John Sinclair 2228 - Marc Freund - E-Book

John Sinclair 2228 E-Book

Marc Freund

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Beschreibung

Es war dunkel um ihn herum. Nicht der kleinste Lichtschimmer drang durch das Fenster herein. Draußen herrschte tiefste Nacht.
Der alte Mann hatte sich bis in sein Wohnzimmer vorgetastet. Dort war er stehen geblieben, als die Geräusche wieder eingesetzt hatten. Die Klopfgeräusche, die aus dem Wohnungsflur herüber drangen.
Das unheimliche Pochen aus dem Besenschrank ...


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Inhalt

Cover

ES ist unter uns

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

ES ist unter uns

von Marc Freund

Es war dunkel um ihn herum. Nicht der kleinste Lichtschimmer drang durch das Fenster herein. Draußen herrschte tiefste Nacht.

Der alte Mann hatte sich bis in sein Wohnzimmer vorgetastet. Dort war er stehen geblieben, als die Geräusche wieder eingesetzt hatten. Die Klopfgeräusche, die aus dem Wohnungsflur herüber drangen.

Das unheimliche Pochen aus dem Besenschrank ...

Josh Bender stand mit offenem Mund da. Lauschte in die absolute Finsternis hinein.

Kein Licht. In der ganzen Wohnung nicht. Er hatte es ausprobiert. Zuerst im Schlafzimmer, als er schweißgebadet von einem dumpfen Laut wachgeworden war. Im Flur dasselbe Ergebnis, und auch der Dimmer im Wohnzimmer reagierte nicht in der gewohnten Weise.

In dieser Nacht würde es kein Licht geben.

Es war die Nacht, in der sie endgültig zu ihm vordringen würden. Lange hatte es sich angekündigt.

Die Klopfsignale.

Zuerst waren sie wie aus weiter Ferne zu ihm heraufgedrungen. Aus der Tiefe.

Er hatte die Heizung in Verdacht gehabt, war sogar im Keller gewesen deswegen. Nichts zu finden, nichts zu machen. In den folgenden Nächten war ihm klargeworden, dass sich etwas zu ihm heraufarbeitete. Wie durch einen langen Schacht hindurch, immer weiter nach oben. Bis ...

Ein erneuter Schlag traf die dünne, lackierte Tür des Besenschranks von innen!

Bender hatte sie von der Außenseite mit einem Besenstiel verbarrikadiert. Aber er wusste, dass sie sich dadurch nicht würden aufhalten lassen. Sie wussten, dass er hier war. Und sie wussten, dass er zu schwach war, um zu fliehen. Zu müde. Ausgezehrt.

Bender atmete flach durch den geöffneten Mund. Sein Herz schlug unregelmäßig in seiner Brust. Es überging einen Schlag und holperte dann hinterher, um wieder in den richtigen Rhythmus zu finden.

Der alte Mann war in Schweiß gebadet. Sein Pyjama klebte wie eine zweite Haut an ihm. Etwas kratzte wie mit scharfen Krallen an der Innenseite der schmalen Schranktür.

Dann war es plötzlich still. Als ob es lauern würde. Warten darauf, was Bender als Nächstes tat.

Er zitterte. Seine Knie wollten nachgeben. Nur mit Mühe konnte er sich überhaupt noch aufrecht halten. Vorsichtig hob er sein rechtes Bein an und setzte den Fuß einen Schritt weiter wieder auf. Das Dielenbrett unter ihm knarrte.

Im Besenschrank polterte es. Etwas schlug heftig gegen die Tür, ließ den Besenstiel in seiner Halterung einen wilden Tanz aufführen. Es scharrte und kratzte wie von Sinnen, mühte sich ab, um endlich nach draußen zu gelangen.

Bender setzte seinen Weg fort. Es gab nur noch ein einziges Ziel für ihn. Das Fenster. Er achtete nicht darauf, dass auch die anderen Dielen knarrten. Das hatten sie immer schon getan. Und jetzt war es egal, denn das, was mit aller Macht zu ihm wollte, wusste ohnehin längst, wo er war. Sie konnten ihn wittern, riechen.

