Julia Best of ... Band 184 - Annie West - E-Book

Julia Best of ... Band 184 E-Book

Annie West

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Beschreibung

IM BANN DES STOLZEN WÜSTENPRINZEN von WEST, ANNIE Entführt! Wütend will Cassie aus dem Zelt fliehen, in dem man sie festhält - und wird von den starken Armen Scheich Amirs umfangen. Sie will sich dem Wüstenprinzen nicht beugen - doch seine heißen Blicke auf ihrer nackten Haut wecken in ihr stürmische Gefühle … KOMM MIT MIR NACH KRETA von WEST, ANNIE Schon lange hat Costas Palamidis alle Romantik aus seinem Leben verbannt. Auch die schöne Sophie soll den attraktiven Griechen nur nach Kreta begleiten, um seiner kleinen Tochter zu helfen. Doch warum quält ihn die Eifersucht so unerträglich, wenn er Sophie mit anderen Männern sieht? ES GESCHAH IN EINER SOMMERNACHT von WEST, ANNIE Märchen oder Albtraum? Bei einem Schwächeanfall auf einer Sommerparty wird Marina vom attraktiven Milliardär Ronan Carlisle aufgefangen, der ihr ein verführerisches Angebot unterbreitet: Er lockt den Mann, der auch ihren Bruder ruiniert hat, in die Falle, wenn sie seine Geliebte spielt!

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Annie West

JULIA BESTSELLER BAND 184

IMPRESSUM

JULIA BESTSELLER erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: JULIA BESTSELLER, Band 184 – 2017

© 2011 by Annie West Originaltitel: „Girl in the Bedouin Tent“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2022

© 2006 by Annie West Originaltitel: „The Greek’s Covenient Mistress“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dr. Susanne Hartmann Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1794

© 2006 by Annie West Originaltitel: „A Mistress for the Taking“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Sandra Stricker Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA SAISON, Band 65

Abbildungen: Harlequin Books S.A., Jupiterimages / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 02/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733708856

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

Im Bann des stolzen Wüstenprinzen

1. KAPITEL

Kies knirschte unter Amirs Stiefeln, als er unter dem sternenübersäten Himmel auf das große Zelt zuging, das ihm zu seiner Verfügung stand. Es war ein langweiliger Abend in öder Gesellschaft gewesen. Gast eines abtrünnigen Stammesführers im Nachbarstaat zu spielen, entsprach nicht seiner Vorstellung davon, wie er seine Zeit verbringen wollte. Insbesondere, da er im eigenen Land einige private Angelegenheiten zu regeln hatte.

„Hoheit …“ Faruq eilte ihm nach. „Wir sollten uns beraten, bevor die Verhandlungen beginnen.“

„Nein.“ Amir schüttelte den Kopf. „Geh schlafen. Der morgige Tag wird anstrengend.“ Vor allem für Faruq. Amirs persönlicher Assistent war ein Stadtmensch und nicht gewöhnt an eine derart karge Umgebung, in der noch alt hergebrachte Regeln galten und Diplomatie eher schroff gehandhabt wurde.

„Aber Hoheit …“

Faruq verstummte, als Amir vielsagend mit dem Kopf zu den Wachen deutete, die Mustafa vor dem Zelt postiert hatte – offiziell zu Amirs Schutz, eindeutig jedoch mit dem Hintergedanken, zu spionieren.

Faruq verstand. „Da ist das Mädchen“, murmelte er.

Amirs Schritte verlangsamten sich. Das Mädchen, das Mustafa ihm heute Abend so großtuerisch überlassen hatte. Blondes Haar, das im Lichtschein wie Seide schimmerte. Violette Augen, die Amirs Blick offen und direkt erwidert hatten, wie es nur wenige Männer und keine Frau in dieser Region wagen würden. Die Mischung aus Schönheit und Widerspenstigkeit hatte ihm für einen Moment den Atem geraubt.

Bis er sich daran erinnerte, dass er auf allen Kontinenten aus den schönsten und elegantesten Frauen wählen konnte. Er war nicht auf Liebesdienerinnen angewiesen, die auf Befehl ihres Herrn dem hohen Gast zu Diensten sein mussten. Er suchte sich seine Bettgespielinnen selbst aus.

Und doch … etwas an ihr hatte für einen kurzen Moment seine Aufmerksamkeit erregt. Vielleicht lag es an der Art, wie sie ihre Augenbrauen in die Höhe gezogen hatte – mit einem Hochmut, der nur einer Königin zustand.

„Zweifelst du daran, dass ich mit ihr umgehen kann?“

Faruq unterdrückte das Lachen. „Natürlich nicht, Hoheit. Aber … irgendetwas ist ungewöhnlich.“

Ungewöhnlich … Faruq hatte recht. In Monte Carlo, Moskau oder Stockholm wäre eine blonde Frau nie aufgefallen. Hier jedoch, in dem rauen Grenzgebiet, in dem man vornehmlich einfachen Bauern, Straßenräubern und Nomaden begegnete … „Keine Sorge, Faruq. Ich bin sicher, sie und ich werden zu einer Einigung kommen.“ Amir betrat das Zelt.

Im Vorraum zog er die Stiefel aus, und seine Füße sanken in den weichen Teppich. Ob sie schon nackt auf ihn wartete und sich ihm mit der Finesse einer geübten Liebesdienerin anbieten würde? Trotz seiner Abneigung begann bei der Erinnerung an ihre vollen Lippen tief in ihm ein Puls zu pochen. Dieser üppige Mund versprach sinnliche Freuden, gegen die kein Mann immun war – auch wenn die blitzenden Augen in seltsamem Gegensatz dazu standen.

Amir zog den schweren Vorhang beiseite und tat einen Schritt ins Zeltinnere. Nur eine einzelne Laterne brannte. Von dem Mädchen war nichts zu sehen. Suchend ließ Amir den Blick durch den Raum wandern, und plötzlich spürte er ein alarmierendes Prickeln im Nacken.

Gerade noch rechtzeitig konnte er den Angriff abwehren. Er schwang herum und packte seinen Angreifer, drehte ihm den Arm auf den Rücken.

Das helle Klingeln von Münzen an einem Gürtel verriet Amir die Identität seines Gegners. Er hatte mit ausgewachsenen Männern gekämpft, besaß den über Jahre geschliffenen Instinkt und die trainierten Fähigkeiten eines Kriegers, doch diese Taktiken konnte er bei einer Frau kaum anwenden – selbst wenn diese ihn in der eigenen Unterkunft attackierte.

Sie kämpfte wie eine Tigerin, trat wild um sich und versuchte, sich von ihm loszureißen. Es war der Kriegerinstinkt, der Amir warnte. Sein Arm schoss hoch, seine Finger umklammerten mit eisernem Griff ihr Handgelenk, genau in dem Augenblick, in dem die Messerspitze die Haut an seinem Hals aufritzte.

„Das reicht jetzt!“ Seine Geduld war erschöpft. Mit einer schnellen Bewegung riss er sie zu Boden, ließ sich mit ihr auf den Teppich fallen und hielt sie mit seinem Gewicht gefangen.

Er fasste sich an den Hals, als etwas Nasses über seine Haut lief. Sie hätte ihn tatsächlich fast erstochen!

Es war reiner Reflex, dass der Griff an ihren Handgelenken, mit dem er ihr die Arme über den Kopf gezogen hatte, härter wurde. Sie stieß einen scharfen Schmerzensschrei aus, unterdrückte ihn jedoch sofort.

Amir lockerte seinen Griff, fasste mit einer Hand nach dem Messer, das auf den Boden gefallen war. Es war ein kleines Messer mit einem verzierten Griff, gerade scharf genug, um Obst zu schälen – oder einem Unachtsamen ernsthafte Verletzungen zuzufügen.

Mit einem gemurmelten Fluch warf er es so weit fort wie möglich. „Wer hat dich geschickt? Mustafa?“

Es ergab keinen Sinn. Sein Gastgeber hatte keinen Grund, ihm den Tod zu wünschen. Auch fiel Amir niemand sonst ein, der einen Königsmord in Auftrag geben sollte. Dennoch … das Blut an seinem Hals war echt.

Was für eine Art, einen unangenehmen Pflichtbesuch interessant zu machen!

In ihm kämpften Wut und Neugier, während er ihr Gesicht musterte. Ihre roten Lippen teilten sich, um tief Luft zu holen, viel zu stark geschminkte violette Augen starrten ihn an. „Wer bist du?“

Nichts in ihrer Miene regte sich, so als wäre sie darin geübt, keine Angst zu zeigen, ganz gleich, wie groß die Gefahr sein mochte. Fluchend stützte Amir sich auf einen Arm auf. Die Bewegung drückte seine Lenden härter in ihren Schoß, und ein Teil seines Verstandes registrierte ihre weiche Weiblichkeit als Einladung, die trotz der Wut nicht gänzlich zu ignorieren war.

Er berief sich auf seinen Verstand. Es war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um sich ablenken zu lassen. Wo es ein Messer gab, konnten auch mehrere sein.

Amir rollte sich von ihr, wobei er darauf achtete, sie mit seinem Schenkel weiterhin auf den Boden niederzudrücken und ihre Hände festzuhalten.

