Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus stellen im Augenblick und prognostisch für viele Jahre eine wesentliche Bedrohung für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Um dieser Gefahr wirksam begegnen zu können, ist die Kenntnis von rechtsextremistischen Strukturen, Erscheinungsformen und Handlungsweisen insbesondere für die Polizei und Sicherheitsbehörden unverzichtbar. Das vorliegende Buch liefert eine kompakte Darstellung des gegenwärtigen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland. Ausgehend von einer Begriffsdefinition und -analyse widmet sich der Autor im Anschluss rechtsextremistischen Parteien sowie Organisationen, Gruppen und Individuen. Weiterhin zeigt er aktuelle Entwicklungen und Phänomene im Rechtsextremismus auf und bezieht an dieser Stelle umfassend das Problemfeld von Rechtsextremisten in der Bundeswehr und in den Polizeien mit ein. Anschließend benennt er Beispiele für den Übergang von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus und behandelt rechtsterroristische Fälle wie die Anschläge in Halle und Hanau. Zudem widmet der Verfasser sich rechtsextremistischen und rechtsterroristischen Inhalten im Internet, bevor er abschließend aktuelle Abwehrmaßnahmen der Sicherheitsbehörden vorstellt. Das Buch wendet sich in Konzeption und Aufbau zum einen an die in der Ausbildung und insbesondere im Studium befindlichen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und zum anderen an Praktiker im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Aufgabenbereich der Prävention und Repression von Rechtsextremismus. Je nach Wissensstand dient es dazu, sich einen Gesamtüberblick über die Thematik zu verschaffen oder aber vorhandene Kenntnisse gezielt zu vertiefen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 270
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
E-Book
1. Auflage 2021
© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb; Hilden/Rhld., 2021
ISBN 978-3-8011-0906-6 (EPUB)
Titel Nr. 102103
Buch (Print)
1. Auflage 2021
© VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GMBH Buchvertrieb;
Hilden/Rhld., 2021
Alle Rechte vorbehalten
Satz: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden
Druck und Bindung: Print Media Group GmbH & Co KG, Hamm
Printed in Germany
ISBN 978-3-8011-0899-1
Alle Rechte vorbehalten
Unbefugte Nutzungen, wie Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Satz und E-Book: VDP GMBH Buchvertrieb, Hilden
E-Mail: [email protected]
www.VDPolizei.de
Gewidmet den Toten und Verletzten rechtsextremistischer Gewalt und rechtsterroristischer Anschläge sowie ihren Angehörigen.
Stefan Goertz
Eine analytische Einführung für Polizei und Sicherheitsbehörden
In der gegenwärtigen Pandemie erleben wir, dass nur eine offene Gesellschaft die Freiheitsliebe der Menschen ermöglicht. Unsere Verfassung ist das Fundament, auf dem wir Toleranz und Freiheit ausleben dürfen. Der Staat hat die Pflicht, diese Ordnung zu gewährleisten und zu schützen.
Wir dürfen den Verfassungsfeinden nicht den geringsten Raum lassen, um den Staat anzugreifen. Dabei kommt es in erster Linie nicht darauf an, aus welcher extremistischen Ecke heraus Gruppierungen oder Einzelne agieren.
Ich stimme mit dem Bundesinnenminister überein, dass der Rechtsextremismus als die aktuell größte Gefahr für unser Land einzuschätzen ist. Das rechtsterroristische Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie der rechtsterroristische Anschlag auf eine Synagoge in Halle mit zwei Toten sind alarmierende Fanale einer zunehmenden Selbstsicherheit von Rechtsextremisten.
Zu den Wahrnehmungen gehört aber auch die bewusste Unterwanderung der sogenannten Hygienedemos durch rechtsextremistische Scharfmacher. Hierbei wird schon der Nährboden für Demokratiefeinde bereitet.
Die Gesellschaft darf sich nicht davor verschließen, dass Unkenntnis über Zusammenhänge oder Motive ausgenutzt und missbraucht werden. Dieses Vorgehen hat ein Ziel: die Ordnung, auf der unsere Freiheit basiert, zu unser aller Nachteil zu verändern.
Jede Form von Extremismus spaltet eine Gesellschaft. Doch unsere Gesellschaft braucht mehr Konsens als Konflikte. Für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt gegen Gewalt und Hass bedarf es der gemeinschaftlichen Ächtung von Zielen, Motiven und Verhalten. Wir können mit Wissen über die Entwicklungen Haltung zeigen.
Dieses Buch untersucht aktuelle Akteure des Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland und stellt aufgrund seiner Analyse und seiner Schwerpunkte einen wichtigen Beitrag zur Extremismusforschung dar. Es richtet sich sowohl an Praktiker und Studierende der deutschen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden als auch an Studierende und Wissenschaftler der Sozialwissenschaften.
Jörg Radek
Stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei
In Deutschland wurden innerhalb von neun Monaten drei terroristische Anschläge von Rechtsterroristen verübt – der Mord an Walter Lübcke, der Anschlag in Halle sowie der Anschlag in Hanau. 13 Menschen wurden ermordet und sieben – teilweise schwer – verletzt. Wenige Wochen nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, am 22.7.2019, dem achten Jahrestag des vom Rechtsterroristen Anders Breivik in Norwegen verübten Massakers an Kindern und Jugendlichen, bei dem 77 Menschen ermordet wurden, schoss der Rechtsterrorist Roland K. im hessischen Wächtersbach sechs Mal auf den eritreischen Flüchtling Bilal M., den er aufgrund seiner Hautfarbe als Opfer ausgewählt hatte. Schwer verletzt wurde der Eritreer M. von Passanten aufgefunden und später notoperiert.
