Jack Kerouac - Axel von Cossart - E-Book

Jack Kerouac E-Book

Axel von Cossart

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Beschreibung

"I like ecstasy of the mind". Eines der Leitmotive bei Jack Kerouac - wie den Beats - ist der Wahn, die Verrücktheit, die Halluzination. Ein gutes Gedächtnis und ausgefeilte Beobachtungsgabe befähigen Kerouac zum Schreiben über tatsächliche Begebenheiten mit wahren Menschen: Plots im traditionellen Sinne gibt es nicht, die Protagonisten machen auch keine Entwicklung durch, weshalb man Kerouac bei der verbissenen Übereinstimmung von Fakt und Fiktion auch weniger als Literaten denn als Faktualisten bezeichnet. Die Story ereignet sich in der Form von Blitzen, Blinken, Flashes; vergleichbar den Jazzern der Zeit, Coltrane oder Parker, die sich auch stets auf der Suche nach neuen Klängen befanden. Die Momente zählen, bei denen sich Visionen großartigen Ausdrucks ins Gehirn prasseln, tosen, donnern, toben... Kerouac führt in neue Haltungskategorien, läßt die Idee der offenen Räume entstehen mit ihrer Assoziation des Unverdorbenen, Eigentlichen, Direkten, die im klassischen Vorbild Huck Finn veranlaßt hatte "to light out for the territory".

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Jack

“Warum, warum weiß ich nur so wenig

über mein eigenes Leben, nur diese

wenigen Hinweise, entfernten Andeutungen

und diese Indiskretionen, die ich aber

immer wieder suche, aufsuche,

um sie hier aufzuschreiben.” (Walt Whitman)

INHALTSVERZEICHNIS Abkürzungsverzeichnis

Einleitung: Jack Kerouac und die Beats

Bibliographische Chronologie)

Kapitel eins: Kindheit in Lowell; New York

Kapitel zwei: A strange trio

Kapitel drei: Roman-Visionen

Kapitel vier: On the Road

Kapitel fünf: Action Writing

Kapitel sechs: Mexico; Mardou

Kapitel sieben: Buddhismus, “Visions of Gerard”

Kapitel acht: Berkeley; Six Gallery-Reading

Kapitel neun: “Dharma Bums”

Kapitel zehn: “Desolation Angels”

Kapitel elf: Bixby Canyon; “Big Sur”

Zeittafel

Literatur

Für Zitate aus dem Werk Jack Kerouacs stehen Abkürzungen:

BoD

Book of Dreams

BS

Big Sur

DB

Dharma Bums (“Gammler, Zen und hohe Berge”)

DA

Desolation Angels (“Engel, Kif und neue Länder”)

DS

Doctor Sax

GBO

Good Blonde & Others

JK

Jack Kerouac

JKLe

Jack Kerouac Letters

JKSL

Jack Kerouac: Selected Letters, 1940-1956/ 1957-1969

LT

Lonesome Traveller

NC

Neal Cassady

MC

Maggie Cassidy

OAM

Old Angel Midnight

OTR

On the Road (“Unterwegs”)

SDGE

Die Schrift der Goldenen Ewigkeit

SoGE

Scripture of the Golden Eternity

SP

Satori in Paris

T

Tristessa

TS

The Subteranneans (“Bebop, Bars und weißes Pulver”)

TSB

The Sea is my Brother

TTatC

The Town and the City

TTB

Traumtagebuch

VoC

Visions of Cody

VoD

Vanity of Duluoz (“Die Verblendung des Duluoz”)

VoG

Visions of Gerard

WU

Wake Up. A Life of the Buddha

EINLEITUNG (Jack Kerouac und die Beats)

Jack Kerouac ist der bekannteste und produktivste Sprecher der “Beat Generation”. In seinem Erfolgswerk “On the Road” (“Unterwegs”) hat er im Überschwang amerikanischer Lebenslust eine männliche, direkt auftretende, freie, unbürgerliche Idealfigur geschaffen, Dean Moriarty. Ein Freund, der ihn wie etwa Allen Ginsberg oder William Burroughs durch seine extrem autobiographischen Bücher begleitet, die in einem gänzlich eigenen Stil von Abgeschiedenheit und Begegnungen erzählen. Da Jack Kerouacs Leben seinen Werken entspricht, können viele Begebenheiten den entsprechenden Textstellen seiner Bücher entnommen werden – keiner vermag treffender zu formulieren als der Autor, seine Hauptperson.

“Mehr will ich gar nicht vom Leben. So gefällt es mir. Ich mag lieber auf Güterzügen durch die Gegend trampen und mein Essen aus Dosen auf Holzfeuern kochen als reich sein und ein Zuhause haben oder arbeiten. Ich bin zufrieden.” (DB)

Jack Kerouac (“Ich bin der Bop-Schriftsteller”; TS) gilt als der erste ausgeprägte Angehörige der Nachkriegsgattung des Beat-Transkontinental-Amerikaners. In New York zählte er zu seinen Bekannten Schriftsteller, Musiker, Maler, Hipster und an der Westküste setzte er gleichermaßen starke Strömungen mit Lyrikern und Künstlern in Gang. Kerouac kennen zu lernen heißt, sein Bedürfnis nach Aufrichtigkeit, unverfälschtem Stil, Leben, Liebe, Erfahrung als nichtdoktrinäre Ideologie in sich aufzunehmen. Eine permanente Unruhe und persönliche Querelen, gepaart mit Gleichmut und Verständnis zeichnet auch seine protokollarische Schreibweise aus. Jack Kerouac ist seine Hauptfigur etwa als Peter Martin in “The Town and the City”, Sal Paradise in “On the Road”. Jack Duluoz in “Vanity of Duluoz”, Leo Perciped in “The Subterraneans” und Ray Smith in “Dharma Bums”.

