18,99 €
Welchen Einfluss hat gesunde Ernährung auf die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns? Die Effizienz unseres Gehirns hängt eng mit unserer Ernährungsweise zusammen. Doch wie die Forschung heute beweist, werden schon vor unserer Geburt die Weichen für die Hirnentwicklung gestellt: mit der mütterlichen Ernährung. Die Neurowissenschafterin Dr. Manuela Macedonia zeigt, wie das Gehirn von wertvoller Nahrung bis ins hohe Alter profitiert, aber auch, welchen Schaden ungesunde Kost anrichtet. Einfach und allgemeinverständlich erklärt sie, woher unsere Vorliebe für Süßes kommt und warum Schokolade glücklich macht. Sie belegt, warum die mediterrane Küche besser abschneidet als die westliche Diät, wie Bewegung uns beim Denken hilft und weshalb Fasten dem Gehirn guttut. - Ernährung in der Schwangerschaft: was werdende Mütter für die Hirnentwicklung ihrer Kinder tun können - Was kann Muttermilch? Auswirkungen auf die Intelligenz, das Mikrobiom und das Immunsystem von Babys - Nahrung fürs Gehirn: welche Vitamine und Spurenelemente unterstützen den Denkapparat? - Glücksgefühle beim Essen: ein Lob auf die guten Fette - Wie das Gehirn altert und wie wir durch die richtige Ernährung Demenz und anderen krankhaften Veränderungen des Gehirns vorbeugen können Das Gehirn isst mit – Plädoyer für eine gesunde, hirngerechte Lebensweise Manuela Macedonia kam als Frühchen zur Welt. Dass sie ohne bleibende Hirnschäden überlebte, verdankt sie auch der nahrhaften Muttermilch und der grandiosen italienischen Küche ihrer Mamma. In ihrem Buch kombiniert sie Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und der Ernährungswissenschaft, um über den Zusammenhang zwischen optimaler Ernährung und einem fitten Gehirn aufzuklären. Ein sehr persönliches und humorvolles Sachbuch – mit wissenschaftlich fundierten Ernährungstipps! Iss dich klug! Schließt die Lücke zwischen "Darm mit Charme" und dem "Ernährungs-Kompass".
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 222
Dr. Manuela Macedonia
dich klug!
Und dein Gehirn freut sich
Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.
1. Auflage
© 2021 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Palatino, CabritoDidone
Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:
Red Bull Media House GmbH
Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15
5071 Wals bei Salzburg, Österreich
Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT
Illustrationen: Klaus Pitter
Fotografie: Sabine Kneidinger und Vector Tradition/Shutterstock
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
ISBN: ISBN 978-3-7110-0272-3
eISBN: ISBN 978-3-7110-5297-1
Ich wurde an einem heißen Augusttag als Frühchen geboren.
Fast 24 Stunden hatten meine Mamma und ich gebraucht, damit ich ganz blau das Licht der Welt erblickte, ohne einen Ton von mir zu geben, am Ende unserer Kräfte, ein Häufchen Kind – wie sie pflegte zu sagen – 2.800 Gramm auf der Waage. Meine Finger hatten angeblich den Durchmesser von Spaghetti Nr. 5, meine Arme und Beine seien dünn wie Grissini Torino gewesen, die ganz dünnen, wie man sie in Restaurants, verpackt im Brotkörbchen, findet. Mein Rumpf sei unförmig, eine Flasche San Pellegrino-Wasser sei schöner gewesen. Ein hässliches Kind, ein ranocchietto, also ein Fröschlein war ich, das kaum atmen konnte und von einer nicht allzu zimperlichen Klosterschwester an den Füßen gepackt und so lange mit dem Kopf nach unten geschüttelt wurde, bis es einen Proppen Schleim ausspuckte und ein Miau wie ein Kätzchen von sich gab, um dann wieder für die nächsten drei Monate seiner Entwicklung, außerhalb des beschützenden Mamma-Bauchs, zu verstummen. Dass ich überlebte und dass ich die Folgen einer solchen Frühgeburt ohne Gehirnschäden und somit ohne kognitive Beeinträchtigungen, mit einer durchschnittlich stabilen Psyche, überwinden konnte, verdanke ich meiner Mamma, ihrer Milch spendenden Brust und später ihrer grandiosen italienischen Küche, die mein Gehirn stärkte und mich zu alledem befähigte, was ich in meinem Leben verwirklicht habe. Ich vermisse ihre selbst gemachten Ravioli, ich würde Gold für ihren Rinderbraten geben, auch für die Polenta mit Fontina, dem Almkäse des Aostatals.
