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Eine Affäre mit Augenzwinkern: der humorvolle Liebesroman »Jeden Mittwoch um halb sieben« von Jutta Mülich jetzt als eBook bei dotbooks. Wie ist sie da nur hineingeschlittert? Für Leonie stand immer fest: Niemals einen verheirateten Mann daten! Aber dann lernt sie Friedrich kennen … und seitdem verdreht er ihr mit seinem Charme bei jedem ihrer diskreten Rendezvous den Kopf. Kann das gut gehen? Natürlich nicht! Zumal plötzlich auch noch ein zweiter Mann versucht, die Hauptrolle in Leonies Leben zu übernehmen. Marius ist attraktiv, ungebunden, überaus charmant … und seit Jahren der heimliche Schwarm von Traudel, Friedrichs leicht verrückter Frau. Jetzt steht auch noch ein Abendempfang mit allen dreien an – da ist Chaos vorprogrammiert! Jetzt als eBook kaufen und genießen: der ebenso scharfzüngige wie humorvolle Liebesroman »Jeden Mittwoch um halb sieben« von Jutta Mülich. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 427
Über dieses Buch:
Wie ist sie da nur hineingeschlittert? Für Leonie stand immer fest: Niemals einen verheirateten Mann daten! Aber dann lernt sie Friedrich kennen … und seitdem verdreht er ihr mit seinem Charme bei jedem ihrer diskreten Rendezvous den Kopf. Kann das gut gehen? Natürlich nicht! Zumal plötzlich auch noch ein zweiter Mann versucht, die Hauptrolle in Leonies Leben zu übernehmen. Marius ist attraktiv, ungebunden, überaus charmant … und seit Jahren der heimliche Schwarm von Traudel, Friedrichs leicht verrückter Frau. Jetzt steht auch noch ein Abendempfang mit allen dreien an – da ist Chaos vorprogrammiert!
Über die Autorin:
Jutta Mülich (1953–2011) hatte zeit ihres Lebens drei große Leidenschaften: die Musik, das Schreiben und die Liebe zu ihrer Familie, ihren beiden Kindern und ihrem Ehemann. Sie arbeitete als Erzieherin in Kindergärten, als Studienrätin mit den Fächern Musik und Deutsch, sang in Chören, musizierte im Familienkreis und trat als Sängerin auf, schrieb Musicals für die Schule, aber auch ein Opernlibretto für den Komponisten Jens Peter Ostendorf. Als Schriftstellerin veröffentlichte sie zahlreiche Erzählungen, Kurzgeschichten und Romane. So hätte es weitergehen können. Es gab noch so viel, aber es kam anders.
Jutta Mülich veröffentliche bei dotbooks bereits:
»Liebe kommt ganz unverhofft«
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eBook-Neuausgabe Juni 2021
Dieses Buch erschien bereits 1998 unter dem Titel »Mein Mittwochsmann« bei Droemer Knaur.
Copyright © der Originalausgabe 1998 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung vom Shutterstock/Koba Anastasia, sund07buterfly
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-96655-395-7
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Jutta Mülich
Jeden Mittwoch um halb sieben
Roman
dotbooks.
Meiner wunderbaren Mutter,
die mich lesen und schreiben,
vor allem aber singen und lachen
und das Leben zu lieben lehrte.
Im allgemeinen war es mir nicht gegeben, ohne lang andauerndes, lautstarkes Weckergeklingel morgens überhaupt aufzuwachen. An wichtigen Tagen beauftragte ich deshalb zusätzlich den Telefondienst, der mich heute allerdings erreichte, nachdem ich bereits hellwach und vor Sonnenaufgang in meiner Wohnung rein Schiff gemacht hatte: das Bett frisch bezogen, die Wohnung tipptopp aufgeräumt, na ja, beinahe! Überhaupt war alles so blank geputzt, daß Mutter vermutlich ihre Freude daran gehabt hätte.
Wenn doch Traudels Zug nur endlich führe!
Vor allem nicht ohne sie, bitte, bitte, nicht ohne sie! Lieber Gott, mach, daß Friedrichs Frau es sich nicht in letzter Minute doch noch anders überlegt. Nur nicht daran denken, nicht das Schlimmste annehmen!
Mit tropfenden Haaren stieg ich aus der Dusche und sah im zugedampften Spiegel meine Umrisse, die Friedrich so gern darin betrachtete, während er mich trockenrubbelte. Jetzt trocknete der Fön meine Haare und auch den Spiegel, und ich sang mit ihm ein Duett, um die Angst zu vertreiben, es würde irgend etwas geschehen, das unser erstes gemeinsames Wochenende zunichte machen könnte.
Zur Feier des Tages lackierte ich mir die Zehennägel knallrot. Das Zeug stank erbärmlich. Durch das weitgeöffnete Fenster ließ ich frische, eiskalte Winterluft und das Dröhnen einer Schiffssirene zu mir herein. Sollte ich die Jeans doch lieber wieder ausziehen? Vielleicht war mein weicher Kimono vorteilhafter? Sagenhaft tief ausgeschnitten, und an den Knien sprang er weit auf, wenn ich die Beine übereinanderschlug. Das wirkte am Frühstückstisch bestimmt reizvoller und war – letzten Endes – irgendwie funktioneller als Hosen.
Frühstückstisch?
Verflixte Kiste, ich hatte ja überhaupt nichts eingekauft. Inzwischen war es dafür entschieden zu spät, und das Problem mit dem Kimono ging vor.
Meine Frisur wurde vom engen Rollkragen beim Ausziehen natürlich zerstört, und es kostete Zeit, die Haare wieder lokker, etwas wirr und dabei doch sehenswert über die Schultern fallen zu lassen, als hätte ich das Bett gerade erst verlassen. Friedrich mochte das, auch wenn ihm Unordnung prinzipiell ein Greuel war.
Mit einem gezielten Tritt beförderte ich vorsichtshalber meine Tasche vom Flur ins Arbeitszimmer. Unfallverhütung! Friedrich war schon einmal darüber gestolpert – bei seinem ersten Besuch.
Dann gab es eben Cornflakes und Milch. Man konnte schließlich nicht an alles denken an einem so außergewöhnlichen Tag.
»Genug ist nicht genug ...«
Konstantin Weckers Lebenshunger tönte aus der Anlage, und ich tönte lauthals mit.
Ich hungerte in diesem Augenblick ganz konkret nach Friedrich. Er war mein Traummann seit fernen Schultagen, als er jung und dynamisch, gut aussehend und unkonventioneller als seine Kollegen meines und das Herz meiner Mitschülerinnen am Marinaeum höher schlagen ließ. Heute fand ich Friedrich nicht mehr unkonventionell, aber mein Herz schlug immer noch für ihn.
»Bremerhaven Hauptbahnhof – Bremerhaven Hauptbahnhof! Verehrte Fahrgäste! In Kürze fährt ein auf Gleis zwei der Stadtexpreß nach Bremen, Abfahrt acht Uhr zweiundvierzig.« Traudels Redeschwall, der sich seit ihrem Aufbruch pausenlos über Friedrich ergossen hatte, wurde vom Lautsprecher übertönt und erstickte gnädig im Fahrtwind des hereinrauschenden Zuges. Er selbst fühlte sich darin wunderbar geborgen, seiner Frau aber riß er beinahe den Hut von ihren frisch blondierten Locken. Friedrich konnte sich nicht überwinden, hilfreich einzugreifen, und so rückte sie das scheußliche Gebilde unter großen Mühen selbst wieder zurecht. Versehentlich stieß sie dabei gegen ihre Brille, so daß diese plötzlich in unsicherer Balance nur noch schräg auf der Nase hing.
Sie würde nicht fahren ohne diese Brille!
Ein plötzlicher Adrenalinstoß befähigte ihn, blitzschnell zuzugreifen und dadurch Schlimmeres zu verhindern.
»Dank dir, Lieber!« lächelte Traudel, befriedigt ob seiner Fürsorge, und schob – diesmal sehr viel achtsamer – die neue Kopfbedeckung in die vermeintlich richtige Position.
