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Ein Gegner, den ich fast vergessen hatte, machte plötzlich wieder von sich reden!
Zweimal hatte ich ihn, den Menschenhasser, wie er sich nannte, schon besiegt. Zweimal war er gestorben. Aber offenbar waren nicht nur aller guten Dinge drei ... denn Satans Erster Diener war allem Anschein nach wieder da und mordete weiter, wie er es früher getan hatte.
Und mir wurde verflucht mulmig, Freunde, als ich diese Nachricht auf meinem Handy las:
Erinnerst du dich an Doktor Tod?
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Seitenzahl: 168
Cover
Impressum
Das Erbe des Doktor Tod
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Cranac/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6630-3
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
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www.bastei.de
Das Erbe des Doktor Tod
von Timothy Stahl
Danny hatte seinen Eltern erzählt von dem seltsamen Bild, das sie da im Haus hatten. Von den seltsamen Dingen, die in diesem Gemälde vorgingen …
Sie hatten ihm nicht geglaubt.
Bis jetzt.
Aber jetzt war es zu spät.
Denn jetzt war er da, der Mann aus dem Bild. Der schwarze Mann, wie Danny ihn der dunklen Kleidung wegen nannte.
Und seinen Dad hatte der schwarze Mann schon ermordet …
Feierabend!
Ich warf die Wohnungstür hinter mir zu und sperrte die Welt aus.
Eine Viertelstunde später saß ich frisch geduscht und nur mit einem T-Shirt und Shorts am Leib in meinem Lieblingssessel. Füße hoch, Glotze an, Bier auf.
Der erste Schluck lief herrlich kühl in meine Kehle, eine wahre Wohltat nach dem staubtrockenen Tag im Büro. Drückend warm war es obendrein gewesen. Die Klimaanlage im Yard-Gebäude machte Zicken, schon seit Tagen – ziemlich genau seit der Sommer in London auf Hochtouren lief. Typisch moderne Technik. Apropos …
Bing!
Mein Handy meldete eine neue Textnachricht. Ohne hinzuschauen grabbelte ich auf dem Beistelltisch nach dem kleinen Quälgeist. Weniger aus Neugier darauf, wer mich da angeschrieben hatte, sondern weil ich das Ding vor allem ausschalten wollte. Natürlich warf ich trotzdem einen Blick auf die gerade eingegangene Nachricht – und mein Feierabend war ruiniert.
Denn die Nachricht lautete: Hallo, Geisterjäger! Erinnerst du dich an Doktor Tod?
☆
Vor etlichen Jahren
Wo die Costa Brava, der malerische Granitküstenstreifen zwischen Barcelona und der französischen Grenze, ihrem Namen – die »wilde Küste« – alle Ehre machte und am ursprünglichsten war, da lag das einsame Haus auf einem Plateau über scharfkantigen Klippen, gegen die seit ewigen Zeiten das Meer anbrandete. Meterhoch gischtete der weiße Schaum über die zerklüfteten schwarzen Felsen, weithin war das Rauschen der sich brechenden Wellen zu hören. Aber es lebte im näheren Umkreis kaum jemand, der es hören konnte – und auch das Haus auf den Klippen hatte lange Zeit leer gestanden. Obwohl es keineswegs ein altes Haus war, das baufällig und unbewohnbar gewesen wäre. Im Gegenteil, es war ein Bungalow im modernen Stil, den ein Fremder erst vor ein paar Jahren hatte errichten lassen – und dann nie bezogen hatte. Bis vor einigen Wochen …
Über diesen Bauherrn wusste man nichts. Oder besser gesagt: Es wusste niemand mehr etwas über ihn. Denn von den wenigen Leuten aus der Gegend, die damals in irgendeiner Weise am Bau des Hauses beteiligt gewesen waren, lebten heute die meisten nicht mehr. Sie waren durch merkwürdige Unfälle zu Tode gekommen – und die Übrigen waren anderweitig spurlos verschwunden.
Aber auch jetzt, nachdem er offenbar endlich in seinen abgelegenen Felsenbungalow eingezogen war, ließ sich nichts über den geheimnisvollen Besitzer in Erfahrung zu bringen. Neugierige Bewohner der nächstliegenden Ortschaft, die sich gelegentlich in die Nähe des Anwesens wagten, wurden von bewaffneten Männern schnell entdeckt und verscheucht.
