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Unvorstellbar! Susannah scheitert an einem Baby. Ihre kleine Nichte hört nicht auf zu schreien. Zum Glück eilt Susannah ihr Nachbar Tom zur Hilfe und die Karrierefrau erkennt, dass die Liebe in ihrem Leben ganz nah sein könnte …
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Seitenzahl: 187
Debbie Macomber
Wo die Liebe hinführt …: Ist alles nur ein Spaß für dich?
Aus dem Amerikanischen von Ingrid Babl
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch
in der Harlequin Enterprises GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:
Rainy Day Kisses
Copyright © 1990 by Debbie Macomber
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Covergestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: Thinkstock/Getty Images, München; Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l
ISBN eBook 978-3-95649-405-5
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
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Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder
auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
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der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Susannah Simmons war klar, dass dieses Wochenende ein einziger Albtraum werden würde. Ihre Schwester Emily, eine perfekte Hausfrau und Mutter, hatte sie gebeten, auf ihre neun Monate alte Tochter Michelle aufzupassen.
„Emily, ich weiß nicht.“ Susannah hatte versucht, Ausflüchte zu erfinden, als ihre Schwester sie angerufen hatte. Was wusste sie mit ihren achtundzwanzig Jahren schon von Babys? Die Antwort lautete einfach nicht besonders viel.
„Ich bin völlig verzweifelt.“ Das musste wahr sein, denn sonst hätte Emily nicht bei ihr angefragt. Jeder wusste, dass Susannah nicht gut mit Kindern umgehen konnte. Sie war ganz einfach kein mütterlicher Typ. Für sie zählte nur ihre Karriere. Zinssätze, Verhandlungen, Problemlösungen, Mitarbeitermotivierung, das waren ihre Stärken, jedoch nicht Babybrei, Milchzähne und Windeln.
Es war wirklich verwunderlich, dass ihre Eltern zwei so grundverschiedene Töchter zur Welt hatten bringen können. Emily buk ihr eigenes Brot, hatte die Zeitschrift „der organische Garten“ abonniert und hängte ihre Wäsche zum Trocknen auf einer Leine im Garten auf.
Susannah hingegen war überhaupt nicht häuslich und hatte auch nicht die geringste Absicht, sich je um derartige Dinge zu kümmern. Dazu war sie viel zu sehr mit ihrer Karriere beschäftigt. Derzeit arbeitete sie als stellvertretende Leiterin der Marketingabteilung bei H & J Lima, der größten amerikanischen Firma für Sportartikel. Die Tätigkeit beanspruchte fast jede Minute ihrer Zeit. Diese Tatsache schien Emily momentan jedoch überhaupt nicht zu interessieren. Sie suchte dringend einen Babysitter.
„Du weißt, ich würde dich nicht darum bitten, wenn es sich nicht um einen Notfall handeln würde“, jammerte Emily.
Susannah spürte, wie sie allmählich weich wurde. Schließlich war Emily ihre kleine Schwester. „Du wirst doch jemanden finden können, der sich besser dafür eignet.“
Emily fing an zu schluchzen. „Ich weiß nicht, was geschieht, wenn du Michelle nicht nimmst. Robert verlässt mich.“
„Was!“ Nun hatte es Emily endgültig geschafft, sie zu überreden. Sie hatte ihren Schwager Robert Davidson immer für einen überaus zuverlässigen Menschen gehalten, den so leicht nichts erschüttern konnte. „Das kann ich nicht glauben.“
„Es ist aber wahr“, klagte Emily. „Er wirft mir vor, ich würde mich nur noch um Michelle kümmern und gar keine Zeit mehr für ihn haben. Ich weiß, dass er recht hat, aber eine gute Mutter zu sein, erfordert viel Zeit und Mühe.“
„Ich dachte immer, Robert wünscht sich sechs Kinder.“
„Das will er … oder wollte er.“ Emily fing wieder an zu weinen. „Oh, Emily, so schlimm kann es doch gar nicht sein“, versuchte Susannah ihre Schwester zu beschwichtigen. Dabei überschlugen sich ihre Gedanken. „Ich bin sicher, du hast Robert missverstanden. Er liebt dich und Michelle und hat sicherlich nicht die Absicht, euch beide zu verlassen.“
„Doch, das hat er“, beteuerte Emily zwischen zwei herzzerreißenden Schluchzern. „Er hat mich gebeten, jemanden zu finden, der auf unsere Tochter aufpasst. Wir brauchen ganz einfach mehr Zeit für uns, sonst wird unsere Ehe scheitern.“
Damit hatte sie Susannah endgültig überzeugt.
