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MIA UND DER GRIECHISCHE MILLIARDÄR von MICHELLE REID Als Assistentin des griechischen Milliardärs Nikos Theakis soll die unerfahrene Mia die goldenen Regeln der Balfours lernen. Immerhin gehört sie zu dieser legendären Dynastie! Doch Nikos bringt Mia noch etwas ganz anderes bei: die Macht der Leidenschaft … SCHICKSAL IN ZARTER HAND von MICHELLE REID Ein kostbarer Diamantring, ein Liebesschwur für die Ewigkeit … Bei ihrer Hochzeit mit dem faszinierenden Millionär Franco Tolle fühlt Lexi sich wie im schönsten Traum. Doch ihr Glück zerplatzt wie eine Seifenblase, als Franco sie kurz darauf wieder aus seinem Leben verstößt … VERZEIH MIR, LIEBLING von MICHELLE REID Shannon kann kaum glauben, dass der italienische Unternehmer Luca Salvatore nach zwei Jahren wieder vor ihrer Tür steht. Wie gerne würde sie ihm nun endlich alles erklären! Doch Luca bittet sie nur, mit ihm nach Florenz zu kommen - wegen eines großen Unglücks. Und seiner großen Sehnsucht?
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Seitenzahl: 601
Michelle Reid
JULIA BEST OF BAND 220
IMPRESSUM
JULIA BEST OF erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Zweite Neuauflage in der Reihe JULIA BEST OFBand 220 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2010 by Harlequin Books S. A. Originaltitel: „Mia’s Scandal “ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Gudrun Bothe Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1980
© 2012 by Michelle Reid Originaltitel: „The Man Who Risked it All“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Elke Schuller Deutsche Erstausgabe 2012 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 2031
© 2003 by Michelle Reid Originaltitel: „The Salvatore Marriage“ erschienen bei: Harlequin Enterprisese Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Annette Stratmann Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1642
Abbildungen: shutterstock / The World in HDR , Getty Images / puhhha, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733712785
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Beklommen verharrte Mia zwischen zwei überdimensionalen, steinernen Torpfosten, auf denen identische goldene Greife hockten, als wollten sie sich auf ihre Beute herabstürzen.
Ein kühler Schauer lief über ihren Rücken, als sie in den furchterregenden Kreaturen – halb Adler, halb Löwe – die tierischen Symbole des Balfour Familienwappens erkannte, das sie auf einer Internetseite gefunden hatte. Rasch wandte sie die Augen von den gruseligen Wächtern ab, da ihre Nerven auch so schon zum Zerreißen gespannt waren.
Wie lautete noch das Motto, das unter dem Wappen gestanden hatte?
Validus, superbus et fidelis …
Mächtig, stolz und treu …
„Lieber Himmel …!“, wisperte sie, eingeschüchtert von der opulenten Grandezza des Entrees zum Stammsitz der Balfours.
Hinter ihr verklang das Motorengeräusch des Taxis, das sie vom Flughafen hierher gebracht hatte. Fröstelnd stand Mia im fahlen Sonnenlicht des kühlen Februarmorgens.
Zu denken, dass sie noch vor einer Woche im Haus ihrer Tante ein ruhiges, normales Leben in der ländlichen Toskana geführt hatte, ohne je von einer glamourösen, weltbekannten Familie namens Balfour gehört zu haben, war irgendwie surreal.
Und erst recht der Gedanke, dass sie selbst zu dieser Familie gehörte!
Davon wüsste sie auch noch immer nichts, wenn sich nicht plötzlich ihre leibliche Mutter – diese kalte, distanzierte Person – gemeldet und ein Treffen gefordert hätte. Was wiederum Zia Giulia dazu veranlasst hatte, ein dunkles Familiengeheimnis auszugraben, das sie zwanzig lange Jahre sorgsam gehütet hatte.
Doch statt zu ihrer Mutter zu fahren, stand Mia jetzt hier – am Rande eines Nervenzusammenbruchs – und kurz davor, Oscar Balfour zu treffen … Oberhaupt der Familie Balfour, millionenschwerer Tycoon, dreifach verheiratet und Vater von sieben hübschen Töchtern.