Prüfend ließ er den Blick über ihren Körper gleiten. Das Bustier des Bauchtänzerinnenkostüms war zu knapp, um eine Waffe zu verdecken. Die nackte Haut von Busen bis Hüfte bot kein Versteck, ebenso wenig wie der durchsichtige lange Rock. Doch der traditionelle Münzengürtel, der auf ihrer Hüfte saß, könnte breit genug sein, um darin etwas zu verbergen …

Amir legte die Hand auf ihren Bauch und spürte, wie sie zusammenzuckte. Noch nie hatte er eine unwillige Frau berührt, aber jetzt und hier musste er es tun. Es lag keine Erotik in seiner Bewegung, hier ging es allein darum, dass er sich schützen musste.

Entschlossen schob er die Hand unter den Gürtel.

Sie bäumte sich auf, versuchte mit aller Macht, sich freizustrampeln. „Nein! Bitte … bitte nicht!“

Amir drehte erstaunt den Kopf. Sie hatte die Worte in einer Sprache ausgestoßen, die man in dieser Gegend nur selten hörte. „Sie sind Engländerin?“

Und er erstarrte, als er den Ausdruck in den aufgerissenen violetten Augen erkannte: pure Panik.

Es war seine Reglosigkeit, die sich schließlich einen Weg in Cassies Bewusstsein bahnte. Und die Tatsache, dass er die Hand hochhielt, als ob er ihr signalisieren wollte, dass er sie nicht anrühren würde.

Schweißperlen standen ihr auf Stirn und Oberlippe, sie rang nach Luft und meinte doch zu ersticken.

„Sind Sie Engländerin?“, wiederholte er seine Frage in ihrer Sprache. „Oder Amerikanerin?“, hakte er nach, als sie nichts erwiderte. Sein Stirnrunzeln betonte nur die harten Züge seines markanten Gesichts. Er sah wild und einschüchternd männlich aus.

Cassie überlegte fieberhaft. Welche Nationalität garantierte mehr Sicherheit – in einem Land, in dem Reisende entführt und gefangen gehalten wurden? Der Mann sah nicht mehr wütend aus, doch noch immer hielt er sie unnachgiebig fest. Sie war seiner Gnade ausgeliefert, er würde sie mühelos unterwerfen können.

„Bitte, tun Sie es nicht.“ Ein heiseres Flehen kam über ihre Lippen, während ihr Blick über den blutenden Kratzer an seinem Hals huschte.

Jetzt riss er die Augenbrauen hoch. „Ich soll Sie loslassen? Nachdem Sie mich verletzt haben?“ Er deutete auf seine Wunde.

Cassie atmete bebend. Seine tiefe Stimme mit dem exotischen Akzent verdeutlichte ihr die albtraumhafte Situation nur noch. All dies konnte einfach nicht wahr sein!

„Ich entschuldige mich. Ich wollte nur …“

Die Welt geriet plötzlich in eine Schieflage und begann sich zu drehen. Verzweifelt wehrte Cassie sich gegen die Ohnmacht. Angst und Wut hatten sie die letzten vierundzwanzig Stunden durchstehen lassen, sie weigerte sich, jetzt das Bewusstsein zu verlieren. Nur solange sie redete, war sie in Sicherheit vor diesem Mann.

„Bitte“, brachte sie erstickt hervor. „Tun Sie mir keine Gewalt an.“

Abrupt richtete Amir sich auf. Angewidert riss er die Augen auf, sein Griff an ihren Handgelenken wurde härter. Cassie biss sich auf die Lippen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.

„Sie glauben …?“ Er schüttelte den Kopf und murmelte wütend einige Worte auf Arabisch. Durchdringend sah er sie an, Cassie empfand die Intensität seines Blickes wie das Brennen von Eis auf nackter Haut. Jetzt holte er tief Luft, seine Brust dehnte sich beeindruckend aus. Gegen den Schwindel ankämpfend wurde ihr klar, dass sie keine Chance hätte, sollte er seine Stärke gegen sie einsetzen.

Erinnerungen stürzten auf sie ein. Sie sah sich wieder an die Tür gedrückt von einem Mann, der doppelt so groß und dreimal so alt gewesen war wie sie. Er hatte seine fleischige Hand unter ihre Bluse geschoben, hatte sie mit seinem Gewicht schier zerquetscht … Damals war sie sechzehn gewesen, doch sie erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen.

„So tief könnte ich niemals sinken. Niemals!“

Die Stimme des zutiefst empörten Fremden zerschmetterte die Bilder der Vergangenheit. Cassie sah in sein Gesicht. Er wirkte, als hätte sie ihm die schlimmstmögliche Beleidigung entgegengeschleudert.

„Ich lasse mich nur mit willigen Frauen ein.“

Der Turban war ihm bei dem Handgemenge vom Kopf gefallen und hatte kurz geschnittenes, glänzendes dunkles Haar freigegeben. In seinen Augen blitzte Feuer, unterschiedlichste Gefühle zogen deutlich erkennbar über ein Gesicht, für das die Hauptdarsteller, mit denen Cassie spielte, alles gegeben hätten.

Dieser Mann würde immer gefügige Frauen finden.

„Dann lassen Sie mich gehen.“ Ganz gleich, wie entrüstet er schien … Sie würde ihm nicht trauen. Sie lag halb nackt unter ihm und war sich seines muskulösen Körpers nur allzu bewusst … der lässigen Mühelosigkeit, wie er mit einer Hand ihre Handgelenke hielt … seines männlichen Dufts.

„Sobald ich sicher sein kann, dass Sie keine weitere Waffe an Ihrem Körper verstecken.“

Cassie riss die Augen auf. Er hatte sie nur nach Waffen abgesucht? Das hysterische Lachen ließ sich nicht unterdrücken. Dieser knappe Aufzug verhüllte doch kaum etwas – wo hätte sie da eine Waffe verbergen sollen?

„Hören Sie damit auf!“

Mit festem Griff wurde sie bei den Schultern geschüttelt, und ihr schrilles Kichern erstarb abrupt. Der Fremde hockte vor ihr. Er hatte sie losgelassen, sie konnte es kaum glauben.

„Danke“, wisperte sie. Vierundzwanzig Stunden Angst hatten ihr alle Energie geraubt, und jetzt, da der Adrenalinschub verebbte, dauerte es einen Moment, bevor sie ihre letzte Kraft sammeln konnte, um sich überhaupt zu regen.

Unter seinem argwöhnischen Blick rollte sie sich auf die Seite, von ihm weg, konzentrierte sich auf die simple Aufgabe, aufzustehen. Jede noch so kleine Bewegung kostete sie eine immense Anstrengung.

„Was ist das?“, fragte er scharf.

Cassie sah erschrocken über die Schulter. „Was?“

„Auf Ihrem Rücken.“ Er zeigte nur auf die Stelle, berührte sie nicht. „Und da, auf Ihrem Schenkel.“

Mit zusammengepressten Lippen rappelte Cassie sich auf die Knie. „Vermutlich blaue Flecken. Die Wache wollte mir zeigen, wer hier das Sagen hat.“ Und sie hatte den Fehler begangen und sich gewehrt.

Ein Schwall arabischer Worte ließ sie herumschwingen. Das Gesicht des Fremden war wütend verzerrt, und instinktiv hob sie verteidigend die geballten Fäuste.

„Sehen Sie mich nicht so an!“ Seine Miene wurde noch finsterer. „Von mir haben Sie nichts zu befürchten.“

Erst jetzt erkannte sie, dass sein Blick der dünnen Kette um ihre Taille zu der schwereren gefolgt war – der Kette, die sie an das große Bett am anderen Ende des Raumes fesselte. Stundenlang hatte Cassie versucht, eines der Glieder aufzuzwängen, doch alle Versuche waren vergeblich geblieben. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Die Kette war ein Symbol, das nicht zu missverstehen war: Sie war eine Sklavin, einzig hier, um einem Mann zu Diensten zu stehen.

Cassie kannte das Ungleichgewicht, das zwischen Mann und Frau herrschen konnte, wenn der Mann seine finanzielle Überlegenheit ausnutzte und die Frau sich entsprechend fügen musste. Auch wenn der Kulturkreis, aus dem sie stammte, es nicht ganz so offensichtlich machte … es war eine Rolle, die sie geschworen hatte zu vermeiden. Aufgrund ihrer Vergangenheit brach ihr allein bei dem Gedanken, das Sexspielzeug eines Mannes zu sein, der kalte Schweiß aus. Ein makabrer Scherz des Schicksals, dass ausgerechnet sie sich jetzt in dieser Situation befand.

„Wo ist der Schlüssel?“

Cassie schob ihr Kinn hoch. „Meinen Sie, wenn ich das wüsste, wäre ich noch hier?“

Er musterte sie, dann hob er ihren Umhang auf und legte ihn ihr um die Schultern. „Bedecken Sie sich.“ Sein Ton war brüsk, so als würde ihr spärlich bekleideter Anblick ihn beleidigen.

„Danke.“ Sie zog den rauen Stoff um sich. Doch die Wärme konnte nichts gegen die Eiseskälte ausrichten, die in ihrem Innern herrschte. Der Schock holte Cassie ein, sie zitterte wie Espenlaub.

Sie sah dem Fremden zu, wie er weitere Laternen anzündete und die Kohlenpfanne entfachte. Goldener Lichtschein und das Knistern des Feuers erfüllten jetzt das Zelt, dennoch fror Cassie erbärmlich.