Eine aktuelle Analyse von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland zeigt, dass diese Bedrohungen ein historisches Niveau erreicht haben. Das aktuelle Personenpotenzial im Bereich Rechtsextremismus in Deutschland ist auf über 33.000 angestiegen, die deutschen Polizei- und Verfassungsschutzbehörden stufen davon aktuell ca. 13.000 als gewaltorientiert ein. Neben den oben erwähnten rechtsterroristischen Anschlägen müssen auch die zahlreichen rechtsextremistisch-rechtsterroristischen Organisationen bzw. Gruppen, wie „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT), „Oldschool Society“ (OSS), „Nordadler“, „Kameradschaft Aryans“, „Gruppe Freital“, „Revolution Chemnitz“, „Combat 18“, Gruppe „Nordkreuz“ sowie „Gruppe S“ erwähnt werden.
Dieses Buch untersucht aktuelle rechtsextremistische Akteure und Phänomene, u.a. rechtsextremistische Parteien, Neonazis, den rechtsextremistischen Teil der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, die „Identitäre Bewegung“ sowie rechtsextremistische Anti-Asyl-Agitation, Antisemitismus, rechtsextremistische Kampfsportformate, u.a. „Kampf der Nibelungen“, rechtsextremistische Musik, Islamfeindlichkeit sowie rechtsextremistische Erpressungs- und Drohmails und „Feindeslisten“. Ein besonderer Schwerpunkt wird auch auf rechtsextremistische und rechtsterroristische Internetinhalte gelegt. Ausführlich thematisiert werden auch aktuelle Gegenmaßnahmen der Sicherheitsbehörden sowie Präventions- und Deradikalisierungsprogramme.
Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus werden auch in den kommenden Jahren eine zentrale Bedrohung der Inneren Sicherheit und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Deutschlands darstellen.
Zur Zielgruppe dieses Buches gehören Studierende und Dozenten der Fächer Politikwissenschaft, Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaft, Psychologie, Soziologie, Sozialpädagogik, Soziale Arbeit sowie die Polizei und andere Sicherheitsbehörden, ihre Hochschulen und Akademien sowie die Justiz, Politische Bildung, Schulen, Justizvollzugsanstalten und Akteure im Bereich von Prävention.
Die Kapitel sind so aufgebaut, dass das Buch – abhängig vom beruflichen Hintergrund und dem mitgebrachten Vorwissen – nicht chronologisch gelesen werden muss.
Danken möchte ich meinen Kollegen der Bundespolizei und anderer Sicherheitsbehörden für ihre Anregungen und Fragen zum Bereich Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus.
Lübeck, im April 2021
Prof. Dr. Stefan Goertz
Geleitwort
Vorwort
1Einleitung, Aufbau und Zielgruppe des Buches
1.1Einleitung
1.2Der Aufbau des Buches
1.3Die Zielgruppe des Buches
2Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus
2.1Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsextremismus
2.2Definitionen und Analysemerkmale von Rechtsterrorismus
3Rechtsextremistische Parteien in Deutschland
3.1Die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD)
3.1.1Aktuelle Situation
3.1.2Programm, Ideologie und Strategien
3.2Die Partei „Die Rechte“
3.2.1Aktuelle Situation
3.2.2Programm, Ideologie und Strategien
3.3Die Partei „Der III. Weg“
3.3.1Aktuelle Situation
3.3.2Programm, Ideologie und Strategien
3.4Einstufung der AfD-Teilorganisationen „Der Flügel“ und der „Jungen Alternative für Deutschland“ (JA) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistische Prüffälle
3.5Funktionen der aktuellen rechtsextremistischen Parteien für den Rechtsextremismus in Deutschland
4Akteure im deutschen Rechtsextremismus – rechtsextremistische Organisationen, Gruppen und Individuen
4.1Neonationalsozialisten (Neonazis)
4.2Weitgehend unstrukturierte, meist subkulturell geprägte Rechtsextremisten
4.3Die „Artgemeinschaft“
4.4Der rechtsextremistische Teil der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“
4.4.1Definition und Analysemerkmale
4.4.2Ideologieelemente
4.4.3Strategien
4.4.4Gewaltbereitschaft
4.4.5Verbot der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“
4.5Die Neue Rechte
4.6Die „Identitäre Bewegung“
4.6.1Hintergründe und Entwicklung
4.6.2Symbolik
4.6.3Ideologie
4.6.4Strategie und Aktionen
4.7PEGIDA/Die GIDA-Bewegung
5Aktuelle Trends im deutschen Rechtsextremismus – rechtsextremistische Phänomene
5.1Rechtsextremistische Kampfsportformate
5.2Rechtsextremistische Musik
5.3Anti-Asyl-Agitation, Islamfeindlichkeit und „Bürgerwehren“
5.4Antisemitismus im Rechtsextremismus
5.4.1Definition und Analysemerkmale
5.4.2Antisemitismus bei rechtsextremistischen Musikgruppen
5.4.3Antisemitismus von Rechtsextremisten im Internet
5.5Rechtsextremistische Erpressungsmails, Drohmails und „Feindeslisten“ sowie der „NSU 2.0“
5.6Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden und in der Bundeswehr
5.6.1Rechtsextremisten in der Bundeswehr
5.6.2Rechtsextremisten in den deutschen Polizeien
5.7Rechtsextremisten und Corona-Hygienedemonstrationen
6Übergang von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus – aktuelle Fälle
6.1„Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT)
6.2„Oldschool Society“ (OSS)
6.3„Nordadler“
6.4„Kameradschaft Aryans“
6.5„Gruppe Freital“
6.6„Revolution Chemnitz“
6.7„Combat 18“
6.8Gruppe „Nordkreuz“
6.9„Gruppe S“
7Rechtsterroristische Akteure und Anschläge in Deutschland – aktuelle Fälle
7.1Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU)
7.2Frank S., Anschlag auf die Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker
7.3David Sonboly und der rechtsterroristische Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in München
7.4Stephan Ernst und das rechtsterroristische Attentat auf Walter Lübcke
7.5Roland K. und sein Mordversuch am eritreischen Flüchtling Bilal M.
