Jens Peter am Rande - Majken Ørnbøll - E-Book

Jens Peter am Rande E-Book

Majken Ørnbøll

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Beschreibung

"Jens Peter am Rande" wurde übersetzt auf der Grundlage der dänischen Erzählung "Jens Peter på kanten" - sie handelt von einem Bovbjergjungen um das Jahr 1920, basierend auf A. Chr. Westergaards Erzählung "Et skumpelskud" (zu deutsch "Ein Aschenbrödel") sowie wirklicher und erdachter Ereignisse, geschrieben von Majken Ørnbøll und Karl Bencke. Die Erzählung eignet sich für Kinder ab 8-9 Jahre und älter sowie für Erwachsene, die nicht vergessen haben, wie es war, Kind zu sein.

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Seitenzahl: 78

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- Eine Erzählung über einen Bovbjergjungen

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Eine alte Geschichte in teilweise neuem Gewand

1. Kapitel

”Tschüß, Jens Peter! Geh nun den direkten Weg zur Schule!” ”Ja, ja, Tante!” Jens Peter ärgerte sich darüber, an seinem allerersten Schultag alleine zur Schule gehen zu müssen.

Alle anderen würden sicherlich von ihren richtigen Müttern gebracht werden und er würde sich nun von allen abheben.

Jens Peter ging den direkten Weg zur Schule unten im Dorf Ferring. Er war den Kiesweg zum Dorf schon hunderte Male zuvor gelaufen und es waren nicht mehr als anderthalb Kilometer von dem kleinen Haus, oder eher der Hütte, die am Weg etwa hundert Meter von dem Steilhang und einige hundert Meter vom Leuchtturm entfernt lag. Dort hatte er sein kleines Zimmer unter dem Dach von Tante Simones Haus.

Hier wohnte er mit der Tante, ihrer Ziege, zehn Hühnern und einem Hahn. Für die Kühe und die Schafe auf der Weide hatte er heute keinen Blick übrig. Er beachtete nichts anderes als die Schule und wie der Tag heute, der allererste Schultag, wohl werden würde. Er fühlte sich auf gar keinen Fall in der vor ihm liegenden Situation sicher.

Im Dorf Ferring wunderte er sich, dass er dort keine anderen Jungs und Mädchen in Begleitung ihrer Mütter auf dem Weg zur Schule traf. Aber als er die kleine Schulstube betrat, sah er, dass diese bereits gut mit Kindern und Frauen gefüllt war.

Der Lehrer beendete gerade seinen Willkommensgruß. Die anderen Kinder saßen brav hinter kleinen Tischen und ihre Mütter standen schweigend, mit gespannten Mienen hinten im Raum, während der Lehrer die Namen der Kinder aufrief. So, nun kam er also nicht nur ohne Begleitung zur Schule, sondern auch noch zu spät. Das war auch Tante Simones Schuld!

”Bist du alleine hier, Jens Peter?”, fragte der Lehrer. Alle schauten ihn an. Jens Peter war drauf und dran zu sagen:

Ja, so ist es wohl! Aber stattdessen sagte er nicht ganz wahrheitsgemäß: ”Ich soll von meiner Tante Simone grüßen. Sie sagte, es gehe ihr heute nicht so gut.”

”Ja, dann müssen wir für Simone wohl um baldige gute Besserung hoffen. Du kannst dich jetzt neben Kristian setzen!” Jens Peter kannte Kristian gut. Er war nicht der schlechteste Banknachbar. Auch er war arm, hatte aber sowohl einen Vater, als auch eine Mutter.

”Wie ist dein vollständiger Name, Jens Peter?”, fragte nun der Lehrer.

”Jens Peter Alexander Nevskij Knak!” Einige Mädchen entlang der Fensterreihe kicherten hörbar. ”Ich bitte um Ruhe!” Der Lehrer sah sehr streng aus. Zu Jens Peter gewandt sagte er:

”Das ist ein feiner Name. Woher stammen alle diese Namen?”

