Jesus Christus: Rückkehr ins Heilige Land - Anne Rice - E-Book
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Jesus Christus: Rückkehr ins Heilige Land E-Book

Anne Rice

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Beschreibung

Ein historischer Roman jenseits religiöser Dogmen: „Jesus Christus – Rückkehr ins Heilige Land“ von Bestsellerautorin Anne Rice als eBook bei dotbooks. Er ist nur ein kleiner Junge, gerade sieben Jahre alt. Und doch reich auf einmal ein Wort von ihm, um einen Gegner niederzustrecken, und eine Berührung, um diesen ins Leben zurückzuholen. Jesus, der Sohn der Maria, spürt, dass er anders ist als die anderen. Noch kann er nicht begreifen, zu was er bestimmt ist – und welche Gefahren ihn erwarten … Mystiker, Prophet, Mensch – virtuos erzählt Anne Rice von der kaum bekannten Kindheit jenes Mannes, der wie kaum ein andere die Geschichte der Welt prägte. Jesus und seine Geschwister, das alte Galiläa und eine Kultur im Umbruch: ein facettenreicher Roman, der bewegt! „Die Schönheit dieses Romans wird die bisherigen Leser von Anne Rice verblüffen und neue begeistern.“ The New York Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Jesus Christus – Rückkehr ins Heilige Land“ von Bestsellerautorin Anne Rice. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Er ist nur ein kleiner Junge, gerade sieben Jahre alt. Und doch reich auf einmal ein Wort von ihm, um einen Gegner niederzustrecken, und eine Berührung, um diesen ins Leben zurückzuholen. Jesus, der Sohn der Maria, spürt, dass er anders ist als die anderen. Noch kann er nicht begreifen, zu was er bestimmt ist – und welche Gefahren ihn erwarten …

Mystiker, Prophet, Mensch – virtuos erzählt Anne Rice von der kaum bekannten Kindheit jenes Mannes, der wie kaum ein andere die Geschichte der Welt prägte. Jesus und seine Geschwister, das alte Galiläa und eine Kultur im Umbruch: ein facettenreicher Roman, der bewegt!

»Die Schönheit dieses Romans wird die bisherigen Leser von Anne Rice verblüffen und neue begeistern.« The New York Times

Über die Autorin:

Anne Rice, geboren 1941 in New Orleans, studierte in San Francisco Englisch, Kreatives Schreiben und Politikwissenschaften. 1976 wurde sie mit ihrem Debütroman Interview mit einem Vampir weltberühmt.

Mehr Informationen finden sich auf ihrer Website: www.annerice.com

Die Autorin bei Facebook: www.facebook.com/annericefanpage

Bei dotbooks veröffentlichte Anne Rice die Romane Jesus Christus – Rückkehr ins Heilige Land und Jesus Christus – Die Straße nach Kanaa. Weitere eBooks sind in Vorbereitung.

***

Neuausgabe März 2016 Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Christ the Lord. Out of Egypt« im Verlag Alfred A. Knopf, New YorkCopyright © 2005 by Anne O’Brian RiceCopyright © der deutsche Erstausgabe 2007 by Hoffmann und Campe Verlag, HamburgCopyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, MünchenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/DmitrydesignE-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-610-2

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Anne Rice

JESUS CHRISTUS Rückkehr ins Heilige Land

Aus dem Englischen von Monika Köpfer

Für Christopher

Als Israel aus Ägypten auszog, Jakobs Haus aus dem Volk mit fremder Sprache,

da wurde Juda Gottes Heiligtum, Israel das Gebiet seiner Herrschaft.

Das Meer sah es und floh, der Jordan wich zurück.

Die Berge hüpften wie Widder, die Hügel wie junge Lämmer.

Was ist mit dir, Meer, dass du fliehst, und mit dir, Jordan, dass du zurückweichst?

Ihr Berge, was hüpft ihr wie Widder, und ihr Hügel, wie junge Lämmer?

Vor dem Herrn erbebe, du Erde, vor dem Antlitz des Gottes Jakobs,

der den Fels zur Wasserflut wandelt und Kieselgestein zu quellendem Wasser.

Psalm 114

Kapitel 1

Ich war sieben Jahre alt. Was weiß man schon, wenn man sieben ist? Mein ganzes Leben lang, so dachte ich zumindest, lebten wir in der großen Stadt Alexandria, in der Straße der Zimmerleute, wo auch die anderen Galiläer wohnten. Doch früher oder später würden wir in das Land unserer Väter zurückkehren.

Es war später Nachmittag. Wir spielten, unsere Bande gegen seine, und als er mich wieder anrempelte, dieser gemeine Kerl, der viel stärker war als ich, und mich aus dem Gleichgewicht brachte, spürte ich, wie diese Kraft von mir ausging, als ich ihn anschrie: »Du wirst niemals dein Ziel erreichen!« Worte, die ich selbst nicht verstand.

Und da stürzte er schon, das Gesicht kalkweiß, auf die sandige Erde, und alle scharten sich um ihn. Die Sonne brannte herab, und meine Brust hob und senkte sich, als ich sah, wie schlaff und reglos er dalag.

Als hätte jemand mit den Fingern geschnippt, wichen plötzlich alle zurück. In der ganzen Straße war es mit einem Mal ruhig geworden, nur noch das Hämmern der Zimmerleute war zu hören. Nie zuvor hatte ich eine solche beängstigende Stille vernommen.

»Er ist tot!«, sagte der kleine Joses. Und dann stimmten alle ein und riefen: »Er ist tot, er ist tot, er ist tot.«

Ich wusste, dass sie recht hatten. Leblos lag sein Körper auf dem staubigen Boden.

Eine tiefe Leere breitete sich in mir aus. Alle Kraft war aus mir herausgeflossen.

Seine Mutter kam aus dem Haus gerannt, ihre Schreie hallten von den Hausmauern wider. Von überall her strömten die Frauen nun herbei.

Meine Mutter hob mich hoch. Sie trug mich die Straße hinunter, durchquerte mit mir den Hof und trat in das dunkle Haus. Meine Cousinen und Cousins drängten sich hinter uns herein, und Jakob, mein größerer Bruder, zog den Vorhang vor.

Mit dem Rücken zum Vorhang sagte er: »Jesus war es. Er hat ihn getötet.« Seine Stimme bebte vor Angst.

»Hör auf, solchen Unsinn zu reden!«, fuhr Mutter ihn an. Sie drückte mich so fest an sich, dass ich kaum Luft bekam.

Josef war nun ebenfalls erwacht.

Er war mein Vater, weil er mit meiner Mutter verheiratet war, aber ich nannte ihn nie Vater. Ich sollte ihn einfach nur Josef nennen. Warum, das wusste ich nicht.

Er hatte auf der Matte am Boden geschlafen. Den ganzen Tag über hatten er und seine Brüder an Philons Haus gearbeitet. In der Hitze des Nachmittags hatten sie sich hingelegt, um sich auszuruhen. Er setzte sich auf.

»Was ist das für ein Geschrei da draußen?«, fragte er.

Er sah meinen Halbbruder Jakob an, seinen ältesten Sohn aus der Ehe mit seiner ersten Frau, die gestorben war, bevor er meine Mutter geheiratet hatte.

Jakob wiederholte, was er zuvor gesagt hatte.

»Jesus hat Eleasar getötet. Er hat ihn mit einem Fluch belegt, und da ist er tot umgefallen.«

Josef starrte mich an, das Gesicht noch schlaftrunken. In der Straße wurden die Schreie immer lauter. Er fuhr sich mit der Hand durch seine Locken.

Inzwischen waren meine kleineren Cousins durch die Tür geschlüpft und drängten sich um uns.

Meine Mutter zitterte. »Nie könnte er so etwas tun«, sagte sie. »Niemals!«

»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen«, sagte Jakob. »Ich habe gesehen, wie er am Sabbat Vögel aus Ton geformt hat. Der Gelehrte hat ihm gesagt, dass er das am Sabbat nicht tun darf. Da hat Jesus die Vögel angeschaut, und plötzlich wurden sie lebendig und flogen davon. Du hast es doch auch gesehen, Mutter. Und jetzt hat er Eleasar getötet!«

Meine Cousins bildeten einen Kreis aus blassen Gesichtern im Dämmerlicht des Zimmers: der kleine Joses, Judas, der kleine Symeon und Salome, alle besorgt, dass man sie im nächsten Moment hinausschicken könnte. Salome war genauso alt wie ich und stand mir am nächsten. Sie war wie eine Schwester für mich.

Dann kam Kleopas herein, der Bruder meiner Mutter, einer, der sich immer gern reden hörte. Auch mein Cousin Silas, der etwas älter als Jakob war, hatte den Raum betreten. Er ging schnurstracks in die Ecke, gefolgt von seinem Bruder Levi, der ebenfalls sehen wollte, was vor sich ging.