7.6Stephan Balliet und der rechtsterroristische Anschlag in Halle
7.7Tobias Rathjen und der rechtsterroristische Anschlag in Hanau
7.8Rechtsterroristische Einzeltäter – Ein Problem für die Sicherheitsbehörden
7.9Potenzielle Anschlagsszenarien von rechtsterroristischen Gruppen und/oder Einzeltätern
7.9.1Anschlagsziele
7.9.2Modi Operandi
7.9.3Wirkmittel
8Rechtsextremistische und rechtsterroristische Inhalte im Internet
8.1Rechtsextremistische Inhalte im Internet und rechtsterroristische Anschläge
9Aktuelle Gegenmaßnahmen der Sicherheitsbehörden sowie Präventions- und Deradikalisierungsprogramme
9.1Personalaufwuchs in den Sicherheitsbehörden und neue Methoden
9.2Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ)
9.3Verbote von rechtsextremistischen Vereinen
9.4Verbote von rechtsextremistischen Parteien
9.5Aktuelle Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus
9.6Präventions- und Deradikalisierungsprogramme im Phänomenbereich Rechtsextremismus
10 Fazit
Literaturverzeichnis
Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus stellen im Augenblick und prognostisch für viele Jahre eine wesentliche Bedrohung für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Aktuelle Belege dafür sind die beiden rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau, das rechtsterroristische Attentat auf Walter Lübcke sowie die rassistisch motivierten Morde der rechtsterroristischen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), die rechtsterroristischen Anschläge von Frank S. auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, von David Sonboly am Olympia-Einkaufszentrum in München und der rechtsterroristische Mordversuch von Roland K. am eritreischen Flüchtling Bilal M.
Neben diesen rechtsterroristisch motivierten Anschlägen, Attentaten und Morden müssen auch die zahlreichen rechtsextremistisch-rechtsterroristischen Organisationen bzw. Gruppen, wie „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT), „Oldschool Society“ (OSS), „Nordadler“, „Kameradschaft Aryans“, „Gruppe Freital“, „Revolution Chemnitz“, „Combat 18“, Gruppe „Nordkreuz“ sowie „Gruppe S“, der jüngeren Vergangenheit erwähnt werden.
Die in diesem Buch besprochenen rechtsextremistischen Akteure werden von den deutschen Verfassungsschutzbehörden als solche eingestuft bzw. als „Prüffälle Rechtsextremismus“ bzw. als „Verdachtsfälle Rechtsextremismus“ bzw. als „Beobachtungsobjekte Rechtsextremismus“ bewertet.
Ein weiterer aktueller Indikator für die große Bedrohung, die im Augenblick und in den nächsten Jahren von Rechtsextremismus in Deutschland ausgeht, ist das im Jahr 2019 deutlich gestiegene Personenpotenzial Rechtsextremismus, das von 25.350 im Jahr 2018 auf 33.430 im Jahr 2019 angewachsen ist.1 Von diesen mittlerweile 33.430 Rechtsextremisten in Deutschland wurden im Jahr 2019 13.000 von den Sicherheitsbehörden als gewaltorientiert eingestuft.2
Rechtsextremistische Anti-Asyl-Agitation, Antisemitismus, rechtsextremistische Kampfsportformate, u.a. „Kampf der Nibelungen“, rechtsextremistische Musik, Islamfeindlichkeit und „Bürgerwehren“, rechtsextremistische Erpressungs- und Drohmails und „Feindeslisten“ sowie der „NSU 2.0“, Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden sowie rechtsextremistische Bewegungen innerhalb von Corona-Hygienedemonstrationen sind aktuelle rechtsextremistische Phänomene in Deutschland.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, führte in einer Pressekonferenz des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 12.3.2020 zum Stand der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Deutschland aus: „Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind aktuell die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland!“3
Kapitel 2 definiert und analysiert Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus und nutzt dabei sowohl politikwissenschaftliche Analysemerkmale als auch Definitionen der deutschen Verfassungsschutzbehörden. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, richten sich gegen die fundamentale Gleichheit der Menschen und haben ein autoritäres Staatsverständnis. Sie lehnen die Staatsform der modernen Demokratie ab und überbewerten ethnische Zugehörigkeit, woraus Fremdenfeindlichkeit und ein Freund-Feind-Muster resultieren.
Rechtsterrorismus ist der nachhaltig-strategische Kampf für rechtsextremistische Ziele. Diese Ziele sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden. Rechtsterroristen zielen auf öffentliches Aufsehen sowie auf mediale Thematisierung ab. Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus können fließend sein. Ziele und Opfer von Rechtsterroristen können u.a. Ausländer, Asylbewerber, Menschen mit Migrationshintergrund, Politiker, Polizisten, Beamte und Repräsentanten des Staates sein, aber auch Mitglieder von Parteien, die von Rechtsterroristen als Gegner bzw. Feinde empfunden werden.
Kapitel 3 untersucht rechtsextremistische Parteien in Deutschland, im Schwerpunkt die „Nationaldemokratische Partei Deutschland“ (NPD), hierbei u.a. das Programm, die Ideologie und Strategien der NPD. Als politisches Ziel beschreibt die NPD einen fundamentalen „Systemwechsel“ in Deutschland. Mit der „Vier-Säulen-Strategie“ – dem „Kampf um die Köpfe“, dem „Kampf um die Straße“, dem „Kampf um die Parlamente“ und dem „Kampf um den organisierten Willen“ – will die NPD seit Jahren die deutsche Demokratie bekämpfen. Daneben werden die rechtsextremistischen Kleinparteien „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ beleuchtet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat außerdem die AfD-Teilorganisation „Der Flügel“ und die „Junge Alternative für Deutschland“ (JA) als rechtsextremistische Prüffälle eingestuft, die Erklärung des Bundesamtes für Verfassungsschutz für die Einstufung als Prüffall wird entsprechend dargelegt. Abschließend werden Funktionen der aktuellen rechtsextremistischen Parteien für den Rechtsextremismus in Deutschland erläutert.
