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Islamistischer Terrorismus, Islamismus und Salafismus stellen weiterhin "die" aktuellen sicherheitspolitischen Bedrohungen dar und sind damit notwendigerweise auch Studienthemen der Gegenwart und der nächsten Jahrzehnte. Seit dem islamistischen Anschlag in Madrid im Frühjahr 2004 wurden allein in Europa über 100 islamistische Anschläge verübt bzw. von Sicherheitsbehörden verhindert. Die 3. Auflage greift die aktuellen Anschläge auf, beschreibt die Phänomenbereiche islamistischer Terrorismus, Islamismus sowie Salafismus und untersucht diese auf den Ebenen Analyse, Definitionen und Taktik. Diese Betrachtungsebenen sind so miteinander verbunden, dass das Buch – abhängig von Vorwissen und beruflichem Hintergrund – nicht chronologisch gelesen werden muss, weil die Betrachtungsebenen einen jeweils individuellen Einstieg in den Phänomenbereich ermöglichen. Der Autor ist Professor für Sicherheitspolitik an der Hochschule des Bundes, Fachbereich Bundespolizei, Lübeck.
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Analyse – Definitionen – Taktik
von
Prof. Dr. Stefan Goertz
3., neu bearbeitete Auflage
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Grundlagen
Die Schriftenreihe der „Kriminalistik“
Prof. Dr. Stefan Goertz, Professur für Sicherheitspolitik, Schwerpunkt Extremismus- und Terrorismusforschung, an der Hochschule des Bundes, am Fachbereich Bundespolizei, in Lübeck. Studium u.a. Politikwissenschaft, Sozialwissenschaften, Öffentliches Recht und Arabisch u.a. in Berlin und Damaskus/Syrien. Auslandseinsätze als Offizier der Bundeswehr in Bosnien und im Libanon. Promotion im Bereich Internationale Beziehungen und Völkerrecht an der Carleton University, Ottawa/Kanada und an der Universität der Bundeswehr in München. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Islamistischer Terrorismus, Salafismus, Islamismus, Radikalisierungsforschung, Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus, internationale Organisierte Kriminalität sowie Cybercrime.
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ISBN 978-3-7832-4067-2
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Terroristische Anschläge und Attentate gehören zu den gravierendsten sicherheitspolitischen Bedrohungen unserer Zeit. Die islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate in Europa seit 2015 – sowohl die durchgeführten, als auch die geplanten und die durch die Sicherheitsbehörden verhinderten – verdeutlichen die gegenwärtige und zukünftige Bedrohung westlicher, demokratischer Staaten wie Deutschland durch den islamistischen Terrorismus. Auch die GSG 9 der Bundespolizei steht vor dem Hintergrund dieser Bedrohungslage vor neuen Herausforderungen.
Dieses Handbuch zeigt auf, dass es für die vom islamistischen Terrorismus betroffenen demokratischen Staaten, insbesondere für ihre Polizei- und Sicherheitsbehörden, von größter Wichtigkeit ist, das Phänomen islamistischer Terrorismus richtig zu analysieren, um strategisch und taktisch angemessen auf ihn zu reagieren.
Was will „der“ Terrorismus? Er will die Bevölkerung „terrorisieren“, sie in Angst und Schrecken versetzen, um dadurch die politischen Entscheidungsträger unter Druck zu setzen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, nüchtern, sachlich aber genauso professionell und entschlossen auf die Bedrohung des islamistischen Terrorismus zu reagieren.
Dazu gehört eine umfassende, analytisch-nüchterne Analyse der Bedrohung des islamistischen Terrorismus:
Wer sind die Akteure?
Was motiviert und radikalisiert diese Akteure?
Was sind potentielle Anschlagsziele und welche (polizeilichen) Gegenmaßnahmen können daraus abgeleitet werden?
Wie sind die Akteure des islamistischen Terrorismus in der Vergangenheit vorgegangen?
Welche taktischen Muster lassen sich aus ihrem Vorgehen in der Vergangenheit für die Zukunft ableiten?
I. Der islamistische Terrorismus war und ist als Thema in den letzten beiden Jahren omnipräsent in den Medien und wird dies wohl auch in nächster Zeit sein. Zahlreiche Bücher wurden über den islamistischen Terrorismus geschrieben, die meisten in englischer Sprache. Alle diese Werke haben jedoch einen sehr speziellen Blickwinkel, gehen sehr spezialisiert vor und konzentrieren sich auf einen Ausschnitt des islamistischen Terrorismus, zum Beispiel auf seine historische Entwicklung, oder sie gehen detailliert auf eine jihadistische Organisation ein oder sie beschreiben den biographischen Hintergrund islamistisch-terroristischer Attentäter.
Auch diese Expertise hat ihren eigenen Blickwinkel, ihre eigene Perspektive und das ist diejenige der deutschen und europäischen Polizei- und Sicherheitsbehörden.
