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Die erste monotheistische Religion – eine geistige Revolution Vor etwa drei Tausend Jahren entsteht – inmitten herrschender Vielgötterei – der Glaube an den Einen Gott und damit eine neue Religion: das Judentum. Ingke Brodersen führt durch Feste und Feiertage, Rechtsordnung und Rituale, Kleidung und Reinheitsgebote. Sie erzählt die Geschichte der Juden, die jahrhundertelang über die ganze Welt verstreut lebten, bis in dem Heiligen Land, aus dem sie einst vertrieben wurden, ein eigener Staat entstand: Israel. Eine übersichtliche, ebenso kurze wie informative Einführung in das Judentum.
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Seitenzahl: 171
Ingke Brodersen
Eine Einführung
Vor etwa 3000 Jahren entsteht – inmitten herrschender Vielgötterei – der Glaube an den Einen Gott und damit eine neue Religion: das Judentum. Ingke Brodersen führt durch Feste und Feiertage, Rechtsordnung und Rituale, Kleidung und Reinheitsgebote. Sie erzählt die Geschichte der Juden, die jahrhundertelang über die ganze Welt verstreut lebten, bis in dem Heiligen Land, aus dem sie einst vertrieben wurden, ein eigener Staat entstand: Israel.
Eine übersichtliche, ebenso kurze wie informative Einführung in das Judentum.
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Ingke Brodersen, Historikerin, war lange Jahre Lektorin und Herausgeberin politischer Bücher im Rowohlt Verlag, später Leiterin des Verlags Rowohlt Berlin. Gemeinsam mit Rüdiger Dammann schrieb sie die Texte für den Ausstellungskatalog des Jüdischen Museums Berlin, „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte“ (2001); 2006 erschien ihr gemeinsames Buch „Zerrissene Herzen. Die Geschichte der Juden in Deutschland“.
Grundriss
Das Heilige Land
Die biblische Zeit
Der Bund
Mose und die Offenbarung
Davids Reich
Das Babylonische Exil
Judäas Ende
Die Glaubensspaltung
Die Erneuerung des Glaubens
Der Aufstieg der Rabbiner
Gottes Wort: Die Tora
Der Talmud
Der Rabbi und seine Gemeinde
Die Synagoge
Das Gebet
Ritualgegenstände
Kaschrut: Reinheits- und Speisegebote
Der jüdische Kalender
Der Sabbat
Die Festtage
Der Lebenslauf
In der Diaspora
Das sefardische Judentum
Die jüdischen Gemeinden in Aschkenas
Aus dem Ghetto in die Gesellschaft
Die Maskilim
Der Weg in die Akkulturation
Die Chassiden
Der Zionismus
Der Judenstaat
Die nationalsozialistische »Judenpolitik«
Die Gründung des Staates Israel
Der Kampf gegen die britische Besatzungsmacht
Der erste arabisch-israelische Krieg
Vertiefungen
Kampf um Jerusalem
Die neue Welt
Frauen in Zeiten der Umbrüche
Die Denkwürdigkeiten der Glikl von Hameln
Das bürgerliche Familienideal
Der mütterliche Erziehungsauftrag
Öffentliches Engagement
Bildung für Frauen
Hofjuden
Der Herzog und sein Kreditgeber
Verhaftung und Hinrichtung
Der Kampf ums Recht
Die Forderung nach einer Verfassung
Die deutsche Nationalversammlung und die Grundrechte
Demokraten und Soldaten
Bismarck und Jacoby
Wegbereiter der Moderne
Konsum und Mobilität
Die Modernisierung der Medien
Banken und Aktiengesellschaften
Wissenschaft und Forschung
Die »Judenrepublik«
Der »Manager des Völkermords«
Die Suche nach Adolf Eichmann
Die Entführung
Der Prozess in Jerusalem
Anhang
Glossar
Literatur
Vor etwa dreitausend Jahren entsteht in jener Region, die wir heute Naher Osten nennen, der Glaube an den Einen Gott, Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte, und damit eine neue Religion: das Judentum. Am Berg Sinai, so die biblische Überlieferung, hat Er sich offenbart und Mose das Gesetz für Sein Volk, die Tora, übergeben. Ihr Herzstück sind die Zehn Gebote.
