Jeder Mensch lebt seinen Traum - John Gardner - E-Book

Jeder Mensch lebt seinen Traum E-Book

John Gardner

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Beschreibung

Acht Menschen verfolgt der Leser auf einem Stück ihres Weges: den eigenwilligen Regisseur und seine Frau, deren Liebe er braucht und doch wegen eines verführerischen Mädchens aufs Spiel setzt; den großen Mimen auf dem Höhepunkt seines Ruhms und den Leergebrannten, der von verlorener Größe lebt. So verschieden sie alle nach Herkunft, Temperament und Denken sind – jeder von ihnen lebt seinen Traum. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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John Gardner

Jeder Mensch lebt seinen Traum

Aus dem Englischen

FISCHER Digital

Roman

Inhalt

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1

Zypern, Ziegen und Affen, natürlich, dorthin hätte er fliegen sollen. Auf Zypern hätte er wenigstens neben der Faulenzerei hin und wieder einige Studien betreiben können. Denn unweigerlich mußte er eines Tages Othello inszenieren. Othello von Shakespeare – nach einhundertein Ideen, im Laufe der Jahre beigesteuert von berühmten Regisseuren und dem Rassengesetz.

Auf Zypern hätte er ein wenig Milieukenntnis erwerben können, ein Gespür für den Ort bekommen, seine Gerüche in sich aufnehmen; in den Dörfern dort dürfte sich das Lebenstempo kaum verändert haben.

Statt dessen befand sich Douglas Silver hier in der feuchten Hitze und dem Staub Maltas. Er lag auf seinem Bett in dem lächerlichen pseudoamerikanischen Hotel, das auf einem ins Meer vorspringenden Felsen hockte, eingehüllt in eine zum Ersticken schwüle Nacht; die Klimaanlage funktionierte nicht, und die Dschungelrhythmen des Casanova-Trios quollen aus der Bar und wehten pochend über die Terrasse mit dem Schwimmbecken und zu seinem Balkonfenster herein.

Das Casanova-Trio: Drei hagere Faxenmacher und dazu eine Vokalistin, die ein «b» nicht von einem «A» unterscheiden konnte.

Silvers Gedanken liefen zurück wie über eine endlose Straße unter Bäumen, die unaufhörlich die Farbe wechselten, als hätte man sie mit dem Zeitraffer zu verschiedenen Jahreszeiten aufgenommen. Einsamkeit, die Qualen der Jugendjahre, Gefühlsduselei, dann der verworrene Schmerz, der zur Revolte führte. Eine endlose Bilderflucht in seinem Kopf.

Gestern, nach dem Mittagessen, war ihm plötzlich bewußt geworden, daß er seit drei Jahren nicht mehr richtig ausgespannt hatte. Der intellektuelle Douglas Silver …«Der meistversprechende junge Regisseur des britischen Theaters», hatte es einmal in The Sunday Times geheißen. Und da war er nun, mitten im Mittelmeer, und kam sich liederlich vor und brauchte eine Frau. Irgendeine Frau. Er, der mit einer schönen, begabten, international gefeierten Schauspielerin verheiratet war.

So ist es eben; tut mir leid, Jen, flüsterte er, so daß sie seine Gedanken auffangen konnte, aus den atmosphärischen Störungen herausfischen drüben auf der anderen Seite der Erde, unter den glanzvollen Menschen.

Er zündete sich eine Zigarette an. Die Einsamkeit, meinte er, stachelte vielleicht seine Gewissensbisse an. Fragen gingen in seinem Hirn durcheinander. Wie, womit hatte es angefangen? Woher der Aufruhr und das beinah ständige Verlangen? War es die Hitze? Er war schon früher ähnlich erregt gewesen ohne diese Intensität. Machte es die Trennung von Jennifer? Kam daher dieser unaufhörliche Drang? Er gebrauchte sein Hirn nicht, das mochte zum Teil schuld sein. Der Mangel an geistiger Anregung weckte das Tier in ihm.

Er setzte sich auf dem Bett auf und sah sich durch die offene Badezimmertür im Spiegel. Douglas Silver, vierunddreißig Jahre alt, groß, stämmig, gut proportioniert, äußerlich ruhig und gelassen; ein jungenhaftes Gesicht, widerspenstige schwarze Haare und eine Art Schüchternheit, die im Widerspruch stand zu der eisernen Autorität, die er bei den Proben zur Schau stellen konnte, oder der strengen Selbstdisziplin, die er sich auferlegte, wenn er eines der großen klassischen Dramen auf die Bühne brachte.

In Cambridge hatte er seine Prüfungen in Englisch mit Auszeichnung bestanden, und seine brillanten Inszenierungen am Studententheater hatten schon von sich reden gemacht, als er noch gar nicht an eine Bühnenkarriere dachte.

Dann war Cambridge vorbei, und er sah sich plötzlich hineingestoßen in die Welt des Theaters. Repertoirebühnen in der Provinz und eine ungewöhnlich geistvolle Inszenierung des Peer Gynt, über den jeder zweite Regisseur stolpert, im West End. Der Erfolg ließ ihn nicht mehr im Stich. In letzter Zeit hatte er ein Stück in Chichester inszeniert, dann zwei am National Theater, und sein Hamlet letztes Jahr in Stratford hatte ihm höchstes Lob von Kritik, Publikum und Kollegen eingetragen.

Er hatte Jennifer Frost auf einer Premierenparty in Chichester kennengelernt, und er erinnerte sich noch seiner Überraschung, als er entdeckte, daß sie so intelligent war. Damals liefen gerade zwei ihrer Filme in London, und ein dritter sollte demnächst Premiere haben. Die Reklame der Produktionsfirma spie einen Strom alberner, vulgärer Adjektive aus, die sie zum leeren, unerreichbaren Sexsymbol der Kategorie Hure-Göttin stempelten. Das von allen geliebte lange dunkle Haar, das ovale Gesicht mit den ruhigen braunen Augen und ihr nahezu vollkommener Körper erregten seine Sinne, aber was ihn gefangennahm, war ihr lebhafter Geist, der nicht Leinwandbanalitäten von sich gab, sondern reife, bewußte, tiefe Gedanken.

Zusammen verließen sie die Party und gingen in seine Wohnung in der kleinen Straße unweit der Kathedrale. Sie tranken Kaffee und unterhielten sich über dramatische Literatur, Schauspielkunst, Politik, Kinder, Lyrik und Musik, bis der Morgen graute und sie einschliefen, ohne einander zu berühren, beide in dem Bewußtsein, daß ihre Körper auf eine andere Gelegenheit warten mußten.

Einen Monat darauf heirateten sie, wie man in den Kreisen einer Jennifer Frost zu heiraten pflegt, und zogen sich in ein Schneckenhaus gegenseitiger Erforschung zurück.

Jetzt, zwei Jahre später, war Jen zurückgekehrt in die nervenaufreibende, zerstörerische, beinahe selbst schon zerstörte, übergrelle Filmwelt. Sie war auf Außenaufnahme in Mexiko und hatte die weibliche Hauptrolle in einem raffinierten, farbenprächtigen Epos mit dem Titel Hidalgo, und gestern, nach dem Mittagessen, war ihm plötzlich klargeworden, daß er seit drei Jahren zum erstenmal Zeit hatte, mit der er nichts anzufangen wußte.

Es hätte keinen Sinn gehabt, Jen um die halbe Welt nachzufliegen. Er wäre bei den Außenaufnahmen nicht in seinem Element gewesen und nur seiner Frau, ihrem Regisseur und dem ganzen übrigen Team auf die Nerven gegangen.

Deshalb ging er einfach in das nächstbeste Reisebüro und fragte, ob man ihm zwei Wochen Sonnenschein verschaffen könne. Irgendwo. Ganz gleich, wo. Man schlug ihm Malta vor. Er rief seinen Agenten, Revill Sutcliffe, an und schickte Jen ein Telegramm. Und was war bei all dem herausgekommen? Schweiß, pochender Lärm, eine Wildnis von unfruchtbarem Nichts: das Hirn leer, die Sinne durstig, und kein lebender Mensch, den man berühren konnte.

Ein Klopfen an der Tür brachte das Versprechen menschlichen Kontakts. Ein Page in brauner Livree hielt ein Telegramm in der Hand und wartete auf ein Trinkgeld.

Er dachte, es müsse sich um eine Nachricht von Jen handeln, und begriff daher nicht gleich, was er las: ERBITTE DRINGEND ANRUF. REVILL.

Gestern am Telefon hatte Revill gesagt, es liege nichts Dringendes vor. Ein paar Angebote für neue Stücke, ein Streit um das Honorar für eine Inszenierung der Widerspenstigen in der nächsten Spielzeit in Stratford – nichts, was nicht bis zu seiner Rückkehr Zeit gehabt hätte.

Auf ein Gespräch mit London mußte man vier Stunden warten, vier Stunden, in denen ihm seine Phantasie die wüstesten Alpträume bescherte. Jen war in Mexiko erkrankt oder hatte einen Unfall gehabt. Er dachte nur noch an Krankenhäuser, Flugzeuge und Flugplätze und sah sich an die Seite seiner sterbenden Frau eilen.

Douglas beschloß, in seinem Zimmer zu warten, und das war falsch. Die Einsamkeit griff nach ihm, die halbe Flasche Whisky, die er sich vom Zimmerkellner bringen ließ, steigerte seine Wahnvorstellungen.

Als das Gespräch endlich kam, war die Verständigung schlecht. Revill war nach nur einer halben Stunde Schlaf aus dem Bett geklingelt worden.

«Hier ist Douglas. Was, zum Teufel, ist passiert?»

Störgeräusche und die fernen Stimmen von Telefonistinnen oder Verliebten irgendwo in dem elektronischen Netzwerk.