In Kapitel 4 werden die Akteure des deutschen Rechtsextremismus vorgestellt, rechtsextremistische Organisationen, Gruppen und Individuen. Dazu gehören Neonationalsozialisten (Neonazis), weitgehend unstrukturierte, meist subkulturell geprägte Rechtsextremisten, die „Artgemeinschaft“, der rechtsextremistische Teil der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Dabei werden u.a. Ideologieelemente, Strategien und die Gewaltbereitschaft der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sowie das Verbot der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“-Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ analysiert. Danach wird der Phänomenbereich Neue Rechte skizziert, darunter im Schwerpunkt „Die Identitäre Bewegung“, ihre Hintergründe und Entwicklung, ihre Symbolik und Ideologie sowie ihre Strategie und Aktionen. Abschließend werden die PEGIDA/GIDA-Bewegung erläutert, die zu Beginn teilweise von Bürgern der demokratischen Mitte geprägt war, im Lauf der Jahre aber immer stärker von Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremisten gesteuert wurde und wird.
Kapitel 5 beleuchtet aktuelle Trends im deutschen Rechtsextremismus, aktuelle rechtsextremistische Phänomene, darunter rechtsextremistische Kampfsportformate, u.a. die Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“, rechtsextremistische Musik, Anti-Asyl-Agitation, Islamfeindlichkeit und „Bürgerwehren“. Ausführlich wird der Antisemitismus im Rechtsextremismus dargelegt, dabei eine Definition genannt und Analysemerkmale dargestellt. Dem folgt die Untersuchung von Antisemitismus bei rechtsextremistischen Musikgruppen und in rechtsextremistischen Internetinhalten. Rechtsextremistische Erpressungs- und Drohmails und „Feindeslisten“ sowie der „NSU 2.0“ sind ein weiterer aktueller Trend. In einem Schwerpunkt wird der Themenkomplex Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden, hier: in der Bundeswehr und in den Polizeien, analysiert. Ergänzend wird der Zusammenhang zwischen Rechtsextremisten und Corona-Hygienedemonstrationen dargestellt.
Kapitel 6 stellt zahlreiche Beispiele des Übergangs von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus vor, hierbei die aktuellen Akteure „Weisse Wölfe Terrorcrew“ (WWT), die „Oldschool Society“ (OSS), die Gruppe „Nordadler“, die „Kameradschaft Aryans“, die „Gruppe Freital“, „Revolution Chemnitz“, „Combat 18“, die Gruppe „Nordkreuz“ und die „Gruppe S“, die jeweils rechtsextremistische Gewalt geplant und/oder verübt bzw. rechtsterroristische Anschläge geplant und/oder verübt haben.
In Kapitel 7 werden aktuelle Fälle dargestellt. Ausgewählt wurden dafür der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU), der Anschlag des Rechtsterroristen Frank S. auf die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, der Anschlag des Rechtsterroristen David Sonboly am Olympia-Einkaufszentrum in München, das rechtsterroristische Attentat von Stephan Ernst auf den Politiker Walter Lübcke und der rassistische Mordversuch von Roland K. am eritreischen Flüchtling Bilal M. Die beiden sehr aktuellen rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau werden ausführlich untersucht. Außerdem werden potenzielle Anschlagsszenarien von rechtsterroristischen Gruppen und/oder Einzeltätern skizziert.
Kapitel 8 untersucht rechtsextremistische und rechtsterroristische Inhalte im Internet. Diese werden durch Einzelpersonen, Gruppen, Netzwerke, Parteien, Vereine und Stiftungen verbreitet. Rechtsextremisten nutzen Internetdienste zur Selbstdarstellung, Werbung, Vernetzung, politischen Einflussnahme und teilweise auch zur Verabredung zu Straftaten. Nach Angaben der deutschen Verfassungsschutzbehörden nutzen Angehörige und Sympathisanten der rechtsextremistischen Szene in Deutschland intensiv das Internet, um z.B. Kampagnen zu bewerben, für Veranstaltungen zu mobilisieren oder Aktionen zu planen.
In Kapitel 9 werden aktuelle Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus analysiert. Dazu gehören der Personalaufwuchs in den Sicherheitsbehörden und neue Methoden, das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ), Verbote von rechtsextremistischen Vereinen und Parteien, aktuelle Maßnahmen der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus sowie abschließend Präventions- und Deradikalisierungsprogramme im Phänomenbereich Rechtsextremismus.
Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sind Phänomenbereiche, die äußerst komplex und heterogen sind. Auf der Ebene von Studium und Wissenschaft sind sie von besonderer Bedeutung für folgende Fächer und Fakultäten:
•Politikwissenschaft
•Sozialwissenschaften
•Rechtswissenschaft
•Psychologie
•Soziologie
•Sozialpädagogik
•Soziale Arbeit
•Geschichtswissenschaft
•u.a.
Auf der Ebene von Behörden und öffentlichen Einrichtungen in Europa und Deutschland sind Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus von besonderer Bedeutung für folgende Bereiche:
•Polizei (Bundespolizei, Landespolizeien, Bundeskriminalamt, Landeskriminalämter, Staatsschutzabteilungen, Spezialeinsatzkommandos, Mobile Einsatzkommandos)
•Hochschulen und Akademien der Polizeien
•Verfassungsschutzbehörden (Verfassungsschutz auf der Ebene Bund und Länder sowie das Bundesamt Militärischer Abschirmdienst – BMAD)
•Hochschulen und Akademien der Verfassungsschutzbehörden
•Justiz
•Politische Bildung, Bundeszentrale und Landeszentralen
•Bildung und Kultus (auf den Ebenen Bund und Länder, vor allem die Kultusministerien der Bundesländer)
•Schulen
•Justizvollzugsanstalten
•Regierungspräsidien
•Bezirksregierungen
•Akteure im Bereich von Prävention
•u.a.