Die Tora wird über Jahrtausende hinweg Grundstein des Glaubens und einigendes Band des Judentums sein. Ihre Erzählungen, ihre Mythen, ihre Vorschriften, die den Gottesdienst betreffen wie den Alltag, geben dem Leben und der Geschichte des Volkes Israel eine Ordnung. Durch Feste und Feiertage, Rechtsordnung und Familienleben, Kleidung, Haarschnitt und Speisen sollen sich die Israeliten von den sie umgebenden Völkern unterscheiden und für alle Welt erkennbar machen, dass sie von Gott als seine Bundesgenossen auserwählt und dadurch mit einer besonderen Verpflichtung betraut worden sind.
Damit bekennt sich eine Gruppe erstmals zu einem einzigen, zudem unsichtbaren Gott; sein »Angesicht soll man nicht sehen« (2. Mose 33:23) dürfen, kein Bild darf von ihm gemacht werden. Er ist ein Gott, der »keinen anderen Gott« neben sich duldet – gegenüber der herrschenden Vielgötterei anderer Religionen ist dieser Monotheismus eine geistige Revolution. Fortan sehen sich jene, die diesem Gott dienen, als Sein erwähltes Volk und Ihm durch einen unauflösbaren Bund zur Treue verpflichtet – eine Verantwortung, die ihnen im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte Prüfungen auferlegt, denen sie nicht immer gewachsen sind.
Den wiederholten Abfall vom Glauben kann selbst die Gründung eines bedeutenden Zentralheiligtums, des Tempels in Jerusalem, nicht verhindern. Erst nach seiner Zerstörung und der Auflösung des von den Priestern geleiteten Opferdienstes beginnt mit dem rabbinischen Judentum aus der Krise heraus eine Erneuerung, die den bis dahin überwiegend mündlich überlieferten Glauben durch eine Fülle religiösen Schrifttums sichert – auch bei den dann schon aus dem Heiligen Land vertriebenen Israeliten. Die Glaubenstreue bemisst sich jetzt an der Einhaltung der verbindlichen Regeln einer »Buchreligion«; an die Stelle des Priesters tritt der Rabbi, der Lehrer, an die Stelle des Opferdienstes die den Mizwot, den Geboten und Verboten der Tora, folgende Lebensführung. Wer sich der Tora unterstellt, darf auf den »ewigen Frieden« und die Erlösung von allem Leid hoffen, die der »Messias« bringen wird, Gottes Gesandter vor dem Ende der Zeit.
Im Laufe ihrer Geschichte gründen die Israeliten Reiche und verlieren sie wieder – durch Eroberung und Krieg, Flucht und Vertreibung, aber auch durch innere Kämpfe und Uneinigkeit. Juden heißen sie erst, nachdem zehn ihrer zwölf Stämme zerschlagen und nur das einstige Reich Juda durch Unterwerfung unter die Fremdherrschaft erhalten bleibt. Nun gibt es nur noch die Judäerm und bald nennen sich alle, auch jene, die ins Exil getrieben wurden, Juden, von yechud, sich vereinigen.
Jahrhundertelang leben sie – über die ganze Welt verstreut – in der Diaspora, die zum Grundmerkmal der jüdischen Geschichte wird. In der Fremde bilden sich unterschiedliche Brauchtümer, andere Strukturen der Gemeinde heraus: das sefardische und das aschkenasische Judentum und die Frommen Aschkenasim, die Chassiden. Der immerwährende Gedanke an eine Rückkehr – »nächstes Jahr in Jerusalem«, im Leben der meisten Juden ein Ort, den sie nie gesehen haben, der aber vielleicht gerade deshalb zu einem Gemeinschaft stiftenden Symbol werden konnte – hilft ihnen, Vertreibungen, Ausweisungen, Pogrome im Laufe ihrer Geschichte zu überleben, bis sie in dem Heiligen Land, das ihnen ihrer Überlieferung nach von Gott versprochen worden war, einen neuen Staat aufbauen: Israel.
Wo und wann entsteht der Glaube an den Einen Gott Jahwe? Wer war jenes Volk Israel, das Mose aus Ägypten führte und auf die Gebote der Tora verpflichtete? Das den »Exodus«, den Weg aus der Sklaverei, im Laufe seiner Geschichte immer wieder als Verheißung auf Heimkehr deutete? Das der legendäre König David, von dem der erwartete Messias abstammen soll, in einem Reich versammelte, dessen Mythos vom starken Reich noch den von den Zionisten formulierten Traum vom eigenen »Judenstaat« nährte? Das nach den Kriegen mit den Römern, als ihm das Heilige Land genommen wurde, auch ohne Territorium durch eine umfassende Erneuerung des Glaubens zu überleben lernt?
