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Johanns Gedanken und Träume! Ein philosophischer Roman, angesiedelt in der Goethezeit und der frühen Romantik. "Dies sind meine Gedanken, die ich mit euch in der Einsamkeit teile. Wir Verlorenen. Wie Sterne, die verglühen. Wie Wolken, die vergehen. Seht ihr mich noch, ihr Menschen der Welt? Wenn ich durch den Schnee wandere? Wenn ich abends ein Licht in meiner Stube entfache? Ihr seid mir wie Schatten. Ich bin einsam und frei, mich fortzuträumen, wohin ich auch will. Oft ist es schwer wiederzukommen, zurück zu euch, die ihr mir so fremd erscheint. Hier meine Bücher, wie Reisebücher aus der Unendlichkeit. Meine Gedanken an die Musik. Seltsam kommt es mir vor, in dieser Zeit hier zu leben. Seltsam erscheinen mir eure Interessen. Wie von den Sternen, so scheint mir, fiel ich herab. Und je länger ich forttreibe, desto mehr sehne ich mich, sehne ich mich zurück, zum Mond, zu den Träumen, von denen ich euch erzähle." www.sternendichter.de
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Seitenzahl: 158
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Nick
Johanns Gedanken und Träume
Erstes Buch: Ankunft in Weimar
1. Spaziergänge
2. Schnee unter der Laterne
3. Löwe und Mond
Zweites Buch: Bei den Sternen
1. Kutschfahrt
2. Ferdinand
Drittes Buch: Die Verwandlungen
1. Entfremdung
Da es schön war, glaubte ich nicht daran. Und es hatte doch so sehr geschneit... All die Straßenlaternen, die ein alter Mann abends entfachte, kamen mir vor wie Leuchtfeuer, die mir den Weg nach Hause zeigen. Ganz warm strahlten sie um mich herum, in einer dunkelblauen Nacht... und vorsichtig, einsam und traurig betrat ich eine neue, riesengroße Welt.
Die Kutsche hatte mich erst heute Morgen hierhergebracht und meine Tante bereitete mir mit Kaffee und Kuchen einen herzlichen Empfang.
"Sei mir gegrüßt zu guter Stunde“, sagte sie und umarmte mich dabei so deftig, dass mir beinahe der Dreispitz vom Kopf rutschte. "Wie schön, dich endlich einmal wiederzusehen, liebster Johann“, fuhr sie fort und begann augenblicklich vor Freude zu weinen, sodass all ihre Speckfalten unter ihrem grauen Kleide bebten.
"Ach schau her, nun bist du in der Musenstadt... aber komm erst mal rein. Ich hab Apfelstrudel für uns.“
Johann blickte sich noch einmal mit leuchtenden Augen rätselnd in der verschneiten Straße um, bevor sie ins Haus gingen, welches in jenem Augenblick in einem Schneegestöber verschwand.
Später am Nachmittag, nachdem ich mich in einem Zimmer im Obergeschoss eingerichtet hatte, machte ich noch einen kleinen Spaziergang durch die Stadt und mein Herz raste mir so sehr, dass ich mich kaum traute, von meinen Füßen aufzusehen, so als wäre all mein Mut, mit dem ich nach Weimar aufgebrochen war, wieder hinfort. Fast schämte ich mich, hier zu sein und durch die Straßen zu gehen, von denen ich so lange geträumt hatte, und als ich dann vor Goethes Hause stand und darin die Kerzen leuchten sah, ging ich schnell wieder zurück zu meiner Tante. Draußen schneite es unaufhörlich.
Liebe Frau Mama,
ich bin gesund bei Ihrer Schwester angekommen und sie hat mich herzlich bei sich aufgenommen. Noch weiß ich nicht, was sie von mir verlangt, dass ich bleiben kann! Es ist jedoch verständlich, dass ich mich hier nicht so einfach einniste, auf Kosten dieser lieben Familie. Ich denke, das wird sich am Montag alles entscheiden. Es ist nicht Ihre Schuld, dass ich so rasch aufgebrochen bin, auch nicht die von Papa. Ihr sollt euch also keine Vorwürfe machen, aber ich hätte das alles nicht länger ertragen und ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich mich am Ende einfach wie Werthern erschossen hätte. Bei Gott, ich weiß nicht, wie ich dieses Leben dulden kann! Bitte sagen Sie Papa noch einmal herzlichen Dank für die Taler, die er mir gab. Was er für mich getan hat, werde ich ihm nie vergessen. Und so verbleibe ich Euer Euch liebender Sohn, Johann.