”Jens ist mein Großvater mütterlicherseits, Peter hieß der alte Pfarrer, Alexander Nevskij heißt das russische Schiff, das vor Harboøre strandete und Knak heiße ich nach meinem Vater.”

”Und wann ist dein Geburtstag?”

”Ich werde sieben im Sommer!”

”Und an welchem Datum, Jens Peter?”

”Das weiß ich nicht. Wir feiern keine Geburtstage.”

”Ach so! Könnte es aber deine Tante wissen? Willst du sie zu morgen fragen?”

Endlich hörte der Lehrer damit auf, mit Jens Peter zu sprechen und er begann, an seine Eltern zu denken. Seinen Vater, den er niemals kennengelernt hatte, und seine Mutter, die er zwar kannte, aber an die er keine Erinnerung mehr hatte. Sie reiste nach Amerika zu seinem Vater, als er gerade zwei Jahre alt war. Seither hatte er von beiden nichts mehr gehört. Auch Tante Simone sagte, dass sie von beiden nichts Näheres wüsste. Er hätte nun wirklich lieber seine Mutter hier, als Tante Simone.

Nun begann der Lehrer über Buchstaben zu sprechen. Bereits heute sollten sie einen lernen. Der Lehrer malte ein großes A an die Tafel und danach ein kleines a. Der Lehrer verteilte kleine Tafeln an alle Kinder. Sie durften diese mit nach Hause nehmen, um das A und das a schreiben zu üben, aber sie mussten gut auf die Tafel aufpassen, denn sonst müssten ihre Eltern für eine neue bezahlen.

Jens Peter probierte, die A’s mit dem kleinen Griffel auf seine Tafel zu schreiben, aber es sah nicht gut aus. Ärgerlich warf er die Tafel vor sich auf den Tisch.

”Die wollen einfach nicht, diese A’s”, sagte er, während der Lehrer näher zu ihm kam.

”Nein, das erfordert Übung”, sagte der Lehrer freundlich.

”Wenn du weiter fleißig übst, werden sie zum Schluss auch richtig gut!”

”Das glaube ich nicht”, antwortete Jens Peter. ”Ich schaffe es sicher nie, die Buchstaben gut hinzubekommen!”

”So hör doch, ich kenne viele Kinder, die anfangs ganz schiefe Buchstaben schrieben. Aber dann übten sie mit großer Mühe und zum Schluss glückte es auch! Du wirst es bestimmt auch noch lernen.”

Foto:Tove Lisby

Jens Peter war alles andere als überzeugt. Er verschränkte seine Arme vor sich über Kreuz. Für heute musste das genug sein. Außerdem war es Pause.

Die Mütter nahmen Abschied von ihren Kindern und die Kinder holten ihre Pausenbrote hervor. Jens Peter hatte kein Pausenbrot dabei. Tante Simone hatte es bestimmt nicht besser gewusst, weil es schon so lange her war, dass sie selbst die Schule besucht hatte, überlegte er.

Als die Kinder gegessen hatten, durften sie nach draussen gehen. Drei von den größeren Jungs bildeten einen Kreis um Jens Peter. ”Wie heißt du doch gleich noch”, fragte der eine.

”Jens Peter Simonesen?” Die anderen lachten. Kristian kam dazu und forderte die drei auf, Jens Peter in Ruhe zu lassen, aber sie hörten nicht auf ihn. Sie fuhren fort: ”Hörte ich richtig, dass dein Vater Knapp hieß… oder war es Klappe… oder Klatsche?” Auch andere Jungs stimmten nun in das Gelächter ein.

Schule in Ferring, um 1920. Unbekannter Fotograf. Heimatarchiv Klinkby.