Natürlich entstanden Gerüchte, eines wilder als das andere. Ein Mafiaboss sei dort eingezogen, sagten die einen, andere glaubten, ein offiziell für tot erklärter Rock-’n’-Roll-Star habe sich in diese Abgeschiedenheit zurückgezogen, um in Ruhe leben und sein Vermögen genießen zu können.
Auf die Wahrheit kam natürlich niemand.
Denn den Mann, der dort oben residierte, kannte kaum ein Mensch auf der ganzen Welt. Niemand wusste, wie er wirklich hieß. Aber auch den Namen, den er sich selbst gegeben hatte, kannten nur wenige – und von diesen wenigen sprachen ihn die meisten, wenn überhaupt, nur flüsternd aus:
Doktor Tod …
☆
Das sollte sich ändern!
Eines Tages würde die ganze Welt Doktor Tod kennen und von ihm sprechen. Mit Angst und Schrecken sollte sein Name die Menschheit erfüllen, denn er war ihr größter Feind – und er wollte zu ihrem Totengräber werden. Er hasste die Menschen, und er würde die Welt von ihnen befreien, um Herr über eine neue Welt zu werden, die er nach seinen Vorstellungen gestalten konnte.
Aber noch war es nicht so weit. Im Moment war all das nur eine Idee. Schritt um Schritt arbeitete Doktor Tod auf ihre Umsetzung hin. Vor Jahren hatte er es schon einmal versucht. Da war ihm kein Erfolg beschieden gewesen. Doch davon hatte er sich nicht unterkriegen lassen. Er hatte seine Fehlschläge analysiert und eingesehen, dass er alleine zu schwach gewesen war – eben auch nur ein Mensch, und diese Erkenntnis war für ihn ein weiterer Grund gewesen, alle Menschen zu hassen.
Er hatte sich gefasst und gesammelt, seine Pläne überdacht und seine Ideen neu geordnet. Er hatte eingesehen, dass er an Kraft gewinnen musste, um sein Ziel zu erreichen. Diese Kraft, mehr noch, diese Macht konnte er nicht aus dem Hut zaubern. Er musste sie erwerben, jemand musste sie ihm verleihen. Jemand, der Kraft und Macht im Überfluss hatte und bereit war, sie mit jemandem zu teilen, der die gleichen Ziele verfolgte.
Und so war Doktor Tod an den Teufel geraten.
Er hatte Asmodis, den Höllenfürsten, beschworen, und der hatte ihn erhört. Sie waren sich handelseinig geworden, hatten sich verschworen, und Doktor Tod hatte Wissen und Fertigkeiten erlangt, die ihn zu Satans Erstem Diener machten.
Solcherart erstarkt und befähigt, konnte er heute Dinge angehen und in Bewegung setzen, die zuvor nicht nur seine, sondern die Möglichkeiten eines jeden gewöhnlichen und deshalb hassenswerten Menschen überstiegen hätten. Allein dafür, dass er ihn noch weiter über alle anderen Menschen erhoben hatte, war er Asmodis dankbar. Er hätte alles für ihn getan, ihm jedes Opfer dargebracht. Was er letztlich ja auch tat.
Der Satan erfreute sich an allen Grausamkeiten, die von Menschen an Menschen begangen wurden. Sie waren ihm ein Labsal. Sie speisten und stärkten ihn. Und dafür ließ er gerne etwas springen, weil ihm genau das eben die Kraft und Möglichkeit dazu gab. Das war der Kreislauf des Bösen. Das Fundament der Hölle. Sinn und Zweck aller Mächte der Finsternis.
Teil all dessen war nun also auch Doktor Tod, und er trug sein Scherflein dazu bei, um diese Maschinerie, die Grauen und Entsetzen hervorbrachte, am Laufen zu halten. Mit jedem seiner Pläne schürte er sie an, denn bei allem, was er tat, kamen Menschen zu Schaden und zu Tode, brachte er Leid über die Lebenden und bescherte furchtbares Sterben. Schon damit erfüllten seine Ideen also einen guten Zweck, selbst wenn sie nicht zum angedachten Ziel führten, weil sich ihnen im letzten Moment jemand in den Weg stellte.