Weimar, 8. Dezember 1799
Mit leuchtenden Augen saß er spät am Abend an seinem Schreibtisch vor dem Fenster und schaute in die verschneite Gasse hinunter. Die Kerzen vor ihm flackerten warm. Er legte die Feder beiseite und zog sich seine Stiefel aus, als es klopfte.
"Ja bitte?“ fragte er leis.
Langsam öffnete sich die Tür und seine Tante kam zu ihm hinein.
„Entschuldigung“, flüsterte sie, „aber ich habe das Licht bei dir gesehen und da ich auch nicht schlafen kann, dachte ich, ich könnte dir etwas zu Trinken bringen.“
„O gerne.“
„Ich weiß, es ist eigentlich schon zu spät für Kaffee, aber ich dachte, etwas Warmes würde dir vielleicht gut tun, besonders weil es so kalt ist.“
„Das ist wirklich lieb von dir.“
Einen Augenblick schwiegen sie, als er mit funkelnden Augen aus dem Fenster sah.
„Schaust du dir den Schnee an?“
„Ja... das tut mir gut, und es tut auch gut, hier zu sein“, sagte er, während sich oben am Himmel der große gelbe Vollmond hinter den Schneewolken zeigte. Sie lächelte warm, als wolle sie dazu etwas sagen.
„Ich wünsche dir eine gute Nacht und schlaf dich richtig aus“, sagte sie und schlich sich hinaus. Er nahm sofort darauf einen Schluck Kaffee, stand auf, eilte zu seinem Mantel und holte seine weiße Pfeife und seinen Tabakbeutel hervor, und der Schnee fiel und fiel... und er dachte an die Musik, an Haydn besonders, und wie er hinaus sah, da konnte er nicht glauben, dass es jemals wieder aufhören würde zu schneien und er fragte sich, ob er dies überhaupt wolle. Und als all die Sterne zwischen den Wolken glitzerten, da wurde ihm recht warm ums Herz. Alles schien irgendwie verzaubert.
„Dies ist ganz gewiss der herrlichste Abend meines Lebens.“
Durch den Kaffee erhoffte ich mir, noch weit bis in die Nacht hinein aufbleiben zu können, doch schon kurz nach Mitternacht fielen mir über dem Tisch die Augen zu.
Hoch von den Wolken kam ein Geist mit einer goldenen Krone auf dem Kopf und flog durch die Nacht. Vorsichtig öffnete er Johanns Fenster und kam zu ihm hinein.
„So viel wirst du noch sehen... musst viele Prüfungen bestehen. Bitte sei davor nicht bange. Auch wenn du meinst, dass alles untergeht. Wenn der Schnee dich hier ganz sanft umtanzt, mit seinem leisen Schlummerlied, so war ich bei dir, in dieser Nacht... und ich habe dich verzaubert.“
*
In jener Nacht sah er auch den Löwen zum allerersten Mal, der in meiner Geschichte eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielen wird, denn als Johann aufwachte und aus dem Fenster blickte, erschrak er schocktausend sapperment!
„Das kann doch gar nicht sein“, sagte er erstaunt.
„Das gibt es doch gar nicht“, flüsterte er begeistert, denn was nun dort unten in der Gasse seine wilde Mähne zeigte, war nichts weiter als ein ausgewachsener Löwe, der magisch aus den Schatten trat. Stolz und geschmeidig ging er völlig ruhig daher und trug auf seinem Rücken zwei strahlend weiße Flügel. Erstaunt betrachtete Johann gespannt das Geschehen und für einen kurzen Moment wollte er Alarm schlagen, doch wurde ihm auch sofort die Unmöglichkeit dieser Angelegenheit bewusst. Es konnte unmöglich echt sein, was er dort sah. Mit einem Mal blieb der Löwe stehen und sah voller Stolz und Kraft zu ihm hinauf.
