Islamophobie. Hintergründe der Angst und Folgen für die Integration - Murat Karaboga - E-Book

Islamophobie. Hintergründe der Angst und Folgen für die Integration E-Book

Murat Karaboga

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Beschreibung

Seit dem 11. September 2001 ist sie allgegenwärtig: die Angst vor neuen Terroranschlägen. Die Folgen sind überall spürbar: Hinter jedem Unfall wird zunächst ein neuer Al-Quaida-Angriff vermutet und weltweit sind Muslime unter den Generalverdacht des Terrorismus geraten. Dieses Phänomen bezeichnet man als Islamophobie. Dieses Buch wirft einen Blick hinter die Kulissen und beleuchtet die islamische Religion, die geschichtlichen Hintergründe der Angst, die Salafismus-Bewegung und zeigt die Konsequenzen für in Deutschland lebende Muslime. Aus dem Inhalt: Der Politische Islam, Islamismus und Dschihad, Der deutsche Salafismus, Das Problem der Integration von Muslimen in Deutschland

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © 2013 ScienceFactory

Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH

Coverbild: pixabay.com

Islamophobie

„Der politische Islam“

Einleitung:

Die Entstehung des „politischen Islam“: Die Vordenker der heutigen Islamisten und deren geistiger Einfluss auf islamistische Bewegungen

Das theoretische Grundgerüst des „politischen Islam“

Fazit

Literaturverzeichnis

Islamismus und Dschihad

Einleitung

Islamistischer Terror

Die Muslimbruderschaft

Harakat al-Muqawama al-Islamiyya (kurz: HAMAS)

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Internetquellen

Medienverzeichnis

Anhang

Der deutsche Salafismus

Einleitung

Die drei salafistischen Strömungen

Besondere Charakteristika des deutschen Jihadi-Salafismus

Gegenwärtige salafistische Strömungen in Deutschland

Schlussfolgerung

Das Problem der Integration von Muslimen in Deutschland

Einleitung

Integration – Assimilation: Begriffserklärung

Zuwanderung von Muslimen türkischer Herkunft nach Deutschland

Das Problem des „Fremden“ und die Rolle der Medien

Das Islambild der deutschen Gesellschaft seit dem 11. September 2001

Der Islam als Integrationbarierre?

Fazit

Quellenangabe

„Der politische Islam“

„Die Wurzeln des politischen Islam und seine aktuelle Ideologie“

Einleitung:

Mit dem Schlagwort Politischer Islam verbindet man in westlichen Gesellschaften oftmals an erster Stelle die Anschläge vom elften September 2001 auf das World Trade Center in New York, Entführungen von Touristen durch die Moslem-Brüder in Ägypten und vergleichbare terroristische Gewaltakte auf der gesamten Welt durch extremistische Angehörige der Weltreligion Islam. Das verbindende Glied innerhalb eben dieser Betrachtung ist der Fokus auf den fundamentalistischen Terrorismus als Hauptkern des politischen Islam. Unterstellt wird z.B., dass sie mit Waffengewalt eine den westlichen Vorstellungen grundsätzlich entgegenstehende Ordnung herstellen wollen:

„Von den den 1940er Jahren bis in die 1970er Jahre hat sich mit dem gewaltbereiten Islamismus (Dschihadismus) eine Ideologie herausgebildet, die ein rückwärtsgewandtes gesellschaftliches und politisches System im muslimischen Bereich mit Gewalt durchsetzen will.“ (Spiegel-Wissen: Terrorismus)

Der politische Islam, im Volksmund auch als Islamismus bekannt, wird auch in der deutschen Gesellschaft längst als reale Gefahr und als ein zu lösendes Problem wahrgenommen und Berichte darüber, dass es „in den vergangenen Jahren eine Radikalisierung [gemeint sind Islamisten; Anm. d. Autors] in Deutschland gegeben“ (Tagesschau-Interview mit Dr. Kai Hirschmann vom 22.04.2009: http://www.tagesschau.de/inland/sauerlandprozess108.html) hat, häufen sich und zeichnen das Bild des politischen Islam hierzulande.

