer Indien, wo die Muslime eine Minderheit von etwa 17 Prozent bilden) schwankt zwischen etwa 80 bis zu mehr als 99 Prozent. Im Iran, Irak, Jemen, Aserbaidschan, Bahrain und Libanon stellen die Schiiten die stärksten muslimischen Gruppen. Fast 1.000 Jahre lang wurde der größte Teil Südasiens (die heutigen Länder Pakistan, Bangladesch und Indien, aber nicht Sri Lanka) von Muslimen beherrscht. Die muslimische Bevölkerung dieser drei Länder (siehe Tabelle 1.2) bildet zusammen die bei Weitem größte Zusammenballung von Muslimen auf der Welt.
Land
Muslimische Bevölkerung
Indonesien
209,12 Millionen
Indien
176,19 Millionen
Pakistan
167,41 Millionen
Bangladesch
133,54 Millionen
Nigeria
77,3 Millionen
Ägypten
76,99 Millionen
Iran
73,57 Millionen
Türkei
71,33 Millionen
Algerien
34,73 Millionen
Tabelle 1.2: Die neun Länder mit den meisten muslimischen Bürgern
Im Laufe der Zeit wurde der größte Teil der Bevölkerung der heutigen Länder Pakistan und Bangladesch durch Emigration und Konversion muslimisch, während der größte Teil der Bevölkerung Indiens hinduistisch blieb. Als Indien 1948 unabhängig wurde, wurde die ehemalige britische Kolonie Indien in Indien und Pakistan aufgespalten. Dies hatte große Bevölkerungsbewegungen zur Folge: Die meisten Hindus wanderten aus muslimisch dominierten Gebieten nach Indien ab, während umgekehrt ein großer Teil der Muslime aus hinduistisch dominierten Gebieten nach Pakistan umzog. (Später spaltete sich das ehemalige Ostpakistan nach einem Bürgerkrieg als unabhängiger Staat, Bangladesch, ab.) Seit 1948 sind die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan gespannt und führten öfter an den Rand eines offenen Krieges. In Indien brachen immer wieder lokale Konflikte zwischen Muslimen und Hindus aus. Sie wurden sowohl durch religiöse als auch politische Faktoren ausgelöst. Politisch streiten sich Pakistan und Indien um Kaschmir, das zwar bei Indien verblieben ist, in dem aber hauptsächlich Muslime leben.
Auch in China gibt es Muslime. Doch außerhalb Chinas kennt niemand die genaue Zahl, da die chinesische Regierung die Zahlen der Anhänger aller Religionen tendenziell nach unten verfälscht und nicht mit Bevölkerungswissenschaftlern kooperiert, die genauere Daten erheben möchten.
Im Internet finden Sie Weltkarten, wenn Sie bei Suchmaschinen die Stichwörter »Islam+Weltkarte« eingeben.
Kapitel 2
IN DIESEM KAPITEL
Die Nachfolge Mohammeds: die vier rechtgeleiteten KalifenHerrscher über ein Reich: die Omayyaden und die AbbasidenEine Umwandlung des Staates: drei nachmittelalterliche islamische ReicheDer Islam will als Religion nicht nur spirituell suchenden Individuen Glaubensinhalte und Verhaltensregeln bieten, sondern versucht, alle Aspekte der Gesellschaft zu regeln. Man kann den Islam nur verstehen, wenn man seine politische und kulturelle Gestalt studiert.
Wenn Muslime heute einen islamischen Staat gründen wollen, studieren sie vorher oft islamische Staaten der Vergangenheit, um Modelle und Anregungen für das eigene Unterfangen zu bekommen. Die Vergangenheit ist für Muslime nicht nur alte Geschichte. Weil der Islam in der frühen Zeit von 632 (Mohammeds Tod) bis zum Fall von Bagdad 1258 als Zivilisation und politisches und religiöses System Gestalt annahm, können diese Entwicklungen Hinweise für die Beurteilung der Gegenwart liefern.