Alles beginnt damit, dass an Abram, der sich später Abraham nennen wird, Gottes Gebot ergeht, aus seiner chaldäischen Heimatstadt Ur, im mesopotamischen Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris gelegen, nach Kanaan – später Palästina genannt – aufzubrechen: »Gehe aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.« (1. Mose 12) Dort bietet Gott ihm einen »ewigen Bund« an: »Ich will dich über alle Maßen fruchtbar machen und dich zu Völkern werden lassen, und Könige sollen von dir abstammen. Ich richte meinen Bund auf zwischen mir und dir und deinen Nachkommen. Und ich gebe dir und deinen Nachkommen das ganze Land Kanaan zu ewigem Besitz.« Auf dieser Verheißung gründet der Anspruch der Juden auf das Heilige Land. Zum Zeichen der ewigen Erneuerung an den mit Gott geschlossenen Bund soll jeder männliche Abkömmling beschnitten werden. Bis heute ist die Brit Mila, die Beschneidung acht Tage nach der Geburt, das Ritual der Aufnahme in das Judentum.
In der fruchtbaren Kulturlandschaft lassen Abraham und seine Frau Sara sich nieder. Beide fragen sich verwirrt, wie sich Gottes Versprechen auf Nachkommen wohl erfüllen solle, bisher haben sie keine Kinder zeugen können. Nur von Saras Magd Hagar, der Ägypterin, wird Abraham anfänglich ein Sohn geschenkt: Ismael. Von ihm, Abrahams Erstgeborenem, leiten die Muslime ihre Abstammung ab, so wie Abrahams Zweitgeborener, Isaak, der Vorfahr jedes Juden ist – Söhne Abrahams sind beide, die Juden wie die Muslime.
Als zwei Menschenalter später eine verheerende Hungersnot ausbricht, fliehen Abrahams Nachkommen nach Ägypten. Sein Enkel Jakob hat sich inzwischen auf Gottes Geheiß in »Israel« umbenannt: Dieser Name wird seinen Nachkommen von nun an zugehören. Jakobs Söhne, die Ahnherren der zwölf Stämme Israels – Ruben, Simeon, Levi, Juda, Dan, Naftali, Gad, Ascher, Issaschar, Sebulon, Josef, aus dessen Zweig Efraim und Manasse hervorgehen, und Benjamin – sind die »Kinder Israels«. Dort, in Ägypten, müssen sie Fronarbeit für den Pharao leisten und geraten in jene Knechtschaft, aus der Mose sie 800 Jahre später herausführt. »Gesehen habe ich das Elend meines Volkes«, lässt Gott ihn wissen. »So bin ich herabgestiegen, es zu erretten … und es hinaufzuführen in ein Land, das von Milch und Honig fließt.« Er, Mose, sei dazu auserkoren, diesen »Exodus« anzuführen: Am Anfang von Israels Geschichte steht die Befreiung von staatlicher Unterdrückung und Sklaverei.
Der mächtige Pharao weigert sich, die Israeliten ziehen zu lassen. Auch die Plagen, die Gott zur Strafe schickt, stimmen ihn nicht um – bis ein Würgeengel alle Neugeborenen in den Häusern der Ägypter tötet, während die mit dem Blut von Lämmern markierten Hütten der Israeliten verschont bleiben. Bis heute wird diese »Nacht der Verschonung« von den Juden jährlich als Pessachfes gefeiert.
Unter Führung von Mose gelingt im Schutze der Nacht der Exodus aus der ägyptischen Knechtschaft. Auf wunderbare Weise rettet Gott die Israeliten vor den ägyptischen Verfolgern: Vor ihnen teilt sich das Wasser des Schilfmeeres, über den Streitwagen des Pharao hingegen schlägt es wieder zusammen. In der Wüste, am Fuße des mächtigen Berges Sinai, so hat Gott Mose wissen lassen, werde er sich offenbaren und einen Bund schließen, der Ihn zum Gott Israels und Israel zu Seinem Volk macht.