Daher hat dieses Buch zwei Schwerpunkte:
Zum einen die Analyse der Akteure des islamistischen Terrorismus: Wer wird warum Islamist, Salafist und/oder islamistischer Terrorist? Zur Analyse und Antwort dieser Frage nutzt der Autor sowohl die aktuelle englischsprachige wissenschaftliche Literatur als auch die Analysen und Berichte der deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden, wie beispielsweise des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Zum anderen die Analyse der Taktik und Mittel, derer sich der Phänomenbereich islamistischer Terrorismus in den letzten Jahren bedient hat: Wie gehen Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen vor? In den Unterkapiteln IV 3 und IV 4 werden Fallbeispiele islamistisch-terroristischer Anschläge in Europa untersucht, sowohl von „Hit-Teams“ der großen jihadistischen Organisationen als auch von islamistischen Einzeltätern.
II. Im Hauptkapitel IV, „Strategie und Taktik des islamistischen Terrorismus: Analyse und Beispiele“ werden Taktiken, Akteure, Anschlagsziele und Modi Operandi des islamistischen Terrorismus auf aktuellstem Stand der Informationen detailliert dargestellt.
Im vorletzten Hauptkapitel, Kapitel V, werden „staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen gegen den islamistischen Terrorismus“ am Fallbeispiel Deutschland betrachtet, dabei besonders sowohl präventive als auch repressive Mittel und Akteure staatlicher und zivilgesellschaftlicher Maßnahmen beleuchtet.
Aus der Perspektive der deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden ist dieses Buch so aufgebaut, dass einführende und abschließende „theoretische“ und analytische Feststellungen mit zahlreichen Fallbeispielen aus dem Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus kombiniert werden, um aktuelle und zukünftige „Praktiker“ im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Aufgabenbereich der Prävention und Repression von Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus im täglichen Dienst und in besonderen Einsatzlagen zu unterstützen.
St. Augustin, im April 2017 Jerome Fuchs Kommandeur GSG 9
Die zahlreichen verübten sowie geplanten, aber von den Sicherheitsbehörden verhinderten islamistischen Anschläge innerhalb der letzten Monate und Jahre in Deutschland und anderen europäischen Staaten – zuletzt der islamistische Messeranschlag auf das Festival der Vielfalt in Solingen am 23.8.2024 mit drei getöteten und acht verletzten Menschen sowie zuvor am 31.5.2024 das Messerattentat eines afghanischen Islamisten in Mannheim, bei dem sechs Menschen verletzt sowie der 29-jährige Polizeibeamte Rouven L. getötet wurde – haben die Qualität und die Quantität der Gefahren verdeutlicht, die aktuell und zukünftig von Islamisten, Salafisten und islamistischen Terroristen für unsere Innere Sicherheit ausgehen.
Seit dem islamistischen Anschlag in Madrid im Frühjahr 2004 wurden allein in Europa über 100 (!!) islamistische Anschläge verübt bzw. von Sicherheitsbehörden verhindert. Durch die seit 2004 in Europa verübten islamistischen Anschläge wurden über 800 Menschen getötet und über 3800 verletzt – darunter zahlreiche schwer, Amputationen waren die Folge.
In Bezug auf die ideologischen Hintergründe von Terroristen und die Fragen „Was wollen Terroristen?“, „Wie weit sind Terroristen bereit, zu gehen?“, „Wen wollen Terroristen angreifen, töten, verletzen?“ muss hier klar festgestellt werden, dass Terroristen keine Grenzen kennen. Diese Erkenntnis müssen wir spätestens seit den Gräueltaten des „Islamischen Staates“ (Verbrennen ihrer Opfer in Käfigen, Ermorden durch Flammenwerfer, durch Ertränken in Käfigen, Wegsprengen von Köpfen und Gliedmaßen) seit 2014 bzw. seit den Anschlägen des 11.9.2001 (vor allem Zivilisten starben im World Trade Center und in den Flugzeugen) haben. Aktuell haben die Terroristen der Hamas der Welt wieder einmal aufgezeigt, wozu Terroristen in der Lage sind: Offensichtlich zu (quasi) allem.
Am 7.10.2023 drangen Hunderte Terroristen der palästinensischen Terrororganisation Hamas in israelisches Staatsgebiet ein, zogen mordend durch Wohngebiete, verübten ein Massaker an 360 jungen Israelis auf offenem Gelände, töteten insgesamt über 1.400 Menschen, verletzten über 5.500 Menschen und verschleppten über 240 Menschen, von Kleinkindern bis zu Soldaten, in den Gaza-Streifen.[1]
Die von Islamisten verübten politisch motivierten Straftaten sind im Jahr 2023 massiv angestiegen, darunter stark auch die Gewaltdelikte, hierbei auch versuchte und vollendete Tötungsdelikte. Spätestens die öffentlichen Kalifats-Forderungen, von denen seit Herbst 2023 wiederholt berichtet wird, sollten verdeutlichen, welches Bedrohungspotenzial vom Islamismus in Deutschland ausgeht. Hinzu kommen regelmäßige Anschlagspläne von islamistischen Terroristen in Deutschland. In den letzten Jahren konnten die deutschen Sicherheitsbehörden über 25 Anschläge – häufig kamen die nachrichtendienstlichen Informationen dazu aus dem Ausland – verhindern.
Auch diese 3. Auflage ist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dier Polizei- und Verfassungsschutzbehörden gewidmet, die jeden Tag für unsere Sicherheit und Freiheit einstehen und sich mit ihrem Leben und ihrer Gesundheit für unsere Sicherheit und Freiheit einsetzen!