Von acht Töchtern! meldete sich eine Stimme in ihrem Hinterkopf.
Mia spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog. Ob ein Mann mit so viel Nachwuchs überhaupt Interesse an einer weiteren Tochter hatte?
Das war die Kardinalsfrage, die sie während ihrer Reise ständig beschäftigt hatte, und die sie ihm als Erstes stellen wollte. Mia fieberte seiner Reaktion entgegen, damit sie dieses schmerzvolle Thema hoffentlich bald abschließen konnte. Sollte er nichts mit ihr zu tun haben wollen, konnte ihr kaum Schlimmeres widerfahren, als das, was die kalte Zurückweisung ihrer Mutter bereits in ihrem Herzen und ihrer Seele angerichtet hatte.
Außerdem bestand ja noch die Chance, dass er sich menschlicher zeigte und sie vielleicht sogar willkommen hieß.
Nervös nagte Mia an ihrer Unterlippe, hob den Koffer vom Boden auf und straffte sich. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und ein Engegefühl in der Brust machte ihr das Atmen schwer. Sekundenlang war ihr schwindelig, sodass sie kurz die Augen schloss.
Als Mia sie wieder öffnete, schaute sie eine schnurgerade Auffahrt entlang, die auf beiden Seiten von hohen alten Bäumen gesäumt war. Das Haus konnte sie noch nicht sehen, weil die Allee über einen Hügel führte, hinter dem Balfour Manor in einer Talsenke lag, die den Mittelpunkt des riesigen Privatbesitzes markierte. Auch das wusste Mia von der Balfour-Website.
Alles, was sie jetzt tun musste, war, zwischen den Baumriesen hindurchzumarschieren und Haltung zu bewahren, obwohl ihr das mit jedem Schritt schwerer fiel.
Nikos Theakis neigte absolut nicht zu emotionalen Exzessen. Tatsächlich war er sogar stolz auf sein analytisches Geschäftskalkül, mit dem er fast alle Bereiche seines Lebens meisterte.
Doch nach dem heutigen Treffen mit Oscar Balfour war davon nichts zu spüren. Tatsächlich stand er sogar immer noch unter Schock. So wie die ganze Familie Balfour. Die Einzige, die damit einigermaßen zurechtkam, schien ausgerechnet Lillian Balfour zu sein.
Während Nikos die Allee entlangfuhr, sah er das blasse, fast durchscheinende Gesicht von Oscars wunderschöner Frau vor sich, wie sie ihm mit tapferem Lächeln ein letztes Lebewohl sagte.
Frustriert schlug er mit der Faust aufs Lenkrad und fluchte vor sich hin. Heftige Emotionen drohten ihn zu überwältigen. Im Bestreben, sich Erleichterung zu verschaffen, trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der kraftvolle Sportwagen machte einen Satz nach vorn, schoss aus der Talsenke heraus und über die Kuppe des Hügels, bevor er unter das Blätterdach der hohen Alleebäume eintauchte.
Da er abgelenkt war, reagierte Nikos zu spät auf die schattenhafte Gestalt, die wie ein Geist vor ihm auftauchte. Und weil er die Erscheinung zunächst nicht für real hielt, trat er viel zu spät auf die Bremse.
Nie zuvor hatte er sich in einer ähnlichen Situation befunden. In wenigen schreckhaften Sekundenbruchteilen prägte sich ihm ein Bild von langem, schwarzem Haar ein, das ein zartes herzförmiges Gesicht umrahmte. Dazu gehörte der atemberaubende Körper einer jungen Frau.
Aus irgendeinem verrückten Grund stach ihm ins Auge, dass sie zu ihrem knielangen Rock schwarze, knöchelhohe Lederstiefeletten mit Absätzen trug, die eindeutig tödlichen Waffen glichen.