Diese frühe Geschichte lässt sich zwanglos in drei Epochen unterteilen. Die erste umfasst die vier Nachfolger Mohammeds. Unter ihrer Herrschaft breitete sich der Islam schnell über Arabien nach Syrien, Irak, Ägypten und Teile des Iran (632–661) aus. Die zweite umfasst die erste Dynastie. (Bei einer Dynastie bleibt die Herrschaft in einer Familie.) Die Omayyaden (661–750) herrschten von ihrer Hauptstadt Damaskus über eine vereinte islamische Gemeinschaft, die sich von den Grenzen Indiens im Osten bis nach Spanien und Marokko im Westen erstreckte. Imperien sind vergänglich, und die Herrschaft der Omayyaden hatte viele Feinde geschaffen. Durch einen gewaltsamen Umsturz kam die Familie der Abbasiden anstelle der Omayyaden an die Macht. Die Dynastie der Abbasiden herrschte von 750 bis 1258. Die neue Hauptstadt Bagdad war nicht nur das politische, sondern auch das kulturelle Zentrum des Islam.
Der Islam existiert seit 1.400 Jahren, umfasst über ein Fünftel der Weltbevölkerung und hat einen größeren geografischen Raum beherrscht als jedes andere Weltreich. In einem Kapitel können unmöglich die gesamte islamische Geschichte oder alle Räume behandelt werden, in denen der Islam die Oberhand gewann. Um eine klare Linie beizubehalten, werden viele Aspekte der Geschichte des Islam in diesem Kapitel nicht behandelt. Es gibt also keine langen Listen der Herrscher, Dynastien mit seltsamen Namen, Daten und geografischen Begriffe. Insbesondere beschreibe ich in diesem Kapitel nicht umfangreiche Themen der Ausbreitung und Geschichte des Islam. Näheres über diese Themen finden Sie in Geschichtsbüchern des Islam wie etwa Kleine Geschichte des Islam von Karen Armstrong (Berliner Taschenbuch Verlag 2001).
Der Islam versteht es als seine Mission, die Herrschaft Gottes über die ganze Welt auszudehnen. Praktisch bedeutet dies: Die ganze Welt sollte unter islamischer Herrschaft stehen. Die Muslime teilten im Mittelalter die Welt in islamische und nichtislamische Reiche auf:
Der dar al-Islam (Reich des Islam) ist der Teil der Welt, der unter islamischer Herrschaft steht. Gottes Absicht, so der Islam, besteht darin, den dar al-Islam auf die ganze Welt auszudehnen, sodass alle Menschen gemäß Gottes Plan und Gesetzen leben.Der dar al-harb(Reich des Krieges) ist der Teil der Welt, der nicht unter islamischer Herrschaft steht. Gott fordert die Muslime auf, alle Völker zum Islam zu bekehren (wenn auch nicht durch gewaltsame Konversion).Manchmal wurde eine dritte Kategorie erwähnt, derdar al-sulh (Reich des Waffenstillstands), der Teil der Welt, der mit dem dar al-Islam vertraglich festgelegte Beziehungen unterhält, aber gegenwärtig nicht unter islamischer Herrschaft steht.Islamische Gelehrte stritten sich damals darüber, welche geografischen Gebiete zum dar al-Islam gehören und unter welchen Umständen ein Gebiet seinen Status als Teil des dar al-Islam verliert. Sie stritten sich auch darüber, ob ein islamischer Staat mit angrenzenden nichtislamischen Staaten Krieg führen sollte, um sie gewaltsam in den dar al-Islam zu zwingen. Ein anderer Streitpunkt betraf die Frage, ob eine Person in einem nichtislamischen Staat ein Leben als Muslim führen kann. Einige vertraten den Standpunkt, dass Menschen, die aufgrund von Grenzverschiebungen plötzlich in einem nichtislamischen Staat leben, in einen islamischen Staat immigrieren sollten (so wie viele Juden glauben, dass Juden, die außerhalb von Israel leben, die religiöse Pflicht haben, nach Israel zu immigrieren). In Anbetracht etwa der umfangreichen Immigration von Muslimen in westliche Länder sind diese Fragen heute weniger relevant.