Herzlichen danken möchte ich meinen Kolleginnen und Kollegen der Polizei- und Verfassungsschutzbehörden für ihre sehr positiven Rückmeldungen zu den beiden ersten Auflagen dieses Buches, ihre Anregungen und Fragen zu Islamismus, Salafismus und islamistischem Terrorismus.
Lübeck, im August 2024 Prof. Dr. Stefan Goertz
Der islamistische Terrorismus, Islamismus und Salafismus sind „die“ existenziellen aktuellen sicherheitspolitischen Bedrohungen unserer Zeit und der nächsten Jahrzehnte. Nicht erst die zahlreichen geplanten und durchgeführten islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate innerhalb der letzten 24 Monate in Europa und Deutschland verdeutlichen den Grad der Bedrohung, die aktuell und zukünftig von islamistischen Terroristen, Islamisten und Salafisten für demokratische, westlich-freiheitliche Staaten wie Deutschland ausgeht.
Bücher über „den“ Terrorismus sind in den letzten Jahren zahlreich erschienen, allerdings alle mit einer starken einseitigen Schwerpunktsetzung und Ausrichtung auf bestimmte Bereiche (z.B. die historische Entwicklung der Ideengeschichte des Islamismus, die Entstehung der Al Qaida und Bücher über den „Islamischen Staat“). Durch meine langjährige inhaltliche, wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomenbereich – verstärkt durch die Bilder des 11.9.2001 und die Angst vor einer Nachahmung in Europa – und meine berufliche Tätigkeit für die Bundespolizei hat sich in den letzten Jahren und Monaten herausgestellt, dass dieses komplexe Thema einerseits ganzheitlich analysiert und andererseits konkreter, praktischer, fassbarer für Studenten und Praktiker gemacht werden muss.
Für wen habe ich dieses Buch geschrieben?
Da ich beruflich sowohl mit Studenten als auch mit Praktikern des Bereiches Polizei und Innere Sicherheit arbeite, war und ist meine Motivation die folgende:
Der islamistische Terrorismus ist ein höchst komplexes Thema sehr heterogener Problembereiche, über das zahlreiche Bücher – die inhaltlich besten wiederum auf Englisch – geschrieben wurden, die aber für meine Zielgruppe – Studenten und Praktiker der Inneren Sicherheit – überwiegend zu umfangreich, zu komplex und zu theoretisch sind. Daher war und ist mein Ziel, den Studenten und Praktikern der Inneren Sicherheit ein Buch als analytische Einführung in den Phänomenbereich islamistischer Terrorismus, Islamismus und Salafismus an die Hand zu geben, das auf den drei Ebenen Analyse – Definitionen – Taktik arbeitet. Diese drei Ebenen sind wiederum so miteinander verbunden, dass das Buch – abhängig vom beruflichen Hintergrund und dem bereits mitgebrachten Vorwissen – nicht chronologisch gelesen werden muss, weil diese Ebenen einen jeweils individuellen, unterschiedlichen Einstieg in den Phänomenbereich ermöglichen.
Die Begriffsbestimmungen des Kapitels II sind ebenso wie die sich anschließenden Hauptkapitel so aufgebaut, dass sie die jeweils aktuellen theoretischen Ergebnisse mit den aktuell vorliegenden Analysen der Sicherheitsbehörden – der Praktiker – verbinden.
Sie – liebe Leserinnen und Leser – entscheiden, ob Sie eher theoretisch-begrifflich (Was ist islamistischer Terrorismus? Was ist Islamismus? Was unterscheidet einen Islamisten von einem Salafisten?) in dieses Buch einsteigen wollen, oder ob Sie die Analyse exemplarisch ausgewählter Fallbeispiele – mit Ausnahme der Anschläge in Madrid und London stammen alle ausgewählten Beispiele aus den letzten zwei Jahren, sind also hoch aktuell und womöglich noch mit Bildern und Emotionen in Ihnen verknüpft – als Zugang zu diesem Buch wählen. Die „theoretischen“ Begriffsbestimmungen sind aber nicht „Theorie der Theorie willen“, sondern bieten das „Grundvokabular islamistischer Terrorismus“ für Sie als Studenten oder Praktiker.
Daher enthalten die Haupt- und Unterkapitel abschließende Kurzzusammenfassungen zur stark komprimierten Rekapitulation des Analyseinhalts und dienen dadurch der Verknüpfung der Hauptkapitel.
Da dieses Buch Analysefragen nutzt, die Ihnen helfen, die Komplexität des Phänomenbereiches islamistischer Terrorismus (Religion, Ideologie, Psychologie von Milieus, die Rolle und der Einfluss von Gruppen auf den Radikalisierungsprozess von Individuen, die Rolle und der Einfluss von charismatischen Predigerpersönlichkeiten auf den Radikalisierungsprozess von Individuen, Jihadismus als Theologie und Ideologie etc.) zu reduzieren, folgt dieses Buch z.B. folgenden Fragen:
•
Warum und wie entfernen sich Menschen von demokratischen Prinzipien und wenden Gewalt an, um politisch-extremistische Ziele zu erreichen?
•
Wer wird warum Islamist, Salafist und/oder islamistischer Terrorist?
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Wie verläuft der Weg/ein Weg zum islamistischen Terrorismus?
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Wie gehen Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen vor? Sprich: Welche Taktiken wenden sie an?