«Douglas? Wozu rufen Sie mich so spät in der Nacht an?»

«In Ihrem Telegramm hieß es ‹dringend›.»

«Bis zum Morgen hätten Sie warten können.»

«Was gibt es nun so Wichtiges? Reden Sie schon!»

«Wir haben ein Angebot bekommen, das ist alles. Ich denke, es könnte Sie so weit interessieren, daß Sie sofort zurückkommen.»

«Worum geht es?»

«Man bietet Ihnen die Leitung der Shireston-Festspiele an.»

«Der Shireston-Festspiele?»

«Wollen Sie mit den Leuten sprechen?»

«Muß ich mich sofort entscheiden?»

«Man möchte die Sache rasch vorantreiben und Sie so bald wie möglich sehen.»

Er zögerte einen Sekundenbruchteil.

«Ich nehme die erste Maschine, die ich kriegen kann, und rufe Sie vom Flugplatz aus an.»

Er wählte die Nummer der Rezeption und erfuhr, daß es um elf Uhr vormittag einen Flug über Rom gab und daß noch Plätze frei waren. Noch eine Zigarette und ein großer Schluck von dem übriggebliebenen Whisky.

Shireston. Nicht so gut organisiert und gewiß nicht so reizvoll wie Stratford. Es brachte einem auch nicht so viel Ruhm und Ehre ein wie das «National», und es hatte nicht die bühnentechnischen Möglichkeiten Chichesters, aber das Potential war wohl nie richtig ausgeschöpft worden. Shireston, das war ein Ort, wo man sich zusammenfinden und ein richtiges Ensemble aufbauen konnte. Zwei der früheren Festspielleiter hatten dort zwar Schiffbruch erlitten, sich aber nichtsdestoweniger einen Namen gemacht, und wenn er recht gehört hatte, waren ansehnliche Geldmittel vorhanden. Es konnte eine echte Aufgabe mit großen Möglichkeiten sein.

Leiter der Shireston-Festspiele. Er wiederholte es laut. Seine Stimmung hob sich. Der Alkohol im Verein mit der guten Nachricht ließ ihn den schöpferischen Drang noch stärker empfinden. Er dachte nun klar und wußte, was mit ihm geschah, obwohl er sich meistens etwas vorzumachen versuchte.

Douglas Silvers Talent, seine überragenden Fähigkeiten bedurften – sosehr er das zu verbergen trachtete – der sexuellen Anregung. Wenn er inszenierte, richtete sich sein ganzer Trieb auf die Arbeit, und deshalb war er Jen nie untreu gewesen. Aber sobald die Inszenierung stand, kehrte der schöpferische Drang zu seiner Wurzel zurück.

So wie jetzt, als er an Jen dachte: an das lebendige Gewebe ihrer Haut, den ihr eigentümlichen Duft, den besonderen Geruch ihres Körpers, wenn er sie liebte, den kehligen Laut, den sie auf dem Höhepunkt hervorstieß, ihren wilden Blick, wenn sie sich für ihn bereitmachte, die weiche, tiefe Stille, wenn sie ruhte, schlafend oder befriedigt.

Die vorrückende Nacht brachte endlich das Casanova-Trio zum Schweigen, aber sein quälender Drang ließ ihm keine Ruhe. Er zog seine Sandalen an und verließ das Zimmer. In der Halle sah er nur den Nachtportier, der ihn mit einem mißtrauischen Blick streifte.

Die Bar war verlassen und wenig einladend. Er ging auf die Terrasse hinaus und sagte sich, die Nachtluft werde seine Erregung dämpfen. Das nierenförmige Schwimmbecken, leer und still, schimmerte weißlich-grün in der diffusen Unterwasserbeleuchtung. Auf der anderen Seite der Terrasse zog sich eine niedrige Mauer hin, von der aus man auf die Felsen und die Brandung hinuntersah.

Er ging um das Becken herum zur Mauer, setzte sich seitlich darauf, starrte auf das dunkle Wasser hinunter und beobachtete, wie die Gischt hereintrieb. Sein Geist löste sich von der Gegenwart.

Sofort tauchte Jen an die Oberfläche. Ein Augenblick eines Nachmittags, den sie in Blenheim Palace verbracht hatten. Ein klarer, kalter Februartag. Sie waren rasch um das Gelände herumgegangen. Später standen sie auf der Brücke, die Wintersonne spiegelte sich im Wasser, ein langer Lichtspeer schien auf sie beide zu deuten, die sich, die Arme einander um die Schulter gelegt, über die Brüstung lehnten. Sie übernachteten in einem Landgasthof und kamen nicht zum Schlafen, so hungrig waren sie einer auf den anderen. Er sah das Zimmer deutlich vor sich. Der geschnitzte Kopfteil des Bettes, Kaffee, der auf einem Tablett kalt wurde. Aus dem Radio ein alter Schlager: Rauch nicht im Bett …

«Es ist keine sehr originelle Einleitung, aber hätten Sie Feuer für mich?»

Die Stimme klang beherrscht, ein wenig heiser. Douglas fuhr herum, erschrocken über die plötzliche Störung.

Eine hochgewachsene junge Negerin. Ihre Kleidung, Slacks und ein dünner Sweater mit Rollkragen, betonte ihre Schlankheit. In der einen, erhobenen Hand hielt sie eine Zigarette.

Douglas suchte in der Tasche nach seinem Feuerzeug. «Sie sollten vorsichtiger sein. Man kann nie wissen, an wen man hier draußen in den frühen Morgenstunden gerät.»

Die Flamme sprang auf, der Tabak begann zu glühen. Das Mädchen machte einen tiefen Zug und stieß den Rauch mit einer beinahe angewiderten Mundbewegung von sich. «Ich weiß, wer Sie sind. Ich habe Sie beim Abendessen gesehen. Dann konnte ich nicht schlafen. Ich entdeckte Sie von meinem Balkon aus und folgte Ihnen, schamlos, wie ich bin, auf die Terrasse. Wie geht es Ihnen, Mr. Silver?»

Douglas runzelte nachdenklich die Stirn.

Sie lachte. «Strengen Sie sich nicht an. Ich nehme nicht an, daß Sie sich an mich erinnern. Ich habe Ihnen einmal vorgesprochen.»

«In Birmingham!» Er schrie es beinahe, als die Erinnerung wie auf ein Stichwort zurückkehrte. Er sah sie wieder vor sich. Das leere Theater, ihre geschmeidige Gestalt in einem eng gegürteten Paletot – grün, glaubte er. Es war ein kalter Morgen gewesen, und es hatte Ärger mit der Heizung gegeben. Er hörte auch wieder ihre Stimme von der Bühne herunter. Wie hatte er sie vergessen können! Er hatte sich damals in Gedanken eine Notiz gemacht und sie dick unterstrichen. «In Birmingham», sagte er noch einmal leise.

«Sehr gut. Ich fühle mich geschmeichelt. Aber ich wette, wie ich heiße, wissen Sie nicht mehr.»

Unter ihnen klatschte eine Woge gegen die Felsen. Er breitete resigniert die Arme aus. «Wunder dauern ein bißchen länger.»

Sie hielt ihm die Hand hin, mit einer anmutigen Bewegung, der Gebärde einer Schauspielerin. «Carol. Carol Evans.»

«Jetzt erinnere ich mich wieder.»

«Lügner!»

«Tut mir leid.» Er machte eine Pause und blies einen dünnen Rauchstrom aus. «Ich meine Birmingham. Die Rolle.»

«Sie sagten es schon: Wunder dauern eben ein bißchen länger.»

«Nein, Sie waren sehr gut, ja, sehr gut. Aber wir hatten Schwierigkeiten mit der Besetzung. Es kam etwas dazwischen.»

«Ja, natürlich.» Sie setzte sich neben ihm auf die Mauer.

«Was treiben Sie jetzt?»

«Ich mache Urlaub.» Sie lachte – ein ansteckender, melodischer Laut.

«Und davor?»

«Davor hatte ich ein paar Sätze in einem kitschigen Film. Harte Arbeit, mit der ich mir das Geld für meinen Urlaub verdiente.»

«Gute Sätze?»

«Einiges zum Thema Rassenintegration … ‹Hätten Sie lieber weißes oder schwarzes Fleisch, Sir?›»

Douglas lachte auf.

«Und was tut der berühmte Douglas Silver hier ganz allein ohne seine schöne Leinwandkönigin?» Sie fragte es ohne Spott.

Er biß sich auf die Unterlippe. «Er ist einsam und tut sich selber leid, und morgen um elf verschwindet er schleunigst wieder.»

«Oh!» Ein kleiner Schreck, dann mit einem Lächeln: «Ich dachte, ich würde jemanden haben, mit dem ich mich unterhalten kann, während ich meine Sonnenbräune auffrische.» Wieder das melodische Lachen.

«Sie sind allein hier?»

«Nein, mit einer Freundin, aber sie hat einen netten Jungen gefunden, und ich habe das Gefühl, daß ich störe. Sagen Sie, mit Ihrer Frau ist doch alles …?»

«O ja, alles in Ordnung. Sie filmt …» Er holte tief Atem und ertappte sich bei einem Seufzer. «Ja, sie filmt in Mexiko.»

«Und Sie?»

«Auf mich wartet schon wieder Arbeit.»

Sie nickte. Ihre Zigarette glühte in dem dämmerigen Licht.

«Denken Sie an mich, Douglas Silver, wenn Sie etwas für eine schlaksige Schwarze haben.»

Wieder eine Pause, zu der die unablässig gegen die Felsen klatschende See den Kontrapunkt lieferte. Douglas war nun hellwach, seine Sinne vibrierten, aufnahmebereit wie Radarantennen. Er streckte die Hand aus. Carol ergriff sie, ihre Handflächen rieben sich leicht aneinander.