„Kommen Sie, essen Sie etwas. Dann wird es Ihnen besser gehen.“

„Mir geht es erst besser, wenn ich hier weg bin!“ Sie funkelte ihn an, alle Feindseligkeit galt jetzt diesem Mann, der groß und dunkel und verboten attraktiv vor ihr stand.

Wie konnte sie in dieser Situation einen solchen Gedanken haben? Hatte der Schock ihr den Verstand geraubt?

Einladend hielt er ihr seine Hand hin, und der Instinkt warnte sie, dass es gefährlich sein würde, ihn zu berühren. „Wer sind Sie?“, fragte sie herausfordernd.

„Mein Name ist Amir ibn Masud Al Jaber.“ Er deutete eine knappe Verbeugung an und wartete offensichtlich auf eine Reaktion.

„Den Namen habe ich schon gehört.“ Wenn sie doch nur wüsste, wo. Fest stand, dass sie ihm noch nie begegnet war. Daran würde sie sich erinnern. Sein Gesicht und seine Präsenz waren unvergesslich.

„Ich bin der Scheich von Tarakhar.“

„Der Scheich von …“ Cassie verschlug es die Sprache. Kein Wunder, dass ihr sein Name bekannt vorkam. Der Reichtum und die absolute Macht des Scheichs waren weltbekannt. Noch gestern war sie durch sein Land gereist. Aber warum war er hier? Steckte er etwa mit den Männern, die ihr das angetan hatten, unter einer Decke?

Die Angst kehrte schlagartig zurück. Cassie schlang die Arme um sich und wich rückwärts.

„Und Sie sind?“

Seine tiefe Stimme ließ sie unvermittelt stehen bleiben. „Ich heiße Cassandra Denison. Cassie.“

„Cassandra.“

Wie er ihren Namen aussprach … es klang exotisch und geheimnisvoll. Sie sagte sich, dass es an seinem leichten Akzent liegen musste.

„Kommen Sie, Sie brauchen eine Stärkung.“

Nein, es war kein Befehl, dennoch steuerte Cassie automatisch auf den niedrigen Tisch zu – und ärgerte sich über sich selbst, dass sie so prompt reagierte. Es gab Wichtigeres, über das sie nachdenken musste.

Ihr Blick fiel auf den schweren Vorhang. Dahinter lag der Ausgang, und davor wiederum standen die Wachen. Eine Flucht war unmöglich, selbst wenn es ihr gelingen sollte, diese barbarische Kette irgendwie loszuwerden.

Die Hand an ihrem Ellbogen ließ sie alarmiert zusammenzucken. Sie schwang herum und traf auf den Blick aus dunklen Augen. Etwas wie Verständnis spiegelte sich darin.

„Sie können nicht fliehen. Mustafas Wachen würden Sie nach wenigen Metern einholen. Außerdem haben Sie in den Bergen keine Chance, erst recht nicht in der Nacht.“

War sie so durchschaubar? Sie hob ihr Kinn. „Wer ist Mustafa?“

„Unser Gastgeber. Der Mann, der Sie mir angeboten hat.“ Die Hand noch immer an ihrem Arm, führte er sie auf die Sitzkissen zu.

Sie ließ sich darauf fallen, und nur einen Augenblick später sank er geschmeidig an der anderen Seite des Tisches auf seinen Platz.

Selbst im Sitzen wirkte er einschüchternd groß. Er hielt Cassies Sinne gefangen. Sie nahm seinen Duft nach Sandelholz und Mann wahr, und die Flammen der Kohlenpfanne warfen flackernde Schatten auf sein Gesicht, ein Gesicht wie aus den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Dieses Mal war es nicht die Angst, die ihre Nerven zum Flattern brachte. Bemüht setzte Cassie sich auf und zwang sich, seinem Blick zu begegnen.

„Und nun, Cassandra Denison, erklären Sie mir, was Sie hier machen.“

Er nahm das Schälmesser auf und begann, eine Orange zu schälen. Wie hypnotisiert verfolgte Cassie jede Bewegung seiner schlanken starken Finger.

„Ich bin es nicht gewohnt, warten zu müssen.“

Sein stahlharter Ton riss sie aus ihrer Trance. „Und ich bin es nicht gewohnt, entführt zu werden.“

Schwarze Brauen wurden jäh in die Höhe gerissen. „Entführt? Das ändert natürlich alles.“

Cassie hatte plötzlich das Gefühl, dass er mit diesem intensiven Blick die Frau hinter der übertriebenen Schminke erkannte, die ihre Angst unter allen Umständen zu beherrschen versuchte. Das Schweigen dauerte an, zog sich in die Länge. Dabei sollte Cassie sich um Hilfe an ihn wenden, ihn anflehen, sie von hier fortzubringen. Doch die Worte wollten ihr nicht über die Lippen kommen.

Als er schließlich sprach, war sein Ton leicht und salopp. „Sie müssen meine Neugier entschuldigen, aber mit einem Messer angegriffen zu werden, ist neu für mich. Daher meine Frage.“

Ein Lächeln spielte um seine Lippen, und Cassies Herz machte prompt einen kleinen Hüpfer.

Sie wollte ihm vertrauen, aber konnte sie das? „Sie meinen, an der Kette haben Sie nicht erkannt, dass ich gegen meinen Willen hier festgehalten werde?“

„Ich fürchte, ich war mit anderen Dingen beschäftigt, bevor ich sie bemerkte.“

Er besaß Humor! Und seine Selbstbeherrschung war erstaunlich. Von einer verzweifelten Frau mit einem Messer attackiert zu werden, hatte seiner Haltung keinen Abbruch getan. Auch nicht seinen Manieren, denn jetzt hielt er die Schüssel mit warmem Wasser für sie, damit sie sich die Hände waschen konnte, und reichte ihr danach eines der bereitliegenden Handtücher.

„Außerdem hätte die Kette auch Dekoration sein können“, fuhr er dabei fort.

„Dekoration?“ Fassungslosigkeit machte es ihr unmöglich, sich zu kontrollieren. Ihre Stimme wurde schrill. „Sie glauben, ich würde dieses Ding zum Spaß tragen? Es ist schwer und unbequem und unmenschlich.“ Mit der Kette fühlte sie sich wie ein Ding, sie war einfach auf einen Gegenstand reduziert worden.

Cassie zog den Stoff des Umhangs enger um sich. Die Entführung war schrecklich genug gewesen, aber dann auch noch eine Kette umgelegt zu bekommen wie ein Tier, hatte unvorstellbare Angst in ihr geschürt. Ihre Mutter, der es immer nur darum gegangen war, den Männern zu gefallen, hatte nie so etwas unbeschreiblich Schreckliches mitmachen müssen.

„Selbst in diesem gesetzlosen Teil der Welt hatte ich nicht damit gerechnet, mit Entführung und Sklaverei konfrontiert zu werden“, sagte Amir leise. „Früher hielt man die Sklaven auf diese Art.“ Er nickte knapp zu der Kette, die in Schlangenlinien auf dem Boden lag. „Das ist eine solche Sklavenkette. Ich hielt es für durchaus möglich, dass Mustafa die Kette vielleicht als symbolische Geste nutzt.“

„Sie glauben, ich hätte meine Einwilligung zu so etwas gegeben?“ Cassie presste die Lippen zusammen und dachte daran, wie die Stammesfrauen sie ausgezogen hatten. Sie hatte sich mit Händen und Füßen gewehrt. Dann der Schock, als sie dieses durchsichtige Kostüm anziehen musste, das kaum ihren Busen bedeckte und jede einzelne Kurve ihres Körpers betonte. Und sie erinnerte sich auch an den Blick des Fremden, als sie in das Hauptzelt gebracht und zur Schau gestellt worden war. Dieser Blick hatte eine Hitze in ihr entfacht, wie sie es nie zuvor erlebt hatte.

„Ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Ich kannte Sie ja nicht.“

Cassie holte tief Luft. Er hatte recht. Woher hätte er es wissen sollen? Die Kette hätte ebenso gut Dekoration sein können – das besondere Gewürz, um den Appetit eines Mannes anzuregen. Eines Mannes, dem es gefiel, wenn eine Frau ihm völlig ausgeliefert war.

War Amir ein solcher Mann?

Ohne Vorwarnung drängte sich die Erinnerung aus der Vergangenheit wieder in den Vordergrund. Die eine Erinnerung, die Cassie sonst immer sicher verschlossen hielt – an Curtis Bevan, der in jenem Jahr, als Cassie sechzehn wurde, der Liebhaber ihrer Mutter gewesen war. Wie ein Pfau war er durch die Wohnung stolziert, in dem Wissen, dass alles mit seinem Geld gekauft worden war. Sogar die Frau. Und dann, als Cassie zu Weihnachten nach Hause gekommen war, hatte er seinen gierigen Blick auf das junge Mädchen gelenkt …

„Cassie?“

Amirs leise Stimme ließ die Erinnerung zersplittern. Sie blickte in seine dunklen Augen, und sie hätte schwören mögen, dass er zu viel sah. Für einen Moment schien sie in ihrem Albtraum gefangen, in dem der Vergangenheit und dem der Gegenwart.

Sie reckte die Schultern. „Um es unmissverständlich klarzumachen … Ich bin nicht freiwillig hier. Ich dachte …“ Sie konnte nicht weitersprechen. Sie dachte, er sei gekommen, um mit ihr Sex zu haben. Und dass es unwichtig sei, ob sie willig war oder nicht.

