Liebe kommt ganz unverhofft - Jutta Mülich - E-Book
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Liebe kommt ganz unverhofft E-Book

Jutta Mülich

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Beschreibung

Kann man in heillosem Chaos noch Liebe finden? Der humorvolle Roman »Liebe kommt ganz unverhofft« von Jutta Mülich jetzt als eBook bei dotbooks. Zwischen Botengängen für ihren Mann Paul, dem alltäglichen Chaos im Leben ihrer gerade volljährig gewordenen Tochter Elena und endlosen Terminen weiß Gabriele kaum, wo ihr der Kopf steht. Bei all dem Gehetze rutscht sie auf einer Treppe aus und stürzt – geradewegs in die Arme des charmanten Malte, der ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Bald darauf fällt sie zum zweiten Mal, diesmal aus allen Wolken, als sie Paul beim Stelldichein mit seiner jungen Hilfskraft erwischt … Und als wäre das nicht schon genug Chaos, werden Gabrieles Tochter und Pauls Geliebte auch noch schwanger. Statt sich an Maltes Seite zu träumen, bleibt Gabriele nichts anderes übrig, als die Ärmel hochzukrempeln und Ordnung in das familiäre Wirrwarr zu bringen. Aber wird sie es schaffen, auch nach ihrem eigenen Glück zu greifen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: die romantische Komödie »Liebe kommt ganz unverhofft« von Jutta Mülich, auch bekannt unter dem Titel »Pauls versammelte Bräute«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 473

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Über dieses Buch:

Zwischen Botengängen für ihren Mann Paul, dem alltäglichen Chaos im Leben ihrer gerade volljährig gewordenen Tochter Elena und endlosen Terminen weiß Gabriele kaum, wo ihr der Kopf steht. Bei all dem Gehetze rutscht sie auf einer Treppe aus und stürzt – geradewegs in die Arme des charmanten Malte, der ihr seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht. Bald darauf fällt sie zum zweiten Mal, diesmal aus allen Wolken, als sie Paul beim Stelldichein mit seiner jungen Hilfskraft erwischt … Und als wäre das nicht schon genug Chaos, werden Gabrieles Tochter und Pauls Geliebte auch noch schwanger. Statt sich an Maltes Seite zu träumen, bleibt Gabriele nichts anderes übrig, als die Ärmel hochzukrempeln und Ordnung in das familiäre Wirrwarr zu bringen. Aber wird sie es schaffen, auch nach ihrem eigenen Glück zu greifen?

Über die Autorin:

Jutta Mülich (1953–2011) hatte zeit ihres Lebens drei große Leidenschaften: die Musik, das Schreiben und die Liebe zu ihrer Familie, ihren beiden Kindern und ihrem Ehemann. Sie arbeitete als Erzieherin in Kindergärten, als Studienrätin mit den Fächern Musik und Deutsch, sang in Chören, musizierte im Familienkreis und trat als Sängerin auf, schrieb Musicals für die Schule, aber auch ein Opernlibretto für den Komponisten Jens Peter Ostendorf. Als Schriftstellerin veröffentlichte sie zahlreiche Erzählungen, Kurzgeschichten und Romane. So hätte es weitergehen können. Es gab noch so viel, aber es kam anders.

Jutta Mülich veröffentlichte bei dotbooks bereits:

»Jeden Mittwoch um halb sieben«.

***

eBook-Neuausgabe Mai 2021

Dieses Buch erschien bereits 1999 unter dem Titel »Pauls versammelte Bräute« bei Droemer Knaur.

Copyright © 1999 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Le Panda, Mrs. Opossum, Magenta 10

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96655-396-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Jutta Mülich

Liebe kommt ganz unverhofft

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Frauenarzttermine waren grauenvoll – immer schon. Daran hatten weder Schwangerschaft noch Routineuntersuchungen etwas ändern können, bei denen im Laufe der Jahre die unterschiedlichsten Herren und Damen in Weiß zwischen die von Gabriele gehorsam gespreizten Beine getreten waren. Mit gekonnter, manchmal auch unbedarfter Fingerführung ertasteten sie die Geschlechtsorgane und vermuteten dort, ihrem angespannten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, Ungeheuerliches.

Hatte sie selbst sich dieser Erwartung inzwischen angeschlossen, oder warum sonst geriet sie schon am Vorabend in derartige Panik?

»Ich bin ein Mädchen von Piräus und liebe den Hafen, die Schiffe und das Meer ...« Singen half!

Sorgfältig spülte sie Schaumreste von ihren frisch rasierten Beinen und fuhr prüfend über weiche Haut. Tadellos!

»... Ich lieb das Lachen der Matrosen und Küsse, die schmecken nach See, nach Salz und Teer ...« Wie Kinder in der Dunkelheit. Die sangen auch, wenn sie Angst hatten.

Vermutlich hätten die zarten blonden Härchen das Ergebnis der morgigen Untersuchung kaum negativ zu beeinflussen vermocht, aber wer würde es wagen, an einem solchen Tag bewährte Rituale in Frage zu stellen?

Sie füllte die Hand bis zum Überlaufen mit hinreißend duftender Lotion – natürlich ein Geschenk von Ilse! – und verharrte ratlos, als plötzlich die Türglocke erklang.

»Elena, gehst du bitte öffnen?« Gabriele rief mit kräftiger Stimme durch die geschlossene Badezimmertür. Leider erfolglos. Es war ihr nicht vergönnt, die unverhältnismäßig laute Musik ihrer Tochter zu übertönen. Sobald Gregor bei ihr war, interessierte sie nichts und niemand mehr, und wenn er nicht bei ihr war, nahm sie, in sehnsuchtsvolle Grübelei versunken, allenfalls peripher zur Kenntnis, was um sie herum geschah.

Die Türglocke jedenfalls im Augenblick überhaupt nicht. Paul! Ganz sicher war das Paul!

Kam er also doch rechtzeitig zum Geburtstag nach Hause.

Es geschahen Zeichen und Wunder!

Warum zum Teufel ging das Kind nicht endlich öffnen?

»E-le-na, bit-te!«

Nichts, gar nichts. Hatte er wieder seinen Schlüssel vergessen? Gleichgültig, sie wartete ja auf ihn. – Immer! – Und immer öfter völlig vergeblich, weil er, ohne entsprechende Verabredungen zu treffen, nicht zum vereinbarten Termin nach Hause kam – und heute einmal ausnahmsweise früher als erwartet.

»Elena, verdammt noch mal, öffne deinem Vater gefälligst die Tür!« brüllte sie, durch das nochmalige Läuten in höchste Alarmstufe versetzt, wobei die duftende Milch überzulaufen drohte, die sie deshalb hastig in ein Krepptuch schmierte.

Unwillig raunzte sie: »Ja, ist gut, ich komme ja schon!« Wer außer Paul könnte abends um diese Zeit so energisch Einlaß verlangen? Sie könnte es unbesorgt wagen, im Bademantel zur Tür ... Ach, der gehörte Paul. Egal, Hauptsache, sie öffnete ihm endlich.

»Hallo, ich hab’s nicht schne ...!«

Das war aber ja gar nicht Paul dort vor ihr, sondern sehr wahrscheinlich eines von Frankensteins Opfern, allerdings in Ilses Mantel und mit Ilses Haaren.

Gabriele schaffte es auch jetzt wieder nicht, ihren Schreckensschrei zu unterdrücken, und schämte sich im selben Augenblick dafür. Paul hatte sie schon so oft gebeten, ihrer Überraschung nicht derart lautstark Ausdruck zu verleihen.

Dabei konnte sie gar nichts dafür. Sosehr sie sich auch mühte, immer entfuhr ihr bei furchtbaren Überraschungen ein solcher Urlaut. Und was sie vor sich sah, war überhaupt nicht anders als furchtbar zu nennen.

»Fall nicht gleich in Ohnmacht. Ich bin’s nur. Tag, Herzchen.«

Ilses Stimme, ganz eindeutig Ilses Stimme!

Eine riesige Sonnenbrille verdeckte deren obere Gesichtshälfte, und in der anderen, die insgesamt irgendwie seltsam deformiert wirkte, prangten ganz ungewöhnlich volle Lippen, zwischen die sich ihre Schwägerin jetzt sehr gelassen, aber überaus vorsichtig eine Zigarette klemmte.

»Gott sei Dank bist du zu Hause«, murmelte sie bei dem gleichzeitigen Versuch, die Zigarette anzuzünden. »Ich hatte schon Angst, ins Hotel gehen zu müssen. Ist oben noch was frei?«

»Selbstverständlich, für dich doch immer. Komm rein. Aber was ist überhaupt passiert? Und wieso Hotel?« Gabriele zog Ilse ins Haus und versuchte sie zur Begrüßung zu umarmen. »Halt! Küssen verboten! Das Berühren der Figüren ... du weißt schon. Mach nicht solch ein Gesicht, Kindchen. Ich werd ja wieder. Und frage mich bitte nicht, ob mein Mann mich verprügelt hat. Auch wenn ich im Moment danach aussehe, beleidigt so etwas nicht nur mich, sondern vor allen Dingen meinen Chirurgen. Außerdem ist Sven zwar manchmal ein ganz mieser Schweinelurch – davon später –, aber er haut nicht.«

Gabriele griff nach dem Koffer und erklomm die Treppe zur Gästewohnung, die so geräumig war, daß eine mehrköpfige Familie bequem Platz darin gefunden hätte.