»Josef, Jonathan bar Zakkai und seine Brüder stehen da draußen«, ergriff Kleopas das Wort. »Sie sagen, Jesus hat ihren Jungen getötet. Ich glaube jedoch, dass sie nur neidisch sind, weil wir den Auftrag neulich bekommen haben; überhaupt missgönnen sie uns, dass wir immer mehr Arbeit haben, wo sie doch denken, dass sie die besseren Handwerker sind …«

»Ist der Junge wirklich tot«, fragte Josef und schnitt ihm das Wort ab, »oder lebt er noch?«

Salome löste sich aus der Schar der Umstehenden und huschte zu mir, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. »Mach ihn doch einfach wieder lebendig, Jesus, so wie du die Vögel lebendig gemacht hast!«

Symeon kicherte. Er war noch zu klein, um zu begreifen, was geschehen war. Der kleine Judas hingegen wusste um den Ernst der Lage und schwieg.

»Halt«, sagte Jakob, als Ältester der Anführer von uns Kindern. »Salome, sei still.«

Die Schreie der Menschenmenge draußen wurden immer lauter. Auch andere Geräusche drangen herein. Steine wurden an die Hausmauer geworfen. Meine Mutter begann zu weinen.

»Hört auf damit!«, rief Onkel Kleopas und lief zur Tür hinaus, Josef ihm auf den Fersen.

Ich wand mich aus der Umklammerung meiner Mutter und huschte ebenfalls hinaus, noch ehe sie mich zurückhalten konnte. Ich rannte an meinem Onkel und Josef vorbei und bahnte mir einen Weg durch die Menge. Die Menschen brüllten durcheinander und ballten die Fäuste. Ich war so schnell, dass sie mich nicht einmal bemerkten, wie ein Fisch im Wasser schlängelte ich mich durch die wütende Menge, bis ich an Eleasars Haus angekommen war.

Die Frauen standen mit dem Rücken zur Tür und sahen mich nicht, als ich das Zimmer betrat. Ich ging geradewegs zu der Stelle in dem dunklen, nur von einer Lampe beleuchteten Raum, wo sie ihn auf eine Matte auf den Boden gelegt hatten. Seine Mutter kniete neben ihm und schluchzte, während sie sich auf die Schulter ihrer Schwester stützte.

Eleasar sah sehr blass aus, wie er leblos, die Arme seitlich am Körper, dalag. Er trug noch immer die schmutzige Tunika, und seine Fußsohlen waren schwarz. Sein Mund stand offen, zwischen den Lippen schimmerten weiß seine Zähne.

Der griechische Arzt – ein Jude – betrat den Raum und kniete sich neben dem Jungen nieder. Er betrachtete ihn und schüttelte dann den Kopf.

Plötzlich fiel sein Blick auf mich, und er sagte: »Raus hier!«

Eleasars Mutter drehte sich um, und als sie mich erkannte, begann sie zu schreien.

Ich beugte mich über ihn. »Wach auf, Eleasar«, sagte ich. »Wach auf.«

Ich streckte die Hand aus und legte sie ihm auf die Stirn.

Im nächsten Moment spürte ich, wie die Kraft durch meine Hand strömte, und ich schloss die Augen. Mir war schwindlig. Doch dann hörte ich, wie er atmete.

Das Geschrei seiner Mutter gellte mir in den Ohren. Auch ihre Schwester schrie, und plötzlich fielen alle Frauen in ihr Geschrei ein.

Kraftlos sackte ich zu Boden. Der griechische Arzt starrte auf mich herab. Mir war übel. Im Zimmer herrschte ein so schummriges Licht. Immer mehr Menschen kamen herein.

Eleasar setzte sich auf, und noch ehe jemand etwas unternehmen konnte, saß er auf mir und begann mich mit seinen Fäusten zu traktieren; immer wieder schlug er mir den Kopf gegen den Boden. »Sohn Davids, Sohn Davids«, höhnte er, »Sohn Davids, Sohn Davids!« Wieder schlug er mir ins Gesicht, stieß mir in die Rippen, bis sein Vater ihn um die Taille packte und hochhob.

Jede Faser meines Körpers schmerzte, und ich rang nach Atem.

»Sohn Davids!«, schrie Eleasar noch immer.

Plötzlich wurde auch ich hochgehoben und aus dem Haus getragen. Draußen herrschte noch immer dichtes Gedränge. Ich schnappte nach Luft. In meinem Kopf dröhnte es. Auf der Straße war ein einziges Geschrei, schlimmer als zuvor. Jemand sagte, dass der Gelehrte komme, und ich hörte, wie Onkel Kleopas Jonathan, Eleasars Vater, auf Griechisch etwas zurief, woraufhin Jonathan zurückbrüllte: »Sohn Davids, Sohn Davids!«

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Josef mich auf den Armen trug und sich mühsam einen Weg durch die Menge zu bahnen versuchte, doch die aufgebrachten Menschen ließen ihn nicht durch. Kleopas schubste Eleasars Vater zur Seite, woraufhin der sich auf Kleopas stürzen wollte, doch ein paar Männer packten ihn an den Armen und hielten ihn fest. Aus dem Haus heraus konnte ich noch immer Eleasar toben hören.

Da erhob der Gelehrte seine Stimme: »Das Kind ist ja gar nicht tot, also seid endlich ruhig! Wer hat behauptet, dass es tot sei? Eleasar, hör jetzt sofort mit deinem Gekreische auf! Wer ist nur auf die Idee gekommen, dass das Kind tot ist?«

»Er war tot, aber der hier hat ihn ins Leben zurückgeholt«, sagte einer der Männer.

Inzwischen waren wir in unserem Hof angekommen, und ich hatte das Gefühl, als hätte sich die gesamte Menge hinter uns hereingedrängt. Noch immer schrien mein Onkel und Eleasars Leute einander an, während der Gelehrte zur Ruhe mahnte.

Auch meine Onkel Alphäus und Simon kamen nun hinzu. Josefs Brüder waren eben erst aus ihrem Mittagsschlaf erwacht. Beide hoben beschwichtigend die Hände, um die Menge zu beruhigen.

Hinter ihnen sah ich meine Tanten Salome, Esther und Maria, und meine Cousins und Cousinen sprangen aufgeregt umher, als handelte es sich um ein ausgelassenes Fest. Nur Silas und Levi und Jakob, die Größeren, standen schweigend bei den Männern.

Meine Mutter trat vor und löste mich aus Josefs Armen. Ich presste mein Gesicht an ihre Brust, während sie mich in das vordere Zimmer unseres Hauses trug, gefolgt von Tante Esther und Tante Salome. Dort war es dunkel, aber ich hörte, wie wieder Steine an die Mauer geworfen wurden und der Gelehrte abermals die Stimme erhob. Er sprach Griechisch.

»Du blutest ja!«, flüsterte meine Mutter. »An deinem Auge ist Blut, und dein Gesicht ist ganz geschwollen!« Sie weinte. »Oh, was hat man dir bloß angetan.« Sie sprach Aramäisch, unsere Muttersprache, die wir aber nur noch selten sprachen.

»Ich bin nicht verletzt«, sagte ich. Eigentlich hatte ich sagen wollen, dass es mir nicht wehtat. Wieder drängten sich meine Cousins um mich herum, und Salome lächelte mich an, so als wollte sie sagen, dass sie gewusst habe, dass ich Eleasar wieder zum Leben erwecken würde. Ich nahm ihre Hand und drückte sie, während Jakob mich mit einem strafenden Blick bedachte.

Josef und seine Brüder kamen ins Zimmer, gefolgt von dem Gelehrten, der, die Hände beschwichtigend erhoben, rückwärts durch die Tür trat. Jemand zog den Vorhang zur Seite, und plötzlich war es hell.

»Ihr wollt Josef, Kleopas und Alphäus von hier fortjagen?«, hörte ich den Gelehrten zu den Menschen vor unserem Haus sprechen. »Sie wohnen nun schon sieben Jahre unter uns, was fällt euch denn plötzlich ein?«

Der Gelehrte bemühte sich, Eleasars Verwandte aufzuhalten, die sich an ihm vorbei ins Haus drängen wollten, doch Eleasars Vater gelang es dennoch, an ihm vorbei hereinzuschlüpfen.

»Ja, sieben Jahre sind sie schon hier, es ist also höchste Zeit, dass sie wieder zurück nach Galiläa gehen, wo sie herkommen!«, rief Eleasars Vater. »Sieben Jahre sind viel zu lang. Der Junge ist von einem Dämon besessen, und ich sage dir, dass mein Sohn tot war!«

»Beschwerst du dich jetzt, dass er am Leben ist? Was ist nur in dich gefahren?«, fragte Onkel Kleopas.

»Mir scheint, du bist übergeschnappt«, fügte Onkel Alphäus hinzu.

Und so ging es hin und her, sie schrien sich an und schwenkten die Fäuste, während die Frauen dazu nickten und sich gegenseitig böse Blicke zuwarfen.