„Ich schwöre dir, Susannah, ich habe jeden Menschen angerufen, der schon einmal auf Michelle aufgepasst hat, aber niemand ist im Augenblick verfügbar, nicht einmal für eine einzige Nacht. Als ich Robert gestand, dass ich keinen Babysitter gefunden habe, wurde er fuchsteufelswild … Du weißt genau, das ist überhaupt nicht seine Art.“
Das wusste Susannah allerdings. Nicht ein einziges Mal in den fünf Jahren, die sie ihren Schwager mittlerweile kannte, hatte er seine Stimme erhoben.
„Falls ich zu diesem Wochenendausflug nach San Francisco nicht mitkomme, will er allein fahren. Glaub mir, ich habe mein möglichstes getan, um Michelle unterzubringen – ohne Erfolg. Und jetzt packt Robert seine Koffer. Er ist entschlossen, auch ohne mich zu verreisen. Und von der Menge der Gepäckstücke her zu schließen, glaube ich nicht, dass er danach wieder zurückkommen wird.“
Susannah war so in Gedanken versunken, dass sie Emilys Leidensgeschichte kaum mitbekommen hatte. Lediglich das Schlüsselwort „Wochenende“ drang bis zu ihr vor. „Ich dachte, du brauchst mich nur für eine einzige Nacht?“
„Wir fliegen am Sonntagnachmittag nach Seattle zurück. Am Samstagvormittag muss Robert irgendwelche geschäftlichen Angelegenheiten in San Francisco zu erledigen. Den Rest des Wochenendes hat er frei. Es ist schon so lange her, dass wir allein waren …“
„Zwei Tage und zwei Nächte“, rechnete Susannah laut.
„Oh bitte, Susannah, meine Ehe steht auf dem Spiel. Du bist immer so eine liebe große Schwester gewesen. Ich weiß, dass ich dich gar nicht verdient habe.“
Susannah musste ihr insgeheim zustimmen.
„Ich werde einen Weg finden, wie ich mich bei dir für diesen Gefallen bedanken kann“, fuhr Emily fort.
Susannah schloss die Augen. Wenn ihre Schwester ihre Dankbarkeit zeigen wollte, bedeutete dies meist frisch gebackenes Zucchinibrot – genau dann, wenn Susannah sich entschlossen hatte, eine Abmagerungskur zu machen.
„Susannah, bitte …“
Schließlich gab Susannah nach. „Also schön. Komm rüber und bring Michelle zu mir.“
Nachdem Emily und Robert das Baby bei ihr abgeliefert hatten, schwirrte Susannah der Kopf von all den Anweisungen.
Der Albtraum konnte beginnen.
Schon als Teenager hatte sie nur in äußerster Geldnot als Babysitter gearbeitet. Nicht, dass sie Kinder nicht mochte, aber sie hatte irgendwie das Gefühl, dass die Künder nicht mit ihr zurechtkamen.
Susannah hielt das strampelnde Kind an ihre Hüfte gepresst und ging in der Wohnung auf und ab. Dabei wiederholte sie noch einmal, was sie beachten sollte. Sie wusste, was sie bei Koliken oder Hautreizungen, die vom Windeltragen kamen, tun sollte. Aber niemand hatte ihr erklärt, wie sie Michelle davon abhalten konnte, laut zu weinen und zu schreien.
„Pssst“, zischte Susannah und wiegte ihre Nichte in den Armen. Das Kind entwickelte plötzlich eine Lautstärke, die jeden Tarzanschrei übertroffen hätte.
Nach fünf Minuten war Susannah mit ihrer Geduld allmählich am Ende. Bald würde sie in ihrer Wohnung Schwierigkeiten bekommen. Im Mietvertrag stand ausdrücklich „keine Kinder“.
