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Im Haus der Geister
An Halloween habe ich einige meiner haarsträubendsten Fälle erlebt. Ihr erinnert euch sicher, liebe Freunde, an den berüchtigten "Hügel vor der Stadt" und das unheimliche Haus, das früher dort stand.
Aber dieses Kapitel war abgeschlossen, das alte Haus zerstört, und ich freute mich auf einen geruhsamen Halloween-Abend ohne echte Geister und Dämonen - bis das Telefon klingelte und ich hören musste: "John, es ist wieder da!"
Das war jedoch nicht alles, was mich erwartete. Ich traf dort auch auf einen Freund und Kollegen ... der eigentlich tot war: Professor Zamorra!
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Cover
Impressum
Im Haus der Geister
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8861-9
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Im Haus der Geister
von Timothy Stahl
Eine Faust schoss auf mich zu und traf!
Mein Gesicht schien in grellem Schmerz zu explodieren.
Benommen schüttelte ich den Kopf. Ich schmeckte Blut im Mund.
Sekunden vergingen, bis ich wieder klar sehen konnte. Und dann wollte ich nicht glauben, was ich da sah. Oder vielmehr, wen ich da sah. Denn …
»Zamorra? Aber ich dachte … du bist tot!«
Einige Stunden vorher
Es war einer jener Tage gewesen, an denen es nie ganz hell wurde, und auf einmal war dann auch schon der Abend da.
Glynn Keane hatte heute oft und lange am Fenster gestanden. An dem Fenster seines kleinen Hauses, von dem aus man einen guten Blick auf den Hügel vor der Stadt hatte.
Die Bäume auf den Hügelflanken und der Kuppe waren inzwischen größtenteils kahl. An sonnigen Herbsttagen hatte der Hügel ein wunderbar buntes Bild geboten. Trotzdem, Keane hatte sich nicht richtig daran erfreuen können.
Zu viel Unheil war von diesem Hügel ausgegangen. Oder besser gesagt, von dem Haus, das auf dem Hügel gestanden hatte. Es hatte vor langer Zeit begonnen, und in den vergangenen zwei Jahren, an Halloween, hatten diese Geschehnisse ihren grausamen Höhepunkt gefunden.
Und heute war wieder Halloween.
Aber das Haus auf dem Hügel gab es nicht mehr.
Solange noch ein Hauch von Helligkeit in der Luft lag, sah Keane die Stelle, wo es bis vor einem Jahr noch gestanden hatte. Dann, als sich der Tag vollends zurückzog und dem Abend das Feld überließ, konnte er den leeren Fleck auf dem Hügel nur noch erahnen. Bis die Schatten der Nacht sich herabsenkten und Nebel aufstieg und er gar nichts mehr sah.
Trotzdem blickte er noch hinauf. Immer wieder. Keine Ablenkung half ihm. Kein Buch, keine Zeitschrift, kein Fernsehen. Auch die Kinder nicht, die an seiner Tür klopften und ihn um Süßes baten, weil es sonst Saures gäbe. Er gab ihnen reichlich Süßes, aber auch gedankenlos, trotz des Lächelns, das er aufgesetzt hatte. Es spiegelte nicht wider, was in ihm vorging.
Da rumorte Unruhe, wie etwas Lebendiges, das sich in seinem Bauch hin und her wälzte.
Glynn Keane hatte ein Gespür für drohende Gefahren. Für das Ungewöhnliche. Und das Übersinnliche. Er war wohl damit geboren worden. Und er hatte es als Segen und Fluch gleichermaßen erlebt. Sowohl in seiner Zeit als junger Priester und Exorzist und später dann, nachdem sich seine Wege und die der Kirche nach einem schlimmen Fall getrennt hatten, als »spiritueller Berater«. Eine Bezeichnung, unter der er seine Tätigkeit als Priester und Exorzist im Grunde genommen fortgesetzt hatte, nur eben ohne die Billigung der Kirche, wohl aber – das hatte er oft genug erfahren dürfen – unter dem Schutz einer höheren und guten Macht.
Und dieser besondere Sinn, der ihm eigen war, schlug nun an. Wie ein Hund im Garten, der den Fremden wittert, bevor er am Zaun ist.
Allerdings hatte ihn, das wusste er sehr wohl, dieses Gefühl auch schon oft getrogen. Oder er war einfach nicht dahintergekommen, worauf es angesprochen hatte.