»Sag schon endlich, was mit dir los ist, Ilse!«

»Nur die Ruhe. Laß mich erst mal den Olymp bestiegen haben.«

Paul bot die Wohnung hin und wieder auswärtigen Kunden an, auch Künstlern, die zu einer Ausstellungseröffnung in seiner Galerie angereist waren. Einer von ihnen, der Gabriele unter anderem wegen seiner bodenlosen Arroganz beim Frühstück – »Ich esse morgens nur Eier im Glas, gnädige Frau« – in ausgesprochen unsympathischer Erinnerung geblieben war, hatte den Namen »Olymp« geprägt. Eingebildeter, anmaßender alter Affe! Den Namen aber waren sie nicht mehr losgeworden.

»Hoffentlich stört’s euch nicht, wenn ich ein paar Tage bleibe.«

Gabriele stellte einen Aschenbecher bereit.

»Meinetwegen könntest du für immer bleiben; ich freu mich unheimlich, daß du da bist. Außerdem verirrt sich selten jemand hierher, mit dem ich etwas anfangen kann. Gib mir deinen Mantel.«

»Selbst schuld, meine Liebe. Dies ist auch dein Haus!«

Das hatte Paul bereits ganz zu Beginn ihrer Ehe sehr bezweifelt, als sie in seiner Abwesenheit die Räume einer Aktionsgruppe von Greenpeace sozusagen als Basislager zur Verfügung gestellt hatte. Es waren Internatsfreunde darunter, und Gabriele hatte es als selbstverständlich betrachtet, sie als Gäste bei sich aufzunehmen. Darüber hinaus aber hatte sie es damals auch als ihre Pflicht betrachtet, an einer jener Aktionen teilzunehmen, die sich gegen die Verklappung von Giftmüll in der Nordsee richteten. Und Paul hatte ein Riesentheater gemacht, weil er der Ansicht war, sie habe sich ausschließlich um ihre Familie zu kümmern und gefährde das Leben ihres ungeborenen Kindes, wenn sie sich solchen Gefahren aussetzte.

Damals hatte sie seine Bedenken als furchtbar übertrieben und ungerecht empfunden. Heute lief es ihr kalt den Rücken herunter, wenn sie an ihren naiven Leichtsinn dachte, als Schwangere in ein solches Schlauchboot zu steigen.

Pauls negative Einschätzung ihrer Freunde aber hatte sie dermaßen nachhaltig beleidigt, daß sie noch jetzt Zorn darüber empfand. Besser, man dachte nicht mehr daran, und besser wäre es auch, sich überhaupt nicht auf diese Thematik einzulassen, um längere Diskussionen über das eigene Unvermögen zu umschiffen. Zu spät!

Ilse glitt schon ins übliche Fahrwasser: »Du mußt dich gegen Paul durchsetzen, Kindchen, sonst kriegst du hier kein Bein auf den Grund. Aber das predige ich ja schon seit siebzehn Jahren.« Ilse seufzte und war durch die Betrachtung ihres Gesichts für einen Moment abgelenkt. Vor dem erbarmungslos ausgeleuchteten Garderobenspiegel nahm sie ihre Brille vorsichtig von der Nase und maß nach dem eigenen nun auch Gabrieles Spiegelbild – mit anzüglichem Blick aus leicht verzogenen Augen.

»Wenn ich gerade bei der Begrüßung störe, geh ruhig wieder zu deinem Mann. Ich packe erst einmal aus.«

Gabriele sah ebenfalls an sich herunter. »Nein, nein, ich war grad im Bad. Du störst überhaupt nicht.« Pauls Bademantel war entschieden zu weit, und sie schlang den Gürtel etwas fester um die Taille. »Und wieso überhaupt Begrüßung? Er kommt erst morgen aus München zurück.«

Ilse, die eben noch hingerissen, aber überaus vorsichtig mit den Fingerspitzen an ihren unnatürlich aufgepumpten Wangen herumgetastet hatte, hielt überrascht mitten in der Bewegung inne, gerade so, als hätte jemand den Ausschalter betätigt.

»Wie meinst du das, erst morgen?«

»Er schafft’s nicht früher.«

»So – tatsächlich?«

»Ja, schade, nicht? Aber zu seiner Geburtstagsfeier abends ist er natürlich da. Hat’s ganz fest versprochen.«

»Natürlich – ja.«

Gabriele reagierte nicht auf den sarkastischen Unterton; sie hatte es sich im Laufe der Jahre abgewöhnt, dem Wikingerschen Geschwisterzank irgendeine Bedeutung beizumessen. Selbst war sie weder mit einem Bruder noch mit einer Schwester gesegnet und vermochte in diesem als Kind oft bedauerten geschwisterlosen Zustand erst seit ihrer Einheirat in Pauls Familie so etwas wie eine Gnade zu entdecken.

»Sag doch endlich ... war es ein ...«

»Nein, auch kein Unfall, Herzchen – Schön-heits-ope-ra-ti-on!«

»Ach, und das so heimlich? Warum hast du nichts davon gesagt? Laß dich mal genau ansehen.«

»Jetzt noch nicht. Aber in ein, zwei Wochen bin ich wie neu, wart’s nur ab. Und gesagt habe ich nichts, weil du deine gesamte Energie darauf verschwendet hättest, mir die Geschichte auszureden. Stimmt’s? Hast du übrigens meine Karte nicht bekommen?«

»Doch, natürlich, vielen Dank, vor zwei Wochen schon. Aber darauf war nur von einer Kur die Rede.«

Und Paul hatte in brüderlicher Gehässigkeit gerätselt, ob es sich um die längst überfällige Schlankheitskur oder eine sicherlich nicht minder notwendige Entziehungskur handelte.

Vollkommen übertrieben! Und Gabriele hatte sich gehütet, den Satz mit dem Glashaus und den Steinen zu zitieren. Ilse war jedenfalls weder dick noch Alkoholikerin. Sie aß und trank nur gerne. Und mit sichtbarem Genuß, der irgendwie ansteckend wirkte.

Man würde sie hervorragend als Animateurin in Nobel-restaurants einsetzen können; allein die Art, wie sie die Karte während des Lesens kommentierte und hin und wieder eine Position durch besondere Betonung und ganz selten sogar mit einem dezenten, fast unhörbaren Schmatzlaut hervorhob, machte jedem Zuschauer oder Zuhörer Appetit. War die Bestellung nach ausführlicher Beratung mit dem Ober schließlich getätigt, begrüßte sie jeden Gang mit freudig aufblitzenden Augen. Ihre ganz außerordentliche Fähigkeit aber, den Ober und mit ihm das gesamte Küchenpersonal wahrhaft zu adeln, lag darin, wie sie nach gelungenem Hauptgang, beinahe vollständig gesättigt, zufrieden gurrend um die Dessertkarte bat.

»War ja auch so was Ähnliches. Eine Verjüngungskur eben.«

»Also, weißt du ...«

»Warte ab, Herzchen.«

»Nenn mich doch nicht immer Herzchen!«

»Schon gut, Gabilein. Also, warte ab, bis du so alt bist wie ich, und urteile dann. Mit fünfunddreißig habe ich auch noch nicht an Reparaturarbeiten dieser Art denken müssen. Und Mutter hat tatsächlich dichtgehalten? Ganz erstaunlich.«

»Sag bloß, Louise wußte davon.«

»Aber sicher doch. Ich glaube, sie fand es sogar ganz spannend. Und wenn ich ihr Interesse richtig deute, ist sie demnächst selbst in der Klinik und läßt sich die eine oder andere Falte wegzaubern.«

»Zuzutrauen wäre es ihr. Aber mit über siebzig?«

»Wahnsinn ist nicht altersgebunden. Siehst du ja an mir. Und bei Mutter muß man mit allem rechnen. Hat sie dich in den letzten Wochen sehr traktiert?«

»Nein, überhaupt nicht. Seitdem sie das Reiten aufgeben mußte, hat sie kaum noch Verwendung für mich.«

»Sei dankbar, Gabilein. Irgendwann hätte sie sich noch mal sämtliche Gräten gebrochen, und erfahrungsgemäß hätte Paul dann dir die Schuld daran gegeben. Stimmt’s?«

Stimmte absolut!

Die gesamte Familie hatte es vor einigen Jahren mit großer Erleichterung aufgenommen, als Louise sich nach einer Hüftoperation von diesem Sport trennen mußte. Nur Gabriele vermißte diese Ausritte, weil auch sie seither nicht mehr zum Reiten kam.

Ilse hatte schon am ersten Tag ihrer Bekanntschaft damit begonnen, Gabriele unter ihre Fittiche zu nehmen und sie insbesondere vor ihrer resoluten Mutter zu schützen, die von Anfang an überdeutlich spüren ließ, wie wenig sie mit Pauls Wahl einverstanden war. »Sie ist ja noch ein Kind, nicht einmal mit der Schule fertig. Was will Paul mit so einem Persönchen an seiner Seite? Jeans und Turnschuhe, ich bitte dich.« Und lange Haare und überhaupt keinen Sinn für Couture, hätte Ilse eigentlich hinzufügen müssen, die selbst so viel Wert auf ihre Erscheinung legte. Aber sie sagte nichts dergleichen. Statt dessen brach sie eine Lanze für die künftige Schwägerin, und Gabriele, die überhaupt nicht zu Lauschaktionen neigte, vernahm in ihrer Nische, aus der es in jenem Moment kein Entrinnen gab, überrascht und gerührt ein flammendes Plädoyer.