“Ich werde der Madonna Kerzen anzünden, ich werde die Madonnen malen und Eiskrem, Benzedrin und Brot essen - “Koks und Räucherschinken”, wie Bhikku Booboo sagte - Ich werde im Winter nach Süd-Sizilien fahren und Erinnerungen an Arles malen - Ich werde mir ein Klavier kaufen und mich in Mozart reinschaffen - Ich werde lange traurige Geschichten über die Menschen in der Legende meines Lebens schreiben - Dies ist meine Rolle in dem Film, laßt hören, was ihr zu sagen habt - Solo.” (T)

Wie in Hölderlin der Wunsch nach einer besseren Welt blühte - eine gefährliche Blume seiner Zeit -, so erblickte Walt Whitman (1819-1892) in den fruchtigen Weiten Amerikas die Verheißung für eine herrliche und gesunde Zukunft der Menschheit. Hier würde genug sein für alle; unter dem wärmenden Licht der Sonne, inmitten der sprießenden Kornfelder schienen ihm alle Menschen der Liebe wert. In der Zuversicht auf eine solch lobenswerte Zeit war alles Böse und Hässliche der Gegenwart hinzunehmen, man konnte es beinahe umarmen, ohne Furcht - als eine bloße Stufe zum Guten hin. Ebbe und Flut der Mitmenschen, aller Schmutz gerann zu einem Staubkorn, das vor der gewaltigen Sonne des Kommenden dahinschwand. Henry Miller nannte das auch “The state of the happy rock”, wie Walt Whitman dem Leben im unerschütterlichen Zustand begegnen möchte, wie dies “die Bäume und die Tiere vormachen”.

Neben seiner Vielschreiberei weiß man um die im Gesamtwerk bestätigte Belesenheit Jack Kerouacs: Walt Whitman (“Leaves of Grass”, 1855) stand der Natur sehr nahe. Die Erde, das Wasser, die Pflanzen waren seine Elemente. Auch die Menschen empfand er als pflanzenhaft. Sie verkörperten für ihn Landschaften und das wilde, fröhlich ungestüme Pulsieren des Lebensstroms. Whitman wies auf den Unterschied der Persönlichkeit, dem Ego, und dem tiefen inneren Selbst, der Seele, hin, wenngleich er sich stets gerne als einfachen Menschen darzustellen suchte. So war er der Ansicht, das Selbst habe dieselbe Bedeutung wie der allgemeine Geist, gleichwohl er dies nicht mit der Auffassung verwechselt wissen wollte wie sie indianischen Philosophen eigen war (“Atman is Brahman”). Whitman glaubte vielmehr, dass sich wahres Wissen nicht durch Sinneskraft oder den Verstand sondern durchs Einssein mit der eigenen Person erfassen ließe. In solchen Momenten seiner Glückseligkeit sprach er gerne davon, “gut im Leben zurecht zu kommen”.

Er bog in einem langsamen und schwerfälligen Galopp in die Straße, beide, Mann und Tier, ein wenig steif nach vorn gebeugt, gespenstisch, wie um eine wahnsinnige Hast vorzutäuschen, obwohl wirkliche Eile fehlte, als seien bei jener unerbittlich unbeugsamen Gewißheit von zugleich Allmacht und Hellsicht, an der sie beide teilhatten, ein genaues Ziel und Hektik gar nicht mehr nötig. – Solch eine Passage mag der amerikanischen Literatur entstammen: Amerika, wo die Fabrikschornsteine höher sind als Kirchtürme, ein Land der Selfmademen, Cowboyhüte und Barhocker, Vieh und Öl, wo für Literatur nicht allzu viel Platz zu sein scheint.

Eine ganze Gruppe von Schreibern vermochte es indes, die Weltöffentlichkeit auf sich zu lenken - die Schriftsteller der “Beat Generation”.

Mit Autoren wie Barbara Salomon oder J. D. Salinger haben sie manches gemeinsam: Das aus dem Vertrauen zur Freiheit des amerikanischen Menschen entstandene Kraftgefühl, den Abscheu vor allen konventionellen, maschinisierten, unpersönlichen Verhaltensweisen, eine greifende Unruhe, die gründliche Indifferenz gegenüber Vergangenem, vor allem der jüngsten Vergangenheit.

“The brotherhood of mankind – erkannte ich zuletzt in der pathetischen Miene eines verkrüppelten siebzehnjährigen Jungen. Ich weiß es gibt sie – in seiner Haltung, mein Ideal – die Vorstellung, die wir alle anstreben, der einen gemeinsamen Menschheit. Ich weiß jetzt, daß es das ist, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe… Die Hauptforderungen meines Ideals lauten: Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Toleranz und Freundlichkeit… Das Leben ist eine gigantische und komplizierte Symphonie, gedeiht indes unter den Augen des Verständigen zu einem sauber vibrierenden Akkord… Dieses Ideal, das Armut und Elend durchzieht, gelangt schließlich auf den Gipfel eines Berges und verbleibt auf dieser Bergspitze. Dies ist Bestimmten vorbehalten, einer Gruppe, die ihre Häuser öffnet und den Fremden willkommen heißt. (TSB)

Die “Beat Movement” genannte Erscheinung hält als Erklärungsversuch ihrer Zeit an ihrem Ort für Entwicklungen in Deutschland bzw. Frankreich her. Die Politisierung der Deutschen, die Jahre 1968 und die Gegensätze, die sich z. B. im Paris der Nach-Existentialisten auftaten, suchten und fanden auch dort ihre Wurzeln.

Die Städte mit ihren massiven Gebäuden ohne Licht und Luft sind den Beats Gefängnisse geworden. Eine Gerechtigkeit im Sinne des Gesetze gibt es nicht. Der Mensch schaltet und waltet nach Gutdünken, dem eigenen Intellekt, der Geldbörse. Des Weiteren sind sie der Überzeugung, dass etwas zu lernen sei, etwa von der Zen-Philosophie mit ihrer gleichsam beiläufigen und eigensinnigen Doktrin der Nicht-Doktrin. Ein Drang nach Erkenntnis, ein Ringen um klare, das Leben gestaltende und befruchtende Weltsichten.

Auch Thomas Wolfe (“Look Homeward Angel”, 1929) überdachte und fühlte das unermesslich weite Land mit seinen Charakteren, seiner Natur und beschreibt etwa eine coast-to-coast-Fahrt. Thornton Wilder unternahm 1935 eine Wanderung durch Österreich. Je mehr er sah und erfuhr, desto verfestigter gedieh seine Überzeugung, dass die Lösung der die Welt bewegenden Probleme in einer Zuwendung des Menschen zu sich selbst, der inneren Einkehr besteht.