So saßen sie da, Hand in Hand, und unterhielten sich, hauptsächlich über einige seiner Inszenierungen, die sie gesehen hatte, über bekannte Persönlichkeiten, gemeinsame Freunde, Menschen, die zwangsläufig in ihrer beider Leben aufgetaucht waren.

Nach einer Weile sagte Douglas: «Kommen Sie mit mir in mein Getto?»

Er spürte, daß sie ihn scharf musterte.

«So einsam?» fragte sie leise und überrascht.

«Nein, so habe ich es nicht gemeint.»

«Wie sollten Sie es sonst gemeint haben? Ein Mann ist allein, seine Frau weit weg überm großen Wasser, und er lädt eine andere Frau in sein Zimmer ein. Er lädt sie ein zu dem einen Zweck. Oder gibt es noch etwas anderes?»

Von irgendwo tief drinnen im Hotel kam ein Schrei oder etwas, was wie ein Schrei klang. Ein betrunkener Kellner vielleicht, der sich Luft machte, nun da alle Gäste sicher für die Nacht untergebracht waren.

Carol stand auf. «Gut, seien wir erwachsene Menschen. Sie sind ein netter Kerl und haben es nötig. Ich auch, aber ich will dafür keine Gefälligkeiten. Ich möchte nicht, daß Sie sich bei Ihrer nächsten Inszenierung den Kopf zerbrechen, wie Sie ein kleines schwarzes Luder als Schneekönigin einschmuggeln sollen.»

Sie streckte den Arm aus, nahm, diesmal fest zupackend, wieder seine Hand und ging mit ihm ins Hotel zurück.

In der Halle warf ihnen der Nachtportier wieder einen seiner flüchtigen mißtrauischen Blicke zu, und als sie ihm den Rücken gewandt hatten, zuckte er die Schultern.

Sie küßten sich in der Tür seines dunklen Zimmers, eine leichte Berührung der Lippen, eine erste Probe ohne Hingabe. Dann, während sie sich auszogen, berührten sie einander mit den Fingerspitzen, und es war, als begänne Energie zwischen ihnen hin und her zu strömen. Douglas ließ seine Hand über ihre Rippen gleiten, als er ihre kleinen Brüste entblößte.

Sie war nicht nur schlank, sie war mager. Er spürte ihre Knochen, und wenn ihre Brüste auch fest waren und gerade so groß, daß er sie mit seinen zu Schalen geformten Händen bedecken konnte, so hatte sie keine richtigen Hüften.

Zuletzt half er ihr, indem er ihr den winzigen Bikini über ihr flaches Gesäß, ihre schmalen Schenkel streifte und ihn mit dem nackten Fuß hinuntertrat.

Sie öffnete den Mund, um ihn zu küssen, und diesmal gab es kein Probieren mehr. Ihre Lippen schlossen sich mit jäher Wildheit um die seinen. Zum erstenmal in seinem Leben verspürte Douglas den Wunsch nach mehr als der sicheren Befriedigung, die zwischen ihren Schenkeln pulste. Ihre Zunge füllte seinen Mund, und es war der Geschmack von Tabak, Kognak und Whisky zwischen ihnen. Er drehte den Kopf zur Seite, legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte sie nieder.

Sie erschauerte und glitt an ihm hinab.

Später lagen sie eng beisammen in dem schmalen Bett, Kopf an Kopf, ihre Körper einander ertastend. So kam der Schlaf.

 

Douglas erwachte rasch, aber ohne das Aufschrecken, das oft die plötzliche Rückkehr des Bewußtseins begleitet. Sie lagen einander zugekehrt.

Carol atmete tief und gleichmäßig. Ihr Gesicht war ruhig und glücklich. Keine Alpträume quälten sie.

Vorsichtig hob er den Arm und sah auf die Uhr. Neun. Seine Maschine ging um elf.

Er küßte sie auf den Mund und spürte seine Erregung heftiger werden. Jens Gesicht schwamm auf dem Kissen, dann öffnete Carol die Augen.

«Es ist neun Uhr», flüsterte er.

Sie lächelte ihn an und bewegte ihren Leib dem seinen entgegen.

Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,

Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.

Sie lachte, aber die Verse schürten die Glut in ihm. Er suchte in seinem Gedächtnis nach den Worten Romeos:

Die Lerche war’s, die Tagverkünderin,

Nicht Philomele …

Kein Zögern, keine Unterbrechung gab es in der Bewegung ihres Körpers, als sie, beinahe flüsternd, Julias Verse aufnahm. Ihre Finger spielten mit seinem Ohr, ihre Lippen waren nur eine Fingerbreite von den seinen entfernt:

Trau mir, das Licht ist nicht des Tages Licht …

Drum bleibe noch; zu gehn ist noch nicht not.

Der Atem versagte ihnen, als sie beide gleichzeitig den Höhepunkt erreichten.

Während die Erregung langsam abklang, mußte Douglas immer wieder daran denken, wie dieses dunkle Mädchen so plötzlich zu ihm gekommen war und die Verse der Julia so leidenschaftlich gesprochen hatte. Der nüchterne Verstand sagte ihm, daß sein Urteil von Gefühlen getrübt sein mochte, und doch: auf dem Grunde all seiner Empfindungen, Ängste und Gewissensbisse hatte eine kühne Idee gekeimt.

«Wann bist du wieder in London?» fragte er, während er sich anzog, und er gab sich Mühe, so beiläufig wie möglich zu sprechen.

Sie suchte ihre Kleidungsstücke auf dem Bett zusammen. «Ich sagte: keine Gefälligkeiten.»

«Ich denke nicht an eine Gefälligkeit.»

«Dann solltest du an deine schöne Frau denken, Douglas. Ich nehme an, du wirst es mir nicht glauben, aber ich habe nicht die Gewohnheit, mit jedem ins Bett zu gehen. Und überhaupt – was hat das unter Freunden schon zu bedeuten.»

«Ich muß dich zu Hause wiedersehen.»

«Du mußt?»

«Ja, aus beruflichen Gründen. Aber versprechen kann ich noch nichts.»

Sie gab ihm ihre Privatadresse und die Telefonnummer ihres Agenten.

Dann zog sie sich an und begleitete ihn zum Flughafen.

Sie verabschiedeten sich in der heißen, überfüllten Eingangshalle in einem Gewirr von Sprachen. Douglas ging geradewegs in die Abflughalle hinüber und blickte sich nicht mehr nach ihr um. Seine schöpferische Energie war schon auf ein neues Ziel gerichtet.

Er sah nicht Carols Augen und nicht den Ausdruck der Angst in ihrem kaffeebraunen Gesicht.

2

Bis 1926 hatte der Marktflecken Shireston, eine Gemeinde von etwa viertausend Seelen, nur wenig an Touristenattraktionen zu bieten gehabt. Es lag in einer ländlichen Umgebung, an die dreißig Kilometer von der Küste und gut fünfzehn Kilometer von der Hauptverbindungsstraße zwischen Southampton und London entfernt. Der Ort hatte nur ein Hotel, den Blauen Eber, und sein einziger Anspruch auf Ruhm gründete sich auf das Shireston House, ein häßliches, klotziges, vielfältig verschachteltes Bauwerk in pseudogotischem Stil, das in einem der größten und schönsten Parks von ganz Hampshire sand.

Dann, im August 1926, starb Richard Longwell, der fünfte Earl of Shireston und Enkel des dritten Earls, unter dem Shireston House erbaut worden war, plötzlich und ohne Erben.

Wenn der unerwartete Tod ihres noch verhältnismäßig jungen Gutsherrn die Einwohner des Ortes erschütterte, so brachte sie sein Testament vollends aus der Fassung.

Der ganze Besitz und das nicht unbeträchtliche Vermögen sollten von einer Gruppe von sechs Treuhändern verwaltet werden, und alles zusammen sollte die Shireston-Festspiel-Stiftung heißen.

Zu Lebzeiten war Richard, Earl of Shireston, in akademischen Kreisen eine wohlbekannte Figur gewesen, vor allem wegen seiner Studien auf dem Gebiet des elisabethanischen Dramas. Sein Testament enthielt nun Pläne, die er noch zu Lebzeiten hatte verwirklichen wollen.

Ein Theater sollte auf dem Grundstück des Shireston House gebaut werden, und zwar «am unteren Ende der langen Grünfläche, wo sich jetzt der Rosengarten und der Obstgarten befinden». Alle drei Jahre sollte ein Festspielleiter ernannt werden, und bis zum 31. Dezember eines jeden Jahres war ein Ensemble von Berufsschauspielern zu engagieren, das von April bis September «die großen Dramen des klassischen englischen Theaters, im besonderen die Stücke der elisabethanischen Dramatiker aufführen» sollte. Weiter wurde verfügt: «Die Eintrittspreise sind niedrig zu halten, so daß Männer, Frauen und Kinder der ärmeren Klassen die Aufführungen der großen Dramen sehen können, die auch ihr Erbteil sind.»

Dieser Plan gefiel den ersten Treuhändern ungemein, da nicht weniger als die Hälfte von ihnen erfolgreiche Theaterleute waren. Sie sahen eine Möglichkeit, ihre Talente in einer idealen Umgebung zur Schau zu stellen und zugleich Angehörigen eines überlaufenen Berufes Arbeit zu verschaffen.

Die Einwohner Shirestons waren skeptischer. Wer, fragten sie sich, sollte den weiten Weg in ihre kleine Stadt machen und gutes Geld zahlen, um verstaubte alte Stücke zu sehen, die man ebensogut und viel bequemer in London sehen konnte?