Sie sei absolut kein Kind mehr, sondern lediglich noch sehr jung und offenbar trotzdem bereits eine interessante Persönlichkeit und mit ganz erstaunlichem Mut ausgestattet. Sonst würde sie sich doch kaum ohne zwingende Not ausgerechnet an Paul binden. Außerdem sei sie eine »Naturschönheit« und könne gut und gern noch einige Jahre auf alle Accessoires verzichten, die sie, Ilse, leider nie hätte entbehren dürfen. Paul könne sich glücklich schätzen, solch ein reizendes Mädchen zur Frau zu bekommen. Für ihn sei es ja schließlich langsam Zeit.

Niemals würde Gabriele das vergessen, denn sie kannten sich zu diesem Zeitpunkt gerade eine halbe Stunde.

In späteren Jahren, insbesondere aber in jüngerer Zeit, hatte sie häufiger darüber gegrübelt, ob ihre übereilte Einwilligung, Paul zu heiraten, nicht ein kleines bißchen durch die Aussicht auf diese hinreißende Schwägerin beflügelt worden war. In ganz düsteren Momenten tendierte sie sogar zu der Annahme, ihr Jawort habe eher Ilse als Paul gegolten. Ilse und ihrer liebenswürdigen Familie, in der sie sich sofort wohl gefühlt hatte.

In der Anfangszeit wurde die Schwägerin sowohl in der Verwandtschaft als auch in Pauls denkwürdigem Freundeskreis überlebensnotwendig für Gabriele, und sie hatte manchmal den Eindruck, in den ersten Jahren überhaupt nur mit Ilses Hilfe hin und wieder aus dieser Nische hervorgetreten zu sein, in der Pauls Schwester sie entdeckt hatte, nachdem ihr Gespräch mit der Mutter beendet war. Nach einem verschwörerischen Blinzeln hatte sie Louises Abgang forciert und Gabriele im wahrsten Sinne des Wortes aus ihrer Ecke befreit.

»Du darfst unsere Mutter nicht ernst nehmen, jedenfalls nicht in Dingen, die Paul betreffen«, hatte sie freundlich gesagt und dann sogleich ganz unvermittelt und sehr animiert angeboten, ihr die besten Einkaufsmöglichkeiten in der Region zu zeigen – in froher Hoffnung, für ihr allergrößtes Vergnügen ein neues Opfer gefunden zu haben.

Gabriele, die aus reiner Dankbarkeit bereitwillig auf alles einging, was Ilse vorschlug, kannte bald nicht nur sämtliche einschlägigen Modegeschäfte der Stadt in- und auswendig, sondern auch die der Nachbarstädte. Verbrachten sie einen Tag in Bremen, besuchten sie eine Woche später Hamburg oder Oldenburg, Ilses Bedarf an neuer Kleidung war unerschöpflich, und sie war richtiggehend verschnupft, als Gabriele sich strikt weigerte, mehr zu kaufen, als ihr Kleiderschrank Raum bot.

Ilse schien schließlich von selbst zu bemerken, daß die Einkaufstouren für Gabriele eher eine Pflichtübung darstellten, und bemühte sich rührend darum, herauszubekommen, welche Aktivitäten sie interessieren würden. Gabrieles bevorzugte Sportarten waren Segeln und Reiten. Beides lag Ilse allerdings ebenso fern wie ihrem Bruder. Sie bezeichnete sich als sportneutralen Menschen und sah, wie sie sagte, überhaupt keine Veranlassung, den Park im Dauerlauf zu durchqueren, wenn man ihn sich doch auch gemächlich schlendernd erschließen konnte.

Als jedoch Gabriele einmal beiläufig ihre Leidenschaft fürs Fotografieren erwähnte, schenkte sie ihr zum Geburtstag eine wundervolle professionelle Kamera und ließ unter anderem in regelmäßigem Abstand ihre Jungen von ihr fotografieren. Die beiden besaßen eine kleine Dunkelkammer und erlaubten Gabriele gern, dort zu experimentieren. Dieser Raum wurde daraufhin über Jahre zu ihrer kleinen Zuflucht, wenn ihr der häusliche Rummel zu groß wurde und wenn sie einmal das Bedürfnis hatte, mit sich allein zu sein.

Seitdem sie allerdings in der Galerie mitarbeitete, fand sie weder Zeit für ihren Sport noch fürs Fotografieren.

Viel später, eigentlich erst, seitdem Elena dem Alter näher kam, in dem Gabriele Paul auf den Leim gegangen war, wurde ihr bewußt, daß Ilse dieser Verbindung ebenso skeptisch gegenübergestanden haben mußte wie alle anderen. Sicher hätte auch sie der Ehe ihres Bruders damals kaum eine Zukunft prophezeit. Doch mit Anstand und Herz hatte sie diese Meinung für sich behalten, hatte Gabriele, als sie schwanger war, häufig zu sich und Sven eingeladen. Besonders nach dieser schrecklichen Bootsfahrt, als Paul ihr vorgeworfen hatte, das Leben seines (!) Kindes leichtfertig gefährdet zu haben, und Gabriele begriffen hatte, daß Ilse und Sven ihm wohl prinzipiell in der Sache recht gaben.

Sie selbst hatte damals noch überhaupt kein Verhältnis zu diesem Kind in ihrem Bauch entwickelt, sondern eher jeden Gedanken daran verdrängt. Das fiel ihr auch gar nicht besonders schwer, weil sie anfangs bis auf eine rasch vorübergehende morgendliche Übelkeit kaum eine Veränderung an sich wahrnahm. Sie war also aus der Phase des Staunens noch gar nicht herausgekommen, als ihr durch die Reaktion der anderen bewußt wurde, daß sie nicht mehr nur Verantwortung für sich zu tragen hatte, sondern auch für dies fremde Wesen, das zu diesem Zeitpunkt noch beinahe unmerklich in ihr heranwuchs. Sie hatte ganz fürchterliche Angst bekommen und tagelang geheult.

Paul hatte sachlich bemerkt, solche Gefühlsschwankungen seien ganz normal in der Schwangerschaft, ihr den Kopf getätschelt und sich zu einer Geschäftsreise verabschiedet. Sie aber war allein in diesem gräßlichen großen Haus zurückgeblieben und hatte weitergeheult, bis Ilse kam und sie rettete.

Bei dieser Gelegenheit gab Pauls Schwester erstmals ihre Zurückhaltung auf und schimpfte ausführlich auf ihn: »Na, der muß ja wissen, wie das so ist mit den Gefühlsschwankungen bei einer Schwangeren, nicht? Haut einfach ab und läßt dich hier mutterseelenallein. Hätte ja wenigstens mir einen Ton sagen können.«

Sie nahm Gabriele mit zu sich und Sven nach Hause. Geduldig ließen sie sie weinen, aber als Ilse der Überzeugung war, daß der Zeitpunkt gekommen sei, damit ein Ende zu machen, griff sie zu ihrer speziellen Therapie, um die werdende Mutter aus ihrer Depression zu reißen. Sie zog mit der sich leicht sträubenden Gabriele los, um sie mit Schwangerschaftskleidung zu versorgen, die sogar vor Louises Augen Bestand hatte und damit auch vor Pauls, der dann allerdings mit zunehmender Rundung ihres Bauchs immer seltener überhaupt einen Blick darauf warf.

Von jenem Einkaufsbummel an jedenfalls hatte Gabriele tatsächlich angefangen, sich auf ihr Baby zu freuen, zunächst noch recht kindlich, ähnlich, wie sie sich auf ein Fohlen gefreut hätte. Aber nach und nach nahm sie Kontakt auf. Und dabei hatten ihr Sven und vor allem Ilse sehr, sehr geholfen.

Gabriele blieb in der folgenden Zeit nicht verborgen, daß Ilse ihren Bruder still verachtete, obgleich diese sich rührend mühte, ihre offenbar fest zementierte Einstellung vor Gabriele geheimzuhalten – damals jedenfalls noch.

Gemeinsam richteten beide Frauen das Kinderzimmer ein, spazierten über den Deich oder durch den Park und tranken später eine Tasse Tee – Ilse mit Rum!

Ganz entschieden verdiente sie jetzt etwas anderes als Gabrieles Entsetzen.

»Deine Lippen, also wirklich, du, die sind ganz toll geworden. Sieht man jetzt schon«, mühte sie sich mit Überzeugung in der Stimme zu sagen.

»Na ja, übertreib nicht. Aber man tut schließlich, was man kann.«

Gabriele war anderer Ansicht und beobachtete in stummem Entsetzen, wie Ilse ergriffen an ihrer stark gewölbten Oberlippe herumtupfte. »Habt ihr in der Zwischenzeit mal etwas von Sven gehört?«

»Nein, ich nicht. Das heißt, Paul hat neulich mit ihm gesprochen. Aber was ist los mit euch? Warum bist du nicht nach Hause gefahren?«

Gabriele erfuhr in der nächsten Stunde detailliert sämtliche Einzelheiten der jüngsten Ehekatastrophe, die nach ihrer Auffassung nur ein weiteres Glied in der nicht enden wollenden Kette vieler solcher Ereignisse in Svens und Ilses merkwürdigerweise trotz allem dauerhaften Beziehung war. Ilse selbst interpretierte ihre Ehe im Moment allerdings vollkommen anders, denn offenbar befiel sie in allem, was ihren Ehemann betraf, eine gnädige Amnesie, sobald eine seiner Geschichten bereinigt war.