»Hab ich sehr günstig bekommen«, versicherte sie ganz überflüssig. »... im Schlußverkauf, weißt?«
Gegen diese Anschaffung hätte Friedrich sich – würde er sie denn jemals zum Einkauf begleitet haben – energisch verwahrt. Er pflegte sie jedoch nicht zu begleiten und beglückwünschte sich, daß sie solcherlei Aktivitäten mittlerweile auch gar nicht mehr von ihm erwartete. Inzwischen saß also die im üblichen Alleingang erworbene Kuriosität ziemlich lächerlich auf Traudels Hinterkopf und ließ ihr von Reisefieber und der Anstrengung gerötetes Gesicht, das grotesk mit dem burgunderfarbenen Hut konkurrierte, runder als üblich erscheinen. Hatte sie bei ihrer diesjährigen Neujahrsdiät wieder zugenommen?
»So wird’s schon geh’n, gelt?«
Friedrich nickte gegen seine Überzeugung. Er strebte danach, den Abschied so kurz wie möglich zu gestalten, aber Traudel war noch nicht zu Ende.
»Also, Servus, Friedrich!«
Immer noch atemlos vom Erklimmen des Bahnsteigs, schnappte sie wieder und wieder nach Luft.
»Paß gut auf dich auf! Und vergiß nicht, die Skiunterwäsche anzuziehen bei der Kälte, weißt!«
Er würde sich schwer hüten, Leonie mit so etwas zu konfrontieren, aber er nickte wiederum zustimmend und lenkte sich durch die Betrachtung einer jungen Frau von weiteren Ermahnungen ab. Zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte sie die Treppe herauf und schien überhaupt nicht in Erwägung zu ziehen, ihre Reisetasche auf dem für das Gepäck vorgesehenen Förderband nach oben zu transportieren, wie er und Traudel es vorhin getan hatten. Sie schien etwa in Leonies Alter zu sein.
»Die faschierten Laiberln steh’n schon in der Mikrowelle, und die Rindsrouladen für morgen sind im Kühlschrank ...« Friedrich sah auf lange Jeansbeine, die geheimnisvoll irgendwo unter einer engen Lederjacke endeten und nun sehr behende den Zug erklommen.
»... und das Gebäck ist in der großen Dose neben der Kaffeemaschine. Denk daran, morgens gleich in der Früh die Semmeln aus der Truhe zu nehmen.«
Friedrich erduldete den Abschiedskuß und schob sein Eheweib nachdrücklich und nicht ohne Kraftanstrengung in das Abteil. Den Fensterplatz teilte sie mit jener Jeansschönheit, die jetzt ihre Lederjacke auszog, was er mit sinnlicher Freude beobachtete, obgleich Leonie in solch einem engen schwarzen Rolli doch weitaus reizvoller aussah.
»Am Montag und Dienstag gehst halt irgendwo essen. Vielleicht gehst am Dienstag in die Fischbratküche? Du magst doch gern einmal einen Bratfisch! Am Mittwoch komm ich ja schon zurück und mach uns abends ...«
Friedrich ärgerte sich nicht nur über Traudels Anweisungen, die sie durch das offene Abteilfenster rief, sondern auch über das mitleidige Lächeln ihrer jungen Mitreisenden.
»Auf Wiedersehen, Traudel, ja, bis Mittwoch dann! Gute Reise!« schnitt er ihr daher das Wort ab, hob noch einmal grüßend die Hand und sah außerordentlich erleichtert den Zug aus dem Bahnhof rollen.
Traudel mußte doch längst abgefahren sein, wo blieb Friedrich denn nur?
Ich sehnte ihn noch genauso herbei wie schon damals als Schülerin, wenn mein Bruder Hans bei uns zu Hause seinen Besuch erwartete. Allerdings verstummte ich immer in seiner Nähe aus lauter Furcht, er müsse spüren, daß ich ihn mir Nacht für Nacht und in so mancher Schulstunde erträumte. Meine Eltern dachten, nicht ganz ohne Grund, ich benähme mich wegen meines ständig schlechten Schulgewissens so seltsam in Friedrichs Gegenwart. Ich verabscheute Hausaufgaben. Aber ich liebte Friedrich – damals schon. Und seine in ihrem Dirndl so exotisch wirkende Frau sah ich zwar häufiger bei Mutters Kaffeekränzchen, nahm sie aber schlicht nicht als ernst zu nehmende Konkurrentin wahr. In meinen Träumen gab es sie nicht. Basta!
Zwölf Jahre mußten vergehen, bis ich schließlich auf Friedrichs Gegenliebe stieß.
Im vergangenen Sommer sah ich ihn bei der Geburtstagsfeier meines Vaters wieder, wo er mit der inzwischen matronenhaft erblühten Traudel erschien, die immer noch in einem Dirndl steckte, dessen Konfektionsgröße sich mit den Jahren allerdings vervielfacht haben dürfte. Friedrich hatte kein bißchen von seiner legendären Anziehungskraft auf mich eingebüßt; er stellte nach wie vor jeden in den Schatten, und ich hatte mittlerweile durchaus Vergleichsmöglichkeiten. Meine Knie wurden weich, als ich ihn in die Tür treten sah.
»Guten Abend, Leonie. Wie geht’s Ihnen?«
»Guten Abend, Herr Jensen, danke, sehr gut.«
Wir wurden leider sofort voneinander getrennt, weil Tante Elli und Onkel Johannes zusammen mit meiner Cousine Bärbel kamen. Tante Elli verlangte immer eine ausführliche Begrüßung und stellte sofort ihre unvermeidliche Standardfrage.
»Na, wie sieht’s denn aus, mein Kind, bekommen wir heute einmal deinen Zukünftigen zu sehen, oder ist noch immer nicht der Richtige aufgetaucht?«
Rudi war auf Kursfahrt, sonst wäre der bestimmt wieder eingesprungen. So rettete mich meine Standardantwort.
»Och, Tante Elli, weißt du doch. Es gibt nicht nur ‘ne Hand voll, es gibt ‘nen ganzen Strand voll. Wär doch ewig schade um all die anderen.«
»Mutter, hör schon auf, laß Leonie doch ihre Geheimnisse.« Vor Bärbel hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch keines!
»Wo hast du Dirk gelassen?«
Ich fragte aus reiner Höflichkeit, denn eigentlich interessierte mich außer Friedrich gar nichts und niemand an diesem Abend, nicht einmal Bärbels charmanter Mann.
»Der bringt noch unsere Trabanten in die Kojen und kommt später.«
Nachdem alle meinem Vater gratuliert hatten und wir noch das Sektglas in den Händen hielten, meldete Traudel sich freundlich zu Wort und bestimmte damit vermutlich unser weiteres Schicksal.
»Geh, das gefällt mir aber gar nicht, Leonie, daß du zum Friedrich immer noch ›Sie‹ sagst.«
»Du hast ganz recht, Traudel«, unterstützte meine Schwägerin Anita sie und drängte eifrig zur Tat: »Nun müßt ihr euch aber auch einen Kuß geben.«
Traudel, frisch und appetitlich wie ein Apfelstrudel, nötigte mich förmlich zu ihrem Mann, der sich ein Stück zu mir herunterbeugen mußte. Ich küßte eine kratzige Wange, der ganz zart der etwas herbe Duft eines mir unbekannten Rasierwassers entströmte. Allerdings war das nicht weiter verwunderlich, denn meine Erfahrung mit Rasierwasser der gehobenen Preiskategorie war äußerst begrenzt.
Unter Tausenden hätte ich aber seinen Duft nach dieser Berührung wiedererkannt, und ich verspürte sofort allergrößte Lust, weiter an ihm zu schnuppern.
»Friedrich, du mußt sie auch küssen, sonst gilt das nicht!« krähte Anita voyeuristisch. Sie wußte wieder einmal nicht, wann Schluß war. Friedrich schien zunächst unentschlossen, streifte aber schließlich doch mit seinen Lippen meine Wange, was mir augenblicklich Begeisterungsstürme durch den Körper jagte.
Als wir uns zuprosteten, sah Mutter mich für einen Augenblick irritiert an. Konnte man meine Gänsehaut sehen?
Der Abend verlief wahrscheinlich wie immer, aber für mich begann die Zeitrechnung neu. Friedrich sah manchmal zu mir herüber, und trotz der Entfernung zwischen uns spürte ich seine Nähe. Ich sandte meinerseits tausend Signale in seine Richtung, die er einfach bemerkt haben mußte. Wenn ich mich auch bemühte, nicht dauernd zu ihm hinüberzusehen, konnte ich meinen Blick nicht sehr lange von ihm lassen. Sobald ich seine Stimme hörte, mußte ich mich zwingen, wenigstens den Anschein von Interesse an meinem jeweiligen Gegenüber aufrechtzuerhalten. Dabei war ich doch nur begierig darauf, in Erfahrung zu bringen, wie sich sein rasierter Hals anfühlte. Zu gern hätte ich nochmals diesen betörenden Duft erschnüffelt und mich von seinem nachwachsenden Bart kratzen lassen.