Dieses Buch versteht sich dabei als analytische Einführung in die Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Es ist so konzipiert, dass das Buch – abhängig vom beruflichen Hintergrund und dem bereits mitgebrachten Vorwissen – nicht chronologisch gelesen werden muss, weil die Ebenen der Analyse einen jeweils individuellen, unterschiedlichen Einstieg in die Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus ermöglichen. Dabei verdeutlichen die komplexen und heterogenen Fallbeispiele von rechtsextremistischen und rechtsterroristischen Phänomenen, dass wissenschaftliche Abgrenzungen, Definitionen und Analysekriterien essentiell wichtig sind, um effektiv in diesem Phänomenbereich arbeiten zu können.
Konzipiert ist dieses Buch für Bachelor- und Masterstudenten der oben erwähnten Fächer und Fakultäten. Das Literaturverzeichnis könnte zu eigener wissenschaftlicher Arbeit anregen.
Praktiker aus den Bereichen Polizei, Verfassungsschutz, Justiz und aus anderen Behörden der Bereiche Innere Sicherheit, Psychologie, Pädagogik und Bildung werden durch ihren jeweils individuellen Hintergrund unterschiedlich an dieses Buch herangehen.
Als Ergebnis einer Adressatenanalyse werden einführende „theoretische“ und analytische Feststellungen mit zahlreichen Fallbeispielen aus den Phänomenbereichen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus verbunden, um aktuellen und zukünftigen „Praktikern“ im staatlichen und zivilgesellschaftlichen Aufgabenbereich der Prävention und Repression von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus zu einem schnellen und qualitativ hochwertigen Einstieg zu verhelfen.
1Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020a, S. 53.
2Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2020a, S. 53.
3Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020n.
Sozialwissenschaftliche Definitionen und Definitionsansätze von Rechtsextremismus gibt es zahlreiche. Viele deutsche Rechtsextremismusforscher beschäftigen sich seit Jahrzehnten intensiv und ausführlich damit.4
Nach Auffassung von Dienstbühl umfasst der Rechtsextremismus „sämtliche neofaschistische, neonazistische und ultra-nationalistische Ideologien. Zentrales Merkmal ist die Überbetonung der ethnischen Zugehörigkeit, durch welche sich die Anhänger als Menschen einer ‚höheren Rasse‘ definieren. Andere Nationalitäten und Volksgemeinschaften werden degradiert und als Menschen von minderem Wert angesehen“.5
Jaschke versteht unter Rechtsextremisten diejenigen, „die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechtsdeklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und die Demokratisierung rückgängig machen wollen“6.
Kreis wiederum definiert Rechtsextremismus als ein „Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen“7.
Salzborn schreibt dem Rechtsextremismus folgende Einstellungen zu: „Völkisches Denken, Biologismus, Rassismus, Autoritarismus, Homogenitätsdenken, Elitismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus, Geschichtsrevisionismus, Militarismus und Antirationalismus“. Als mögliche rechtsextremistische Verhaltensformen bzw. Radikalisierungsstufen beschreibt er „Protest/Provokation, Wahlverhalten, Mitgliedschaft, Gewalt bzw. Terrorismus“.8
Für die Zielgruppe dieses Buches, Auszubildende (mittlerer Dienst) und Studierende (gehobener und höherer Dienst) deutscher Polizeibehörden und Nachrichtendienste, soll Rechtsextremismus hier weniger sozialwissenschaftlich-theoretisch, dafür aber operativ-praktisch definiert und analysiert werden.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörde des Bundes, definiert Rechtsextremismus wie folgt:
„Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder ‚Rasse‘ bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer ‚volksgemeinschaftlicher‘ Konstrukte zurück (Antipluralismus)“.9
Diese Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz geht davon aus, dass sich Rechtsextremisten gegen die verfassungsmäßige Ordnung, das Grundgesetz und die freiheitliche demokratische Grundordnung (FdGO) wenden. Zur FdGO gehören nach Angaben des Bundesverfassungsgerichts folgende Grundsätze:
•das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
•die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
•das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
•die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
•die Unabhängigkeit der Gerichte,
•der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft
•sowie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.10
Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, richten sich gegen die fundamentale Gleichheit der Menschen und haben ein autoritäres Staatsverständnis. Rechtsextremisten lehnen die Staatsform der modernen Demokratie ab und überbewerten ethnische Zugehörigkeit, woraus Fremdenfeindlichkeit und ein Freund-Feind-Muster resultieren.
•Fremdenfeindlichkeit. Sie drückt eine feindselige Haltung gegenüber Menschen aus, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der eigenen Umwelt unterscheiden. Die rechtsextremistische Ideologie ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit.
•Nationalismus und Rassismus sind für Neonationalsozialisten (Neonazis) politische und gesellschaftliche Ideologieelemente.
•Rechtsextremistischer Antisemitismus drückt sich in der Idee einer „weltumspannenden geheimen Verschwörung des Judentums“ aus oder indem Juden kollektiv für die Handlungen des Staates Israel verantwortlich gemacht werden.
•Rechtsextremisten hängen einem autoritär geprägten Staatsverständnis an, das häufig mit der Ablehnung der in Demokratien üblichen Gewaltenteilung einhergeht. In der Konsequenz fordern Neonazis angelehnt an den historischen Nationalsozialismus einen „Führerstaat“, in dem alle staatliche Macht auf die Entscheidungen einer Einzelperson zurückgeführt wird.