Trotzdem war er ihm immer nachgegangen. Und es hatte sich gelohnt für jedes Mal, da es ihn nicht getrogen hatte. Denn jedes versäumte Mal hätte böse Folgen haben können – im wahrsten Sinn des Wortes.
Glynn Keanes Entschluss stand fest, noch bevor er ihn wirklich bewusst gefasst hatte.
Er stellte die große Schüssel mit den Süßigkeiten vor seine Haustür und schrieb einen Zettel dazu, dass man sich bitte selbst bedienen, aber für andere etwas übrig lassen möge. Dann saß er auch schon in seinem Auto und fuhr los.
Langsam ließ er den Wagen dahinrollen. Überall waren kostümierte Kinder unterwegs, viele Häuser und Gärten gruselig geschmückt. Ein paar Erwachsene gingen mit und passten auf die Kleinsten auf.
Keane freute sich, dass es so war.
Wieder dachte er daran, was in den beiden vergangenen Jahren an Halloween hier oben, im Norden von London, passiert war. Sie hatten es nicht an die große Glocke gehängt. Sonst wären die Straßen heute Nacht wahrscheinlich wie leer gefegt gewesen.
Er passierte den Friedhof und ließ die letzten Häuser hinter sich. Freies Feld lag vor ihm, dahinter der Hügel. Über beidem dünner Nebel, wie hingehauchter Atem.
Keane blickte zum Hügel hinauf. Zu sehen war nichts. Er war gespannt und neugierig, ob ihn dennoch etwas erwartete. Eines jedoch war er nicht: leichtsinnig.
Ein wenig Rückendeckung, dachte er sich, könnte sicher nicht schaden …
☆
Ist für manche von uns
nicht jeden Tag Halloween?
Tim Burton
Ich hatte geduscht und rubbelte mich gerade mit einem flauschigen Handtuch ab, da hörte ich, wie es an meiner Wohnungstür klopfte. Und draußen sang eine dünne Stimme: »Heute ist Halloween … Halloween … Halloween!«
Augenblicklich wurden Erinnerungen wach. An das wohl blutigste Halloween, das ich je erlebt hatte!
Ich reagierte wie im Reflex. Schon war ich an der Tür, riss sie auf, in jeder Hand eine Waffe, und blickte …
… in das schreckensstarre Gesicht eines Kindes.
Es war ein Junge.
Und ich kannte ihn aus Kindertagen.
Er war mein bester Freund gewesen, und heute war er tot.
Weil ich ihn nicht hatte retten können, damals, vor zwei Jahren.
»Rudy …«, hörte ich mich sagen.
Ja, Rudy Gordon stand vor mir. Als Kind, als Zwölfjähriger. Älter war er nie geworden. Obwohl er viel länger gelebt hatte. In Welten allerdings, in denen die Zeit verging, ohne Spuren zu hinterlassen. Bis wir uns dann wiedergesehen hatten – und im gleichen Zug wieder voneinander hatten verabschieden müssen. Jetzt für immer.1)
Und nun stand Rudy wieder da. Vor meiner Wohnungstür. Wie war das möglich?
Heute war Halloween …
Rudys Mund bewegte sich. Verzog sich. Dann lachte er, und Rudy zeigte mit dem Finger auf mich.
Und ich sah an mir herab. Sah, wie ich dastand. In der offenen Tür, in der rechten Hand meine Beretta, in der linken mein silbernes Kreuz, und ansonsten … splitterfasernackt.
Und ich lachte auch. Lachte mit meinem Freund Rudy. Bis mir ein Splitter aus Eis in die Brust zu dringen schien – während Rudy immer noch lachte. Weil er nicht sehen konnte, was ich sah. Weil es hinter ihm geschah.
Ein Henker stand plötzlich hinter Rudy Gordon!
Aufgetaucht wie aus dem Nichts. Aus einer anderen Welt oder Dimension, zu der sich, wie und warum auch immer, ein Durchschlupf geöffnet hatte.
Und auch diesen Henker kannte ich, obwohl sein Kopf unter einer Kapuze verborgen war. Aber vor einem Jahr hatte ich unter diese Kapuze geblickt und in das Gesicht eines weiteren Jungen, den ich einmal gekannt hatte. Der vor vielen Jahren verschwunden war, genau wie Rudy Gordon, und den der Teufel unter seine Fittiche genommen und zum Henker gemacht hatte.