Ich ließ es nicht zu, daß er vorüberging, ohne Notiz von mir zu nehmen. Unerbittlich lächelte ich ihn an, bis er mich schließlich ansprechen mußte.
»Du bist Journalistin geworden, Leonie? Wo arbeitest du denn?«
»Och, kein fester Job. Das raubt einem zu viel Zeit, wenn man an einer größeren Sache arbeiten will.«
»Und worum handelt es sich dabei?«
Ich hätte mir denken können, daß es in Friedrichs Gegenwart nicht erlaubt war, einfach etwas daherzuschwafeln. Er hakte sofort nach. Sein Blick lag dabei allerdings auf meinem ziemlich großzügigen Ausschnitt. Aus gegebenem Anlaß hatte ich im Laufe des Abends zwei weitere Knöpfe meiner Bluse geöffnet! Natürlich jeweils dann, wenn Friedrich mir dabei zusah. Ob er auf einen weiteren Knopf wartete?
»Weißt du, ich habe begonnen, an einem Roman zu arbeiten, aber der steckt noch sehr in den Anfängen. Ich komme einfach zu wenig dazu.«
»Dein Buch über Hunde, das du zusammen mit unserem Herrn Keller geschrieben hast, war ja ein ausgesprochener Erfolg.«
Aha, das hatte er also nicht gelesen, sonst hätte er zumindest gewußt, daß es um das Verreisen mit Hunden ging. Rudi und ich hatten wirklich einen Renner gelandet. Aber irgendwann hören halt die Gelder auf zu fließen, und da hatte mir Rudi diesen Auftrag bei der Illustrierten verschafft. Wie konnte ich aber Friedrich sagen, daß meine Haupteinnahmequelle zur Zeit die Ratgeberspalte einer dämlichen Frauenzeitschrift war? Lukrativ, aber gänzlich ohne Anspruch, weshalb wir einträchtig über »Frau Beate rät ...« schwiegen. Auf Rudi war Verlaß!
Der Roman war die pure Erfindung – wenn man einmal davon absah, daß ich alle halbe Jahre versuchte, etwas Neues zu beginnen. Ich hätte mich wohl besser auf weniger dünnes Eis begeben, aber dazu hatte ich inzwischen entschieden zuviel Bowle getrunken.
Nur ein Themenwechsel würde mich jetzt retten.
»Außerdem arbeite ich zeitweilig bei Bärbel im ›Literamar‹. Ich helfe ihr bei der Buchführung.«
»Der Laden scheint wirklich gut zu laufen.«
Rechtzeitig fiel mir einer meiner Frau-Beate-Ratschläge ein.
Wollen Sie einen reifen Mann für sich gewinnen, erzählen Sie ihm um Gottes willen nichts über Ihre berufliche Tätigkeit, Ihre Lebensgeschichte nur, wenn sie ihn in der Rolle Ihres Retters und Beschützers zeigt. Lassen Sie ihn die seine erzählen, das macht ihm wesentlich mehr Spaß, als Ihnen zuzuhören. Fragen Sie ihn grundsätzlich nur nach angenehmen Dingen, also niemals nach der Ehefrau oder etwa nach den Schulleistungen seiner halbwüchsigen Kinder und ähnlichen Mißerfolgen.
»Du bist jetzt schon seit einigen Jahren Schulleiter am Marinaeum und sollst die Schule ja enorm verändert haben.«
Das Konzept war goldrichtig. Er begann zu erzählen, und ich stellte freundliche kleine Zwischenfragen, die keine Probleme aufwarfen, sondern Ausdruck gaben von meiner grenzenlosen Bewunderung für ihn – als Mann und Mensch und Schulleiter. Allerdings gesellte sich bald Hans zu uns, was meine Möglichkeiten leider erheblich einschränkte. Mein Bruder störte noch gar nicht einmal so sehr, hatte aber leider seine Frau im Schlepp, und Anita störte grundsätzlich. Leider forderte sie uns nicht wieder auf, uns zu küssen, was sie in meinen Augen sofort für alle Ewigkeit rehabilitiert hätte.
Die Gesellschaft verfügte sich nach draußen in den sommerlich warmen Abend. Friedrich und ich schlenderten ein Stück zusammen durch den Garten, was wir uns schon am nächsten Tag nicht mehr erlaubt hätten, weil unserer Begegnung die Unschuld genommen war.
»Ach, Friedrich, zeigt unsere Lütte dir ihre Schaukel?«
Vater näherte sich ganz arglos mit diesem Scherz, aber Mutter war anzusehen, daß sie alle Antennen ausgefahren hatte. Ich tat gut daran, beizudrehen und Dirk zu begrüßen, der in diesem Moment eingetroffen war, und ich bekam keine Gelegenheit mehr, zu Friedrich zurückzukehren. Erst bei der Verabschiedung sah ich ihn wieder und baute mich direkt vor ihm auf, damit er mich nicht am Ende übersah. Anita, fand ich, sollte noch einen klitzekleinen Abschiedskuß anordnen. »Pardon, darf ich bitte?«
Damit beschäftigt, ihm bedeutungsvoll in die Augen zu sehen, bemerkte ich erst nach einiger Zeit, daß ich auf seinem Mantel stand, den er bereits über dem Arm trug.
»Oh, Entschuldigung.«
Wieder warf Mutter mir einen merkwürdigen Blick zu, aber ich umarmte rasch Bärbel zum Abschied und versuchte, mich möglichst herzlich auch von Traudel zu verabschieden.
Auf dem Weg durch die belebte Halle atmete Friedrich einige Male befreit auf und steuerte, einer plötzlichen Eingebung folgend, zunächst das Blumengeschäft an, kaufte dann im Bahnhofspavillon frische Brötchen, und der eiskalte Wind blies ihm auf dem Weg zum Parkplatz endgültig Traudels Chanelduft aus der Nase.
»Ich will mit dir frühstücken, Friedrich!« hatte Leonie befohlen, und er fragte sich, warum den Frauen das gemeinsame Essen so sehr am Herzen lag. Gewiß hatte sie an diesem düsteren, frostkalten Januarmorgen die Wohnung noch nicht verlassen, um einzukaufen, sehr wahrscheinlich nicht einmal das Bett! Er hatte es jetzt ganz eilig, zu ihr zu kommen.
»Carpe diem!«
Strauß und Brötchentüte flogen auf den Rücksitz neben seine Aktentasche, in die er mit gewissem Kitzel, und nicht ohne erhebliche Verwirrung zu stiften, am Morgen eine Flasche Champagner deponiert hatte. Kaum hatte Traudel seine Tasche bemerkt, griff sie danach, und die Inquisition begann.
»Willst denn noch in die Schul’? Ich dacht’, heut’ kannst daheim bleiben.«
Dabei klappte sie auch schon die Bügel auseinander, vermutlich, er wollte ihr keine Hellseherei unterstellen, um zu ergründen, ob er etwas zur Jause dabeihatte. Die Kontrolle war gänzlich überflüssig, weil Friedrich in den letzten zwanzig Jahren niemals selbst daran gedacht hatte oder auch nur daran hätte denken müssen. Aber in diesem Fall blieb ihre Mühe nicht ohne Ergebnis, das sie auch flugs hervorzog und ihm fragend entgegenstreckte:
»Mei, was willst denn du mit dem Sekt, Friedrich?«
»Ja, was will ich wohl mit Sekt?«
Er hatte ihr die Flasche gereizt aus den Händen gezerrt und sie zurück in die Tasche gelegt.
»Oh, entschuldige bitte, es geht mich freilich nichts an ...« »Da hast du zwar recht, aber gut, die ist für unsere Hausmeistersfrau, weil sie mir über die Weihnachtsferien die Pflanzen in meinem Zimmer gegossen hat.«
Er hatte das Gefühl, diese Szene tausendmal im Film gesehen zu haben, und unbeteiligt wie ein Zuschauer nahm er seine Lüge zur Kenntnis. Traudels überlegenes Lächeln begleitete ihren selbstsicheren erneuten Griff nach der Flasche.