•Rechtsextremisten organisieren sich im rechtsextremistischen Parteienspektrum, als Neonazis, in „Kameradschaften“, subkulturell geprägt, dazu gehören u.a. die Skinhead-Subkultur und die „Identitäre Bewegung“.11
Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert Rechtsterrorismus wie folgt:
„Der Terrorismus-Begriff der Verfassungsschutzbehörden unterscheidet sich von der strafrechtlichen Definition: Während der Terrorismus-Begriff im strafrechtlichen Sinne – zumindest in Bezug auf ‚terroristische Vereinigungen‘ gemäß § 129a Strafgesetzbuch (StGB) – eine relativ enge Konkretisierung erfährt, ist dieser im Verfassungsschutzverbund weiter gefasst. Verfassungsschutzbehörden verstehen unter Rechtsterrorismus den nachhaltig geführten Kampf von Rechtsextremisten für politische Ziele. Diese sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in § 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen.
Damit enthält die Definition zwar einen unmittelbaren Bezug zum Tatbestand des § 129a StGB, sie ist jedoch nicht ausschließlich auf diesen beschränkt. Entscheidend ist aus Verfassungsschutzperspektive das gleichzeitige Vorliegen von drei wesentlichen Faktoren, die auf einen Akteur zutreffen müssen:
–eine politische Motivation in Verbindung mit konkreten politischen Zielen,
–ein nachhaltiges, also nicht nur spontanes, impulsives oder einmaliges Agieren,
–Verüben von besonders schweren Straftaten, insbesondere massiven Gewaltstraftaten.
Diese Verfassungsschutzdefinition verlangt hierbei nicht notwendigerweise die Existenz einer Gruppierung, wie sie das Strafrecht dagegen zwingend vorsieht. Es werden somit auch Einzelpersonen erfasst, die die oben genannten Faktoren erfüllen und dabei nicht auf konkrete Weisung Dritter handeln (rechtsterroristische Einzeltäter).
Die Übergänge von gewaltorientiertem Rechtsextremismus in den Rechtsterrorismus können fließend sein. Die Beobachtung des gewaltorientierten Rechtsextremismus ist daher für die Verfassungsschutzbehörden von besonderer Bedeutung. Zeigen sich Ansätze für eine rechtsterroristische Ausprägung, etwa konkrete Anzeichen für die Planung einer schweren Gewalttat oder eines terroristischen Anschlags, erfolgt eine engmaschige, intensive Bearbeitung als Gefährdungssachverhalt. In der Vergangenheit konnten hierdurch Anschlagsplanungen vereitelt und operative Erfolge im Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden erzielt werden.“12
•Rechtsterrorismus wird von einer spezifischen Kommunikationsstrategie begleitet, die über das spezifisch-taktische Ziel (Opfer) hinaus eine terroristische Botschaft an Gruppen, Religionen, Ethnien sendet („Ihr könnt die nächsten Ziele/Opfer sein“). Ein Beispiel hierfür ist die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Diese adressierten potenziellen Opfer zukünftiger Anschläge sollen eingeschüchtert werden. Die Botschaft von Rechtsterroristen richtet sich an die Opfergruppe, den Staat und das rechtsterroristische Sympathisantenumfeld.13
•Rechtsterrorismus ist der nachhaltig-strategische Kampf für rechtsextremistische Ziele. Diese Ziele sollen mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer durchgesetzt werden.
•Rechtsterroristen zielen auf öffentliches Aufsehen, auf mediale Thematisierung, ab.
•Rechtsterroristische Anschläge können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden.
•Die ideologischen Hintergründe von Rechtsterrorismus können Freund-Feind-Stereotype, Verschwörungstheorien, deterministische Geschichtsbilder und identitäre Gesellschaftsbilder sein.14
•Die Übergänge von Rechtsextremismus zu Rechtsterrorismus können fließend sein.
•Ziele/Opfer von Rechtsterroristen können u.a. Ausländer, Asylbewerber, Menschen mit Migrationshintergrund, Muslime, Juden, Politiker, Polizisten, Beamte und Repräsentanten des Staates sein, aber auch Mitglieder von Parteien, die von Rechtsterroristen als Gegner/Feinde empfunden werden.
KurzzusammenfassungRechtsextremismus und Rechtsterrorismus
Rechtsextremismus
•Es handelt sich um eine Form von Extremismus im Sinne politisch motivierter Kriminalität.
•Hintergrund können neofaschistische, neonazistische und ultra-nationalistische Ideologien sein, verbunden mit völkischem Denken, Biologismus, Rassismus, Autoritarismus, Homogenitätsdenken, Elitismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus, Geschichtsrevisionismus, Militarismus und Antirationalismus sowie Nationalismus.
•Er ist geprägt von antisemitischen, fremdenfeindlichen und sozialdarwinistischen Einstellungen.
•Er zielt auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FdGO) ab und hat ein autoritäres Staatsverständnis nach dem Führerprinzip sowie Sympathien für Diktaturen.
•Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen werden zugunsten kollektivistischer, „volksgemeinschaftlicher“ Konstrukte verdrängt (Antipluralismus).
•Rechtsextremisten organisieren sich in Parteien, als Neonazis, in „Kameradschaften“, sind subkulturell geprägt und in der Neuen Rechten.
Rechtsterrorismus
•Die Übergänge von (gewaltorientiertem) Rechtsextremismus in den Rechtsterrorismus können fließend sein.
•Es handelt sich um den nachhaltig geführten Kampf für rechtsextremistische politische Ziele mit Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum Andersdenkender, um politische, ethnische oder religiöse ‚Gegner‘ einzuschüchtern, begleitet von einer spezifischen Kommunikationsstrategie („Ihr könntet/Sie könnten die nächsten Ziele/Opfer sein“).
•Im Fokus stehen öffentliches Aufsehen und mediale Thematisierung.