»Oh, wie könnt ihr nur so etwas sagen!«, rief der Gelehrte, und er betonte jedes einzelne Wort, ganz so wie während des Unterrichts. »Jesus und Jakob sind meine besten Schüler. Und diese Männer hier sind eure Nachbarn: Was ist geschehen, was hat euch nur so gegen sie aufgebracht? Wenn ihr euch selbst reden hören könntet!«

»Oh, deine besten Schüler, soso!«, höhnte Eleasars Vater. »Aber wir müssen hart arbeiten, und für uns gibt es Wichtigeres im Leben, als ein guter Schüler zu sein!« Immer mehr von seiner Sippe drängten jetzt herein.

Meine Mutter wich an die Wand zurück, mich noch immer in den Armen haltend. Ich wäre am liebsten hinausgerannt, aber ich konnte sie nicht allein lassen, sie fürchtete sich zu sehr.

»Ja, um die Arbeit geht es, genau!«, rief Onkel Kleopas. »Ihr seid also der Meinung, dass wir hier nicht leben dürfen, hm? Und warum wollt ihr uns von hier fortjagen? Ich sage es euch: Weil wir von allen Zimmerleuten die meisten Aufträge haben. Und warum ist das so? Weil wir die beste Arbeit abliefern und die Leute damit zufrieden sind …«

Josef unterbrach den Redefluss seines Schwagers, indem er die Hand hob und brüllte: »Ruhe!«

Mit einem Mal schwiegen alle.

Nie zuvor hatte ich es erlebt, dass Josef seine Stimme erhob.

»Schämt ihr euch nicht vor dem Herrn, euch so zu streiten?«, sagte Josef. »Mein Haus so zu entehren!«

Niemand erwiderte etwas. Alle starrten ihn an. Auch der Gelehrte schwieg.

»Beruhigt euch: Eleasar ist am Leben«, fuhr Josef fort, »und außerdem werden wir nach Galiläa zurückkehren.«

Noch immer schwiegen alle.

»Wir werden ins Heilige Land aufbrechen, sobald wir die begonnenen Arbeiten hier beendet haben. Und alle anderen Aufträge, die wir bis zu unserer Abreise bekommen sollten, werden wir an euch weiterreichen, sofern ihr dies wünscht.«

Eleasars Vater breitete mit einem Schulterzucken die Arme aus. Schließlich nickte er, senkte den Kopf und wandte sich zum Gehen. Eleasar, der ebenfalls ins Zimmer gekommen war, starrte mich zornig an, um dann wie alle anderen seinem Vater zu folgen.

Als sie den Hof verlassen hatten, zog Maria, die ägyptische Frau von Kleopas, den Vorhang halb vor. Meine Mutter wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen. Noch immer hielt sie mich in ihren zitternden Armen.

Jetzt waren nur noch unsere Familie und der Gelehrte im Zimmer. Mit einem Stirnrunzeln sah er zu Josef, ehe er sagte: »Ihr wollt also in eure Heimat zurückkehren? Und meine besten Schüler mit euch fortnehmen? Allen voran Jesus? Und was erwartet euch dort, wenn ich fragen darf? Im Land, wo Milch und Honig fließen?«

»Machst du dich über unsere Vorfahren lustig?«, fragte Onkel Kleopas.

»Oder gar über Gott den Herrn?«, fügte Onkel Alphäus hinzu, der ebenso gut Griechisch sprach wie der Gelehrte.

»Ich mache mich über niemanden lustig«, sagte der Gelehrte und sah mich an, »aber ich wundere mich nur, dass ihr Ägypten so mir nichts, dir nichts den Rücken kehren wollt, wegen einer lächerlichen kleinen Auseinandersetzung.«

»Der Tumult gerade eben hat nichts mit unserer Entscheidung zu tun«, erklärte Josef.

»Warum wollt ihr dann gehen? Jesus macht sich so gut hier. Philon ist äußerst zufrieden mit seinen Fortschritten, ebenso mit Jakob, der ein sehr begabter Schüler ist…«

»Ja, ja, aber das hier ist nicht Israel, nicht wahr?«, fiel Kleopas ihm ins Wort. »Es ist nicht unser Zuhause.«

»Außerdem bringst du ihnen Griechisch bei, lehrst sie die Schrift in Griechisch!«, sagte Alphäus. »Wir wollen aber, dass unsere Kinder Hebräisch lernen, die heiligen Schriften auf Hebräisch studieren. Doch nicht nur, dass ihr Lehrer nur Griechisch sprecht, sondern von allen Schriften lehrt ihr sie nur die Thora. Wir wissen wohl zu schätzen, was für einen großen Gelehrten wir mit Philon haben – außerdem hat er uns Zimmerleuten viel Arbeit an seinem Haus gegeben. Und auch den anderen Lehrern sind wir dankbar, ja, aber keiner von ihnen spricht Hebräisch, und deshalb lesen unsere Jungen die Schriften nur auf Griechisch …«

»Die ganze Welt spricht inzwischen Griechisch!«, entgegnete der Gelehrte. »In allen Städten des Imperiums sprechen die Juden Griechisch und lehrt man die Schriften auf Griechisch …«

»In Jerusalem aber nicht!«, erwiderte Alphäus.

»In Galiläa werden die heiligen Schriften auf Hebräisch gelehrt«, sagte Kleopas. »Und ihr, die ihr nicht einmal Hebräisch sprecht, wollt Schriftgelehrte sein!«

»Oh, ich bin eure ewigen Vorwürfe so leid. Warum, so frage ich mich, verschwende ich meine Zeit mit euch, wo ihr doch in Kürze mit euren Jungen in euer schmutziges kleines Dorf zurückgehen werdet! Und dafür kehrt ihr Alexandria den Rücken!«

»Ja«, sagte Onkel Kleopas, »aber der Ort, wo unser Elternhaus steht, ist kein schmutziges kleines Dorf, lass dir das gesagt sein.« Dann stimmte er den Psalm an, den er am meisten liebte: »›Der Herr behüte dich, wenn du fortgehst und wiederkommst, von nun an bis in Ewigkeit‹«, beendete er seinen Gesang. »Und, kennst du die Bedeutung dieser Worte?«, fragte er, an den Gelehrten gewandt.

»Und kennst du selbst die Bedeutung des Psalms?«, erwiderte scharf der Gelehrte. »Ich würde gern deine Auslegung des Psalms hören. Ihr wisst nur das, was der Schriftgelehrte euch in eurer Synagoge gelehrt hat, mehr nicht. Und wenn ihr genug Griechisch hier gelernt habt, um so mit mir zu streiten, desto besser für euch. Aber was wisst ihr denn schon, ihr engstirnigen galiläischen Juden? Ihr seid nach Ägypten geflohen und sieben Jahre lang hiergeblieben, um unser Land so engstirnig zu verlassen, wie ihr es betreten habt.«

Der Gelehrte sah mich an, und ich spürte, wie meine Mutter immer nervöser wurde.

»Und dieses Kind hier, dieses hochbegabte Kind wollt ihr also mit euch nehmen …«

»Was sollten wir deiner Meinung nach tun?«, fragte Alphäus.

»O nein, frag bitte nicht so was!«, flüsterte meine Mutter. Es war recht ungewöhnlich für sie, das Wort zu ergreifen.

Josef warf ihr einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder an den Gelehrten wandte.

»Es ist immer das Gleiche«, sagte der und seufzte tief. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, flüchtet man nach Ägypten, und hier nimmt man bereitwillig den Abschaum Palästinas auf …«

»Den Abschaum!«, rief Kleopas entrüstet. »Du nennst unsere Vorväter Abschaum?«

»Nur weil sie kein Griechisch gesprochen haben«, warf Alphäus ein.

Kleopas lachte. »Und der Herr im Sinai – sprach der damals vielleicht Griechisch?«

Onkel Simon sagte in ruhigem, spöttischem Ton: »Und der Hohepriester in Jerusalem versäumt es wahrscheinlich ebenfalls, all unsere Sünden auf Griechisch zu benennen, wenn er eine Ziege opfert.«

Alle lachten auf seine Bemerkung hin, auch die älteren Jungen und Tante Maria. Sogar Josef lächelte. Nur meine Mutter weinte noch leise vor sich hin, weshalb ich beschloss, an ihrer Seite zu bleiben.

Der Gelehrte fuhr wütend fort, wo er unterbrochen worden war: »… gibt es eine Hungersnot, kommt man eben nach Ägypten, gibt es keine Arbeit in Palästina, kommt man nach Ägypten, beschließt Herodes seinen mörderischen Feldzug gegen alle neugeborenen Jungen, flieht man nach Ägypten, so als hätte König Herodes auch nur das geringste Interesse am Schicksal einer Handvoll galiläischer Juden wie euch …«

»Hör auf!«, sagte Josef.

Alle starrten den Gelehrten an, der jetzt schweigend dastand. Was hatte der Gelehrte gesagt? Ein mörderischer Feldzug. Was meinte er damit?