„Sie dachten, dass Ihnen keine andere Wahl blieb. Es war sehr mutig, mich anzugreifen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Verzweifelt.“ Und es hatte ja auch nur Sekunden gedauert, bevor er sie überwältigt hatte und ihr klar geworden war, dass sie nichts gegen ihn ausrichten konnte. Noch einmal würde sie einen solchen Vorstoß nicht versuchen. Sie würde nicht gegen ihn kämpfen, sondern sie musste ihn dazu bringen, für sie zu kämpfen. „Wer ist dieser Mustafa? Woher nimmt er sich das Recht, mich wie eine Ware anzubieten?“

Amir zuckte mit den Schultern, zog somit unwillkürlich ihren Blick auf sich. Sie sagte sich, dass er sie nur deshalb so faszinierte, weil er ihre einzige Hoffnung war, von hier wegzukommen. „Mustafa ist Anführer der Banditen, die die Berge hier an der Grenze nach Tarakhar unsicher machen. Wir befinden uns in seinem Lager.“ Er bot ihr den Teller mit Orangenscheiben und Datteln an.

Über vierundzwanzig Stunden lang hatte Cassie sich geweigert, etwas zu essen, aus Angst, dem Essen könnte irgendein Gift beigemischt worden sein. Auch jetzt zögerte sie. Doch dann überlegte sie, dass für Amir kein Grund bestand, sie zu betäuben. Sie war ihm bereits ausgeliefert.

Sie griff nach einer Orangenscheibe und steckte sie sich in den Mund. Der köstliche Geschmack explodierte auf ihrer Zunge, vor Wonne schloss sie einen Moment die Augen, dann griff sie nach einem zweiten Stück.

„Sie wollten mir erzählen, wie Sie in diese Lage gekommen sind.“

Cassie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann, der ihr gegenübersaß. Etwas lag in seinem Blick, das sie nicht zu deuten wusste. War es nur Neugier, wie er gesagt hatte? Hatte sie sich das Aufblitzen von männlichem Interesse, als sie ihm präsentiert worden war und dann später, als er sie mit seinem Körper zu Boden gedrückt hatte, nur eingebildet? Sie erinnerte sich an seine Hand auf ihrer nackten Haut und erschauerte leicht. „Ich reiste mit dem Bus durch Tarakhar.“

„Allein?“

Hörte sie da Missbilligung in seinem Ton? Sie versteifte sich. „Ich bin dreiundzwanzig und durchaus in der Lage, allein zu reisen!“

Die Umstände hatten Cassie gezwungen, sehr früh selbstständig zu werden. Den Luxus, sich auf andere verlassen zu können, kannte sie nicht. Außerdem hatte ihr Ziel – eine kleine Stadt in der Nähe der Grenze – nicht auf den üblichen Touristenrouten gelegen.

„Besucher sind in Tarakhar immer willkommen, man begegnet ihnen mit großem Respekt. Dennoch ist es ratsam, nicht allein zu reisen.“

„Das konnte ich am eigenen Leib erfahren.“ Sie sah ihn vielsagend an und merkte, wie sich Ärger in ihr rührte. Wie konnte er es wagen, ihr die Schuld für das, was passiert war, zuzuschieben? „Dann wäre es vielleicht angebracht, eine Warnung an die Touristen auszugeben. Vielleicht sollten Sie sich darum kümmern, schließlich sind Sie der Herrscher.“

Mit zusammengekniffenen Augen musterte er sie, dann nickte er. „Sie haben recht, es muss etwas unternommen werden.“

Cassie fragte sich, was genau ihm wohl vorschwebte. Obwohl er lässig wirkte, konnte sie spüren, dass er keineswegs so entspannt war, wie er tat. Daher ergab sie sich dem Unvermeidlichen und stellte die Frage, die sie bisher nicht zu stellen gewagt hatte. „Sie sagten, dass Mustafa in diesen Bergen herrscht … Sind wir denn nicht mehr in Tarakhar?“

„Nein, sondern im angrenzenden Bhutran. Wir befinden uns hier auf Mustafas Stammesgebiet, und er herrscht mit eiserner Hand.“

Eine Welle der Mutlosigkeit schlug über Cassie zusammen. Sie hatte gehofft, nein, gebetet, dass sie noch in Tarakhar wären, wo Scheich Amirs Wort Autorität besaß. Denn von Bhutran wusste sie, dass es ein gesetzloser Staat war.

Doch sie durfte jetzt nicht aufgeben und auf keinen Fall die Hoffnung verlieren. Sie musste einen Weg finden, um von hier wegzukommen.

Cassie nahm eine weitere Orangenscheibe vom Teller. Sie würde Kraft für ihre Flucht brauchen.

2. KAPITEL

Amir beobachtete, wie Cassie die Frucht mit verhaltenem Heißhunger aß. Die Kombination von angriffslustiger Gegnerin mit blitzenden Augen und scharfer Zunge und verletzlicher Weiblichkeit reizte ihn, wie ihn schon lange nichts mehr gereizt hatte.

Fruchtsaft glänzte auf ihren einladend vollen Lippen, und jetzt fuhr sie sich mit der Zungenspitze darüber, um den Saft abzulecken. Ihre Sinnlichkeit war nicht aufgesetzt, sondern Teil ihres Wesens. Doch war es mehr als nur sexuelle Anziehungskraft, die Amirs Interesse weckte.

Als Mustafa sie mit übertriebener Großzügigkeit dem hohen Gast vorgeführt hatte, war es ihr brennender Blick gewesen, der Amirs Langeweile durchbrochen hatte. Später dann hatte er trotz der Wut über den Angriff ihren weichen Körper unter sich wahrgenommen. Ihr dezenter Duft nach Wüstenrose und Frau hatte seinen Puls schneller schlagen lassen. Er kannte genügend Frauen, aber es war selten geworden, dass eine seinen Puls beschleunigte.

Jetzt griff sie nach einer Dattel, und der Umhang verrutschte, gab den Blick auf die zarte helle Haut an ihrer Halsmulde frei. Amir sah plötzlich wieder das Bild vor sich, wie sie in dem durchsichtigen Kostüm vor ihm gestanden hatte. Sie besaß eine verlockende Figur mit perfekten Kurven und einer schmalen Taille …

Er riss sich zusammen. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren!

„Was haben Sie überhaupt in dieser Gegend hier gemacht?“

Ihr war sein Blick nicht entgangen. Hastig zog sie den Umhang enger um sich. „Ich hatte mich für ein Austauschprogramm gemeldet und wollte zwei Monate lang Englisch in der Erwachsenenbildung lehren.“

„Sie sind Lehrerin?“ Es war schwierig, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen. Aber man brauchte sich ja nur anzusehen, wie sie den Umhang am Hals jetzt mit einer Hand fest geschlossen hielt. Dennoch konnte er sie sich nicht in einem Klassenzimmer vorstellen.

„Zu Hause in Australien ist das nicht mein Beruf, aber man suchte händeringend nach ehrenamtlichen Mitarbeitern, und ich dachte, es könnte interessant und … erfüllend sein.“

Diese Frau wurde mit jeder Minute anziehender. Amir konnte sie sich gut in einer australischen Großstadt vorstellen. Sie war voller Energie und Leben. In eine Schule in einer kleinen Provinzstadt passte sie dagegen kaum. „Wie sind Sie hergekommen?“

„Im Vorgebirge kurz vor der Grenze blieb der Bus liegen – ein Motorschaden, der sich nicht beheben ließ. Die anderen Fahrgäste machten sich zu Fuß auf den Heimweg, nur der Fahrer und ich blieben zurück. Und dann …“ Sie wollte lässig mit einer Schulter zucken, doch es wirkte eckig und ungelenk. „… dann hörten wir das Donnern von Pferdehufen.“

Cassie hob den Blick. Hinter der gefassten Sachlichkeit sah Amir die Angst in ihren Augen aufblitzen, und impulsiv lehnte er sich vor, zog sich aber sofort wieder zurück, als sie zusammenzuckte.

An eine solche Reaktion war er nicht gewöhnt.

„Reiter kamen die Berge hinuntergaloppiert und packten mich. Den Busfahrer habe ich in all dem Chaos aus den Augen verloren.“ Sie hielt inne, starrte bedrückt vor sich hin. „Er war so nett zu mir, und ich weiß nicht einmal, was aus ihm geworden ist.“

„Sie brauchen sich keine Sorgen um ihn zu machen. Auf der Fahrt hierher erhielt ich einen Bericht über den Überfall. Der Busfahrer kuriert eine Gehirnerschütterung im Krankenhaus aus.“

Wut baute sich in ihm auf. Dass Mustafa einen Überfall innerhalb tarakharischer Grenzen verübt und eine australische Staatsangehörige entführt hatte, noch dazu direkt vor dem geplanten Besuch des Scheichs von Tarakhar, war ein unerhörter Affront.

Dennoch war es weniger Mustafas Arroganz, die Amir wütend machte, sondern viel mehr das, was der Bandit dieser erstaunlichen Frau angetan hatte. Entführt, erniedrigt und zutiefst verängstigt gab sie trotz allem keinen Millimeter nach. Dabei musste ihr klar sein, dass sie gänzlich auf seinen guten Willen angewiesen war.

War es ihre Verletzlichkeit oder ihr Mut, der seine Unnahbarkeit, die ihm zu einer zweiten Haut geworden war, wie ein scharfes Messer durchschnitt?