Das Wort dar (wie in dar al-Islam) ist schwer zu übersetzen. Die ursprüngliche Bedeutung des arabischen Wortes ist »umgeben, umringen, umzingeln«. Vor Mohammed bezeichnete dar das kreisförmige Lager einer Gruppe von Nomaden. Es kann auch den Wohnkomplex einer Großfamilie bezeichnen, der von einer Mauer umgeben ist, um diesen von dem eigentlichen Haus zu unterscheiden. Dar lässt sich am besten als abgegrenztes Gebiet verstehen, das unter einer einheitlichen Herrschaft steht. Der dar al-Islam ist demnach ein Gebiet, in dem die ganze muslimische Gemeinde sicher unter Gottes Gesetz lebt.
Der Islam verbreitete sich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert nach Indonesien, das heute der Bevölkerungszahl nach größte muslimische Land.
Von Anfang an etablierten sich an der afrikanischen Ostküste islamische Gemeinden. Später breitete sich der Islam auch auf Westafrika aus, bis er schließlich die vorherrschende Religion in der nördlichen Hälfte des Afrika südlich der Sahara wurde.
Zur Zeit der Omayyaden breitete sich der Islam über Nordafrika bis nach Spanien aus. Auch dieser geografische Raum, der das moderne Libyen, Tunesien, Algerien und Marokko umfasst, hat seine spezifische Geschichte.
Der Islam entwickelte sich in Zentralasien und den kaukasischen Bergregionen – vom Schwarzen Meer bis zu einem Teil Ostchinas – zur vorherrschenden Religion. Ein großer Teil dieser Region gehörte zur früheren Sowjetunion und umfasst heute mehrere neue unabhängige muslimische Staaten.
Die Entwicklungen im mittelöstlichen Kernland des Islam zwischen dem Ende der Abbasiden-Dynastie und dem Aufkommen des Osmanen- und des Safawiden-Reiches werden nicht ausführlich behandelt. In dieser Zeit kamen und gingen viele Dynastien. Nur wenige konnten über längere Zeit hinweg ihre Herrschaft über mehr als einen begrenzten regionalen Raum behaupten.
Bei seinem Tod hinterließ Mohammed die Basis einer neuen Religion und eines neuen politischen Systems. Doch erst die Zukunft sollte zeigen, welche Form die islamische Religion und ein islamischer Staat annehmen sollten. Obwohl Religion und Staat für Muslime eng verbunden sind, konzentriere ich mich in diesem Kapitel auf die Entwicklung des Islam als politisches und kulturelles System. Die junge muslimische Gemeinde in Medina sah sich für die vor ihr liegenden Jahrzehnte mit den folgenden wichtigen politischen Problemen konfrontiert:
Würde die islamische Gemeinschaft, die zum ersten Mal in der Geschichte die meisten Araber vereinigte, Bestand haben, oder würde sie sich nach dem Tod Mohammeds auflösen?
Falls sie überleben würde, wer würde dann Oberhaupt der Gemeinschaft sein? Sollte das Oberhaupt sowohl politische als auch religiöse Autorität haben oder nur der politische Führer des Islam sein?
Auf welchem Prinzip sollte diese Gemeinschaft basieren? Sollte sie eine breite Basis haben, die alle umfasst, die sich nicht ausdrücklich vom Islam ausschließen, oder sollte es eine engere, puritanische Gemeinschaft sein?
Sollte die islamische Gemeinschaft ein arabischer Staat sein oder sollte der Staat gleichberechtigt auch Nichtaraber umfassen?
Wie sollte der Islam konsolidiert und institutionalisiert werden?
Das Wort Kalif bedeutet Nachfolger oder Stellvertreter. So war Adam der Kalif Gottes – der Stellvertreter Gottes auf Erden. Kalif als Bezeichnung eines islamischen Herrschers ist eine Abkürzung des Ausdrucks »Kalif (Nachfolger) des Gesandten Gottes«. Auch heute gibt es noch, meist islamistische, Strömungen wie die Hizb at-Takhrir-Bewegung, die das Kalifat wiedererrichten wollen oder der sogenannte Islamische Staat.