Jemand wie dieser Inspektor John Sinclair.
Doktor Tod ballte seine langen, kräftigen Finger zu Fäusten, so fest, dass die Knöchel knackten wie brechende Zweige. Der viereckige, rubinrote Ring an seiner Hand veränderte sich, der darin eingravierte Totenkopf, der eigentlich weiß war, wurde tiefschwarz, wie immer, wenn Doktor Tod stark erregt war.
Zweimal hatte dieser verfluchte Geisterjäger von Scotland Yard ihm schon einen Strich durch die Rechnung gemacht: einmal in Tonbridge, einem Städtchen südlich von London, wo Doktor Tod mit lebenden Leichen experimentiert hatte, und das andere Mal in Schottland, wo er das Seemonster von Loch Awe auf die Menschen hetzen wollte.1)
Beide Pläne hatte Sinclair vereitelt. Ja, gut, es hatte Tote gegeben, und der Teufel war wohl zufrieden gewesen. Aber es ging Doktor Tod trotz seines Bündnisses mit Asmodis in erster Linie immer noch um seine eigene Befriedigung. Und die fand er nur, wenn seine Pläne auch wie beabsichtigt glückten.
Nun, diesmal würde es wohl endlich so weit sein – und John Sinclair im selben Zuge Vergangenheit. Das hieß, der John Sinclair, der echte Geisterjäger, würde Geschichte sein – und seinen Platz würde ein von Doktor Tod erschaffener Doppelgänger einnehmen.2)
Zu diesem Zweck hatte Doktor Tod sich in sein Haus an der Costa Brava zurückgezogen. Vor Jahren hatte er es bauen lassen – so wie weitere an anderen Orten der Welt. Alles potenzielle Stützpunkte für die Zukunft und Zufluchtsorte, sollte er sie brauchen. Ein Mann, der sich die Welt untertan machen wollte, musste Möglichkeiten haben, weltweit Präsenz zu zeigen und den Eindruck zu erwecken, er könne jederzeit überall auftauchen. Was Doktor Tod auch tatsächlich konnte, dem Satan sei Dank.
Ebenso konnte er aus fast jedem seiner geheimen Refugien spurlos verschwinden. Denn in vielen dieser Häuser gab es so etwas wie eine Geheimtür, durch die man nicht einfach nur in einen Nebenraum, einen verborgenen Fluchtgang oder an versteckter Stelle aus dem Haus gelangte – sondern auf Wege, wie kein normaler Mensch sie sich vorstellen oder erklären konnte.
Und nun war es an der Zeit, dieses Haus an der spanischen Mittelmeerküste zu verlassen. Doktor Tod hatte seinen Plan umgesetzt, die Dinge in Gang gebracht. Alles Weitere bedurfte seines aktiven Eingreifens und seiner persönlichen Beaufsichtigung nicht mehr.
Jedenfalls war das ein Grund, weshalb er sich zurückzog. Es gab jedoch noch einen weiteren. Einen, den er sich nicht wirklich eingestand. Den er aber auch nicht leugnen konnte, weil er eben da war, in seinem Gehirn nistete wie ein kleiner Tumor, der sich nicht entfernen ließ – an dem er aber auch nicht sterben würde.
Im Gegenteil, dieser andere Grund diente vielmehr seinem persönlichen Schutz. Nur hausieren ging man damit eben nicht, noch nicht einmal vor sich selbst, ein Doktor Tod jedenfalls nicht! Wohlwollend hätte man von Vorsicht und vorausschauendem Verhalten sprechen, böswillig hingegen hätte man ihm Angst unterstellen können. Doktor Tod zog sich auch deshalb, wenn es irgend ging, frühzeitig zurück, um am Ende nicht mit unliebsamen Überraschungen konfrontiert zu werden. Und gerade wenn dieser Sinclair im Spiel war, musste man mit solchen rechnen. Immer …
Nur diesmal wohl nicht. Zwei von Doktor Tods Männern hatten den verhassten Geisterjäger vorhin nach draußen geschafft, wo sie ihn lebendig verbrennen würden, der Doppelgänger war bereits in London und knöpfte sich Sinclairs Freunde vor. Doktor Tod rechnete nicht damit, dass jetzt noch etwas schiefgehen würde. Gut, ein Grund mehr, sich abzusetzen und dem nächsten Plan zuzuwenden. Die in Rumänien angeleierte Sache hatte zuletzt gute Fortschritte gemacht. Also würde er nun dort nach dem Rechten sehen.