Meiner Mamma ist dieses Buch gewidmet,die oben im Himmel sitzt,auf mich liebevoll schaut,in Dankbarkeit.
Einleitung
Warum wir so gerne essen
Wie Botenstoffe unser Lustempfinden steuern und unser Essverhalten bestimmen
1 Essen und Trinken im Mutterleib und davor
Wie die Mutter sich ernährt, bestimmt die Entwicklung des kindlichen Gehirns vom frühesten Stadium an und sogar vor der Zeugung
2 Muttermilch und Nutellabrot
Warum gestillte Kinder glücklicher sind, was das Mikrobiom damit zu tun hat und wie sich das auf die Entwicklung des Gehirns auswirkt.
3 Genuss: Freude und Verdammung
Worauf wir Lust haben, ist nicht immer das, was gut für unseren Körper und damit unser Gehirn ist. Wie man die Gegensätze vereint und damit zu einem lustvollen und gesunden Ernährungs- und Lebensstil kommt.
4 Essen, meine Medizin im Alter
Der Alterungsprozess des gesamten Körpers, also auch des Gehirns, ist eine natürliche Gegebenheit. In der richtigen Ernährung liegt allerdings der Schlüssel zur lebenslangen geistigen Leistungsfähigkeit
Danksagung
Literaturverzeichnis
Meine Seele ist italienisch, mein Herz österreichisch, auch wenn es ums Essen geht. Koche ich selbst, ernähre ich mich grundsätzlich so, wie ich es von meiner Mamma gelernt habe, also mediterran, mit viel Gemüse, Obst, Olivenöl, Fisch, Rindfleisch, und nachdem ich mich sportlich betätigt habe, mit Pasta und Risotto. Gehe ich in Österreich essen, bestelle ich Schweinsbraten mit knuspriger Kruste, auch gerne ein in Butterschmalz gebratenes Wienerschnitzel und ja, ich liebe Topfenstrudel und Rosinengugelhupf. Zugegeben, ich esse für mein Leben gern, ob italienisch oder österreichisch!
Warum esse ich, essen wir, so gerne? Die Antwort auf diese Frage liefert uns die Evolution: Zur Erhaltung der Spezies müssen wir essen und uns vermehren. Und das sollen wir mit Freude tun und nicht, weil wir müssen. Würden wir ohne Lust essen oder uns vermehren, hätten wir Menschen das 21. Jahrhundert nicht erreicht. Da wir aber beim Essen und beim Sex Freude empfinden, kümmern wir uns gerne und intensiv um beides. So sind wir zu diesen Zwecken mit einem besonderen evolutionären Mechanismus ausgestattet, dem des Lustempfindens. Über den Botenstoff Dopamin, auch Glückshormon genannt, wird unser Verhalten gesteuert. Er weist uns den Weg zur Befriedigung und Belohnung.
Erbsengroße Kerne aus Neuronen – als Substantia nigra und Nucleus accumbens bezeichnet – und das dorsale Striatum schütten in der Tiefe des Gehirns Dopamin aus.
Belohnungssystem und Dopaminkreislauf
Erblicke ich den Schweinsbraten oder einen (für meinen Geschmack) gutaussehenden Mann, produzieren diese Kerne innerhalb von Millisekunden das Glückshormon. Danach schießt der Botenstoff in das Vorderhirn, in jene Regionen, die Reize der Außenwelt bewerten. Dort befinden sich viele Andockstellen für diese Substanz, sodass alles besonders schnell auch verarbeitet wird (!). So empfinde ich auf den Anblick der Speise oder auf den Flirtblick plötzlich ein gutes Gefühl, nennen wir es Freude oder Glück, wobei ich noch gar nicht esse und es auch zu keinem näheren Kontakt mit dem gutaussehenden Mann gekommen ist. Mein Gehirn arbeitet aber – sozusagen – bereits in diese Richtung, egal, ob ich es will beziehungsweise darf oder nicht. Ich empfinde Freude, besser gesagt Vorfreude: Dadurch entsteht die Handlungsbereitschaft, es nicht nur beim Anblick zu belassen, sondern tatsächlich zur Tat zu schreiten. Sehe ich also diese wunderbare Schweinsbratenkruste in der Wärmetheke des Metzgers, werde ich möglicherweise die Kaufentscheidung treffen und das Stück Fleisch kaufen. Spricht mich der Mann an, lasse ich mich vielleicht auf ein Gespräch ein. Auch in diesem Zwischenschritt habe ich weder gegessen noch ist mit dem Mann etwas Konkretes passiert. Die Vorfreude, die Auswirkung von Dopamin auf mein Gehirn, hat aber bereits Handlungen gesteuert, und ich freue mich auf den Braten oder auch auf die Einladung auf einen Drink. Raffiniert hat die Evolution diese Mechanismen gebaut: Man kann nicht anders! Zu Hause angekommen, stürze ich mich endlich auf meinen Braten, und er schmeckt mir, mhhh, das saftige Fleisch, die knusprige Kruste, ein Bissen, noch einer, leider ist es immer zu wenig!