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Welche wiederkehrenden Muster (sowohl im Bereich der Radikalisierung als auch im Bereich Taktik) können identifiziert werden, aus denen dann staatliche und zivilgesellschaftliche Gegenmaßnahmen entwickelt werden können?
•
Mit welchen präventiven und repressiven Mitteln können islamistische-salafistische Radikalisierungsprozesse möglichst frühzeitig gestoppt werden?
Weil diese – und viele weitere sich daraus entwickelnde – Analysefragen verschiedene Analysebereiche betreffen, ruht das Hauptkapitel III auf den drei Säulen der wesentlichen Radikalisierungsfaktoren:
•
Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus als extremistische Ideologie
•
Der soziale Nahbereich, das Milieu (Familie, Freunde, Peer Group, islamistische Prediger) der realen Welt
•
Islamistische, salafistische und jihadistische Angebote des Internets
Diese drei von der internationalen wissenschaftlichen Forschung und den deutschen Sicherheitsbehörden als entscheidend identifizierten Radikalisierungsfaktoren werden sowohl wissenschaftlich-theoretisch anhand von Modellen, mit empirischen Analysen von europäischen und deutschen Sicherheitsbehörden, als auch anhand von Fallanalysen untersucht.
Das Hauptkapitel IV, „Strategie und Taktik des islamistischen Terrorismus: Analyse und Beispiele“ als das empirische Kapitel dieses Buches, untersucht „Fallbeispiele islamistisch-terroristischer Anschläge in Europa: Multiple Szenarien und Großanschläge“ sowie „Fallbeispiele islamistisch-terroristischer Anschläge in Europa: Anschläge und Attentate von islamistischen Einzeltätern“. Um diese Fallanalysen mit den vorangestellten theoretisch-wissenschaftlichen Teilen zu verknüpfen, sind die Fallanalysen in drei Analyseebenen strukturiert:
a)
Taktischer Plan und Ablauf des Anschlags
b)
Ermittlung und Fahndung: Die islamistischen Terroristen/der islamistische Terrorist
c)
Folgen und Analyse
In Kapitel V, dem vorletzten Hauptkapitel, werden „staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen gegen den islamistischen Terrorismus“ am Fallbeispiel Deutschland untersucht. Eine ausführlichere Erklärung der Gliederung dieses Buches finden Sie im Unterkapitel I.4.
Die Eindrücke der verheerenden islamistischen Terroranschläge in Paris, Brüssel und Berlin sind Ihnen – liebe Leserinnen und Leser – womöglich noch vor Augen, womöglich noch in Ihren Emotionen. Der islamistische Terrorismus zielt in seiner terroristischen Logik darauf ab, Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten, um politische und gesellschaftliche Entscheidungen zu beeinflussen. Daher ist es aus der Perspektive einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft von entscheidender Bedeutung, diese historische sicherheitspolitische Herausforderung, die der islamistische Terrorismus für unsere demokratische, freiheitliche Staatsform darstellt, sachkundig und auf verschiedenen Ebenen zu analysieren, um dann die richtigen Schlussfolgerungen zu treffen.
Danken möchte ich meinen Kollegen der Bundespolizei und anderer Polizeibehörden für ihre Anregungen und Fragen zum Bereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus. Mein besonderer Dank gilt dem Kommandeur der GSG 9, Herrn Jerome Fuchs, für sein Geleitwort und die Möglichkeit, mit dieser besonderen Einheit zu arbeiten.
Lübeck, im April 2017 Dr. Stefan Goertz
„Die Bedrohungslage durch den Islamismus ist unverändert hoch. Wir müssen jeden Tag auch in Deutschland mit einem islamistischen Anschlag rechnen. Die Sicherheitsbehörden in Deutschland sind daher wachsam und werfen einen sehr scharfen Blick auf die uns bekannten Gefährder.“ Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, 2024.[1]
Die zahlreichen geplanten und durchgeführten islamistisch-terroristischen Anschläge innerhalb der letzten zehn Jahre in Europa und Deutschland haben den Grad der Bedrohung verdeutlicht, die aktuell und zukünftig von Islamisten, Salafisten und islamistischen Terroristen für demokratische, westliche Staaten wie Deutschland ausgeht.
Dennoch besteht auch 23 Jahre nach den historischen Anschlägen des 11.9.2001 in den USA immer noch ein klares Analysevakuum im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus, sowohl innerhalb der Wissenschaft als auch innerhalb der Sicherheitsbehörden. Spätestens die zahlreichen seit 2015 versuchten und verübten islamistisch-terroristischen Anschläge und Attentate in Deutschland und anderen Staaten der Europäischen Union sollten bzw. müssen eine Zeitenwende der Betrachtung und Analyse des Phänomenbereiches islamistischer Terrorismus auslösen.
Was haben Anis Amri, Jabr Al Bakr, Mohamed Lahouaiej, der Attentäter von Nizza, der Ansbacher Attentäter Mohammed Daleel, die Gebrüder Tsarnaev, Attentäter auf den Bostoner Marathon, die Attentäter von Paris, Brüssel sowie der Attentäter von Hamburg, die Attentäter von Barcelona und der afghanische Attentäter von Mannheim, der den Polizeibeamten Rouven L. mit einem Messer tötete, gemeinsam? Was wiederum unterscheidet sie voneinander?
