Japanische Geistergeschichten - Lafcadio Hearn - E-Book

Japanische Geistergeschichten E-Book

Lafcadio Hearn

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Beschreibung

Illustrierte Fassung Anfang des 20. Jahrhunderts notierte der Japankenner und Autor Lafcadio Hearn (1850 - 1904) mehrere japanische Gruselgeschichten, die uns die fernöstliche Vorstellung von Geistern nahebringen, die in vielen Dingen der westlichen ähnelt, aber in anderen auch wieder konträr verläuft. Die deutsche Fassung (1925) stammt vom bekannten Übersetzer und Autor ("Der Golem") Gustav Meyrink. In der Edo-Zeit (1603 - 1868) gab es ein beliebtes Gesellschaftsspiel namens "Hundert Geschichten", bei denen die Gäste sich gegenseitig Gruselgeschichten erzählten. Nach jeder Geschichte wurde eine Lampe gelöscht, bis die ganze Gesellschaft im Dunkeln saß. Die Geschichten hatten meist einen philosophischen Hintergrund und behandelten Themen wie Schicksal, Ehre, unerfüllte Liebe und Verantwortungsgefühl. Der vorliegende Band ist geschmückt mit 18 Horrorzeichnungen der bekanntesten Japanischen Meister. Null Papier Verlag

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Lafcadio Hearn

Japanische Geistergeschichten

Lafcadio Hearn

Japanische Geistergeschichten

(»In Ghostly Japan« und »Kottō«)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Gustav Meyrink 2. Auflage, ISBN 978-3-954185-88-7

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Inhaltsverzeichnis

Buch

I. Ing­wa--Ba­na­shi -- Wir­kung ei­nes bö­sen Kar­mas

II. Der Ten­gu

III. Der Wahr­sa­ger

IV. Fu­ri­so­dé

V. Ein Lei­dens­kar­ma

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9

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VI. Hun­de­ge­heul

VII. Die Le­gen­de vom Yu­rei-Daki

VIII. Das Bild in der Tee­tas­se

IX. Nüch­ter­ner Ver­stand

X. Iki­ryō

XI. Shi­ryō

XII. O-Kamé

XIII. Die Flie­ge

XIV. Der Fa­san

XV. Der Fall Chūgōrō

XVI. Der Traum­fres­ser

Quel­len

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Hor­ror bei Null Pa­pier

Vam­pi­re - Töd­li­che Ver­füh­rer

Fran­ken­stein

Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Dra­cu­la

Das Bild­nis des Do­ri­an Gray

Der Go­lem

Ja­pa­ni­sche Geis­ter­ge­schich­ten

Die ver­ges­se­ne Welt

Das Ende der Welt

Hor­ror

und wei­te­re …

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Laf­ca­dio Hearn

Ja­pa­ni­sche Geis­ter­ge­schich­ten

Il­lus­triert

Laf­ca­dio Hearn

Ja­pa­ni­sche Geis­ter­ge­schich­ten

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Buch

An­fang des 20. Jahr­hun­derts no­tier­te der Ja­pan­ken­ner und Au­tor Laf­ca­dio Hearn (1850 – 1904) meh­re­re ja­pa­ni­sche Gru­sel­ge­schich­ten, die uns die fernöst­li­che Vor­stel­lung von Geis­tern na­he­brin­gen, die in vie­len Din­gen der west­li­chen äh­nelt, aber in an­de­ren auch wie­der kon­trär ver­läuft. Die deut­sche Fas­sung (1925) stammt vom be­kann­ten Über­set­zer und Au­tor (»Der Go­lem«) Gu­stav Mey­rink.

In der Edo-Zeit (1603 – 1868) gab es ein be­lieb­tes Ge­sell­schaftss­piel na­mens »Hun­dert Ge­schich­ten«, bei de­nen die Gäs­te sich ge­gen­sei­tig Gru­sel­ge­schich­ten er­zähl­ten. Nach je­der Ge­schich­te wur­de eine Lam­pe ge­löscht, bis die gan­ze Ge­sell­schaft im Dun­keln saß. Die Ge­schich­ten hat­ten meist einen phi­lo­so­phi­schen Hin­ter­grund und be­han­del­ten The­men wie Schick­sal, Ehre, un­er­füll­te Lie­be und Verant­wor­tungs­ge­fühl.

Der vor­lie­gen­de Band ist ge­schmückt mit 18 Hor­ror­zeich­nun­gen der be­kann­tes­ten Ja­pa­ni­schen Meis­ter.