Ein Donnern und Blitzen erhebt sich im Morgengrauen, und »mächtiger Posaunenschall« ertönt, so dass »das ganze Volk im Lager erschrak«, der Sinai, auf den der Herr »im Feuer herabgefahren war«, erbebt, während Gott mit Mose redet: »Wenn ihr auf meine Stimme hört und meinen Bund haltet, so sollt ihr vor allen Völkern mein Eigentum sein (…), ein heiliges Volk.« Sofern die Israeliten streng nach seinen Regeln lebten, verspricht Gott, werde er sie schützen und segnen. Und diese Regeln übergibt er nun Mose: die Tora, Gottes Wort, das »Sakrament« des Judentums – Hauptquelle jüdischen Rechts, jüdischer Ethik und Wegweiser für eine gottgefällige Lebensführung.
Zwei Jahre lagern die Israeliten am Berge Sinai. Das Gelobte Land, in das Gott sie führen will, ist ein umkämpfter, fruchtbarer und üppiger Landstrich an der östlichen Mittelmeerküste. Dort und in seiner Umgebung leben starke, zahlenmäßig überlegene und wehrhafte Völker – Hethiter, Amoriter, Kanaaniter. Zehn der zwölf von Mose ausgesandten Männer, die das Land auskundschaften, halten es nicht einmal mit Gottes Hilfe für möglich, gegen diese Übermacht zu bestehen. So dauert es noch einmal 38 Jahre, bis das Volk Israel die Grenze zu jenem Land namens Kanaan erreicht, das Gott ihm verheißen hat. Nur bis hierhin, an die Ufer des Jordan, kann Mose die Israeliten führen. Gott hält seine Zeit für gekommen. Mose hat seine Aufgabe erfüllt: Er hat die Stämme Israels aus der ägyptischen Knechtschaft geführt, ihnen den Glauben an den Einen Gott gegeben und Seine Gesetze in Kraft gesetzt, wie sie für die Juden bis heute Gültigkeit haben. Ihm hat sich der »Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs« (2. Mose 3:15) unmittelbarer als anderen offenbart, unter allen Propheten nimmt er deshalb den ersten Rang ein; die nun anstehenden Eroberungen sollen andere anführen.
Unter Führung von Josua, Moses’ Nachfolger, überqueren die Israeliten den Jordan, um das Land ihrer Stammväter wieder in Besitz zu nehmen. Sie erobern große Teile Kanaans und teilen sie anschließend unter den zwölf Stämmen auf, die ihre Territorien, um verteidigungsfähiger zu werden, zu größeren Einheiten zusammenschließen – Israel im Norden, Juda im Süden. Beide bleiben in den kommenden Jahrzehnten durch äußere Feinde und durch innere Streitigkeiten bedroht. Erst David aus dem Hause Juda, »ein Mann nach Jahwes Herzen« (1 Sam 13:14), gelingt es, alle Gegner, sogar die mächtigen Philister, zu bezwingen und die Stämme Israels zu einem Reich zu einen.
David, so glauben die Archäologen heute zu wissen, wird vermutlich 1034 v.d.Z. in Bethlehem als jüngster Sohn eines wohlhabenden Judäers geboren und regiert in der Zeit zwischen 1004 bis 964 v.d.Z.. Zu der Zeit herrscht der glücklose König Saul aus dem Stamm Benjamin über das Reich; an seinen Hof wird David gerufen und erweist sich bald als siegreicher Heerführer. Als er einige Jahre später bei dem König in Ungnade fällt, ist er dank seiner militärischen Erfolge bereits einer der mächtigsten Männer im Land, der seine Anhänger in der Stadt Hebron versammelt und sich dort nach Sauls Tod zum neuen König salben lässt, dem sich die zerstrittenen Stammesführer unterwerfen. So kann David alle Landesteile, Israel und Juda, zu einem mächtigen Königreich vereinen – das erste israelitische Reich der Geschichte. Seine neue Hauptstadt wird Jerusalem, bis dahin eine kleine Stadt in den Bergen, zwischen Juda und Israel gelegen, die jetzt aber eine ganz neue strategische Bedeutung gewinnt. Dorthin wird die Bundeslade gebracht und damit wird die »Stadt König Davids« zum religiösen Herzen des Reiches. An der Stelle, die schon David als Opferplatz gedient haben soll, errichtet sein Sohn Salomo am Berg Zion den prachtvollen ersten Tempel.