„Hallo, Michelle, erinnerst du dich an mich?“ Susannah versuchte verzweifelt, den Winzling in ihren Armen zu beruhigen. Große Güte, musste das Kind nicht irgendwann einmal Atem holen? „Ich bin’s, deine Tante Susannah.“
Michelle war nicht sonderlich beeindruckt. Im Gegenteil, sie steigerte ihre Lautstärke sogar noch und starrte zur Tür, als erwarte sie, dass ihre Mutter wie durch ein Wunder wieder auftauchen würde, wenn sie nur ausreichend laut und beharrlich schrie.
„Glaub mir, Kleines. Wenn ich einen Trick wüsste, um deine Mutter wieder herbeizuzaubern, würde ich ihn sofort anwenden.“
Emily war nun genau zehn Minuten fort. Susannah überlegte sich mittlerweile ernsthaft, ob sie den Kinderhilfsdienst anrufen und einfach behaupten sollte, man habe ihr ein unbekanntes Baby vor die Türschwelle gelegt.
„Deine Mama ist ja bald wieder da“, versuchte sie zu trösten.
Michelle schrie nur noch lauter. Weitere qualvolle Minuten verstrichen, wobei jede einzelne eine Ewigkeit dauerte. Inzwischen war Susannah verzweifelt genug, um zu singen. Da sie keine Wiegenlieder kannte, begann sie etwas aus ihrer Kinderzeit zu singen. Nach wenigen Minuten fiel ihr jedoch nichts mehr ein. Außerdem schien Michelle sowieso nicht besonders begeistert zu sein. Da Susannah mit der neuesten Hitliste nicht vertraut war, griff sie auf einige alte Weihnachtslieder zurück – auch wenn sie es nicht gerade passend fand, „Stille Nacht, Heilige Nacht“ mitten im September zu singen.
„Michelle“, bettelte Susannah. Sie würde sogar einen Kopfstand versuchen, nur um das Kind damit zu beruhigen. „Deine Mama kommt ja wieder. Ich verspreche es dir.“
Offensichtlich glaubte ihre Nichte ihr nicht.
„Was hältst du davon, wenn ich ein Sparbuch für dich einrichte?“, versuchte Susannah als nächstes. „Das ist ein Angebot, das du nicht zurückweisen kannst.
Michelle interessierte sich jedoch nicht für diesen Bestechungsversuch.
„Na schön“, seufzte Susannah verzweifelt. „Ich werde dir meine IBM-Aktien überschreiben. Aber das ist endgültig mein letztes Angebot. Du solltest es annehmen, solange ich noch so großzügig bin.“
Michelle antwortete, indem sie sich mit ihren dicken Fingerchen an Susannahs Kragen festklammerte und ihr nasses Gesicht an der fleckenlosen weißen Seidenbluse verbarg.
„Du bist wirklich eine harte Nuss, Michelle Margaret Davidson.“ Susannah lief in der Wohnung hin und her und tätschelte ihrer Nichte dabei den Rücken. „Offensichtlich gibst du dich mit nichts zufrieden, Kleines.“
Eine halbe Stunde, nachdem Emily sich verabschiedet hatte, war Susannah den Tränen nahe. Sie hatte wieder zu singen begonnen, als sie plötzlich ein heftiges Klopfen an der Tür hörte.
Wie ein Dieb, der auf frischer Tat ertappt wurde, schrak sie zusammen und wirbelte herum. Vermutlich war der unerwartete Besucher der Hausmeister, bei dem sich die anderen Mieter beklagt hatten. Nun würde er sie zur Rede stellen.
Mit einem tragischen Seufzer erkannte Susannah, dass sie nichts zu ihrer Verteidigung vorbringen konnte. Die einzige Möglichkeit war, sein Mitleid zu erwecken. Sie richtete sich auf und ging zur Tür.
Draußen stand jedoch nicht der Hausmeister, sondern Susannahs neuer Nachbar. Er trug eine Baseballmütze und ein ausgebeultes T-Shirt und blickte sie finster an.
„Das schreiende Baby kann ich ja noch ertragen, aber Ihr Gesang ist wirklich zu viel.“ Dabei verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Türrahmen.
„Sehr lustig“, brummte sie.