Eine effektive Analyse des Phänomenbereiches Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus muss erkennen, dass dieser Phänomenbereich hoch komplex ist und notwendigerweise analysiert werden muss, auf welchen Analyseebenen wissenschaftliche Forschung, Sicherheitsbehörden und andere relevante Akteure diesen Phänomenbereich untersuchen müssen.
Folgende Analysebereiche stehen im Mittelpunkt der Untersuchung dieses Buches:
•
Radikalisierung: Warum und wie entfernen sich Menschen von demokratischen Prinzipien wie der Freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) und wenden Gewalt an, um extremistisch-politische Ziele zu erreichen? Die folgenden Radikalisierungsfaktoren werden von der internationalen psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung als entscheidend dafür identifiziert, warum und wie Extremisten und Terroristen entstehen:
-
Ideologie
-
Der soziale Nahbereich, das Milieu
-
Islamistische Angebote des Internet
•
Akteursanalyse: Wer wird warum Islamist, Salafist und/oder islamistischer Terrorist?
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Taktik und Mittel: Wie gehen Islamisten, Salafisten und islamistische Terroristen vor? Können (wiederkehrende) Muster identifiziert werden, aus denen dann Gegenmaßnahmen entwickelt werden können?
•
Staatliche und zivilgesellschaftliche Gegenmaßnahmen: Wie können welche staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure mit welchen präventiven und repressiven Mitteln islamistisch-salafistische Radikalisierungsprozesse möglichst frühzeitig stoppen?
Nicht erst die islamistischen Anschläge seit 2015 in europäischen Staaten wie Frankreich und Deutschland mit insgesamt vielen Hundert Toten und vielen Tausend Verletzten verdeutlichen die Bedeutung von Radikalisierungsforschung im Phänomenbereich Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus (Jihadismus). Die dominierende analytische Leitfrage dieses Buches lautet daher:
Warum und wie radikalisieren sich Menschen, die in demokratischen, freiheitlichen, sozialstaatlichen Gesellschaften aufgewachsen und/oder geboren sind, zu Islamisten und islamistischen Terroristen, die grundlegende Verfassungsprinzipien wie Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität und Minderheitenschutz ablehnen und ihre islamistische Ideologie mit dem Mittel des Terrorismus zur Grundlage des Lebens aller Menschen machen wollen?
Mit der Ausrufung des „Islamischen Staates“ (IS) im Sommer 2014 auf dem Territorium der Staaten Syrien und Irak brach eine neue Ära der islamistischen Radikalisierung an. Über 35.000 Individuen aus über 100 Ländern – darunter Tausende aus westlichen Demokratien – schlossen sich als foreign fighters (internationale jihadistische Kämpfer) dem IS in Syrien und im Irak an, was die letzte Stufe eines islamistisch-jihadistischen Radikalisierungsprozesses darstellt. Das International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) veröffentlichte im Juli 2018 die Zahl 41.490 foreign fighters, darunter 32.809 Männer, 4.761 Frauen und 4.640 Kinder. Von diesen mehr als 40.000 foreign fighters kamen 18.852 aus dem Mittleren Osten und Nordafrika, 7.252 aus Osteuropa, 5.965 aus Zentralasien, 5.904 aus Westeuropa, 1.010 aus Ostasien, 1.063 aus Südostasien, 753 aus Nord- und Südamerika, Australien und Neuseeland, 447 aus Südasien und 244 aus Subsahara-Afrika. Unter den 5.904 foreign fighters aus Westeuropa waren u.a. 850 Briten und über 1.050 Deutsche.[2] Die Dunkelziffer könnte jedoch noch deutlich höher liegen. Im Jahr 2023 gingen die deutschen Verfassungsschutzbehörden von 1.150 Deutschen aus, die in Jihad-Gebiete gereist waren, um sich dort jihadistischen Organisationen wie dem „IS“ oder der Al Qaida anzuschließen.[3]
Bezüglich der von Jihad-Rückkehrerinnen und Rückkehrern ausgehenden Gefährdung ergibt sich nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden aktuell ein heterogenes Bild. Die Spanne bei der Einschätzung dieser Personen reiche von „Desillusionierten“, deren szenetypische Aktivitäten nach der Rückkehr deutlich abnehmen oder nicht mehr feststellbar sind, bis hin zu weiterhin radikalisierten, gewaltbereiten Personen mit Kampferfahrung. Ein besonderes Sicherheitsrisiko stellen wiederum Personen dar, die während des Aufenthalts in Syrien und/oder im Irak ideologisch indoktriniert, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten, erklärte das BfV im Juni 2023.[4] Neben der strafrechtlichen Verfolgung von zurückgekehrten Personen sind nach Angaben des BfV Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes in der Terrorismusbekämpfung stets zu berücksichtigen. Hierbei muss gerade der Umgang mit zurückkehrenden Kindern und Jugendlichen als eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit betrachtet werden.[5]
Parallel zu dieser bedrohlich hohen Anzahl an europäischen und deutschen Jihad-Reisenden (europäische Islamisten und Salafisten, die für den „IS“ oder andere jihadistische Organisationen in Syrien und im Irak kämpfen) stellen u.a. die deutschen Verfassungsschutzbehörden seit 2012 einen ungebrochenen Zulauf zur salafistischen und jihadistischen Szene in Deutschland und Europa fest. So hat sich die Zahl der Salafisten alleine in Deutschland seit 2012 verdoppelt und steht im Augenblick bei ca. 11.000.[6]
Neben den drei islamistisch-terroristischen Anschlägen bei Würzburg (18.7.2016), in Ansbach (24.7.2016) und in Berlin (19.12.2016) verdeutlichen sowohl der Anschlag der beiden 16-jährigen Jugendlichen Yussuf T. und Mohammed B. auf den Essener Sikh-Tempel (16.4.2016), der lebensgefährliche Angriff der 15-jährigen Schülerin Safia S. auf einen Bundespolizisten im Bahnhof Hannover (26.2.2016) als auch die islamistischen Anschläge in Hamburg (28.7.2017), in Waldkraiburg/Bayern (27.4.2020), in Dresden (4.10.2020), in einem Zug zwischen Regensburg und Nürnberg (6.11.2021) und das tödliche Messerattentat des afghanischen Flüchtlings auf den Polizeibeamten Rouven L. in Mannheim sowie zahlreiche von den Sicherheitsbehörden verhinderte islamistische Anschlaäge das Problem der islamistisch-salafistischen Radikalisierung von Attentätern in Deutschland.