“Ich spreche von neuen Städten und neuen Menschen.

Ich sage Euch, die Vergangenheit ist ein Eimer voll Asche.

Ich sage Euch, Gestern ist ein Wind verweht, eine

untergegangene Sonne.

Ich sage Euch, es ist nichts in der Welt als nur

ein Ozean kommender Tage,

ein Himmel kommender Tage.” (Carl Sandburg)

Insofern das zeitgenössische Amerika, wie es Alfred Kazin formulierte, ein “Paradies der Spießer” war, eine in sich erstarrte Wohlfühlgesellschaft, läßt sich der Beatnik-Einfluß als eine aufrichtige Protest-Bewegung verstehen und gehört damit mit hinein in die lange und ehrwürdige, amerikanische Tradition, die mindestens bis zu den Indianern zurückreicht.

In allen Romanen, Gedichten, Essays Kerouacs wird viel nachgedacht über die Richtung und die Möglichkeiten des künftigen Lebens: Die Geisteshaltung, über Zen-Sprüche, Kameradschaft oder die Vorstellungen zur Weltverbesserung. Bei aller Eigenheit der Kerouacschen Texte sind der Verlust fester Moral- und Wertbegriffe sowie die Chancenverwirklichung in Hinwendung zum Ich in direkter persönlicher Erfahrung Haupt-Thema. “Faschismus ist ein Freak, eine Perversion, ein Monster, wenn Sie so wollen, das unbedingt zerstört werden muß und zerstört werden wird. Doch wenn dies erst einmal geschehen ist, werden unserer Probleme nicht gelöst sein, auch wenn wir einen zufriedenstellenden Frieden haben sollten, den des gemeinen Mannes, werden die Probleme bleiben. Eine Welt, in der die Menschen in gemeinsamer Sicherheit leben, ist eine solche ohne Hunger, ohne Bedürfnis, ohne Furcht und so weiter. Die Menschen werden teilen…, sie werden in einer Welt der wirtschaftlichen Gleichheit leben. Doch werden ihre Gedanken immer in Unruhe sein, … die Menschen werden einander weiter betrügen, mit der Frau des anderen abhauen, rauben, morden, vergewaltigen…” (TSB)

Die Künstlerszene Manhattans bestand aus einer intimen, zum Zusammenhalt gezwungenen, kleingliedrigen Szenerie: einer Meute Außenseiter, die durch ihre Kleidung und Verhalten leicht auszumachen war. Im reizlosen Konformismus der Eisenhower-Ära galten sie als “weirdoes” (Ausgeflippte, gemäß dem Jazzkritiker David H. Rosenthal).

Ihren Ursprung hatten die Beatniks an der Westküste, in der San Franzisco-Gegend, von wo der Beat-Stil auf New York und all die anderen Großstädte übergriff, zu einem zwanzigjährigen (1945-1965) Epos wurde, das in typischer und typisierender Weise die Farbe und Pracht, die helleren Lichter und dunkleren Schatten, das (amerikanische) Leben in gänzlicher Fülle und vollendeter Form wiedergibt.

Hier stieg Jack Kerouac in rascher literarischer Reifung vom talentierten Thomas-Wolfe-Epigonen zu einem “major American writer” mit distinktiv eigenen Ansätzen auf. “Ich wünsche mir tiefe Form, poetische Form in einer Art und Weise, wie das Bewußtsein wirklich alles umgräbt:” Die Tendenz, Barrieren zwischen Kunst und Leben abzubauen, verwirklicht eine konsequente Denkhaltung: Die Bedeutung des Lebens ist im subjektiven Erleben mehr und eher noch zu finden als in objektiver Leistung.

Anything goes, Disziplin und Meditation, die Sprache als Gedankencode…, - in der Landes-T radition: Mark Twain und Jack London, die den Hobo hervorkitzeln, Thoreau wegen seiner dringlichen Aufforderungen zum zivilen Widerstand, Whitman wird als Prophet, Judge, Seher verstanden. Mit W. C. Williams teilt Kerouac als Stimme der Notwendigkeit und der praktischen Philosophie den Glauben an eine verlorene Vergangenheit und eine unzulängliche Gegenwart, von Zügen träumend und fernen Städten voller Musik, Wanderschaft, Trauer, Trennung, Abschied und Krieg.

“Er lebte insbesondere für die Sprache und seinen Wort-Rhythmus.” (John Tytell): “Was konnte er in einer solchen Welt schon anfangen? Wieder starrte er missmutig aus dem Fenster, und plötzlich durchströmte ihn eine große nervöse Erregung, ein Gefühl großer Freude, das ihn fast umwarf. Dort unten wurde es dunkel, es schneite nun heftiger, und die schmalen grauen Straßen, die Steinschluchten mit all den Leuten, die auf flinken Füßen hin- und hergingen, waren plötzlich voller Geheimnisse und Wunder und Schönheiten.” (TTatC)

Jack Kerouacs Vater, Leo, war gelernter Schriftsetzer, der seinem Sohn nicht allzu viel bieten konnte. Im Elternhaus lebte man so knauserig, dass es von der Mutter Gabrielle, liebevoll Mémêre genannt, hieß, sie würde auch noch das Grab zunähen und wiederverwerten, wenn das ginge. An Lebensmitteln wurde gleichfalls kein noch so geringer Rest weggeworfen. Eine übrig gebliebene halbe Kartoffel endete, mit einem Stückchen Fleisch, als Reste-Ragout, die Scheibe Zwiebel fand sich in einem Glas selbsteingelegter Essigzwiebeln, und alte Ecken Roastbeef wanderten ins geschmorte Frikassee; US-Immigranten über Kanada, die fast ausschließlich mit der französisch-sprachigen, katholischen Bevölkerungsgruppe in Lowell verkehrte.