„Offensichtlich ist mit dem Baby auf Ihrem Arm etwas nicht in Ordnung.“
Susannah starrte ihn wütend an. „Sie kommen sich wohl besonders klug vor?“
„Warum tun Sie denn nichts?“
„Ich versuche es doch ständig.“ Anscheinend mochte Michelle den fremden ebenso wenig wie Susannah, denn sie versteckte ihr Gesicht am Kragen ihrer Tante. Dadurch klangen wenigstens die Schreie etwas gedämpfter, aber der weißen Seidenbluse tat es sicherlich nicht besonders gut. „Ich habe ihr schon meine IBM-Aktien angeboten“, erklärte Susannah. „Sogar ein Sparbuch habe ich ihr versprochen.“
„An etwas zu essen haben Sie nicht gedacht?“
„Essen?“, wiederholte Susannah. Der Gedanke war ihr tatsächlich nicht gekommen. Emily hatte ihr erzählt, dass sie Michelle bereits gefüttert hatte. Nun fiel Susannah ein, dass ihre Schwester eine Flasche erwähnt hatte.
„Das arme Ding ist vielleicht am Verhungern.“
„Richtig, sie sollte ihre Flasche bekommen.“ Susannah ging ins Wohnzimmer und durchsuchte die verschiedenen Gepäckstücke, die Emily und Robert zusammen mit der Babyausstattung in ihrer Wohnung hinterlegt hatten. „Sie muss hier irgendwo sein.“
„Ich suche, während Sie das Kind beruhigen.“
Susannah hätte beinahe laut losgelacht. Wenn es ihr gelungen wäre, Michelle zu beruhigen, wäre ihr Besucher gar nicht hier.
Ohne eine Einladung abzuwarten, folgte der Mann ihr ins Wohnzimmer und durchsuchte eines der Gepäckstücke. Dabei zog er verwundert einen Stapel frisch gewaschener Stoffwindeln heraus. „Ich wusste gar nicht, dass man diese Dinger heutzutage noch verwendet.“
„Meine Schwester hält nichts von Wegwerfwindeln.“
„Kluge Frau.“
Susannah unterdrückte eine Antwort, als sie bemerkte, dass er die Plastikflasche gefunden hatte. Er schraubte die Schutzkappe ab und reichte ihr die Flasche.
„Sollte man die Milch nicht aufwärmen?“
„Sie hat doch Zimmertemperatur. Die Kleine wird im Augenblick sicherlich nicht besonders wählerisch sein.“
Kaum hatte Susannah den Gumminippel in den Mund ihrer Nichte gesteckt, packte Michelle die Flasche mit beiden Händen und saugte gierig daran. Zum ersten Mal, seit ihre Mutter gegangen war, hörte Michelle auf zu weinen. Die Stille war herrlich. Susannah stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus.
„Vielleicht sollten Sie sich besser hinsetzen“, schlug ihr Nachbar vor.
Sie folgte seinem Rat und setzte sich vorsichtig auf das Sofa, wobei sie das Baby behutsam an sich drückte.
„So ist es doch besser, nicht wahr?“
Ihr Besucher schob die Baseballmütze in den Nacken und schien mit sich sehr zufrieden zu sein.
„Sehr viel besser.“ Sie lächelte ihn schüchtern an und betrachtete ihn zum ersten Mal genauer. Sie musste zugeben, dass ihr neuer Nachbar ausgesprochen gut aussah. Vermutlich würden die meisten Frauen seine schelmischen blauen Augen und seine gebräunte Haut sehr attraktiv finden. Sie hätte einen ganzen Monatslohn verwettet, dass seine Hautfarbe nicht von Besuchen im Sonnenstudio, sondern von zahlreichen Aufenthalten im Freien herrührte. Also scheint er nicht besonders häufig zu arbeiten, jedenfalls nicht in einem Büro. Ehrlich gesagt bezweifelte sie, dass er überhaupt einer regelmäßigen Arbeit nachging. Die Kleidung, die er trug, und die vielen Stunden, die er zu Hause verbrachte, hatten sie früher bereits zu Vermutungen über ihn veranlasst. Aber er musste Geld haben, sonst hätte er sich die hohe Miete nicht leisten können. Vermutlich hatte er irgendwann einmal eine Erbschaft gemacht.