Angeblich war ihre Beziehung also völlig, zumindest fast völlig intakt gewesen, bis ihr schwerbeschäftigter Mann mit seiner sonnenbankbraunen Sekretärin in den Skiurlaub gefahren war, wo diese sich echte Hochgebirgsbräune und angeblich so etwas wie ein Eheversprechen erschlichen hatte. Ersteres war nicht zu übersehen, als Ilse vor einigen Wochen, unverhofft und ohne Sven dort anzutreffen, im Büro aufgetaucht war, und letzteres hatte die dumme Person der Gattin des Chefs, die sie irrtümlich für dessen baldige Exgattin hielt, um die Ohren gefetzt.

»O nein, wie grausam!«

»Grausam? Ich bitte dich«, gurrte Ilse, während sie nicht vorhandene Fusseln vom Ärmel zupfte, »das war schlichtweg ganz furchtbar dämlich. Sven und Scheidung – daß ich nicht lache.« Es folgte ein entsprechend grimmiges Lachen.

»Und dann? Wie hast du reagiert?«

»Na, wie schon? Ich habe mich auf dem Absatz umgedreht und bin gegangen.«

»Tatsächlich? Ohne etwas zu sagen? Ich bewundere dich wirklich. Das hätte ich mit Sicherheit nicht fertiggebracht. Alle Achtung!« Ehrlicher Respekt sprach aus Gabrieles Worten. Sie selbst hatte sich inzwischen zwar schon wesentlich besser in der Gewalt als zu Beginn ihrer Ehe, wann immer ihr aber Ungerechtigkeit begegnete, ereiferte sie sich und vernachlässigte dabei bedauerlicherweise jede Deckung.

Mühsam hatte deshalb Ilse ihre jüngere Schwägerin in die Grundzüge der Diplomatie einzuweisen versucht, war jedoch vom Ergebnis ihrer Bemühungen nicht restlos überzeugt und stimmte Gabriele daher in ihrer Selbsteinschätzung zu. »Glaub ich dir unbesehen. Aber, na ja«, sie warf einen zufriedenen Blick auf ihre beringte rechte Hand und drehte den Ehering zwischen einem reich mit Brillanten besetzten Memoryring und ihrem eindrucksvollen Versöhnungs-Solitär vom letzten Vorweihnachtsstreit. »Ich habe sie vorher noch darüber aufgeklärt, daß sie absolut nicht die erste sei und ganz gewiß auch nicht die letzte bleibe, die meinen Mann die Unbequemlichkeiten des Alltags vergessen lasse.«

»Und?«

Ilse zog unter den momentan eingeschränkten Bedingungen nur die Schmalfassung ihres breiten Grinsens auf und gluckste entzückt: »Sie war plötzlich mehr rot als braun, da half ihr auch das Hochgebirge nichts. Richtig ausfallend ist die Arme geworden, und gekreischt hat das dumme Ding: ›Das lassen Sie mal ganz allein Sven-Egbert entscheiden.‹ Stell dir das mal vor, sie sagte tatsächlich Sven-Egbert.«

Als Stimmenimitatorin würde sich Ilse ebenfalls erfolgreich verdingen können. Ob dem soeben vorgebrachten Gekrähe allerdings ein entsprechendes Original zugrunde lag, war absolut zu bezweifeln.

»Ich weiß nicht, ob sie ihn tatsächlich auch so nennt«, fuhr Ilse in ihrer eigenen klangvollen Stimmlage fort, »kann mir allerdings nicht vorstellen, daß er sich das lange gefallen läßt. Jedenfalls sagte ich daraufhin zu ihr« – Ilses neuer Mund lächelte schon fast wieder ilsemäßig diabolisch – : »›Oh, meine Liebe‹, sagte ich, ›das haben wir bisher immer so gehalten, wissen Sie? Aber meistens hat mein Mann erheblich besseren Geschmack bewiesen.‹ Er-heb-lich besseren Geschmack, sagte ich. ›Sie‹ – und Ilse legte ihre gesamte, sehr verachtungsvolle Betonung auf dieses »Sie« – »›haben vermutlich nicht den Funken einer annähernd reellen Chance gegen Ihre durchaus sehr attraktiven Mitbewerberinnen. Bedaure wirklich, doch nach meiner Einschätzung wird die Geschichte mit Ihnen kaum so lange dauern, daß es sich für mich lohnte, mir überhaupt Ihren Namen zu merken.‹ Stell dir vor, wie die blöde Pute mit offenem Mund vor mir stand. Ich fürchte, ich habe tatsächlich ein bißchen Mitleid mit ihr bekommen.« Ilse lächelte lieblich. »Vermutlich konnte ich es mir nur deshalb nicht verkneifen, ihr zum Schluß noch einen guten Rat zu geben.«

»Welchen?«

»›Es wäre ratsam, meine Gute‹, sagte ich in ihr sehr erstauntes Gesicht, ›wenn Sie sich schon einmal nach einem neuen Wirkungsbereich umschauten, denn Sven-Egbert sieht den Schnee von gestern nur äußerst ungern durch sein Vorzimmer wehen, glauben Sie mir!‹«

Ilse lachte in seliger Erinnerung laut auf, besann sich jedoch sofort des nagelneuen Gesichts und ließ ihre Züge wieder in eine starre Ruheposition gleiten.

Gabriele beruhigte es schon, sie solcher Bewegungen überhaupt noch fähig zu wissen, ließ es doch hoffen, Ilse eines Tages wieder in ihrer kompletten Mimik genießen zu dürfen. »Erst dann bin ich gegangen – und habe mich in der Klinik angemeldet. Bauch, Busen, Gesicht. Alles beinahe wie neu.« »Ja, und nun?«

»Abwarten. Seine Geschichten dauern erfahrungsgemäß kaum ein Vierteljahr. Länger hält er die Gewissensbisse nie aus. Dann ist die Kleine nicht mehr ganz so braun, aber nach wie vor dämlich und fängt sicher an, ihn zu bedrängen.

Ich weiß nicht, was für Sven schlimmer ist. Jedenfalls plane ich schon unsere Versöhnungsreise.« Ihre Augen bekamen einen stolzen Glanz, und die Stimme senkte sich zu ehrfurchtsvollem Flüstern: »Karibik.«

»Wundervoll, o Ilse, ich gratuliere dir. Wann fliegt ihr?« »Dummerchen, das weiß ich doch heute noch nicht. Kommt ganz darauf an, wann wir uns versöhnen. Vielleicht sollte ich’s aber mal in Angriff nehmen, damit ich buchen kann.«

Gabriele versuchte sich vorzustellen, wie so etwas bei Paul und ihr aussehen würde. Wäre schön, einfach eine Versöhnungsreise zu buchen. Oder nur eine Reise, ohne Versöhnung. Einfach mal gemeinsam Urlaub machen. Sie zwang sich sofort derart neidvolle Gedanken aus dem Kopf. Bestand doch gar keine Veranlassung! Paul hatte fest versprochen, sie auf seine nächste Geschäftsreise nach Italien mitzunehmen. Und zu versöhnen gab es bei ihnen eigentlich nichts. Aber auch nicht diese Nähe wie zwischen Sven und Ilse. Und so etwas wie Streit ließ Paul gar nicht erst zu. Seine Sekretärin war siebzig, darum brauchte sie sich also keine Sorgen zu machen. Eher schon um Linda, denn die war allerhöchstens fünfzig und noch ziemlich gut beieinander – für ihr Alter! Und unbestritten Pauls absolute Favoritin – und Louises Favoritin, vermutlich schon seit dem Kindergartenalter.

Gabriele seufzte. Derartige Begegnungen standen ihr morgen wieder bevor, aber damit mußte sie sich den heutigen Abend wirklich nicht verderben.

Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich wieder auf Ilses Gesicht. »Ich verstehe immer noch nicht, warum du plötzlich wegen einer seiner ›Geschichten‹ an dir herumschnippeln läßt. Das hast du gar nicht nötig.«

»Doch, doch, hatte ich. Aber natürlich nicht wegen Sven.

Man soll so etwas überhaupt nicht für einen Mann tun, sagt meine Freundin Gundula jedenfalls, und ich glaube, sie hat recht. Nein, nein, so was tut man tatsächlich für sich selbst oder besser gar nicht.« Sie zupfte an ihren makellosen Locken. »Ich habe lediglich die Zeit genutzt, in der er anderweitig beschäftigt war. Das ist doch nur vernünftig. In meinem jetzigen Zustand möchte ich ihm allerdings nur höchst ungern begegnen.«

»Und wie willst du das anstellen? Sven kommt doch sicher morgen zur Geburtstagsfete.«

»Irrtum, Kleines, er wird leider nicht können. Angeblich gibt es Probleme auf der Baustelle in Dresden, hat er jedenfalls am Telefon behauptet. Du kannst allerdings drauf wetten, sein Problem ist weiblichen Geschlechts, sitzt im Vorzimmer und hat gezetert, weil er sich natürlich geweigert haben wird, sie zur Familienparty mitzunehmen. Statt dessen fährt er trostweise mit ihr nach Dresden und wird vermutlich allerbeste Opernkarten an diese völlig unterbelichtete Person verschwenden. Er weiß ganz genau, daß er mich dorthin in jedem Fall hätte mitnehmen müssen, wenn er nicht so raffiniert den Termin auf Pauls Geburtstag gelegt hätte.« Einen Moment schaute Ilse düster vor sich hin, und ihr armes entstelltes Gesicht gab die Furcht einer über Fünfzigjährigen preis, mit einer Jüngeren konkurrieren zu müssen. Aber wirklich nur einen sehr kurzen Moment, dann hatte das Leben sie wieder.