Dann traf ihn die Realität wie ein elektrischer Schlag. Mit einem erneuten, lästerlichen Fluch auf den Lippen trat er hart auf die Bremse.
Mia stand wie erstarrt da, als ein flaches silbernes Monster auf sie zuraste, und die Luft von einem unwirklichen, ohrenbetäubenden Röhren erfüllt war. Wie in Trance sah sie das Geschoss näher und näher kommen, bis es schließlich wenige Zentimeter vor ihren Knien in einer Staub- und Kieswolke zum Halten kam.
Der Motor heulte noch einmal auf, dann herrschte Totenstille.
Nikos warf sich in seinem Ledersitz zurück. Die Finger immer noch um das Lenkrad gekrampft und mit wild hämmerndem Herzen starrte er auf die seltsame Erscheinung vor der silbernen Motorhaube. Nie hätte er geglaubt, den Wagen rechtzeitig stoppen zu können.
Selbst jetzt war er sich nicht ganz sicher, ob er es wirklich geschafft hatte. So verharrte er weiter in seiner Starre und wartete auf irgendein Zeichen von außen als Beweis, dass er niemanden ernsthaft verletzt hatte.
Theos! Was für ein heißer Feger! signalisierte ihm sein umnebeltes Hirn. Und als er dann auch noch ein peinigendes Ziehen in den Lenden spürte, zweifelte Nikos endgültig an seinem Verstand. Das musste der Unfallschock sein, eine andere Erklärung gab es nicht für sein abstruses Verhalten! Wütend auf sie und auf sich selbst stieß er die Fahrertür auf und sprang förmlich aus dem flachen Sportwagen.
„Was, zur Hölle, haben Sie sich dabei gedacht!“, donnerte er los, kaum dass er um den Wagen herum war. „Wollen Sie sich umbringen? Warum sind Sie mir nicht aus dem Weg gegangen?“
Es kostete Mia jedes Quäntchen Kraft, ein- und wieder auszuatmen, darum versuchte sie gar nicht zu antworten. Ihre Lider flatterten nervös, und erst im zweiten Anlauf brachte sie es fertig, ihn direkt anzuschauen. Zum Schock wegen der Vollbremsung gesellte sich gleich der zweite, als sie sich unerwartet dem attraktivsten Mann gegenübersah, der ihr je im Leben begegnet war.
Und der marschierte auf sie zu wie ein Racheengel, nur dass er keine Flügel, sondern einen schwarzen Mantel trug, der die beeindruckend breiten Schultern noch betonte. Darunter trug er einen eleganten grauen Businessanzug mit weißem Hemd und anthrazitfarbener Seidenkrawatte.
Neben der Stoßstange machte er Halt, um sich selbst davon zu überzeugen, wie nah er ihren zitternden Knien gekommen war. In den dunklen Augen blitzte es gefährlich auf, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, fühlte Mia sich um die schmale Taille gefasst und vom Boden aufgehoben. Die Attacke führte er so entschlossen aus, dass ihr nicht einmal Zeit zum Protestieren blieb. Der Koffergriff entglitt ihren klammen Fingern, und das Gepäckstück fiel zu Boden.
„Sie dummes, kleines Ding!“, grollte er. „Sagen Sie etwas, um Gottes willen! Geht es Ihnen gut? Sind Sie verletzt?“
Wie paralysiert starrte Mia in das dunkle harte Gesicht dicht vor ihrem, nickte schwach und schüttelte gleich darauf den Kopf, als stumme Antwort auf beide Fragen. „Sie hätten mich fast umgebracht …“, murmelte sie dann.
„Ich habe Ihnen das Leben gerettet!“, kam es empört zurück. „Sie sollten mir dankbar sein für die blitzartige Reaktion und meine exzellenten Fahrkünste.“
„Wie ein Wahnsinniger im Sportwagen loszuschießen, bezeichnen Sie als Fahrkunst, Signore?“, fauchte Mia, durch sein arrogantes Gehabe zunehmend erbost.