Sein Herz hämmerte, schlug ihm bis zum Hals. Bender erreichte den Vorhang, verkrampfte seine schweißnasse rechte Hand darin und zog ihn mit einem Ruck beiseite. Schwer atmend stand er da, die kahle Stirn gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt. Zu Atem kommen. Wertvolle Sekunden.

Seine rechte Hand glitt vom Stoff des Vorhangs ab, suchte den eisernen Griff des Fensters und fand ihn. Er verharrte in der Bewegung.

Im Flur glitt der Besenstiel aus der Halterung und fiel federnd und klappernd auf den harten Boden. Zwei Sekunden absolute Stille. Dann war ein leises Knarren zu hören. Die Tür des schmalen Wandschranks war aufgeschwungen. Etwas glitt daraus hervor. Etwas, das gierig war und das mit seinen scharfen Krallen über den Boden scharrte.

Es huschte. Aber nicht orientierungslos. Es wusste genau, wohin es wollte. Josh Bender hörte das Ding heranschnellen. Was auch immer es war, er wollte es nicht so weit kommen lassen. Er riss das Fenster mit einem Ruck auf, sammelte noch einmal seine Kräfte und kletterte auf das schmale Brett.

Rings um ihn die Finsternis. Unter ihm der Hof, in ein verschwommenes Betongrau getaucht. Hinter ihm das namenlose Grauen.

Bender blickte nicht zurück. In der Sekunde, in der etwas mit vor Geifer triefenden Zähnen nach ihm schnappte, stieß er sich von der Fensterbank ab.

»Hast du den Schlüssel?«, hatte sie ihn gefragt, und er hatte verschmitzt gegrinst.

»Jetzt sag schon!«

In diesem Augenblick hatte er den kleinen silbernen Gegenstand aus seiner Hosentasche gezogen und ihn ihr vor die Nase gehalten.

Ein breites Lächeln war über ihre Lippen gehuscht und hatte sich wie ein Lauffeuer in ihrem Gesicht ausgebreitet, bis es schließlich ihre Augen zum Strahlen gebracht hatte. »Oh, Liam, das ist so cool! Danke. Danke!«

Sie war ihm um den Hals gefallen und hatte ihn geküsst, während sie ihm dabei den Schlüssel aus den Fingern gewunden hatte.

Das war vor etwas mehr als einer halben Stunde gewesen. Jetzt waren sie auf dem Weg zum nördlichen Stadtrand, Liams Wagen bereits vollgeladen mit den ersten Sachen, die sie in wenigen Minuten schon zusammen in ihre erste gemeinsame Wohnung rauftragen würden.

Amy Lambert, die rotblonde Studentin, drehte den Schlüssel noch immer in ihren Händen, während sie durch die Windschutzscheibe aufmerksam nach draußen blickte. »Und wie hast du es angestellt, dass wir den Zuschlag bekommen haben? Es gab doch noch so viele andere Bewerber.«

Liam grinste. »Ich hab dem Typen ein paar Fotos von dir gezeigt. Du weißt schon, von denen, die ich letzten Sommer in Spanien von dir gemacht habe.«

»Spinner«, antwortete sie lachend und schlug ihrem Freund mit dem Ellenbogen gegen den Oberarm.

Liam Heath grinste noch immer. Seine Finger trommelten zu dem Beat aus dem Radio auf das Lenkrad. Als er sah, dass seine Freundin noch immer auf eine Antwort wartete, zuckte er mit den Schultern. »Keine Ahnung, honey. Vielleicht hat er einfach Gefallen an uns gefunden, hm? Könnte doch sein. Ich meine ... sieh uns doch an: wir sind jung, gesund, sympathisch, unglaublich gut aussehend ... und haben weder schräge Hobbys, noch Haustiere. Also, wenn einem da als Hausverwalter nicht warm im Schritt wird, dann weiß ich auch nicht.«

Wieder kicherte sie, wischte sich eine rotblonde Haarsträhne aus der Stirn und klemmte sie sich hinter das rechte Ohr. »Habt ihr auch über das Finanzielle gesprochen?«