Gefühle, die er für immer begraben geglaubt hatte, regten sich plötzlich in ihm. Es wäre verständlich, dass er Mitleid für sie verspürte. Doch wann hatte er zum letzten Mal Mitgefühl für eine einzelne Person empfunden? Wann hatte er sich das letzte Mal für etwas anderes als seine Arbeit oder das eigene Vergnügen interessiert?

Seine Lippen verzogen sich abfällig. Nie.

Liebe hatte er nie erfahren, selbst als Kind nicht, und Freundschaften waren ihm nicht erlaubt gewesen. Auch nicht mit jenen Menschen, die unter der strengen Aufsicht seines Onkels in der Kunst der tarakharischen Krieger unterrichtet worden waren. Mit der Mühelosigkeit langjähriger Erfahrung hatte er heute Abend den höflichen Gast gemimt. Er hatte Mustafa die Ehre gewährt, sich in der Rolle des Gastgebers für einen Mann zu sonnen, der mächtiger war, als Mustafa es je sein würde. Morgen jedoch würde Mustafa eine auffällige Veränderung bei seinem hohen Gast feststellen können.

Der Stammesführer würde erkennen müssen, dass der Scheich von Tarakhar sich nicht blenden ließ. Vorhin noch hatte die Ungeduld über die nur langsam vorankommenden Verhandlungen Amir fast zerrieben, jetzt freute er sich darauf, Mustafa zappeln zu lassen.

„Und dem Busfahrer geht es wirklich gut?“

Amir bemerkte die Sorge in dem blassen Gesicht, und er verspürte Respekt für die Frau, die sich trotz ihrer eigenen schrecklichen Lage Gedanken um einen unbekannten Busfahrer machte. „Er kommt wieder in Ordnung. Man hat ihn bewusstlos geschlagen, daher konnte er auch nicht sofort Alarm geben.“

Eine Welle der Ungeduld überkam ihn. Da saß er hier und redete, während alles in ihm zu handeln verlangte. Er wollte schon aufstehen, als ihm Cassies Haltung auffiel. Anstatt sich entspannt in die bequemen Kissen zu legen, saß sie steif und aufrecht da, machte den Eindruck, als sei sie jederzeit zum Sprung bereit. Sie vertraute ihm also nicht. Und wie sollte sie das auch können?

„Sind Sie seit Ihrer Entführung in der Gewalt von Mustafas Männern?“

Sie nickte stumm, und die Tatsache, dass sie nichts weiter sagte, schien ihm von Bedeutung, hatte er doch bereits erkannt, dass sie keine Probleme damit hatte, ihre Meinung auszusprechen.

Was hatte man ihr angetan? Sein Magen zog sich zusammen, wenn er an mögliche Antworten dachte.

Cassie beobachtete ihn dabei, wie er Saft in einen Becher schenkte, der aussah, als stamme er aus der Zeit der Kreuzzüge. Vielleicht tat er das ja sogar, wer konnte das schon sagen?

Dann, als Amir ihr den Becher reichte, starrte sie auf die gebräunte Hand, die so stark und kräftig aussah. „Danke.“ Sie achtete sorgsam darauf, nur das Metall zu berühren. Zu stark war die Erinnerung an die Wärme seiner Haut, als er auf ihr gelegen hatte. Es war besser, wenn sie das Risiko nicht noch einmal einging.

Er wühlte sie auf. Inzwischen hatte sie nicht mehr so viel Angst vor seiner körperlichen Überlegenheit, sondern vielmehr vor seiner undefinierbaren Aura, der sie sich kaum entziehen konnte. Obwohl sie eine traumatische Situation durchlebte, wurden ihre Sinne lebendig, sobald er lächelte oder sein Blick auf ihr lag. In diesen Momenten hing etwas Unbekanntes zwischen ihnen in der Luft, was sich nicht beschreiben ließ. Mit dem leichten Bartschatten sah der Scheich selbst aus wie ein Bandit – ein Bandit, der unglaublich sexy wirkte.

Schockiert über die Richtung, die ihre Gedanken einschlugen, presste Cassie die Hände aneinander. „Da Sie jetzt wissen, dass ich gegen meinen Willen hier festgehalten werde, können Sie doch sicherlich etwas unternehmen und mich befreien, oder?“

Je länger sein Schweigen dauerte, desto mehr wankte ihr Lächeln, desto fahriger wurde sie. Ihr Herz klopfte so stark, dass sie es in den eigenen Ohren hören konnte. Er musste ihr helfen! Er konnte doch nicht ignorieren, was ihr zugestoßen war!

Endlich sagte er etwas. „Leider ist das nicht so einfach.“

„Wieso nicht?“, fragte sie heiser. Sie hatte auf seine Unterstützung gezählt und fühlte sich jetzt betrogen.

„Ich fürchte, Sie werden sich gedulden müssen.“

Cassie sah den Mann an, der ihr scheinbar unerschütterlich gegenübersaß. Halb gesenkte Lider machten es unmöglich, in seinen Augen irgendetwas abzulesen. Verstand er denn nicht, wie verzweifelt sie war?

Oder rechnete er sich aus, dass es in seinem eigenen Interesse war, ihr nicht zu helfen? Hatte sie sich von seinem sanften Ton in ein Gefühl falscher Sicherheit wiegen lassen?

Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Der Scheich von Tarakhar konnte unmöglich an ihr interessiert sein. Sie besaß weder das Aussehen noch die sinnliche Ausstrahlung der Frauen, mit denen er sich umgab. Er war ein Mann, für den nur das Beste gut genug war. Und was Erfahrung anbelangte … da konnte Cassie nicht mithalten.

Nur war Erfahrung nicht unbedingt erforderlich. Das wusste sie aus eigener bitterer Erfahrung.

Unwillkürlich streifte ihr Blick das Messer auf dem Tisch.

„Fahren Sie Ihre Krallen wieder ein, Kätzchen. Für den Moment brauchen Sie keine Klinge.“

Kätzchen! Empörung wallte in ihr auf. „Wirklich nicht?“

„Nein. Ich tue Frauen keine Gewalt an.“ Entrüsteter Stolz funkelte in seinem Blick.

Dennoch würde sie kein Risiko eingehen. „Unter den gegebenen Umständen werden Sie wohl verstehen, dass ich mir das Recht vorbehalte, mich zu verteidigen.“

Sein Wort reichte ihr nicht? Als ob er ein Mann wäre, dem man nicht vertrauen konnte! Sie konnte doch unmöglich annehmen, er wäre aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Mustafa und seine Schergen.

Scheinbar doch. Aber in ihm rührte sich auch Respekt für die Frau, die weiterkämpfte. Wie sollte er ihr Vorhaltungen machen können, wenn es Entschlossenheit war, die ihn selbst dorthin gebracht hatte, wo er heute stand?

„Wenn Sie sich dann sicherer fühlen … behalten Sie das Messer.“ Amir lächelte leicht. „Nur versuchen Sie nicht, die Wachen damit anzugreifen. Mustafas Männer sind Krieger durch und durch. Sie werden nicht zögern, mit voller Kraft zurückzuschlagen. Sie würden definitiv den Kürzeren ziehen.“

„Meinen Sie, das wüsste ich nicht?“ Funken schienen aus ihren Augen zu sprühen. „Wie können Sie Männer, die eine unbewaffnete Frau entführen, Krieger nennen? Ich dachte immer, die Männer hier besäßen mehr Stolz.“

„Sie haben recht. Dieses Verhalten ist schändlich und ehrlos.“ Es beschämte ihn, dass sie während ihres Aufenthalts in seinem Land entführt worden war und sie eine derartige Behandlung über sich hatte ergehen lassen müssen. „Mustafas Männer befolgen Mustafas Befehle.“

„Sie auch?“

Das ging zu weit! „Miss Denison“, seine Stimme klirrte vor Arroganz, „ich gebe Ihnen mein Wort, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben. Von Ihrer Existenz erfuhr ich erst, als Sie in das Hauptzelt geführt wurden.“

„Ich …“ Sie stockte und senkte den Blick. „Ich verstehe. Danke.“

Wie ein Ballon, den man mit einer Nadel angestochen hatte, sank sie in sich zusammen. Sofort bereute Amir seinen harschen Ton. Wo war seine Selbstbeherrschung geblieben? Seltsamerweise waren seine Reaktionen auf Cassandra Denison völlig unberechenbar.

Er hatte genügend Erfahrung darin, Frauen zu gefallen und sie zufriedenzustellen. Doch seit seiner Jugend waren es die Frauen gewesen, die ihn umworben hatten. Sie waren alle gut von ihm behandelt worden, aber er musste sich nie die Mühe machen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie also sollte er mit dieser Frau umgehen, die ihn reizte, ihn aber abwies?