In dieser Arbeit möchte ich mich mit dem politischen Islam als eine der bedeutendsten und komplexesten Herausforderungen (auch der Politikwissenschaft) des 21. Jahrhunderts befassen. Das Hauptziel dieser Arbeit wird es sein, eine Einführung in die Entstehung und in das theoretische Grundgerüst des politischen Islam zu bieten, die weit über die in den Massenmedien herrschenden Sichtweisen hinausgehen soll. In diese beiden Hauptaspekte (Entstehung und Theorie) wird auch die Arbeit unterteilt sein und sich dementsprechend im ersten inhaltlichen Kapitel mit der „Entstehung des politischen Islam“ auseinandersetzen und einen Überblick über die Vordenker der heutigen Islamisten bis zur Gründung der ägyptischen Moslem-Bruderschaft geben. Das darauf folgende Kapitel „Das theoretische Grundgerüst des politischen Islam“ wird sich mit der Verdichtung der islamistischen Theorie im Zuge des Einflusses von Saiyid Qutb beschäftigen und den Charakter des politischen Islam skizzierend Bezug auf den internationalen Terrorismus in Form eines islamischen Kampfes gegen den Westen nehmen. Abschließend werde ich mich in einem Fazit mit den Erkenntnissen dieser Arbeit kritisch auseinandersetzen und den Versuch eines Ausblicks wagen.

An dieser Stelle möchte ich jedoch zunächst noch einmal betonen, dass die vorliegende Arbeit von vornherein nicht das Ziel einer umfassenden Analyse der Entstehung und der Theorie des politischen Islam hat, sondern lediglich einen Einführungscharakter besitzt. Ich möchte darauf hinweisen, dass in einem größeren Rahmen z.B. noch die durchaus interessante Analyse der Faktoren (wie z.B. sozio-ökonomische Probleme), die eine Islamisierung von Gesellschaften fördern, ihren Platz gefunden hätte und es auch möglich gewesen wäre, sich stärker mit der Entwicklung und dem Wandel islamistischer Gruppierungen der letzten Jahre zu beschäftigen.

Die Entstehung des „politischen Islam“: Die Vordenker der heutigen Islamisten und deren geistiger Einfluss auf islamistische Bewegungen

Ältere Einflüsse

„[I]slamische Bewegungen […] fordern eine Gesellschaft, in der Gottes Wort die einzige Quelle der Ethik und Gesetzgebung darstellt, und sie verlangen einen spezifisch islamischen – keinen patriotischen oder nationalistischen – Gemeinschaftsbegriff sowie eine Wiederbelebung des Begriffs des jihâd als Grundlage für eine neue Struktur der Weltordnung.“ (Ayubi: 178)

Diese und ähnliche Forderungen sind innerhalb islamistischer Bewegungen gängig und tragen die Ideologie des politischen Islam. Weitere islamistische Schlagwörter könnten an dieser Stelle folgen, jedoch soll in diesem Kapitel nicht auf die aktuellen Ausprägungen des Islamismus eingegangen werden, sondern ein historischer Abriss über die Vordenker des modernen politischen Islam und deren Schaffen geboten werden. Die Idee dessen, dass „Gottes Wort die Quelle der Ethik und Gesetzgebung darstellt“ (Ayubi: 182) oder in anderen Worten, dass einem Gott eine absolute Souveränität und Herrschaft zugeschrieben wird (al-hâkimîya), taucht laut dem ägyptischen Politikwissenschaftler Nazih Ayubi das erste Mal in den streng religiösen Vorstellungen der Khawaridschiten auf (Ayubi: 182). Die Khawaridschiten bildeten mit ihrer äußerst strengen Auslegung des Koran eine eigenständige Gruppe innerhalb des Islam und sind seit ihrer beinahe Ausrottung heute unter dem Namen Ibaditen vor allem im Oman ansässig (Geschichte der Schia: http://www.kerber-net.de/religion/islam/pdf/schia_sekii_text.pdf).