Dopamin, das wir im Allgemeinen als Glückshormon kennen, verstärkt Lust versprechende Reize und Lernprozesse, wodurch wir uns diese Belohnungen holen können. Mit anderen Worten motiviert uns die Belohnung auch zu Handlungen, die wir sonst nicht setzen würden. Sind Sie auch schon ein paar Kilometer extra zu einem Eissalon gefahren, um dort diesen besonderen Geschmack zu finden? Mango & Minze oder die cremigste Sahne dieser Welt? Ja, man ist bereit, einen Aufwand zu betreiben, um zur Belohnung zu kommen. So funktioniert dieses System! Seine Entdeckung, ein Meilenstein in der Geschichte der Neurowissenschaft, war ein Produkt des Zufalls. Mitte der 1950er Jahre experimentierten James Old und Peter Milner am California Institute of Technology an Lernprozessen bei Ratten. Dafür setzten sie in das Gehirn der Tiere Tiefenelektroden ein, also winzige Kupferdrähte, die viel dünner als ein menschliches Haar sind. In der jeweiligen Region des Rattenhirns gaben sie einen Stromreiz ab. Es sollte eine gewisse Reaktion im Tier bewirken.
Stellt man sich die Dimension eines Rattengehirns vor – vielleicht so groß wie eine halbe Erbse – ist es klar, dass es sehr schwer ist, die gewünschte Stelle punktgenau zu erreichen. Es kann auch knapp daneben gehen, sodass man eine völlig andere Gehirnstruktur erwischt. Und so war es auch bei Old und Milner. Sie merkten, dass etwas schief gegangen war, weil die Ratte immer wieder an jene Stelle der Experimentbox ging, wo sie die Elektrode und somit auch den ersten Stromstoß bekommen hatte. Die Wissenschafter schlossen daraus, dass der Stromstoß für das Tier »angenehm« sein musste, dass es in der Hoffnung hinging, wieder Angenehmes zu erleben. Aber warum?
Darauffolgend bauten sie eine Experimentbox mit einem Hebel, welcher mit der Elektrode direkt verbunden war. Durch das Betätigen des Hebels konnte die Ratte den Stromstoß selbst auslösen. Genau das tat sie, und genau das taten auch die nächsten hundert Tiere, die eine Elektrode in einen der Dopamin produzierenden (dopaminergen) Kerne eingesetzt bekamen. Die Nager betätigten den Hebel immer und immer wieder, sogar im Fünf-Sekunden-Takt, bis fünftausendmal am Tag. Am Ende brachen sie erschöpft zusammen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war den Wissenschaftern klar, dass eine Stimulierung dieser Stelle das Verhalten der Tiere wie sonst nichts anderes beeinflusst. Lust ist das oberste Prinzip, nach dem wir handeln. Sie ist die einzig wahre Motivation.
So versteht man auch, warum der Schweinsbraten oder der Flirtblick in unserem Verhalten Priorität haben, und es überrascht nicht, dass Essen auch als »Sex des Alters« bezeichnet wird. Essen belohnt, wenn wir etwas geschafft haben: Nach einem Erfolg feiern wir mit etwas Gutem, ob zu Hause oder im Restaurant. Es belohnt aber auch, wenn wir Frust erleben oder unglücklich sind. Unbewusst wollen wir den Dopaminspiegel erhöhen. So gehen wir immer und immer wieder zum Kühlschrank oder zur Schublade mit den Süßigkeiten, manchmal zur Weinflasche. Auch Alkohol löst die Dopaminausschüttung aus und gibt uns ein wohliges Gefühl. Sind wir unglücklich verliebt, stürzen wir uns auch auf Schokolade. Wir suchen nach Belohnung, nach ein bisschen Glück! Umgekehrt vergessen wir aufs Essen und Trinken, wenn wir verliebt sind. Es heißt, dass die Verliebtheit den Magen zuschnürt. In diesem Fall haben wir so viel Dopamin im Umlauf, dass der Nahrungsverzicht nicht auffällt, man lebt gerne von Luft und Liebe! Und was mit dem Mann ist, der mir den Flirtblick zugeworfen hat? Er hat sich nie gemeldet. Möglicherweise war sein Drang mich wiederzusehen nicht ausreichend groß, ich dürfte in seinen Nucleus accumbens und Substantia nigra nicht den erhofften Dopaminsturm ausgelöst haben. Aber der Blick hat gut getan, ein bisschen Glück ist immer gut!