Er warf ihr einen mitleidigen Blick von der Seite zu. »Ich schätze, umsonst wird er uns die Bude kaum geben, honey. Nicht mal, wenn ich noch ein paar Fotos von dir drauflegen würde. Ein paar von diesen anderen ... du weißt schon.«

»Jetzt mal im Ernst«, beharrte sie. »Die Sache mit der Kaution ist ein wichtiger Punkt. Ich möchte, dass das geklärt ist und wir uns nicht gleich am Anfang schon Ärger einhandeln.«

Liam winkte ab. »Mach dir deswegen keine Sorgen, okay? Er hat gesagt, dass wir uns damit bis Weihnachten Zeit lassen können.«

Sie drehte den Kopf in seine Richtung. »Im Ernst?«

Er nahm kurz die Hände vom Steuer, breitete sie aus. »Das waren seine Worte. Ich glaube, er hat es sogar so in den Vertrag geschrieben.«

Amy Lambert beugte sich zu ihrem Freund hinüber und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Das hast du gut gemacht.«

Er schüttelte den Kopf. »Wir. Wir haben das ziemlich gut hingekriegt, finde ich.« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht haben wir auch einfach nur verfluchtes Glück gehabt.«

»So etwas gibt es gar nicht«, bemerkte Amy. »Verfluchtes Glück. Ich meine ... was soll das sein? Entweder man hat Glück, oder man hat es nicht. Und wenn nicht ...«

»Ich unterbreche deinen wissenschaftlichen Vortrag nur ungern«, fiel er ihr ins Wort, »aber wir sind da. Und um das Glück perfekt zu machen: Da vorne ist sogar eine Parklücke.«

Zielsicher setzte Liam Heath den in die Jahre gekommenen Peugeot in die freie Fläche, ließ den Wagen ein paar Zentimeter zurückrollen und stellte den Motor ab.

Sie stiegen aus.

Amy umrundete den Wagen und hängte sich bei Liam ein, der noch eben mit abschätzendem Blick den Abstand zur Stoßstange des hinteren Wagens prüfte. Sichtlich zufrieden wandten sich beide ab und hielten auf das große graue Haus zu, das ganz am Ende der Straße lag und von einer hohen Backsteinmauer umgeben war, aus der hier und da bereits der Fugenmörtel bröckelte.

Das Haus war keine Schönheit. Das war es vermutlich nicht einmal zu der Zeit gewesen, in der dieses Wohngebiet entstanden war. Dieses und auch die Gebäude ringsum wirkten wie eine Herde von großen, klobigen Tieren, die vor vielen Jahren auf ihrer endlos langen Wanderung willkürlich an einem Wasserloch haltgemacht hatten und dann an Ort und Stelle erstarrt waren.

Die eiserne Pforte, die ein wenig schief in den Angeln hing und in einen verwilderten Vorgarten führte, stand halb offen. Liam drückte sie weiter auf.

Ein schmaler Pfad führte zum Hauseingang des fünfstöckigen Gebäudes.

Auf halbem Weg wurde die Tür im Haus geöffnet. Zwei Männer in schlichten schwarzen Anzügen traten heraus.

Amy stieß einen leisen, erschrockenen Laut aus, als sie erkannte, was die beiden zwischen sich trugen.

Es handelte sich um einen Sarg. Keinen einfachen Zinksarg, sondern ein glänzend schwarzer, mit vergoldeten Griffen und Klavierlack überzogen.

»Oh, shit«, flüsterte Amy, die sich nun ganz an ihren Begleiter drückte.

Liam sagte nichts. Er starrte die beiden Männer und den Sarg an.

Wie in Trance machte das Pärchen den beiden Bestattern Platz. Wortlos gingen die Männer mit ihrer Last an den neuen Mietern vorüber.

Liam und Amy blickten ihnen nach, wie sie den Sarg durch die Öffnung in der Gartenmauer bugsierten und dann damit auf die Straße hinaustraten.

»Ich habe gar keinen Bestattungswagen gesehen«, presste Amy flüsternd heraus.

»Vielleicht haben sie den um die Ecke geparkt«, erwiderte Liam, ebenfalls leise.