Ibn Taimîya

Die erste bedeutende Persönlichkeit in der islamistischen Tradition bildet jedoch der syrische Rechtsgelehrte Ibn Taimîya (1263-1328). Dessen Forderungen waren z.B. der Aufruf zum Zusammenhalt unter den Muslimen und die Bekämpfung derer, die eine „[v]ollständige Hingabe an Gott“ (Ayubi: 182) behindern und derer, die von der islamischen Scharia abweichen oder gar abfallen. Selbst jene, die das islamische Gebet nicht verrichten, sollten nach Taimîya hingerichtet werden (vgl. Ayubi: 182). In seinem Werk Fatâwâ stellte er Anweisungen für das konkrete Handeln von Muslimen auf. Insbesondere insistierte Taimîya auf der strengen Einhaltung des islamischen Rechts und erließ seinerzeit für das Volk des muslimischen Fürsten von Mardin, der nach mongolischem Gewohnheitsrecht regierte, eine Fatwâ, in der er äußerte, dass ein Herrscher, der sich formal Muslim nennt, aber nicht nach islamischem Gesetz (Schari'a) regiert, kein wahrer Muslim sei und aufgrund dessen von seiner Bevölkerung bekämpft werden müsse (vgl. Ayubi: 183). Taimîyas heutige, meist ägyptische oder indische Anhänger beziehen dessen Fatwâ auf die säkularen Regime ihrer Länder und behaupten Analog dazu, dass diese wie ehemals der formal gläubige, aber in Wahrheit ungläubige Fürst von Mardin bekämpft werden müsse. Darüber hinaus inspirierte das Gedankengut Taimîyas bereits im achtzehnten Jahrhundert die Wahhâbiten in Arabien (vgl. Ayubi: 184).

Abû l-A'lâ Maudûdi

Unter allen wichtigen ideologischen Figuren des politischen Islam ist der einzige Nicht-Araber der Pakistani Abû l-A’lâ Maudûdi (Tibi: 22). Der Journalist und Schriftsteller wuchs im kolonial besetzten Indien auf „als jeder streng orthodoxe Muslim sich von allen Seiten her belagert fühlen musste: Herrschaft und Souveränität hatten zu diesem Zeitpunkt die ,ungläubigen‘ Engländer inne, und die zukünftige Herrschaft schien für die ,heidnischen‘ Hindus bestimmt zu sein“ (Ayubi: 185). Die Belagerungsmentalität, die Maudûdi unter diesen Umständen entwickelte führte bei ihm zu einer extremen Radikalisierung seiner Standpunkte bezüglich vieler Themen: „Wissenschaft und Technologie, Stellung der Frauen, Status der Nicht-Muslime, Beziehungen zu anderen Kulturen und natürlich Politik und Staat“ (Ayubi: 185). In Folge der pakistanischen Staatsbildung richtete Maudûdi viele seiner Schriften gegen Nationalismus und Demokratie und trat unbändig für einen ideologisch-islamischen Staat anstelle eines nur von Muslimen bewohnten Staates ein (vgl. Ayubi: 185). Maudûdi vertrat, wie die bereits erwähnten Khawaridschiten, das Prinzip der al-hâkimîya, also die Auffassung dessen, „dass Gott völlige und absolute Souveränität zukomme […] und Menschen lediglich den Auftrag zur Erfüllung des heiligen Gesetzes hätten, das weit höher stehe und weit gerechter sei als jegliches von Menschen erdachte politische oder ökonomische System“ (Ayubi: 187). Damit verlangt Maudûdi eine autoritäre Durchsetzung von allen Lebens- und Politikbereichen durch den Islam um der „jahilîya [, der...] völlige[n] heidnische[n] Ignoranz“ (Ayubi: 187) zu entkommen. Der geistige Einfluss Maudûdis auf heutige Islamisten liegt zum einen in der Forderung danach, aus der in der islamischen Welt allgegenwärtigen jahilîya auszubrechen. Zum anderen führte Maudûdi die jahilîya einerseits auf die politischen Herrscher der Moslems zurück, andererseits betonte er, dass an der jahilîya vor allem der westliche Kolonialismus und Imperialismus Schuld seien. Die Zeiten der islamischen Selbstkritik fanden also mit Maudûdi ihre Weiterentwicklung in der aufkeimenden islamistischen Feindschaft gegen den Westen, der von nun an zu einer Zielscheibe islamistischer Kritik werden sollte (vgl. Ayubi: 187).