„Was ist?“ rief Johann erschrocken.
Einige Sekunden lang sahen sie sich direkt in die Augen, dann wandelte der Löwe weiter, als wäre es das Normalste von der Welt, gar als ob er seinen allnächtlichen Kontrollgang machte und sich nur einmal das neue Gesicht Weimars ansehen wollte. Rasch öffnete Johann das Fenster und beugte sich weit hinaus, der Erscheinung nachzuspähen, und tatsächlich lief der Löwe gemütlich daher, ein ganz und gar unbekümmertes Wandeln, das trotz allem den Anschein erweckte, als benutze das Tier für jeden einzelnen Schritt, jede einzelne Faser seines Muskelapparates. Die vollkommen gelbe Pracht jagte Johann einen Freudenschauer sonderlicher Art ein. Er war erneut hellwach und geistesgegenwärtig genug, um noch gewahr zu werden, wie der Löwe um die Ecke strich und sich mit elegantem Schwanz seinem Blick entzog. Johann war sich endlich sicher, hier Zeuge eines echten Wunders geworden zu sein, welches sich gewiss nicht mit menschlichen Begriffen aufklären ließ. Die ganze Nacht beschwor er diesen Cherub in seinem Geiste wieder herauf und kam mit sich überein, dass es sich um nichts weiter handeln könne, als um ein Wesen der Unendlichkeit, um einen Kater vom Olymp höchstselbst.
„Und wenn er mich am Ende fressen will?“ Doch dieser Gedanke war ihm nun doch zu unheimlich und nach langem Hin- und Hergrübeln legte er sich mit dem Gedanken schlafen, dass es nun schon seine Richtigkeit mit der Erscheinung habe, zumal sie ja ihm erschienen war und nicht irgendjemandem.
Den Sonntag hielt er sich frei, um Spaziergänge zu unternehmen. Gewiss sagte er nichts von der letzten Nacht und nachdem er mit seinem Onkel und seiner Tante gefrühstückt und sich mit starkem Kaffee für den Aufbruch gerüstet hatte, zog er auch sogleich seinen Mantel an, verstaute Pfeife, Tabak und Zündhölzer darinnen und ließ alsbald die Haustür hinter sich ins Schloss fallen. Das verschlafene Weimar lag ausgebreitet vor ihm und er sog die frische Luft so genussvoll ein, als wäre sie ätherische Arznei.
Wohlgerüstet strich er davon, sodass der Schnee unter seinen Schritten knirschte.
Er ließ es sich nicht nehmen, frohgemut noch einmal durch die Esplanade zu laufen, um dann über den Frauenplan hinweg Weimar hinter sich zu lassen.
Und so wanderte er durch den tiefen Schnee auf die Wälder zu, genüsslich hin und wieder eine Pfeife rauchend.
Je weiter er ging, desto heftiger begann es zu schneien. Das Rauschen des Windes klang in seinen Ohren und sein ganzes Gesicht begann vor Kälte taub zu werden. Der Wind kam von vorn, sodass es für Johann anstrengend wurde weiterzugehen, doch hatte er sich zumindest vorgenommen zu jenem Wald zu gelangen, der weit ausgebreitet vor ihm lag. Beinahe wie ein blauer, schneebedeckter Märchenwald.
Jedoch je stärker der Schneesturm wurde, ja ein regelrechter Schneesturm war herangewachsen, desto mehr verlor er die Lust dorthin zu gelangen. Er wollte gerade umdrehen, um zurückzugehen, da sah er sich noch einmal kurz um und bemerkte etwas sehr Sonderbares im Wald.
Er kniff die Augen zusammen, um durch das Schneetreiben hindurchsehen zu können, denn es war ein Glühen hinter den Bäumen, ein warmes Licht, dessen Herkunft er nicht ganz erdeuten konnte.
Es konnte eine getragene Fackel sein, ein Lagerfeuer, beispielsweise einer Räuberbande, konnte er ausschließen, da es sich augenscheinlich bewegte.
„Potztausend sapperment!“ fluchte er, als er nahezu zu schlottern anfing.