Gu­ten Tag,

ich hof­fe, die­ses klei­ne E-Book ge­fällt ih­nen.

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Bis (hof­fent­lich) bald, ihr Jür­gen Schul­ze, js@­null-pa­pier.de, Ver­le­ger

I. Ingwa--Banashi -- Wirkung eines bösen Karmas

Des Dai­myos Weib lag im Ster­ben; sie wuss­te, dass es mit ihr zu Ende ging. Seit Früh­herbst des zehn­ten Bun­sei hat­te sie das Kran­ken­bett nicht mehr ver­las­sen.

Es war der vier­te Mo­nat im zwölf­ten Bun­sei -- was dem Jahr 1829 west­li­cher Zeit­rech­nung gleich­kommt -- und die Kirsch­bäu­me stan­den in vol­ler Blü­te.

Das Weib des Dai­myos dach­te an die Kirsch­bäu­me in ih­rem Gar­ten und an den herr­li­chen Früh­ling drau­ßen. Sie dach­te an ihre Kin­der. Sie dach­te an ih­res Gat­ten zahl­rei­che Ne­ben­frau­en und vor al­lem an die neun­zehn­jäh­ri­ge Yuki­ko.

»Mein ge­lieb­tes Weib«, sag­te der Dai­myo, »du hast viel, viel ge­lit­ten in die­sen drei lan­gen Jah­ren. Wir ha­ben al­les ge­tan, was in un­se­ren Kräf­ten stand, ha­ben bei dir ge­wacht Tag und Nacht, ha­ben für dich ge­be­tet und oft und oft ge­fas­tet um dei­net­wil­len. Aber trotz un­se­rer Lie­be und Sorg­falt und der Be­mü­hun­gen un­se­rer bes­ten Ärz­te will es jetzt schei­nen, als ob es mit dei­nem Le­ben zu Ende gin­ge. Wahr­schein­lich ist un­ser Leid grö­ßer als das dei­ni­ge, dass du die Stät­te ver­las­sen wirst, von der der Bud­dha sag­te: ›Die Welt, sie ist ein bren­nen­des Haus.‹

Ich wer­de an­ord­nen, gleich­gül­tig, was es auch kos­ten möge, dass die Pries­ter alle re­li­gi­ösen Ri­ten voll­zie­hen sol­len, die dir von Nut­zen sein kön­nen für dein nächs­tes Da­sein auf Er­den; wir alle wer­den ohne Un­ter­lass für dich be­ten, dass du nicht mö­gest wan­dern müs­sen in den licht­lo­sen Ab­grund des To­ten­rei­ches, son­dern so­gleich nach dem Hin­schei­den ins Pa­ra­dies ge­langst und die Bud­dha­schaft er­ringst.«

Der Dai­myo hat­te voll Lie­be zu sei­nem Weib ge­spro­chen und sie da­bei zärt­lich ge­strei­chelt.

Die Au­gen ge­schlos­sen, ant­wor­te­te sie ihm mit ei­ner Stim­me, so fein und lei­se wie das Schwir­ren zar­ter In­sek­ten­flü­gel:

»Ich dan­ke dir, dan­ke dir aus vol­lem Her­zen für dei­ne lie­ben Wor­te ... Ja, es ist wahr, was du sag­test: Ich bin krank ge­we­sen drei lan­ge Jah­re, und ihr habt mich ge­pflegt mit Sorg­falt und treues­ter Hin­ga­be. Wa­rum soll­te ich jetzt strau­cheln auf dem ein­zi­gen wah­ren Pfad, jetzt im An­ge­sicht des To­des? ... Vi­el­leicht ist es nicht recht, in die­ser Stun­de an ir­di­sche Din­ge zu den­ken, aber ... ich habe eine Bit­te auf dem Her­zen. Nur eine ein­zi­ge! ... Ruf mir Yuki­ko; du weißt, ich lie­be sie wie eine Schwes­ter. Ich will mit ihr über Din­ge spre­chen, die den Haus­halt be­tref­fen.«

Yuki­ko kam auf den Be­fehl des Dai­myos her­bei und knie­te auf sei­nen Wink ne­ben dem Bett nie­der.