Sie waren auch nicht sehr erbaut von der Aussicht, Schauspieler und Schauspielerinnen in ihrer Mitte zu haben, obgleich das Testament vorsah, daß das Ensemble im Shireston House selbst untergebracht werden sollte.

Im April 1927 wurden jedoch die Entwürfe des Architekten genehmigt, und man begann, in dem alten Haus Büros und Wohnungen für die Schauspieler einzurichten, während auf dem Gelände des nun verstümmelten Rosen- und Obstgartens die Fundamente des Theaters Gestalt annahmen.

Ende 1927 war das Theater fertig: ein großer, weißer, rechteckiger Bau, der über tausend Zuschauer faßte und aus unerklärlichen Gründen ausgesprochen spanische Stileinflüsse aufwies, die sich paradoxerweise mit dem unechten, überspannten Stil des Hauses selbst ausgezeichnet vertrugen. Wer ein wenig Phantasie besaß, sah, daß der stille schöne Park zwischen dem Haus und dem Theater ein idealer Ort war, an dem man einen Sommerabend auf die angenehmste Weise verbringen konnte; etwa, indem man auf dem Rasen picknickte, bevor man sich im Theater fesseln, erschüttern, in eine harte Wirklichkeit stoßen, zu Tränen rühren oder zu Gelächter hinreißen ließ.

Die erste Spielzeit im Jahre 1928 öffnete manchem die Augen. Durch eine geschickte Reklame angelockt, strömten die Menschen zu den kühlen Rasenflächen Shirestons und wurden nicht enttäuscht.

Die Shireston-Festspiele blühten in den Jahren nach ihrer Gründung. Sie zogen bekannte Schauspieler und Schauspielerinnen an, deren Begabung und Können in der Stille Shirestons klarer und überzeugender hervorzutreten schienen als sonst irgendwo.

Dann, am 3. September 1939, brach der Krieg aus, und die erste Erfolgswoge verebbte.

Die Festspiele lebten erst in den frühen fünfziger Jahren wieder auf und hatten auch dann nur einen kurzen Erfolg, wenngleich es an Geld nicht fehlte. Die anderen großen Bühnen – Stratford, das «National», Chichester – machten in den sechziger Jahren die Schlagzeilen, und Shireston wurde allmählich beinahe so etwas wie ein Witz. Es lebte von der Erinnerung, immer am Rande der Wiederentdeckung, dennoch als zweitklassiges Repertoire-Ensemble abgetan, das nicht selten vor einem nicht einmal zu einem Viertel vollen Haus spielte.

So stand es, als die Treuhänder die Fühler nach Douglas Silver ausstreckten. Er war ein glänzendes Talent, dessen persönliche Anziehungskraft vielleicht imstande war, das Interesse neu zu beleben und Shireston wieder in den Blickpunkt der Fachwelt zu rücken.

Die Herren hatten bei der ersten Begegnung mit Douglas die Lage nicht beschönigt und nicht lange um den heißen Brei herumgeredet: Sie waren nur bereit, ihm die Leitung der Festspiele zu übertragen, wenn er Vorschläge machen konnte, die ihnen paßten.

Nun, einen Monat nach der ersten Fühlungnahme, während draußen noch der Geist des Sommers schwebte, saß Douglas am unteren Ende des Eichenholztisches, der beinahe die ganze Länge des Sitzungszimmers der Treuhänder einnahm – eines protzig getäfelten Raumes, der einst das Kinderzimmer der Longwells gewesen war.

Die Treuhänder selbst waren furchtgebietend. Sir Basil Daley war ein großer Industrieboß, und dasselbe ließ sich von Rupert Crown und Bill Dempsey sagen. George Tupnall, ein kleiner, traurig und korrekt aussehender Mann, war ein ortsansässiger Anwalt und der Sohn eines der ursprünglichen sechs Treuhänder, und nur eines der Mitglieder durfte von sich behaupten, je eine aktive Rolle im Theaterleben gespielt zu haben, nämlich Sir Lewis Roland, jetzt eine blasse, täppische Karikatur des berühmten Komödianten, der er einst gewesen war.

Der sechste Treuhänder lag im Sterben, was er schon seit drei Jahren mit stillem Vergnügen tat.

Sie saßen murmelnd am anderen Ende des Tisches beisammen wie die Direktoren eines Dickensschen Arbeitshauses. Revill Sutcliffe, der, mehr wegen seiner zehn Prozent als aus irgendeinem anderen Grund, mit Douglas gekommen war, begann nervös mit den Füßen zu scharren.

Douglas wandte den Blick nicht von dem Ölgemälde Richard Longwells, das – wie hätte es anders sein können – hinter dem Stuhl des Vorsitzenden hing. Das Porträt starrte zurück, und Douglas fragte sich, was für ein Mensch dieser Longwell gewesen sein mochte. Eines schien ihm gewiß: Er würde nicht gebilligt haben, was Douglas Silver vorzuschlagen im Begriff war, und ebensowenig war dies von den fünf stockkonservativen Herren zu erwarten, die ihm da gegenübersaßen. Er brauchte sie nicht mehr anzusehen, denn er hatte bei der ersten Unterredung Zeit genug gehabt, sie zu beobachten, und er hatte den Verdacht, daß die Gründe für den Niedergang Shirestons bei ebendiesen Treuhändern zu suchen seien, die zu sehr an starre Konventionen gebunden waren, um ein künstlerisches Risiko einzugehen.

Am anderen Ende des Tisches blickte man auf die Uhren. Diese Herren hatten eine sonderbare Exaktheit an sich, die Douglas irritierte und ihn argwöhnen ließ, daß sich hinter ihrem weltmännischen Gehabe Kleinlichkeit und Pedanterie verbargen.

Sir Basil Daley, dürr wie der sprichwörtliche Zaunstecken, streng wie der liebe Gott, hüstelte und bedachte Douglas mit einem frostigen Lächeln.

«Mr. Silver, es ist drei Uhr. Zeit, anzufangen.»

Douglas konnte der Versuchung nicht widerstehen, lange und absichtsvoll auf seine Uhr zu sehen.

«Vor genau einem Monat ersuchten wir Sie, einen Bericht für uns vorzubereiten», fuhr Daley fort. «Eine kurze Zusammenfassung Ihrer Pläne und Absichten für diese Festspiele und das Ensemble. Wir sind heute hier zusammengekommen, um Ihren Bericht zu hören, von dem unsere endgültige Entscheidung bezüglich Ihrer Ernennung zum Leiter der Shireston-Festspiele abhängen wird.»

Douglas nickte. Nicht eben eine hübsche Rede, dachte er, aber typisch für die Leute, die ich überzeugen muß.

«Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen zu sagen», begann er, «daß ich mir, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, Rat und Hilfe bei der Ausarbeitung der Pläne geholt habe, die ich Ihnen heute vortragen will.»

Die fünf Herren verzogen keine Miene.

«Ich habe über die wesentlichen Punkte mit Sir Laurence Olivier, Peter Hall und Trevor Nunn gesprochen, die alle große Erfahrungen auf diesem Gebiet besitzen. Wenn sie mir auch mit gutem Rat beistanden, so darf ich allerdings nicht behaupten, daß auch nur einer von ihnen meine Ideen gutgeheißen hätte.»

Der Scherz kam nicht an. Die fünf Herren saßen noch immer steif auf ihren Stühlen. Sir Basil schien Männchen zu malen.

«Meine ersten Vorschläge sind, glaube ich, naheliegend, und es versteht sich von selbst, daß sie Geld kosten werden. Sie brauchen in erster Linie einen völlig neuen, erstklassigen Werbeapparat.»

Das war der erste krasse Übelstand, der ihm beim Studium des Betriebs der Shireston-Festspiele aufgefallen war. Die Werbung war nicht von der Festspielleitung selbst durchgeführt worden, sondern man hatte sie dem örtlichen Informationsbüro überlassen.

«Ich möchte einen erstklassigen Mann haben, dazu einen Assistenten nach seiner Wahl, zwei Sekretärinnen und gute Büroräume hier im Haus, wo ich sie alle zusammen im Auge behalten kann. Die Werbeleute sind die Diener einer Organisation wie der Ihren und müssen kontrolliert werden, sonst bilden sie sich ein, sie allein machten die ganze Schau. Die meisten von Ihnen wissen es, aber ich sage es noch einmal ausdrücklich: Eine gute Werbung kostet Geld.» Er unterbrach sich, um Atem zu schöpfen, und ihm wurde bewußt, daß er die ganze Zeit zu Sir Basil gesprochen hatte. Wie um dem abzuhelfen, verrückte er seinen Stuhl ein wenig.

«Ein guter Werbeapparat kann nicht im luftleeren Raum arbeiten, das heißt, er muß auch etwas Gutes anzupreisen haben. Wir müssen reinen Tisch machen und von Grund auf neu beginnen. Wir brauchen ein solides, sorgfältig ausgewähltes Ensemble, Darsteller, die nicht nur Kassenmagneten sind, sondern auch wirklich fähige, zuverlässige Schauspieler, um die herum ich ein halb permanentes Ensemble aufbauen kann, wie das Peter Hall vor Jahren in Stratford gemacht hat. Ein richtiges Ensemble, das zusammenarbeitet, um einen eigenen Stil, eine Art Gütezeichen zu entwickeln. Eine Gruppe von Schauspielern, die wiederum andere Schauspieler anziehen, die zu gemeinsamer Arbeit bereit sind. Andererseits muß dieses Ensemble aber auch beweglich genug sein, um ungewöhnliche, einzigartige Talente des Theaters, des Films und des Show-Geschäfts aufzunehmen.»