„Es ist an der Zeit, dass ich mich vorstelle“, sagte er und setzte sich in einen Sessel. „Ich bin Tom Townsend.“
„Susannah Simmons“, erwiderte sie und streckte ihm die freie Hand entgegen. „Tut mir leid wegen der Unannehmlichkeiten. Meine Nichte Michelle und ich, wir lernen uns gerade kennen, und wie es aussieht, wird das wohl ein schrecklich langes Wochenende, das uns da bevorsteht.“
„Heißt das, dass Sie das ganze Wochenende babysitten werden?“
„Zwei Tage und zwei Nächte.“ Für Susannah klang das wie ein ganzes Leben. „Meine Schwester und ihr Mann verbringen gerade ihre zweiten Flitterwochen. Normalerweise passen meine Eltern auf Michelle auf, aber im Augenblick besuchen sie Freunde in Florida.“
„Das ist aber sehr nett, dass Sie sich zur Verfügung gestellt haben.“
Susannah hielt es für das beste, die ganze Sache richtigzustellen. „Glauben Sie mir, ich habe mich nicht freiwillig bereit erklärt. Für den Fall, dass es Ihnen entgangen ist, ich bin nicht gerade ein mütterlicher Typ.“
„Sie müssen den Rücken der Kleinen etwas besser stützen“, erklärte er, während er sein Gegenüber beobachtete.
Obwohl sie sich dabei nicht wohlfühlte, befolgte Susannah seinen Rat. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass ich mich als Mutter nicht besonders gut eigne. Wenn Sie glauben, alles besser zu können, dann füttern Sie sie doch.“
„Sie machen es doch schon recht gut. Wenn Sie sich noch etwas entspannen, klappt es bestens. Übrigens, wann haben Sie eigentlich zuletzt etwas gegessen?“
„Wie bitte?“
„Sie scheinen ebenfalls hungrig zu sein.“
„Das bin ich aber nicht“, entgegnete Susannah trotzig.
„Das nehme ich Ihnen nicht ab. Aber lassen Sie nur, ich kümmere mich darum.“ Er ging zielstrebig in ihre Küche. „Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie etwas im Magen haben.“
Susannah nahm Michelle auf den linken Arm und folgte ihm. „Sie können doch nicht einfach hier hereinplatzen …“
„Natürlich kann ich nicht“, murmelte er und steckte den Kopf in den Kühlschrank. „Ist Ihnen klar, dass sich hier drinnen nichts befindet – außer einer halb vollen Limonadenflasche und einem Glas mit Essiggurken?“
„Ich brauche keine Vorräte, denn ich esse sehr viel auswärts“, verteidigte sie sich.
„Das sieht man.“
Mittlerweile hatte Michelle ihre Flasche geleert, und Susannah nahm sie ihr ab. Die Augen des Babys waren geschlossen. Kein Wunder, dachte Susannah, wahrscheinlich ist sie völlig erschöpft. Ich bin es jedenfalls, und dabei war es erst sieben Uhr abends. Das Wochenende fing gerade erst an.
Sie stellte die leere Flasche auf die Küchenanrichte, legte das Baby über die Schulter und klopfte ihm leicht auf den Rücken, bis sie ein leises Bäuerchen hörte. Zufrieden lächelte Susannah vor sich hin. Tom lachte leise. Als sie zu ihm hinüberblickte, bemerkte sie, dass er sie mit einem breiten Grinsen beobachtete.
„Sie machen das wirklich großartig.“
Verlegen senkte sie die Lider. Sie hatte es nie besonders gemocht, wenn ein Mann sie musterte und ihre Gesichtszüge eingehend studierte. Susannah fand, dass sie zu streng aussah, um als Schönheit zu gelten. Ihre Augen waren ungewöhnlich dunkel und tief liegend und betonten ihre hohen Wangenknochen. Mit ihrer geraden Nase und dem vollen Mund erinnerte sie an eine griechische Skulptur. Nicht sehr hübsch, war Susannahs Urteil, aber vielleicht interessant.