Wenn die politische Gemeinschaft, die Mohammed gegründet hatte, nach seinem Tod nicht wieder zerfallen sollte, war schnelles und entschiedenes Handeln erforderlich. Doch wer sollte die Gemeinschaft führen? Vier Gruppen hätten Ansprüche anmelden können:
Die Einwohner von Medina, die Mohammed unterstützt hatten (»Helfer«):
Obwohl Mohammed bis zu seinem Tod in Medina lebte, hätten die Einwohner von Medina vorhersehen können, dass die Elite Mekkas die Führerrolle unter den Arabern beanspruchen werde.
Die einflussreichsten Führer der Kuraischiten:
Diese Gruppe war erst kurz vor und nach der Eroberung von Mekka 630 zum Islam konvertiert. Trotzdem glaubten sie, dass aufgrund ihrer Abstammung und Tradition ein Führer der Kuraischiten einen Staat leiten sollte, der von einem ihrer Stammesangehörigen gegründet worden war.
Ali, der Sohn von Mohammeds Onkel und Vormund, Abu Talib:
Mohammed hatte Ali in sein Haus aufgenommen, und Ali hatte Mohammeds einziges überlebendes Kind, seine Tochter Fatima, geheiratet. Die Kinder von Ali und Fatima waren direkte Erben von Mohammed. Die Anhänger Alis glaubten, die Führerschaft solle in der Familie Mohammeds bleiben und die Kombination aus religiöser und politischer Führung im Stile Mohammeds fortsetzen. Doch in Arabien ging die Stammesführung nicht automatisch vom Vater auf den Sohn über. Stattdessen wählten die Anführer eines Stammes oder Klans aus ihren Reihen denjenigen aus, den sie für den geeignetsten Führer hielten.
Scheich
, die Bezeichnung des Stammesführers, bedeutet wörtlich »alter Mann« und drückt aus, dass für die Position eines Anführers Alter und Erfahrung erforderlich waren. Da Ali mit 34 bei Mohammeds Tod noch relativ jung war, wäre er als Kandidat wohl nicht in Betracht gekommen. Alis Anhänger sahen dies anders. Sie verwiesen auf eine Überlieferung, nach der Mohammed bei seiner Rückkehr von seiner letzten Pilgerreise nach Mekka Ali zu seinem Nachfolger bestimmt habe. Aber diese Überlieferung ist mehrdeutig formuliert, und andere Muslime interpretierten Mohammeds Worte nicht als Vermächtnis seiner Nachfolge an Ali. (In
Kapitel 12
finden Sie Näheres über die Schiiten, die Partei Alis.)
Die Gefährten:
Dies war die letzte Gruppe, die den Nachfolger hätte stellen können. Sie umfasste die frühesten Konvertiten zum Islam aus Mekka, noch vor der Emigration nach Medina 622. Die meisten Gefährten stammten aus weniger bedeutenden Klans der Kuraischiten und zählten deshalb nicht zu den Leuten, welche die Elite der Kuraischiten normalerweise zu ihren Führern zählen würde.
Bei diesen Optionen erwies sich Abu Bakr sowohl als engster Gefährte des Propheten, sein Schwiegervater wie auch als Mitglied der Kuraischiten als naheliegender Kompromiss. Abu Bakr war bereits älter, als er als einer der Ersten zum Islam konvertierte. Er hatte Mohammed auf seiner Flucht (Emigration) aus Mekka nach Medina begleitet. Wegen seiner untadeligen Reputation trug er den Beinamen »der Aufrichtige«. Aischa, Mohammeds Lieblingsfrau (nach dem Tod von Khadidscha), war Abu Bakrs Tochter. Mohammed hatte ihn auserwählt, das letzte Gebet während seiner tödlichen Krankheit zu leiten. Tatsächlich wurde Abu Bakr von einer kleinen inneren Gruppe der Kuraischiten in Abwesenheit sowohl von Ali als auch den eingeborenen Führern von Medina zum Nachfolger bestimmt.