»Geh, Friedrich, aber da mußt doch zumindest eine Schleife herumgeben, so geht doch das nicht.«
In Minutenschnelle dekorierte sie also den Champagner und verpackte ihn außerdem sorgsam in einen kleinen Tragebeutel, den sie neben seine Tasche stellte. Friedrich tauchte aus seinem Kinogefühl auf, um einen kurzen Disput darüber zu führen, ob die Flasche, wie gehabt, besser liegend in der Aktentasche oder, wie von Traudel gewünscht, stehend im Tragebeutel zu transportieren sei. Sehr zum Verdruß seiner Gattin gewann er. Traudel liebte es nicht, in Dingen, die sie ihrem häuslichen Wirkungsbereich zuordnete, zu unterliegen, und Friedrich verspürte um so mehr eine grimmige Freude an seinem Sieg. In solchen Augenblicken sehnte er sich nach Entdeckung, genauer, zufällig in flagranti ertappt zu werden, was Traudel mit ihrem endgültigen, vor allem aber sofortigen Verschwinden aus seinem Leben ahnden würde. Prinzipiell neigte er nicht zu utopischen Träumereien. Aber wenn die laufenden Bilder um ihn herum allzu befremdlich wurden, hoffte er inständig auf einen Schnitt.
Vor der Geeste mußte er seinen Wagen stoppen. Ewigkeiten hatte er nicht erlebt, daß die Brücke hochgekurbelt war, um ein Boot passieren zu lassen. Ausgerechnet heute!
Friedrich, wo bleibst du nur? Ich erwartete ihn heute ebenso bange und genauso hoffnungsvoll wie an jenem Abend nach Vaters Geburtstag. Dabei waren wir damals überhaupt nicht verabredet. Aber ich hatte mir seinen Besuch so sehr gewünscht. Und tatsächlich stand er auf einmal vor der Tür. Stumm, und mit dem Marinaeum-Jahrbuch unter dem Arm.
»Herr Jens ... Friedrich, komm bitte herein!«
»Ich dachte ... du interessiertest dich doch gestern für die Entwicklung der Schule, und ...«
Ich zog ihn sehnsuchtsvoll und vollkommen überwältigt vor Glück einfach in meine Wohnung, und dabei passierte dieser blöde Unfall. Er hatte ausgesprochenes Pech und stolperte so unglücklich über meine Tasche, die mitten im Flur lag, daß er mit dem Knie gegen die alte Seekiste prallte. Drei Wochen hielt die Verletzung ihn immerhin vom Tennisplatz und von meinem Vater fern, den er dort zu treffen pflegte. Hätten wir das Bein gekühlt, wäre die Sache vielleicht schneller ausgestanden gewesen, aber wir kümmerten uns einfach gar nicht darum, sondern räumten einvernehmlich mein mit Kleidern vollgepacktes Bett frei – ich hatte vormittags ein bißchen anprobiert, bevor ich in die Bibliothek fuhr – und genossen unser erstes Zusammensein, als sei es auch das allerletzte und das wichtigste in unserem ganzen Leben. Allerdings war Friedrichs Knie inzwischen dermaßen angeschwollen, daß es nicht mehr belastbar war. In dieser Beziehung hatte er aber glücklicherweise ganz und gar nichts gegen die Überlegenheit einer Frau einzuwenden!
Nachdem er um Mitternacht davongehumpelt war, lag ich mit brennenden Lippen und zerkratztem Gesicht allein in meinem Bett und wünschte, er wäre für immer bei mir geblieben. Aber es blieb nur sein Duft, den ich mit in meine Träume nahm.
Was Friedrich Traudel damals erzählt hat, weiß ich nicht. Irgend etwas zwischen Dichtung und Wahrheit, wo ja vermutlich vieles angesiedelt ist, was wir so daherschwätzen. Ich vermied es jedenfalls seither, ihr zu begegnen.
Der Sommer verging, unterbrochen von ein paar Urlaubswochen, mit regelmäßigen Besuchen am Mittwochabend. Der Herbst kam, und Weihnachten verbrachte ich schließlich geliebtentypisch ohne ihn. Ich erlebte in diesen Monaten das Paradies auf Erden und wurde andererseits höllisch von allem gequält, was Frauen wie mich wohl gewöhnlich heimsucht: Mißtrauen, Eifersucht, Verzweiflung, Trennungsabsichten, Fluchtversuche, Trauer. Das war mein Preis, den ich zahlte, weil ich niemals diese erste Nacht mit Friedrich vergessen würde. Aber das erzählte ich ihm besser nicht, denn zuviel Anhänglichkeit würde ihn verschrecken.
Die Klingel erlöste mich endlich von der Vorstellung, Friedrich könnte ausgerechnet heute eine Reifenpanne haben oder, viel, viel schlimmer noch, meine Gebete seien nicht erhört worden und Traudel hätte sich die ganze Geschichte mit ihrem Seminar noch einmal überlegt.
»... schon Schweigen ist Betrug ...« sang Wecker.
Ich stürmte zur Tür.
»... genug kann nie genügen!«
Da stand er. Und das am hellichten Morgen!
»Friedrich!«
Und es war Samstag ...
»Vorsicht, die Tüte.«
... und gar nicht Mittwoch.
Die Brötchen purzelten auf den Flur.
»Macht nix, ich habe gesaugt.«
Er roch so gut nach Friedrich im Winter.
»O toll, Brötchen!«
»Die hier sind für dich.«
»Wie wunderschön, Rosen, danke!«
Er hatte mir noch nie Blumen geschenkt, und ich wollte sie am liebsten sofort trocknen, um sie für immer zu erhalten und so das Vergängliche unvergänglich zu machen. Aber er würde das nicht verstehen oder albern finden, und deshalb steckte ich sie doch in die Vase, wobei ich kurz daran dachte, das Schleierkraut zu entfernen. Es wirkte so bräutlich!
Friedrich zog eine Flasche Champagner, die sogar mit einer Schleife verziert war, aus seiner Tasche und entkorkte sie. Sicherheitshalber polierte ich die zwei Sektkelche. Er war pingeliger in diesen Dingen als ich und putzte oder räumte dauernd an irgend etwas herum in meiner Wohnung.
»Komm!«
Friedrich drängelte mich ins Schlafzimmer, und dort lag ich endlich in seinen Armen an einem Samstag! Außergewöhnlich wie beim ersten Mal!
Er lag neben mir und flüsterte Gänsehaut in meinen Nacken, und es gab nichts auf der Welt, das mir im Augenblick wichtiger gewesen wäre.
»Nicht da, Friedrich, das kitzelt so.«
»Wo denn dann? Hier ... oder vielleicht hier ...?«
Ich mußte eingeschlafen sein, denn plötzlich sah ich Friedrichs Gesicht über mir. Er hatte mich offenbar im Schlaf betrachtet.
»Du bist schön.«
»Spinner! Und als ob es darauf ankäme. Du liebst meine schöne Seele.«
»Woll’n mal sehen, wo wir die finden.«
Friedrich liebte mich. Jedenfalls hier und jetzt in meinem Bett. Und er ließ mir keine Sekunde Zeit, über uns nachzudenken, was mir auch meistens nicht so gut bekam.
Anschließend fielen wir hungrig über die Brötchen her. Zum allerersten Mal Frühstück mit Friedrich. Mir war sehr feierlich zumute.
»Wir könnten eigentlich jetzt für ein paar Tage zusammen wegfahren.«
»Aber das geht doch nicht, Leonie.«
Als er mein mauliges Gesicht sah, spendete er ein Trostpflaster. »Laß uns nachher mit der Fähre rüberfahren und uns in Oldenburg ein hübsches Restaurant suchen.«
»Och, nö, Weserfähre, weiß nicht.«
»Anschließend vielleicht ins Kino?«
»Ich mach uns erst einmal Tee. Warum geht das denn nicht?
Nur zwei Tage, Friedrich.«
»Du, Leonie?«
Alarm! Das war der Glacéhandschuhtonfall.