„Sie sagten, es sei nicht so einfach. Warum nicht?“

Ihre Stimme riss ihn aus seinen Überlegungen. „Ich bin gerade angekommen und werde erst in einer Woche wieder abreisen.“

Cassie nickte. „Und was heißt das?“

„Das heißt, dass Sie bis dahin hier bleiben müssen.“

„Niemals!“ Geschockt sprang sie von ihrem Sitzkissen auf. Amirs Arm schoss vor, um ihr den Weg zu versperren. Er berührte sie nicht, aber seine Miene hatte die gleiche Wirkung. „Wenn Sie erwarten, dass ich noch eine ganze Woche …“

„Genau das ist es, was ich erwarte, Miss Denison. Wenn meine Verhandlungen hier zu Ende sind, werde ich Sie in Sicherheit bringen. Wenn Sie bis dahin in meinem Zelt bleiben, stehen Sie unter meinem Schutz. Niemand wird Sie anrühren, solange Sie mir gehören.“

Cassies Augen wurden tellergroß. Ihm gehören? „Ich gehöre Ihnen nicht. Ich gehöre keinem Mann.“

Er schüttelte den Kopf. „Was Mustafa und jeden Mann in diesem Lager anbetrifft, gehören Sie mir.“

„Das ist ja barbarisch!“ In welchem Jahrhundert lebten diese Menschen?

Amir zuckte mit einer Schulter. „Natürlich ist es das. Mustafa will seine Position durch Hasardeurstücke und pompöses Gebaren aufwerten.“ Er ließ seinen dunklen Blick über ihren Umhang gleiten, allerdings vermutete Cassie, dass es nicht die raue Wolle war, die er sah. „Der Mann besitzt keinerlei Feingefühl.“

Aus dem Nichts schlug eine Hitzewelle über ihr zusammen. Sie fragte sich, wie viel Feingefühl wohl der Scheich von Tarakhar besaß. „Sie können doch nicht von mir erwarten, dass ich hier bleibe!“

„Ich kann meinen Besuch nicht abkürzen.“

„Nicht einmal, um einer Frau aus einer Notlage zu helfen?“ Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal auf die Rolle der hilflosen Frau berufen würde, aber unter diesen Umständen …

Er spreizte die Finger vor sich. „Ich bin hier, um Mustafas Grenzüberfällen, deren Opfer Sie geworden sind, endlich ein Ende zu setzen. Falls Diplomatie nichts ausrichten kann, wird Gewalt notwendig werden. Sicherlich können Sie verstehen, dass ich nicht bereit bin, das Leben meiner Untertanen aufs Spiel zu setzen, wenn es nicht absolut nötig ist.“ Sein Blick hielt ihren gefangen. „Ich kann nicht riskieren, dass noch anderen Menschen das gleiche Schicksal wie Ihnen zustößt.“

Cassie hatte durchaus Verständnis für seine Entschlossenheit, dennoch musste sie sich auf die Zunge beißen, um nicht von ihm zu fordern, dass er sie sofort von hier wegbringen sollte. „Wenn Sie bleiben müssen, kann ich doch …“

„Was? Allein den Weg zurückfinden?“

Musste er so abfällig klingen? So naiv war sie auch wieder nicht. „Warum kann nicht einer von Ihren Leuten mich …“

Schon schüttelte er den Kopf. „Ich reise nur mit kleinem Staat und kann auf keinen meiner Leute verzichten. Es tut mir leid, aber Ihre einzige Option besteht darin, das Lager gemeinsam mit mir zu verlassen.“

Mit zusammengepressten Lippen wandte Cassie den Kopf ab. Er sollte nicht sehen, wie erschüttert sie war.

„Ich wünschte auch, es wäre anders. Doch das ist die einzige Möglichkeit. Cassandra, sehen Sie mich an.“

Erstaunt, ihn ihren Namen aussprechen zu hören, drehte sie sich herum. „Cassie.“

„Dann also Cassie.“ Aus seinen schwarzen Augen warf er ihr einen glutvollen Blick zu. Sie hatte das Gefühl, dass er ihr bis in die Seele sah. „Werden Sie mir vergeben, wenn ich absolut offen rede?“

„Ich ziehe es vor.“ Sie musste wissen, woran sie war.

Amir nickte. „Es ist von ungeheurer Wichtigkeit, dass man im Lager glaubt, ich sei zufrieden mit diesem Arrangement. Und dass Sie es akzeptieren. Sollte Mustafa nicht der Meinung sein, wird er mir eine andere Begleiterin zuweisen. Vermutlich wird er Sie dann für sich selbst behalten. Wollen Sie dieses Risiko eingehen?“

Bei der Vorstellung gefror Cassie das Blut in den Adern. Nur zu gut erinnerte sie sich an die geifernden Mienen, als man sie wie eine Trophäe in das Hauptzelt gezerrt hatte.

Zur Antwort schüttelte sie stumm den Kopf. Nun gut, sie würde bleiben. Für den Moment.

Cassie stand stocksteif vor einem Wandbehang, der den Baderaum abteilte. Auf diesem kostbar bestickten Vorhang waren ein Garten mit Springbrunnen, blühenden Pflanzen und wunderschönen Frauen dargestellt. Eine der Frauen spielte Lyra, eine andere kämmte sich das lange Haar, eine dritte beugte sich über einen Busch und pflückte eine prächtige Blüte, und eine weitere trank von einer feinen Tasse.

„Der Garten der Freuden.“

Amirs tiefe Stimme erklang direkt hinter ihr, sein warmer Atem strich über ihren Nacken und ließ einen Schauer über ihre Haut laufen. Cassie musste sich räuspern. „So?“

„In diesen Gegenden hier ist ein Garten ein Paradies, ein Ort, an dem es Wasser im Überfluss gibt, wo alles üppig grünt und blüht und wo die Schönheit nie vergeht.“

Sie wusste, er redete nur, um sie abzulenken. Er bemühte sich nämlich, das Schloss aufzubrechen, das die dünne Kette um ihre Hüfte mit der schweren Kette verband. Dennoch empfand sie seine tiefe Stimme als extrem beruhigend.

Eine halbe Stunde in seiner Gegenwart, und schon hatte die Angst sich so weit gemildert, dass Cassie andere Dinge wahrnahm. Wie zum Beispiel das wachsende Bewusstsein für den Mann, der so nahe bei ihr stand. Für die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. Für seine Hände, die immer wieder ihre Taille streiften und damit jedes Mal einen Stromstoß durch sie hindurchjagten.

„Halten Sie still. Das Schloss ist alt und verrostet. Sie müssen wirklich still stehen bleiben.“

Sie hielt den Atem an, als er die Finger unter die Kette an ihrer Taille schob, um das Schloss aufzuzwängen.

„Die Frauen dort repräsentieren die sinnlichen Freuden. Die Musik, der Blütenduft, der Geschmack des Nektars und der Anblick der Schönheit.“

Cassie hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, während er an der Kette zog und zerrte. „Faszinierend. Ich hielt es einfach nur für ein hübsches Bild.“

„Es ist weit mehr als das. Es hat gleich mehrere Bedeutungen.“

Sie spürte sein Haar über die bloße Haut an ihrer Taille streichen, als er sich konzentriert über das Schloss beugte. „Wirklich? Welche denn noch?“

Seine Schulter streifte ihre Hüfte, dann hörte sie ein Knirschen und endlich ein Klicken. Amir richtete sich auf, das alte Schloss in der Hand und ein selbstzufriedenes Lächeln auf dem Gesicht, bei dem Cassies Puls zu rasen begann. Der autokratische Wüstenherrscher sah jünger und zugänglicher aus denn je – und aufregend sexy.

„Das Bild ist ebenso eine Metapher für die Freuden, die ein Mann bei einer Frau findet.“ Sein Blick hielt sie gefangen, und Cassie schluckte unmerklich. „Das samtzarte Gefühl ihrer Haut, ihre leisen Seufzer, ihr Duft, ihr Geschmack und ihr Anblick.“ Er sah auf ihre Lippen, die prompt zu prickeln begannen.

Cassie unterdrückte den Seufzer und schlang die Arme um sich.

Dann trat er zurück, seine Finger umfassten hart die Kette in seiner Hand. „Ohne die hier werden Sie sich wesentlich besser fühlen.“ Ärger war in seiner Stimme zu hören. Mit einem dumpfen Laut landete die Kette auf dem Teppich. „Gleich morgen früh lasse ich sie entfernen.“

Hoffnung flammte in ihr auf, dass dieser Mann wirklich auf ihrer Seite stand. Auch wenn sie ihre Schlachten bisher immer allein geschlagen hatte, dieses Mal war sie dankbar für die Hilfe. „Danke, Hoheit.“

Sein Kopf ruckte hoch, ihre Blicke trafen sich. „Unter den gegebenen Umständen können wir wohl auf die Formalitäten verzichten. Nennen Sie mich Amir.“

Nach allem, was sie durchgemacht hatte, wärmte dieses schlichte und durchaus vernünftige Angebot sie bis in ihr Innerstes. Sehnte sie sich wirklich so sehr nach einem einnehmenden Gesicht, nach einem freundlichen Wort? Sie fühlte sich so … so schrecklich verletzlich. „Danke, Amir.“ Sie lauschte dem Nachhall seines Namens. „Und was ist hiermit?“ Sie hakte die Finger in die dünne Kette um ihre Taille, und Hitze floss durch sie hindurch, als sein Blick der Geste folgte und auf ihrer bloßen Haut haften blieb.

Er schüttelte den Kopf. „Dazu brauche ich Werkzeuge, die ich nicht bei mir habe.“

Sie würde diese Kette also weiter tragen müssen? Diese war zwar nicht schwer, dennoch war sie ein Symbol für Cassies unerträgliche Situation. Die erste Euphorie über ihre Freiheit wich der grausamen Realität.