Er steuerte nun auf die große, heikle Szene zu, in der es zahllose Minen und Fallen gab. Überspielte er sie, verdarb er sich seine Chance. Unterspielte er sie, bekam er nicht, was er brauchte.

«Wenn ich einen solchen Werbeapparat und zumindest die Anfänge eines solchen Ensembles habe, stehe ich vor der Aufgabe, aus beidem die bestmögliche Gesamtwirkung herauszuholen. Man kann nicht hoffen, in einer einzigen kurzen Spielzeit echten Ensemblegeist und einen neuen Stil zu schaffen.» Er sah zu dem Porträt Longwells auf, dessen Augen Abscheu zu spiegeln schienen, und wandte den Blick rasch wieder ab. «Was wir aber schaffen können, ist eine Diskussionsbasis. Wir können die Tore dieses Theaters da draußen aufstoßen und einen kräftigen Wind hineinwehen lassen, dem eine reinigende Flamme folgt, und ich entschuldige mich nicht für diese theatralische Sprache. Ebendas ist mein Geschäft: das Theater. Vor allem ein Theater, wie es nach meiner Überzeugung hier, an diesem Ort, zu sehen sein sollte. Ein Theater, das die überlieferten Werte in Frage stellt.» Wieder machte er eine kurze Kunstpause, und er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. So hatte er es am Abend zuvor ein dutzendmal geprobt, denn er war ein Mann, der nichts dem Zufall überließ.

«Meine Herren, ich möchte Sie für diese Idee begeistern. Ich möchte, daß Sie für diese Idee dasselbe empfinden wie ich.» Er stand auf und beugte sich vor, und er hatte die ungeteilte Aufmerksamkeit der Treuhänder.

«In meiner ersten Spielzeit möchte ich vier große Shakespeare-Dramen öffentlich zur Diskussion stellen, sie auseinandernehmen, wenn Sie so wollen, sie prüfen im Lichte unserer heutigen internationalen und sozialen Probleme. Ich weiß, das ist an sich nichts Neues, aber wenn Shakespeare der geniale Meister ist, kann eine neuartige, ungewöhnliche, ja ausgefallene Interpretation einen dynamischen Beitrag zum Theater in seiner Gesamtheit und zu diesem Theater im besonderen leisten.»

«Wir wollen keine Mätzchen. Sagen Sie ihm das!» Der alte Lewis Roland sah ihn mit zitternden Lippen an.

«An welche Dramen denken Sie, Mr. Silver?»

Bevor Douglas Zeit fand, Rupert Crowns Frage zu beantworten, mischte sich der Vorsitzende, Sir Basil Daley, ein:

«Hören Sie, Mr. Silver, das ist alles sehr interessant, aber wir haben schon mit Regisseuren gesprochen, die ähnlich leidenschaftliche Anliegen vortrugen. Leider entpuppten sich ihre Manifeste bei näherer Betrachtung als rein persönliche Grillen. Die Leute dachten nur an ihren eigenen Namen. Ich will Ihnen gern zugestehen, daß dieses Theater ein starkes Ensemble und einen leistungsfähigen Werbeapparat braucht. Aber wie soll dieser Apparat eingesetzt werden? Wer wird letzten Endes davon profitieren? Sie?»

Douglas ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. Er gab sich Mühe, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen, und er schluckte und holte tief Atem, bevor er antwortete.

«Es ist unvermeidlich, daß jede radikale Änderung auch einzelnen Personen zugute kommt. Aber Sie müssen bedenken, daß alles, was mir und den Schauspielern nützt, auch den Festspielen selbst nützt.»

«Und wie würden Sie die erste Spielzeit gestalten? Was würden Sie aufführen?» fragte Daley.

«Othello, Der Kaufmann von Venedig, Romeo und Julia und Richard III.» Er versuchte, so sachlich wie möglich zu sprechen.

Lewis Roland lächelte. «Lauter Publikumsschlager. Daran läßt sich nicht viel herumbasteln.»

Es war Zeit, die erste Bombe platzen zu lassen. «Als Kernstück der ersten Spielzeit stelle ich mir Romeo und Julia vor», begann Douglas. «Die Capulets sollen von farbigen Darstellern gespielt werden, die Montagues von weißen.»

«Die Capulets von Farbigen? Farbige Capulets?» Das waren die ersten Worte, die der korrekte Tupnall an diesem Nachmittag hören ließ.

Douglas nickte. «Die Capulets sollen von Negern gespielt werden.»

«Im weißen Verona?» Douglas hätte wetten mögen, daß Tupnall abartig veranlagt war. Dieser spöttische Tonfall …

«Es gab Neger in Verona.» Douglas breitete die Hände aus, wie um die fünf Herren zu besänftigen, deren Mienen Ungläubigkeit oder Belustigung ausdrückten. «Denken Sie einen Augenblick an das Stück. Ich weiß, daß der Text nichts enthält, was auf eine rassistische Tendenz hindeutet, aber er enthält auch nichts, was sie ausschließt.»

Daley lehnte sich zurück und drückte die Fingerkuppen aneinander – ein erfahrener Staatsmann, der gutmütig auf den Zwischenruf eines jungen Abgeordneten in der hintersten Sitzreihe eingeht: «Ich hätte gedacht, es gebe so viel Rassenvorurteile in Othello und Minderheitenprobleme im Kaufmann von Venedig, daß man sie nicht auch noch vorsätzlich in Romeo und Julia hineinkonstruieren müßte.»

«Othello steht und fällt nicht ausschließlich mit der Frage der Hautfarbe», konterte Douglas rasch. «Letzten Endes macht es nicht einen Furz aus – man verzeihe mir die derbe Sprache der Shakespeare-Zeit –, ob Othello schwarz, braun oder zinnoberrot ist. Die Frage der Hautfarbe ist nur eine der vielen Facetten dieses Stückes. Und was den Kaufmann angeht – ich bitte Sie, ihn noch einmal aufmerksam zu lesen. Sie werden feststellen, daß der Antisemitismus nicht das einzige Problem ist. Doch das sind lauter Themen, die nach neuen Interpretationen verlangen. Stellen Sie sich das vor: eine schwarze Julia. Denken Sie an die Tragik dieses Stückes, und sehen Sie es im Spektrum der Rassenfrage. Gut, die Idee ist vielleicht nicht revolutionär, aber, mein Gott, es wäre etwas, worüber man reden könnte!»

Zu seiner Überraschung sah er Daley beifällig nicken. «Sie werden Schwierigkeiten mit der Besetzung haben.» Der Vorsitzende stellte es sachlich fest, so als hätte Douglas schon gewonnen.

«Ja, aber keine unüberwindbaren. Ich kenne eine Schauspielerin, die für die Julia in Frage käme. Ich brauche aber auch einen schwarzen Schauspieler, eine Persönlichkeit von Rang, für den Othello …»

«Mr. Sidney Poitier, nehme ich an.» Das war wieder die spöttische Stimme Tupnalls.

«Ich habe mich bereits erkundigt», antwortete Douglas kühl. «Er ist nicht zu haben. Nein, ich möchte Joe Thomas.» Das war die zweite Bombe.

«Er ist ein Nachtklub-Entertainer!» sagte Crown.

«Einer der besten. Er hat aber auch schon Theater gespielt, und er hat einige Filme gemacht und einen Oscar bekommen.»

«Und er ist ein sehr schwieriger und teurer Herr.» Daleys Lächeln war nicht mehr so frostig, aber auf eine gewisse Weise noch gefährlicher als zuvor. «Glauben Sie, daß es Ihnen gelingen könnte, ihn zu bekommen? Und wenn: wären Sie imstande, mit ihm …» Er zögerte, überlegte seine Worte sorgfältig. «Ich meine: wären Sie imstande, ihn … unter Kontrolle zu halten?»

Sir Basil Daley war offenbar nicht ganz der Banause, für den ihn Douglas gehalten hatte. Joe Thomas … das war der Prototyp des schwarzen amerikanischen Entertainers, der mit grenzenlosem Talent und Skrupellosigkeit den Weg nach oben geschafft hat, ein Multimillionär, der eine horrende Gage für einen kurzen Auftritt verlangen konnte. Sein Selbstbewußtsein hatte gigantische Ausmaße, seine Energie war unerschöpflich, und von seinem aufbrausenden Temperament berichtete die Presse der ganzen Welt.

In den letzten sechs Jahren hatte er seine Frauen so oft gewechselt wie ein normaler Mann seine Autos, und von seinen sexuellen Exzessen erzählte man sich in allen Städten, in denen er aufgetreten war. Es hatte die üblichen – eifrig kolportierten – Schlägereien gegeben, und er war einige Male leidenschaftlich für die Black-Power-Bewegung eingetreten. Und da war die Tatsache, daß er zuviel trank, und waren die Gerüchte von langen Haschisch-Perioden, begreiflicherweise übertrieben, so daß die Öffentlichkeit annehmen durfte, daß er auch härtere Drogen nicht verschmähte – eine Annahme, die allerdings leicht widerlegt werden konnte, wenn man ihn bei der Arbeit beobachtete und sah, was für ein Pensum er zu bewältigen imstande war.

Douglas hatte private Auskünfte über Joe Thomas eingeholt und erfahren, daß er für das kommende Jahr noch keine bindenden Verpflichtungen hatte. Außerdem hatten ihm die Ärzte nachdrücklich einen Tapetenwechsel empfohlen. Er sollte für eine Weile unauffällig aus dem grellen Licht, der nervenzermürbenden Atmosphäre der Nachtklubs verschwinden.

Douglas erwiderte das Lächeln des Vorsitzenden. Er hatte keine Ahnung, ob er mit Joe Thomas fertig werden konnte, aber im Augenblick kam es vor allem auf Selbstvertrauen und Zuversicht an.