»Also, es ist so, morgen nachmittag, du, da kommen die Kollegen und ehemaligen Schüler wegen der Vorbereitung der Jubiläumsfeier zu mir. Das Marinaeum wird fünfzig«, fügte er fast etwas vorwurfsvoll hinzu, »da müssen wir uns schon etwas einfallen lassen.«
»Ach was! Tatsächlich?«
»Leonie, mein Mädchen, nun ...«
»Jetzt hör mir mal zu, Friedrich, mein Junge! Warst du es nicht, der sagte, wir hätten das Wochenende einmal ganz für uns?«
»Leonie, sei bitte vernünftig. Es geht nur am Sonntag, weil viele der Ehemaligen inzwischen außerhalb leben und nur zu einem Wochenendbesuch in Bremerhaven sind.«
»Und warum muß es ausgerechnet mein eines Wochenende und kann nicht irgendeines der vielen Traudel-Wochenenden des Jahres sein?«
»Leonie, Liebes, schau mal, sie kommen schon sehr früh am Nachmittag. Und das hat immerhin den Vorteil, daß sie auch früh gehen werden und wir anschließend wieder Zeit nur für uns haben.«
Ich war furchtbar enttäuscht und hatte überhaupt keine Lust mehr, unsere kostbare Zeit in Oldenburg mit Kino zu vertun. Wir hörten Musik, tranken Wein und spielten Schach. Einen ganzen Abend lang, denn wir hatten keine Eile. Friedrich war lieb und sehr aufmerksam.
Schließlich schaute er auf die Uhr.
»Leonie, es wird Zeit, ich muß jetzt los.«
»Du mußt – was?«
»Es ist nach Mitternacht, Liebes.«
»Aber du kannst doch wohl wenigstens heute hierbleiben, Friedrich. Sie ist doch gar nicht da.«
»Leonie, du, mach es uns doch nicht so schwer.«
»Was ist das denn für ein blöder Spruch, Friedrich? Mir kommt es so vor, als hätte ich den schon mal irgendwo gehört.« Friedrich setzte seine unerbittliche Miene auf. »Das könnte schon sein.«
Es gelüstete mich, meine Einsamkeit ins Feld zu führen, meine Verzweiflung, wenn er fort war. Die Leere der Tage, an denen ich ihn nicht sah, aber ich hatte einen Grundsatz, den ich nicht gänzlich über den Haufen werfen wollte, obwohl ich auf dem besten Wege dazu war.
Jammern Sie Ihrem Geliebten nichts vor, und bedrohen Sie ihn vor allem nicht mit Ihrer Liebe. Die will er nämlich gar nicht. Er möchte Sie zeitweilig lieben, das ist ein erheblicher Unterschied!
Friedrichs Entscheidung war endgültig, wie immer, wenn er sie einmal getroffen hatte.
»Warum mußt du denn gehen, wenn deine verdammte Frau gar nicht zu Hause ist, um dir eine Szene machen zu können? Ich versteh das wirklich nicht, Friedrich, und ich will so was auch nicht verstehen.«
Es war überflüssig, aber ich konnte jetzt einfach den Mund nicht halten.
»Traudel ruft morgen früh ganz sicher an, nachdem sie heute nur den Anrufbeantworter erwischt hat. Komm, Leonie, wir dürfen nicht so unvernünftig sein.«
Er würde nie unvorsichtig sein, das war ja mein Problem. Und ich wollte unvernünftig sein, weil ich dies alles nicht länger ertragen konnte, noch weniger als den riesigen Knall, den die Offenbarung unserer Liebesbeziehung auslösen würde.
Die Verabschiedung fiel entsprechend kühl aus, und dennoch war ich entschlossen, mir den verbleibenden Rest des gemeinsamen Wochenendes nicht verderben zu lassen.
Bestehen Sie darauf, daß Ihr Geliebter mindestens fünfzig Prozent seines Jahresurlaubs mit Ihnen verbringt. Sie haben überdies Anspruch auf die Hälfte aller Feiertage und natürlich auf die Zeiträume, in denen die Ehefrau den Gatten mutwillig allein läßt und beispielsweise zu Fortbildungskursen reist! Aber fangen Sie nicht wieder an, ihm Vorwürfe zu machen, und lamentieren Sie nicht herum, das führt zu nichts, riet ich einer wundervollen jungen Frau, die einem unglücklich verheirateten Oberstudiendirektor in selbstloser Weise das triste Leben versüßte und dafür nicht die angemessene Zuwendung von ihm erhielt. Meine Tätigkeit als Briefkastentante bekam laufend neue Nahrung aus dem wirklichen Leben, und ich war nie darum verlegen, sowohl Leidensbriefe als auch ihre Beantwortung zu erfinden. Diesen allerdings würde ich wohl kaum verwenden.
Sein Anruf am folgenden Morgen erreichte mich beim Frühstück.
»Was machst du zur sonntäglichen Kirchgängerzeit zu Hause, Friedrich? Lauerst du immer noch auf ein Lebenszeichen deiner Angetrauten?«
Ich war müde, weil ich mir nachts einen Frust-Film bei einer halben Flasche Einsamkeitswein und einer Tafel Trostschokolade angesehen hatte und eigentlich noch gut und gern mindestens ein Stündchen hätte schlafen sollen.
»Ich denke, wenn du zur Kirche gehst, reicht das für uns beide.« »Hans geht ja, und vor allem geht Anita, da brauch ich nicht; deren Gebete reichen für die ganze Familie, obwohl ich nicht sicher bin, ob sie mich darin einschließt.«
»Wird sie schon als wahrer Christenmensch. Du, Traudel hat tatsächlich gestern aufs Band gesprochen. Ruft heute aber erst gegen Abend wieder an.«
»Soll das heißen, daß wir uns deshalb wieder nicht sehen können?«
»Leonie, bitte!«
»Dann sag ihr später doch einfach, daß du mit dem Hund draußen warst.«
»Wir haben keinen Hund.«
»Weiß sie das?«
»Leonie!«
»Schon gut.«
»Liebes, ich möchte dich auch gern sehen und habe mich auf dich gefreut. Bitte, komm doch nachher zu mir. Die Besprechung dauert höchstens bis vier, maximal bis fünf, allerhöchstens!«
»Na gut, ich komm aber nicht vor halb sechs, damit ich dich nicht kompromittiere und zuletzt noch gezwungen bin, dich zu heiraten, nur weil dein guter Ruf sonst unwiederbringlich im Eimer wäre. Bis dahin mußt du aber auch wirklich alle rausgeschmissen haben!«
Friedrich verabschiedete sich mit seinem kleinen sympathischen Lachen. Ich war trotz allem glücklich, weil auch ihm offenbar der Mittwoch nicht mehr genügte. Allerdings ließ er bislang niemals Zweifel über den Status unserer Zweisamkeit aufkommen, und ich akzeptierte das zwangsläufig. In meinem Bademantel am Küchentisch träumte ich mit der Teetasse in der Hand davon, Traudel zum Mond zu schießen und ihn ganz allein für mich zu haben, ihn zu heiraten.
»Heiraten – Leonie, du bist komplett verrückt!«
Der Tee war noch viel zu heiß, ich hatte mir mal wieder den Mund verbrannt.
Als ich zur verabredeten Zeit bei Friedrich eintraf, begegnete mir in der Haustür ausgerechnet mein Ratgeberfreund Rudi zusammen mit meiner ehemaligen Mitschülerin Marion.
»Mensch, Leonie, das gibt’s ja gar nicht. Ist ja eine Ewigkeit her.«
Wir umarmten uns.
»Schade, daß du so spät dran bist, ich muß gleich zum Zug, aber erzähl doch mal, was machst du denn?«
»Ach, weißt du ...«
Rudi kombinierte animiert: »Na, da überlegen wir doch. Entweder ist sie als aufstrebende Journalistin eingeladen oder wegen ihrer aufopferungsvollen Tätigkeit in Sachen ›Ratgeber für jedermann‹?«
Friedrich glänzte mit einzigartiger Geistesgegenwart.
»Ich denke, in beiden Eigenschaften. Bitte, tritt doch näher, Leonie. Schade, daß Sie schon gehen müssen, Marion. Sie beide hätten sich sicherlich viel zu erzählen.«
Die zeitliche Panne verursachte ihm offenbar überhaupt keine Kopfschmerzen; Friedrich wirkte selbstsicher wie immer. Ganz Hausherr, schob er mich eisern lächelnd in die riesige Diele, und ich sagte brav den sich zum Ausgang durchschwatzenden Gästen guten Tag.
Außer Friedrich, Marion und Rudi kannte ich niemanden, aber plötzlich schoß meine frühere Deutschlehrerin, die gute alte Klever, auf mich zu. Daß die noch nicht pensioniert war! »Guten Tag, Frau Klever.«
»Leonie, guten Tag, so eine Überraschung. Herr Jensen hat uns gar nicht verraten, nicht wahr, daß Sie auch dabei sind. Da bin ich aber froh, nicht wahr, jetzt haben Sie allerdings die wichtigsten Informationen verpaßt. Ja, aber das wird ganz unglaublich interessant, davon bin ich fest überzeugt.« Unglaublich, das fand ich auch.