“The Town and The City” (1950) gilt als der erste zu Lebzeiten Jack Kerouacs veröffentlichte Roman und ist Jahre vor “On the Road” (1957) verfasst worden. Die Erstveröffentlichung lehnt sich noch an literarische Traditionen. “Wir hatten Bücher diskutiert und ausgetauscht und geborgt und gelesen und uns so intensiv mit Literarischem abgegeben.” (TS) In lebhafter Erinnerung an Kindheit und Jugend entsteht – erzählerisch extrem gekonnt – ein schillerndes Geflecht, wie mit der Kamera aufgenommene Bilder, deren Augenzeuge Jack war und die er nun als Mittler weitergibt. “To wit the cold, to wit you, to wit winter, to wit time, to wit bird, to wit dust.” (JK)

Jack Kerouac stellte sich an die Straße und machte sich nach den ihm gemäßen Maßstäben für das eigene Leben auf. Sein Hauptwerk, “On the Road”, mit dem er sich eine allgemeine Leserschaft eroberte, ist schon vom Titel her bezeichnend: Unterwegs sein. “- Doch im wesentlichen sitzen wir drei wirklich traurig mitten im Zug und fahren dem Frohsinn entgegen, dem Entsetzen und letztlich der Wasserstoffbombe.” (TS)

Das auf zurechtgeschnittenen Bögen Zeichenpapier entstandene Manuskript ging am 22. Mai 2001 für 2.426.000 Dollar bei Christie’s über den Versteigerungstisch.

Die Filmrechte an “On the Road” hatte Francis Ford Coppola erstanden, Michael Herr sollte ein Drehbuch entwerfen, das 1998 verfilmt wurde. Schon 1958 waren in Florida erste Verhandlungen mit dem Filmemacher Donn Pennebaker geführt worden: “Ich wußte, daß es da einen Weg geben würde, die Kerouac eigene Angst, seine zappelige Begeisterung und Liebe zu den Dingen und Menschen um ihn herum filmisch darzustellen.” “Easy Rider” belegte ja, daß Hollywood auch zu hip movies in der Lage war.

Es folgte eine Reihe, ähnlich aufgesetzter Niederschriften, in dem Kerouac eigenen schriftstellerischen Vorgehen, den sein Lebensstil - das Umherstreifen per Straße, Eisenbahn oder Schiffsschraube, die amourösen Abenteuer oder Drogeneskapaden - prägte.

“Mehr als eine Tragödie habe ich auf meinen Irrfahrten durch Nordamerika erlebt.” (TC) John Clellon Holmes war einer der ersten, die “On the Road” lasen, und er fasste seinen Eindruck zusammen: “Der Stil ist geradeheraus, mit nur einigen wenigen Ausnahmen, wenige Änderungen sind notwendig. Die Beschreibungen sind zutreffend, klare Sachen, ganz gefüllt mit Jacks alter Power. Er hat hier einen lobenswerten Versuch unternommen und hat nun, so meine ich, seinen eigenen Stil gefunden.”

Die zentrale Gestalt der Kerouacschen Romane ist ein junger Mann, der in der ihn umgebenden Gesellschaft eine Outsiderrolle einnimmt und in vielen anscheinend austauschbaren Einzelepisoden durch die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft treibt… Alle Bücher Jack Kerouacs geben Zeugnis des Gelebten und sind in der ihm eigenen deklamatorisch improvisiert anmutenden Erzählweise niedergeschrieben. Viele Begebenheiten ranken sich um Freundschaften, Erlebnisse mit Zufallsbekanntschaften, kleinere und größere Abenteuer unterwegs oder in dieser oder jener Stadt: Individuen, denen feste Bindungen durch Beruf oder Ehe abgehen, die sich aber ganz hingeben, sich in vollen Zügen ausleben. “Es ist die alte Frage, ob das Leben wirklich ist, doch du siehst eine schöne Frau oder so etwas, das du begehren mußt, weil es vor dir steht.” (T)

Kerouacs Figuren existieren, und zwar so primitiv wie möglich, vom Moment zum Augenblick, immer wieder zu verzückten, meist verzweifelten Anforderungen tiefster persönlicher Erfahrungen gereizt. Das Unterwegssein an sich bekommt so einen gewissen Inhalt, kann an einer gemeinsamen Bewegung teilhaben, ohne Ziel, aber mit felsenfesten, mannigfachen Beweggründen. “O Gott! Wer hat denn nur darum gebeten, geboren zu werden?” (DA) Später nannte Kerouac diese Phase “Self-Ultimate-Period”, auch weil er viele seiner Aufzeichnungen verbrannte.

Sowohl Jack Kerouac wie Allen Ginsberg begannen, ihre Erlebnisse mit zwei gemeinsamen Freundschaften, Lucien Carr und Dave Kammerer, niederzuschreiben. Ginsberg zeigte sich so beeindruckt von den Worthülsen seines Schriftsteller-Freundes (“Gimpel der Unschuld”, “in die Galle hauen”), dass er viele dieser Notizen aus dem Schreibblock photokopiert haben soll.

Theoretische Begründungen zu seiner Arbeitsweise, dem unkontrollierten, unkorrigierten Sprachfluß gibt Jack Kerouac sowohl im November 1953 in den “Essentials of Spontaneous Prose” als auch in “Belief & Technique for Modern Prose” (1958 in ‘Evergreen Review’). “Stoße nur so heraus, was in deinem Schädel brodelt – je unzusammenhängender desto besser.” Punkt 9, der letzte, umgreifende, mental state, versteht sich als summing-up der literaturtheoretischen Hinweise Jack Kerouacs: Möglichst unbewußt, in Halb-Trance. “Ich will mir meinen Eindruck nicht verderben und starre einfach auf den Block (…), wobei ich beliebig notiere, was immer mir durch den Kopf geht, einfach irgendetwas, um mir diesen göttlichen Moment der Ekstase zu erhalten (…).” (Gore Vidal)

In der orgiastischen Unmittelbarkeit fließen für Jack Kerouac alle Dinge zusammen, die Literatur und/oder Leben ausmachen. Das Erfordernis der Erregung wird dabei den “laws of orgasm” zugeordnet und sagt etwas aus über den gewünschten Grad psychischer Angespanntheit des so Texte Produzierenden. Unmittelbarkeit, Unreflektiertheit und Spontaneität in der Form und Confessio im Inhalt.