Ich hatte geglaubt, ihn vor Jahresfrist erlöst zu haben von diesem Schicksal, nachdem ich nicht mehr für ihn hatte tun können.2) Aber jetzt war er wieder da, der Hexenhenker, dieser Junge von damals, Lamont Roberts … War er also nicht gestorben? Hatte ihn »nur« der Teufel geholt und nun wieder hergeschickt?
Er holte aus mit seiner Axt.
Ihre Schneide sollte Rudy Gordon treffen. Der immer noch nicht wusste, wer hinter ihm stand, was ihm drohte. Der immer noch lachte und auf mich zeigte …
Und ich … ich lachte auch noch.
Während mein Finger sich um den Abzug der Beretta krümmen sollte. Und es partout nicht tat, sich ums Verrecken nicht bewegen ließ. Als wäre er gar nicht meiner.
Und dabei lachte ich und lachte. Ich lachte, bis der Henker zuschlug, und auch Rudy lachte, sein Kopf lachte noch, während er nach links fiel und sein enthaupteter Körper nach rechts kippte, steif wie ein gefällter Baum.
Und ich konnte und konnte einfach nicht aufhören zu lachen, die Beretta in meiner scheinbar toten Hand auf den Henker mit der jetzt blutigen Axt gerichtet. Ich lachte, bis mir die Tränen kamen. Bis alles, was ich sah, verschwamm. Bis ich merkte, dass ich gar nicht lachte – aber mein Gesicht doch tränennass war … und dass ich auch nicht nackt und bewaffnet in der offenen Tür meiner Wohnung stand, sondern in meinem Lieblingssessel lag, wo ich gerade aufgewacht war.
Ich sprang auf und wischte mir kalten Schweiß und Tränen aus dem Gesicht.
Hatte ich wirklich nur geträumt?
Im Vorbeigehen zog ich meine mit Silberkugeln geladene Beretta aus dem Schulterhalfter, das im Flur am Garderobenhaken hing, dann presste ich das Ohr an die Wohnungstür.
Von draußen war nichts zu hören.
Ich zog die Tür auf, nur einen Spaltbreit, und spähte auf den Gang vor den Apartments hinaus. Nichts und niemand zu sehen.
Aber lachte da nicht jemand, irgendwo? Ganz leise und hell, wie ein Kind?
Nun, das war gut möglich. Schließlich war Halloween, dies ein großes Haus, und in dem wohnten auch viele Kinder.
Ich steckte die Beretta in die Tasche meiner Jogginghose, die so alt und ausgeleiert war, dass die Waffe einigermaßen hineinpasste. Allerdings drohte ihr Gewicht, mir die Hose runterzuziehen. Und wie ich das Glück kannte, würde sich genau dann eine der Nachbartüren öffnen, und Mr. Sinclair, den sowieso manche für etwas seltsam hielten, würde dann mit herabgelassener Hose dastehen und eine Pistole in der Tasche haben.
Ich ging schnell wieder rein und schlossmeine Tür hinter mir.
Im Bad wusch ich mir rasch das Gesicht. Aus dem Wohnzimmer drang unterdessen eine ominöse Stimme: »In jener Nacht wusste Professor Abronsius noch nicht, dass er das Böse, das er für immer zu vernichten hoffte, mit sich schleppte. Mit seiner Hilfe konnte es sich endlich über die ganze Welt ausbreiten.«
»Ach, so ein Mist«, ärgerte ich mich und schob die Beretta zurück ins Halfter an der Garderobe, bevor ich ins Wohnzimmer ging, wo gerade der Abspann von »Tanz der Vampire« über den Fernsehbildschirm lief.
Trotz meines Berufs, der mich fast täglich mit Dämonen und dergleichen konfrontierte, sah ich mir gerne mal einen alten Gruselfilm an, und diese Horrorkomödie war einer meiner liebsten.