Mohammed hatte mehr arabische Stämme zu einer größeren Einheit zusammengeschlossen als jemals jemand zuvor. Dennoch war es nicht selbstverständlich, dass der Staat, den er geschaffen hatte, seinen Tod überdauern würde. Warum? Dem arabischen Brauch folgend, würden Führer, die Mohammed die Treue geschworen hatten, bei seinem Tod von ihrem Eid entbunden sein. Wenn sich ein Stamm von dem jungen Staat lossagte, bedeutete dies nicht automatisch, dass er den Islam ablehnte. Doch bei einigen Stämmen war das Bekenntnis zum Islam eher eine Frage der politischen Taktik als eine religiöse Überzeugung. Diese Gruppen hätten den Tod Mohammeds als Gelegenheit begreifen können, dem Islam abzuschwören. Als Abu Bakr Kalif wurde, erhoben sich tatsächlich einige Stämme. Die Zeit ging als dieApostasie(al-Ridda; Abfallbewegung) in die Geschichte des Islam ein. Einige dieser Revolten wurden von Personen angeführt, die sich als Propheten mit eigenen Offenbarungen proklamierten. Abu Bakr konnte diese Revolten mit der Hilfe des künftigen zweiten Kalifen Umar erfolgreich niederwerfen. Außerdem gewann er einige Stämme in Arabien, die den Islam noch nicht akzeptiert hatten, und traf Vorbereitungen für Militärexpeditionen außerhalb von Arabien. Der Islam hatte die erste Krise nach dem Tod Mohammeds überstanden.
Auf seinem Sterbelager bestimmte Abu Bakr den 43 Jahre alten Umar (auch: Omar), bereits die zweitwichtigste Person in dem jungen Staat, zu seinem Nachfolger.
Umar war ursprünglich ein erklärter Gegner des Islam gewesen. 616 wollte er Mohammed töten, kehrte aber vorher in das Haus seiner Schwester und deren Mannes ein, wobei er zu seinem Ärger ihren Übertritt zum Islam entdeckte. Als er sie jedoch aus dem Koran rezitieren hörte, konvertierte auch er sofort. Er war für sein aufbrausendes Temperament bekannt, wurde aber trotzdem einer der treuesten Anhänger Mohammeds.
Trotz des erheblichen Reichtums, der aufgrund der militärischen Eroberungen nach Mekka und Medina floss, führt Umar ein einfaches Leben. Sunnitische Muslime betrachten Umar oft rückblickend als idealen Herrscher. Folgende Begebenheiten zählen zu den Höhepunkten seiner sehr erfolgreichen Herrschaft als Kalif:
Umar nahm den Titel
Amir al-Mu'minim
(Herrscher der Gläubigen) an, der von seinen Nachfolgern übernommen wurde.
Unter seiner Führung erfolgte die erste größere Erweiterung des Islam außerhalb von Arabien. Dabei fielen die heutigen Gebiete von Palästina, Syrien, Irak, Ägypten und Iran unter islamische Herrschaft. Im Westen und Norden erstreckte sich das Byzantinische (Oströmische) Reich. Im Osten und Nordosten herrschten die Sassaniden (Iraner), die Erben des antiken Persien. Mit Unterstützung durch fähige Feldherren wie Amr Ibn al-As und Khalid Ibn al-Walid brachte Umar mit seiner Armee der byzantinischen Armee am Fluss Yarmuk im Süden Syriens 636 eine bedeutende Niederlage bei. 637 besiegte er die Hauptarmee der Sassaniden-Armee im Südirak und besetzte ihre Hauptstadt, Ctesiphon. Während Byzanz (das Oströmische Reich) noch für einige Jahrhunderte eine bedeutende Macht blieb, markierte der Sieg über die Sassaniden 637 das Ende des iranischen Reiches als regionale Großmacht. Die arabischen Armeen drangen weiter nördlich in den Nordirak ein und erreichten in der Mitte der 650er-Jahre den Ostiran. 642 hatten die muslimischen Armeen den Oströmern die Kontrolle über Ägypten abgerungen.
Er schuf die Basis für die Verwaltung des erheblich erweiterten islamischen Staates, indem er einige vorislamische administrative Strukturen der Länder nutze, die er von den Römern erobert hatte. Viele wichtige Positionen der mittleren Ebene der Regierung wurden mit Nichtmuslimen besetzt, die über die erforderlichen Kompetenzen verfügten, die den arabischen Eroberern fehlten.