Die Ster­ben­de schlug die Au­gen auf, blick­te Yuki­ko an und sag­te:

»Du bist hier, Yuki­ko? ... Ich bin so froh, dass ich dich noch ein­mal se­hen kann, Yuki­ko! ... Komm nä­her zu mir, da­mit du mich hö­ren kannst, ich bin nicht im­stan­de, laut zu spre­chen ... Yuki­ko! Ich muss ster­ben. Ich hof­fe, du wirst in al­len Din­gen un­se­rem lie­ben Gat­ten treu er­ge­ben sein ... denn ich will, dass du mei­ne Stel­le ein­nimmst, wenn ich nicht mehr bin ... Ich hof­fe, er wird dich im­mer lie­ben, hun­dert­mal mehr noch, als er mich ge­liebt hat -- und dass er dich bald, bald in einen hö­he­ren Rang er­he­ben wird -- und dich zu sei­ner wirk­li­chen Gat­tin ma­chen. Und ich bit­te dich, um­gib ihn mit dei­ner gan­zen Lie­be; lass es nicht ge­sche­hen, dass eine an­de­re dir sein Herz stiehlt... Das ist es, was ich dir sa­gen woll­te, mei­ne ge­lieb­te Yuki­ko ... Hast du alle mei­ne Wor­te ver­stan­den?«

»O du mei­ne lie­be Her­rin«, wehr­te Yuki­ko ab, »ich bit­te dich, sprich nicht so selt­sam zu mir! Du weißt wie ich: ich bin arm und ste­he tief im Ran­ge. Wie könn­te es sein, dass ich je­mals mei­ne Au­gen zu ihm er­he­ben dürf­te in der Hoff­nung, sei­ne Gat­tin zu wer­den!«

»Nein, nein!«, wi­der­sprach die Ster­ben­de; »es ist jetzt kei­ne Zeit, Wor­te äu­ßer­li­cher Höf­lich­keit zu tau­schen, wir müs­sen zu­ein­an­der wahr­haf­tig sein. Du wirst nach mei­nem Tod si­cher­lich mei­ne Stel­le ein­neh­men. Und ich ver­si­che­re dir: ich wün­sche, dass du sein Weib wirst. Ja, das wün­sche ich, Yuki­ko. Wün­sche es fast hei­ßer noch, als die Bud­dha­schaft zu er­rin­gen ... Ach, Yuki­ko, bei­na­he hät­te ich ver­ges­sen: ich habe noch eine Bit­te! Du weißt, im Gar­ten steht ein Yae-Za­ku­ra, ein Kirsch­baum mit dop­pel­ten ge­füll­ten Blü­ten, den sie her­ge­bracht ha­ben vom Berg Yos­hi­no in Ya­ma­to im ver­gan­ge­nen Jahr. -- Er steht jetzt in vol­ler Blü­te. -- So ger­ne möch­te ich noch ein­mal sei­ne Pracht se­hen. -- In ei­ner klei­nen Wei­le wer­de ich nicht mehr sein; ich muss ihn noch ein­mal se­hen, ehe ich st­er­be. -- Ich möch­te, dass du mich in den Gar­ten trägst ... jetzt, jetzt, Yuki­ko, ... da­mit ihn mei­ne Au­gen se­hen ... Ja, auf dei­nen Schul­tern, Yuki­ko, ... nimm mich auf dei­ne Schul­tern ...«

Im­mer kla­rer und lau­ter war die Stim­me der Ster­ben­den ge­wor­den, als habe die Sehn­sucht ihr neue Kräf­te ge­ge­ben; dann brach sie plötz­lich in hef­ti­ges Wei­nen aus.

Re­gungs­los blieb Yuki­ko auf den Kni­en, un­schlüs­sig, ob sie ge­hor­chen sol­le, bis der Dai­myo durch Nei­gen des Kop­fes sei­ne Ein­wil­li­gung gab.

»Es ist ihr letz­ter Wunsch hier auf Er­den«, sag­te er. »Sie hat im­mer die Kirsch­blü­ten über al­les ge­liebt, und ich weiß, sie sehn­te sich da­nach, den Ya­ma­to­baum noch blü­hen zu se­hen. Er­fül­le ihre Bit­te, lie­be Yuki­ko.«

Wie eine Amme ein Kind auf den Rücken nimmt, dass es sich an ihr hal­te, so bot jetzt Yuki­ko der Ster­ben­den ihre Schul­tern und sag­te:

»Her­rin, ich bin be­reit; bit­te, sag mir, wie ich dir am bes­ten hel­fen kann.«

»Ja. So. So ist’s gut«, flüs­ter­te die Ster­ben­de und rich­te­te sich mit fast über­mensch­li­cher An­stren­gung auf, um sich an Yuki­kos Schul­tern an­zu­klam­mern.