Die andauernden Spannungen zwischen den zu Juda und den zu Israel gehörenden Stämmen aber kann auch Salomo nicht überwinden. Nach seinem Tod (um 926 v.d.Z.) zerbricht das Reich wieder: Zehn der zwölf Stämme begehren auf und schließen sich erneut zu einem eigenen Königreich Israel im Norden des Landes zusammen. Nur die Stämme Juda und Benjamin halten weiterhin zu Salomos Nachfolger Rehabeam und gründen im Süden um die Hauptstadt Jerusalem das Königreich Juda. Um 722 v.d.Z. wird der Norden schließlich von den Assyrern erobert; die Angehörigen der zehn rebellischen Stämme Israels, die sich den Eroberern entgegenstellen, werden deportiert, zersprengt oder gehen unter. Das Südreich Juda hingegen zollt den Assyrern Tribut und beugt sich der Fremdherrschaft – fortan wird es nur noch die Abkömmlinge Judas geben: die Juden.
Um 597 v.d.Z. werden die Judäer von den Babyloniern unterworfen, ihr König und Teile der Oberschicht nach Babylon deportiert. Zehn Jahre später rebellieren sie und verlieren dabei ihr zentrales Heiligtum: Die Truppen des babylonischen Königs Nebukadnezar rauben die Opfergeräte aus dem Heiligen Tempel und stecken ihn in Brand, der auch den Thronsitz Jahwes sowie die Bundeslade mit den Zehn Geboten verschlingt. Jerusalem liegt in Schutt und Asche. Viele seiner Bewohner müssen den Weg ins babylonische Exil antreten. Damit endet das Reich, das David schuf.
In Nebukadnezars Reich formiert sich im Laufe der Zeit die erste große jüdische Gemeinde außerhalb des Heiligen Landes, die in den folgenden Jahrhunderten einen großen Einfluss auf das Judentum nehmen wird. Das Babylonische Exil wird zu einer der fruchtbarsten Zeiten der jüdischen Theologie. Der Talmud, der dort entsteht, wird neben der Tora das zweite heilige Buch der Juden.
Nicht alle aber halten dem Bund mit Gott, dem Einzigen, die Treue. Viele haben bald ein gutes Auskommen, einige steigen sogar in hohe Ämter am Hofe oder im Militär auf, assimilieren sich und folgen dem fremden Kult der Babylonier. Propheten – Mahner, Warner oder Heilskünder – erheben in dieser Zeit ihre Stimme; Ezechiel etwa, der Gott auf dem Thronwagen in die Fremde ziehen sieht. Gott ist also auch hier, in der Fremde, gegenwärtig, er hat sein Volk nicht verlassen. Diese Interpretation ihrer Erfahrung verhilft den Exilanten zu einer »Universalisierung« ihres Gottes und bestärkt sie in ihrem Monotheismus: Es gibt nur den Einen, den Ewigen, der überall und für alle »zuständig« ist. Und aus dieser Einsicht erwächst neue Zuversicht: Wie einst beim Auszug aus Ägypten wird Er sein Volk noch einmal befreien und heimführen, sofern Seine Weisungen beachtet werden. Die Übertragung der alten geschichtlichen Erzählungen auf die Deutung von Gegenwart und Zukunft wird zu einem Paradigma jüdischen Denkens, das die Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat festigt. Aber die Gabe des Gelobten Landes ist keine Selbstverständlichkeit, sondern an den Gehorsam gegenüber dem Ewigen gebunden: Gott hat Seinem Volk mit der Vertreibung eine Prüfung auferlegt, weil es die Gebote der Tora missachtet und die Bräuche von Fremdvölkern übernommen hat – bestehen wird sie nur, zu diesem Schluss kommen Weise und Gelehrte, wer auch in der Fremde, ohne den heiligen Tempel, konsequent der Tora folgt.
Und so beginnen sie mit der Verschriftung der Teile ihrer Religion, die bisher nur mündlich tradiert wurden: grundlegende Abschnitte der Tora, die Geschichten um die Erzväter, um David und Salomo, die düsteren Worte der Propheten wie auch ihre Hoffnungsbotschaften, die von der Gnade Jahwes künden und von der Heimkehr ins Heilige Land. Sabbat und Beschneidung, alte Bräuche, die man auch fern der Heimat praktizieren kann, werden zu Zeichen des Bundes mit Gott. Nicht mehr das Opfer und der Tempel in Jerusalem stehen im Mittelpunkt, sondern Rechtsordnungen und Gebote, deren Beachtung das »Haus Israel« zusammenhält und den Juden ermöglicht, in dem Vielvölkergemisch Babylons eine eigene Identität zu bewahren.