Jetzt hatte Jens Peter genug. Zielbewusst steuerte er zum Tor hin, öffnete es und schlenderte hinaus auf den Weg zum Steilhang. Er war frei. Er ging weiter bis direkt zum Rand und schaute hinunter. Konnte er von hier aus auf den Strand gelangen? Es war ziemlich steil, aber vielleicht ging es ja mit etwas Vorsicht.

Er ließ die Beine hinunterbaumeln, um nach etwas Halt für die Füße zu suchen.

Währenddessen hielt er sich mit den Händen an zwei Grasbüscheln fest. Seine Füße fanden keinen festen Tritt, aber plötzlich gaben die Grasbüschel nach. Er schwebte einen Augenblick durch die Luft, rammte dann die Lehmwand und schlug einen Purzelbaum und schlitterte schließlich ein ganzes Stück hinunter auf seinem Allerwertesten. So saß er dann ganz still. Das eine Knie und eine Schulter taten weh, aber er war an einer guten Stelle gelandet. Es war ein Loch im Steilhang, wie eine kleine Höhle. Von hier hatte er eine gute Aussicht über den Strand und niemand konnte ihn sehen, wenn er sich möglichst tief in das Loch hineinduckte. Auf jeden Fall nicht von oberhalb des Steilhangs.

Jens Peter blieb lange in seiner neuen Höhle sitzen. Er dachte darüber nach, wie sehr ihm die Schule bereits verhaßt war.

Nein, er wollte nicht dorthin zurück. Warum sollte er wohl lernen, Buchstaben zu schreiben? Tante Simone schrieb nie und er selbst sollte ja wohl kaum Pfarrer oder Schullehrer werden? Es war sicherlich gut genug, Fischer zu werden, so wie sein Vater einer war. Oder vielleicht Leuchtturmwärter? Der Leuchtturmwärter war ein sehr angenehmer Mann, dachte Jens Peter, und er wurde langsam alt und dann musste sicherlich bald ein neuer gefunden werden? Sollte ein Leuchtturmwärter wohl A’s schreiben können? Jens Peter überlegte, was er wohl seiner Tante erzählen sollte, wenn er nach Hause kam. Aber er würde doch besser den Schulschluss abwarten, bevor sie noch misstrauisch wurde.

”Na, bist du wieder da, Jens Peter”, sagte die Tante, als er zu der schiefen Tür hineinschlurfte. ”Was hast du denn heute in der Schule gelernt?”

”Ich probierte, A’s zu schreiben, aber sie wurden alle krumm und nun möchte ich nicht mehr in die Schule gehen.”

”Blödsinn, du gehst morgen wieder in die Schule oder du wirst mich kennenlernen!”

Jens Peter antwortete nicht. Er war froh darüber, dass seine Tante nicht mitbekommen hatte, dass er von der Schule ausgerissen war. Sie hatte auch nicht den Riss in seiner Hose entdeckt, den er sich beim Fall über den Steilhang zugezogen hatte und auch nicht den ganzen Lehm bemerkt, den er glücklicherweise fast von Hose und Pullover abgekratzt bekommen hatte.

Am nächsten Tag gab ihm Tante Simone ein Pausenbrot mit in die Schule. Jens Peter ging den staubigen Weg hinunter zum Dorf. Aber als er nicht mehr in Sichtweite der Hütte war, wechselte er die Richtung und ging direkt zum Steilhang. Er hatte einen bequemeren Weg zu seiner Höhle gefunden.

Er musste keine Purzelbäume mehr auf dem Weg dorthin schlagen.

So saß er dort und der ganze Schultag lag vor ihm. Es war herrlich, dass er sich mit keinen hässlichen Buchstaben herumplagen musste. Fast alle Kinder waren blöd und das war der Lehrer auch. Stattdessen konnte er jetzt hier sitzen, auf die Schiffe schauen, die vorbeisegelten, und über alles mögliche nachdenken. Denk nur, wenn auch er herauskommen könnte und segeln! Aber dafür war er vielleicht doch noch zu klein.