Um zu verhindern, dass deutsche Salafisten bzw. Jihadisten Deutschland in Richtung syrisch-irakisches Kampfgebiet des „Islamischen Staates“ (IS) verlassen und möglicherweise mit Kampferfahrung und einem höheren Gefechtswert zurückkehren, versuchten die deutschen Sicherheitsbehörden, Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen und zu deren Unterbindung beizutragen.[7]
Spätestens die durchgeführten und geplanten islamistischen Anschläge bei Würzburg und in Ansbach im Juli 2016, durch Jabr Al Bakr auf Berliner Flughäfen im Herbst 2016, durch Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am 19.12.2016, durch den palästinensischen Messerattentäter am 28.7.2017 in Hamburg, durch den syrischen Gefährder, der am 4.10.2020 in Dresden homophob mordete, durch den syrischen Flüchtling Maan D. bei zwei Attentaten im April 2023, sowie durch den afghanischen Flüchtling Suleiman A. am 31.5.2024 verdeutlichten die Verbindung der Flüchtlingskrise und von (illegaler) Migration nach Europa bzw. Deutschland und islamistisch-salafistischer Radikalisierung sowie islamistischem Terrorismus auf dramatische Art und Weise.
Nach Angaben deutscher Verfassungsschutzbehörden stieg die Zahl der Hinweise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Flüchtlingsunterkünften, die von Anwerbungsversuchen durch salafistische Akteure berichten, im Jahr 2016 erheblichan.[8] Die Tatsache, dass im Zeitraum Januar 2015 bis Oktober 2016 bis zu 77% der Flüchtlinge ohne Pass bzw. Ausweisdokumente nach Deutschland kamen, stellt in Bezug auf die Identifizierung von Individuen, die der Personengruppe internationaler jihadistischer Organisationen oder dem Spektrum der Jihadrückkehrer aus Syrien und/oder dem Irak angehören, eine historische Herausforderung für die deutschen Sicherheitsbehörden dar.[9] Sowohl taktische als auch technische und rechtliche Schwierigkeiten lagen und liegen in der Überwachung der Kommunikation von Islamisten, Salafisten und (potenziellen) islamistischen Terroristen, sog. „Gefährdern“.
Die islamistischen Anschläge von islamistisch-terroristischen Einzeltätern (wie z.B. in Hannover, Essen, Nizza, Würzburg, Ansbach, Berlin, Hamburg, Dresden, Duisburg und Mannheim) konfrontieren die Sicherheitsbehörden europäischer Staaten mit besonderen Problemen, weil der Prozess der Radikalisierung und evtl. Tatvorbereitung dieser Einzeltäter ohne die Überwachung ihrer Kommunikation – virtuell oder in der realen Welt – kaum zu detektieren ist. Als ein weiteres Problem der Sicherheitsbehörden europäischer Staaten ist die sprachliche, kulturelle, organisatorische und strategisch-taktische Heterogenität der islamistisch-salafistischen und jihadistischen Akteure. Diese macht eine Detektion bzw. Aufklärung äußerst schwer.
Seit dem islamistisch-terroristischen Anschlag in Madrid im Frühjahr 2004 wurden allein in Europa über 100 islamistisch-terroristische Anschläge verübt, bzw. von Sicherheitsbehörden verhindert. Durch die seit 2004 in Europa verübten islamistisch-terroristischen Anschläge wurden über 800 Menschen getötet und über 3800 – darunter zahlreiche schwer, Amputationen waren die Folge – verletzt.
Alleine in Deutschland verhinderten in den Jahren 2010 bis 2023 deutsche und internationale Sicherheitsbehörden (durch die Weitergabe von entscheidenden Informationen an die deutschen Sicherheitsbehörden) 18 islamistische Anschläge.[10] Im Zeitraum von 2000 bis 2020 haben Polizei- und Verfassungsschutzbehörden in Europa über 60 islamistische Anschläge verhindert. In Deutschland wurden seit dem Jahr 2002 mindestens 25 islamistische Anschläge durch deutsche Sicherheitsbehörden verhindert.