«Ich sagte, ich möchte Joe Thomas haben. Nicht nur, weil er einen großen Namen hat, sondern weil ich meine, daß er die ausgefallene Besetzung wäre, die Furore machen könnte. Ich bin ihm zwar erst einmal begegnet, aber … ja, wenn ich ihn kriege, werde ich auch mit ihm fertig. Sehen Sie, für ihn wäre diese Rolle ein großes Wagnis. Er würde Hilfe brauchen, und ich glaube, das würde er auch einsehen. Ich glaube, ich könnte sein Vertrauen gewinnen.»

«Die Kosten?»

«Astronomisch», sagte Crown.

«Nicht unbedingt. Es gibt eine Möglichkeit, an Joe Thomas heranzukommen. Man muß ihn bei seinem Selbstbewußtsein, bei seiner Eitelkeit packen, und das will ich versuchen. Wenn man ihm eine Aufgabe gibt, in der er eine echte Herausforderung sehen kann, läßt sich das Problem der Gage vielleicht lösen.»

Nun zeigte sich sogar Tupnall interessiert, obwohl er die Absicht zu haben schien, von Othello abzulenken. «Sie sagen, Sie hätten schon eine Julia in Aussicht?»

«Ja, eine noch Unbekannte, aber sie kann die Rolle spielen. Eine gewisse Carol Evans. Sie ist sehr gut.»

Die Gewissensbisse, der Geschmack von Tabak, Kognak und Whisky, der Melonengeruch ihres Körpers …

«Und Ihr Romeo?» fragte Tupnall.

«Ich weiß noch nicht recht. Ein Unbekannter, den ich erst noch finden muß.»

«Und die Desdemona?» Eine leise, höfliche Frage.

War das die Fangfrage? Douglas ließ die Pause immer länger werden, bis Tupnall in seiner Ungeduld zustieß: «Könnte nicht Ihre Frau die Rolle spielen?»

«Möchten Sie das denn?» Douglas heuchelte Überraschung. Allen war klar, daß dies unter den gegebenen Umständen eine naheliegende Wahl war.

«Dachten Sie daran?»

«Nicht, bevor Sie es erwähnten.»

«Ja, ich glaube, das möchten wir», mischte sich Daley wieder ein.

«Dann denke ich, es wird sich machen lassen.»

«Gut. Und Shylock?»

«Eine ganz konventionelle Besetzung. Einen jüdischen Schauspieler. Einen Komiker. Maurice Kapstein.»

«Der die Hauptrolle in dieser Fernsehserie spielt?»

Douglas nickte kurz.

«Das würde ich nicht gerade eine konventionelle Besetzung nennen.»

Mit dieser Bemerkung bewies Daley zum zweitenmal, daß er kein Dummkopf war.

«Und Richard?»

«Das wird nicht einfach sein. Ich möchte das Motiv der Machtpolitik in den Vordergrund rücken: ein Diktator. Aber das ist noch nicht alles. Ich möchte einen Schauspieler haben, der imstande wäre, Richard III. mit einem Stich ins Homosexuelle zu spielen, und ich denke an Conrad Catellier.»

Er sah, wie Tupnall leicht die Brauen hob.

«Catellier wird zu teuer sein», sagte Bill Dempsey. «Aber ich glaube, das Ganze kommt zu teuer. Die Gagen allein wären eine zu große Belastung für unser Budget.» Er hatte während der ganzen Unterredung mit einem Bleistift gespielt, und Douglas sah nun über die Tischplatte hinweg, daß er Zahlenkolonnen gekritzelt hatte.

«Bill!» Daley hob die Hand, um ihn zu unterbrechen. «Ich möchte vorschlagen, daß wir das alles noch einmal unter uns besprechen.» Dann wandte er sich an Douglas: «Als Geschäftsleute sehen wir natürlich ein, daß man etwas ausgeben muß, wenn man etwas einnehmen will.» Sein Lächeln hatte nun eine gewisse Wärme. «Wenn wir uns mit Ihren Plänen im Prinzip einverstanden erklären und Ihnen ein nach unserem Dafürhalten realistisches Budget vorschlagen, können Sie uns sagen, ob Sie es für möglich halten, damit Ihre Absichten annähernd zu verwirklichen.»

Das war mehr, als Douglas erhofft hatte.

 

«Mein Gott!» seufzte Revill draußen im Wagen. «Sie sind völlig verrückt. Joe Thomas als Othello. Wissen Sie, was mit Thomas los ist?»

Douglas grinste. «Ich weiß es.»

«Und dann Kapstein. Die Scherereien, die Sie mit Kapstein haben werden! Zugegeben, ein großartiger Schauspieler, aber Sie müssen an das ganze Ensemble denken. Kapstein, der liebenswürdige alte jüdische Lebemann. Er wird darauf bestehen, daß mindestens sechs Siebzehnjährige mitspielen. Und wie wollen Sie ihn der Garderobe Ihrer Frau fernhalten? Sie ist die erste, auf die er sich stürzen wird. Wollen Sie sich tatsächlich mit solchen Leuten einlassen?»

«Ja, das will ich.»

«Und dann auch noch Catellier, diese launische alte Königin», murmelte Revill.

«Hören Sie, Revill.» Douglas legte eine Hand auf das Lenkrad. «Das kann die aufregendste, sensationellste Shakespeare-Saison werden, die dieses Land je erlebt hat. Man wird noch nach Jahrzehnten daran denken!»

Revill Sutcliffe startete seinen Rover und fuhr von dem Haus weg. «Maurice Kapstein. Und dazu der unmögliche Joe Thomas. Sie sind wahnsinnig. Und noch etwas: Wer ist Carol Evans?»

«Eine großartige Julia.» Douglas betrachtete das leuchtende Weiß der Fassade des Theaters, das drüben über dem samtigen Rasen zwischen den Bäumen auftauchte.

3

Er war groß, etwa einsachtundachtzig, aber gut proportioniert, und er hatte schmale Hüften. Er stand mitten im Lichtkegel des Scheinwerfers, hatte die eine Hand erhoben und hielt mit der anderen das Mikrofon umklammert, der Kopf war gesenkt, Schweiß tropfte auf den Boden.

Energie strahlte von ihm aus, eine Art statischer Elektrizität, die die Zuschauer mitriß, an diese Gestalt fesselte. Er trug eine weiße Hose und ein weißes Hemd, das einen scharfen Kontrast zu dem tiefschwarzen Gesicht bildete, und er hatte kurzgeschnittenes Haar und merkwürdig sensible Hände.

Der letzte Vorhang

Ist gewiß.

Doch bis er fällt,

Bis das Ende kommt,

Gebe ich alles, was ich habe,

Alles, was ich wünsche,

Was ich erträume,

Alles dir …

Die Banalität dieser Lyrik störte Douglas Silver nicht. Seit anderthalb Stunden ließ er sich von Joe Thomas hinreißen. Die Lieder, das Geplauder von dem Hocker in der Mitte des Tanzparketts aus, die Darstellungen, die Tänze … Ein einmaliger Entertainer. «Ein flüssiger Ball aus schwarzem Feuer», nannten ihn die Werbeleute.

Je länger Douglas zusah, desto fester verbiß er sich in die Idee, daß er dieses Talent, diese Energie für eine Aufgabe, für eine Rolle einspannen mußte.

Er konnte selbst kaum glauben, daß er hier im Aufenthaltsraum des Thunderbird Hotel in Las Vegas saß, daß nur wenige Meter von ihm entfernt gewürfelt und Roulett gespielt wurde und die Spielautomaten rasselten.

 

Basil Daleys Brief war vor zehn Tagen – einem Menschenalter, schien es ihm – gekommen, nur drei Tage nach der Unterredung mit den Treuhändern. Nach reiflicher Überlegung, schrieb Daley, fanden sich die Treuhänder bereit, Douglas Silvers Pläne zu unterstützen, obwohl nicht alle glücklich waren über das, was sie die «Effekthascherei» nannten, «die sich in Mr. Silvers Einstellung zu einigen der vorgeschlagenen Aufführungen auszudrücken scheint».

Für Douglas war das Ganze noch ein kleines Wunder. Aber Daley war offenbar der Mann, auf den es ankam, und Daley schien ihm gewogen zu sein.

In demselben Brief teilte man ihm das Budget mit – ebenfalls weit mehr, als sich Douglas erträumt hatte. Daley hatte die anderen Treuhänder anscheinend fest im Griff, und er hatte sie dazu überredet, wenigstens dieses eine Mal das Geld mit vollen Händen auszustreuen. Man gewährte ihm die schwindelerregende Summe von 500000 Pfund für die erste Spielzeit mit der Bedingung, daß die finanzielle Situation im Oktober des kommenden Jahres erneut zu überprüfen sei. Mit anderen Worten: Wenn Douglas nicht ungefähr drei Viertel der investierten Fondsmittel wieder einspielte, hatte er für seine zweite Spielzeit nicht viel zu erhoffen.

Dreißig Minuten nach Lektüre des Briefes gab Douglas telefonisch seine Zustimmung.

Eine Stunde später hatte er schon seine erste Besprechung mit dem Hausregisseur und dem Inspizienten. Beide waren schon seit zwei Jahren in Shireston, beide dachten daran zu kündigen, beide waren für Douglas alte Bekannte. Mit Ronnie Gregor, dem Regisseur, hatte er in Birmingham zusammengearbeitet, und Art Drays, den Inspizienten, hatte er in Stratford kennengelernt.

Binnen einer halben Stunde hatte ihnen Douglas den Gedanken an Kündigung ausgeredet.

«Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, aber Sie schaffen es nie», sagte Ronnie.