»Nun hör mal, Ilse, Sven ist zwar bewiesenermaßen ein Filou, aber raffiniert, wie du sagst, ist dein alter Poltergeist mit seinem weichen Herzen sicher nicht. Du weißt doch außerdem ganz genau, wie sehr er dich liebt.«

Ein schwacher Trost angesichts Ilses Vision, er könnte mit der anderen in die Oper gehen. Das Ehepaar ließ auf seinen Reisen kein Opernhaus aus, und es war durchaus möglich, daß es Sven in den Sinn kam, nur für eine Premiere mit seiner Frau nach Mailand zu fliegen. Das hatte bei ihm überhaupt nichts mit Wohlstandsdünkel oder Bildungsprotzerei zu tun. Er war Musikliebhaber, spielte mit seinen etwas breiten Maurerhänden ausgezeichnet Klavier und hatte als junger Mann angeblich die Absicht gehabt, eine Konzertlaufbahn einzuschlagen. Dafür hatte es aber vermutlich nicht ganz gereicht, und so baute er, immerhin auch ein kreativer Akt, Häuser und frönte ansonsten seinem Hobby, der Musik, das ihn mit Ilse verband. Diese hatte zwar niemals gelernt, selbst ein Instrument zu spielen, wandte sich aber schon allein aus Trotz mehr der Musik als der Malerei zu, um sich auch auf diese Weise von ihrer Familie zu distanzieren und insbesondere gegen Vater und Bruder zu opponieren.

Die Vorstellung, Sven könnte nun ausgerechnet den Genuß eines Besuchs der Semper-Oper mit einer anderen teilen, schien Ilse mehr zu schmerzen und ein größerer Verrat zu sein als seine Liebschaft insgesamt.

»So ist das, Gabilein. Aber auf diese Weise kann ich dir ungestört bei den Geburtstagsvorbereitungen helfen, ja?« Sie hatte die Wehmut aus ihrem Gesicht verbannt und warf jetzt einen kritischen Blick auf Gabriele. »Wenn du mich fragst, könntest du auch mal ein bißchen was für dich tun. Du bist beinahe zwei Jahrzehnte jünger als ich, Kindchen. Es wäre schön, wenn man davon auch etwas sehen würde!«

Gabriele hob ratlos die Schultern.

»Nicht so wichtig, weißt du doch. Außerdem habe ich für so was wirklich keine Zeit mehr, seitdem ich dauernd in der Galerie gebraucht werde.«

»Warum hast du dich überhaupt darauf eingelassen? So sehr interessierst du dich doch gar nicht für Malerei, wenn ich mich recht entsinne. Und das große Haus ist weiß Gott Arbeit genug für dich. Ich würde mir nicht gefallen lassen, daß Paul dauernd unterwegs ist und dich mit allem allein läßt. Mit mir hätte er das nicht machen dürfen.«

Gabriele verkniff sich eine scharfe Antwort. Aber sie hatte so ihre eigenen Gedanken darüber, was im umgekehrten Fall Sven mit ihr nicht hätte machen dürfen.

Bis zu seinem plötzlichen Tod vor zwei Jahren hatte ihr Schwiegervater ganz allein mit seinen Angestellten die Galerie geführt, während Paul in Sachen Kunsthandel durch die Weltgeschichte reiste. Jetzt hatte der Juniorchef zwangsläufig die Geschäftsführung übernommen, reiste aber weiterhin sehr viel, und die beiden Angestellten hätten die anfallende Arbeit allein kaum bewältigen können. Da hatte Paul Gabriele gebeten, »vorläufig« einzuspringen.

»Außerdem hast du den großen Garten.«

»Du weißt doch, ich liebe die Gartenarbeit ...«

»Gewiß«, Ilse griff nach ihrer Hand, »aber das muß man dir nicht unbedingt an deinen Fingern ansehen, nicht?«

Ilse war ein Phänomen. Sie wirkte immer wie aus dem Ei gepellt, ganz gleich, was sie anpackte. Als sie vor Jahren die alte Puppenstube für Elena restaurierten, war Gabriele anschließend vollkommen mit Kleister und Farbe beschmiert, bei Ilse dagegen, die eindeutig den weitaus größeren Teil der Arbeit erledigt hatte, zeigten sich nicht einmal Kratzer auf dem Nagellack.

Sie ordnete für Gabriele am kommenden Morgen einen Besuch bei ihrer Kosmetikerin an, die unter anderem angeblich dafür bekannt war, besonders phantastische Nägel zu produzieren.

»Du bist eine Naturschönheit, Herzchen, und ich beneide dich darum, aber gib doch den blöden Puten morgen keine Chance. Ich mach das schon mit der Anmeldung.«

»Wie stellst du dir das vor? Ich muß nachmittags noch zur Vorsorgeuntersuchung und kann unmöglich ...«

»Na, dafür hast du dir wirklich einen ganz besonders feinen Tag ausgesucht. Aber laß mich mal machen. Das kriegen wir schon hin.«

Ilse öffnete den Koffer, und Gabriele half, die sündhaft teuren Kleidungsstücke in den Schrank zu hängen.

»Eigentlich sollten wir beide uns demnächst auch mal einen Urlaub gönnen. Was hältst du davon? Wenn Sven nach Dresden fahren kann – ohne mich! – und Paul Geschäftsreisen ganz gegen seine heiligen Versprechungen ständig ohne dich unternimmt, könnten wir zwei doch auch mal losgondeln, oder?«

»Ja schon, aber ...« Ilse pur, das bedeutete Boutiquen, Hotelbars, Konzertbesuche und »angemessene« Kleidung von morgens bis in die Nacht.

»Ganz leger«, beschwichtigte ihre Schwägerin. Doch Sachen, die ganz leger waren und trotzdem den Anforderungen eines Fünfsternehotels entsprachen, fand Gabriele nun einmal unbequem, und sie war immer heilfroh, wenn sie wieder in ihre Normaljeans und Pullis schlüpfen durfte. Also, Urlaub mit Ilse, das war bestimmt keine Kleinigkeit, aber sie würde auch endlich einmal aus ihrem Alltagstrott herauskommen. »Nichts ›aber‹. Wir erholen uns prächtig und kaufen dir bei der Gelegenheit endlich mal wieder ein paar vernünftige Klamotten.«

Also doch!

»Und morgen sorgen wir für ein bißchen neuen Lack. Was ziehst du denn an? Wollen wir mal zusammen gucken?«

Gabriele wagte ein zaghaftes Aufbäumen. »Ach, ich weiß nicht. Paul findet das natürlich toll, wenn ich mich so rausputze, aber nur weil Sven Kapriolen schlägt, muß ich doch nicht so ein Theater ...«

»Und was würdest du dazu sagen, wenn Paul schon heute zurückgekommen wäre und mit so einem ... äh ... so einem – Hippiemädchen nannten wir das damals – aus dem Zug gestiegen wäre?«

»Wann?«

»Angeblich vor einer guten Stunde.«

»Du spinnst.« Gabriele sah verblüfft auf die Uhr. »Dann wäre er doch längst hier.«

»Eben! Ich sage es dir nur, weil ich vorhin am Hauptbahnhof Linda begegnet bin, und die behauptete, ihn mit so einer bunten jungen Dame, die vom Alter her seine Tochter sein könnte, auf dem Bahnsteig gesehen zu haben.«

»Ach, die blöde Gans hat dir bestimmt einen Bären aufgebunden. Du weißt doch, wie sie sich immer hat mit Paul. Wo sollte er denn ...«

Bevor Gabriele ihre Frage vollenden konnte, betrat Elena die Szene. Sie hatte Gregor offenbar verabschiedet und stand – leider nur für eine sehr kurze Weile – sprachlos vor ihrer Tante, um dann mit Abscheu in der Stimme herauszuplatzen: »Himmel, Ilse, du siehst ja aus wie ein Monster!«

Unglaublich! Gabriele hatte das Bedürfnis, ihre herzlose Tochter kräftig durchzuschütteln. Ilse aber blieb gelassen, stand auf, kniff dem kleinen Biest mit ihrem vorsichtigen schiefen Lächeln in die Wange und sagte: »Du, meine süße Kleine, bist ein Monster.«

Es wurde insgesamt noch ein netter Abend. Sie kochten Tee, und um Mitternacht stießen sie mit den Tassen auf Pauls Geburtstag an.

»Auf Vatern!« rief Elena, und Gabriele sah Ilse fragend über den Rand ihrer Tasse hinweg an.

»Auf Paul!«

»Ja, auf Paul!«

Kapitel 2

Ilse rauschte morgens schon sehr früh in einem atemberaubenden Negligé vom Olymp herunter. Ihre roten Locken umspielten, kunstvoll aufgesteckt, das zarte weiße Gesicht, und Gabriele hatte den Eindruck, als normalisierten sich die Konturen bereits wieder etwas. Ganz selbstverständlich übernahm Ilse die Zubereitung des Frühstücks, plauderte Belanglosigkeiten und griff die Unterhaltung über Lindas Bemerkung vom Vorabend nicht wieder auf. Gabriele war sehr dankbar dafür, denn sie hatte sich schon in der Nacht immer wieder die Frage gestellt, ob nicht am Ende doch etwas dran war an Lindas Behauptung. Hatte Paul wegen dieser jungen Frau in letzter Zeit ...? Und sie hatte insbesondere in den vergangenen Wochen wieder zunehmend den Verdacht gehabt, da brodelte immer noch oder wieder etwas zwischen Linda und ihm.