„Halten Sie es für besonders clever, stocksteif auf einer privaten Auffahrt stehenzubleiben, wenn Sie einen Wagen auf sich zukommen hören, Signorina?“, schoss er zurück.
Erst jetzt schien er sich bewusst zu werden, dass er sie immer noch umklammert hielt, brummte etwas in sich hinein, schwang herum und setzte Mia in sicherer Entfernung von seinem Wagen auf festem Grund ab. Da sie wegen ihrer mörderisch hohen, dünnen Absätze nicht gleich Halt fand, griff sie instinktiv nach seinem Arm. Das Gefühl solider Muskeln unter ihren zitternden Fingern trieb heiße Röte auf ihre Wangen. Sie zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt und versuchte, so schnell wie möglich aus seiner Reichweite zu kommen.
Nikos verfolgte das unsichere Manöver zunächst amüsiert, doch als sie sich von ihm abwandte, wurde sein Blick wie magisch von ihrem reizenden runden Po angezogen, der sich herausfordernd unter dem engen Rock abzeichnete.
Verdammt! dachte er, was ist nur mit mir los? Frustriert versuchte er das heftige Ziehen in seinen Lenden zu ignorieren und schaute mit gefurchten Brauen auf seine Uhr. Er war spät dran und hatte Wichtiges zu erledigen. Dazu stand er noch unter dem Eindruck einer der verstörendsten Situationen, mit denen er es je zu tun hatte …
Und da fiel ihm nichts Besseres ein, als auf einer Allee herumzustehen und das reizende Hinterteil einer hübschen jungen Frau zu bewundern, die er fast über den Haufen gefahren hätte?
Nikos stieß einen frustrierten Laut aus, der ihm selbst galt. „Versuchen Sie, den Rest des Weges auf dem Randstreifen zu gehen“, riet er Mia verärgert und lief um seinen Wagen herum. „Sollten Sie die neue Haushälterin sein … man erwartet Sie bereits dringend!“ Er öffnete die Wagentür. „Vielleicht sollte ich Sie noch warnen: Ihr Outfit ist möglicherweise etwas … deplatziert.“
Mia, die gerade ihren Koffer aufgehoben und abgestaubt hatte, richtete sich überrascht auf und blinzelte. Haushälterin … Outfit … deplatziert? Dachte dieser arrogante Typ etwa, dass sie nach Balfour Manor gekommen war, um eine Stelle als Dienstbote anzutreten?
Ärger und Schmerz ballten sich zu einem Kloß in ihrem Hals zusammen. Nie zuvor hatte sie sich so klein gefühlt. Mit allen Anzeichen verletzter Würde nahm sie ihren Koffer auf und setzte ihren Weg fort, ohne Nikos noch einmal anzuschauen.
Haushälterin! Sie lachte bitter auf.
Dabei hatte sie die englische Sprache tatsächlich gelernt, während sie den Haushalt eines alten britischen Professors führte, der eine Villa in der Nähe ihres Hofs bewohnte. Er hatte sie dafür bezahlt, dass sie sein Haus sauber hielt und für ihn kochte, und ihr uneingeschränkte Erlaubnis erteilt, seine Bibliothek und seinen Computer zu benutzen, solange sie nur nebenbei auch seine ebenso langen wie langweiligen Bücher abtippte.
Als er ihr reges Interesse an seiner Muttersprache erkannte, gab er ihr kostenlosen Englischunterricht. Sobald sie den zwei Kilometer langen Heimweg hinter sich hatte, setzte sich Mia jeden Abend daran, die durchgenommenen Lektionen zu vertiefen, bevor sie ihrer Zia Giulia bei den Näharbeiten half, mit denen diese ihren kleinen Verdienst aufbesserte, den ihr der Verkauf von Schnittblumen in der örtlichen Markthalle einbrachte.
Für gewöhnlich trug Mia ihre geliebten Jeans, T-Shirts und flache Schuhe, neben einer Reihe leichter Baumwollkleider, wie sie für einen heißen toskanischen Sommer angemessen waren.