•Rechtsterroristische Anschläge, Attentate und Gewalt können von Organisationen, Gruppen, Zellen und Einzeltätern verübt werden/ausgehen.
4Vgl. u.a. Dienstbühl, 2019, S. 91–94; Goertz, 2020a, S. 31–37; Goertz, 2020b, S. 12–15; Pfahl-Traughber, 2019a, S. 4, 23; Pfahl-Traughber, 2018, S. 303–308; Salzborn, 2016, S. 13–19; Virchow, 2016, S. 5–43.
5Dienstbühl, 2019, S. 91.
6Jaschke, 1994, S. 31.
7Kreis, 2007, S. 13.
8Salzborn, 2015, S. 21.
9Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020a.
10Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020b.
11Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, 2020c.
12Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, 2018, S. 53–54.
13Vgl. Gräfe, 2019, S. 235.
14Vgl. Pfahl-Traughber, 2010, S. 9–32.
Die deutschen Verfassungsschutzbehörden analysieren aktuell, dass die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) trotz rückläufiger Mitgliederzahlen und schwacher Wahlergebnisse ein wichtiger Faktor im deutschen Rechtsextremismus ist.15 Im Jahr 2019 sank die Mitgliederzahl der NPD von 4.000 auf ca. 3.600. Im „Superwahljahr 2019“, als die Wahl zum Europäischen Parlament und drei Landtagswahlen stattfanden, verlor die NPD das einzige EU-Parlamentsmandat, über das der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt verfügte. Neben dem Ausbleiben einer parlamentarischen Beteiligung der NPD hatten diese Wahlniederlagen zur Folge, dass die NPD finanzielle Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung verlor (die Ein-Prozent-Hürde berechtigt für die Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung in Bezug auf Landtagswahlen). Trotz dieser folgenreichen Wahlniederlagen führen die deutschen Verfassungsschutzbehörden aus, dass die NPD auch im Jahr 2019 über eine grundsätzliche Handlungs- und Kampagnenfähigkeit verfügte.16
Im Bereich von Aktionen, Veranstaltungen und Kampagnen setzt die NPD seit 2018 u.a. auf die „Schild & Schwert“-Festivals in Ostritz/Sachsen und auf das Konzert „Zurück zu den Wurzeln – Skinheads Back To The Roots“. Daneben waren zahlreiche Mitglieder und Sympathisanten der NPD bei den seit Jahren durchgeführten Demonstrationen am 1. Mai in Dresden und Wismar/Mecklenburg-Vorpommern dabei. Eine seit 2017 wichtige Aktion der NPD ist die „Schutzzonen“-Kampagne, bei der Mitglieder der NPD versuchen, der Öffentlichkeit zu beweisen, dass sie durch ihre körperliche Präsenz an einzelnen öffentlichen Orten für „Sicherheit“, insbesondere vor vermeintlich kriminellen Migranten, sorgen. Diese „Schutzzonen“-Kampagne soll mediale Aufmerksamkeit generieren.17 Die deutschen Behörden sehen die Aktivitäten der selbsternannten „Bürgerwehren“ kritisch, doch sind ihnen die Hände gebunden, solange diese Bürgerwehren keine Tatverdächtigen festnehmen oder Gewalt anwenden, auch Westen dürfen diese „Bürgerwehren“ tragen.18 Nach Angaben der Bundesregierung besteht „ein fließender Übergang vom Aufruf zur Bildung von ‚Bürgerwehren‘ hin zu einem eigenmächtigen Eintreten für Sicherheit und Ordnung abseits des staatlichen Gewaltmonopols oder gar hin zu gewalttätigem Handeln“19.
Im Dezember 2019 beschloss die NPD auf ihrem Parteitag in Riesa, dass sie ihren Namen ändern möchte, um die Wahlchancen zu erhöhen. Ein erster Vorschlag war „Sozialistische Heimatpartei“ (SHP). Der im Dezember 2019 wiedergewählte NPD-Chef Frank Franz hatte seine Kandidatur von der Zustimmung zur neuen Namensgebung abhängig gemacht.20
Vor der Europawahl im Jahr 2019 ließ der Oberbürgermeister von Mönchengladbach Plakate der NPD abhängen, wogegen die NPD klagte. Auf den in Mönchengladbach aufgehängten Plakaten der NPD stand: „Stoppt die Invasion: Migration tötet!“. Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht befand, dass diese Parole volksverhetzend ist, und wies damit die Klage der NPD zurück, die bereits zuvor mit einem Eilantrag gescheitert war. Die aus dem Ausland nach Deutschland eingereisten Migranten würden von der NPD böswillig verächtlich gemacht, dies greife ihre Menschenwürde an und sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, argumentierte das Gericht. Migranten würden pauschal als gefährlich gebrandmarkt und mit Tötungsdelikten verknüpft. Dadurch könne das Vertrauen in die Rechtssicherheit erschüttert und die Gewaltschwelle herabgesetzt werden, hieß es in der Urteilsbegründung des Gerichts. Inhalt und Gestaltung der Plakate erfüllten nach Angaben des Verwaltungsgerichts den Straftatbestand der Volksverhetzung.21
Ein wesentliches Element der Ideologie der NPD ist die Idee einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“. Dieses „Volksgemeinschafts“-Dogma bestimmt die grundsätzliche Fremdenfeindlichkeit der Partei, die Deutsche mit Migrationshintergrund, Ausländer, Muslime und Asylbewerber pauschal mit Negativeigenschaften verbindet und diese als Bedrohung für die einheimische Bevölkerung diffamiert.22 Auch Antisemitismus ist ein wichtiger ideologischer Bestandteil der NPD, der oftmals mit einer positiven Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus und geschichtsrevisionistischen Standpunkten verbunden wird. Als politisches Ziel beschreibt die NPD einen fundamentalen „Systemwechsel“ in Deutschland. Mit der „Vier-Säulen-Strategie“, namentlich dem „Kampf um die Köpfe“, dem „Kampf um die Straße“, dem „Kampf um die Parlamente“ und dem „Kampf um den organisierten Willen“, will die NPD seit Jahren die deutsche Demokratie bekämpfen.23