Experimentbox
Meine Nonna (Oma) Irene war eine kleine Bergbäuerin im italienischen Aostatal. Ihre Wiesen waren karg und abschüssig. Ihr Gemüse baute sie auf Terrassen an, die von Trockenmauern gestützt, mühsam mit einem umgeleiteten Bach bewässert wurden. Sie belieferte uns mit allem, was wir brauchten: Gemüse, Obst, Eier, Wurst, Suppenhühner und Kaninchenfleisch. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde – damals eine Spätgebärende, weil 33 –, fing Nonna Irene an, Wachteln zu züchten, in der Meinung, meine Mutter müsse öfter Fleisch essen: Zwei oder drei Wachteln in der Woche zu schlachten, sei ja kein großer Aufwand für sie, ja, für die Oma.
Eine Schwangere soll für zwei essen, heißt es. Diese Vorstellung stammt aus einer Zeit, als die Menschen von einer Mahlzeit nicht satt wurden. Dass ich es im Mutterleib nicht länger als sechseinhalb Monate aushielt, lag bestimmt nicht an der Ernährung meiner Mutter, die sehr abwechslungsreich, und man würde heute sagen »bio«, war. Meine Mamma behauptete, ich sei früher auf die Welt gekommen, weil ich zu neugierig war, um im Mutterleib zu bleiben. Schön gesagt. Gut war es für mich aber nicht. Mein Frühchen-Gehirn war nach sechseinhalb Monaten nicht so entwickelt wie jenes eines Babys, das neun Monate im Bauch seiner Mama verweilen darf. Mein Gehirn war kleiner, und vor allem war die Rinde, also die Oberfläche, die in den letzten drei Monaten vor der Geburt dicker wird, bestimmt noch relativ dünn und glatt, wenig gefaltet. Dies führt nicht selten zu Problemen in der kindlichen Entwicklung, zum Glück wusste meine Familie nichts davon.
Gehirnrinde (Kortex) und ihre Funktionen
Die Oberfläche unseres Gehirns, auch Kortex genannt, lateinisch für Rinde, besteht aus besonderen Zellen, den Neuronen. In sechs Schichten angeordnet, bilden sie eine Landkarte dessen, was wir sind, wissen und können. Für das Baby ist sie die Basis für sein künftiges Leben. Nachvollziehbar ist, dass die beste Entwicklung nur durch einen neunmonatigen Verbleib im Mutterleib gegeben ist. Im Fötus bildet sich die Rinde aus Stammzellen, also Zellen, die noch in einem »Rohzustand« sind. Aus dem Neuralrohr kommend, einer Struktur in der Tiefe des Gehirns, wandern sie – man sagt dazu »migrieren« – in jene Region des Kortex, wofür sie vorgesehen sind1. Erreichen sie ihre Bestimmungsorte, differenzieren sie sich: Sie werden zu Neuronen für unsere Sinne, also für Seh-, Gehör-, Riech-, Geschmacks- und Tastsinn sowie das Gleichgewicht, aber auch für Bewegung, Sprache, Denken, Lernen und Fühlen – für all das, was wir sind, wissen und können. Die »Zellproduktion« wird ab der siebten Schwangerschaftswoche auf 1.000 Neurone pro Minute hochgefahren. Bis zum Ende des neunten Monats müssen es ja um die 100 Milliarden werden. Während der fötalen Entwicklung ist unser Gehirn eine Großbaustelle, die ordentlich über die mütterliche Nahrungsaufnahme versorgt gehört.
Zur optimalen Ernährung des Babys im Mutterleib sind im Lauf der Jahrzehnte zahllose Vorschläge gemacht worden. Sie beziehen sich aber auf die allgemeine körperliche Gesundheit des Fötus, somit auch auf jene seines Gehirns als Organ, allerdings nicht auf die Auswirkungen der Ernährung auf die kognitiven – also geistigen – Fähigkeiten oder auf die Psyche des Kindes. Alle Ernährungsvorschläge richten das Augenmerk auf Lebensmittel, die Folsäure, Vitamine, Eisen, Jod, Kalzium und andere Spurenelemente enthalten. Unter diesen Substanzen ist Folsäure für die Entwicklung des kindlichen Gehirns tatsächlich unentbehrlich. In Lebensmitteln als Vitamin B9 vorkommend und künstlich als Folsäure hergestellt, unterstützt ihre Einnahme die Teilung und das Wachstum von Zellen. Dieses Spurenelement wird meistens am Anfang der Schwangerschaft als Nahrungsergänzung empfohlen, um das Risiko von Fehlbildungen des Neuralrohrs zu reduzieren. Bei Wirbeltieren ist das Neuralrohr jene Struktur, die im Lauf der fetalen Entwicklung zum zentralen Nervensystem wird, somit auch zum Gehirn.