Jetzt hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben etwas Neues an, und diesmal keinen Billigkram vom Wochenmarkt. Und dann tauchte ausgerechnet hier, auf dem Balfour-Besitz, dieser widerliche Wichtigtuer in seinen Designerklamotten und dem silbernen Sportflitzer auf und zerstörte ihr hart erarbeitetes Selbstbewusstsein mit wenigen, gezielten Worten!
Nikos Miene verfinsterte sich, als er sie mit erhobenem Kopf und steifen, unsicheren Schritten abmarschieren sah … natürlich mitten auf der Auffahrt, wie um ihm zu zeigen, was sie von seiner gut gemeinten Warnung hielt. Anstatt einfach weiterzufahren, stand er wie festgewachsen neben seinem Wagen und starrte ihr hinterher.
Selbstvergessen nahm er die graziösen Bewegungen ihres schlanken und gleichzeitig ausgesprochen weiblichen Körpers wahr, und lauschte dem Klang der warmen, ein wenig rauen Stimme nach, deren südländischer Akzent seine Sinne reizte.
Dem Feuer nach, das aus ihren Worten sprach, musste sie Italienerin sein.
Und jung war sie … zu jung für eine erfahrene Haushälterin, wurde ihm plötzlich peinlich bewusst. Lieber Himmel! Hoffentlich hatte er nicht unwissentlich eine Freundin oder Bekannte von Oscars Töchtern brüskiert?
Dann wurde ihm bewusst, was er da tat, und mit einem unwilligen Knurren stieg Nikos in seinen Wagen und setzte seine unterbrochene Fahrt fort. Wer immer die ungewöhnliche junge Frau auch sein mochte, er konnte nur hoffen, sie wusste, was für eine prekäre Situation sie im Herrenhaus erwarten würde.
Mia stand immer noch unter Schock, als ihr ein erster Blick auf Balfour Manor gewährt wurde. Nichts aus dem Internet hatte sie auf diesen Anblick vorbereitet. Die Schönheit des antiken Gebäudes, das sich in ein saftig grünes Tal schmiegte und zehn Mal größer war, als sie es vermutet hatte, überwältigte sie. Unzählige Fenster glänzten im blassen Sonnenschein.
Mit jedem Schritt wuchsen ihre Angst und ihre Vorbehalte, während sie langsam einen See umrundete, dessen Oberfläche wie gefrostetes Glas wirkte. Je näher sie dem Haus kam, desto langsamer wurden ihre Schritte und desto eingeschüchterter fühlte sie sich.
Jetzt oder nie, sagte Mia sich, als sie vor der riesigen Eingangstür aus massiver Eiche stand. Wenn sie es jetzt nicht versuchte, würde sie es ihr Leben lang bereuen. Denn ein zweites Mal traute sie sich ganz bestimmt nicht hierher.
Sie streckte die Hand aus, griff nach der altertümlichen Glocke und zog daran. Dann wartete sie auf eine Reaktion und ließ dabei die Tür nicht aus den Augen. Als sie sich öffnete, erwartete sie alles Mögliche zu sehen, aber ganz sicher nicht Oscar Balfour persönlich.
Größer und sehr viel beeindruckender, als sie ihn sich nach den Fotos vorgestellt hatte, die ihn mit schlohweißem Haar und sorgfältig getrimmtem Bart zeigten, stand er vor ihr. Als er bei ihrem Anblick die Stirn runzelte, wirkte er so grimmig und abweisend, dass sie sich fast abgewandt und die Flucht ergriffen hätte.
Wenn er sie jetzt auch noch fragte, ob sie die neue Haushälterin sei, würde sie tatsächlich gehen. Doch das tat er nicht.
„Hallo, junge Lady“, begrüßte er sie lächelnd.
Es war ein nettes, freundliches Lächeln, doch es erreichte nicht die Augen, die ebenso tiefblau waren wie ihre. Augen, die Mia fesselten.