Und er blinzelte weiter in den Wald hinein und da trat der Löwe aus ihm hervor und seine Mähne stand in Flammen.
Johanns Augen wurden groß und mit einem Mal sah er es ganz deutlich vor sich, dieses Geschöpf im tiefen Schnee und sie schauten sich einen Augenblick tief in die Augen. Und dann zeigte der Löwe ihm, als wolle er drohen, die Zähne und machte sich langsam daran auf ihn zu zu schleichen.
„Gott verfluchte Teufelei!“ rief Johann, drehte sich um und lief zurück in Richtung Stadt, einen ungemütlichen Schauer im Nacken.
Die ersten Lichter der Häuser nahmen sich bereits sehr warm und einladend in dem Winterlande aus. Er zog den Dreispitz tiefer ins Gesicht, schlug den Kragen hoch, stopfte sich eine Pfeife und freute sich regelrecht auf die warme Stube. Er hatte sich die ganze Zeit über nicht mehr umgesehen und war froh, als er die Haustür hinter sich schloss.
Der Löwe war ihm gefolgt und als Johann nun verschwand, sprang er hoch in den Abendhimmel hinein und zog über dem Hause seine grimmigen Kreise, und seine brennende Mähne hinterließ unter den silbernen Sternen einen rauchigen Streif.
Zuhause brannten bereits einladend warm und freundlich die Kerzen und durch das Fenster sah man den dunkelblauen Abendhimmel, in dem ein prächtiger gelber Vollmond stand.
Die schlichte weiße Tapete leuchtete durch den Kerzenschein orange und aus dem Esszimmer hörte er das Klirren von Besteck, das über die Teller fuhr, und begeistert riss er sich den Hut vom Kopf, denn es duftete nach einem herrlich warmen Mahl. Johann blickte auf den dunklen Esstisch und sah mit leuchtenden Augen auf die dampfenden und funkelnden Schüsseln hinab.
Zu später Stunde ging er in sein Zimmer, zündete die Kerzen an, stopfte sich eine Pfeife, entzündete auch diese und deponierte sie in seinem Mundwinkel, während er in seinem Gepäck nach Wielands Agathon kramte.
Mit dem Buch streckte er sich auf dem Rücken liegend auf dem Boden aus und hielt es, mit funkelnden Augen drin lesend, über sich in die Höh´. Es war ein Satz Wielands, der in ihm dunkle Empfindungen auslöste und den er wieder und wieder lesen musste:
Wenn es seine Richtigkeit hat, dass alle Dinge in der Welt in der genauesten Beziehung aufeinander stehen, so ist nicht minder gewiss, dass diese Verbindung unter einzelnen Dingen oft ganz unmerklich ist...
An diesem Satz hing er fest, erneut und erneut las er ihn und das Weltinnere wurde ihm zu einem geheimnisvollen Weben und dessen nachtschwarze Fäden, dieses undurchdringbare Netz, welches die Welt zusammenhielt, entzündeten seine Neugier auf diese Schattenwelt, in der sich, seiner Vorstellung nach, ganz andere Dinge ereignen mussten.
Am nächsten Morgen erwachte er sehr früh und blinzelte mit den Augen, sich der Sterne erinnernd.
Müde gähnte er und streckte sich zurecht und eine heimliche Freude auf diesen Tag überschlich ihn. Schnell stand er auf, eilte zum Fenster und öffnete es, um die frische Luft einzuatmen.
Danach ging er mit einer Kerze in der Hand zum Frühstück.
Ein weißer Teller und eine kleine Tasse auf einem Unterteller standen für ihn bereit, davor ein Korb Brot und eine Schale Honig. Alles funkelte schön in der Dunkelheit.
Eilig stellte er Wasser auf den Ofen und malte rasch Kaffee in der Mühle.
Das Haus war leer und so ging er nach dem Frühstück mit der Kerze hinauf, holte einen Bogen Papier hervor und schrieb mit seiner Feder:
Liebe Tante und lieber Onkel,
heute werde ich wieder eine kleine Wanderung machen. Die Landschaft ist einfach zu schön. Ich freue mich, bald wieder hier zu sein und verbleibe bis dahin Euer Johann.