»Oh, denkt ihr etwa, dass die Leute über diese Dinge nicht reden würden?«, fragte der Gelehrte. »Und ich höre den Erzählungen der Reisenden sehr gut zu.«

In seinem typisch sanften, ruhigen Ton ergriff Josef wieder das Wort: »Der Herr hat uns Geduld gelehrt, aber ich bin mit meiner Geduld am Ende. Wir werden nach Hause zurückkehren, wo wir hingehören …« Er sah den Gelehrten eindringlich an, ehe er fortfuhr: »… und weil es das Land Gottes ist. Und Herodes ist tot.«

Der Gelehrte machte ein verblüfftes Gesicht, so wie alle anderen auch. Ich sah, wie die Frauen einander einen verwunderten Blick zuwarfen.

Auch wir Kinder wussten, dass Herodes der König des Heiligen Landes und ein böser Mann war. Vor nicht langer Zeit hatte er einen Tempel entweiht, wie wir den Gesprächen der Erwachsenen entnehmen konnten, aber mehr wussten wir darüber nicht.

Der Gelehrte sah Josef stirnrunzelnd an. »Josef, wie redest du über den König?«

»Er ist tot«, wiederholte Josef. »In zwei Tagen, wenn die römische Post eintrifft, wird sich die Kunde verbreiten.«

»Woher weißt du das?«, fragte der Gelehrte und musterte Josef mit kaltem Blick.

Statt die Frage zu beantworten, sagte Josef: »Es wird eine Weile dauern, bis wir die Vorkehrungen für unsere Reise getroffen haben. Die Jungen werden uns dabei helfen müssen. Für den Unterricht wird also keine Zeit mehr bleiben, fürchte ich.«

»Und was ist mit Philon? Was wird er davon halten, wenn er hört, dass ihr Jesus mit euch nehmen wollt?«

»Was geht Philon mein Sohn an?«, sagte meine Mutter.

Alle blickten erschrocken zu ihr.

Mir war klar, dass der Gelehrte ein heikles Thema angesprochen hatte. Vor einiger Zeit hatte er mich zu Philon gebracht, dem großen Gelehrten, einem reichen Mann. Er stellte mich ihm als besonders guten Schüler vor, und Philon fasste sofort Zuneigung zu mir. Er hatte mich sogar zur Großen Synagoge mitgenommen, einem mächtigen, wunderschönen Gebäude, wo sich die reichen Juden der Stadt am Sabbat versammelten, einen Ort, den unsere Familie mied. Unsereins ging in das kleine Gebetshaus in unserer Straße.

Kurz nach unserem Ausflug zur Synagoge hatte Philon unseren Männern reichlich Arbeit in seinem Haus gegeben – hölzerne Türen, Bänke und Regale für seine neue Bibliothek mussten gezimmert werden. Es dauerte nicht lang, und auch seine Freunde beauftragten unsere Zimmerleute mit Arbeiten, die sie gut bezahlten.

Philon hatte mich immer wie einen Gast behandelt, wenn ich bei ihm war.

Und auch heute Morgen, als wir die Türen eingesetzt und die bemalten Bänke in sein Haus gebracht hatten, war Philon zu uns gekommen und hatte sich die Zeit genommen, um sich gegenüber Josef lobend über mich zu äußern.

Aber dass der Gelehrte jetzt zur Sprache bringen musste, dass Philon einen Narren an mir gefressen hatte, war nicht richtig, wie ich fand. Den Männern war es peinlich, denn sie hatten hart für Philon und dessen Freunde gearbeitet.

Der Gelehrte hatte die Frage meiner Mutter nicht beantwortet, also nahm Josef den Faden wieder auf und sagte: »Warum sollte Philon erstaunt sein zu hören, dass wir unseren Sohn mit nach Nazareth nehmen?«

»Nazareth?«, wiederholte der Gelehrte mit kühler Stimme. »Wo um Himmels willen ist Nazareth? Ich habe noch nie von einem solchen Ort gehört. Ihr seid doch aus Bethlehem hierhergekommen, soweit ich es euren schrecklichen Geschichten entnehmen konnte. Warum Philon das Schicksal eures Sohnes kümmert? Philon ist der Überzeugung, dass Jesus der vielversprechendste Schüler ist, dem er j e begegnete. Er würde sich seiner Erziehung annehmen, wenn ihr es erlaubt. Deshalb geht euer Sohn Philon etwas an. Philon würde …«

»Philon hat mit unserem Sohn nichts zu tun«, sagte meine Mutter und verblüffte erneut alle Umstehenden, weil sie dem großen Lehrer einfach ins Wort fiel, während ihre Hände meine Schultern fest umklammerten.

Also sollte ich nie mehr das vornehme Haus betreten mit seinen marmornen Böden und der Bibliothek mit den zahllosen Pergamentrollen?, dachte ich. Dem Geruch nach Tinte. Schluss mit Griechisch, neben Latein Amtssprache des Imperiums. In Gedanken sah ich sie vor mir, die Karte des Imperiums. Siehst du?, hatte Philon zu mir gesagt. »Halte die Karte an der einen Ecke fest, so. Und nun schau: über all diese Gebiete herrscht Rom. Hier ist Rom, hier Alexandria und hier Jerusalem. Und sieh, hier sind Antiochia, Damaskus, Korinth, Ephesus. Und in all diesen großen Städten leben Juden, die Griechisch sprechen, und wird die Thora in Griechisch gelehrt. Aber es gibt keine andere Stadt, abgesehen von Rom, die so bedeutend ist wie Alexandria.«

Ich verscheuchte die Erinnerung, als ich Jakobs Blick spürte und mir bewusst wurde, dass der Gelehrte mit mir sprach: »… aber du magst Philon doch, nicht wahr? Es hat dir gefallen, seine Fragen zu beantworten. Du warst fasziniert von seiner Bibliothek.«

»Jesus wird mit uns kommen«, sagte Josef ruhig, aber bestimmt. »Bis zu unserer Abreise wird er nicht mehr zu Philon gehen.«

Der Gelehrte starrte mich noch immer an. Verständnislos. Und ich konnte seine Enttäuschung verstehen.

»Jesus, sag du etwas!«, forderte er mich auf. »Du willst doch von Philon unterrichtet werden, oder nicht?«

»Mein Herr, ich werde tun, wie mein Vater und meine Mutter bestimmen.« Ich zuckte die Achseln. Was blieb mir anderes übrig?

Der Gelehrte schlug die Hände zusammen. »Wann werdet ihr abreisen?«, fragte er Josef.

»So bald wie möglich. Aber zuerst müssen wir die begonnene Arbeit beenden.«

»Ich werde Philon benachrichtigen, dass ihr die Stadt verlassen und Jesus mitnehmen werdet«, sagte der Gelehrte und wandte sich zum Gehen.

»Du sollst wissen, dass wir uns in Ägypten wohlgefühlt haben«, sagte Josef. Der Gelehrte drehte sich zu ihm um.

Josef nahm ein paar Münzen aus seiner Tasche und legte sie ihm in die Hand. »Danke dafür, dass du unsere Kinder unterrichtet hast.«

»Ja, ja, und deshalb nehmt ihr sie jetzt mit nach … wie heißt der Ort noch mal? Josef, bedenke doch, dass mehr Juden in Alexandria leben als in Jerusalem.«

»Das mag wohl sein, Lehrer«, sagte Kleopas, »aber Gott der Herr wohnt im Tempel von Jerusalem, im Heiligen Land.«

Mit dieser Bemerkung entspannte sich die Stimmung im Zimmer, die Männer lachten, und alle sahen sich erleichtert an.

Darauf wusste der Gelehrte nichts mehr zu sagen, er nickte nur.

»Und wenn wir die begonnenen Arbeiten rasch fertigstellen«, sagte Josef mit einem Seufzen, »dann können wir rechtzeitig zum Paschafest in Jerusalem sein.«

Als wir das hörten, brachen wir in Jubel aus: Jerusalem. Paschafest. Plötzlich redeten alle durcheinander. Salome klatschte in die Hände.

Der Gelehrte neigte zum Abschied den Kopf und legte zwei Finger an die Lippen, ehe er uns segnete: »Möge der Herr auf eurer Reise bei euch sein. Möget ihr in Frieden in eurer Heimat eintreffen.«

Dann ging er.

Plötzlich redeten wir alle wieder in unserer Muttersprache Aramäisch. Es war das erste Mal an diesem Nachmittag.

Meine Mutter wollte sich wieder um die Schürfwunden und Prellungen in meinem Gesicht kümmern. »Aber sieh nur, alles ist schon wieder verheilt«, flüsterte sie erstaunt.

»Es war ja nichts Schlimmes«, sagte ich beschwichtigend. Ich war so glücklich, dass wir endlich in unsere Heimat zurückkehren würden.

Kapitel 2

An jenem Abend, als die Männer nach dem Abendessen auf ihren Matten im Hof eingedöst waren, kam Philon zu uns. Er setzte sich im Schneidersitz zu Josef auf den Boden, um mit ihm einen Becher Wein zu trinken. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass er dabei sein weißes Leinen schmutzig machte. Ich rückte ein Stück näher, um alles mitzubekommen, was sie zu bereden hatten, aber meine Mutter nahm mich am Arm und führte mich ins Haus.