Dann, als sie auf­recht stand, ließ sie rasch ihre Hän­de über Yuki­kos Ach­seln hin­weg­glei­ten in das Bu­sen­kleid hin­ein, fass­te die bei­den Brüs­te des Mäd­chens und brach in ein scheuß­li­ches, grau­en­haf­tes La­chen aus.

»Jetzt ist mein Wunsch er­füllt!«, kreisch­te sie. »Mein Wunsch nach den dop­pel­ten Kirsch­blü­ten, wenn sie auch nicht auf dem Baum im Gar­ten wach­sen! ------ Ich hät­te nicht ster­ben kön­nen, wär’ mir die­ser Wunsch nicht in Er­fül­lung ge­gan­gen. -- Jetzt hab’ ich al­les. -- Oh, wel­che Won­ne!«

Bei die­sen Wor­ten fiel sie schwer ge­gen das zu­sam­men­bre­chen­de Mäd­chen und war tot.

So­fort sprang al­les zu, die Lei­che von Yuki­kos Schul­tern zu lö­sen und sie auf das Bett zu le­gen, aber, selt­sam, so leicht es schei­nen soll­te -- es war un­mög­lich: Die er­starr­ten Hän­de hat­ten sich auf un­er­klär­li­che Wei­se in die Brüs­te des Mäd­chens fest­ge­krallt -- wa­ren wie ver­wach­sen mit dem fri­schen, le­ben­den Fleisch.

Yuki­ko ver­lor das Be­wusst­sein vor Schmerz und Ent­set­zen.

Man hol­te Ärz­te.

Sie konn­ten den Vor­gang nicht er­klä­ren.

Es gab kein Mit­tel, die Hän­de der To­ten von dem Kör­per ih­res Op­fers zu lö­sen; zog man fest an ih­nen, so trat Blut aus den Brüs­ten. Doch nicht, weil die Fin­ger ver­krampft ge­we­sen wä­ren! Nein, die Hand­flä­chen wa­ren auf un­be­greif­li­che Wei­se mit dem Fleisch der Brüs­te ver­bun­den und ver­wach­sen.

Da­ma­li­ger Zeit leb­te in Yedo ein Frem­der -- ein hol­län­di­scher Chir­urg. Man ließ ihn ho­len, und nach lan­ger, ge­nau­er Un­ter­su­chung sag­te er, der Fall sei nicht zu er­klä­ren und die ein­zi­ge Ret­tung für Yuki­ko be­stün­de dar­in, un­ver­züg­lich die Hän­de der Lei­che ab­zu­schnei­den. Der Dai­myo wil­lig­te ein, und die Hän­de wur­den am­pu­tiert. Bald dar­auf wur­den sie schwarz und trock­ne­ten ein -- wie die Hän­de ei­nes Men­schen, der lan­ge im Gra­be ge­le­gen hat.

Doch da­mit soll­ten die Schre­cken nicht zu Ende sein ...

Wenn auch blut­los und mu­mi­en­haft, wa­ren die Hän­de den­noch nicht tot.

Zu ge­wis­sen Zei­ten be­gan­nen sie sich zu re­gen -- heim­lich, ver­stoh­len, wie große graue Spin­nen.

Und nachts dar­auf, im­mer wenn die Stun­de des »Och­sen« kam, die zwei­te Stun­de nach Mit­ter­nacht, in der nach al­ter ja­pa­ni­scher Über­lie­fe­rung die Ge­s­pens­ter der To­ten frei­ge­ge­ben sind -- da krampf­ten sich die Fin­ger zu­sam­men, quetsch­ten die Brüs­te und fol­ter­ten Yuki­ko. Erst um 4 Uhr mor­gens, um die Stun­de des Ti­gers, ließ die Pein nach.

Yuki­ko hat sich das Haar ab­ge­schnit­ten und ist eine bud­dhis­ti­sche Non­ne ge­wor­den. -- Ihr Or­dens­na­me war Das­set­su.

Sie hat ein Ihai -- das ist eine To­ten­ta­fel -- die das Kai­myo ih­rer ver­stor­be­nen Her­rin auf­wies: »Myo-ko-In-Den-Chi­zan-Ryo-Fu-Dais­hi« selbst an­ge­fer­tigt und trug es bei sich bei al­len ih­ren Wan­de­run­gen. Vor ihm bat sie je­den Tag die Tote de­mü­tig um Ver­zei­hung und hielt die bud­dhis­ti­schen Ri­ten ab, auf dass der ei­fer­süch­ti­ge Geist Ruhe fin­den möge.