Schnell zog er sich an, setzte seinen Dreispitz auf und eilte erneut in die Küche, legte den Brief auf den Tisch und schloss, obwohl kein Grund dazu bestand, leise hinter sich die Tür und strich davon.
Als er am Abend die Esplanade durchquerte, entdeckte er einen schönen Buchladen in der von Laternen warm beleuchteten Straße.
Bezaubert stand er vor den Schauläden, in denen Bände von Goethe, Shakespeare und die neue Tieck´sche Übersetzung des Don Quixote auslagen.
„Guten Abend der Herr. Womit kann ich dienen?“ fragte der Buchhändler freundlich, als Johann eintrat.
„Guten Tag. Eigentlich wollte ich mich bloß einmal umsehen. Ich bin noch ganz neu in der Stadt, müssen Sie wissen.“
„Gerne, doch wenn ich helfen kann, rufen Sie einfach nach mir“, sagte der Buchhändler, lächelte und ging wieder zu einem anderen Kunden, von dem er gerade gekommen war.
Dieser hatte Johann die ganze Zeit über merkwürdig angesehen. Er hatte ein unsagbar weiches und kindliches Gesicht, große, sanfte, etwas schelmische Augen und langes braunes Haar. Als Johann zu ihm sah, lächelte ihn dieser an.
Dies sind meine Gedanken, die ich mit euch in der Einsamkeit teile. Wir Verlorenen. Wie Sterne, die verglühen. Wie Wolken, die vergehen. Seht ihr mich noch, ihr Menschen der Welt? Wenn ich durch den Schnee wandere? Wenn ich abends ein Licht in meiner Stube entfache? Ihr seid mir wie Schatten. Ich bin einsam und frei, mich fortzuträumen, wohin ich auch will. Oft ist es schwer wiederzukommen, zurück zu euch, die ihr mir so fremd erscheint. Hier meine Bücher, wie Reiseberichte aus der Unendlichkeit, meine Gedanken an die Musik.
Seltsam kommt es mir vor, in dieser Zeit hier zu leben. Seltsam erscheinen mir eure Interessen. Wie von den Sternen, so scheint mir, fiel ich herab, kenne mich hier überhaupt noch nicht aus.
Und je länger ich hier bin, je länger ich forttreibe, desto mehr sehne ich mich, sehne ich mich zurück, zum Mond, zu den Träumen, von denen ich euch erzähle.
„ …ja, der gute Tieck hat das Original wirklich ganz erfasst. Ich bin mir sicher, dass seine Übertragung Epoche machen wird...“, sagte der junge Mann zum Buchhändler und blickte wieder zu Johann.
„Da bin ich ganz ihrer Meinung und ich muss gestehen, dass ich mich als Buchhändler heutigentags nicht zu beschweren brauche, gerade hier in Weimar... Ich habe schon einige Bestellungen für den Don Quixote erhalten, aber auch die Übertragung des Nibelungenliedes wird gewiss einige Käufer finden. Wir leben in trefflichen Zeiten, was die Literatur betrifft... gerade hier in Weimar.“
Johann lauschte ein wenig dem Gespräch, während er an den Regalen entlangschlenderte und hin und wieder ein Buch herausnahm.
„Und ich bin mir überdies sicher, dass auch Ihr Werk Interesse wecken wird. Ich habe heute Morgen Ihre Hymnen an dieNacht gelesen und kann mich nicht genug an Ihnen ergötzen.“
Johanns Herz schlug ihm bis zum Hals.
Draußen begann es wieder zu schneien. Dicke Flocken fielen durch den dunkelblauen Abendhimmel. Und mit einem Male trat der junge Mann auf ihn zu.
„Sie müssen verzeihen, dass ich gelauscht habe... Sie sind also neu in Weimar?“ fragte er und sah ihn mit leuchtenden, großen Augen an.