Doch dort stellte sie sich hinter den Vorhang ans Fenster, gemeinsam mit Tante Salome und Tante Esther, und mich ließen sie ebenfalls lauschen.

Philon erklärte Josef, dass er mich bei sich aufnehmen und erziehen wolle und dann, wenn meine Ausbildung abgeschlossen wäre, mich als jungen Mann zu meiner Familie zurückschicken würde. Josef ließ ihn in Ruhe seinen Vorschlag unterbreiten, doch als Philon geendet hatte, lehnte er dennoch ab. Er, Josef, sei mein Vater, so sagte er, und deshalb könne er mich nicht in Alexandria zurücklassen, sondern müsse mich nach Nazareth mitnehmen. Er wisse einfach, dass dies das Richtige sei. Er dankte Philon, goss ihm Wein nach und versprach, dafür zu sorgen, dass ich als guter Jude erzogen würde.

»Vergessen Sie nicht, mein Herr«, sagte er auf seine gewohnte höfliche Art, »dass alle Juden auf der ganzen Welt am Sabbat zu Gelehrten und Philosophen werden. Auch in Nazareth ist das so, glauben Sie mir.«

Philon schien diese Antwort zufriedenzustellen, denn er nickte und lächelte.

»Morgens wird er die Schule besuchen, so wie alle Jungen«, fuhr Josef fort. »Und wir werden über die Gesetze und die Propheten sprechen. Außerdem werden wir an den Festtagen nach Jerusalem gehen, wo er den Schriftgelehrten im Tempel zuhören kann.«

Als Philon ihm ein Geschenk in die Hand legen wollte, eine kleine Geldbörse, deren Inhalt für meine Erziehung bestimmt sei, wehrte Josef ab.

Danach plauderte Philon noch über allerlei mit Josef, über die Stadt, die Arbeit, die er und seine Männer geleistet hatten, und über das Imperium. Schließlich fragte Philon, warum Josef so sicher sei, dass Herodes tot war.

»Die Nachricht wird sich mit Ankunft der römischen Post verbreiten«, sagte Josef abermals. »Was mich betrifft, so weiß ich es durch einen Traum, mein Herr. Und für uns bedeutet diese Neuigkeit, dass wir nach Hause zurückkehren können.«

Meine Onkel, die inzwischen aufgewacht und sich aufgesetzt hatten, um dem Gespräch der beiden Männer in Ruhe zu lauschen, mischten sich nun in die Unterhaltung ein. Sie betonten, wie froh sie über den Tod des verhassten Königs seien.

Wieder kamen mir die seltsamen Worte des Gelehrten in den Sinn, der von einem blutigen Feldzug des Herodes gesprochen hatte, aber als ich die Männer bat, mir mehr darüber zu erzählen, wiegelten sie ab.

Schließlich war es für Philon Zeit zum Gehen. Er erhob sich und machte sich nicht einmal die Mühe, sich den Staub von dem weißen Leinen zu klopfen. Überschwänglich bedankte er sich bei Josef für den guten Wein und wünschte uns allen viel Glück.

Ich rannte hinter ihm her, um ihn ein Stück des Wegs zu begleiten. Draußen vor unserem Haus warteten zwei Sklaven auf Philon, die ihm mit Fackeln den Weg erleuchteten. Noch nie hatte ich die Straße der Zimmerleute um diese Zeit in so hellem Licht gesehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie die Leute, die die kühle Meeresbrise in den Vorhöfen ihrer Häuser genossen, uns beobachteten.

Philon ermahnte mich, Ägypten in guter Erinnerung zu behalten und mir die Karte des Imperiums gut einzuprägen.

»Aber warum kehren nicht alle Juden nach Israel zurück?«, wollte ich von ihm wissen. »Sollten wir Juden nicht in dem Land leben, das der Herr uns gegeben hat?«

Philon überlegte einen Moment, ehe er sagte: »Ein Jude kann überall auf der Welt leben und dennoch ein Jude sein. Wir haben die Thora, die Propheten, unsere Traditionen. Wo immer wir auch sind, leben wir als Juden. Und tragen wir nicht das Wort des einzig wahren Gottes überall bei uns, egal wo wir hingehen? Versuchen wir nicht, Gottes Wort auch unter den Heiden zu verbreiten? Nein, überall auf der Welt können wir leben. Ich beispielsweise lebe hier in Alexandria, weil mein Vater und vor ihm sein Vater hier gelebt haben. Und du gehst in das Land deiner Väter zurück, weil dein Vater es so will.«

Mein Vater.

Ein Schauer überlief mich.

Ich nickte.

»Vergiss mich nicht«, sagte Philon.

Ich küsste ihm die Hände, und er beugte sich zu mir herab und küsste mich auf beide Wangen.

Ich stellte mir vor, wie er nach Hause ging, wo ihn ein feines Abendessen erwartete, in seinem Haus mit den marmornen Fußböden, den zahlreichen Lampen, den Vorhängen aus dickem, kostbarem Stoff und den weitläufigen Räumen im zweiten Stock, die zum Meer hinaus lagen.

Schließlich drehte er sich nochmals um und winkte mir zum Abschied zu, ehe er und seine Diener mit ihren Fackeln in der Dunkelheit verschwanden.

Ein Gefühl der Traurigkeit überkam mich, einen Augenblick nur, doch lang genug, um diesen Moment nie mehr zu vergessen. Aber ich war zu aufgeregt angesichts der Aussicht, bald in das Heilige Land aufzubrechen, um mich von Traurigkeit überwältigen zu lassen.

Als ich wieder in unserem Hof ankam, hörte ich meine Mutter weinen. Sie saß neben Josef.

»Aber ich verstehe nicht, warum wir nicht in Bethlehem wohnen können«, sagte sie. »Ich dachte, wir wollten dorthin zurückkehren.«

Nach Bethlehem, wo ich geboren wurde.

»Niemals«, erwiderte Josef. »Daran ist nicht einmal zu denken.« Er sprach in liebevollem Ton mit ihr, so wie immer. »Wie kommst du nur auf die Idee, dass wir je nach Bethlehem zurückkehren würden?«

»Die ganze Zeit über hatte ich das gehofft«, stieß meine Mutter hervor. »Es ist doch nun schon sieben Jahre her, und die Menschen vergessen rasch, sofern sie es tatsächlich je verstanden haben …«

Onkel Kleopas, der mit angezogenen Knien auf dem Rücken lag, lachte leise, so wie er es oft tat. Onkel Alphäus dagegen saß schweigend da und schien in den Anblick der Sterne versunken. In der Tür stand Jakob und blickte ebenfalls in den Sternenhimmel.

»Denk doch an all die Zeichen, die uns zuteilwurden«, sagte meine Mutter. »Ruf dir die Nacht ins Gedächtnis, als die Weisen aus dem Morgenland kamen. Allein das schon …«

»Genau darum geht es«, sagte Josef. »Glaubst du, dass die Leute dort das wirklich vergessen haben? Wir können nie wieder zurück.«

Kleopas lachte abermals. Weder Josef noch meine Mutter beachteten ihn.

Josef legte ihr einen Arm um die Schultern. »Sie werden sich auch an den Stern erinnern, der den Hirten den Weg gewiesen hat. Sie werden sich an die Weisen aus dem Morgenland erinnern. Und vor allem werden sie die Nacht im Gedächtnis behalten haben, als …«

»Bitte sprich es nicht aus«, flehte meine Mutter ihn an und bedeckte sich mit den Händen die Ohren. »Ich will es nicht hören.«

»Begreifst du nun, dass wir ihn nicht nach Bethlehem mitnehmen können? Wir werden nach Nazareth gehen. Im Übrigen …«

»Von welchem Stern redet ihr? Und wer sind diese Weisen aus dem Morgenland?« Ich konnte meine Fragen nicht länger zurückhalten. »Was ist geschehen?«

Wieder lachte Onkel Kleopas leise in sich hinein.

Meine Mutter sah mich erstaunt an; sie hatte nicht bemerkt, dass ich zurückgekommen war. »Mach dir keine Sorgen deswegen«, sagte sie.

»Was ist in Bethlehem geschehen?«, wollte ich wissen.

Josef sah mich an.

»Unser Haus steht in Nazareth«, sagte meine Mutter, und ihre Stimme klang mit einem Mal fester. »In Nazareth hast du mehr Cousins, als du zählen kannst. Die alte Sarah wartet sehnsüchtig auf uns und der alte Justus, unsere gemeinsamen Verwandten. Du siehst also, dass wir zu unserer Familie zurückkehren.« Sie stand auf und bedeutete mir, zu ihr zu kommen.

»Ja«, sagte Josef, »wir werden so bald wie möglich aufbrechen.«

Meine Mutter nahm mich bei der Hand und führte mich nach drinnen.

»Was waren das für Männer aus dem Morgenland, Mama?«, fragte ich. »Warum sagst du es mir nicht?«

Mein Onkel ließ wieder sein leises Lachen vernehmen.