„Buon … Giorno, Signore …“, stammelte sie aus Nervosität in ihrer Muttersprache. Dann schluckte sie heftig und wechselte ins Englische. „Ich weiß nicht, ob Sie wissen, wer … wer ich bin. Mein Name ist … Mia Bianchi. Man hat mir gesagt, Sie … Sie seien mein Vater.“
Zum ersten Mal seit drei langen, anstrengenden Monaten, die er auf Reisen verbrachte hatte, betrat Nikos Theakis das Foyer des ultramodernen Gebäudes aus Glas und Granit, das sein Londoner Büro beherbergte.
Ohnehin groß, dunkel und ungemein attraktiv, war er auch noch mit dem schlanken und gleichzeitig kraftvollen Körper eines durchtrainierten Athleten gesegnet. Dabei umgab ihn eine positive, vibrierende Energie, die ihm absolute Aufmerksamkeit garantierte und von allen Seiten aufgeregte bis atemlose Begrüßungsfloskeln einbrachte.
Dass es ihm überall, wo er auftauchte, ähnlich erging, sagte eine Menge über seinen Charakter aus. Sein Wesen war durchaus einnehmend, sein Verstand messerscharf, seine Rede geschliffen, seine Geduld begrenzt. Für ihn zu arbeiten, kam dem Erlebnis eines Weltraumflugs sehr nahe: aufregend und ebenso atemberaubend wie manchmal furchterregend, weil er bedenkenlos Risiken einging, vor denen andere zurückschreckten.
Nikos Theakis war extrem ehrgeizig, entschlossen, selbstsicher und dafür bekannt, keine Fehler zu machen.
Heute wirkte er allerdings weniger souverän als sonst. Die dunklen Brauen über der Nasenwurzel zusammengeschoben, lauschte er offensichtlich angestrengt seinem Telefonpartner auf dem Handy. Deshalb beschränkte sich seine Reaktion auf die Begrüßungsfloskeln und auf ein kurzes, grimmiges Nicken, während er hastig dem wartenden Lift zustrebte.
„Theos, Oscar!“, stieß er unterdrückt hervor. „Was für ein Spielchen versuchst du da mit mir abzuziehen?“
„Kein Spiel“, kam es ruhig zurück. „Ich habe das Ganze gründlich durchdacht und bitte dich einfach um deine Unterstützung.“
„Bitten?“, echote Nikos ironisch.
„Es sei denn, du bist inzwischen zu wichtig und groß geworden, um einem Freund auszuhelfen …“
Verdammt! Der alte Fuchs wusste genau, welchen Knopf er drücken musste!
Gereizt zog Nikos die blütenweiße Manschette seines Hemds zurück, schaute auf die flache Platinuhr an seinem Handgelenk und fluchte lautlos. Da war er noch keine Stunde wieder im Land und wurde bereits in die Pflicht genommen!
Dabei war er in Gedanken immer noch bei dem Rettungspaket, das er für einen krisengebeutelten, multinationalen Konzern geschnürt hatte, der es nicht verdiente unterzugehen, nur weil ein Konglomerat von spekulativen Investoren plötzlich heiße Füße bekommen und versucht hatte, die eigenen Schäflein ins Trockene zu bringen.
Jetzt war er hungrig, litt unter Jetlag und musste in weniger als fünf Minuten oben im Konferenzsaal seines Büros einer Gruppe von Leuten gegenübertreten, die ängstlich und angespannt auf das Ergebnis seiner Mission wartete.
„Versuch nicht, mich als Marionette einzusetzen, an deren Fäden du dann ziehst“, murrte er gereizt.
Oscar Balfour lachte leise. „Freut mich zu hören, dass du mir das immer noch zutraust.“
„Und komm endlich zum Punkt“, forderte Nikos mit einem weiteren Blick auf seine Uhr. Wenn einer die Rücksichtslosigkeit und Härte dieses Meisters der Manipulation kannte, dann er. Darum war Oscars Schmeichelei an ihn auch verschwendet. „Sag mir endlich, was zur Hölle ich für eine deiner verwöhnten Töchter tun soll.“
„Auf keinen Fall verführen“, kam es trocken zurück.