Unsinn! Selbstverständlich war er noch nicht zurück, sonst wäre er doch schließlich hier. Linda ließ wirklich keine Gelegenheit aus, ihr zuzusetzen. Die alte Giftspritze verhielt sich gerade so, als hätte Gabriele ihr Paul damals ausgespannt. Völliger Blödsinn. Der Trennungsgrund zwischen Linda und Paul war nach Ilses Auskunft eine ganz reizende Bildhauerin, die Paul während eines Zeichenseminars kennengelernt hatte. Die Geschichte ging allerdings zu Ende, nachdem er ihr dieses Haus zwecks Familiengründung präsentiert hatte.

»Beinahe hätten sie tatsächlich geheiratet, glaube ich. Konnte aber nicht gutgehen. Sie hatte vermutlich Talent, und das hätte Paul niemals auf Dauer und Mutter schon gar nicht ertragen, nachdem er so kläglich mit seinen Bewerbungen an sämtlichen Kunsthochschulen dieser Welt gescheitert war.«

»Ilse, bitte, du sprichst von deinem Bruder.« Sie war in diesem Punkt wirklich absolut ungerecht. Paul hatte dieses Manko schließlich mehr als ausgeglichen. Er war ein gefragter Kunsthistoriker und hatte sich darüber hinaus zu einem absoluten Kenner des Kunstmarkts entwickelt. Das aber übersah seine Schwester geflissentlich.

»Keine Sorge, mir macht das nichts. Schlimmer ist wohl, daß ich von deinem Mann spreche, wie?«

Gabriele reagierte zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr auf Ilses permanente Paul-Kritik, weil er genauso gegen seine Schwester giftete wie sie gegen ihn. Besser, man hielt sich da heraus.

Ilse war die einzige in der Familie, die angeblich nichts mit Kunst im Sinn hatte. Jedenfalls verweigerte sie sich von jeher konsequent allen Versuchen ihres Vaters, sie ins Familienunternehmen einzubinden. Nicht einmal entfernt hatte sie je in Erwägung gezogen, in der Galerie mitzuarbeiten. Ihre Eltern hatten ihr zwar nach dem Abitur die Hölle heiß gemacht, waren aber auf sture Ablehnung gestoßen. Und als Louise schließlich ins Feld führte, es würde ihren Vater schon sehr kränken, wenn sie so gar kein Interesse an seinem Lebenswerk zeigte, war sie nach Pauls empörter Schilderung in schallendes Gelächter ausgebrochen.

»Zeigt er denn Interesse an meinem Leben?«

Nach Ilses Auffassung tat er das nicht. Er war ein Eigenbrötler, ein mit seiner Rolle unzufriedener Mensch, der in seiner Familie mehr litt, als daß er in ihr lebte. Das dürfte natürlich auch Louise nicht entgangen sein, aber über Ilses unverfrorene Äußerung war sie trotzdem entsetzt. Paul war daraufhin natürlich ebenfalls entsetzt, aber der alte Wikinger, der viel lieber malte als anderer Leute Bilder zu verhökern, hatte einlenkend mit den Schultern gezuckt und das Thema nie wieder angesprochen. Er ließ seine Frau, die mit so viel stärkerer Vehemenz ausgestattet war als er selbst, zetern, Paul empörte Reden und das reizende Fräulein Barkhus die Geschäfte führen. Selbst aber zog er sich in sein etwas finsteres Malstübchen zurück – angeblich zu Restaurationsarbeiten –, während seine Tochter Ilse befriedigt ihren Umzug nach Göttingen vorbereitete, um ihre Familie von dort aus das Fürchten zu lehren.

Nur ein einziges Mal besuchte Paul seine Schwester in ihrer Wohngemeinschaft, um fortan immer wieder zu beteuern, für alle Zeiten von solch unübersichtlichen Lebensformen Abstand nehmen zu wollen.

Ilse studierte eigentlich Fremdsprachen, verschlief jedoch die meisten Seminare, weil sie mit Begeisterung und überaus erfolgreich in Göttinger Studentenkneipen Thekendienste versah, die sie in die Lage versetzten, sich eine ihr adäquat erscheinende Garderobe zuzulegen, die genausowenig in jene WG gepaßt haben mußte wie Ilse selbst.

In einem ihrer Modelle aber beeindruckte sie nach einem Theaterabend den jungen, etwas vierschrötigen Bauingenieur Sven, der auf dem verstimmten Kneipenklavier einen leicht besoffenen Brahms zum besten gegeben hatte und damit augenblicklich Ilses Herz und den dauerhaften Platz an ihrer Seite gewann. Wie sich später herausstellen sollte, war Sven von Weiblichkeit überhaupt ziemlich leicht zu beeindrucken, was die selbstbewußte Ilse seltsamerweise immer wieder erduldete.

Für Gabriele stand seit langem fest, daß sie natürlich sofort Konsequenzen ziehen würde, wenn Paul jemals wieder ... Sie verbot sich weitere Grübeleien. Ein Gynäkologentermin und Pauls Geburtstag waren für einen einzigen Tag wirklich genug, und es reichte vollkommen, daß sie sich abends wieder Lindas Unverschämtheiten würde bieten lassen müssen. Sie sollte sich wirklich nicht schon den Vormittag mit Gedanken an sie verderben.

»Ach, hast du das hübsch gedeckt, Ilse. Ich habe jetzt richtig Appetit auf ein gemütliches Weiberfrühstück.«

Elena, die in diesem Moment das Eßzimmer betrat, sah erfreulich munter aus und griff die Äußerung ihrer Mutter auf.

»Moin, ihr Weiber.«

»Moin, du Weiblein«, sagte Ilse ebenso munter. »Stell dir vor, ich habe deine Mutter überreden können, sich für heute Abend ein bißchen verschönern zu lassen.«

Elenas entsetzter Blick wanderte zwischen Ilse und ihrer Mutter hin und her. Hätte die kleine Hexe es doch dabei bewenden lassen.

»Ich hoffe nicht, daß du anschließend genauso bescheuert aussiehst wie Ilse. Voll die Katastrophe! Und das an Vaters Geburtstag.«

»Verdammt noch mal, Elena ...«

»Ich denke, in unserem Haus wird nicht geflucht.«

Bevor Gabriele die freche Bemerkung angemessen ahnden konnte, griff Ilse versöhnend ein.

»Beruhige dich, Engelein, deine Mutter wird sich lediglich die Fingernägel stylen lassen und ein perfektes Abend-Makeup verpaßt bekommen. Das ist alles, versprochen.«

Mit ihrem noch immer schiefen Lächeln führte Ilse äußerst vorsichtig ihre Kaffeetasse an die vollen Lippen. Vielleicht würden die ja irgendwann einmal so aussehen, wie es der Chirurg zugesichert hatte. Im Augenblick aber teilte Gabriele noch das Entsetzen ihrer Tochter, ohne es allerdings in die Welt hinauszuposaunen, geschweige denn, Ilse daran teilhaben zu lassen, die weiß Gott genug mit sich und ihren Schwierigkeiten zu tun hatte.

Trotz ihrer dreiundfünfzig Jahre war Pauls Schwester immer noch eine Schönheit gewesen – bis zu dieser irrsinnigen Operation!

Hatte sie Linda möglicherweise völlig falsch verstanden, weil sie unter einem postoperativen Schock litt, der zu Halluzinationen führte?

»Du mußt natürlich selbst wissen, was du tust, Gabriele«, billigte Elena ihrer Mutter großmütig zu, während sie sich eine halbe Banane ins Müsli schnippelte. »Ich finde solche künstlichen Nägel jedenfalls so was von unnatürlich!«

Niemand brachte einen annähernd angewiderten Gesichtsausdruck zustande wie Elena.

Eine kurze, abwartende Pause, ein forschender, fast lauernder Blick vor der nächsten Angriffswelle.

»Wenn du damit im Garten rumwühlst, sind die sowieso gleich wieder hin.«

Ilse vertiefte sich mit einem leisen Grunzlaut ins Frühstücksei. Funkstille!

Elena kaute gründlich und ließ dabei hin und wieder ihre kleine spitze Zunge, die seltsamerweise keinen Spalt aufwies, blitzschnell zwischen den Lippen hervorschnellen.

»Schrecklich unpraktisch, ich meine, auch so bei der Hausarbeit. Brechen doch sofort ab, nicht?«

Funkstille leider beendet.

»Ha, da spricht wohl eine Expertin, wie? Apropos Hausarbeit! Ich habe nachmittags noch einen Arzttermin und muß deshalb vorher sehr viel erledigen. Dabei brauche ich deine Hilfe, mein Kind. Du gehst also bitte heute einmal nicht gleich nach dem Mittagessen aus dem Haus.« Der Gedanke an den Arzttermin hatte genügend Adrenalin freigesetzt, um sie zu größerer Streitleistung zu befähigen. »Es ist mir überhaupt ein Rätsel, wie jemand das Abitur schaffen kann, der dauernd nur unterwegs ist.«

»Ist bekannt, Mütterchen! Hast es ja auch nicht geschafft.« Ilse gab ein Geräusch von sich, das man gut und gerne als Lacher interpretieren dürfte. Aber sie ließ es in einem gänzlich unverdächtigen kleinen Hustenanfall enden.