Die Entstehung Moslem-Bruderschaft

Die Entstehung der Moslem-Bruderschaft (al-Ikhwân al-Muslimûn) in Ägypten im Jahre 1928 ist laut Nazih Ayubi zum einen als Reaktion auf die im Zuge des Zusammenbruchs des Osmanischen Reichs stattgefundene Säkularisierung in der arabischen Welt – insbesondere die Abschaffung des Kalifats 1924 in der Türkei – und zum anderen als Protestbewegung gegen das britische Besatzungsregime und den Kolonialismus im Nahen Osten zu verstehen (Ayubi: 188). Die Bruderschaft wurde unter dem Deckmantel einer karitativen Vereinigung religiösen Ursprungs zur Verbreitung islamischer Moralvorstellungen gegründet und scharte in nur wenigen Jahren mit ihren Vorstellungen von einem alles umfassenden Islam viele Anhänger um sich. Nichtsdestotrotz kann aber davon gesprochen werden, dass die Bruderschaft in ihrer Anfangszeit noch recht unpolitisch war und sich selbst stärker im Bereich der Veränderung der sozialen Strukturen (Islamisierung) des Landes beteiligte. Die Gründer der Moslem-Bruderschaft, allen voran Hasan al-Bannâ, hatten jedoch von Anfang an die Gründung einer islamischen Ordnung im Sinn. Nur waren zunächst in Form der Präsenz der britischen Besatzungsmacht dringendere Probleme zu bewältigen (vgl. Ayubi: 191). Der Erlangung der formalen Unabhängigkeit Ägyptens 1936 folgte die Politisierung der Bruderschaft. 1938 verfügte die Moslem-Bruderschaft über 300 Zweigorganisationen und begann mit Drohungen gegen Politiker, die nicht ihren Vorstellungen vom Islam entsprachen. Im Laufe der Jahre folgten Anschläge auf Juden und Briten in Ägypten, die Bildung eines internen Geheimapparats, von eigenen Schulen, Krankenhäusern und Fabriken und die Infiltrierung verschiedener Organisationen wie Gewerkschaften und Armee durch Mitglieder der Bruderschaft. Auf die nicht endenden Anschlägen antwortete die ägyptische Regierung schließlich mit dem Verbot und der Auflösung der Moslem-Bruderschaft, die ihrerseits darauf mit der Ermordung des Premierministers antwortete, was wiederum zur Ermordung al-Bannâs durch die Regierung führte (vgl. Ayubi: 192 f.).

Die hohe Anziehungskraft, die die Moslem-Bruderschaft auf zukünftige Islamisten ausüben sollte, liegt insbesondere in ihrem aktivistischen Charakter begründet. Die Idee des bewaffneten Kampfes – ohne Rücksicht auf Verluste – zur Gründung eines islamischen Staates wurde mit der Moslem-Bruderschaft das erste Mal in die Welt hinausgetragen und die Gründer der Bewegung können daher als „Hauptinitiatoren der Idee des politischen Islam in der arabischen Welt betrachtet werden.“ (Ayubi: 188)

Das theoretische Grundgerüst des „politischen Islam“

Der theoretische Beitrag des Moslem-Bruders Saiyid Qutb zur Ideologie des „politischen Islam“

„Saiyid Qutb“ (Ayubi: 198; diese Schreibweise wird es sein, an die ich mich im Folgenden halten werde) (1906-1965), dessen Vorname in der Literatur auf unterschiedliche Arten geschrieben wird, z.B. „Sayyid Qutb“ (Ayoob: 16) oder auch „Sayid Qutb“ (Tibi: 27) kann als der bedeutendste islamistische Theoretiker der Neuzeit bezeichnet werden. Der junge ägyptische Lehrer Qutb nahm anfangs noch eine eher kritische Position gegenüber den Vorstellungen der Moslem-Brüder ein, gleichwohl er Sympathisant und Befürworter der Idee des Islamismus im Allgemeinen war. Ähnlich wie andere islamistisch orientierte Denker richtete sich sein Denken in erster Linie gegen den Säkularismus in arabischen Gesellschaften und gegen den Import der kulturellen Moderne, als dessen Ausdruck und verlängerter Arm insbesondere die despotischen arabischen Regime der damaligen Zeit verstanden wurden. Qutbs Radikalisierung erfolgte zum Einen nach einem zweijährigen U.S.-Aufenthalt, währenddessen sich seine anti-westlichen Ressentiments intensivierten und er zu der Idee einer Rückkehr zum Islam inspiriert wurde und zum Anderen nach den Ereignissen, die auf die ägyptische Revolution im Jahre 1952 folgten. Als sich nämlich die Hoffnung Qutbs, dass sich der islamische Flügel im Zuge der Revolution einen Teil der politischen Macht würde sichern können, nicht erfüllte, trat Qutb schließlich der Bruderschaft bei und wurde schnell zu einem ihrer führenden Ideologen (vgl. Ayubi: 197; Tibi: 27).