Ihre Gedanken wurden von Michelle unterbrochen, die sich plötzlich bewegte, fröhlich zu plappern begann und mit einer Hand in Susannahs Haar fasste. Dabei schaffte sie es, die Nadeln aus dem Nackenknoten zu lösen, und nun fielen die langen Strähnen ungeordnet herab. Wenn es etwas gab, worauf Susannah besonderen Wert legte, dann war es ihr makelloses Aussehen. Sie musste mittlerweile wirklich einen seltsamen Anblick bieten in ihrem eleganten Kostüm mit der verfleckten weißen Seidenbluse und dem losen, über die Schulter fallenden Haar.
„Ehrlich gesagt habe ich schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, Sie kennenzulernen“, bemerkte Tom. „Aber nachdem wir uns anfangs ein paarmal begegnet sind, schienen sich unsere Wege nie wieder zu kreuzen.“
„Ich habe in der letzten Zeit viele Überstunden gemacht.“ In Wahrheit arbeitete sie regelmäßig länger. Häufig brachte sie auch noch Arbeit mit nach Hause. Sie war ehrgeizig und liebte ihren Beruf sehr. Ihr Nachbar hingegen sah nicht so aus, als besäße er diese Eigenschaften. Sie hatte den starken Verdacht, dass Tom Townsend im Leben alles in den Schoß gefallen war. Bisher hatte sie ihn noch nie ohne seine Baseballmütze oder ein T-Shirt gesehen. Irgendwie bezweifelte sie, dass er überhaupt einen Anzug besaß. Und falls doch, musste er sicherlich sehr komisch darin wirken. Tom Townsend war zweifelsohne ein Mann für Jogginganzüge und sonstige Sportkleidung.
„Ich freue mich auch, dass wir Gelegenheit hatten, uns kennenzulernen“, meinte Susannah und ging durchs Wohnzimmer zurück zur Eingangstür. „Vielen Dank für Ihre Hilfe, aber wie Sie selbst gesagt haben, werden Michelle und ich nun bestens zurechtkommen.“
„Als ich klopfte, klang es nicht so.“
„Da habe ich auch gerade meine ersten Erfahrungen gemacht“, erwiderte sie. „Außerdem haben Sie mich doch gerade eben gelobt.“
„Ich habe ganz einfach gelogen.“
„Und warum das?“
Tom zuckte mit den Achseln. „Es war offensichtlich, dass Sie eine Stärkung Ihres Selbstvertrauens nötig hatten.“
Susannah funkelte ihn an. „Ich habe Sie nicht um Ihre Hilfe gebeten.“
„Möglicherweise nicht“, stimmte er ihr zu, „aber Michelle hat mich gebraucht. Das arme Kind war am Verhungern, und Sie hatten nicht die geringste Ahnung.“
„Ich wäre schon noch dahintergekommen.“
Tom sah sie an, als bezweifle er ihre Intelligenz. Susannah runzelte die Stirn. Wütend riss sie die Tür auf. „Vielen Dank für Ihren Besuch, aber wie Sie sehen, habe ich alles unter Kontrolle.“
„Wie Sie meinen.“ Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln und ging ohne ein weiteres Wort davon.
Susannah warf mit einem Hüftschwung die Tür zu und verspürte dabei große Zufriedenheit. Ihr war durchaus klar, dass dies ein kindisches Benehmen war, aber Tom hatte sie irgendwie dazu herausgefordert.
Wenig später hörte Susannah aus der Nebenwohnung die Klänge einer italienischen Oper herüberdringen. Zumindest hielt sie es für italienische Musik. Sofort dachte sie an Spaghetti, und nun fiel ihr auf, wie hungrig sie war.
„Meine liebe Michelle“, sagte sie lächelnd zu ihrer Nichte, jetzt ist es an der Zeit, dass deine Tante auch etwas zu essen bekommt.“ Sie setzte das Baby in den hohen Kinderstuhl und durchsuchte dann den Inhalt des Gefrierschranks. Das einzige, was sie fand, war eine tiefgefrorene mexikanische Vorspeise. Sie schaute lustlos die Abbildung auf der Verpackung an und legte die Schachtel zurück.
Michelle schien ihrem Entschluss zuzustimmen, denn sie klatschte begeistert in die Hände.