“Confessio” betont den hohen Stellenwert, den Kerouac Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Originalität des Individuums, sich selbst und anderen gegenüber beimißt. So erreichte “Truth” geht gleichsam zwangsläufig in “Purgation” über. Kerouac hielt diese, seine Spontanprosa für eine außergewöhnliche, einzigartige Schreibweise. “Mit der Dichte einer Dichtung, der Schönheit von Versen und vor allem einem rennenden Rhythmus und abruptem Zeilenende.” Trance-Writing eröffnet die Möglichkeit die von von Kerouac 100%ige Ehrlichkeit beim Sprechen/Schreiben zu realisieren.

“Der geborene Virtuose und Liebhaber der Sprache.” (Henry Miller) Auch vielen anderen gefiel die ungewohnte Schreibweise Jack Kerouacs, der sich mitunter sein Brot in literarischer Zusammenarbeit mit Zeitungen verdiente, sich wochenlang in Wald und Gebirge zurückzog, um auch hier seinem Drang zur Natur und deren Bewältigung beizukommen, nicht ohne hierüber Bericht zu erstatten: Jack Kerouac lebte das, über was er schrieb, hatte dies und jenes so erfahren, seine naturgetreuen Beobachtungen aus seinem direkten Lebenskreis möglichst unmittelbar festgehalten.

Vor diesem Hintergrund wird es einsichtig, warum Kerouac vorschlägt, das zu Versprachlichende gedanklich “verbal oder graphisch” Revue passieren zu lassen. Die Sprache soll klar bis auf die Knochen entblößt und unvermittelt als gleichsam vom Tonband übernommene speech sein. Nach aufrüttelnden Briefen des Kumpels Neal Cassady, der die Wohnungstür nicht wie die anderen in Unterhose öffnete, sondern splitternackt, wird das einnehmende “get-with-it” zum Bekenntnis.

Jack Kerouacs Hunger nach schriftlicher Aussage wurde dadurch beflügelt, dass er sich unermüdlich einsetzen konnte für das, was man als die “Lost Generation der Beats” bezeichnet. Jack Kerouac geriet so, neben anderen, zum Beats-Spokesman, der dem Adjektiv “beat” aus dem Verbrecher-Slang (heruntergekommen, besiegt) die Bedeutungen “upbeat” (euphorisch), “being on the beat” (in Bezug zum Bebop - im Rhythmus sein) beifügte.

“Es gibt da Sonnenblumen und Schneebälle in der Prärie und weite grüne Felder sowie weißbedeckte Hügel, und ich sprach jemanden an: “Ich bin Rubens und das sind meine Niederlande.” Die Szenerie wurde von mir gemalt. Ich trampe nach Denver und treibe mich auf der Curtis Street ‘rum, in den Spielhallen und den Billig-Kinos, und ich schlucke literweise Bier in den Kaschemmen der Larimer Straße.” (LT)

Es waren die Jahre des kurzen, gutgeschnittenen Haares, der bobby soxers, 3-D glasses, des Billy Graham, der Big Ten, die Zeit Eisenhowers und der Bombe. Eine Gesellschaft, die sich ihren Weg ins 20. Jahrhundert bahnt, der Zweite Weltkrieg mündete in McCarthyismus und den Koreanischen Bruderkrieg, die Kalten Kriege nach Vietnam, die alten wobbly-hoboes, die Lost Generation, die Beats und die Beatniks und Hippies, dabei Kerouac und sein unverfälschtes Leben, seine ureigene Sicht der Dinge. Ein Schriftsteller eben, wie auch Woody Guthrie, der in einer schwierigen Zeit in einem schwierigen Land zu existieren wußte. Die Geschwindigkeit der Niederschrift stützt dabei eine Direktumsetzung der Erinnerungen und Eindrücke, bis hin zu einer künstlich herbeigeführten Trance durch Opiate, bei Kerouac bis zuletzt vor allem durch Alkohol, seiner gebräuchlichsten Schreib-Droge.

Das etablierte System einigte sich auf die Formel “drop-outs”. Mit dem Eigenschaftswort “beat” einher gehen “without will”, “without confidence”, “crushed”, “beaten down”, impliziert auch die Assoziation des “jazz beat”. Jazz als kollektiver Effekt für eine ethnische Minderheit und Film als Möglichkeit einer Identifikation mit kulturell repräsentativen Kräften. “Comic strips, Filmschauspieler, Phantasieoder historische Gestalten entsprachen seiner mentalen Anlage, um als Satire, humorvoll oder im Zorn mit der Szene des Augenblicks verwoben zu werden.” (Caroly Cassady zur Filmbegeisterung ihres Ehemannes) Die ersten Filme überhaupt sind Western wie “The Great Train Robbery”, 1903, von Edwin S. Porter, die die Kraft des Westens verdeutlichen und damit den Traum von Freiheit und Freizügigkeit herstellen. Ein Konzert soll es werden, eine Etüde Kerouacschen Stils, die Klangfarbe des Jazz soll seine Worte lautmalend ertönen lassen. Genutzt wird auch der multimediale Effekt des Films, dieser klassischen US-amerikanischen Kunstform. Film als ein Hilfsmittel; im Kino kann man sich nicht nur aufwärmen wie etwa bei Woolworth, der Film bietet auch Abwechslung und Entspannung, er hat seine Beats. Die halbreale Traumwelt des Kinos speist mit ihren immer neuen Angeboten den Erlebnishunger. Bookmovie ist Film in Worten, die visuelle, amerikanisierte Form.

Der “Twentieth Century American Mythographer Jack Kerouac” hatte Gary Snyder gemäß diese Kunstformen als inspirative Quellen früh erkannt. Ungeniert werden Begriffe und Symbole aus der sogenannten Massen- oder Populärkultur übernommen.