So radikal Maudûdi mit seinen Vorstellungen von al-hâkimîya und jahilîya auch war, Qutb war es, der diesen beiden Begriffen ihren endgültigen radikal islamistischen Charakter verlieh. Das besonders radikale Moment in Qutbs Schriften war sein unvergleichlich starker Aufruf zum heiligen islamischen Krieg (jihâd) zur Erreichung des Ziels der Herstellung einer islamischen Gesellschaft (vgl. Ayoob: 74). Dieser Aspekt des Qutbischen Denkens, also der Aufruf zum heiligen Krieg zur Umwandlung des politischen Systems, kann als das spezifisch politische Moment in seiner Ideologie benannt werden. Dadurch verlässt die Religion endgültig den Rahmen eines Werte-und Moralkanons und überträgt seine Auffassungen direkt auf den Bereich der Politik (vgl. Ayubi: 202; Tibi: 28).

Darüber hinaus ist eine der herrschenden Denkweisen in Qutbs Schriften die Vorstellung davon, dass nicht nur der ungläubige Rest der Welt sich im Zustand der jahilîya befindet, er wendet den Begriff auch, ähnlich wie auch zuvor Maudûdi aber um einiges radikaler, auf die führenden islamischen Herrscher und auf alles und jeden an (Tibi: 28). Um es mit Qutbs eigenen Worten zu sagen:

„Wir befinden uns heute in einer jâhilîya, ähnlich derjenigen zur Entstehungszeit des Islam oder sogar noch schlimmer. Alles um uns herum ist eine jâhilîya: die Auffassungen und Überzeugungen der Menschen, ihre Sitten und Gewohnheiten, die Quellen ihrer Kultur, Kunst und Literatur und ihr Recht und ihre Gesetzgebung. Vieles sogar, das wir für islamische Kultur, islamische Quellen oder islamische Philosophie und islamisches Gedankengut halten, ist in Wirklichkeit das Machwerk dieser jâhilîya.“ (aus Ayubi: 200)

Um daraufhin den arabischen Herrschern die islamische Legitimität abzusprechen wendet Qutb den Begriff des takfir an, das ähnlich der Exkommunikation dazu dient jemandem die Religiosität abzusprechen; im Umkehrschluss wird jene Person dadurch zum Ungläubigen (vgl. Tibi: 28). Dass die Legitimität der Anwendung von takfir von den traditionellen muslimischen Rechtsgelehrten, den Ulâma nicht geteilt wird, wird auf die jâhilîya und den Verrat der Ulâma bezogen. Gemäß Qutb führt die Entlarvung des Machtinhabers als Ungläubiger zum nächsten Schritt und der ungläubige Herrscher muss zur Aufgabe seines Amtes gezwungen werden um die wahre Herrschaft Gottes (al-hâkimîya) herstellen zu können (vgl. Ayubi: 201). Dies kann wiederum nur durch einen bewaffneten Kampf erreicht werden, denn „das Königreich Gottes auf Erden [Nizâm al-Islami] […] [kann laut Qutb] [...] nicht durch Lehre und Predigt allein erreicht werden, denn diejenigen, die das Joch auf den Nacken der Menschen legen und die Autorität Gottes auf Erden ursurpieren, werden ihre Position nicht aufgrund solcher Erklärungen und Predigten räumen“ (Ayubi: 202). Gemeint ist insbesondere die ägyptische Regierung unter Nasser, die die Partizipation der Moslem-Bruderschaft in dessen Regierung nach einigen politischen Auseinandersetzungen gewaltsam beendete. Diese Meinungsumbildung der Islamisten die, nach dem Scheitern des Versuchs zur politischen Hegemonie im Lande auf parlamentarischem Wege zu gelangen, zu einer Abkehr vom Versuch den Gottesstaat auf parlamentarischem Wege zu errichten führte, lässt sich sehr gut an den Qutbischen Äußerungen zur Errichtung des islamischen Gottesstaates festmachen. Nach seiner Festnahme 1954 wetterte Qutb gegen den Nasseristischen Staat und führte die Bedeutung der vollständigen Vernichtung des bestehenden Systems aus, weil erst dann ein tatsächlicher Umschwung in der Gesellschaft auf dem Weg zur Herrschaft Gottes stattfinden könne (vgl. Ayoob: 74; Ayubi: 202; Tibi: 29).