Umar siedelte Soldaten der arabischen Armeen in Lagern bei Kufa und Basra im Irak (und später in ähnlichen Siedlungen an anderen Orten) an, wo sie von der einheimischen Bevölkerung getrennt waren. Diese Lager entwickelten sich zu Hauptzentren der weiteren Verbreitung des Islam in der betreffenden Region. Der Sold der Soldaten wurde aus der Kriegsbeute bezahlt.
Die Führer der in den eroberten Gebieten angesiedelten Araber entwickelten sich oft zu den neuen örtlichen Eliten. Doch viele der vorislamischen Eliten durften ihr Land und ihre Positionen behalten. Viele dieser Leute waren mit der Herrschaft der Römer oder Sassaniden unzufrieden gewesen. Durch seine Politik konnte Umar ihre Unterstützung für den neuen islamischen Staat gewinnen. Einige Mitglieder der lokalen, alteingesessenen Führungsschicht konvertierten zum Islam – zweifellos auch, um ihre Stellung in der neuen islamischen Ordnung zu verbessern.
Er legte das Datum der Emigration aus Mekka nach Medina (622) als den Anfang des muslimischen Kalenders fest.
Umar verfolgte Christen und Juden gegenüber eine Politik der Toleranz und wurde damit den Aussagen über nichtmuslimische »Leute des Buches« (Leute mit einer schriftlichen Offenbarung) im Koran gerecht. Umar zwang Christen und Juden nicht, zum Islam überzutreten.
In den nächsten 200 Jahren blieben die Muslime im Nahen Osten in der Minderheit. Etwa 637 übergab der christliche Patriarch von Jerusalem die Stadt freiwillig an die heranrückende muslimische Armee. Laut muslimischer Überlieferung lehnte es Umar nach Betreten der Stadt ab, in der Kirche zu beten, die den Ort der Kreuzigung Jesu markierte, damit seine Anhänger die Kirche nicht in eine Moschee umwandelten. Das Dokument, der sogenannte Vertrag des Umar, legte die Bedingungen fest, unter denen es Christen und Juden erlaubt war, in dem islamischen Staat zu leben. Diese geschützten Minderheiten (dhimmi) durften ihre Religion weiter ausüben, durften aber nicht missionieren oder neue Stätten der Anbetung errichten. Die dhimmi trugen später spezielle Kleidung und zahlten eine eigene Steuer dafür, dass sie nicht in der Armee dienen mussten. Heutige Forscher streiten darüber, ob muslimische Berichte wie dieser über die Eroberung Jerusalems und den Vertrag des Umar korrekt wiedergeben, was passierte, oder ob sie diese aus der Sicht von hundert oder mehr Jahren später beschreiben, als Muslime begannen, ihre frühe Geschichte zu erzählen. In den letzten 20 Jahren haben sich zahlreiche Forscher bemüht, die frühe islamische Geschichte historisch genauer darzustellen – doch vieles bleibt zu tun. Auf jeden Fall wurden diese Geschichte und der Text des Vertrags des Umar maßgebend für spätere Muslime, um festzulegen, wie Muslime Christen und Juden in neu eroberten Ländern behandeln sollten. Er bestimmt auch heute noch, wie Muslime ihre Beziehungen zu Christen und Juden und sogar anderen Nichtmuslimen sehen.
Ein verärgerter Sklave verübte 644 ein Attentat auf Umar. Auf seinem Sterbebett rief Umar Ali, Uthman und andere prominente Führer zu einem Rat (schura) zusammen und trug ihnen auf, den nächsten Kalifen zu wählen. Sie wählten Uthman. Heute verweisen Befürworter einer islamischen Demokratie auf die Institution der schura als einen frühen islamischen Vorgänger. Die Schiiten glaubten, dass Ali die Position des Kalifen ungerechterweise ein zweites Mal verweigert worden war. Es ist glaubhaft, dass er der Ernennung Uthmans nur zögernd zustimmte.