In Duisburg nahmen am 25.10.2023 polizeiliche Spezialeinsatzkräfte (SEK) des Landes Nordrhein-Westfalen den islamistischen Gefährder Tarik S. fest, der im Verdacht stehen soll, eine Attacke auf eine Pro-Israel-Demonstration geplant zu haben. Tarik S. ist ein vorbestrafter Islamist, die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt. Die Polizei und der Verfassungsschutz befürchteten nach dem Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes, dass Tarik S. für einen geplanten Anschlag einen Lkw einsetzen könnte. Tarik S. soll im Internet nach proisraelischen Veranstaltungen und jihadistischen Inhalten gesucht haben. Unter dem Namen Osama Al-Almany (Osama der Deutsche) war der aus Herford bei Bielefeld stammende deutsche Staatsbürger für den „Islamischen Staat“ in Syrien. Es gibt zahlreiche IS-Propagandavideos von ihm. Der 29-Jährige war für den IS eine Art Werbeikone. In einem Video posierte Tarik S. neben einer enthaupteten Person. Nach seiner Rückkehr im März 2016 wurde er festgenommen und angeklagt. Tarik S. wurde 2017 zu fünf Jahren Jugendhaft verurteilt.[11]
Sinan Selen, Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sprach in Bezug auf den Krieg in Israel und Gaza von einer „langfristigen Verschärfung der Sicherheitslage“ und erklärt, dass „Einzelpersonen oder Kleingruppen den Konflikt nach Europa tragen“ könnten (Konflikttransfer). Die aktuelle Lage nach dem Hamas-Angriff sei „geeignet, Mobilisierungspotenzial in der extremistischen und terroristischen Community weltweit und einen Solidarisierungseffekt herbeizuführen mit den entsprechenden risikoerhöhenden Elementen“.[12]
Für den Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Guido Steinberg, bringe die aktuelle Lage in Israel und Gaza „das bisherige Sicherheitsgefüge ins Wanken“ und stelle „bisherige sicherheitspolitische Gewissheiten infrage“: „Angesichts der Lage im Nahen Osten und der anhaltenden Gefahr durch Al Qaida und den IS steht Deutschland vor einer neuen hybriden Bedrohungslage.“[13]
Anfang November 2023 befürchtete der deutsche Terrorismusforscher Peter Neumann eine neue jihadistische Terrorwelle in Deutschland und Europa, da es sich beim Nahost-Konflikt und der aktuellen Lage in Israel und in Gaza „um einen für alle Islamisten zentralen Konflikt“ handele, es um „Muslime gegen Juden“, „wir gegen die“ gehe. Ein Narrativ, das eine besondere Qualität darstelle, sei die Behauptung, dass Israel einen Völkermord an Palästinensern verübe.[14]
Deswegen würden sich diejenigen, die sich jetzt radikalisieren, ihre Ziele wahrscheinlich hier, in Deutschland und anderen europäischen Ländern, suchen. Dies sei „eine unmittelbare Bedrohung, vor allem für Institutionen und Einrichtungen, die als jüdisch oder israelisch wahrgenommen werden“, so Neumann. Darüber hinaus verweist Neumann auf den Trend terroristischer Einzeltäter. Die Idee des „islamistischen Einzelkämpfers“ sei in den letzten Jahren vom „Islamischen Staat“ „stark mythologisiert“ worden. Es sei viel akzeptierter und normaler geworden. Bis zum 7. Oktober 2023 sei der „Islamische Staat“ als Terrororganisation im Niedergang befindlich gewesen, aber seither habe der „IS“ „wieder ein Thema, dem sich alle anschließen können“.[15]
Mitte März 2024 wurden in Gera zwei Afghanen, mutmaßliche islamistische Terroristen, die dem IS-Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorosan“ (ISPK) angehören und einen Anschlag auf das schwedische Parlament geplant haben sollen, im Auftrag des Generalbundesanwalts festgenommen. Beide sitzen nun in Untersuchungshaft. Die Ermittlungen des BKA und des GBA hierzu sollen bereits im Jahr 2023 angelaufen sein. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollten die beiden Schusswaffen beschaffen, um im Umfeld des schwedischen Parlaments Polizisten und andere Personen zu töten.[16]
Islamistische Terroristen wollten offenbar zu Weihnachten und Silvester 2023 Anschläge auf den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom verüben. Hierzu gab es in Deutschland und Österreich mehrere Festnahmen von Menschen, die mutmaßlich Mitglieder des „Islamischen Staat Provinz Khorosan“ (ISPK) sind.[17]
In Österreich gelang es den Sicherheitsbehörden im Jahr 2023 drei geplante jihadistische Anschläge zu verhindern: Einen im Zusammenhang mit einem LGBTQ-Festival, ein geplantes Messerattentat am Wiener Hauptbahnhof sowie ein mutmaßlich geplanter Anschlag auf den Stephansdom. Alle mutmaßlichen Terroristen hatten ISPK-Hintergrund.