Leider hatte ich den Streifen zum größten Teil verschlafen. Das wurmte mich jetzt wirklich. Darauf hatte ich mich echt gefreut. Wie überhaupt auf einen ruhigen Abend – gerade an Halloween, wo ich oft schon haarsträubende Dinge erlebt hatte. Nicht nur im vorigen Jahr und dem davor. Da brauchte ich nur an den lächelnden Henker zu denken, in dessen Maskerade seinerzeit meine Freundin Jane Collins unter dem Einfluss des Geists von Jack the Ripper ihr Unwesen getrieben hatte …3)
Ich schauderte unter der bloßen Erinnerung daran. Schreckliche Zeiten waren das gewesen. Nicht dass sie heute besser geworden wären. Sie waren nur anders. Und Jane Collins stand längst wieder auf unserer Seite. Trotzdem war unser Verhältnis nie mehr so geworden wie früher, als wir ein richtiges Paar gewesen waren und uns geliebt hatten.
Eine Zeit lang waren wir noch so etwas wie »Freunde mit gewissen Vorzügen« geblieben. Inzwischen war auch das vorbei. Leider, wie ich zumindest mir selbst insgeheim immer noch eingestehen musste. Aber ich freute mich natürlich auch, dass Jane glücklich verbandelt war mit ihrer neuen Liebe. Chris Ainsworth hieß der Mann, der sich so glücklich schätzen durfte, und er war auch jemand, den ich aus meiner Kindheit kannte. Er und Jane hatten sich genau heute vor zwei Jahren kennengelernt, an Halloween.
Halloween … Das war einfach ein besonderer Tag für uns.
Nur heute offenbar nicht. Wenn ich meinen Albtraum von gerade eben einmal außer Acht ließ, und das tat ich auch. Das war Zufall gewesen, ein Aufstoßen noch nicht ganz verdauter Erinnerungen sozusagen. Kein Wunder, diese Geschehnisse waren nicht irgendein x-beliebiger Fall gewesen. Sie hatten mich persönlich betroffen und waren mir viel näher gegangen als andere Erlebnisse. Ich würde sie nie vergessen. Und das war auch gut so. So etwas erdete mich, dadurch blieb ich Mensch. Jedenfalls redete ich mir das Grauen damit halbwegs schön, und das durchaus mit einigem Erfolg.
Aber heute war mir anscheinend ein ereignisloser Halloween-Abend beschert, und auf den hatte ich mich auch gefreut. Und solange das Verpennen eines Films, den ich gern gesehen hätte, das einzige Ärgernis des Abends blieb, wollte ich mich auch gar nicht beklagen. Ein paar gemütliche Stunden standen mir dennoch bevor, und die hatte ich mir auch verdient, weil ich heute nämlich schon fleißig gewesen war!
Hinter mir lag ein Tag, an dem es selbst im Büro wenig zu tun gegeben hatte. Und so hatten wir, Suko und ich, uns den Nachmittag freigenommen. Mein chinesischer Freund und Partner war mit seiner Freundin Shao zur Geburtstagsfeier eines Vetters gegangen. Ich hatte den Nachmittag genutzt und war erst – und nach viel zu langer Abstinenz – ins Fitnessstudio gegangen und dann noch eine Runde im Hyde Park gelaufen. Obwohl ich dort eigentlich gar nicht gern hinging. Weil ich einmal im Jahr hingehen »musste«.
An dem Tag nämlich, an dem dort Professor Zamorra gestorben war, mein französischer Kollege und … nun, wir hatten uns vielleicht nicht gut genug gekannt, um Freunde zu sein, jedenfalls nicht in dem Sinn und vor allem nicht so eng, wie ich mit Suko oder auch Bill Conolly befreundet war. Aber der Job, die gemeinsame Berufung zur Jagd auf Geister und Dämonen hatte uns doch sehr miteinander verbunden, über das Maß reiner Kollegialität hinaus. Auch wenn wir tatsächlich nur einige wenige Male wirklich in persona zusammengearbeitet hatten. Das kam mir in der Erinnerung selbst manchmal ganz anders vor. Aber wir hatten immerhin einigermaßen regelmäßigen Kontakt gehalten, bis … ja, ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr, bis wann eigentlich. Wann diese Verbindung dann doch nachgelassen hatte und schließlich so gut wie eingeschlafen war.
Trotzdem hatte mich Zamorras Tod, noch dazu die Weise, wie er gestorben war, natürlich tief getroffen.4) Und einmal im Jahr seines Todes zu gedenken, das gehörte sich nicht nur, das war mir ein echtes und herzliches Bedürfnis. Obgleich ich dabei auch immer seiner Gefährtin Nicole Duval begegnete. Unser Verhältnis war nicht mehr sehr herzlich. Nicole hatte sich verändert. Sehr verändert. Und nicht zu ihrem Vorteil.