«Ich nicht, aber wir werden es schaffen.» Douglas machte ihnen klar, daß sie alle zusammen das Wagnis auf sich nehmen mußten.

Art kritzelte schon Fragen auf seinen Notizblock. «Es wird verdammt schwer sein, um Leute wie Catellier, Kapstein und Ihre Frau herum ein Ensemble aufzubauen.»

«Ganz zu schweigen von der unglaublichen Welt des Joe Thomas», sagte Ronnie grinsend.

«Noch haben wir keinen von ihnen», entgegnete Douglas.

«Und Thomas werden wir, Gott sei Dank, auch nicht kriegen.»

«Abwarten», sagte Douglas. Er begann ihnen ihre ersten Aufgaben zuzuteilen. Conrad Catellier, Maurice Kapstein, Carol Evans und Joe Thomas wollte er selbst übernehmen. Den beiden anderen gab er zwei Wochen Zeit, um vorläufige Besetzungslisten aufzustellen, nachzuforschen, welche Schauspieler verfügbar waren, wo nötig Termine für Hörproben anzusetzen und für die wichtigsten Nebenrollen Zweitbesetzungen ausfindig zu machen.

«Wenn es uns gelingt, für die Hauptrollen so aufsehenerregende Besetzungen zu bekommen», sagte Douglas, «dann müssen die Männer und Frauen, die wir ihnen an die Seite stellen, absolut erstrangig sein. Wir brauchen ein Ensemble aus einem Guß.»

«Wie hoch soll der Prozentsatz der farbigen Darsteller sein?» fragte Art. «Diese schwarzen Capulets werden wir schwer in den anderen Stücken unterbringen können.»

«Nein», sagte Douglas fest. «Sie werden nicht schwer unterzubringen sein. Wir ziehen eine scharfe Trennlinie zwischen Schwarz und Weiß in Othello und Romeo, aber nicht in den beiden anderen Stücken. Im Kaufmann und im Richard ist es völlig gleichgültig, ob jemand weiß oder schwarz ist. In diesen beiden Stücken muß das Publikum begreifen, daß es auf die Hautfarbe eines Menschen nicht ankommt.»

«Was für ein Prozentsatz?» fragte Art noch einmal leicht befangen.

«Fünfundvierzig Prozent farbig. Halb und halb wäre mir lieber, aber ein bißchen realistisch muß sogar ich sein.»

Ronnie bekam die zusätzliche Aufgabe, sich die Repertoire-Bühnen der Reihe nach vorzunehmen und als Shirestons Talentsucher Abend für Abend in den Provinztheatern zu sitzen, um den Funken zu entdecken, den Douglas zu einem Brand anfachen konnte: einen denkwürdigen Romeo.

Am selben Abend rief Douglas seine Frau an. Die Außenaufnahmen in Mexiko waren beendet. Sie war in Los Angeles, fuhr täglich ins Studio und hatte noch etwa vier Wochen zu tun, bis der Film abgedreht war.

Er hielt sich am Telefon zurück, denn er wagte nicht, ihr alles auf einmal zu sagen. Sie mußten in den nächsten Wochen einmal Zeit finden, sich über seine Ideen und Pläne zu unterhalten.

Er fehlte ihr, und die Arbeit machte sie nervös, aber sie freute sich, als er ihr von seiner Ernennung berichtete, und ihre Neugier erwachte, als er sie bat, für das kommende Jahr noch keine Pläne zu machen.

«Wir arbeiten zusammen, ja?» fragte sie aufgeregt.

«Das hoffe ich, aber ich muß erst noch mit dir darüber sprechen. Wir sehen uns vielleicht früher wieder, als du ahnst. Aber ich bitte dich, vorerst kein Wort. Meine Ernennung und alles Übrige bleibt ein Geheimnis, bis ich sage: es ist soweit!»

Er mußte an Joe Thomas herankommen, und zwar rasch, und er verbrachte beinahe die ganze Nacht am Telefon, um den Manager des farbigen Entertainers aufzuspüren. Er fand ihn endlich in Las Vegas, wo Joe mit seinem ganzen Gefolge im Thunderbird Hotel auftrat.

Natürlich, warum nicht? Er konnte jederzeit kommen und mit Joe sprechen. Selbstverständlich, Joe erinnerte sich an ihn. Er hatte noch nie jemanden vergessen. Ja, er wollte sich persönlich um die Sache kümmern.

«Rufen Sie mich an, sobald Sie angekommen sind, sobald Sie in der Stadt sind, Douglas. Sie sind hier jederzeit willkommen, klar?»

Douglas konnte den Mann beinahe sagen hören: «Irgend so ein britischer Regisseur mit einer Schnapsidee, der Joe zu Schleuderpreisen verschachern will. Keine Sorge, Joe, wir werden schon mit ihm fertig, wenn er wirklich hier aufkreuzt.»

Am nächsten Tag aß Douglas mit Catelliers Agenten zu Mittag, und am Nachmittag traf er sich mit dem Agenten Kapsteins. Beide Schauspieler waren im kommenden Jahr noch frei, von Kapsteins Fernsehverpflichtung abgesehen. Er hatte zweifellos Chancen, sie zu bekommen, aber er mußte sich auf langwierige Verhandlungen gefaßt machen.

Carol Evans’ Agenten hatte er schon angerufen. Von dieser Seite gab es keinerlei Schwierigkeiten. Für den Abend verabredete er sich mit Carol zum Essen.

Sie kam mit Verspätung in das Restaurant, atemlos und voller Zweifel. «Du nimmst mich auf den Arm, Douglas. So viel Glück kann ich gar nicht haben. Wo steckt da der Haken?»

«Was hat dir dein Agent gesagt?»

«Bernie rief mich an und bestellte mir, daß du mich sprechen willst. Ich dachte, es sei nur … du weißt schon, Malta. Dann sagte er, daß du nach Shireston gehst und mich als Julia haben willst.»

Ein Kellner umkreiste den Tisch wie ein einsamer Geier. Sie holte tief Atem. «Es ist ein Witz, nicht wahr? In Wirklichkeit willst du mich für eine ganz winzige Rolle haben – was für mich schon eine große Sache wäre.» Wieder das melodische Lachen. «Ehrlich, wenn ich nur überhaupt arbeiten könnte – das wäre phantastisch.»

«Es ist kein Witz, Carol, wenn du es nicht so auffassen willst. Bestellen wir und reden wir darüber. Aber eines will ich dir gleich sagen …» Er griff nach ihrer Hand. «Dieses Angebot ist keine Bezahlung – für Malta oder sonst etwas. Ich will dich als Schauspielerin in Shireston haben. Was immer sonst geschieht: das ist der einzige Grund.»

 

Was Douglas mehr Sorgen machte als alles andere, war die Frage der Werbung.

Es war nun Mitte September. Bis zum Ende des folgenden Monats mußten die ersten Ankündigungen erfolgt sein, und er wollte, daß gleich von Anfang an alles von Shireston aus gemacht wurde.

Die besten Werbeleute des Theaters waren schon in Stratford oder Chichester oder am «National». Außerhalb dieses Kreises konnte man sich nur noch an eine der größeren Agenturen wenden, die jedoch in diesem Fall nicht das Geeignete waren.

Ein Name fiel ihm immer wieder ein: Adrian Rolfe.

Rolfe hatte vor etwa einem Jahr die Theaterarbeit aufgegeben und war zu einer großen Werbefirma gegangen, die sich seit Jahren um ihn bemüht hatte. Die Zusage eines raschen Aufstiegs und ein eventueller Direktorenposten waren die Lockmittel gewesen, denen er nicht hatte widerstehen können.

Er hatte ein ungewöhnliches Organisationstalent und erstaunlich weitläufige Beziehungen, und da er ungefähr fünfzehn Jahre für das Theater und in ständigem Kontakt mit Schauspielern gearbeitet hatte, kannte er alle wunden Punkte und beherrschte er alle Tricks, die glattzüngige Diplomatie und die raffinierten Bestechungen. Er konnte eine Klatschgeschichte, eine kleine Indiskretion mit der Treffsicherheit eines Scharfschützen an der richtigen Stelle plazieren, so daß sie die größtmögliche Aufmerksamkeit erregte, und er hatte einen unfehlbaren Geschmack in Stilfragen, etwa bei der Gestaltung eines Programmheftes oder einer Zeitungsanzeige.

Ein Juwel, aber nicht ohne Fehler. Er hatte eine scharfe Zunge, mit der er sich gelegentlich Feinde machte. Einer davon war Douglas, den er wegen eines geringfügigen Fehlers im Wortlaut einer Presseaussendung zu der berühmten Peer-Gynt-Inszenierung in aller Öffentlichkeit angebrüllt hatte.

Douglas, der im Unrecht war, hatte bei diesem Streit den kürzeren gezogen. Jetzt überlegte er sich’s zweimal, ob er tatsächlich versuchen sollte, Rolfe für Shireston anzuwerben. Es wäre unter normalen Umständen schon schwer genug gewesen, und mit den alten, noch schwärenden Wunden konnten die Verhandlungen eine Demütigung bedeuten, an die Douglas nur ungern dachte.

Am Ende kam er aber doch zu der Überzeugung, daß Adrian Rolfe, wenn er ihn gewinnen konnte, der richtige Mann für Shireston war. Die Festspiele hatten Vorrang. Er mußte seinen persönlichen Stolz hintansetzen und mit Rolfe ins Gespräch kommen. Er ging jedoch nicht den geraden Weg, sondern zog Revill Sutcliffe ins Vertrauen und bat ihn, das Terrain zu sondieren. Eine persönliche Begegnung mußte, wie hundert andere Dinge, warten, bis er aus Amerika zurückkehrte.