Selbst in der Dunkelheit konnte ich den seltsamen Ausdruck auf Josefs Gesicht erkennen.

»Irgendwann werde ich dir alles erzählen«, sagte meine Mutter. Die Spuren ihrer Tränen waren weggewischt, jetzt war sie wieder die starke Mutter, wie ich sie kannte – nicht schwach und schutzbedürftig wie ein Kind, wie sie mir draußen im Hof erschienen war. »Noch ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Nicht jetzt. Ich werde es dir erzählen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.«

»Deine Mutter hat recht«, sagte Josef. »Und ich will nicht, dass du sie wieder mit deinen Fragen bedrängst, hast du verstanden?«

Die beiden sprachen zwar in sanftem Ton mit mir, aber ihre Worte waren mir ein Rätsel.

Ich hätte sie weiterreden lassen sollen, statt mit meiner Frage herauszuplatzen, dann hätte ich womöglich mehr erfahren. Denn ich wusste, dass sie ein großes Geheimnis vor mir verbargen.

Unruhig wälzte ich mich auf meiner Decke hin und her, ohne dass der Schlaf kam. Und ich wollte auch gar nicht schlafen. Meine Gedanken überschlugen sich. Erst eröffneten mir meine Eltern, dass wir nach Hause zurückkehren würden, und dann sprachen sie in Rätseln – es gab so viel, worüber ich nachdenken musste.

Überhaupt lag ein merkwürdiger Tag hinter mir. Was war nur mit Eleasar geschehen? Und was hatte es mit der Geschichte mit den Spatzen aus Lehm auf sich? Beide Ereignisse saßen wie vom Licht umrissene Schatten in meiner Erinnerung, aber ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Nie zuvor hatte ich etwas Vergleichbares gespürt wie in dem Moment, als diese Kraft aus meinem Körper strömte und Eleasar leblos auf die staubige Erde fiel. Sohn Davids, Sohn Davids, Sohn Davids… Nach und nach kamen alle herein, um sich schlafen zu legen, Frauen auf die eine Seite, die Männer auf die andere. Der kleine Justus, Simons Sohn, kuschelte sich an mich. Salome sang Esther leise ein Wiegenlied vor – und das schien das Kleinkind zu beruhigen, denn oft schrie es um diese Zeit.

Kleopas hustete, murmelte etwas im Schlaf und drehte sich um.

Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner und schlug die Augen auf. Es war Jakob, mein ältester Bruder, der neben mir lag.

»Was hast du getan?«, flüsterte er.

»Was denn?«

»Wie hast du das gemacht: Eleasar zuerst zu töten und ihn dann wieder zum Leben zu erwecken?«

»Ich weiß nicht.«

»Tu das nie mehr wieder, hörst du?«

Ich schwieg.

»Nazareth ist ein kleiner Ort«, fuhr er fort.

»Ich weiß.«

Er drehte sich auf die andere Seite.

Auch ich rollte mich auf die Seite, den Kopf auf dem ausgestreckten Arm, und schloss die Augen. Ich streichelte dem kleinen Justus über das Haar. Ohne aufzuwachen, schmiegte er sich an mich.

Was wusste ich schon?

»Jerusalem«, flüsterte ich. »Wo der Herr im Tempel wohnt.« Philon hatte mir erzählt, dass es der größte Tempel auf der Welt sei. Die Spatzen, die ich aus Lehm geformt hatte, schoben sich vor mein inneres Auge, und ich sah, wie sie plötzlich lebendig wurden, hörte das Schlagen der Flügel, vernahm den schweren Atem meiner Mutter und hörte Josef schreien: »Nein!«, doch schon waren sie davongeflogen, nunmehr winzige Punkte am Himmel. »Jerusalem.« Dann sah ich, wie Eleasar sich von seiner Matte erhob.

Am Morgen, als ich Philon in seinem Haus besucht hatte, erzählte er mir, dass der Tempel so schön sei, dass er Tausende von Menschen täglich anzog, die ihn sehen wollten, sowohl Heiden als auch Juden, Menschen aus allen möglichen Städten des Imperiums, Männer und Frauen, welche die weite Reise auf sich nahmen, als Opfer für Gott den Herrn.

Mit einem Mal sperrte ich die Augen weit auf. Mir war, als hätte ich etwas gehört. Doch alle um mich herum schliefen.

Wieder wanderten meine Gedanken zu den seltsamen Vorfällen der vergangenen Tage. Wo war die Kraft hergekommen, die aus mir herausströmte? Wo war sie jetzt? War sie wieder in mich zurückgeflossen?

Josef verlor mir gegenüber nicht ein Wort darüber. Auch meine Mutter hatte mich nicht gefragt, was vorgegangen war. Und die Spatzen – keiner von ihnen hatte die Sache mit den Spatzen erwähnt, die ich am Sabbat aus Lehm geformt hatte.

Nein. Niemand sprach über diese Dinge. Und ich durfte keine Fragen mehr stellen. Außerhalb der Familie konnte ich erst recht mit niemand darüber reden. Ebenso wenig wie ich in Alexandria bleiben und weiterhin von dem großen Philon unterrichtet werden konnte.

Von nun an musste ich sehr vorsichtig sein, selbst bei Kleinigkeiten achtgeben, dass ich diese Kraft in mir nicht missbrauchte, eine Kraft, die den Tod eines Jungen bewirken, ihn aber auch wieder zum Leben erwecken konnte.

Oh, solange ich nur alle in Erstaunen versetzte, weil ich so rasch lernte – Philon und den Lehrer und die anderen Schüler –, war es noch in Ordnung gewesen. Ich kannte die Schriften nicht nur auf Griechisch, sondern dank Josef und meinen Onkeln Kleopas und Alphäus auch auf Hebräisch, doch das war etwas anderes.

Aber jetzt wusste ich etwas, das ich nicht in Worte fassen konnte.

Am liebsten wäre ich zu Josef gegangen, hätte ihn aufgeweckt und gebeten, mir zu erklären, was mit mir los war. Doch er selbst hatte mir gesagt, dass ich keine weiteren Fragen stellen dürfe. Und ich wusste, dass diese Kraft mit den geheimnisvollen Dingen zusammenhing, über die meine Eltern am Abend im Hof gesprochen hatten. Und dann waren da noch die seltsamen Worte des Lehrers gewesen, die sie alle verstummen und ihn anstarren ließen.

Traurigkeit überkam mich, eine tiefe Traurigkeit, und ich hätte am liebsten geweint. Es war meine Schuld, dass wir von hier fortmussten. Und auch wenn alle froh darüber schienen, fühlte ich mich schuldig.

Über all das durfte ich jedoch nicht reden, sondern musste es für mich behalten. Eines Tages, das wusste ich, würde ich herausfinden, was damals in Bethlehem geschah, auch wenn ich meine Fragen vorerst für mich behalten musste.

Immer noch ließ mich das Geheimnis, das in mir wohnte, nicht los. Was war das tief in meinem Innern? Was auch immer es war, ich durfte nicht zeigen, wer ich wirklich war.

Plötzlich war mir kalt, und ich fühlte mich einsam. Ich zog die Decke enger um mich. Müdigkeit überkam mich. Als hätte mich ein Engel berührt.

Ich sollte jetzt besser schlafen, wie alle anderen auch. Vertrauen haben wie die anderen. Ich wehrte mich nicht länger gegen die Müdigkeit und hörte auf, meine Gedanken kreisen zu lassen.

Während ich langsam in den Schlaf hinüberglitt, vernahm ich Kleopas husten. Er wurde wieder krank, wie so oft. Doch als ich jetzt seinen rasselnden Atem hörte, wusste ich, dass es schlimmer war als sonst.

Kapitel 3

Tatsächlich traf in den nächsten Tagen das Postschiff mit der Nachricht ein, dass Herodes gestorben sei. Überall sprachen die Galiläer und Judäer nur noch über diese Neuigkeit. Wie hatte Josef dies nur wissen können? Der Gelehrte kam erneut zu uns, um Josef danach zu fragen, aber der schwieg sich darüber aus.

Wir hatten alle Hände voll zu tun, die Arbeiten zu beenden, die wir begonnen hatten – Türen, Bänke, Fenster- und Türstürze. Die Teile wurden gezimmert, dann von den Malern gestrichen, und schließlich kam der Teil der Arbeit, den ich am meisten liebte: Sie wurden auf einen Karren geladen, in die Häuser der Auftraggeber gebracht und dort eingesetzt. So kam ich in verschiedene Häuser, lernte zahlreiche Menschen kennen. Zwar hielten wir stets den Blick respektvoll auf unsere Arbeit gerichtet, aber dennoch bekam ich einiges von der Umgebung mit. Von all den neuen Eindrücken war ich abends, wenn wir nach Hause kamen, müde und hungrig.

Es war sehr viel mehr Arbeit, als Josef zunächst angenommen hatte, aber er wollte keinen Auftrag unbeendet lassen. In der Zwischenzeit diktierte Mutter Jakob Briefe an die alte Sarah sowie ihre Cousins, dass wir bald nach Hause zurückkehren würden. Dann brachten Jakob und ich die Briefe zur Poststelle. Es war eine Zeit, da alle in großer Aufregung waren, denn es gab so viel vorzubereiten.