Als der Perserkönig Kyros 539 v.d.Z. Babylonien erobert und den Judäern die Rückkehr ins Gelobte Land erlaubt, ziehen Tausende heim und beginnen ab 515 v.d.Z. mit dem Aufbau des Zweiten Tempels. Sie genießen Religionsfreiheit und können ihren kleinen Staat weitgehend selbst verwalten. Daran ändert sich auch nichts, als die Griechen unter Alexander dem Großen die Perser besiegen. Aber nach Alexanders frühem Tod im Jahre 323 v.d.Z. wird das Gebiet Juda von den Seleukiden besetzt und dem Königreich Syrien eingegliedert. Der Tempel wird geschändet, gesetzestreuen Juden, die den Sabbat feiern oder ihre Kinder beschneiden lassen, droht der Tod. Erst der Aufstand der »Frommen« 167 v.d.Z. unter Führung des Judas Makkabäus und seiner kleinen Schar bewaffneter Widerständler, ermöglicht ihnen wieder, ihre religiösen Eigenheiten und ihre nationale Unabhängigkeit für fast ein Jahrhundert zu behaupten. Die Wiedereinweihung des Tempels wird bis heute mit dem Chanukkafest gefeiert.
Ab 63 v.d.Z. erobern die Römer Palästina. Wer sich den Prokuratoren entgegenstellt, bekommt die grausame Härte der Statthalter Roms zu spüren – Hunderte Juden werden zum Tod am Kreuz verurteilt. Die Untergrundbewegung der Zeloten mobilisiert gegen die Besatzer, aber im Jahr 70 n.d.Z. erobern die Römer auch die letzte Bastion des Widerstands, Jerusalem und den Tempelbezirk. Sie plündern das Heiligtum und brennen es nieder. Der Tempel wird nie wieder aufgebaut.
Aber die Judäer geben nicht auf: Als Kaiser Hadrian 132 n.d.Z. ein Beschneidungsverbot verfügt und den Bau eines Jupitertempels auf dem Tempelberg ankündigt, kommt es unter Führung von Simon bar-Kochba, von einigen als lang erwarteter Messias verehrt, erneut zum Aufstand gegen die Römer, der nach zwei Jahren mit einer Niederlage der Juden endet. Jerusalem verliert seinen Namen; den Juden ist es unter Androhung der Todesstrafe verboten, die Stadt je wieder zu betreten. Die Römer tilgen den Namen Judäa und nennen die Provinz fortan Syria Palaestina. Mit dieser Umbenennung soll das Anrecht der Juden auf das Land ausgelöscht werden. Das bedeutet für fast zwei Jahrtausende das Ende eines jüdischen Reichs auf eigenem Boden – nicht aber das Ende des Judentums, das lernt, auch ohne staatliches Territorium, in der Diaspora zu überleben.
Viele, die den Krieg mit den Römern überlebt haben, folgen den römischen Legionen nach Westeuropa, auch ins römische Kernland, nach Italien. Eine der größten jüdischen Gemeinden wächst in Rom heran, wo in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts eine innerjüdische Entwicklung zu einer folgenschweren Glaubensspaltung führt.
Ein Jude namens Paulus, vermutlich in Tarsos (heute Türkei) geboren und von den späteren Christen als Apostel verehrt, kommt in die Stadt am Tiber, um in den jüdischen Diasporagemeinden Anhänger für Gottes Mensch gewordenen Sohn, Jesus von Nazareth, zu gewinnen, den Pontius Pilatus als »König der Juden« ans Kreuz geschlagen hat. Die meisten Juden weigern sich, dem neuen Glauben der als jüdische Sekte erachteten Missionare zu folgen. Die »Christen«, wie sich die Anhänger der neuen Religion bald nennen, haben dennoch großen Zulauf und fordern damit die Mächtigen des Römerreiches heraus, lehnen sie doch jeden weltlichen Machtanspruch ostentativ ab und stellen so die Autorität der Staatsmacht in Frage. Darauf reagiert der römische Staat mit einer Welle von Gewalt: Tausende verlieren ihr Leben. Die rasante Ausbreitung des neuen Glaubens im gesamten Reich lässt sich dennoch nicht aufhalten. Konstantin, römischer Kaiser von 324 bis 337 n.d.Z., lenkt schließlich ein und gewährt den Christen Religionsfreiheit. Im 4. Jahrhundert wird das Christentum Staatsreligion im Römischen Imperium.