Fehlbildungen des Neuralrohrs finden in den ersten vier Schwangerschaftswochen statt: Sie betreffen das Rückenmark, das sich spalten kann (Spina bifida), aber auch das Gehirn selbst, in dem noch wesentliche Teile, wie die Gehirnhäute, fehlen oder unterentwickelt sind (Anenzephalie). Kinder, die mit dieser Art von Fehlbildung auf die Welt kommen, überleben nur einige wenige Stunden. Um Neuralrohrdefekte zu reduzieren, werden in den USA und Kanada seit Mitte der 1990er-Jahre Mehl und Getreideprodukte mit Folsäure angereichert. Dadurch sind die Zahlen der Fehlbildungen auch nachweislich zurückgegangen2. Arme Länder hingegen, die aufgrund der Mangelernährung, aber auch der geringeren Möglichkeit, von Nahrungsergänzung Gebrauch zu machen, verzeichnen weiterhin diese Fehlbildungen des Nervensystems3. In Fachpublikationen wird in über 170 Ländern weltweit eine verpflichtende Zufuhr von Folsäure in Getreideprodukten empfohlen: Darunter fallen auch Deutschland, Österreich, die Schweiz und weitere europäische Länder4. Die Einnahme von Folsäure senkt ebenfalls das Risiko für Tumore im Gehirn und in der Wirbelsäule bei Kindern, wie ein Übersichtsartikel5 beschreibt. Vitamin B9 kann auf natürliche Art durch Weizenkeime, dunkelgrünes Gemüse und Hülsenfrüchte aufgenommen werden, idealerweise gemeinsam mit Vitamin B126. Letzteres ist am meisten in Innereien wie Leber und Niere, aber auch in Austern, Makrelen, Rindfleisch, Milchprodukten und in gewissen Algen enthalten.
Zentrales Nervensystem
Neuralrohrentwicklung
Zur Auswirkung einzelner Vitamine und Spurenelemente im menschlichen Gehirn greift die vorhandene Literatur nur auf Beobachtungen zurück: Zum einen kann man in einer natürlichen Ernährung Vitamine nicht voneinander trennen, zum anderen dürfen Experimente mit Menschen kaum durchgeführt werden. Schwangeren ist nicht zuzumuten, dass sie komplett auf ein Vitamin verzichten, um dessen Mangel auf die Entwicklung des kindlichen Gehirns zu prüfen. Die meisten Studien finden daher mit Tieren statt. Nager, Affen oder Schweine darf man während der Trächtigkeit einseitig füttern und die Mengen der jeweiligen Substanzen oder einer bestimmten Diät exakt dosieren. Dadurch ist es möglich, die Auswirkungen unterschiedlicher Arten von Ernährung und von Ernährungsmängeln auf das Gehirn der Brut zu testen. Der Unterschied zwischen Schweinen beziehungsweise Nagern und Menschen sind einige wenige Gene, und man kann davon ausgehen, dass die Resultate auch für Menschen in einem bestimmten Ausmaß aussagekräftig sind.
Eine der zahlreichen Studien mit Farbratten – jenen gefleckten, besonders zahmen Tieren, die zwar speziell für die Wissenschaft gezüchtet, aber auch als Haustiere gehalten werden – hat gezeigt, dass sich eine Diät der trächtigen Mutter mit hochdosiertem Vitamin A auf das Belohnungssystem der Brut auswirkt: Die Jungtiere werden zurückhaltender auf die Verlockungen durch Futter und zeigen weniger Interesse an zuckerhaltiger Nahrung7. Allerdings konnte die Wissenschaft bisher die Mechanismen in der Entwicklung des Fötus noch nicht identifizieren, die zu geschmacklichen Vorlieben führen. Man weiß allerdings, dass sich Nahrung im Mutterleib auf unsere Gene auswirkt. Inwiefern? Seit vielen Jahrzehnten haben wir die Vorstellung, dass wir ein Produkt unserer Gene sind, unverrückbar nach der klassischen Genetik definiert, wie wir sie im Biologie-Unterricht über die Mendelschen Regeln der Vererbung – ja genau die Erbsenkreuzungen – gelernt haben. So erkläre ich mir, warum ich grüne Augen und Sommersprossen habe, obwohl meine Eltern braune Augen hatten und ihre Haut in der Sonne auch sofort braun wurde: Ich bin wie Oma Irene geraten, habe ihre Augenfarbe geerbt und muss mich mit Sonnenschutzfaktor 50 ausrüsten, damit ich bei meinen Radtouren nicht krebsrot werde.