Der fromme und reiche Kaufmann Uthman war als Herrscher umstrittener und weniger fähig als seine Vorgänger. Er war einer der frühen Islamkonvertiten, hatte eine Tochter Mohammeds geheiratet und gehörte zu dem mächtigen Omayyaden-Klan der Kuraischiten. Bei der Besetzung von Regierungspositionen bevorzugte er Mitglieder seines Klans. Die meisten waren erst spät zum Islam übergetreten, und diese Postenverteilung rief Unmut hervor. Die Leute von Medina nahmen den wachsenden Einfluss von Mekka auf die Staatsangelegenheiten übel, und viele Muslime waren von dem zunehmenden Reichtum und der Macht abgestoßen, die von der Elite angehäuft wurde.
Auch im islamischen Zentrum Kufa im Irak und in Ägypten bildeten sich Gruppen, die mit Uthmans Politik nicht einverstanden waren. Schließlich wurde Uthman von ägyptischen Rebellen bei einem Attentat umgebracht, als er gerade den Koran las. Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass Ali an diesem Attentat beteiligt war, äußerten einige von Alis Feinden, darunter Uthmans Familie (der Omayyaden-Klan) sowie Aischa (Mohammeds Witwe) und ihre Anhänger, den Verdacht, er sei es gewesen oder habe zumindest nicht genug getan, um Uthman zu schützen.
Unter der Herrschaft Uthmans wurde die geografische Expansion des Staates fortgesetzt, insbesondere nach Libyen und Tunesien. Gemäß der muslimischen Überlieferung bestand Uthmans größte Leistung darin, die bis dahin nur als Loseblattsammlung vorhandene Fassung des Koran vervielfältigen und versenden zu lassen. So wurde eine verbindliche Version der Schrift in der Geschichte des Islam viel schneller festgelegt als die heiligen Schriften des Christentums oder Judentums.
Ein Rat (schura) wählte Ali als vierten Kalifen, aber er konnte seine Herrschaft nie richtig festigen, weil viele glaubten, er sei am Mord an Uthman beteiligt gewesen. Ali wird in den islamischen Quellen als aufrichtig beschrieben und sprach die weniger mächtigen Mitglieder der Gemeinschaft an. Er verlegte seine Hauptstadt nach Kufa im Irak. Seitdem lag das politische Zentrum des Islam nie wieder in Arabien.
Uthmans Tod markierte den Anfang der ersten Rebellion (fitna), welche die Einheit der Muslimgemeinde bedrohte. In der Zeit der ersten beiden islamischen Dynastien, der Omayyaden und der Abbasiden, gab es noch drei weitere Rebellionen. Ali wurde auch von Mohammeds Witwe Aischa und ihren Anhängern bekämpft. Er schlug sie 656 in der »Kamelschlacht«.
Uthman hatte seinen Neffen Mu'awiya zum Statthalter von Syrien gemacht. Als Ali als neuer Kalif einen anderen zum syrischen Statthalter ernannte, weigerte sich Mu'awiya, den Posten aufzugeben, und die Armeen von Ali und Mu'awiya trafen sich 658 in der Schlacht von Siffin. Alis Kräfte hatten die Oberhand, als die gegnerische Kavallerie Seiten des Koran auf die Spitzen ihrer Speere aufspießte und schrie: »Wir wollen Gott entscheiden lassen.« Ali nahm den vorgeschlagenen Schiedsspruch an. Dadurch schwächte Ali seine Position und verlor die Unterstützung seiner leidenschaftlicheren Anhänger, die die Waffen gegen ihn erhoben. Diese Gruppe wurde alsKharidschiten (»Sezessionisten«) bezeichnet, weil sie sich von Alis Lager abgespalten hatte. Die Kharidschiten waren eine extremistische, puritanische Gruppe im frühen Islam, die der Auffassung waren, nur die strengsten Gläubigen sollten als Muslime betrachtet werden und der Kalif solle auf der Basis seines muslimischen Glaubens und nicht aufgrund seiner familiären oder politischen Beziehungen gewählt werden. Außerdem war das dreiköpfige Beratungsgremium gegen Ali eingenommen und entschied sich gegen ihn. Ali konnte seine Macht in einem Teil des Irak erhalten, bis er 661 von einem Eiferer der Kharidschiten umgebracht wurde. Die Kharidschiten wollten auch Mu'awiya ermorden, doch das Attentat schlug fehl. In gewisser Weise können die Kharidschiten als Vorläufer der extremistischen islamistischen Gruppen der Gegenwart betrachtet werden.