Aber das ging mich nichts an.
Der Lauf durch den Hyde Park hatte mir jedenfalls gutgetan, auch wenn ich dabei natürlich an Zamorra gedacht hatte und am Ende ganz schön aus der Puste gewesen war. Umso mehr hatte ich mich jedoch auf den Abend gefreut, in den der trübe Herbsttag fast nahtlos übergegangen war, und den wollte ich nun auch entsprechend genießen.
Ich würde mir jetzt erst einmal ein frisches Bier einschenken, nachdem das erste, von dem ich gerade mal einen kleinen Schluck getrunken hatte, längst schal geworden war, während ich vor mich hin gedöst hatte. Dann wollte ich im Sessel sitzen, die Beine langmachen und durchs Fernsehprogramm zappen. Irgendwo lief bestimmt ein schöner Horrorschinken, vielleicht eine alte Hammer-Produktion.
Nur einen der Dracula-Filme wollte ich nicht sehen, auf die reagierte ich gewissermaßen allergisch. Auch wenn er nicht wie Christopher Lee als Vampirgraf ausgesehen hatte, erinnerte mich die Filmfigur als solche viel zu sehr an meinen alten Freund Will Mallmann, der im wahren Leben als Dracula II eine unrühmliche Karriere und uns lange Zeit das Leben zur Hölle gemacht hatte.
Ich schüttete das alte Bier weg, spülte den Krug – übrigens ein Souvenir aus Deutschland, das ich vor Jahren von Will Mallmann bekommen hatte – kalt aus und schenkte mir ein neues ein. Als ich damit ins Wohnzimmer zurückkam, war in der Glotze gerade ein Werbeblock zu Ende, und auf der Mattscheibe erschien, weiße Schrift auf schwarzem Grund, unterlegt mit dem lauten Ticken einer Uhr, ein Zitat von Edgar Allan Poe: »Is all that we see or seem but a dream within a dream?«
Ist alles, was wir sehen oder scheinen, nur ein Traum im Traum?
Das Bild wechselte. Eine goldene Taschenuhr, die sich mit offenem Deckel an ihrer Kette drehte. Kameraschwenk. Kinder saßen mit bangen Mienen um ein flackerndes Lagerfeuer. Eine Hand griff nach der Uhr und ließ sie zuschnappen.
ZACK!
Ich wusste sofort, welcher Film da gerade anfing: »The Fog – Nebel des Grauens« von John Carpenter, einem meiner Lieblingsregisseure. Ein absoluter Klassiker, wie geschaffen für einen Halloween-Fernsehabend!
Ich freute mich, und während ich meinen Bierkrug auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel abstellte, sprach im Fernseher der alte Seebär mit rauer Stimme: »In fünf Minuten ist es zwölf Uhr. Gleich haben wir Mitternacht. Für eine Geschichte bleibt gerade noch Zeit. Was ich euch jetzt erzählen werde, ist tatsächlich passiert. Also sperrt die Ohren auf …«
Da klingelte das Telefon.
Und mein Bauchgefühl sagte mir schon in diesem Moment: Das war’s mit meinem gemütlichen Abend!
☆
There’s a light
over at the Frankenstein place.
Rocky Horror Picture Show
Glynn Keane war im Lauf des Jahres einige Male auf dem Hügel gewesen, auf den er jetzt wieder zufuhr. Eine schmale Straße führte in Serpentinen hinauf. Er bog in sie ein. Das Licht der Scheinwerfer schob sich wie eine Welle vor ihm her und leckte links und rechts in den Wald hinein. Der Boden zwischen den Bäumen und auch die Fahrbahn waren mit abgefallenem Laub bedeckt.
Keanes Spannung stieg.
War da oben etwas im Gange?
Er würde es bald wissen …
Übers Jahr jedenfalls hatte Ruhe geherrscht auf dem Hügel. Totenstille. Nichts hatte sich gerührt. Und es gab kaum noch einen Hinweis darauf, dass dort einmal ein Haus gestanden hatte. Nur noch ein Stück schwarzer, verbrannter Erde, auf dem nichts spross – kein noch so geringes Leben, nicht der kleinste Halm.