Die klassische Genetik kann äußerliche Merkmale erklären, aber Charakterzüge oder Verhaltensweisen, auch Krankheiten, nicht, vor allem, wenn sie im Familienverband noch nie aufgetreten sind. Die Mendelschen Gesetze decken daher nicht die enorme Verschiedenartigkeit unseres Seins, vor allem unserer geistigen Fähigkeiten und unserer Psyche, ab. So können Kinder mit demselben Erbgut unterschiedlich intelligent und kreativ sein. Sie können auch den Hang zu Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Krankheiten unterschiedlich voneinander entwickeln. Nach der Epigenetik, der Weiterentwicklung der klassischen Genetik, müssen wir, selbst wenn Genträger, nicht jene Eigenschaft oder Charaktermerkmale haben, die mit dem Gen verbunden sind. Nicht jeder, der das Gen für Depression in seinem Erbgut hat, muss auch depressiv sein. Das Gen muss im Lauf des Lebens zum Ausdruck gebracht werden, man sagt, »exprimiert«, also eingeschaltet werden. Das Gen enthält Teilprogramme, die schrittweise zur Krankheit führen. Es beginnt mit Schlaflosigkeit, später kommen die Stimmungsschwankungen, danach eine gestörte Wahrnehmung des Erlebten, eine inadäquate Kommunikation darüber, was man möchte, und so weiter. Der Mensch verändert sich laufend. All diese Schritte in Richtung Krankheit folgen aufeinander wie das Fallen von Dominosteinen. Allerdings gibt es vor dem ersten Domino-Stein eine Art Schalter, den Promotor.
Promotor und Transkriptionsfaktoren
Er kann das ruhende Gen aktiv werden oder es weiter »schlafen« lassen, abhängig von Transkriptionsfaktoren, die sich im Promotor einlagern. Dazu gehören Umwelteinflüsse, zum Beispiel das Fehlen von UV-Licht im Erwachsenenalter, aber auch Stress. Im Mutterleib zählen zu den Transkriptionsfaktoren die Ernährung und Substanzen, welche die Mutter über die Umwelt aufnimmt, wie Gifte im Essen, (Düngemittel oder Pestizide), Alkohol, Zigarettenrauch, aber auch psychosozialer Stress, der aus Konflikten stammt.
Ganz wichtig in diesem Zusammenhang sind Vitamine: Auch sie zählen zu den Transkriptionsfaktoren. So wirkt sich Vitamin A auf die Entwicklung des Belohnungssystems aus. Es unterstützt auch die Differenzierung von Stammzellen8 und verschiedene Wachstumsprozesse wie die Verlängerung der Axone9. In der Ernährung finden wir Vitamin A hochdosiert in der Leber verschiedener Tiere, daher auch in Lebertran und in orangefarbenem Gemüse, in Süßkartoffeln, Karotten, Kürbis, Aprikosen und Mango. Es findet sich ebenfalls in hohen Mengen in Butter und Grünkohl. Ernährt sich eine Schwangere bunt und abwechslungsreich, nimmt sie ausreichend Vitamin A für sich und ihr Kind auf. Vitamin D und K braucht der Fötus zur Entstehung und Differenzierung von Stammzellen10. Auch Wachstumsfaktoren, jene Substanzen, die das Wachstum der Zellen und somit das des Gehirns unterstützen11, entfalten ihre Wirkung, wenn diese Vitamine vorhanden sind. Vitamin K ist obendrauf an der Bildung von Blutgefäßen im Gehirn beteiligt.
Dass Vitamin B6 in der fetalen Gehirnentwicklung große Bedeutung hat, mussten wieder trächtige Farbratten beweisen. Einer Gruppe Tiere wurden täglich sechs Milligramm des Vitamins verabreicht, was einer durchschnittlichen Dosis entspricht, die man über die Nahrung aufnimmt. Die zweite Gruppe bekam den Vitaminzusatz, also die fünffache Menge (30 Milligramm) vom Vitamin B6, und eine weitere Gruppe wurde auf null Milligramm gesetzt. Die Forscher fanden heraus, dass der Vitaminmangel zur negativen Veränderung von Bauplänen im Gehirn der Jungtiere führte, welche die Ausschüttung und den Transport von Botenstoffen regeln. Nicht nur Dopamin, sondern auch Serotonin – der Neurotransmitter, der uns in der Balance hält –, und GABA – Gamma Aminobuttersäure, die uns Müdigkeit empfinden lässt12, sind davon betroffen. Vitamin B6 kommt in Milchprodukten, Leber, Fisch, Weizenkeimen, Hefe, Avocado, Hülsenfrüchten, Bananen, Vollkornprodukten, Kartoffeln und grünem Kohl vor.