Aber das böse Kar­ma, das die wah­re Ur­sa­che al­les die­ses Lei­dens war, be­an­spruch­te lan­ge Zeit, bis es sich er­schöpf­te.

Jede Nacht um die Stun­de des »Och­sen« quäl­ten die Hän­de Yuki­ko län­ger als sieb­zehn Jah­re hin­durch -- so be­rich­ten die Leu­te, de­nen Yuki­ko ihre Ge­schich­te zu­letzt ei­nes Abends im Haus des No-gu­chi Den­go-Zaye­mon im Dorf Tana­ka, im Distrik­te Ka­wa­chi, in der Pro­vinz Shi­mo­t­su­ke, er­zähl­te, wo sie ein­mal über­nach­te­te. Das war im drit­ten Jahr Kok­wa (1846).

Seit­dem hat man von Yuki­ko nichts mehr ge­hört.

II. Der Tengu

In den Ta­gen des Kai­sers Go-Rei­zei leb­te ein from­mer Pries­ter im Tem­pel zu Sai­to auf dem Berg, den sie Hiyei-Zan nen­nen, in der Nähe von Kyo­to.

Ei­nes Som­mer­mor­gens kehr­te die­ser Pries­ter nach ei­nem kur­z­en Auf­ent­halt in der Stadt zum Tem­pel zu­rück und schlug den Weg über Kita-no-Ojy ein, da sah er, dass ein paar Kna­ben sich da­mit ver­gnüg­ten, eine Ga­bel­wei­he, die sie mit Sch­lin­gen ge­fan­gen hat­ten, zu miss­han­deln, in­dem sie sie mit Ru­ten schlu­gen.

»Oh, das arme Ge­schöpf!«, rief, von Mit­leid er­grif­fen, der Pries­ter; »warum quält ihr denn den un­glück­li­chen Vo­gel so, Kin­der?«

»Wir wol­len ihn tö­ten, weil wir sei­ne Fe­dern ha­ben möch­ten«, ant­wor­te­te ei­ner der Kna­ben.

Mit war­men Wor­ten der Barm­her­zig­keit über­re­de­te der Pries­ter die Kin­der, ihm die Ga­bel­wei­he im Tausch ge­gen einen Fä­cher, den er bei sich trug, zu über­las­sen, und gab dem Vo­gel sei­ne Frei­heit wie­der.

Das Tier war nur leicht ver­letzt und konn­te ohne Mühe da­von­flie­gen.

Glück­lich, eine Tat im Sinn der bud­dhis­ti­schen Leh­re vom Mit­leid mit al­len le­ben­den Ge­schöp­fen voll­bracht zu ha­ben, setz­te der Pries­ter sei­nen Weg fort.

Er war noch nicht weit ge­gan­gen, da sah er einen fremd­ar­tig ge­klei­de­ten Mönch aus ei­nem Bam­bus­ge­hölz ei­li­gen Schrit­tes auf sich zu­kom­men. Der Mönch grüß­te ihn ehr­er­bie­tig und sag­te:

»Herr, durch Ihr mit­lei­di­ges Ver­fah­ren ha­ben Sie mir das Le­ben ge­ret­tet; mein hei­ßes­ter Wunsch ist, Ih­nen mei­ne Dank­bar­keit zu be­wei­sen!«

Er­staunt ent­geg­ne­te der Pries­ter:

»Wahr­haf­tig, ich kann mich nicht ent­sin­nen, Sie je­mals frü­her ge­se­hen zu ha­ben. Möch­ten Sie die Güte ha­ben, mir mit­zu­tei­len, wer Sie sind?«

»Es ist frei­lich kein Wun­der, dass Sie mich in die­ser Ge­stalt nicht wie­der­er­ken­nen«, ant­wor­te­te der Mönch. »Ich bin die Ga­bel­wei­he, die jene Kna­ben in der Nähe von Kita-no-Ojy ge­quält ha­ben. Und was könn­te es Wert­vol­le­res ge­ben als das Le­ben! Da­her möch­te ich mich Ih­nen auf ir­gend­ei­ne Wei­se er­kennt­lich zei­gen. Wenn es et­was gibt, das Sie ger­ne be­sä­ßen, wüss­ten oder zu se­hen wün­schen -- kurz, ir­gen­det­was, was ich für Sie tun könn­te, so bit­te, sa­gen Sie es mir; ich habe das Glück, die ›Sechs über­na­tür­li­chen Kräf­te‹ der Ma­gie, wenn auch in un­voll­kom­me­nem Maße, zu be­herr­schen, und bin da­her in der Lage, Ih­nen fast je­den Wunsch, den Sie äu­ßern, er­fül­len zu kön­nen.«