Die junge Frau starrte noch immer auf die weit geöffnete Pforte, obwohl von den Männern in den dunklen Anzügen bereits nichts mehr zu sehen war.

»Das ist kein gutes Omen«, sage sie, während sie den Kragen ihrer Jacke verschloss, um dem kalten Herbstwind zu entgehen.

»Ach, komm schon«, erwiderte Liam gespielt aufmunternd, »wir ... wir lassen uns dadurch nicht den Tag verderben, hm?« Er drückte Amy kumpelhaft. Als er jedoch bemerkte, dass sie kreidebleich geworden war, drehte er sie sanft zu sich herum und fasste sie bei den Schultern. »Hey! Das hat nichts zu bedeuten, okay? Das war vielleicht nur ... irgendein armer Teufel, für den die Zeit nun mal gekommen war. Ob uns das nun gefällt oder nicht, aber der Tod gehört nun mal auch irgendwie zum Leben.« Er senkte seinen Kopf einen Deut und sah ihr tief in ihre grünen Augen. »Ich liebe dich, honey.«

Sie blickte zu ihm auf. Nach und nach erhellte sich ihr Gesicht wieder. Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, dann nickte sie. »Ich dich auch.«

»Gut«, sagte er.

Sie blinzelte. »Gut? Mehr nicht?«

»Ziemlich ... mega super gut«, korrigierte er und zwinkerte ihr aufmunternd zu.

Sie lösten sich gemeinsam von der Stelle im halbhohen Gras, wo sie im klammen Untergrund eine Mulde hinterlassen hatten.

Als sie näher traten, tauchte in der Türöffnung ein Schatten auf. Ein Mann, der mit dem Fuß nach einem einfachen Holzkeil angelte, den er vermutlich zuvor unter den Türspalt geschoben hatte. Er blickte dem jungen Pärchen mit ausdruckslosem Gesicht und scheinbar desinteressiert entgegen.

Erst als offensichtlich wurde, dass die beiden die Absicht hatten, das Haus zu betreten, fragte er: »Sie wünschen?«

Liam Heath löste sich von seiner Freundin, trat einen Schritt vor und stellte sich vor. »Wir sind die neuen Mieter«, fügte er hinzu.

Diese Information trug offensichtlich nicht dazu bei, irgendeine Regung in die Visage des Mannes zu zaubern. Er gab als Reaktion einen Laut von sich, der imstande war, von Zustimmung bis Ablehnung das gesamte Spektrum der menschlichen Artikulation abzudecken.

Er schob den Keil pedantisch mit dem Fuß in eine Ecke des Hausflurs, während die große, schwere Tür langsam hinter ihnen allen ins Schloss fiel. Ein dumpfer, unangenehmer Laut, der noch lange im Flur mit den hohen Wänden und im Treppenhaus nachhallte.

»Mein Name ist Frost«, sagte der Mürrische. »Mason Frost. Ich bin hier der Hausmeister. Sie haben schon einen Schlüssel für die Wohnung, nehme ich an?« Der Blick des grauhaarigen Mannes bekam etwas Lauerndes.

Liam nickte. »Heute Morgen ausgehändigt bekommen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würden wir heute noch damit anfangen, ein paar Sachen herzubringen.«

Er handelte sich einen argwöhnischen Blick ein, letztlich aber ließ Frost offen, ob er gegen die Absichten der jungen Leute etwas vorzubringen hatte. »Ich werde Sie nach oben begleiten. Sie müssen mir noch ein Formular unterschreiben. Muss es nur rasch aus meiner Wohnung holen. Gehen Sie schon rauf, wenn Sie wollen.« Ohne eine Reaktion abzuwarten, drehte sich Frost um und zog im Gehen einen dicken Schlüsselbund aus seinem blaugrauen Kittel.

Liam und Amy sahen sich kurz an und setzten sich gleich darauf in Bewegung. Sie wandten sich nach links, wo eine breite Treppe mit blankgescheuertem Holzgeländer nach oben führte.