»Stellen Sie sich vor, Herr Jensen hat Kontakte zu dieser neuen Wochenzeitschrift Wasserkante geknüpft, nicht wahr, da können unsere Schüler sich in einem Projekt mit dem Medium Zeitung vertraut machen. Ja, der Herr Keller hatte diese wunderbare Idee.«
»Das klingt wirklich interessant, Rudi, davon hast du noch gar nichts erzählt.«
»Besondere Absolventen der Schule, die künstlerisch, sportlich oder politisch in der Öffentlichkeit mehr oder auch weniger Bekanntheit erlangt haben, werden bis zur Jubiläumsfeier, zu der ihr als Ehrengäste natürlich dann alle herzlich eingeladen werdet, in der Zeitschrift porträtiert.«
»Nicht wahr, Leonie, das ist eine wirklich ganz reizende Idee vom Kollegen Keller.«
»Doch, ja, wirklich ganz reizend, Rudi.«
Der Sportler war nicht schwer zu finden gewesen, sogar einen Komponisten und eine Malerin, die schon vor vierzig Jahren ihr Abitur gemacht hatte, waren aus dem Marinaeum hervorgegangen. Marion war wohl die Bekannteste von allen, erfolgreich als Schauspielerin und nun auch als Serienheldin. Friedrich wurde just von Frau Klever beglückwünscht, endlich auch eine Dichterin in den Reihen der Ehemaligen entdeckt zu haben.
Eine Dichterin?
»Ich hörte eben zufällig, daß Sie auch Lyrik schreiben, Leonie. Leider muß ich Ihnen gestehen, daß ich noch gar nichts von Ihnen gelesen habe.«
Lyrik – ich?
Mir war diese Wendung ganz ungeheuer peinlich und irgendwie auch bedrohlich, doch als ich gerade beginnen wollte, alles geradezurücken, fiel Friedrich mir ins Wort.
»Das ist ganz richtig, liebe Kollegin. Von ihrer Lyrik ist bislang auch nichts veröffentlicht worden ...«
Friedrich ging dieser Satz erstaunlich glatt über die Lippen, und Rudi, der soeben den Raum verlassen wollte, sah mich verblüfft an. Er war ganz ohne Zweifel völlig darüber im Bilde, daß mir außer der üblichen Gebrauchslyrik für Gästebücher oder Geburtstagskarten noch niemals ein Vers aus der Feder geflossen war.
»Leonie, ich freue mich, daß Sie dabei sind! Da werden Sie uns aber doch im Rahmen der Jubiläumsveranstaltung sicher etwas präsentieren, nicht wahr?«
Schon nickte der Friedrich-Direktor unverbindlich dazu, als ich mich zu energischem Protest veranlaßt fühlte.
»Also, darüber haben wir überhaupt nicht gesprochen. Lyrik ... ich habe doch ... Ich möchte nicht ...«
Friedrich schoß Augenblitze und erklärte definitiv: »Einzelheiten sind auch mit den anderen bisher nicht abgesprochen, das werden die Fachgruppen mit den Schülern gemeinsam unternehmen.«
Komponist Albert und Malerin Helena warfen mir einen »Tanz-hier-nicht-aus-der-Reihe-Blick« zu, während der Sportler gelassen mit den Fingern knackte und das Tanzpaar von der TSG Bremerhaven leichtfüßig – ganz die Schule von Horst und Andrea Beer – die Stufen hinuntersprang.
Ein Alptraum!
Die arglose Klever verabschiedete sich. »Ja, dann grüßen Sie bitte Ihre lieben Eltern recht schön. Und auf gute Zusammenarbeit, meine Liebe, nicht wahr. Ich freue mich so, daß Herr Jensen Sie ausfindig gemacht hat. Nicht wahr, Marion, Sie könnten ja aus Leonies Gedichten lesen. Ihr Mädels kennt euch doch noch von früher. Das wäre ja ganz wunderbar.«
»Na klar, machen wir. Auf Wiedersehen, Frau Klever!«
»Auf Wiedersehen!«
Meine Güte, wie wunderbar!
Später half ich Friedrich, die Punschgläser und die Gebäckschälchen in Traudels blitzsaubere Küche zu tragen, und beklagte mich bitterlich über sein Possenspiel.
»Sag mal, bist du von allen guten Geistern verlassen? Was hab’ ich mit eurer blöden Jubiläumsfeier zu tun?«
»Du bist gut! Die einzige Möglichkeit, deine Anwesenheit einigermaßen plausibel zu erklären, war, dich in die Gruppe der Ehemaligen einzureihen.«
»Und in welcher Eigenschaft, wenn ich fragen darf? Als hingebungsvolle Ratgebertante oder als Autorin von ›Verreisen mit dem Hund‹, was du, nur mal ganz nebenbei bemerkt, immer noch nicht gelesen hast?«
»Wie kommst du denn darauf? Natürlich habe ich’s gelesen.« Das war mir neu.
»Warum hast du denn die Sache mit der Lyrik nicht wenigstens geradegerückt? Wie kam die Klever überhaupt auf Lyrik?«
»Weiß ich auch nicht genau, sie hat aber die Helena Ocker deinetwegen befragt.«
»Und die dumme Gans hat behauptet, ich schriebe Lyrik?«
»Ich weiß es nicht. Warum ›dumme Gans‹?«
»Du weißt es nicht, ist ja prima. Und wie steh’ ich jetzt da?«
»Wie eine entzückende junge Frau, die sich völlig unverständlicherweise von diesem alten dummen Knacker küssen läßt.«
»Will aber überhaupt nicht küssen.«
»Kein bißchen?«
»Nee!«
Friedrich küßte trotzdem.
»Bist kein alter Knacker!«
»Das habe ich auch gerade bemerkt.«
So sehr ich Friedrichs Zärtlichkeiten genoß, war mir doch so mulmig bei dieser absurden Geschichte, daß ich sie lieber sofort aus der Welt geschafft hätte.
»Hoffentlich geht das gut.«
»Mach dir keine Sorgen, die Klever ist in Planungsdingen total chaotisch und hat ohnehin morgen vergessen, was heute besprochen wurde.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.«
Friedrich und ich liebten uns meistens in meinem Bett, manchmal auch auf der Couch und sehr selten auf dem Sessel oder auf dem Fußboden, immer aber in meiner Wohnung! Seit der Schulzeit hatte ich das Jensen-Haus nicht mehr betreten, und ich hätte gut daran getan, ihm auch an diesem Tag fernzubleiben. Niemals wäre ich auf die Idee verfallen, mit Friedrich hier schlafen zu wollen – Ehebetten waren ja so was von tabu –, wenn mich nicht die Sehnsucht nach ihm alle Bedenken hätte über Bord werfen lassen.
»Liebes, ich bin gleich bei dir, muß nur noch rasch telefonieren.«
Zu blöd, daß ich wußte, mit wem. Er erwartete Traudels Anruf! Ein bißchen Überwindung kostete es mich schon, in ihr gemeinsames Bett zu schlüpfen, aber ich hatte einige Gläser Punsch intus, das machte Mut.
»Ich werde noch Marius anrufen; er ist derzeit zu einem Gastsemester an der Universität Bremen.«
»Wen?«
»Josef Marius ist Professor für Medienwissenschaften. Wir kennen uns noch aus München. Ich habe ihn gebeten, auf der Jubiläumsveranstaltung unser Zeitungsprojekt wissenschaftlich zu beleuchten. Jetzt müssen wir den Termin absprechen, weil er gleich nach dem Sommersemester für einige Zeit nach Rom geht.«
Mit der Wissenschaft hatte ich seit meinem abgebrochenen Studium nicht mehr viel am Hut, und so ein alter Professor interessierte mich schon gar nicht.
Ich holte mir ein Glas Rotwein, griff das Buch vom Nachtschrank und fand es recht gemütlich, so auf meinen Friedrich zu warten. Die Lektüre verdroß mich allerdings bald, weil die Autorin seitenlang und ausdauernd damit beschäftigt war, ihr schriftstellerisches Tun zu rechtfertigen. Das ermittelte ich durch schnelles Durchforsten der Kapitel, ein Leseverhalten, das Mutter abscheulich fand. Für sie war es eine Frage der Disziplin, einmal begonnene Bücher auf Gedeih und Verderb von der ersten bis zur letzten Seite zu Ende zu lesen. Mutter hielt allerdings insgesamt etwas mehr von Disziplin als ich, was an ihrer preußischen Erziehung liegen mochte, die sie, wie sie oft bedauerte, versäumt hatte, in ausreichendem Maße an mich weiterzugeben.