Wie genau die Alternative, nämlich das, als Allheilmittel gegen die jâhilîya angepriesene, zu errichtende islamische System der Herrschaft Gottes, aussehen und den Muslimen bzw. der Menschheit Frieden und Glück bringen soll wird von Qutb nicht weiter ausgeführt. Die Strategie müsse sein, als Erstes die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu vernichten. Danach würde man schon noch die Gelegenheit haben, die Form des islamischen Modells im Genaueren auszuarbeiten (vgl. Ayubi: 202 f.).

Die ideologische Struktur des „politischen Islam“

An dieser Stelle sehe ich die Notwendigkeit zu erwähnen, dass obwohl ich in dieser Arbeit durchgängig von einem „politischen Islam“ spreche, der „politische Islam“ aber nicht als eine einheitliche in jeder Hinsicht Dogmen angehaftete Ideologie missverstanden werden darf; die uneinheitliche Interpretation der Texte von Denkern wie Qutb, Maudûdi etc. hat bei unterschiedlichen Islamisten zu unterschiedlichen Islamismen geführt. Diese Unterschiede sind mitunter enorm und führen selbst innerhalb des islamistischen Gruppen-Spektrums zu einer breiten Streuweite der Inhalte von politisch-islamistischen Agenden. So findet der in 3.1. beschriebene Akt des takfîr bei den militanten ägyptischen Gruppierungen al-jihâd und at-Takfîr wa 'l-Hijra eine unterschiedlich Interpretation. Während bei al-jihâd der Vorgang des takfîr nur auf oppositionelle Herrscher bezogen wird, beziehen ihn die Anhänger der at-Takfîr wa 'l-Hijra auf die gesamte muslimische Gesellschaft und sprechen ihr damit die Gläubigkeit ab (vgl. Ayubi: 205; Tibi: 28). Nichtsdestotrotz kann aber von einer allgemeinen ideologischen Kohärenz innerhalb islamistischer Gruppierungen gesprochen werden auf die ich nun im Weiteren eingehen werde.

Wie bereits deutlich geworden sein durfte hat eine zunehmende Radikalisierung im islamistischen Denken stattgefunden, die zu einer allgemeinen Militanz und zu der Abkehr von korporatistischen Versuchen geführt hat. Um es noch einmal fest zu halten: die Hauptbegriffe in der islamistischen Ideologie sind al-hâkimîya, Gottes absolute und uneingeschränkte Souveränität, die auch als der Traum von der wahren islamischen Gesellschaft, dem Nizâm al-Islami verstanden werden kann. Jemand der al-hâkimîya anerkennt, erkennt auch die jahilîya, die heidnische Ignoranz die auf der ganzen Welt und vor allem auch in den islamischen Gesellschaften Fuß gefasst hat. Um die Nizâm al-Islami aufzubauen ergibt sich die Notwendigkeit, die jahilîya innerhalb von islamischen Gesellschaften zu bekämpfen. Dieser Kampf, der jihâd wird, da er auf friedlichem Wege keine Früchte tragen würde, mit Waffen ausgetragen und das Ziel dabei ist auch nicht nur einen Teil der Staatsmacht zu erobern, oder das bestehende Gesellschaftssystem von innen heraus zu verändern, sondern die gesellschaftliche Ordnung vollends zu vernichten um dann mit einem absoluten Neuanfang die wahre islamische Ordnung, Nizâm al-Islami herzustellen.