Gabriele befand sich auf ungeliebtem Terrain; warum auch war sie so unvorsichtig gewesen und hatte es nicht weiträumig umschifft? Diesen Kampfplatz würde sie heute schlichtweg nicht akzeptieren. Sie verkniff sich also die Entgegnung, daß sie damals schließlich schwanger und außerdem einfach zu dämlich gewesen sei.

Glaube nicht, du kleine Bestie, daß ich mich darauf jetzt einlasse! Gabriele war ein kleines bißchen stolz über diesen Sieg der Vernunft, was ihre Laune wieder etwas aufhellte. Ilse beugte sich übertrieben weit vor, um Kaffee nachzuschenken, und bildete auf diese Weise mutig einen Schutzwall zwischen Mutter und Tochter – zu wessen Schutz auch immer.

Gabriele beschloß die Kampfhandlungen mit ausgesprochen ruhiger Stimme: »Elena, du bleibst zu Hause, das ist alles.«

»Aber Gregor ...«

»Gregor kann gern abends zur Feier kommen. Am Nachmittag jedenfalls hilfst du mir! Ende der Durchsage!«

Aus sicherer Distanz murmelte daraufhin die geschundene Tochter etwas über Ausbeutung und Unterdrückung Abhängiger, beschwor Menschenrechte, die laut irgendwelcher Konventionen doch angeblich auch innerhalb der Familie Geltung haben sollten, und verließ türenschlagend das Haus, nachdem sie zuvor das tragische Schicksal von Romeo und Julia düster in den Raum gestellt hatte.

Die Gläser im Schrank klirrten bei diesem energischen Abgang, und Gabriele war sofort wieder auf der Palme, wo sie offenbar nach Auffassung ihrer Tochter hingehörte. »Na warte, mein Kind, das wird ein Nachspiel haben!« Wer oben auf der Palme sitzt, muß schon ein bißchen lauter werden, damit er unten noch verstanden wird.

Ilse verschwand leise kichernd hinter der Zeitung und murmelte freundlich: »Nur keine leeren Versprechungen, meine Liebe!« Sie tauchte vorsichtshalber erst wieder hervor, als Gabriele polternd den Tisch abzuräumen begann.

»Laß alles stehen. Du mußt los, sonst schaffst du deine Termine heute am Ende wirklich nicht.«

Als sie mittags allein mit ihrer Tochter am Tisch saß, war Gabriele die Sache mit dem Nachspiel zunächst gar nicht mehr in Erinnerung. Elena sorgte aber doch sehr schnell dafür, daß sie sich wieder einstellte. Zunächst schaute sie während des Essens eine Weile kommentarlos auf Gabrieles märchenhaft schöne Hände, bis sie es offenbar nicht mehr aushielt.

»Ich find das irgendwie echt unhygienisch. Hast du damit etwa die Frikadellen gemacht?«

Hatte sie keineswegs, sondern auf Ilses Anraten hin fertig dem Tiefkühlschrank entnommen, damit sie ihr Programm einigermaßen schaffte. Ilse war, mit Sonnenbrille und Schal getarnt, zum Friseur entschwunden, und so war jetzt beim mittäglichen Duell nicht einmal eine Sekundantin anwesend. Ein bißchen eklig war die Vorstellung in der Tat, mit derartigen Krallen in einen Fleischtopf zu greifen, aber das war noch lange kein Grund für Elena, ihr die Freude an der eigenen Opferbereitschaft zu vergällen.

Augenblicklich verging die Lust an der Maskerade. Für wen machte sie überhaupt das ganze Theater? Für Ilse? Die hatte sich längst daran gewöhnt, ihre Schwägerin nur selten in edler Kleidung und meistens in Jeans und Pullover anzutreffen. Oder für ihre Schwiegermutter? Louise fand ihre Schwiegertochter zwar hübsch, aber nicht besonders präsentabel.

Den meisten Gästen war es gleichgültig, wie sie aussah, und denen es nicht gleichgültig war, würde sie es ohnehin nie recht machen. Blieb Paul, und der hatte es gar nicht verdient, daß sie sich für ihn dieser albernen Verkleidung unterzog.

Er hatte es nicht einmal für nötig befunden, sich an seinem Geburtstagsmorgen zu melden, damit sie ihm gratulieren konnte, und das war eigentlich so Usus bei ihnen. Im Hotel war er nicht mehr. Dort hatte sie gleich ganz früh angerufen. »Bedaure sehr, gnädige Frau, Ihr Gatte ist bereits abgereist.« Ja, Gabriele bedauerte auch. Bedauerte vor allem, nicht nach dem Zeitpunkt seiner Abreise gefragt zu haben. Konnte Linda ihn wirklich am Vorabend schon am Bahnhof gesehen haben? Lächerlich, aber war sie imstande, eine solche Geschichte allein mit dem Ziel zu erfinden, Gabriele aus der Fassung zu bringen? Falls ja – Bingo!

Der Gedanke an Linda forcierte die Auseinandersetzung mit Elena ungemein.

»Ich verbitte mir ganz entschieden diesen Ton, mein Kind. Wenn du etwas an unseren Mahlzeiten auszusetzen hast, darfst du künftig gern selbst für dich kochen. Allerdings möchte ich dann auch ...« Elena stürmte bereits beleidigt aus dem Eßzimmer, was Gabriele die Möglichkeit einräumte, ihre Lautstärke zu verdoppeln – eine wirklich zu begrüßende Entwicklung angesichts ihrer derzeitigen Gemütslage. »... möchte ich dich wirklich bitten, verdammt noch mal, deinen Kram anschließend wieder wegzuräumen.« Der letzte Satz erforderte eine weitere Steigerung ihrer Stimmleistung. »Dürfte dir ja nicht allzu schwerfallen mit deinen praktischen kurzen Nägeln.«

Sie bemerkte selbst, daß sie keifte, daß ihr Kopf knallrot vor Wut war und sie sicherlich keinen hübschen Anblick bot. Außerdem wußte sie, daß Elena absolut die falsche Adresse für ihren Zorn war. Aber da tönte bereits laute Musik aus deren Zimmer.

»Wer schreit, hat unrecht« war einer von Pauls Lieblingssätzen, den er im heftigsten Streit mit der gleichen leisen Stimme vorbrachte, mit der er Kunden von einem Bild überzeugte oder seiner Tochter untersagte, zu ihrem Freund zu ziehen. Gabriele beneidete ihn oft grimmig um seine Selbstbeherrschung. Es gab allerdings Momente, da hätte sie mit Fäusten auf ihm herumtrommeln mögen, um ihn aus der Reserve zu prügeln.

War sie im Unrecht? Ausgesprochen unausgeschlafen war sie, erledigt von den Vorbereitungen für den heutigen Abend und aus schierer Angst wegen des Arzttermins. Das auch! Und wegen dieser fürchterlichen Linda, die wieder einmal für Mißstimmung sorgte.

Gabriele räumte den Tisch ab und klapperte besonders energisch mit dem Geschirr, nicht um ihrer Tochter auf diese Weise ihre Wut zu demonstrieren, sondern um einen neutralen Katalysator zu finden. Elena hatte sich ja wieder geschickt aus dem Staub gemacht, aber es mangelte ihr augenblicklich einfach an der nötigen Kraft, sie zurückzupfeifen.

Himmel, was für ein Tag! Und dazu Ilses unselige Idee mit den künstlichen Fingernägeln. Paul schätzte allerdings solche Kinkerlitzchen. Sein Faible für gestyltes Auftreten teilte er – wie so vieles – mit seiner Mutter, und, als wohl einzige Gemeinsamkeit, mit seiner Schwester, die mit dem Äußeren ihrer Schwägerin im Augenblick eigentlich sehr zufrieden sein könnte.

Das Kostüm war nagelneu, saß absolut perfekt und hatte ein kleines Vermögen gekostet. Klar, daß man sich in einem so engen Rock nicht vernünftig bewegen konnte, aber das verlangte im Moment auch niemand von ihr. Sie würde schließlich nicht wie üblich mit dem Fahrrad, sondern mit dem Auto fahren.

Parkplatz direkt vor der Tür. Ein Himmelsgeschenk! Bei einem längeren Fußmarsch würde möglicherweise das Frischesiegel vom Putz platzen. Außerdem taten in den eleganten Pumps mit dem erhöhten Absatz garantiert schon nach wenigen Metern die birkenstockverwöhnten Füße weh.

Mit zittrigen Fingern zog sie noch einmal ihre Lippen nach und wühlte kurz darauf hektisch in der Handtasche nach einem Taschentuch, um die in Mitleidenschaft gezogenen Zähne vom Kirschrot zu befreien.

»Wenn man’s nicht kann, soll man’s halt lassen. Au, so ein verdammter Mist!«

Jetzt war der teure – selbstverständlich ebenfalls kirschrote Fingernagel doch abgerissen, was nach Versicherung der Fachkraft am Vormittag so gut wie niemals passierte. Sie war natürlich wieder die Ausnahme. Bei ihr funktionierte so etwas eben nicht. Elenas Prophezeiung! Und keine Rettung mehr möglich.

Dann wenigstens noch einmal mit der Bürste durch die Haare. Schulterlang und naturgewellt, fanden die auch ohne aufwendige Friseurarbeit Gnade vor Ilses Augen. Gut sah sie aus, irgendwie vollkommen fremd, aber dem Anlaß durchaus angemessen. Die Kosmetikerin hatte ganze Arbeit geleistet. Für ihren Mann – und natürlich für den Frauenarzt. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Und sie war das tapfere Schneiderlein!