Der Anfang des Weges dorthin lag im Keller des Felsenbungalows. Doktor Tod musste allem möglichen Gerümpel – teils standen noch Materialien und Werkzeuge vom Bau des Hauses hier herum – ausweichen, um einen großen Schrank am anderen Ende des Raumes zu erreichen. Als er zuletzt den Doppelgänger auf die Reise nach London schickte, hatten die beiden Türflügel des Schrankes noch etwas geklemmt, jetzt jedoch ließen sie sich leicht öffnen. Mit fast feierlicher Geste klappte er sie nach links und rechts.
Zum Vorschein kam ein im Schrank stehender, mannshoher Spiegel, der vor allem eines nicht war – ein Spiegel nämlich. Kein alltäglicher jedenfalls. Das begann rein äußerlich schon damit, dass man sich darin nicht sehen konnte. Die Fläche sah aus wie mattes Silber – aber in Wirklichkeit war sie etwas völlig anderes – und reflektierte nichts, kein Bild, kein Licht, keinen Schatten. Gar nichts. Trotzdem bewegte sie sich – oder es bewegte sich etwas darauf oder dicht dahinter. Vielleicht lebte sie auch, auf eine Weise, die selbst Doktor Tod fremd war. Dieser scheinbare Spiegel war ein Geschenk des Teufels, und Doktor Tod hatte sich längst damit abgefunden, dass es trotz des immens vermehrten Wissens, über das er dank seines Paktes mit Asmodis verfügte, immer noch viele Dinge gab, über die er nichts wusste. Und er hatte eingesehen, dass es auch nicht nötig war, alles zu verstehen – ein bisschen Glaube an das Unerklärliche gehörte eben auch in der höllischen Religion dazu.
So zog Doktor Tod seinen großen, kahlen Kopf ein und schlüpfte in den Schrank, setzte seinen linken Fuß auf die matte Silberfläche im Spiegelrahmen, flüsterte leise Worte, die ihm der Teufel verraten hatte, sah, wie seine Schuhspitze in den blinden Spiegel eintauchte und auf der silbrigen Oberfläche Kreise entstanden wie von einem ins Wasser geworfenen Stein. Dann schien etwas auf der anderen Seite seinen Fuß zu packen, er hörte ein machtvolles Brausen, das selbst ihm noch unheimlich war, und noch im selben Augenblick wurde er wie von unsichtbaren Händen, die nach ihm griffen und sich durch seine Kleidung ins Fleisch darunter krallten, in den Spiegel hineingezerrt.
Ein ungeheurer Strudel erfasste ihn, wirbelte ihn um sämtliche Achsen seines Körpers, schlürfte ihn wie das gierige Maul eines gefräßigen Monsters in die unendlichen Tiefen seiner Eingeweide …
Und so verschwand Doktor Tod aus dieser Episode seines Lebens.
☆
Nur … hierher hatte er nicht gewollt!
Doktor Tod sah sich um.
Wo war dieses Hier? Wo war er gelandet nach seinem Parforceritt durch Raum und Zeit, der ihn erschöpft hatte, als hätte er ihn mittels seiner ganz eigenen Kräfte bewältigen müssen und nicht, wie üblich und erwartet, mithilfe schwarzer Magie?
Was war geschehen? Hatte er beim Betreten des Dimensionstors die falsche Formel gesprochen? Asmodis hatte ihm ein so enormes und detailreiches Wissen eingeflößt, dass es eigentlich nicht verwunderlich gewesen wäre, hätte er ein paar Worte durcheinandergebracht.
Aber irgendwie wusste er, dass es nicht so gewesen war. Dass es nicht so einfach war. Und so harmlos. Sondern …
Nun, das wusste er eben nicht.
Doktor Tod rekapitulierte.