„Politischer Islam“ und der Kampf gegen den „Westen“

Ein weiterer, sehr wichtiger und bisher noch nicht weiter ausgeführter Aspekt des politischen Islam ist die Feindschaft gegen den Westen und seine kulturellen Erzeugnisse. Diese Feindschaft kann nur mit einem historischen Blick in den jahrhundertelangen Konflikt zwischen Islam, in Form des osmanischen Reiches und den Westen, in Form Europas und später vor allem der Kolonialmächte verstanden werden. Die früh-islamische Vorherrschaft in den Wissenschaften, der Kunst und Philosophie wurde seit dem Spätmittelalter und spätestens seit der europäischen Renaissance zunehmend aufgeweicht. Das Osmanische Reich, das den Islam seinerzeit repräsentierte konnte mit dem Fortschritt der europäischen Großmächte immer weniger mithalten und das militärische Gleichgewicht zwischen diesen beiden Polen verschob sich seit ungefähr 1500 immer mehr zu Gunsten Europas und endete schließlich seit ca. 1800 in der militärischen europäischen Vorherrschaft auf der Welt (vgl. Tibi: 51). Die politische Folge der europäischen Vorherrschaft war der Kolonialismus. Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches im ersten Weltkrieg durch die Entente-Mächte, kolonialisierten Großbritannien und Frankreich den Nahen Osten. Abgesehen von den willkürlichen Grenzziehungen und Staatenbildungen durch europäische Großmächte wurden auch „europäische“ Werte wie Demokratie und Säkularität in den Nahen Osten gebracht (vgl. Ayubi: 76-85; Tibi: 37 f., 50 f.). Unter dem Druck der europäischen Mächte veränderten sich die arabischen Gesellschaften äußerlich zu einer Art rechtsstaatlicher, säkularer Demokratie, blieben dieser aber innerlich fern. Im Zuge der arabischen Staatenbildungen seit den Zwanzigern des 20. Jahrhunderts wurde durch islamische Reformer versucht, einen intellektuellen Anschluss an die europäische Aufklärung zu finden, der aber laut Ayubi die Schwelle der oberflächlichen Übertragung aufklärerischer Begriffe in islamische nie überwunden habe, da die „islamischen Reformer […] den Modernismus im Grunde genommen nicht als ganzheitliche philosophische Weltanschauung (bezogen auf Vorstellungen wie etwa Freiheit, Individualismus, Gesellschaftsvertrag etc.) akzeptiert [hätten], sondern nach Gutdünken eklektisch Anleihen bei ihm gemacht [hätten], indem sie die ,modernen' Begriffe immer aus ihrem (europäischen) geistigen und gesellschaftlichen Kontext herausgelöst und stattdessen versucht hätten, sie unter bekannte islamische Begriffe zu subsumieren, von denen man glaubte, sie hätten ähnliche Bedeutung“ (Ayubi: 89). Obgleich es von grundlegender Bedeutung ist, die im Zuge der europäischen Aufklärung entwickelten universellen Menschenrechte, auch in Bereiche außerhalb Europas zu exportieren müssen die Gründe für die Ablehnung dieser Werte durch die jeweiligen arabischen Gesellschaften auf unterschiedliche Arten analysiert werden und dürfen nicht nur darauf zurückgeführt werden, dass die Vorstellungen der kulturellen Moderne „keine Wurzel im Islam“ (Tibi: 48) haben. Interessant erscheint m.E. nach an dieser Stelle die Analyse Ayubis:

„Wenn die muslimischen Reformer den Vorstoß der Philosophie der (europäischen) ,Aufklärung' nicht in Gänze und uneingeschränkt übernahmen, so geschah dies nicht aufgrund eines bestimmten ,Wesens'zugs des Islam als Glaubenssystem, der zwangsläufig eine solche geistige Weiterentwicklung verhindert hätte, es war vielmehr der verzerrte und unvollständige Charakter der kapitalistischen Umwandlung der muslimischen Gesellschaften, der einer kompletten Übernahme der Werte und Denkmuster des bürgerlichen Liberalismus im Wege stand.“ (Ayubi: 90)

Ebenfalls bedeutend ist die folgende Ausführung:

„Grund für die – in mancher Hinsicht bis zum heutigen Tag andauernde – eingeschränkte Entwicklung rationalen liberalen Denkens ist nicht einfach nur der Widerstand einer halsstarrigen religiösen Tradition, sondern in noch bedeutenderem Maße die Tatsache, dass die Herausbildung einer heimischen Industrie und einer heimischen Bourgeoisie verspätet und unvollständig erfolgte.“ (Ayubi: 90 f.)