Das junge Paar war schon einmal hier gewesen. Vor etwa drei Wochen, als ein öffentlicher Besichtigungstermin stattgefunden hatte. Allerdings war niemand dort gewesen, an den man sich mit Fragen hätte richten können. Nur eine geöffnete Wohnungstür und dahinter leere Räume.

Amy und Liam waren Berufsanfänger, hatten beide in London eine Arbeit gefunden und nun vor allem eine Bleibe gesucht, die bezahlbar war. Was Letzteres anging, konnten sie sich hier tatsächlich nicht beschweren. Der monatliche Mietpreis lag deutlich unterhalb des üblichen Niveaus. Dafür befand sich das Haus eben am Stadtrand. Allerdings war das ein Umstand, der für beide absolut zu verschmerzen war.

Sie bewegten sich die Treppe nach oben, erwartungsvoll und guter Dinge.

»Was für ein mürrischer Typ«, sagte Amy leise und deutete am Geländer vorbei nach unten.

Liam zuckte mit den Schultern. »Er ist der Hausmeister. Was hast du da erwartet? Wenn der lachen will, geht er dazu vermutlich in den Keller und gräbt sich ein Loch.«

Sie passierten den ersten Stock. Einen Aufzug gab es nicht, hatte es nie gegeben und würde es auch nie. Amy und Liam waren zum Glück auch nicht auf so etwas angewiesen. Diese Wohnung sollte der Start in ihre gemeinsame Zukunft sein. Es war für beide in diesem Moment bereits klar, dass diese Lösung nicht von Dauer sein würde. Aber für den Augenblick war sie bequem und vor allem kostensparend.

Sie legten die letzten Stufen zurück, die sie in den zweiten Stock führten. Ihre Wohnung befand sich auf der rechten Seite. Links neben ihnen war hinter der Tür das aufgeregte Hecheln und Bellen eines Hundes zu hören.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und gab den Blick frei auf eine ältere Frau, die sich einen Regenmantel übergestreift hatte. Ihr Gesicht war unter der aufgezogenen Kapuze kaum zu erkennen. An ihren Beinen vorbei huschte ein grauer, wohlgenährter Mops, der ins Treppenhaus lief und plötzlich abrupt stehen blieb, als sei er gegen eine Wand gelaufen. Er starrte die beiden neuen Mieter aus dunklen, hervorquellenden Augen an und fing an zu bellen. Dabei schnellte seine lange, fleischige Zunge immer wieder zwischen seinen Reißzähnen hervor.

»Aber Rocky, das macht man doch nicht!«, rief die Frau im Regenmantel, die noch damit beschäftigt gewesen war, ihre Tür zu schließen. »Ab in die Ecke! Und schäm dich!«

Der Hund gab ein winselndes Geräusch von sich und kauerte sich zitternd in den Wohnungseingang. Dabei sah er sich immer wieder schuldbewusst um.

Irgendwo über ihnen wurde eine Tür aufgerissen. Eine männliche Stimme: »Ist die verdammte Töle etwa schon wieder im Treppenhaus?« Dumpfe Schritte näherten sich von oben. Zwischen den Streben des Treppengeländers wurden halb zerschlissene braune Hausschuhe und der untere Teil einer verwaschenen Jeans sichtbar.

Ein Mann beugte sich zu ihnen herunter und schien für einen Moment erschrocken, neben der alten Frau noch weitere Anwesende im Treppenhaus zu entdecken. »Ah, Sie sind es, Mrs. Walton«, presste der Mann auf der Treppe hervor. »Ich dachte schon, Ihr Köter hätte sich mal wieder selbstständig gemacht, um hier oben bei uns auf die Fußmatte zu scheißen!«

Die Angesprochene kniff die Lippen zusammen, sodass sie eine weiße Linie bildeten. Viel mehr war von ihrem Gesicht kaum zu erkennen.