Zunächst war es so gewesen wie immer. Nicht angenehm, diese Trips in oder durch fremde Dimensionen waren immer ein bisschen so, als würde man sterben und wiederauferstehen. Er erinnerte sich an den üblichen Ruck, an das Schwindelgefühl, das er nun schon viele Male erlebt hatte und das doch jedes Mal neu und anders zu sein schien, und an den anschließenden Schmerz, als würde sein Körper auseinandergerissen.
Und dann war es stets so plötzlich vorbei, wie es begonnen hatte. Genauso war es auch dieses Mal gewesen. Nur war er bis jetzt immer dort angekommen, wo er hingewollt hatte.
Diesmal nicht.
Oder doch?
Gab es eine solche Gegend irgendwo in Rumänien, in den Karpaten, der Heimat und bis heute dem Land der Vampire, das sein Ziel gewesen war? Bislang hatte es genügt, die Formel aufzusagen und sich unter Zuhilfenahme seines Fingerrings darauf zu konzentrieren, wo er auf magischem Weg hingebracht werden wollte, und dann …
Er schüttelte unwirsch seinen großen Kopf, dessentwegen er schon als Kind verlacht worden war. Nein, nein, so konnte es nicht sein – es gab auf der ganzen Welt keinen Ort, wo es von einem roten Himmel Blut regnete, das sich auf einem warmen Boden, der schwammig war und roch wie verwesendes Fleisch, zu dampfenden Pfützen sammelte!
Er musste in einer anderen Welt gestrandet sein.
Doktor Tod, der bisher – und ebenfalls wie immer nach einer solchen Reise – rücklings auf dem Boden gelegen hatte, rappelte sich auf, angeekelt davon, dass er in Blut zu liegen gekommen war und seine schwarze Kleidung über und über damit besudelt sein musste. Denn nur, weil es ihm nichts ausmachte, im übertragenen Sinn Blut an den Händen zu haben, hieß das noch lange nicht, dass es ihn nicht störte, tatsächlich blutverschmiert zu sein …
Aber das war er nicht.
Kein Tropfen des Blutes, in dem er gelegen hatte, blieb an seinen Kleidern oder seiner bloßen Haut kleben.
Es war, als wäre er selbst, körperlich, gar nicht ganz hier – oder diese Welt nicht ganz real …
Real war allerdings etwas anderes – die vor Zorn brüllende Stimme, die diese Welt plötzlich einem Donnerschlag gleich erschütterte und auf Doktor Tod zurollte wie eine Welle. Sie riss ihn von den Füßen und warf ihn wieder zu Boden, in die blutigen Lachen des blutigen Regens vom blutigen Himmel, und dieses Blut spritzte auf, es drang ihm in Mund und Nase, er konnte es schmecken und riechen, es schien ihm den Atem zu nehmen – und doch war es nach wie vor nicht wirklich da.
Aber so unangenehm, so schrecklich diese irreale Erfahrung sogar für jemanden wie Doktor Tod war, sie verkam zur Bedeutungslosigkeit angesichts der Stimme, die so irrsinnig laut und auf unbeschreibliche Weise mächtig war, dass er wirklich fürchtete, sie würde ihm den Verstand rauben und ihn in den Wahnsinn treiben.
Aber vielleicht lag dieser Eindruck auch nur daran, dass er wusste, wessen Stimme es war – und vor allem an dem, was sie sagte. Was sie ihm vorwarf. Vor die Füße schmiss, so wie man einen alten Knochen einem Hund hinwarf, den man nicht liebte, sondern nur duldete und durchfütterte.
»Du hast versagt!«, donnerte die Stimme vom Himmel, der von einem Horizont bis zum anderen ganz aus fetten, von Blut triefenden Wolken bestand.
Doktor Tod blickte auf zu diesem Himmel und erkannte seine eigene Stimme nicht wieder, so zaghaft und kleinlaut klang sie, als er nur ein einziges Wort zwischen seinen Lippen hindurchpresste.
Einen Namen.
»Asmodis?«
☆
»Versagt?« Doktor Tod schluckte. Seine tief in ihren Höhlen liegenden Augen zuckten hin und her. Ihr Blick suchte Asmodis. »Was meinst du …«
»Schon wieder hast du versagt!«, fuhr ihm der Satan in die kaum begonnene Rede, und Doktor Tod hatte das Gefühl, ihm sei der Mund mit einem Fausthieb verschlossen worden, passend zu dem Kupfergeschmack, der nicht von seiner Zunge wich, ganz gleich, wie unwirklich dieses verfluchte Blut hier überall auch sein mochte.