Die im Klappentext verheißungsvoll versprochene spannende Unterhaltung durch eine Autorin, die ihren konsequenten Weg in die Emanzipation beschrieb, wollte sich bei mir einfach nicht einstellen. Ihre zugegebenermaßen amüsant geschilderte Revolution in Küche, Kinderzimmer und ehelichem Schlafzimmer nötigte mir unwillkürlich einen Vergleich mit Traudels Lebensumständen auf, was ich mir in ihrem Bett liegend nicht unbedingt antun wollte. Schlimm genug, daß Friedrich mich gelegentlich mit seinen Erziehungsproblemen konfrontierte, obwohl ich es haßte, in dieser Weise in sein bis auf meine Existenz beinahe heiles Familienleben einbezogen zu werden.
Vermeiden Sie unbedingt Gespräche über seine Familie, riet ich allen, die mich danach fragten, Sie haben natürlich alle Vorzüge auf Ihrer Seite und werden daher Ihre Kritik nicht unterdrücken können. Bedenken Sie nur, daß der längere Hebel leider auf der anderen Seite ist.
Es gelüstete mich daher wahrhaftig nicht, die bekannte Problematik von einer frauenbewegten Überzeugungsmutter beleuchtet zu bekommen. Kinder waren mir, mit Ausnahme der überaus gelungenen Exemplare von Bärbel und Dirk, suspekt, seit ich selbst den Windeln entwachsen war.
Mir blieb nichts, als das Bett nochmals zu verlassen, um unten nach neuer Lektüre zu forschen. Vielleicht könnte ich bei der Gelegenheit Friedrich einen Blick auf meine nackte Haut gönnen, was mir die Suche nach einem anderen Buch vielleicht ersparen würde.
Von diesem Gedanken beflügelt, sprang ich energisch aus dem Bett. Als sähe ich es in Zeitlupe, konnte ich nun beobachten, wie das Rotweinglas, das ich auf dem Nachtschrank deponiert hatte, von einem Bettzipfel aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Sein rotschimmernder Inhalt ergoß sich zum Teil in die bedauerlicherweise nicht vollständig geschlossene Nachttischschublade, wo meinen jüngsten Nachforschungen zufolge, umgeben von Kleinigkeiten, die frau halt so in greifbarer Nähe hat, die Impfpässe neben dem Familienstammbuch lagen.
Blöder Platz für Dokumente dieser Art, Traudel!
»Verdammter Mist!«
Ich zog das Familienbuch mit spitzen Fingern aus der Lade. Es hatte von dem köstlichen Roten, den nach Friedrichs Auskunft der Schwager immer aus Österreich mitbrachte, in der kurzen Zeit meiner Schreckensstarre so viel aufgesogen, daß die trügerische Goldschnittkante die unregelmäßig rotweinfarbenen Seiten nur auf den ersten Blick verbergen konnte. Außerdem wies der ziegenlederne Einband sehr häßliche Flecken auf.
Welch große Verheerungen doch so ein kleines Gläschen Wein anrichten konnte. Beim Impfpaß war das gar nicht so tragisch, beim Familienstammbuch, da würde Friedrich sicher absolut meiner Meinung sein, hörte der Spaß aber auf. Man schüttete keinen Wein darüber, vor allen Dingen dann nicht, wenn es sich nicht um das eigene Familienstammbuch handelte, sondern um das der betrogenen Ehefrau des Geliebten, in deren Bett ich nur deshalb lag, weil sie klassischerweise an einem Seminar für verlassene Ehefrauen teilnahm. Oder hatte Friedrich gesagt, es ginge um verlassene Mütter, deren Kinder erwachsen waren und die nun nicht mehr wußten, wen sie drangsalieren sollten? »Kampf dem Empty-Nest-Syndrom!« oder so ähnlich.
»Igitt, was für eine Schweinerei!«
Ich schlug die weintriefenden Seiten auf und trocknete sie vorsichtig mit irgendeinem Wäschestück, das mir in die Hände fiel und das Friedrich später empört als seine Schlafanzugjacke identifizieren sollte. In solchen Momenten hatte man bedauerlicherweise kein Wisch-und-weg-Tuch im Schlafzimmer parat, obwohl ich aus mannigfaltigen Gründen schon immer dafür plädiert hatte, eine solch praktische Rolle in Bettnähe greifbar zu installieren. Traudel hatte für alle Fälle selbstverständlich eine Packung Taschentücher in ihrem Nachtschrank, allerdings in der unteren Schublade, direkt neben dem geschnitzten Holzschächtelchen, in dem sie neben Hühneraugenpflastern auch Präservative verwahrte. Das hatte mich natürlich irritiert!
Interessiert las ich, während ich vorsichtig darauf herumtupfte, die Urkunde über die Eheschließung des Herrn Friedrich Karl Jensen, geboren, ach, das überlesen wir, mit einer gewissen Traudel. Ja, das schien tatsächlich ihr Taufname zu sein, Traudel, nichts weiter, die natürlich jetzt auch Jensen hieß, weil die Mode mit dem Bindestrich damals noch nicht üblich war und Traudel überdies sicher niemals einen anderen Namen als den Friedrichs hätte tragen wollen. Geboren war sie in Wien. Aufgewachsen auch, wie Mutter kürzlich erzählte.
»Traudels Eltern hatten eine Goldgrube von Apotheke direkt in der Wiener Innenstadt.«
»Und dort haben die beiden sich kennengelernt? In Wien?«
Glücklicherweise fragte Anita. Es entsprang vermutlich meinem permanent schlechten Gewissen, daß ich mir dauernd einbildete, Mutter wisse Bescheid. Ich tat alles, um falsche Spuren zu legen, und brachte daher hin und wieder Rudi mit, zu dem ich nie so lieb war wie an den Abenden mit meinen Eltern.
»Nein, in München. Traudel hat dort damals ein Studium begonnen und bei ihrer Tante Gertraud gewohnt. Das Haus hat sie später geerbt, und die beiden haben nach ihrer Heirat einige Jahre dort gelebt, bevor Friedrich hier ans Marinaeum kam. Björn und Mareike sind also waschechte Münchner.«
Anita schwatzte weiter mit Mutter, und ich sah unbeteiligt zum Fenster hinaus. Hätte er sie doch dort gelassen. So ein Dirndl verpflanzte man schließlich nicht ungestraft hinter den Deich!
Die Unterschrift des Standesbeamten auf der Heiratsurkunde dürfte wohl heute niemanden mehr interessieren, deshalb war es vermutlich nicht so furchtbar tragisch, daß sie bei meinen Reinigungsversuchen mit draufgegangen ist.
Traudel gebar, laut unversehrter nächstseitiger Urkunde, exakt sieben Monate später und tatsächlich in München ihren Sohn, den die reichlich jungen Eltern Björn Friedrich nannten. Wenn ich meinen heimlichen Geliebten recht verstanden hatte, fand der ihn ein bißchen meschugge, wobei Friedrich sich höchstwahrscheinlich anders ausgedrückt hätte. Irgendwie hing man vermutlich immer an seinen Kindern, und so unterstützte er den Sproß regelmäßig, auch wenn der offenbar nicht eben viel für sein Studium tat. Ich wäre die Allerletzte, die aus dem Glashaus heraus einen Stein auf ihn werfen würde. Björn lebte inzwischen nicht mehr bei den geplagten Eltern, sondern war mit seiner Freundin nach Bremen gezogen. Friedrich machte dieser Inga reizende Komplimente, und Traudel schenkte ihr ab und zu einen hübschen Pulli oder eine Handtasche, damit sie nicht davonlief und Björn Friedrich möglicherweise wieder aus dieser jungen eheähnlichen Wohngemeinschaft in das elterliche Haus ziehen würde, wo er in unregelmäßigen Abständen die Bestände des Weinkellers und der Hausbar dezimierte, was er sich seit seiner Pubertät, sobald er sich mißverstanden fühlte, zur Gewohnheit gemacht hatte. Ich persönlich hatte alles Verständnis der Welt für Björn Friedrich: Der Weinkeller seiner Eltern war ganz ausgezeichnet, weshalb ja auch nur dies Malheur passieren konnte. Das von mir verschmähte Buch – Traudel und ich hatten offenbar nicht in allem denselben Geschmack – hatte durch seinen Glanzumschlag, von dem der Wein abgeperlt war, nichts abbekommen und konnte bedenkenlos auf dem Schränkchen liegenbleiben, wo vermutlich Traudel es zu ihrer abendlichen Lektüre abgelegt hatte, wenn sie mittwochs auf ihren Mann wartete. Gab er ihr dann etwa einen Gutenachtkuß – oder pflegten sie anschließend auch manchmal ehelichen Verkehr? Dieses Bett tat mir absolut nicht gut, und die Idee, mich überhaupt hier hineinzulegen, war total bekloppt. Ich wurde langsam nüchtern!