Kerouac entwickelte sich zum Chronist und Herold kleiner, loser Lebensgemeinschaften, individualistischer Rebellionen. Mit seinem Unwillen und dem seiner Kumpane manifestierte sich eine “Mobilitätssucht”, der Wegzug aus organisierten Institutionen und Systemen. Dabei mochte Jack Kerouac sein Land, das Amerika einer früheren, unschuldigeren Zeit, das er durchstreift, um in der technokratisch hochindustriellen Gesellschaft alternative Lebensmodelle aufzuspüren und zu realisieren. “It is important to make a living, but it is more important to make a life.” (Lawrence Lipton)

Inklusive der 1980er Filmversion von Carolyn Cassidys “Heart Beat” steht das Oeuvre Jack Kerouacs als Meilenstein der literary free-for-all, als das Land noch ungezähmt war, lärmend und frei, als es noch Überfluss und Freiheit für jeden gab und als die Formation einer intellektuell kritischen Jugend erste Aufmerksamkeiten auf sich zog. Viele Schriftsteller und Musiker (The Doors, Patti Smith…) sind vom Werk Kerouacs beeinflußt, für das ‘Life Magazine’ ist er einer der bedeutendsten Vertreter des 20. Jahrhunderts.

Sein Getriebenwerden führte Jack Kerouac quer durch die Vereinigten Staaten, vom Süden zur Ostküste, in den entlegenen Nordwesten, durch Mexiko, bis Nordafrika, London, Paris… “Aber ich höre nicht auf zu zittern, so tief ich mich auch in meine Jacke vergrabe, seit einem Jahr habe ich jede Nacht in meinem Schlafsack zugebracht, bin nicht mehr abgehärtet gegen die Bodenfröste.” (T)

Der dabei gewählte Armuts- oder Konsumverzicht ist dabei äußerlich kaum von Unterprivilegierten-Armut zu unterscheiden. “Sich um Wohlstand zu mühen, hat keinen größeren Wert als ein Stück verdorbenes Fleisch.” (WU) Die Begeisterung für interessante Menschen und einnehmende Landschaften spiegelt sich in Zeilen, die sich von der anerkannten Literatursprache wie auch der standardisierten Schrift- oder Umgangssprache abheben. Arbeit bei der Eisenbahn, auf See, in den Bergen, Mystizismus, Solipsismus, Hemmungslosigkeit, Stierkämpfe, Drogen, Sehenswürdigkeiten, Alltagsallerlei, der Daseinsmischmasch eines selbständigen, gebildeten, mittellosen, nach allen Seiten offenen Lebemannes finden unmittelbaren, kontinuierlichen Ausdruck. Jean Jacques Rousseau, Jack London, Upton Sinclair oder Henry David Thoreau werden assoziierbar. Thoreaus “Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat” (1849) gilt als das Standardwerk des zivilen Ungehorsams und machte den steuerunwilligen Autor zu einer der markantesten Figuren der amerikanischen Literatur.

Die Personen seiner (Reise-) Bücher waren Jack Kerouacs Umgang, etwa Dean Moriarty alias Neal Cassady oder seine Schwester Caroline (Lin) als Liz Martin, und lassen die Akzentuierung einer anti-intellektuellen, sensuell-mystischen Steigerung der Ich-Erfahrung “romanhaft” erscheinen. Für solche literarische Reportagen sozialer Bewegungen fand Jack Kerouac die Analogie in “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit”. Marcel Prousts Schreiben erhält seine Form indes aus einem komplizierten Wiedereinfangen der Vergangenheit, wohingegen Jack Kerouacs Romane eher Sprints in der Gegenwart sind, Bilder einer sozialen Wirklichkeit, Daten und Perspektiven unablässiger Bewegung, denen kein Zweck oder Ziel zugeordnet ist; zusammengehalten durch sein “Ich” und die Vielschar Gleichgesinnter, die auftauchen, verschwinden und wieder auftauchen und sich im Ausdrucksverhalten ebenso gegen die Normen des Wohlverhaltens, der Leistungs- und Konsumideologie stellen. Aktionismus als vollzogener Ausdruck des “kick”, “go”, “drive” der Beat-Hip-Philosophie, deren Medium und vollkommenste Inkarnation Jack Kerouac ist.

“Bleiben Sie mir bloß mit diesem Pennälerquatsch vom Leib.” (TC) Nicht minder bekannt wurde er für das, was er sagte, als für seine unnachahmlich Art und Weise, wie er es sagte: “Spoken poetry conceived as oral messages.” (Lawrence Ferlinghetti)

Ich-suchend, Ich-bezogen, ausschließlich eigene Erfahrungen einer eigenen Lebensweise und Lebenseinstellung beschreibend, ohne diese umzugestalten. Die Leute hätten vielleicht lieber einen Medien-Star gehabt als ein Regal voller Bücher intellektueller Subkultur. Doch sollte das Land ja noch genug davon bekommen: Grace Kelly, Elvis Presley, Marilyn Monroe… “Aber ich hasse Filme, das Leben ist interessanter.” (TS)

Irgendwann hatten die Emotional-Exzesse auch Ginsbergs, Burroughs oder Lucien Carrs ermüdet, berichtet es seine Biographin Ann Charters: Was Jack brauchte, war dieser überschwänglich Kick, wie ihn Neal Cassady vermitteln konnte. “Der Gedanke zur spontanen Schreibweise für “On the Road” entstand nach dem Gewahrwerden des bahnbrechenden Stils, in dem der gute alte Neal Cassady seine Briefe an mich aufsetzte: Alle in der 1. Person, rasch und bündig, verrückt, bekennerisch offenherzig, total ernst gemeint, extrem in den Einzelheiten…” (JK)

Eine neue Stilrichtung, erste literarische Subkultur mit eigenem Maß und Rhythmus: “Auf deine dir ganz eigene Art und Weise gestehst du deine Gedanken zu Vorgängen.” (JK) Kerouacs Beziehung zum Medium Sprache wird von einer mythischen Faszination diktiert, ist ihm dabei ebenso Kraft wie der Atem dem Jazz-Trompeter, damals vor allem Charlie Parker.