»Ich …«, setzte Doktor Tod von Neuem an.
»Sinclair lebt!«, unterbrach ihn Asmodis abermals, und der blutige Regen nahm zu. »Dein Plan mit dem Doppelgänger, so gut er mir auch gefiel, ist nicht aufgegangen.«
Diese Nachricht, woher Asmodis sie auch haben mochte – aber er war wohl auf seine Art ebenso allwissend wie seine Pendants auf der anderen, der sogenannten guten Seite –, versetzte Doktor Tod einen Stich.
»Du schweigst?«, fuhr ihn der Teufel an.
»Wer bin ich, dir zu widersprechen?«, erwiderte er, seine Worte mit Bedacht gewählt.
»Mein Erster Diener bist du«, sagte Asmodis. Wo steckte er bloß? Doktor Tods Blicke fanden ihn einfach nicht. Überall war nur diese blutige Röte. »Und von einem Ersten Diener erwarte ich mehr als hochtrabende Pläne, die einer nach dem anderen fehlschlagen.«
Jetzt verteidigte sich Doktor Tod doch: »Völlige Fehlschläge waren meine Pläne nicht. Ich erschuf in jedem Fall Böses, säte Schmerz und Leid, brachte Menschen den Tod.«
»Das ist richtig«, räumte Asmodis ein. Hinter dem roten, wabernden Vorhang, den der Blutregen wob, rührte sich etwas. »Aber das genügt mir auf Dauer nicht. Du hast viel von mir bekommen – Macht und Fähigkeiten. Aber ich habe das Gefühl, dich … wie sagen die Menschen?«
Komm mir nicht mit den Menschen!, wollte Doktor Tod schon aufbegehren, beherrschte sich aber.
Aus der Bewegung hinter dem blutigen Regen wurde ein Schemen, dann eine Gestalt, und im nächsten Augenblick trat jemand daraus hervor und Doktor Tod gegenüber. Ein Mann im Maßanzug, von der Sohle bis zum Kragen ein Gentleman, der in die feinste Gesellschaft gepasst hätte – wäre der Schädel mit dem dreieckigen Gesicht auf seinem Hals nicht gewesen. Der zu einem hässlichen Grinsen verzerrte Mund bleckte stiftartige Zähne, in den Pupillen schien der Abglanz von Feuer zu leuchten, und ihr Blick brannte wie die Sonne an einem höllisch heißen Tag. Doktor Tod hatte das Gefühl, seine blasse Haut würde sich röten, nur weil Asmodis ihn ansah.
Der Satan schnippte mit knotigen Fingern. »Na, wie sagen die Menschen?« Er gab sich zumindest den Anschein, ernsthaft nachzugrübeln. »Ach ja«, fiel ihm dann ein, »ich habe das Gefühl, dich überbezahlt zu haben. Ich erwarte mehr für mein Geld.« Sein Grinsen wurde noch breiter. Diese Begriffe aus der menschlichen Sprache schienen ihm zu gefallen – oder er wollte Doktor Tod, den Menschenfeind, damit verhöhnen. »Sonst muss ich dir etwas vom Lohn abziehen.«
Doktor Tod wusste, was Asmodis meinte: Er drohte, ihm wegzunehmen, was er ihm gegeben hatte, die magischen Kräfte und das Wissen – er würde sie verlieren, wenn er nicht endlich … wie sagten die Menschen?, fragte nun auch er sich. Ach ja … wenn er nicht ablieferte.
»Mein nächster Plan wird gelingen«, sagte er, hoffentlich nicht zu hastig und hoffentlich so überzeugt, wie er klingen wollte. Und dann erzählte er dem Satan, was er in Rumänien vorhatte und wie weit die Vorbereitungen schon gediehen waren.
»Ich habe einen Diener vor Ort, der sich während meiner Abwesenheit kümmert. Ein Mann namens Haduk, er würde dir gefallen, ein durch und durch verkommenes Subjekt.«
Asmodis gab sich unbeeindruckt und blickte auf die krallenartigen Nägel seiner Finger, die wie Fliegenbeine mit borstigem Haar bewachsen waren.