In meine intensiven Bemühungen, die Ordnung im Nachtschrank seiner Frau wiederherzustellen, platzte Friedrich.
»Na, mein Liebes, hat es zu lange –«
Er überblickte das Desaster sofort, und ich fand es auch viel besser, ihm vorher von meinem Mißgeschick zu berichten, denn dann war er immer ganz außergewöhnlich lieb, oder sagen wir besser, er gab sich Mühe. Das wirkte manchmal ein bißchen komisch, weil es überhaupt nicht zu ihm paßte. Friedrich war prinzipiell nicht lieb, er war allenfalls prinzipiell höflich. Und seine Höflichkeit vor dem angestrebten Geschlechtsakt paarte sich mit einer gewissen Art devoter Nachgiebigkeit, bevor sich im Akt selbst die Gewaltverhältnisse wieder eindeutig zu seinen Gunsten klärten, was nicht zu meinen Ungunsten geschah, nein, keinesfalls. Hinterher allerdings wirkte er regelmäßig eingeschnappt. Trivialpsychologisch deutete ich, daß er es in solchen Momenten nicht vermeiden konnte, an Traudel zu denken, mit der er es eigentlich tun sollte. Ich dachte in diesem Zusammenhang meistens nicht an sie, sondern allenfalls an den Segen spezieller Errungenschaften der pharmazeutischen Industrie, die mich hoffentlich vor ihrem Geschick bewahren würden, das sie mit einer frühen Mutterschaft ereilt hatte. Friedrich hatte ihr das wahrscheinlich bis heute nicht verziehen. Und mir verzieh er nicht, daß er Spaß mit mir hatte, während er doch eigentlich Spaß mit seinem angetrauten Weibe haben sollte.
Im Augenblick sah er allerdings keinesfalls devot und überhaupt nicht spaßig aus.
»Leonie, was in aller Welt tust du da?«
»Mir ist das Weinglas umgekippt. Aber ist schon fast alles wieder okay.«
»Na hör mal, was ...«
Gottlob klingelte das Telefon, und Friedrich raste sofort wieder, und jetzt mit dem allerschlechtesten Gewissen der Welt, die Treppe hinunter. Traudels Anruf stand also immer noch aus.
Sein Gewissen hatte ja recht. Natürlich gehörte es sich nicht, Traudel zu betrügen. Aber an das Thema wollte ich heute nicht mehr rühren, das hatten wir in der vergangenen Woche erst wieder erörtert.
»Hast du denn keine Angst, daß sie etwas merkt?«
»Nein, nein, sie ist nicht mißtrauisch.«
»Wenn das je rauskommt, Friedrich, das überleb’ ich nicht. Ihr und meine Eltern seid schon so lange befreundet ...«
»Leonie, was soll das?«
»Hans erzählte, daß neuerdings Anita und Traudel ihre Musikbegeisterung in gemeinsam besuchten Chorproben des hiesigen Bach-Chores entladen, und da ...«
»Ich nehme nicht an, daß dein Bruder sich so ausgedrückt hat.«
»Das vielleicht nicht, aber ...«
»Unsinn, Leonie. Laß das jetzt.«
Mutter hatte von Traudels Versuchen berichtet, Friedrich dort ebenfalls einzubinden; glücklicherweise waren sie aber fehlgeschlagen.
»Friedrich hat doch immer seinen Schachabend mit einem alten Freund. Den läßt er sich nicht nehmen.«
Na hoffentlich, denn sein Schachabend war ich!
Die Heiratsurkunde war eigentlich als einzige richtig betroffen. Ansonsten sah das Familienstammbuch der Jensens schon wieder ganz manierlich aus. Darin sorgfältig eingebunden und glücklicherweise nach wie vor unbefleckt, erblätterte ich Björn Friedrichs um sechs Jahre jüngere Schwester Mareike Gertraud. Traudels Erbtante war offenbar nicht nur indirekt Namensgeberin für Traudel selbst, sondern konnte auch noch – welch Glück – Patentante der kleinen Mareike Gertraud werden, bevor sie im Anschluß an eine Familienfeier infolge eines verdorbenen Magens verschied und den Jensens jenes Haus in München und ein beträchtliches Vermögen hinterließ. Also eigentlich erbte natürlich Traudel, aber wo Friedrichs Name draufstand, war auch Friedrichs Besitz drin. Und die Villa der alten Dame wurde flugs die Villa Jensen, kaum daß der Leichenschmaus vorüber war. Traudel, die Friedrich gegenüber sonst gar nicht sehr kritisch war, hatte damals offenbar ziemlich konsterniert reagiert, als ihr Gatte noch am Abend der Beisetzung das Messingschild an der Tür auswechselte. Friedrich berichtete mir in irgendeinem Zusammenhang davon. Meine Gefühle für Traudel waren zugegebenermaßen im allgemeinen nicht die wärmsten, aber manchmal ließ es sich wahrhaft nicht vermeiden, ihre Partei zu ergreifen.
»Ich kann sie da irgendwie verstehen.«
Friedrich ärgerte sich über meine Reaktion.
»Wir sind doch auch am selben Tag dort eingezogen; ich mußte das Schild allein schon wegen der Post anbringen.«
Natürlich hatte er recht.
Meiner Äußerung haftete wohl das Fluidum weiblicher Solidarität an, die Friedrich nicht nur zutiefst mit Mißtrauen erfüllte, sondern die er geradezu als militant empfand. Insgeheim fürchtete er sehr wahrscheinlich wie angeblich so viele seiner Geschlechtsgenossen, daß ihm irgendwann eine Frau, Traudel vielleicht, oder auch ich, möglicherweise sogar wir beide in Tatunion, den Pimmel abschneiden könnte. Alptraumhafte Vorstellung. Und weil sich ein solcher Fall in Amerika tatsächlich ereignet hatte, kam es vor, daß Friedrich meine liegengebliebene Handarbeitsschere wegräumte, bevor er in mein Bett stieg.
Als Friedrich vom Telefonieren zurückkam, hob er zunächst angewidert seine Schlafanzugjacke empor.
»Mußte es ausgerechnet die sein?«
Aufgebracht blätterte er im Familienstammbuch herum und schien gänzlich in Ehepanik versetzt, als er bemerkte, daß es nicht mehr fleckenlos rein war.
»Du hättest deinen Wein doch auch bei mir im Arbeitszimmer trinken können«, grummelte er, während er nun seinerseits versuchte, das von mir bereits traktierte Buch vom Rotwein zu befreien.
»Sollte ich etwa dem Telefonat mit deiner Traudel lauschen?« »Ausgerechnet mein Schlafanzug!«
Er fummelte das fleckige Oberteil zusammen und brachte es hinüber ins Bad.
»Wenn du jetzt den Abend damit zubringen möchtest, mich anzumaulen, kann ich ja gehen.«
Zu meiner Enttäuschung hatte er offenbar gar nichts dagegen einzuwenden, denn er widersprach mir unverzeihlicherweise nicht. Ich schnappte mir daraufhin einen Bademantel und lief die Treppe hinunter.
»Wohin willst du denn?«
»Meine Tasche suchen, damit ich meine Nase pudern kann, bevor ich gehe.«
Friedrich folgte mir, jetzt offenbar doch bemüht, mich umzustimmen und den geplanten Extraabend nicht zu riskieren.
»Ach, komm schon, Leonie, so habe ich es doch gar nicht gemeint.«
Friedrich griff gleichzeitig mit mir nach meiner Tasche, als er plötzlich in der Bewegung erstarrte.
»Was machst du denn hier?«
Ich wagte gar nicht, mich umzudrehen.
Traudel war zurück und hatte uns erwischt.
Zu meiner großen Erleichterung handelte es sich aber nur um Björn, der ungebeten in unsere Versöhnung hineinplatzte.
»Tach!«