Allmählich nahm das Projekt sichtbare Gestalt an. Für Catellier und Kapstein wurden Bedingungen vereinbart, obwohl Douglas mit beiden erst noch sprechen mußte.

Ronnie und Art arbeiteten unermüdlich und hatten kleine Fortschritte zu verzeichnen. Douglas traf sich jeden Abend mit Carol. Es wurde ihm zur Gewohnheit; die Begegnung zweier Menschen, die sich auf einer anderen Ebene miteinander unterhalten konnten, nachdem Douglas einen Tag hinter sich gebracht hatte, der angefüllt war mit Telefongesprächen, Papierkrieg und dem Problem der Unterbringung immer neuer Termine in einem immer volleren Arbeitsplan.

Basil Daley hatte ihnen einen Büroraum, der erst noch instand gesetzt und eingerichtet werden mußte, über einem indischen Restaurant in Soho zur Verfügung gestellt. Wenn der Tag endlich um war, ging Douglas aus, um sich mit Carol zu treffen, gewöhnlich vor dem «Schweizer Zentrum», dessen Schaufenster voll waren von glitzernden Uhren und Plakaten mit grünen Hängen vor einem Hintergrund von Bergen und Alphütten.

Sie aßen zusammen und plauderten. Dann brachte er sie nach Hause und verabschiedete sich vor der Tür mit einem Gutenachtkuß wie ein schüchterner Teenager. Mehr geschah nicht – bis zu dem Abend vor seinem Abflug nach Las Vegas.

Douglas sollte sie diesmal in ihrer Wohnung abholen. Auf den Stufen vor der Haustür stehend, drückte er auf den Knopf neben dem Kärtchen, auf dem in einer gestochenen Schulmädchenschrift ihr Name stand. Die Sprechanlage begann zu knacken, und Carols entstellte Stimme fragte, wer da sei.

«Ich mache dir auf, Douglas. Komm herauf. Dritter Stock. Mein Name steht auf der Tür. Ich lasse sie offen … Ich dusche gerade.»

Er ging langsam die Treppen hinauf und betrat die Wohnung. Ein großes Wohnschlafzimmer, unauffällig eingerichtet, aber sauber und gemütlich. Eine Tür zur Küche, eine zum Bad, wo er Wasser rauschen hörte.

Er rief sie, und sie antwortete, sie komme in einer Minute. Ihr Kleid und ihre Unterwäsche waren auf dem Bett ausgelegt.

Der nackte kaffeebraune Körper unter der Dusche, mit Wasserperlen bedeckt …

Er trat zum Bett und fuhr mit der Hand über ihr Kleid. Ihm wurde heiß. Er kam sich wie ein Eindringling vor.

«Hübsch?» fragte sie, in ein Handtuch gehüllt, von der Badezimmertür aus. «Es tut mir leid, daß du warten mußt. Ich bin den ganzen Tag herumgerannt und habe mich verspätet.»

Er ging auf sie zu und griff nach dem Handtuch. Eine Sekunde zögerte sie und entzog sich ihm mit einem halben Nein auf den Lippen. Dann fiel das feuchte Tuch von ihr ab, und da stand wieder dieser magere Körper vor ihm und neigte sich ihm entgegen in seiner goldbraunen Geschmeidigkeit.

Sie liebten sich drei Stunden lang, gingen kurz essen und kehrten in ihre Wohnung zurück.

Und ehe Douglas zum Nachdenken kam, saß er schon in einer Düsenmaschine und flog die lange Strecke über den Nordpol nach San Francisco, wo er keine Gelegenheit fand, Jen anzurufen, sich aber die Zeit nahm, Carol zu telegrafieren, bevor seine Maschine nach Las Vegas ging. Und dann kam er in dieser Stadt an, in diesem heißen, wilden Strudel des Massenvergnügens zu Höchstpreisen, in dieser Stadt, die so laut ist und so grell und geschmacklos, aber so glatt wie Kunstseide, wo es darum geht, den Besuchern das Geld aus der Tasche zu ziehen und sie dabei auch noch glücklich zu machen.

Am Nachmittag sprach er kurz mit Tommy Carr, Joe Thomas’ Manager, aber er verriet ihm keine Einzelheiten und verbarg, so gut es ging, seine Abneigung gegen diesen arroganten, mit Ringen überladenen, übertrieben elegant gekleideten dicken Mann, der sich gebärdete, als wäre er der heilige Petrus neben dem Gott Joe Thomas.

Thomas selbst rief ihn eine Weile später an. Es zeigte sich, daß er sich tatsächlich an eine Begegnung in London erinnerte. Irgendwie waren sie auf einer Filmparty miteinander bekannt geworden, und zwei Stunden lang hatten sie die ganze Welt auseinandergenommen und wieder zusammengebaut. Doch das war in London gewesen. Hier stand Joe Thomas auf eigenem Grund und Boden und war alles andere als allein oder auch nur im entferntesten einsam.

«Hören Sie, Douglas, besuchen Sie mich heute abend nach der Vorstellung in meinem Appartement.»

«Ich komme.»

«Gut, ich gehe heute abend nicht aus.»

 

Die Show endete, und Joe Thomas machte eine tiefe Verbeugung.

Er spürte, wie ihm der Schweiß vom ganzen Körper troff und in die Augen rann. Er brauchte einen Whisky und eine Zigarette, aber noch strahlte er Energie aus allen Poren. Nur keine Müdigkeit zeigen, durchhalten bis zuletzt, mit Vollgas auf den Berg zu, gegen den er eines Tages rasen mußte. Aber noch war der Berg weit entfernt.

Er öffnete halb die Augen, blinzelte den Schweiß weg. Sein erhobener Arm sank nieder, er ließ den Applaus, das Geschrei und Getrampel in sich einströmen. Das war Nahrung für ihn, Rauschgift, Wiederaufladung der erschöpften Batterie. Das war die Entschädigung für all die schlimmen Jahre, die Kränkung und Unterdrückung, die Demütigungen, die er mit seinen schwarzen Brüdern teilte.

Er schwankte und drehte den Kopf hin und her, um all die Gesichter rund herum aufzunehmen: das Lächeln, das Lachen, eine Träne da und dort nahe unter der Oberfläche, und die Hände, die auf und ab wogten wie ein Meer des Willkommens.

Er machte eine rasche Bewegung mit beiden Händen und schüttelte den Kopf, wie um das Lob abzuwehren.

Endlich wurde es still.

«Ich danke euch, Leute, ich danke euch. Alles muß einmal ein, Ende haben. Ich wollte, ich könnte noch ein, zwei Stunden so weitermachen.» Applaus. Wieder mußte er sie beruhigen. «Nein, wirklich. Ich danke euch. Ich habe hier nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung.» Seufzen, Murren. Rasch diese Leute beruhigt, und dann Schluß – nichts wie weg. Es war ein langer Abend gewesen.

«Ehrlich, Leute, ich möchte euch sagen, was für ein Erlebnis das heute abend für mich war. Ich meine es so, wie ich es sage. Ihr wißt nicht, was für eine Ehre das für mich ist.» Neuer Applaus. «Wirklich, ihr wart das beste Publikum, das ich in dieser Saison in Las Vegas hatte, und ich hoffe, es hat euch gefallen. Kommt bald wieder. Ich bin noch vier Wochen hier. Gott segne euch, und scheiden wir in Frieden, ja?»

Jesus Christus, dachte er, als die Hände wieder zu klatschen anfingen. Jeden von diesen weißen Dreckskerlen hier kann ich mir kaufen, und ihre kleinen molligen Weibchen kann ich alle haben, wenn ich nur mit dem Finger winke. Ich scheiße auf euch alle.

Die Jungens warteten am Ausgang, um ihn in ihre Mitte zu nehmen und zum Aufzug und hinauf in sein Appartement im obersten Stock zu bringen.

«Du warst heute abend wieder großartig, Joe.»

«Ganz phantastisch. Du hast ihnen richtig eingeheizt.»

Neuerlicher Applaus, als er sein Appartement betrat. Etwa dreißig Menschen waren anwesend, aber sie fielen in dem geräumigen Salon kaum auf. Tommy Carr begrüßte ihn mit seinem breiten, unaufrichtigen Grinsen. Wer war sonst noch da? Zwei oder drei Leute, an die er sich in den ersten zwei Wochen in Las Vegas angeschlossen hatte, und die «persönlichen Freunde», Schmarotzer, die gekommen waren, um ihm zu sagen, was für eine einmalige Show das wieder gewesen war. Munro, der Barmixer, stand in seiner weißen Jacke lächelnd da. Der ganze Raum mit seinen Möbeln, seinem Kunstramsch und seiner kostspieligen Kahlheit sieht aus wie die Abflughalle eines Flughafens, dachte Joe.

«Eine Massage, Joe?» fragte Smiley, einer der Jungens zu seiner Rechten.

«Nein. Ich will nur duschen. Bring mir einen großen, einen wirklich großen Bacardi und ein Coke.»

Smiley nickte Jones zu. Er nahm seinen Job ernst und entfernte sich selten weiter als zehn Schritte von Joe Thomas.

Joe kratzte seine Energie zusammen und ging mit tänzelnden Schritten quer durch den großen Raum zu seinem Schlafzimmer. Es war ein Spießrutenlauf. Die lächelnden Gesichter unten im Aufenthaltsraum waren etwas ganz anderes gewesen. Diese albernen Leute hier wollten ihn berühren, ihm schmeicheln, vor ihm kriechen. Auch das tat wohl, aber es war immer dasselbe, und mit der Zeit stumpfte man ab. Joe brauchte einen neuen Nervenkitzel.

«Joe, so etwas habe ich noch nicht erlebt! Sie waren eine Sensation!»