In den Straßen begegneten uns die Leute wieder freundlich, nun, da sie wussten, dass wir bald wegziehen würden. Von manchen Familien bekamen wir sogar Geschenke – hier eine getöpferte Lampe, dort eine Steinguttasse und von wieder einem anderen ein Stück feines Leinen.

Es war so gut wie beschlossen, dass wir den Landweg nehmen würden – dafür sollten ein paar Esel angeschafft werden. Doch eines Nachts stand Onkel Kleopas, von einem Hustenanfall geplagt, von seinem Lager auf und verkündete: »Ich will nicht in der Wüste sterben.« In letzter Zeit war er immer blasser und dünner geworden und hatte nicht mehr viel arbeiten können. Alle schwiegen betreten.

Daraufhin beschlossen wir, dass wir mit dem Schiff reisen würden. Das würde zwar mehr kosten, aber Josef meinte, dass wir es uns leisten könnten. Nachdem Kleopas das erfahren hatte, schlief er wieder besser.

Am Tag unserer Abreise zogen alle ihre besten wollenen Kleider und Sandalen an, jeder mit so viel Gepäck beladen, wie er tragen konnte. Es war, als ob alle auf den Straßen wären, um uns zu verabschieden.

Manche Träne wurde vergossen, und sogar Eleasar nickte mir freundlich zu. Dann bahnten wir uns einen Weg durch die Menschenmenge im Hafen, die größer war, als ich je eine gesehen hatte. Meine Mutter passte auf, dass wir zusammenblieben, und ich hielt Salome fest bei der Hand, während Jakob hin und her lief, um ums zu ermahnen, einander ja nicht zu verlieren. Überall eilten Boten umher und bliesen in ihr Horn, um die Abfahrt eines Schiffes zu verkünden.

Schließlich ertönte der Aufruf für das Schiff nach Jamnia. Die Menschen um uns herum schrien durcheinander und fuchtelten wild mit den Armen.

»Pilger«, sagte Onkel Kleopas und ließ wieder sein gewohntes Lachen vernehmen. »Die ganze Welt macht sich auf den Weg nach Jerusalem.«

»Die ganze Welt!«, rief die kleine Salome aufgeregt. »Hast du das gehört?«

Ich lachte und freute mich mit ihr.

Während die Männer über unseren Köpfen wild mit den Händen gestikulierten und die Mütter die Arme nach uns Kindern ausstreckten, um uns auf den Landungssteg zu ziehen, drückten wir unsere Habseligkeiten fest an die Brust.

Noch nie im Leben war ich auf einem Schiff gewesen, und mein Herz machte einen Satz, als meine Füße die Schiffsplanken betraten. Kaum war das Gepäck abgeladen, kaum hatten die Frauen den Schleier vors Gesicht gezogen und auf irgendwelchen Kisten Platz genommen, sprangen Salome und ich schon in Richtung Reling, und Jakob warf uns einen warnenden Blick zu. Wir schlängelten uns zwischen Menschen und Waren hindurch und suchten uns einen Platz an der Reling, wo wir den Hafen überblicken konnten. Dort winkten die Wartenden, während sich immer mehr Reisende auf unser Schiff drängten, obwohl wir schon dicht an dicht standen.

Dann sahen wir, wie der Landungssteg hochgezogen wurde, die Seile wurden auf das Schiff geworfen, schließlich sprang der letzte Matrose auf das Boot, und schon wurde der Streifen Wasser zwischen uns und der Hafenmauer breiter. Danach nahm das Schiff unter den überraschten Rufen der Reisenden langsam an Fahrt auf, und wir glitten auf das offene Meer hinaus. Ich drückte die kleine Salome fest an mich, und wir freuten uns über das Gefühl, über das Wasser getragen zu werden.

Wir winkten Menschen zu, die wir gar nicht kannten, und ich spürte, dass alle an Bord in aufgeregter Stimmung waren.

Einen Moment lang glaubte ich, dass Alexandria sogleich hinter den Schiffen und Masten verschwinden würde, aber je weiter auf das Meer hinaus wir kamen, desto mehr war von der Stadt zu sehen, mehr als mein Auge je davon erblickt hatte. Plötzlich huschte ein Schatten über meine Seele, und wäre die kleine Salome neben mir nicht so glücklich gewesen, hätte ich mich womöglich dieser Stimmung überlassen.

Wind kam auf, der unser Haar flattern ließ und unsere Gesichter kühlte, und ein frischer, wunderbarer Geruch nach Meer drang uns in die Nase.

Plötzlich riefen alle durcheinander und deuteten zum großen Leuchtturm hinüber, der sich zu unserer Linken erhob. Oft hatte ich vom Ufer aus zum Leuchtturm hinausgeblickt, aber was war das im Vergleich zu dem Anblick, den er jetzt, vom Schiff aus und aus nächster Nähe bot? Hoch oben auf seiner eigenen kleinen Insel thronte er gleich einer riesigen Fackel, die sich in den Himmel erhob. Als wir daran vorüberglitten, ertönte von allen Seiten ehrfürchtiges Gemurmel, so als handelte es sich um ein Heiligtum.

Das Schiff fuhr weiter, und mit einem Mal kam es mir viel schneller vor, während das Meer auf und ab wogte. Die Frauen schrien auf vor Angst.

Das Land rückte immer mehr von uns weg, der Leuchtturm wurde kleiner, bis er schließlich ganz aus unserem Blickfeld entschwand. Ein paar Reisende stimmten Lobgesänge an.

An der Reling lichteten sich die Reihen, und als ich mich umdrehte, sah ich zum ersten Mal das riesige Segel, das sich über uns im Wind blähte. Die Matrosen zogen an den Tauen, einer machte sich an der Pinne zu schaffen. Ringsherum eilten die Menschen zu ihren Plätzen zurück, wo sie ihr Gepäck abgestellt hatten, und ich wusste, dass es auch Zeit für Salome und mich war, zu den Unseren zurückzukehren, die uns sicherlich längst vermissten.

Die Gesänge wurden lauter, bis schließlich alle in diesen Lobgesang einstimmten, auch Salome und ich. Doch der Wind war inzwischen so stark geworden, dass er unsere Worte davonzutragen schien.

Es dauerte eine Weile, bis wir unseren Weg zwischen den Gruppen von Passagieren hindurch gebahnt hatten, aber schließlich fanden wir unsere Verwandten. Obwohl der Wind an ihren Schleiern riss, versuchten meine Mutter und ihre Schwestern sich mit ihren Näharbeiten zu beschäftigen. Tante Maria sagte, dass Onkel Kleopas Fieber habe. Er hatte sich in eine Decke gewickelt und schlief.

Josef saß schweigend gegen unsere Bündel gelehnt da und starrte zum Segelmast, der sich in den blauen Himmel erhob. Währenddessen war Onkel Alphäus in ein Gespräch mit anderen Passagieren vertieft. Es ging um die Situation in Jerusalem, die sich anscheinend immer mehr zuspitzte, was immer das auch bedeuten mochte.

Jakob saß bei den Männern und hörte gespannt ihrer Unterhaltung zu. Auch mich interessierte, was sie zu sagen hatten, ich traute mich aber nicht, mich zu ihnen zu gesellen, weil ich fürchtete, dass sie dann das Thema wechseln würden. Die Männer mussten gegen den Wind anschreien und ihre Umhänge festhalten, damit sie nicht davonflogen. Während das Schiff auf und ab wogte, beugten sie sich immer in die eine oder andere Richtung.

Schließlich konnte ich meine Neugierde nicht länger im Zaum halten und ging zu ihnen. Als Salome mir folgen wollte, hielt ihre Mutter sie zurück. Ich bedeutete ihr mit einer Geste, dass ich bald wieder zurück sei.

»Und ich sage euch, dass es gefährlich ist«, warnte einer der Männer auf Griechisch. Er war ein großer Mann mit dunkler Haut und teurer Kleidung. »Ich würde nicht nach Jerusalem reisen, wenn ich an eurer Stelle wäre. Ich bin dort zu Hause, habe Frau und Kinder in der Stadt. Wenn ich nicht zurückmüsste, würde ich nicht nach Jerusalem reisen. Ich sage euch, es ist keine günstige Zeit für eine Pilgerreise.«

»Ich will aber nach Jerusalem«, sagte ein anderer Mann, der aus einfacheren Verhältnissen stammte, dessen Griechisch aber ebenso gut war. »Ich will sehen, was vor sich geht. Ich war dort, als Herodes bei lebendigem Leib Matthias und Judas verbrennen ließ, zwei der besten Schriftgelehrten, die wir je hatten.« Er nickte meinen beiden Onkeln zu. »Ich will, dass uns von Herodes Archelaus Gerechtigkeit widerfährt. Ich will, dass die Männer, die seinen Vater bei diesen Machenschaften unterstützten, dafür bestraft werden. Wir werden sehen, wie Archelaus damit umgeht.«

Ich war erstaunt. Uber Herodes hatte ich schreckliche Dinge gehört, wusste aber nichts über diesen neuen Herodes, seinen Sohn Archelaus.