“Es ist Poesie, Poesie, es ist alles Poesie, große Prosa, große Prosa ist Poesie…” (TS)

Das Action-Writing, das Medium seiner “American Imagery”, die freie Assoziation ohne einengende Wortklauberei, wird als erfrischend anders, unakademisch empfunden. “Dem gedachten, gesprochenen Wort wird das schriftliche eingestülpt.” (Lawrence Lipton) Um diesen Gedanken weiterzudenken, stellte John Clellon Holmes fest, dass Kerouac größeren Respekt vor und weitaus mehr Affektion für den Schreibakt habe als jene, die sich einfach niedlicher Muster bedienten.

Die Beat-Literatur mit ihrem an spezifisch erfahrene Erlebnisse gebundenen Stil bei möglichst unvermittelter sprachlicher Umsetzung derselben beläßt es nicht bei Hingabe an den Augenblick. Hinzu tritt die Überzeugung der schriftstellerischen Wahrheit, alle Extreme ergeben als Mosaiken ein Gesamtbild, das bestimmt wird vom Konzept des “leidenschaftlichen Sichhineinwerfens ins Leben, auf jeder Ebene.” (J.C. Holmes)

Entfremdung, Verzweiflung, Ausweglosigkeit - Jack Kerouac besteht uneingeschränkt auf dem Wahrheitsprinzip. Ginsberg vergleicht Kerouac mit Whitman, denn wie dieser sucht er den idealen Amerikaner und findet ihn gerade auch in Neal Cassady mit all seinen Mängeln, Widersprüchen und Hilflosigkeiten, etwa wenn Neal, der Autonarr, trostlos an der Cable-Car-Haltestelle verharrt, weil die Rate fürs Auto nicht bezahlt werden konnte.

Jack Kerouac war gemäß Holmes absolut kein Barbare oder ein “natural”, ein Primitiver oder irgendsoetwas. In “Nothing more to declare” und “Go” (1952) porträtiert er seinen Mitstreiter: “Er konnte sogar Sätze bilden, Charaktere aufbauen, Situationen dramatisieren. “Wahre Bildung liegt nicht in gekünstelten Phantasmen à la Ginsberg oder Burroughs, so sehr man hier auch ein Dreieck erkennen möchte. “Mein Werk ist ein Gesamtkunstwerk, meine Bücher sind bloße Kapitel der Art comédie humaine à la Kerouac.” Bruce Cook beschreibt Jack Kerouac und interviewt ihn, Seymour Krim würdigt ihn analysierend in den Vorbemerkungen zu “Desolation Angels” (“Engel, Kif und neue Länder”).

Für Literatur gilt ja ein spezifischer Kommunikationsrahmen, innerhalb dessen gewisse Aspekte sprachlicher Vermittlung vordefiniert sind. Zu bedenken ist, dass in einem freien Land wie Amerika auch solcher Lesestoff, etwa “The Electric Cool-Aid Acid Test” kursierte, wo sich “maniacal new fetishes and religions” einer umfassenderen Pop-Kultur, einer Gesellschaft im Fluß, der Kommune schöner Freaks und dergleichen ein Stelldichein geben. Hunter S. Thompson, der Autor von “Hells Angels”, übernahm die Rolle eines Observant/Partizipant und nannte das Ganze “Gonzo Journalismus”. Ein Journalismus, bei dem der Schreiber mitunter das provoziert, über was er später berichtet, professioneller Amoklauf.

Für Stanley Reynolds war “Kerouac ein großer Reporter. Er hatte Amerika durchquert, und zwar als hobo writer, der Tramp mit dem Notizbuch, wie so ein amerikanischer Gorki. Inmitten der grauen Flanells hatte Kerouac das Amerika der verrauchten, staubigen, schwitzenden Hölzer entdeckt, voller mad characters, wilder Männer mit Grenz-Visionen in ihren Köpfen, aber ohne weitere Grenzen, die zu überschreiten waren.”

Jack Kerouac hatte in dieser “Nullsituation” des Nachkriegs-Amerikas entschieden, sich selbst zu leben, den individuellen und kollektiven Erfahrungsbereich auszuloten, auszubrechen, “hip” und nicht “square” zu sein, nicht spießig, linkisch, falsch. “Die Bücher schrieb er nicht des Geldes wegen, he wrote it for love, er gab sie der Welt, nicht aus Gründen des Ruhms, sondern in aufrichtiger Suche als eine explanation and prayer für seine sterblichen Zeitgenossen, aus völlig lauterem Motiv”, bricht Allen Ginsberg eine Lanze.

“Ich hörte ein wieherndes Lachen, das größte Lachen der Welt und hier kam er, dieser rohe, ungehobelte Farmer aus Nebraska, zusammen mit einem Bündel anderer Leute, und zwar zum Abendessen. Alle lachten mit ihm. Er scherte sich nicht um die Welt und hatte doch einen Blick für sie. So sagte ich zu mir selber, Wham, hör’ dir diesen Menschen an. Das ist der Westen, hier bin ich im Westen. Er stolperte herein und rief einen Namen, Maw’s Namen. Sie machte den süßesten Pflaumenkuchen in ganz Nebraska, und dann kaufte ich mir einen mit Schlagsahne. Und dann pflanzte er sich wieder auf seinen Stuhl und fuhr mit seinem hyawhyaw hyaw hyaw fort. “Und tu noch ein paar Bohnen rein.” Das war der spirit of the West, sich ganz dicht neben mich zu setzen. Da war mir sofort sein ganzes beschissenes Leben klar und ich verschwand.” (OtR)

Das Leben als Vagabund, rastloser Jobber und vitaler Anti-Intellektueller bei außergewöhnlicher Erinnerungsgabe an Vergangenes bleibt die einzige Materialquelle: “Hab’ ich dir den Nerv getötet, als ich aus dem Taxi sprang…” “Baby, ich möchte dir was sagen, aber du mußt mir versprechen, daß du trotzdem mit mir ins Kino gehst.” “Okay.”… “Wir sollten uns wirklich trennen, ganz ehrlich, ich will nicht mehr, nicht weil ich dich nicht mag oder so, aber es ist doch zwischen uns inzwischen klar oder sollte uns beiden klar sein inzwischen - diese Art von Feststellung…” (TS)

In einem Geflecht aus Milieu, Lebenshaltung und -bewältigung unterwegs als suchender drop out, seine Rolle zu finden, beweglich und offen sein, das Ereignis als eine Moment-Reihung zu betrachten: “Die Szene: die Bars, Betten und Bungalows von San Francisco. Die Personen: junge Schriftsteller, Maler und Jazz-Musiker, ihre Freundinnen und Frauen. Der um Anerkennung kämpfende Autor Leo Perciped und die junge, schwarze Mardou Fox haben eine leidenschaftliche, aber zum Scheitern verurteilte Affäre. Ein wilder, sprachgewaltiger Roman von Jack Kerouac, dem Wortführer der Beat-Generation”, präzisiert das Verlagskürzel eine diesem innovativsten Geist gebührende Einzelposition.