Die Liste der Vitamine und Spurenelemente könnte man endlos fortsetzen, und immer kämen wir zur gleichen Aussage: Ihr Mangel wirkt sich schlecht auf das Wachstum des Fötus und das seines Gehirns aus, daher auch auf seine Psyche und seine kognitiven Fähigkeiten. Allerdings ist die Dosierung der Nahrungsergänzungen mit Vorsicht zu genießen: Von Land zu Land gelten unterschiedliche Richtlinien, zum Beispiel bei Vitamin D13, oder sie ändern sich mit der Zeit, wie bei der Folsäure14. Die Grenze zwischen einer nützlichen und einer schädlichen Menge ist für Laien schwer zu unterscheiden. Die Weltgesundheitsorganisation spricht Empfehlungen aus. Vorsicht ist dennoch geboten. Überdosierung von Vitaminen, auch Hypervitaminose genannt, kommt regelmäßig vor. Nahrungsergänzungsmittel sind günstig, überall zu haben und nicht verschreibungspflichtig. In der Meinung, dass mehr vom Guten mehr Gutes bewirkt, nahmen Schwangere in Boston sogar zwischen zwei- und siebenmal der empfohlenen Dosis an Folsäure, Vitamin A, D und E ein15, so eine Studie. Das muss Auswirkungen auf den Fötus haben. Auch die Häufigkeit der Einnahme ist ein wichtiges Kriterium: Mit 1.257 schwangeren Frauen wurden die zweimalige und die fünfmalige Einnahme von einem hochdosierten Kombipräparat aus Vitamin B12 und Folsäure untersucht und die Häufigkeit wurde mit dem Vorkommen von Autismus in Verbindung gebracht, »korreliert«, sagt man in der Wissenschaft. Die zweimalige Einnahme pro Woche senkte das Risiko von Autismus, die fünfmalige Einnahme allerdings steigerte es16. So dürfen Nahrungsergänzungsmittel nur unter professioneller Beratung eingenommen werden17, denn wir können die Auswirkung der Überdosierung auf das Gehirn des Fötus noch nicht einschätzen, trotz wissenschaftlicher Fortschritte. Im Zweifel ist gesunder Menschenverstand der beste Ratgeber: Frische und natürliche Lebensmittel, die möglichst abwechslungsreich zubereitet werden, sorgen auch für die größte Variation an Vitaminen und Spurenelementen für Mutter und Kind. In ihrer »natürlichen« Verpackung, also nicht isoliert und zusammen mit komplementären Substanzen, wirken sie am besten und das schließt eine Überdosierung aus. Ja, der Aufwand ist notwendig, für die Mama, aber vor allem auch für das Kind!
Ich bin Gedächtnisexpertin, aber wenn ich an großen neurowissenschaftlichen Konferenzen mit 25.000 bis 35.000 Wissenschaftern teilnehme, besuche ich auch Vorträge, die mit meinem eigenen Forschungsschwerpunkt nichts zu tun haben. Das Universum Gehirn fasziniert mich in jeder Facette, und ich schaue gerne über meinen wissenschaftlichen Tellerrand hinaus. So war in den 2010er-Jahren die Ernährung und ihre Auswirkung auf das Gehirn übergewichtiger Menschen Forschungsschwerpunkt. Im Fokus stand die sogenannte »westliche Diät«. Damit bezeichnet man jene Ernährung mit viel Fett, Kohlenhydraten, Zucker, Limonaden und stark verarbeiteten industriellen Lebensmitteln. Die westliche Diät sitzt auf der Anklagebank der Wissenschaft, denn sie verändert das Gehirn, auch jenes des Kindes im Mutterleib.