Kurz vor oder während der Zeit Mohammeds rechnete niemand in den zentralen Regionen des Nahen Ostens mit einer ernsten Bedrohung aus Arabien. Doch die muslimischen Armeen zerstörten rasch das Reich der Sassaniden (Iraner) und drängten die Grenzen des Byzantinischen Reiches (das Oströmische Reich mit seiner Hauptstadt Konstantinopel) zurück. Anfang des 8. Jahrhunderts reichte das muslimische Kalifat von der Atlantikküste Nordafrikas bis zu Teilen des heutigen Pakistan.
Muslime werten diesen Erfolg als Zeichen der Gunst Gottes und der Attraktivität sowie der einfachen Dogmatik des islamischen Glaubens, denn diese Siege über die Byzantiner erfolgten nicht zwangsläufig. Mehrere entscheidende Feldzüge hätten leicht zum Nachteil der Muslime ausgehen und den Lauf der Geschichte ändern können. Was also könnte neben der Gunst Gottes der Grund für diesen erstaunlichen Erfolg gewesen sein? Folgende Faktoren können eine Rolle gespielt haben:
Die Oströmer und die Sassaniden (Iraner) waren durch ein Jahrhundert des Krieges gegeneinander erschöpft. Zu Lebzeiten Mohammeds hatten die Sassaniden Jerusalem erobert und dann wieder an die Byzantiner verloren.
Die alteingesessenen Bevölkerungen waren oft mit der Herrschaft der Byzantiner und Sassaniden unglücklich. Obwohl sie christlich waren, wurden die Bevölkerungen von Syrien, Irak und Ägypten von den Byzantinern verfolgt, die einer anderen Richtung des Christentums anhingen.
Die Bevölkerungen Syriens und des Irak waren Araber und hatten mit den eindringenden muslimisch-arabischen Armeen mehr gemein als mit ihren iranischen oder byzantinischen Herren.
Die Kalifen verfolgten eine Politik der Versöhnung mit der Bevölkerung, statt sie auszubeuten, und gewannen so ihre Unterstützung.
Die Vereinigung des gesamten Nahen Ostens zu einer einzigen politischen und ökonomischen Einheit belebte eine Wirtschaft, die durch den permanenten Krieg zwischen den Sassaniden und Oströmern daniederlag. Auch wenn diese Vereinigung mehrerer Stämme möglicherweise gar nicht beabsichtigt war, war sie erfolgreich.
Mehrere außergewöhnlich fähige Kalifen und Generäle waren wichtige Faktoren für die muslimischen Siege.
Die Motivation spielt in jeder Armee eine kritische Rolle. Sie entscheidet oft über Sieg und Niederlage und kann selbst scheinbar ungünstige Situationen kippen. Die islamische Überlieferung berichtet, dass der religiöse Eifer für die muslimischen Siege über Mekka zu Mohammeds Lebzeiten entscheidend war. Der religiöse Eifer war sicher auch zu anderen Zeiten der muslimischen Geschichte ein wichtiger militärischer Faktor. Gelehrte sind der Auffassung, dass der religiöse Eifer auch ein wichtiger Faktor war, um so viele Araber zur Teilnahme an den ersten Eroberungen zu motivieren. Laut Überlieferung kommt ein Muslim, der im Kampf für den Islam stirbt, in den Himmel, ohne sich der Tortur des »Tags des Gerichts« unterwerfen zu müssen. Natürlich ist die Bedeutung des religiösen Faktors schwer nachzuweisen; denn die Psyche der frühen muslimischen Kämpfer bleibt für immer unzugänglich. Doch selbst bei einem noch so starken religiösen Faktor bleibt zu fragen, ob nicht auch die Aussicht auf eine riesige Kriegsbeute die arabischen Kämpfer motivierte; denn das Leben in Arabien war hart.
Ein Goldenes Zeitalter war für die Menschen nicht immer golden. Menschen schauen in die Vergangenheit und erwarten oder hoffen, eine Zeit zu finden, in der das Leben noch nicht so komplex und problembehaftet war. Verschiedene Kulturen sehen die Geschichte