Während er sein Leben für sein Werk in kritisch-oppositionellem Impuls gegen das geltende Selbstverständnis Amerikas absolvierte, indem er ohne Aus- oder Absicht im Land soziales und psychisches Überleben suchte, gab Jack Kerouac zugleich vielen anderen Avantgardisten und Beatniks Nahrung, enthusiasmierte die Dichter zum Dichten, die Maler zum Malen, kleine Zeitschriften zum Erscheinen. Die Abkehr vom etablierten American Way of Life und Kerouacs schöpferische Hinwendung zu anderen kulturellen Modellen machte ihn zum Wegbereiter.

Durch seine überragende Fähigkeit, sich mit “seiner Generation” zu involvieren, sich als “dissenting young” deutlich zu artikulieren, konnten Mengen von geistig in den Untergrund abgestiegener Amerikaner, die ohne Kerouacs Charisma wohl einsame Schatten geblieben wären, als Individuen zusammengeführt werden.

Was als Beat Generation herhält, wird nicht einstimmig analysiert, die Begriffe “subterraneans”, “hipsters”, “new Bohemia”, “Beats”, “Beatniks” erhalten - auch im Kontext ihrer Benennung - unterschiedliche Interpretationen. “Die Quelle der Hipness ist der Neger, denn er lebt seit zwei Jahrhunderten auf der Schwelle zwischen Totalitarismus und Demokratie.” (Norman Mailer, “The White Negro”)

Jack Kerouac verfaßte ein einziges Theaterstück programmatischen Titels “Beat Generation”, dessen Manuskript erst im Jahre 2005 auf einem New Jersey-Speicher wiederentdeckt wurde. Zur allgemeinen Undefiniertheit trägt der Umstand bei, dass sich die Beats aus einer losen Formation der 40er und 50er Jahre entwickelten und keine geschlossene Gruppe mit eindeutig formulierter Zielsetzung oder Manifesten war. Der Hipster gilt als moderne, US-amerikanische Ausprägung der Europa-Bohême des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und wird unterteilt in die Gruppe der vorwiegend schwarzen Musiker, die mit dem Bebop den modernen Jazz aus der Taufe hoben und die der überwiegend weißen, unter “beat generation” zusammengefaßten Dichter. Hergestellt wird ein Bezug zur “lost generation”, Bezeichnung der Rebellion und Opposition aus der Zeit der Depression nach dem Ersten Weltkrieg.

Für solche “Americaness” erwies sich vor allem auch die Westküste, speziell die Frisco-Gegend als kulturell am aufnahmebereitetsten. Andy Warhols Ostküsten-underground-movie “Couch” (Juli 1964) z. B. zeigt Jack Kerouac mit Allen Ginsberg und Peter Orlovsky. Ohne Unterlass entstammen hier wie dort Impressionen, Analysen, Photofolgen, Kritiken, Kurz-, Spielfilme, Videos, musikalische Bearbeitungen, eine starke Internet-Präsenz, Hörbücher, CDs, Vinyls, DVDs…

“Da wurde mir klar, daß entweder ich verrückt war oder die Welt. Und ich tippte auf die Welt. Und natürlich hatte ich recht.” (JK)

In immer weiteren Beiträgen verschiedener Auslegungen oder kongruenter Erfahrungen werden auf vielfache Weise die Person und die Literatur gedeutet. Der 3. Akt Jack Kerouacs “Beat Generation” wurde 1959 von Robert Frank und Alfred Leslie im mehrfach preisgekrönten short-movie “Pull My Daisy” filmisch aufbereitet. Die Charaktere lassen sich angesichts einer verrückten Welt zum “Da, da, da, da…” hinreißen, ein Rekurrieren auf Tristan Tzara und die Dadaismus-Revolte nach dem Ersten Weltkrieg.” “Pull my daisy, tip my cup, all my doors are open, Cut my thoughts, for coconuts, all my eggs are broken…” Je mehr Höhen und Tiefen, je mehr Lebensfreude empfinde ich – Je größer die Furcht, umso größer mein Glücksempfinden.”

“Bevor Jack Kerouac mit “On the Road” bekannt wurde, war er Seemann. Diese, seine erste Erzählung, inspirierte seine Affäre mit dem Meer… Kerouac hatte diese Niederschrift kurz nach seinem ersten Auslaufen im Spätsommer 1942 begonnen, als er in einer Art Tagebuch die griesige Routine des Lebens auf See und die Wesenszüge seiner Kameraden protokollierte. Kurz nach seinem Landgang wob er diese Beobachtungen aus dem Stegreif in ein 158-Seiten Manuskript, das zu seinen Lebzeiten als verloren galt.” Im Jahre 2011 fand diese Erzählung als “The sea is my brother. The lost novel” Eingang in die weltweite ‘Penguin Series’ wie zuvor schon “On the Road”.

Die Rock- oder Experimental-Musik liefert in individueller, vermarkteter Anarchie immer neue Formen zu “Visions of America”. Dies fügt der “Legend of Duluoz”, dem Werk Jack Kerouacs, nicht endende Interpretationen bei. Musik läßt mehr Spielraum, was Interpretationen anbelangt, die Worte, die Sprache, das Schriftliche sind bestimmter. “Vor uns lag noch ein längerer Weg. Uns sollte es recht sein. Der Weg ist das Leben.”(JK)

“Wake Up. A Life oft he Buddha” (“Lebendiger Buddha”) wird auch als die amerikanische Version von Hermann Hesses “Siddharta” bezeichnet. Wo will ich hin und warum?