Als der Pries­ter die­se Rede ver­nahm, wuss­te er so­fort, dass er mit ei­nem »Ten­gu« zu tun hat­te, und er­wi­der­te frei­mü­tig:

»Mein Freund, ich habe seit Lan­gem auf die Din­ge die­ser Welt ver­zich­tet; we­der Ruhm noch Ver­gnü­gen hat ir­gend­wel­che An­zie­hungs­kraft für mich. -- Nur mein fer­ne­res Schick­sal, in­so­weit es mei­ne zu­künf­ti­ge Wie­der­ver­kör­pe­rung be­trifft, liegt mir am Her­zen; doch das ist eine An­ge­le­gen­heit, in der mir nie­mand hel­fen kann. Des­halb ist es über­flüs­sig, dar­über auch nur ein Wort zu ver­lie­ren. -- Nun wüss­te ich ein Ding, das mir wün­schens­wert er­scheint: Ich habe mich mein gan­zes Le­ben lang ge­grämt, dass es mir nicht ver­gönnt war, in In­di­en auf Er­den zu wal­len, als Bud­dha, der Herr, un­ter den Men­schen weil­te, und dass ich nicht mit un­ter der großen Ver­samm­lung war, als er auf dem hei­li­gen Berg Grid­ha­ra Kuta pre­dig­te. --- Ach, mein Freund, wäre es doch mög­lich, über Zeit und Raum zu ste­hen wie die Bod­hi­satt­vas, um einen Blick tun zu kön­nen auf jene wun­der­ba­re Ver­samm­lung! Wie glück­lich wäre ich!«

»Nun, die­sen from­men Wunsch«, rief der Ten­gu, »kann ich Ih­nen leicht er­fül­len. Ich er­in­ne­re mich ge­nau der Ver­samm­lung auf dem Gei­er­berg und kann be­wir­ken, dass al­les vor Ihren Au­gen neu er­steht, was sich da­mals be­ge­ben hat, und zwar mit sämt­li­chen Ein­zel­hei­ten. Es ist un­se­re größ­te Freu­de, sol­che hei­li­ge Din­ge wie­der auf­le­ben las­sen zu dür­fen. Kom­men Sie, fol­gen Sie mir hier auf die­sem Weg.«

Der Pries­ter ließ sich be­reit­wil­lig zu ei­nem Platz füh­ren, der, von Pi­ni­en um­säumt, am Ab­hang ei­nes Hü­gels lag.

»Sie müs­sen nun«, sag­te der Ten­gu, »hier eine Wei­le war­ten und da­bei die Au­gen ge­schlos­sen hal­ten. Öff­nen Sie sie erst, wenn Sie die Stim­me des Bud­dha hö­ren, wie er das große Ge­setz vor­trägt. Dann kön­nen Sie um sich bli­cken. Wenn Sie aber die Er­schei­nung des Bud­dha schau­en, dann dür­fen Sie sich un­ter kei­nen Um­stän­den von Ge­füh­len über­wäl­ti­gen las­sen; Sie dür­fen sich we­der ver­beu­gen, noch dür­fen Sie be­ten oder sich zu Aus­ru­fen hin­rei­ßen las­sen, wie: ›So ist es, o Herr‹ oder: ›O du Ge­seg­ne­ter‹. -- Sie dür­fen über­haupt kein Wort spre­chen. So­bald Sie auch nur das ge­rings­te Zei­chen der Ehr­furcht von sich ge­ben, trifft mich ein Miss­ge­schick.«

Voll Freu­de ver­sprach der Pries­ter al­les, und der Ten­gu ent­fern­te sich ei­lig, um, wie es den An­schein hat­te, sei­ne Vor­be­rei­tun­gen zu tref­fen.

Der Tag ver­blass­te, die Däm­me­rung senk­te sich her­nie­der, die Nacht kam, und ge­dul­dig war­te­te der Pries­ter, die Au­gen ge­schlos­sen, un­ter ei­nem Baum. End­lich er­tön­te eine Stim­me über ihm eine wun­der­vol­le Stim­me, tief und klar wie das Dröh­nen ei­ner Glo­cke -- die Stim­me des Bud­dhas Sakya­mu­ni -- und ver­kün­de­te die Leh­re vom Weg der Vollen­dung.