Die NPD setzt mit ihrer Säulenstrategie auf Graswurzelarbeit anstatt auf kurzfristige Wahlerfolge. Beim „Kampf um die Köpfe“ geht es darum, ihr völkisch-nationalistisches Programm zu schärfen und zu einer größtmöglichen Verbreitung zu verhelfen. Die ideologischen Gegenpole dazu sind Humanismus und Universalismus, sodass die NPD das „Gleichheitsdogma“ überwinden will. Sie möchte für die „Unzufriedenen und Enttäuschten“ offen sein.24 Die NPD-Säulenstrategie „Kampf um die Straße“ setzt auf eine intensive Demonstrationspolitik, sodass die NPD-Inhalte öffentlichkeitswirksam verbreitet werden. Jugendkulturell geprägte Rechtsextremisten sollen über das identitätsstiftende Erlebnis von Demonstrationen näher an die NPD gebracht werden.25 Wahlteilnahmen sind eine weitere Säule der NPD-Strategie, der „Kampf um die Parlamente“. Der „Kampf um den organisierten Willen“ wurde 2005 formuliert und dient der Annäherung an das „nationale Lager einer Volksfront“, also an die rechtsextremistischen „Kameradschaften“.26
In der Analyse der Wahlkämpfe der NPD der vergangenen Jahre wird deutlich, dass die Partei verschiedene soziale Schichten anspricht und ihre Wahlkämpfe stark auf Jung- und Erstwähler ausrichtet. Daneben konzentriert sie sich bei ihrer Mobilisierung von Anhängern, Sympathisanten und Wählern auf die rechtsextremistische Jugendszene und die „Kameradschaften“27. Sie versucht aber auch, verschiedene Wählerschichten anzusprechen und sich als Partei zu präsentieren, die sich weder von den jeweiligen Regierungsparteien noch von der Opposition repräsentiert fühlen. So will sich die NPD als Partei für „Protestwähler“ präsentieren, der „Unmut gegen die da oben“ soll mobilisiert werden.
Die rechtsextremistische Partei „Die Rechte“ wurde im Jahr 2012 nach Unstimmigkeiten über eine Fusion der beiden rechtsextremistischen Parteien DVU und NPD gegründet, wobei ehemalige DVU-Mitglieder maßgeblich an der Parteineugründung mitwirkten. „Die Rechte“ hatte im Jahr 2019 noch 550 Mitglieder, gegenüber 600 im Jahr zuvor. Diese Partei kommuniziert ihr rechtsextremistisches Weltbild mit Demonstrationen, Infoständen, Flugblattverteilungen sowie Internetveröffentlichungen. Verbunden damit sind fremdenfeindliche und rassistische Agitation, geschichtsrevisionistische Thesen sowie Antisemitismus. Das politische Ziel dieser rechtsextremistischen Partei ist ein „fundamentaler Systemwechsel“28.
Der Vorsitzende der rechtsextremistischen Partei „Die Rechte“, Sascha Krolzig, wurde Mitte Juli 2020 wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Das Bundesverfassungsgericht billigte eine vom Landgericht Bielefeld verhängte Haftstrafe. Damit scheiterte Krolzigs Verfassungsbeschwerde. Der rechtsextremistische Politiker hatte in einem Artikel den Vorsitzenden einer Jüdischen Gemeinde als „frechen Juden-Funktionär“ beschimpft und gedroht, seine Partei würde den „Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik in allerkürzester Zeit auf Null reduzieren“. Das Bundesverfassungsgericht führte aus, dass die Bezeichnung „frecher Juden-Funktionär“ den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle und es wichtig sei, die deutsche Geschichte zu berücksichtigen. Die Bezeichnung „frecher Jude“ sei eine Wortwahl, die die Nationalsozialisten bei ihrer Propaganda verwendet hätten. Wer sich solche Begriffe zu eigen mache, stachele zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung auf und gefährde damit den öffentlichen Frieden in Deutschland, so die Verfassungsrichter.29
Bei der Europawahl 2019 trat „Die Rechte“ mit einer Kandidatenliste an, welche die inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin anführte und sich ansonsten überwiegend aus Neonazis zusammensetzte, die wegen rechtsextremistischer Delikte bereits Haftstrafen verbüßt hatten. Daneben organisierte „Die Rechte“ viele Solidaritätsveranstaltungen für Haverbeck-Wetzel, die sie als „politische Gefangene“, „Dissidentin“ und „Streiterin für Meinungsfreiheit“ heroisierte. Diese uneingeschränkte Solidarisierung spiegelt nach Auffassung der deutschen Verfassungsschutzbehörden ihren unverhohlenen Antisemitismus und die fundamental ablehnende Haltung der Partei gegenüber der Werteordnung des deutschen Grundgesetzes wider.30 Im Europawahlkampf 2019 nutzte „Die Rechte“ ein an eine NS-Parole angelehntes Plakat mit der Aufschrift „Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit!“. Daneben stellte sie sich als „die einzige konsequent antiisraelische Partei auf dem Stimmzettel“ dar.31 „Die Rechte“ arbeitet aktuell an Kontakten ins Ausland, so wurde im April 2019 im Rahmen eines Treffens europäischer Rechtsextremisten in Sofia/Bulgarien das internationale Bündnis „Festung Europa“ von Parteimitgliedern gegründet. Die Gründung dieses Bündnisses steht im Zusammenhang mit der 2017 von ihr initiierten Anti-EU-Kampagne „Europa erwache! Unser Europa ist nicht eure Union!“.32