„Wenn wir zurück in Tarakhar sind, ist es eine Sache von Minuten, sie zu entfernen.“

Cassie nickte stumm. Sie musste dankbar sein für das, was er bereits erreicht hatte. Müdigkeit überfiel sie jäh, ihre letzten Kräfte schienen sie zu verlassen.

Amir deutete zu der altmodischen Wanne, die von den Dienerinnen mit duftendem Wasser gefüllt worden war. Dampf stieg kräuselnd in die Luft. „Ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie sich waschen können.“ Bevor er den Raumteiler hinter sich zurückfallen ließ, drehte er sich noch einmal um. „Rufen Sie, wenn Sie etwas brauchen.“

Nach seiner Uhr dauerte es nicht lange, bevor Cassie wieder hinter dem Vorhang hervortrat, doch für Amir schienen es Stunden gewesen zu sein. Stunden, in denen er versucht hatte, seine Wut einzudämmen, indem er sich die passende Bestrafung für Mustafa und seine Helfershelfer überlegte. Doch immer wieder waren seine Gedanken zu Cassandra Denison zurückgewandert – zu ihrem Mut, zu ihrem faszinierenden Gesicht, zu ihrer hinreißenden Figur.

Diese endlosen Minuten, die er gebraucht hatte, um das alte Schloss aufzubekommen, waren die reine Folter gewesen. Vermutlich hatte sie sich ebenfalls gegen seine Berührungen stählen müssen. Er hatte sie nicht gefragt, was ihre Kidnapper ihr angetan hatten, doch allein bei der Vorstellung, dass Mustafas Abschaum sie angefasst hatte, war bittere Galle in ihm aufgestiegen.

Daher war er so ungeschickt gewesen … weil er wütend gewesen war. Dabei hatte er sich beeilen wollen, um ihr die dringend benötigte Privatsphäre zu lassen. Aber nicht nur das alte Schloss hatte Probleme gemacht, auch seine zitternden Hände. Vor allem ihre unschuldige Frage zu dem Wandteppich – zweifelsohne gestohlen auf einem von Mustafas Raubzügen – hatte Amirs Gedanken in eine Richtung gelenkt, die seinen Seelenfrieden empfindlich gefährdete.

Mit ihrem Duft in der Nase und ihrer bloßen Haut an den Fingerspitzen hatte er sich für einen verrückten Moment tatsächlich gefragt, wie ihre Lippen schmecken mochten … bis er sich zusammengerissen und seine Konzentration allein auf das Schloss gelenkt hatte.

Die enthaltsame Lebensweise der letzten Monate wandte sich jetzt eindeutig gegen ihn. Es war zu lange her, seit er mit einer Frau im Bett war.

Seine Berater hatten recht. Es wurde Zeit, dass er heiratete. Gespielinnen und Mätressen waren ein angenehmer Zeitvertreib, doch er war die ständigen Forderungen und Ansprüche leid. Eine Ehefrau würde nicht klammern, sondern mit der Haushaltsführung und dem Aufziehen der Kinder beschäftigt sein. Und sie würde sich auch seiner Bedürfnisse annehmen.

Bei der Vorstellung schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Bis ihm bewusst wurde, dass die Ehefrau in seiner Fantasie violette Augen und Haar von der Farbe eines reifen Kornfeldes hatte.

Der Schlafbereich war nur erhellt von einer einzelnen Sturmlampe. Auf der Schwelle blieb Cassie mit aufgeregt hämmerndem Herzen stehen.

Das tiefe Bett war riesig, vier Erwachsene hätten hier Platz gefunden. Doch obwohl nur ein Mann darin lag, schien es Cassie zu wenig Platz zu bieten.

Amir hatte ihr sein Wort gegeben, dass sie bei ihm in Sicherheit sei. Trotzdem konnte sie unmöglich das Bett mit ihm teilen.

Auf bloßen Füßen schlich sie, um ihren Umhang zu holen. Dann zog sie mit angehaltenem Atem ein Kissen vom Bett. Amir rührte sich nicht, atmete weiter tief und regelmäßig. Halb war sie erleichtert, halb war sie empört. Scheinbar ließ er sich von ihrer Entführung nicht den Schlaf rauben!

Cassie wickelte sich in den Umhang und streckte sich neben dem Bett auf dem Seidenteppich aus.

„Sie können nicht dort unten schlafen.“

Die Stimme drang zischelnd durch das Dunkel.

„Ich ziehe es vor, allein zu schlafen.“

„Das haben wir doch schon besprochen, Cassie.“ Hörte sie da etwa einen Seufzer? „Vertrauen Sie mir noch immer nicht?“

„Das hat nichts mit …“ Natürlich, es hatte alles mit Vertrauen zu tun. Wie sollte sie einem Fremden so komplett vertrauen können, wie er es erwartete? Selbst wenn es sich um einen Fremden handelte, der ihre zerrütteten Nerven beruhigt hatte und ihr seine Hilfe anbot?

Ihre Gedanken brachen abrupt ab, als starke Arme sie hochhoben. In Panik versuchte sie sich zu wehren, doch es hatte keinen Sinn. Sie wurde an einen nackten männlichen Torso gepresst – und dann schlug es ihr auch schon die Luft aus den Lungen, als sie mit dem Rücken hart auf der Matratze landete.

„Das reicht jetzt. Sie sind sicher bei mir.“ Amir drückte ihre wedelnden Arme auf das Bett. „Sie können nicht auf dem Boden schlafen. Und wenn die Diener Sie morgen früh neben mir liegen sehen, dann machen Sie gefälligst den Eindruck einer zufriedenen Frau. Haben Sie das verstanden?“ Seine Augen, funkelnd wie schwarze Jade, bohrten sich in ihre. „Cassie, verstehen Sie das? Es ist wichtig, dass es so aussieht, als hätten wir uns in der Nacht geliebt – zu Ihrer eigenen Sicherheit.“

Sie schluckte, ihre Kehle war rau wie Sandpapier, ihr Atem ging schwer und rasselnd. Aus Wut, wie sie sich in Gedanken versicherte. „Sie lassen mir ja keine andere Wahl.“ Sie zweifelte nicht daran, dass er sie zurückholen würde, sollte sie wieder aufstehen.

„Gut.“ Amir beugte sich vor und hob etwas vom Boden auf. „Hier, das ist mein Geschenk für Sie.“ Er schloss ihre Finger um etwas Kaltes.

Mit gerunzelter Stirn starrte Cassie auf den Dolch, dessen Schneide im schwachen Lichtschein aufblitzte. „Das meinen Sie nicht ernst“, entfuhr es ihr.

„Behalten Sie ihn, bis Sie wieder in Sicherheit sind. Er ist sehr viel effektiver als ein Schälmesser.“

Völlig verblüfft schaute sie in Amirs Gesicht, und plötzlich glaubte sie ihm. Sie vertraute ihm.

„Schlafen Sie damit. Sollte Sie während der Nacht irgendetwas ängstigen, erinnern Sie sich daran, dass Sie ihn haben, und nutzen Sie ihn.“ Mit leichtem Druck senkte er ihre Faust, die den Dolch hielt, neben ihren Kopf auf das kühle Laken. „Schlafen Sie jetzt. Ihnen wird nichts geschehen.“ Sacht strich er ihr über die Wange, bevor er seine Hand wegzog.

Abrupt stand er auf und schaute eine Weile auf sie hinunter, dann zog er die Bettdecke über sie und ging auf seine Seite. Cassies Blick folgte ihm. Sein Oberkörper war so mächtig, und seine muskulösen Schenkel zeichneten sich selbst unter der weiten Pluderhose ab, die ihm tief auf den Hüften saß. Nie zuvor war ihr ein Mann mit einer so ursprünglich männlichen Aura begegnet.

Jetzt legte er sich auf seine Seite des Betts und rollte sich herum, den Rücken zu ihr.

Wie lange Cassie dalag und auf seinen breiten braunen Rücken starrte, hätte sie nicht sagen können. Irgendwann, trotz ihres festen Entschlusses, wurden ihr die Lider schwer, und ihr Halt um den Dolchgriff lockerte sich. Und während die Erschöpfung schließlich die Oberhand gewann, wurde Cassie sich bewusst, warum sie sich so sicher fühlte. Es lag nicht an Amirs Zusicherung, auch nicht an dem Dolch, den er ihr zu ihrer Verteidigung – sogar gegen ihn – überlassen hatte, sondern an seiner unbewussten und doch so tröstenden Geste: Wie lange war es her, seit jemand sie fürsorglich im Bett zugedeckt hatte?

Das Gefühl wärmte sie, und sie glitt in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Sie nahm nicht mehr wahr, dass der Mann neben ihr sich umdrehte, sich auf einen Ellbogen stützte und sie lange mit zusammengezogenen Brauen musterte.

3. KAPITEL

Der Mond ging bereits auf, als Amir zusammen mit Mustafa und dessen Leuten durch die Schlucht zurück zum Lager ritt. Seit dem Morgengrauen waren sie unterwegs, hatten den Tag mit Falken und Reiterspielen verbracht, die dem Gast die Kraft und Ausdauer der rauen Männer aus den Bergen demonstrieren sollte.