»Nun, was sagt er den Menschen denn?«, fragte Onkel Alphäus. »Irgendetwas wird er ihnen doch sagen.«

Onkel Kleopas, der sich von seinem Lager im Kreis der Frauen erhoben hatte, trat zu uns. »Er tischt ihnen wahrscheinlich alle möglichen Lügen auf«, sagte er im Brustton der Überzeugung. »So lange, bis Cäsar ihn zum König ernennt, denn ohne Krönung steht seine Herrschaft auf tönernen Füßen. Also sind seine Worte ohnehin bedeutungslos.« Mein Onkel ließ sein spöttisches Lachen vernehmen.

Was die anderen Männer wohl über ihn denken mochten?, fragte ich mich.

»Natürlich ermahnt er das Volk zur Geduld«, sagte der gut gekleidete Mann. Sein Griechisch kam ihm so leicht und elegant über die Lippen wie unserem Lehrer und Philon. »Natürlich wartet er auf seine Krönung und vertröstet die Menschen. Aber das Volk glaubt seinen Botschaften nicht mehr. Das Volk ist mit seiner Geduld am Ende. Es will Taten sehen. Es will Rache. Und vielleicht bekommt es die auch.«

Meine Verwirrung wuchs.

»Ihr müsst bedenken«, sagte der einfacher gekleidete Mann in aufgebrachtem Ton, »dass Cäsar nichts von den üblen Taten wusste, die der alte Herodes begangen hat. Wie sollte er auch über alles informiert sein, was in seinem Reich vor sich geht? Ich sage euch, dass der Tag der Abrechnung von Herodes’ Verbrechen noch kommen wird.«

»Ja«, stimmte der Größere ihm zu, »aber nicht am Paschafest in Jerusalem, nicht wenn die Stadt voller Pilger aus aller Welt ist.«

»Warum nicht?«, fragte der andere. »Warum nicht, wenn die ganze Welt dort versammelt ist? Umso schneller wird Cäsar erfahren, dass Herodes Archelaus nicht Herr der Lage ist, dass er jene, die Gerechtigkeit fordern für das vergossene Blut, nicht zum Verstummen bringen kann.«

»Aber warum hat Herodes zwei Schriftgelehrte verbrennen lassen?« Die Frage war mir herausgerutscht, ohne dass ich es wollte.

Josef, der mit seinen Gedanken ganz woanders schien, drehte den Kopf in meine Richtung, ehe er den Männern einen warnenden Blick zuwarf.

Doch der größere der beiden setzte bereits zu einer Erklärung an. »Weil sie den goldenen Adler vom Tempeltor abgenommen haben, den Herodes dort anbringen ließ«, erklärte er ruhig. »Denn das Gesetz sagt ausdrücklich, dass keine Abbildung einer Kreatur in unserem Tempel sein darf. Auch wenn Herodes den Tempel wiedererrichten hat lassen, hatte er lange noch kein Recht dazu, ein solches Bildnis dort anzubringen. Und damit das Gesetz zu übertreten und den Tempel zu entweihen. Aber du bist noch zu klein, um das zu verstehen, mein Junge.«

Doch ich hatte ihn sehr wohl verstanden. Ein Schauer überlief mich.

»Diese Männer waren Pharisäer, Schriftgelehrte«, fuhr der große Mann fort und sah mir direkt in die Augen. »Gemeinsam mit ihren Schülern gingen sie zum Tempel, um den Adler herunterzuholen. Und dafür hat Herodes sie mit dem Tod bestraft!«

Josef war neben mich getreten, doch der andere sagte: »Lass ihn ruhig hier, damit der Junge etwas lernt. Zum Beispiel wer Matthias und Judas waren, das sollten die Jungen doch wissen.« Er nickte mir und Jakob zu. »Die beiden haben getan, was getan werden musste, obwohl sie wussten, wie grausam Herodes sein konnte. Aber ihr, die ihr aus Alexandria kommt, was wisst ihr schon davon?« Er sah abwechselnd meine Onkel an. »Wir dagegen, wir mussten unter seiner Schreckensherrschaft leben. Und alle litten darunter, ob alt oder jung, das kann ich euch sagen. Damals, als er sich aus einer wahnwitzigen Laune heraus eingebildet hat, dass ein neuer König geboren wurde, ein Sohn Davids, hat er seine Soldaten nach Bethlehem entsandt, einer kleinen Stadt wenige Kilometer von Jerusalem entfernt, und …«

»Das reicht!«, sagte Josef scharf. Er lächelte, während er beschwichtigend die Hand hob, dann zog er mich mit sich in Richtung der Frauen und Kinder. Jakob ließ er jedoch bei den Männern stehen.

»Was ist denn damals in Bethlehem passiert?«, fragte ich.

»Überall wo du hinkommst, wirst du Geschichten über die Bluttaten des Herodes hören«, sagte Josef leise. »Doch beherzige, was ich dir schon einmal gesagt habe: dass ich keine weiteren Fragen hören will!«

»Werden wir trotzdem nach Jerusalem gehen?«

Statt mir zu antworten, sagte Josef: »Lauf jetzt zu deiner Mutter und den anderen Kindern und setz dich zu ihnen.«

Ich gehorchte. Der Wind war noch stärker geworden, so dass sich das Schiff jetzt hob und senkte. Übelkeit stieg in mir auf, und mich fröstelte.

Ich setzte mich zwischen meine Mutter und Salome, die mich augenblicklich mit Fragen bestürmte. Hier war es windgeschützt, und sofort wurde mir wärmer.

Joses und Symeon schliefen schon auf ihren Decken zwischen den Gepäckstücken. Silas und Levi saßen eng zusammen mit Eli, dem Neffen von Tante Maria und Onkel Kleopas, der bei uns lebte. Mit staunenden Augen blickten sie nach oben, deuteten auf das Segel und die Takelage.

»Was haben sie gesagt?«, wollte Salome wissen.

»In Jerusalem gibt es Unruhen«, sagte ich. »Aber ich hoffe, wir werden trotzdem dorthin gehen, ich möchte die Stadt so gern sehen.« Ich rief mir alles ins Gedächtnis, was ich aus den Erzählungen der Erwachsenen wusste. Aufgeregt fuhr ich fort: »Salome, denk nur, dass Menschen aus dem ganzen Imperium nach Jerusalem reisen.«

»Ja, ich weiß«, sagte sie mit einem Seufzer. »Hoffentlich ist Nazareth auch eine schöne Stadt.«

Meine Mutter seufzte ebenfalls und warf den Kopf in den Nacken. »Ja, aber zuerst müsst ihr Jerusalem sehen«, sagte sie. »Doch es scheint der Wille Gottes zu sein, dass wir uns in Nazareth niederlassen werden.«

»Ist es eine große Stadt?«, fragte Salome.

»Nein, es ist keine Stadt. Es ist ein Dorf. Aber immerhin ein Dorf, das einst von einem Engel aufgesucht worden ist.«

»Erzählen das die Leute?«, fragte die kleine Salome mit weit aufgerissenen Augen. »Dass einmal ein richtiger Engel dort war?«

»Nein, die Leute erzählen sich das nicht«, erwiderte meine Mutter, »aber ich weiß es eben.«

Sie schwieg wieder. Wie es ihre Art war, etwas zu sagen, meist eine Kleinigkeit nur, um dann wieder in Schweigen zu verfallen. Wir bedrängten sie mit weiteren Fragen, aber sie sagte nichts mehr.

Hustend und ganz bleich kam Onkel Kleopas zurück. Als er sich auf seinem Lager ausgestreckt hatte, deckte ihn meine Tante zu und strich ihm übers Haar.

Er musste wohl gehört haben, wie wir noch immer über den Engel von Nazareth sprachen – dass wir hofften, ihn einmal zu Gesicht zu bekommen –, denn er lachte wieder spöttisch.

»Mutter sagt, dass Nazareth einmal von einem Engel besucht worden ist«, sagte ich, in der Hoffnung, dass er uns mehr erzählen würde.

Leise vor sich hin kichernd rollte er sich zusammen.

»Was würdest du tun, Vater«, fragte die kleine Salome, »wenn du einen Engel des Herrn mit deinen eigenen Augen sehen würdest?«

»Genau das, was meine geliebte Schwester getan hat«, antwortete er. »Das, was der Engel von mir verlangen würde.« Wieder das vertraute leise Lachen.

Meine Mutter blickte ihren Bruder wütend an, aber meine Tante schüttelte einfach nur den Kopf, wie um zu sagen, ach lass ihn doch reden, wie sie es immer gegenüber ihrem Mann tat.

Auch meine Mutter ließ Kleopas normalerweise gewähren, aber diesmal schien sie ernsthaft aufgebracht zu sein.