„Ja, genau. Ich besuche meine Tante für einige Zeit.“
„Bleiben Sie über Weihnachten und Neujahr?“
„Ja, ich denke schon.“
„Weimar ist ein sehr schöner Ort, müssen Sie wissen. Es wird Ihnen sicher sehr gefallen.“
Johann wusste darauf nichts zu sagen, sondern reichte ihm rundheraus seine zitternde Hand. Er hatte den großen Dichter Novalis immerzu für einen alten Mann gehalten, aber er schien gerade einmal zwanzig Jahre alt zu sein. Sie hätten Freunde sein können und als er ihm nun gegenüberstand, musste er erschüttert feststellen, dass die beiden im Grunde Welten trennten. Er erschien so sanft und hatte so frohe und intelligente Augen, dass es Johann einschüchterte. Wie kommen solche Genies zustande, fuhr es ihm durch den Kopf... und das in dem jungen Alter?
„Mein Name ist Johann“, stotterte er.
„Oh“, antwortete Novalis und lächelte, sodass Johann augenblicklich rot wurde.
„Ich heiße Friedrich von Hardenberg und freue mich, Sie kennenzulernen“, fuhr er fort und drückte sanft Johanns Hand.
„Ich weiß... Sie sind Novalis... der Novalis.“
„Der Novalis?“ antwortete dieser und lächelte.
„Ich möchte auch einmal Dichter werden.“
„Das dachte ich mir schon“, antwortete er, „Haben Sie schon etwas geschrieben?“
„Ja, einige Gedichte, aber nichts Bedeutendes.
Ich will nun einen philosophischen Roman schreiben. Aber ich bin mir über meine Begabung noch nicht im Klaren und fürchte bald, ehrlich gesagt, hier in die Irre zu laufen“, sagte Johann und blickte aus dem Fenster.
Es schneite immerzu.
„Aber so dürfen Sie nicht denken. In uns allen liegt die ganze Welt. Das ganze Universum ruht tief in unseren Herzen. Sie müssen nur den Weg dorthin finden, so wird sich alles von ganz alleine geben, Sie werden sehen. Wenn Sie sich bewusst machen, dass Sie die ganze Schöpfung in ihrem Herzen tragen, ist es ein Leichtes, selbst schöpferisch zu wirken und bald werden Sie erkennen, dass Ihr Leben nicht ausreichen wird, um all das zu beschreiben, was Sie dort sehen... So seien Sie nur guten Mutes.“
„Darf ich Sie etwas fragen?“
Novalis nickte und strich sich das Haar hinters Ohr.
„Wieso nennen Sie sich Novalis?“
Novalis sah zu Boden und schien kurz in unsagbarer Traurigkeit zu schwelgen. Johann sah ihn an, sein langes braunes Haar, das kindliche Gesicht, die goldenen Knöpfe an seinem schwarzen Mantel, die Stulpenstiefel, und versuchte schlau aus diesem wundersamen Dichter zu werden.
Novalis... der Neulandbestellende, warum nennst du dich so? Du erscheinst mir wie ein Geist.
„Das wäre für heute eine zu lange Geschichte“, antwortete er und seine Augen begannen wieder neugierig zu leuchten, doch als Johann in sie hinein sah, erkannte er in ihnen etwas Fremdes, und ihm war, als würde dieser Novalis, der sich in Friedrich von Hardenberg verbarg, in einem blauen Zaubergewand hoch oben über dieser Welt schweben, in vollem Bewusstsein niemals wieder zu landen.
„Ich muss mich nun leider von Ihnen verabschieden, Johann“, sagte er und reichte ihm die Hand. „Ich habe mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.“
„Ich mich auch“, antwortete Johann und schon verschwand Novalis hinaus ins Schneegestöber und in die Nacht.
Auch Johann schlug nach einer Weile seinen Kragen hoch und wanderte durch die Stadt. Spät am Abend, es muss so um elf Uhr gewesen sein, schleppte er sich ins Bett und schlief ein.
Als er am nächsten Morgen die Sonne durch das Fenster strahlen sah, kam ihm ein Gedanke, und zwar, dass die Welt eine stete Erinnerung sei. Es ging folgender Maßen vor sich:
Er erwachte und alle Erinnerungen stellten sich ganz langsam wieder ein, an den Ort, an dem er sich befand, an die Zeit, und als er glaubte, die Gegenwart schließlich erkannt zu haben, da war selbst diese schon eine Erinnerung geworden.
Rasch schaute er auf die Uhr und versuchte die Gegenwart festzuhalten, doch viel zu schnell war sie vergangen.