Mit 17 Yucatan-Minischweinen haben französische Forscher untersucht, wie sich die westliche Diät auf das Gehirn der ungeborenen Ferkel auswirkt18. Acht normalgewichtige Säue bekamen während der Trächtigkeit ein Standardfutter – Pflanzliches und Getreide – neun Säue die westliche Diät, bestehend aus hochkalorischen Pellets. Mit nur 17 Tieren waren die Resultate bereits eindeutig: Die westliche Diät der Sau steigerte die Reaktion der Ferkel auf Belohnung durch Futter. Mit anderen Worten war das Belohnungssystem der Neugeborenen bereits bei der Geburt aufgrund der Nahrung, die das trächtige Tier zu sich genommen hatte, verändert. Im Rückschluss auf den Menschen geht man davon aus, dass sich Kinder, deren Mütter sich während der Schwangerschaft westlich ernährt haben, mit Essen belohnen oder aber auch ihren Frust wegessen. Ist man auf Belohnung durch Essen empfindlicher, öffnet sich die Tür zum Übergewicht und zu den Problemen, die damit verbunden sind. Im Kopf der Ferkel hatte sich allerdings mehr getan. Der Hippocampus, die Weiterentwicklung des Neuralrohrs, jene Region des Gehirns, die auch außerhalb des Mutterleibs ein ganzes Leben lang Stammzellen produziert, war im Volumen kleiner, als bei Tieren, deren Mütter während der Trächtigkeit Pflanzliches und Getreide bekommen hatten. Im verkleinerten Hippocampus entstanden auch weniger Zellen als bei den anderen Ferkeln. Man darf nicht vergessen, dass die Stammzellen das Baumaterial des Gehirns sind, wie in einem Haus die Ziegeln. Haben wir weniger Baumaterial, werden wir ein kleineres Gehirn haben, das weniger kann, ein kleines Häuschen sozusagen, statt eines Schlosses. Es ist erschreckend, aber leider eine Tatsache: Zu viele Kalorien bei der Mutter verursachen schwerwiegende Veränderungen im Gehirn ihrer Nachkommen.
Die Auswirkungen der westlichen Diät bei Menschen darf die Wissenschaft aus ethischen Gründen nicht durch Experimente untersuchen. Sie muss sich daher auf Beobachtungen beschränken, in denen das Übergewicht der Mutter während der Schwangerschaft mit Veränderungen im Gehirn des ungeborenen Kindes in Zusammenhang gebracht wird. Aber was ist nun eigentlich Übergewicht? Es definiert sich über den BMI – Body-Mass-Index. Das ist ein Richtwert, in dem Körpergröße und Gewicht in Bezug zueinander stehen.
Die Waage macht keinen Unterschied zwischen Muskel und Fett. Daher sind ein Zehnkämpfer und ein Stubenhocker mit demselben BMI nicht gleichzusetzen. Der Sportler kann einen BMI im Grenzbereich haben. Sein hohes Gewicht ist durch die Muskelmasse bedingt. Die meisten von uns sind allerdings keine Muskelprotze: Jene Kilos, die wir mehr auf die Waage bringen, bestehen meistens aus Fett, leider! So bleibt der BMI für die meisten auch eine aussagekräftige Zahl, wenn es um Übergewicht geht. In wissenschaftlichen Publikationen startet die Beobachtung nach den Auswirkungen vom mütterlichen Übergewicht auf die kognitiven Fähigkeiten und die Psyche des ungeborenen Kindes bei einem BMI-Wert von >25. Mütter, die nicht in die Kategorie der Sportlerinnen fallen und diese Zahl aufweisen, beeinflussen laut Forschungsresultaten die Entwicklung des Gehirns ihres Kindes. Zum einen sind die intellektuellen (kognitiven) Fähigkeiten inklusive der messbaren Intelligenz des Kindes betroffen, zum anderen beobachtet man auch Störungen im Verhalten, bis hin zu psychischen Krankheiten.
Als Störung im Verhalten wird bereits übermäßige Aufnahme von Nahrung eingestuft, wenn das Kind über den Hunger hinaus isst. Eine Studie aus dem Jahr 2017 hat herausgefunden, dass Kinder übergewichtiger Mütter zu diesem Verhalten tendieren19. Es wird darauf zurückgeführt, dass die Kleinen weniger Andockstellen (Rezeptoren) für Dopamin haben, den Botenstoff, der unser Belohnungssystem steuert. Solche Andockstellen kann man sich wie passende Schlüssellöcher für den einen besonderen Neurotransmitter vorstellen. Sind sie in ausreichender Zahl vorhanden, verspürt das Kind Befriedigung durch die Nahrungsaufnahme. Sind sie aber in zu geringer Zahl da, muss es mehr essen, um zur Belohnung zu gelangen. So isst das Kind mehr und baut möglicherweise Übergewicht auf20. Auch die Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität (ADHS) wird in Zusammenhang mit Übergewicht bei der schwangeren Mutter gebracht21