Am 6.7.2023 nahmen polizeiliche Spezialkräfte auf Grund von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs sieben mutmaßliche Mitglieder einer islamistischen terroristischen Vereinigung fest. Darunter den turkmenischen Staatsangehörigen Ata A., den tadschikischen Staatsangehörigen Mukhammadshujo A., den kirgisischen Staatsangehörigen Abrorjon K., den tadschikischen Staatsangehörigen Nuriddin K., den tadschikischen Staatsangehörigen Shamshud N., den tadschikischen Staatsangehörigen Said S. sowie den tadschikischen Staatsangehörigen Raboni Z.[18] Diese Gruppierung stand in Kontakt mit im Ausland befindlichen Mitgliedern des regionalen IS-Ablegers „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK). Zur Umsetzung ihres Vorhabens fassten die Beschuldigten bereits Anschlagsobjekte in Deutschland ins Auge, kundschafteten mögliche Tatorte aus und versuchten, sich Waffen zu beschaffen, so der Generalbundesanwalt am 6.7.2023.[19]
Wegen des Verdachts eines geplanten Sprengstoffanschlags und der Beihilfe ließ die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg am 25.4.2023 im Rahmen von gemeinsamen Ermittlungen des Bundeskriminalamts und des Landeskriminalamts Hamburg mehrere Objekte durchsuchen und eine Person festnehmen. Die Ermittlungen richten sich gegen zwei 28 und 24 Jahre alte Brüder aus Hamburg und Kempten. Die beiden syrischen Staatsangehörigen sollen aus einer radikal-islamistischen und jihadistischen Grundhaltung heraus einen Anschlag mit einem selbst hergestellten Sprengstoffgürtel geplant haben, um einen Angriff gegen zivile Ziele durchzuführen. Dazu soll der 28-jährige Hauptbeschuldigte aus Hamburg seit einigen Wochen über die Onlineplattform ebay und sonstige Anbieter Grundstoffe zur Herstellung sprengfähigen Materials erworben haben. Sein in Kempten lebender Bruder soll ihn in der Tatplanung bestärkt und somit Beihilfe geleistet haben. Im Zuge der laufenden strafprozessualen Maßnahmen konnte der 28-Jährige durch Spezialkräfte der Bundespolizei (GSG 9) in Hamburg festgenommen werden. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg wegen Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB) vor. Insgesamt waren circa 250 Polizeikräfte beteiligt. Die Maßnahmen wurden vom Polizeipräsidium Schwaben Süd/West sowie der Bundespolizei unterstützt.[20]
Nach Angaben von EUROPOL wurden in Europa im Jahr 2020 13 islamistische Anschläge verübt, im Jahr 2021 elf und im Jahr 2022 sechs. Dazu gab es im Jahr 2020 254 Festnahmen von mutmaßlichen islamistischen Terroristen, 2021 260 Festnahmen und 2022 266 Festnahmen. Die meisten Verhaftungen erfolgten in Frankreich (93), Spanien (46), Deutschland (30) und Belgien (22).[21]
Allein im Jahr 2021 wurden in der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus 260 Tatverdächtige festgenommen, vor allem in den Bereichen der Straftatbestände Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereiten eines Anschlags. Dazu stellte EUROPOL fest, dass unter den verhinderten Anschlägen auch komplexere Anschlagsszenarien waren.[22]
Sowohl die in den letzten Jahren und Monaten durchgeführten als auch die von Sicherheitsbehörden verhinderten islamistisch-terroristischen Anschläge und die sehr hohe Zahl der Ermittlungsverfahren im Bereich islamistischer Terrorismus in Deutschland und anderen europäischen Staaten verdeutlichen das Bedrohungsmaß, das aktuell und zukünftig von islamistischen Terroristen ausgeht.
Weitere Zahlen und Fakten, die das hohe Bedrohungsmaß durch islamistischen Terrorismus in Deutschland verdeutlichen, sind die über 1.150 deutschen Jihad-Reisenden (foreign fighters), die seit 2013 auf syrischem und irakischem Territorium für den Islamischen Staat gekämpft oder unterstützende Tätigkeiten geleistet haben. Mehr als ein Fünftel der deutschen Jihad-Reisenden ist jünger als 30 Jahre.[23] Ca. 40% dieser deutschen Jihad-Reisenden befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu diesen bisher zurückgekehrten deutschen Jihad-Reisenden liegen den deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben.[24]
Diese deutschen Jihad-Reisenden stehen nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger rechtskräftiger Verurteilungen von aus Syrien und dem Irak zurückgekehrten deutschen Jihad-Reisenden bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zu ca. 200 deutschen Jihad-Reisenden wiederum liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind.[25]
Über 42.000 internationale Jihadisten aus über 100 Ländern (darunter Tausende aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, Nord-Afrika, Türkei u.a.) haben sich seit 2013 dem Islamischen Staat angeschlossen.[26]
Nach Angaben des Bundeskriminalamtes aus dem Januar 2024 gehen die deutschen Sicherheitsbehörden aktuell von 483 islamistischen Gefährdern, also potenziellen islamistischen Terroristen, aus. Im Vorjahr waren es noch 520 islamistische Gefährder. Ungeachtet des Rückgangs bleibe die Gefahr von terroristischen Anschlägen in Deutschland durch islamistische Terroristen jedoch hoch, so ein Sprecher des BKA. Der Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas könnte die Lage demnach weiter verschärfen. Bei einem Andauern des Konflikts sei „weiterhin mit einem erhöhten Emotionalisierungs- und Mobilisierungsgeschehen in Deutschland zu rechnen, überwiegend aufseiten des propalästinensischen Spektrums“, erklärte der BKA-Sprecher im Januar 2024.[27]