Ein Schachzug, von dem Mustafa sich erhoffte, die Oberhand bei den bevorstehenden Verhandlungen zu gewinnen. Damit hatte er sich jedoch verrechnet. Hätte er seine Hausaufgaben gemacht, hätte er die Geschichten, die über den Scheich von Tarakhar kursierten, nicht für bare Münze genommen. Geschichten über eine müßige Jugend in fremden Ländern, wo Männer keine Männer mehr waren, sondern verweichlichte Faulenzer. Ein solcher Ruf bot einem Herrscher in einem Land, in dem unnachgiebiger Stolz und Ehre alles zählten, keinen besonders guten Start.

Doch Mustafa hatte sich nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, dass Amirs Jugend ihn zwar zu dem Mann gemacht hatte, der er heute war, diese Geschichten aber auch den Ehrgeiz in ihm angestachelt hatten, härter, stärker und schneller zu sein als all diese sogenannten Krieger zusammen.

Es war Mustafa, der im Sattel schwankte und sich immer wieder den Schweiß von der Stirn wischte, während Amir entspannt und locker die Zügel hielt.

Amir besaß wenig Respekt für den Mann, der nicht mehr als ein pompöser Rüpel in einer instabilen Region war. Nach dem, was er gestern Abend erfahren hatte, kostete es ihn Mühe, sich seine Wut nicht anmerken zu lassen. Die Zeit für Vergeltung würde noch kommen. Wobei … schon heute hatte Mustafa einen Vorgeschmack der kühlen Distanz erhalten, die zu den notwendigen Charaktereigenschaften eines Scheichs zählten.

Das Bild von großen violetten Augen in einem viel zu blassen Gesicht blitzte vor Amir auf, und er musste sich zusammenreißen. Er wollte Rache für das, was man Cassie angetan hatte. Und in diese Rachegelüste mischten sich Frustration und das Gefühl von Hilflosigkeit, Gefühle, die er nicht mehr empfunden hatte, seit er ein Kind gewesen war – weil er Cassie Denison nicht befreien konnte.

Noch nicht. Er hatte Pflichten zu erfüllen. Eine vorzeitige Abreise würde die Friedensverhandlungen sabotieren und Cassies Sicherheit gefährden.

Amir spornte sein Pferd zu einem leichten Galopp an. Mustafa folgte mit Verspätung, wirkte im Sattel eher wie ein schwerer Kartoffelsack denn wie der tapfere Krieger, als den er sich selbst hinstellte.

Leichte Aufregung erfasste Amir, als das Lager in Sicht kam. Nicht mehr lange, und er würde sich der unangenehmen Gesellschaft entledigen können. Nein, die Aufregung hatte nichts mit der Aussicht zu tun, dass er Cassandra wiedersehen würde.

Wie lange hatte er gestern noch wach gelegen und sie im Schlaf beobachtet? Er konnte sich nicht daran erinnern, je das Bedürfnis verspürt zu haben, eine Frau einfach nur anzusehen. Ein solches Bedürfnis war eine Schwäche, und Schwächen akzeptierte er bei sich nicht. Frauen, so angenehm ihre Gesellschaft auch war, erfüllten nur einen Zweck in seinem Leben.

Er wollte sich gerade zu Mustafa umdrehen, um für später noch gemeinsame Gespräche vorzuschlagen, als vom Lager her ein gellender Schrei ertönte. Vor dem Gästezelt spielte sich ein Tumult ab, aus dem Lager strömten mehrere Gestalten darauf zu.

Amir trieb sein Pferd an. Der Instinkt sagte ihm, dass Eile geboten war.

„Aufhören!“

Der Befehl hallte durch die Nachtluft. Die Menge wich auseinander, sobald man erkannte, wer dort angeritten kam. Doch die beiden ungleichen Gestalten direkt vor dem Zelteingang stellten ihr Handgemenge nicht ein. Die kleinere der beiden kämpfte wie ein Derwisch, nutzte geschickt die Masse der größeren und hätte sie auch fast zu Fall gebracht. Doch der bullige Wachmann war erfahrener und wartete bis zum letzten Moment. Ein Schmerzensschrei ertönte und dann ein heiseres Lachen, als der Größere den Kleineren in den Schwitzkasten nahm und ihn von den Füßen zog.

„Gib sie frei! Sofort!“ Amir sprang vom Pferd. Wut wallte in ihm auf, als Mustafas Mann bedrohlich die Peitsche, die er in der Hand hielt, knallen ließ. Mit einem blitzschnellen Faustschlag ans Kinn und einem zweiten in den Solar Plexus streckte Amir den massigen Mann nieder.

Schnell und effektiv. Viel schwieriger war es, sich selbst zu beherrschen. Rage kochte in Amir, der Drang, Cassie zu rächen, türmte sich wie eine mächtige Flutwelle in ihm auf. Weil er in der Wache den Mann erkannte, der Cassie in das Hauptzelt gezerrt hatte, den Mann, der ihr die blauen Flecken zugefügt hatte.

Er zog Cassie an sich. Trotz des alles verhüllenden Umhangs konnte es niemand anders sein. Wer sonst besäße den Mut, gegen den größten und brutalsten Mann aus Mustafas Gefolge anzugehen?

Wie konnte eine Frau, die er kaum kannte, sich so vertraut anfühlen? Sie passte perfekt in seine Arme, ihr Kopf genau unter sein Kinn. Und als sie sich an ihn klammerte, überfluteten ihn unbekannte Gefühle.

Der Drang, zu beschützen. Der Wunsch, zu trösten.

„Alles in Ordnung mit Ihnen?“

„Ja.“ Ihre heisere Stimme zerrte an seiner Selbstbeherrschung. Sie atmete heftig, er spürte es durch den Umhang, und doch stand sie aufrecht und steif, so als hielte sie sich bereit, die nächste Attacke abzuwehren.

Diese Frau war mutig bis zur Tollkühnheit! „Wieso, um alles in der Welt, haben Sie das Zelt verlassen?“ Sie wusste doch, dass die Wachen sie aufhalten würden.

„Es war schon so spät … Ich dachte, Sie kommen nicht mehr zurück.“

Die Verzweiflung hatte sie aus dem Zelt getrieben! Weil sie geglaubt hatte, er wäre abgereist und hätte sie in Mustafas Fängen zurückgelassen.

Inzwischen hatten sich die anderen Reiter um sie geschart. Mustafa stieg aus dem Sattel, gerade in dem Moment, als der Mann auf dem Boden aufstöhnte.

„Deine Wache ist übereifrig, Mustafa.“ Amir erhob seine Stimme, sodass jeder es hören konnte. „Er hat seine Hand gegen die Frau erhoben, die mir gehört.“

Cassie lugte unter der Kapuze hervor. Die Szene glich jener bei ihrer Entführung. Da hatten die Reiter auch den fahrunfähigen Bus eingekreist, und auch da hatte der Geruch von Schweiß, Staub und Pferden in der Luft gelegen. Angst mischte sich mit Ärger. Diese Männer waren Abschaum, von ihnen war sie an den Haaren mitgezerrt worden! Sie hatten sie behandelt, als wäre sie ein Gegenstand!

Obwohl sie bei dem Kampf mit dem Wachmann mit ihrer Niederlage gerechnet hatte, empfand sie auch Befriedigung. Sie war nicht so hilflos, wie ihr Bewacher angenommen hatte. Sie hatte Erstaunen und Betroffenheit in seinen Augen stehen sehen, als ihm das klar geworden war.

Doch jetzt würde sie sich den Konsequenzen für ihren Fluchtversuch stellen müssen. Der Mann, den Amir Mustafa nannte, warf einen kurzen Blick auf seinen stöhnenden Gefolgsmann am Boden, dann funkelte er sie voller Verachtung an. Cassie weigerte sich, zurückzuweichen, auch wenn sie die Wut in dem Stammesführer toben fühlte. Wenn man sich von einem Rohling einschüchtern ließ, forderte man die Probleme erst recht heraus.

Amir drückte ihre Hand, dann stellte er sich vor sie. Verdutzt starrte sie auf seinen breiten Rücken, der ihr die Sicht auf die Menge versperrte. Sie hatte schon den Mund geöffnet, um zu protestieren, als ihr gesunder Menschenverstand einsetzte. Gegen diese Horde hatte sie keine Chance, sie sprach ja nicht einmal ihre Sprache, konnte weder argumentieren noch bitten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich auf Amir zu verlassen. Ihn respektierten hier alle.

Es war ungewohnt für sie, dass jemand für sie die Führung übernahm. Doch hier stand Amir, mit leicht gespreizten Beinen, jederzeit bereit für seinen Einsatz. Und überraschenderweise strahlte seine große Statur Trost aus, während er sie vor den Blicken der Meute schützte. Trost und Wärme, die ihre bange Furcht milderten.

Pferde schnaubten, Zaumzeug klirrte, doch nicht einmal ein Flüstern war von der Menge zu vernehmen, als Amir und Mustafa miteinander redeten. So leise und ruhig, wie sie sprachen, hätten sie sich über das Wetter unterhalten können. Trotzdem fuhr ein Schauer über Cassies Rücken.

Der Ausdruck in Mustafas Augen … sie zweifelte nicht daran, dass sie für das, was seinem Kumpanen zugestoßen war, würde bezahlen müssen.

Mit geschlossenen Augen, das Kinn auf die Brust gezogen, lauschte sie dem Klang der Worte, die sie nicht verstand. Amirs Stimme schwang tief und sonor durch die Nacht, verlieh den unbekannten Silben und dem fremden Rhythmus eine wunderschöne Melodie.