Die beschwörenden Töne der Musik wurden durch die dicken Wände leider allzu sehr gedämpft. Um sie besser zu hören, öffnete Susannah die Schiebeglastür zu ihrem Balkon, der nur durch eine halbhohe Mauer von Toms Balkon getrennt war. Nun konnte man die Musik deutlicher hören. Susannah trat hinaus. Der Abend war angenehm kühl. Die Sonne ging gerade unter und warf goldene Schatten über die Bucht von Seattle, die man von ihrer Wohnung aus sehen konnte.
„Michelle“, klagte sie, als sie wieder ins Wohnzimmer zurückkehrte, „er kocht etwas, das wie Lasagne oder Spaghetti riecht.“ Da ihr Magen knurrte, lief sie in die Küche, um doch die mexikanische Vorspeise hervorzuholen.
Ein schwacher Knoblauchduft wehte über den Balkon in ihre Wohnung. Wie ein Hund folgte sie dem Geruch und atmete mehrmals tief ein. „Das ist offensichtlich ein italienisches Gericht. Es riecht köstlich.“
Michelle patschte auf das Tablett, das an ihrem Kinderstuhl angebracht war.
„Oder Knoblauchbrot?“ Sie sah ihre Nichte fragend an, die jedoch nicht reagierte. Kein Wunder, du hast deine Mahlzeit gehabt, überlegte Susannah. Unter normalen Umständen wäre sie nun zu „Mama Mataloni“, einem bekannten italienischen Restaurant, gegangen, das nicht weit von ihrer Wohnung entfernt war.
Widerwillig stellte Susannah das Fertiggericht in den Mikrowellenherd und schaltete die Zeituhr ein. Als es an der Tür läutete, schaute sie Michelle fragend an, als könne sie ihr erzählen, wer diesmal draußen stand.
Wieder war es Tom. In den Händen hielt er einen Teller Spaghetti und ein Glas Rotwein. „Haben Sie sich mittlerweile etwas zu essen gemacht?“
Susannah konnte den Blick nicht von den dampfenden Nudeln mit der roten Soße abwenden. Tom hatte frischen Parmesan darauf gestreut, der gerade zu schmelzen begann. Am Tellerrand lag eine Scheibe geröstetes französisches Weißbrot. Noch nie war ihr ein Gericht so verlockend erschienen.
„Ich habe gerade etwas in den Mikrowellenherd geschoben“, sagte sie und deutete in Richtung Küche.
„Leider war ich vorhin etwas hochnäsig.“ Er drückte ihr den Teller in den Hand. „Nehmen Sie das als Friedensangebot.“
„Das ist … für mich?“ Woher wusste er, dass sie so hungrig war?
„Die Soße hat fast den ganzen Nachmittag auf dem Herd geköchelt. Ich bilde mir ein, dass ich etwas vom Kochen verstehe. Gelegentlich erprobe ich meine Künste in der Küche.“
„Wie nett.“ Sie stellte sich vor, wie er am Herd stand und in einem Soßentopf rührte, während der Rest der Welt sich abmühte, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber eigentlich sollte sie ihm dankbar sein! In Gedanken entschuldigte sie sich bei ihm. Dann ging sie in die Küche, nahm eine Gabel aus der Schublade und setzte sich an den Tisch.
Der erste Bissen verriet ihr alles, was sie wissen musste. „Das ist köstlich.“ Sie nahm eine zweite Gabel voll Nudeln und rollte mit den Augen. „Traumhaft! Wunderbar!“
Tom holte eine kleine Salzstange aus der Hemdtasche und reichte sie Michelle. „Und das hier ist für dich, meine Süße.“
Während Michelle zufrieden kaute, nahm Tom sich einen Stuhl und setzte sich neben Susannah, die jedoch mit dem Essen viel zu beschäftigt war, um auf ihre Umwelt zu achten.
Endlich blickte sie auf und bemerkte, dass er die Stirn gerunzelt hatte. „Stimmt etwas nicht?“ Sie wischte sich mit der Serviette den Mund ab und trank einen Schluck Wein.
„Ich rieche etwas“, sagte er naserümpfend.
Offensichtlich war es kein angenehmer Geruch. „Vielleicht brennt mein Essen an?“
„Ich glaube nicht. Mir scheint eher“, meinte Tom gelassen, „dass irgendjemand Michelles Windeln wechseln sollte.“