Gabriele streckte die Finger prüfend vor und schüttelte bedauernd den Kopf.

»Ach, Paul! Nun ist er schon hinüber, bevor die Feier überhaupt losgeht.« Sie würde sich später ein Heftpflaster um den entstellten Nagel kleben müssen, damit ihrem Mann dieser neuerliche Makel an ihr wenigstens an seinem Ehrentag nicht die Stimmung verdarb. Elena würde ihn natürlich sofort registrieren. Ihr entging niemals etwas. Sie hatte Augen wie ein Adler, Ohren wie ein Luchs, war nachtragend wie ein Elefant und Vatis entzückendes Kätzchen, wenn sie etwas bei ihm durchsetzen wollte.

Letzteres ging ihr selbst völlig ab. »Diplomatie ist nicht unbedingt deine Stärke, mein Kind!« hatte Gabrieles Mutter ihrer Tochter bei deren etwas überstürzter Hochzeit mit auf den Weg gegeben. »Atme lieber kräftig durch, bevor du sprichst. Damit lassen sich Ehestreitigkeiten vermeiden.« Und weil es in ihrer eigenen Ehe unübersehbar kriselte und sie Gabrieles kritischen Blick wahrnahm, hatte sie einlenkend hinzugefügt: »Einige jedenfalls, alle natürlich nicht.«

Alle wahrhaftig nicht, aber Paul hatte eine Art an sich, bei der es überhaupt nicht darauf ankam, ob seine Frau nun mehr oder etwas weniger diplomatisch vorging. Er reagierte ohnehin immer gleichbleibend, ob sie nun säuselte oder ihm lautstark bittere Vorhaltungen machte. Nur wenn sie eine gewisse Schallgrenze übertrat – und da sie die kräftige Stimme ihrer Mutter geerbt hatte, konnte das im Eifer des Gefechts durchaus vorkommen –, sprach er seinen berühmten Satz: »Wer schreit, hat unrecht!«

Jetzt wurde es wirklich Zeit. Die wenigen Schritte bis zur Praxis legte sie in raschem Tempo zurück.

Der Arzt würde überhaupt nicht ermessen können, welch maßlosen Hygiene-, Bekleidungs- und Kosmetikaufwand seine Patientinnen betrieben, um endlich lässig, gutgekleidet, gepflegt und mit der überlegenen Miene einer Frau, die es nicht dulden würde, sich von überheblichen Sprechstundenhilfen zickig behandeln zu lassen, vor den Tresen im Wartezimmer zu treten. Mußte er ja auch nicht. Diese Schlacht fand schließlich ohne ihn statt. Nur mit den weißen Engeln, die erst von einer bestimmten Designerklasse an aufwärts überhaupt ihre Mundwinkel andeutungsweise zu einem Lächeln zu heben pflegten. Doch diese Lektion hatte sie inzwischen gelernt und orientierte sich bei solchen und ähnlichen Anlässen klaglos ganz an Pauls Wünschen, indem sie jene für ihn und seine Mutter so unerfreulichen Ansätze bekleidungsemanzipatorischer Bestrebungen furchtsam über Bord warf, sobald sie eine Arztpraxis, ein Lehrersprechzimmer oder die Galerie aufsuchte. Letzteres nach der bitteren Erfahrung, eine stundenlange Tirade über sich ergehen lassen zu müssen, nachdem sie es einmal gewagt hatte, bei der Vernissage eines sehr jungen Künstlers in Jeans und Lederjacke zu erscheinen. Louise und Paul wären sicher überglücklich, sie ständig im heutigen Outfit zu sehen.

Und dann sollte er mit so einem »Hippiemädchen« gesichtet worden sein? So etwas gehörte vielleicht zu Pauls Generation, aber absolut nicht zu Paul. Ganz gewiß nicht. Die Vorstellung allein war völlig grotesk!

Das Wartezimmer war nicht besonders voll, und an der Rezeption hob schon bald eine der weißgekleideten Angestellten gnädig den Blick und signalisierte damit huldvoll ihre Bereitschaft, sich jetzt von der nächsten Patientin stören zu lassen.

»Mein Name ist Wikinger.«

»Ich bin die Königin von Saba« wäre auch ganz gut gewesen. Unbedingt galt, den Namen so zu nennen, daß nicht der leiseste Hauch eines irrtümlichen Eindrucks von Schüchternheit geweckt würde bei den Damen, die uneingeschränkt über Telefon, Terminkalender, Laborwerte, Rezepte und den Arzt wachten. Über den selbstverständlich ganz besonders. »Frau Wikinger, guten Tag.« Sie fuhr mit ihrem Stift über die Eintragungen für den heutigen Tag und war zufrieden, als sie Gabriele dort entdeckte. »Ja, gut, nehmen Sie bitte noch einen Moment Platz. Ich rufe Sie dann sofort ins Labor.«

Na also, das neue Kostüm, dies typische Paul-und-seine-Mutter-Stück, zeigte Wirkung. Die Kombination mit der kurzen doppelreihigen Perlenkette war offenbar ebenfalls gelungen. Wäre auch später bei der Brustuntersuchung – Oberkörper bitte einmal frei machen! – sicher ein netter Blickfang.

Gabriele lächelte ergeben in die Runde der anderen Opferlämmer, die hier tapfer den Countdown überlebten, und nahm in einem der bequemen Sessel Platz. Gewohnheitsmäßig griff sie nach einer Frauenzeitschrift.

Nach einem Friseurbesuch war sie durchaus imstande, den Inhalt des einen oder anderen Artikels zu schildern, was sie, um die Stimmung am Mittagstisch zu heben, ohne sich auf streitgefährdetes Gebiet zu begeben, auch hin und wieder tat. Nach dem Check beim Gynäkologen würde ihr das niemals gelingen. Sie war überhaupt nicht fähig, ihre Gedanken auf etwas anderes als auf die bevorstehende Untersuchung zu konzentrieren.

Grummelte da nicht etwas in ihrem Inneren? Sollte sie etwa wegen unüberwindlicher Übelkeit in den nächsten Minuten unverrichteter Dinge den Heimweg antreten müssen? Zu schade, doch wenn es nicht anders ging ...

»Oh, da muß ich aber erst einmal sehen, ob der Doktor heute überhaupt noch Zeit für Sie hat. Er fährt nämlich in den Urlaub!« konterte eine der Sprechstundenhilfen die schüchterne Anfrage einer bunt gesträhnten jungen Frau, was Gabriele für einen Moment von ihren eigenen Befindlichkeiten ablenkte. Das versprach interessant zu werden.

Sie tippte sechzig zu vierzig für die Patientin wegen des energischen Kinns, das die zur Schau gestellte Schüchternheit Lügen strafte.

»Sie hätten wenigstens vorher kurz anrufen sollen!«

Gabriele bezweifelte sehr, daß der Doktor in dem Fall auf seinen Urlaub verzichtet hätte.

Die lange, dünne junge Dame mit den vielen Ringen in Nase und Ohr machte nicht den Eindruck, als würde sie nun erschreckt zur Tür zurückweichen. Sie wünschte offenbar empörenderweise immer noch, vor seine Eminenz treten zu dürfen, ohne zuvor mit den Hilfsgöttinnen einen Termin vereinbart zu haben. Unglaublich! Dabei zeigte sie zu allem Überfluß eine Art fatalistischer Genervtheit, anstatt freundlich, einen ganz winzigen Hauch unterwürfig, aber trotzdem unwiderruflich auf die Dringlichkeit ihres Anliegens hinzuweisen. Schon schlecht! Ihre Chancen sanken augenblicklich auf dreißig zu siebzig.

Der Himmel allein wußte, wie sehr Gabriele, die grundsätzlich wirklich niemand als schüchtern bezeichnen würde, darum hatte kämpfen müssen, die überlebensnotwendige Kulturtechnik des sicheren Auftretens vor dieser Berufsgruppe zu beherrschen.

Wie alt war das Häufchen Unglück? Vielleicht zwanzig?

Sie selbst hatte in dem Alter bereits absolute Perfektion darin entwickelt. Ilses Schule! Manche lernten es allerdings leider nie.

Blaß, sehr blaß war die unerwünschte Patientin. Eisenmangel wahrscheinlich. War ihr früher auch so ergangen. Da war sie allerdings schwanger gewesen. Aber bei ihr hatte man die Blässe nicht sehen können. Nie hätte Ilse sie ungeschminkt und mit derart strähnigen Haaren irgendwo hingehen lassen. Ganz gewiß nicht zum Frauenarzt. Trostlos fielen sie dem jungen Ding fransig über abfallende Schultern. Irgendwie hing aber auch alles an ihr: Augenlider, Mundwinkel, der viel zu weite Pulli über einem allerdings knackengen Mini. Sogar die Schäfte ihrer hohen Stiefel umschlotterten mit eindeutiger Abwärtstendenz sehr dünne, staksige Beine. »Könnte ich denn nicht vielleicht warten?«

Aha, schon besser, das war durchaus der richtige Ton. Jetzt noch ein oder zwei Zurechtweisungen, und die Geschichte wäre ausgestanden.

»Ja, aber schauen Sie, die anderen Damen sind alle angemeldet. Da müßten Sie schon sehr viel Geduld haben.«

Hatte der beklagenswerte Hungerhaken überhaupt nicht, wie dem ständigen Gefummel an der Armbanduhr eindeutig zu entnehmen war.

»Ja, okay, hab ich.«