Der Mann bewegte sich noch einige Stufen weiter hinunter. Dann blieb er stehen und lehnte sich halb über das Geländer. Sein Blick traf Amy und Liam. »Sind Sie die Neuen? Dann passen Sie mal hübsch auf, dass Sie morgen nicht auch einen stinkenden Haufen vor der Tür liegen haben.«

Liam wollte etwas entgegnen. Allerdings hatte sich Mrs. Walton nun offenbar doch dazu entschieden, gegen die Tiraden ihres Nachbarn anzugehen. »Rocky macht so etwas nur bei Leuten, die er nicht mag. Und er mag nur Leute nicht, die ihm mal etwas angetan haben!«

Der Mann auf der Treppe, ein Typ von etwa vierzig Jahren, unrasiert, verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Dabei präsentierte er ein kräftiges Gebiss. Ein Ausdruck von Vitalität und gleichzeitig einer gewissen Grausamkeit. »Ach ja? Dann sollte er sich in Acht nehmen, dass ich ihm nicht wirklich mal die fette Gurgel umdrehe.« Der Mann wandte seinen Blick wieder auf die neuen Mieter. »Ich hab nicht gewusst, dass so ein kleiner Bastard in der Lage ist, so große Haufen zu scheißen!« Er legte beide Handflächen nebeneinander und wölbte sie zu einem Halbkreis. Er nickte mehrfach, um seine Geste zu unterstreichen. Dann deutete er auf Liam. »Wird Ihnen auch noch passieren. Ist ne wirklich angenehme Überraschung, wenn Sie am Sonntagmorgen einfach nur die Zeitung reinholen wollen. Und zack! Schon haben Sie einen Fuß mittendrin!«

»Das ist nicht wahr!«, schrie Mrs. Walton zurück. »Sie erfinden das nur, um Rocky schlechtzumachen!«

Der Mieter gab einen verächtlichen Laut von sich. »Wie kann man so eine fette, hässliche Töle bloß Rocky nennen? Wenn's wenigstens ein Boxer gewesen wäre.« Damit drehte er sich um und stapfte die Treppe hinauf.

Die Frau im Regenmantel bückte sich zu ihrem Hund und strich ihm sanft über den bulligen Schädel. Dabei blickte sie ihrem Nachbarn hinterher und schüttelte den Kopf. »Unausstehlicher Mensch. Immer ist er so. Dabei lasse ich meinen Rocky nicht im Haus herumlaufen.« Mrs. Walton wandte sich wieder dem jungen Paar zu. »Ich gehe mit ihm nach draußen, damit er dort sein Geschäft verrichten kann, verstehen Sie? Nur, wenn es regnet ... so wie heute Morgen ... ja, dann lasse ich ihn von oben in einem Korb in den Hof hinunter und ziehe ihn wieder hinauf. Rocky mag keinen Regen, wissen Sie?«

Ein Stockwerk über ihnen waren Stimmen zu hören. Sie tuschelten miteinander. Kurz darauf näherten sich Schritte von dort. Dieses Mal jedoch ungleich sanfter und vorsichtiger. Eine etwa vierzig Jahre alte Frau tauchte auf. Sie hatte lange, dunkle Haare, die sie offen trug und die ein ängstlich wirkendes, blasses Gesicht einrahmten.

Der scheue Blick aus ihren großen Augen irrte zwischen den Anwesenden hin und her und blieb schließlich auf Amy ruhen. »Es ... tut mir leid«, presste die Dunkelhaarige hervor. »Owen meint es nicht so. Er ... er ist im Augenblick nur etwas gereizt, weil er ... weil er keine Arbeit findet.«

Mrs. Walton drehte sich zu der Frau auf der Treppe um. Sie hob ihren rechten Arm ein Stück an, sodass ihre weiße, von blauen Adern durchzogene Hand aus dem Ärmel des Regenmantels hervorlugte. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete sie nach oben. »Dann sorgen Sie gefälligst dafür, dass er seinen Frust nicht an meinem armen Rocky auslässt.«

Sie wandte sich ab, schnappte ihren Hund, der offenbar nicht mehr fähig war, die Treppe zu bewältigen, und ging die ersten zwei Stufen hinunter. Dort schien ihr noch etwas eingefallen zu sein, denn sie drehte sich abrupt um, wobei sie alle nacheinander ansah. »Er ist nämlich das unschuldigste Wesen im ganzen Haus.«