Nikos, der gerade im obersten Stockwerk den Lift verlassen hatte und auf den Konferenzsaal zueilte, schloss bei dieser Antwort für einen Sekundenbruchteil die Augen. „Das war nicht mal im Ansatz witzig …“, knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich habe keine von deinen Prinzessinnen auch nur mit einem Finger berührt, das weißt du genau! Es wäre …“
„Respektlos mir gegenüber?“, half Oscar Balfour milde aus.
„Ja.“ Niemand wusste besser als Nikos, was er diesem harten Mann schuldete. Ohne ihn wäre er heute nicht das, was er war. Daher verbot sich für ihn jeder nähere Kontakt zu den attraktiven Balfour-Mädchen von selbst.
„Danke …“, murmelte ihr Vater.
„Ich will deinen Dank nicht“, wehrte Nikos ab und setzte seinen Weg fort. „Und noch weniger will ich eine von deinen dekorativen Töchtern hier in meinem Büro haben. Und erst recht nicht als meine persönliche Assistentin anstellen, nur um dir einen Gefallen zu tun. Woher stammt überhaupt dein plötzlicher Entschluss, sie zum Arbeiten zu zwingen?“, fragte er aus echter Neugier, während er die Glastür zum Vorzimmer seines Büros aufstieß.
Fiona, die als seine Sekretärin und Empfangsdame fungierte, schaute von ihrem Computerbildschirm auf und schenkte ihm ein Willkommenslächeln.
Mit einem stummen Hinweis auf sein Handy gab Nikos ihr per Handzeichen ebenso stumme Instruktionen, die sie dank langer Erfahrung mühelos interpretieren konnte, was sie mit einem Neigen des blonden Lockenkopfs demonstrierte.
Nikos marschierte ungehindert weiter in sein Büro, im Wissen, dass seine Sekretärin die wartenden Leute im Konferenzraum vertrösten würde. Erst als er die Tür schloss, wurde er sich der lastenden Stille am Telefon bewusst. Da Oscar Balfour über einen wachen Verstand und wenig Geduld verfügte, war das so untypisch für ihn, dass Nikos einen Anflug von Sorge verspürte.
„Alles in Ordnung mit dir, Oscar?“
Der ältere Mann ließ einen tiefen Seufzer hören. „Ehrlich gesagt … nein. Ich fühle mich höllisch und frage mich ständig, welche Versäumnisse ich mir in den letzten dreißig Jahren habe zuschulden kommen lassen …“
Im Geiste führte sich Nikos den großen, fast überdimensionalen Investment-Tycoon mit dem schlohweißen Haar und dem adrett gestutzten Kinnbart vor Augen. Selbstkritik oder Reue passten so gar nicht zu dem Patriarchen, dessen Stolz auf die aristokratische Herkunft und ruhmreiche Ahnenreihe neben der Besessenheit fürs Geschäft sein hervorstechendstes Merkmal war.
„Du vermisst Lillian“, konstatierte Nikos hellsichtig.
„Jede Stunde und jede Minute jedes einzelnen Tages, seit sie mich verlassen hat …“, kam es heiser zurück. „Ich denke an sie, wenn ich mich hinlege und träume von ihr in der Nacht … und morgens, wenn ich aufwache, suche ich ihren warmen Körper neben mir im Bett.“
„Es … tut mir leid“, murmelte Nikos und fühlte selbst, wie nichtig die dürren Worte angesichts des Schmerzes und der Trauer seines alten Freundes waren. „Es muss für euch alle eine harte Zeit sein.“
„Nur weil neben der weltweiten Finanzkrise, die uns alle zu Bettlern machen wird, in unserem Fall noch ein Tod und zwei handfeste Skandale zu verkraften sind?“, fragte Oscar mit dem Zynismus, den Nikos an ihm kannte, und einer Bitterkeit, die neu an seinem väterlichen Mentor war.
Seit Lillian Balfours viel zu frühem und unerwartet schnellem Tod vor drei Monaten war der berühmte Familienname von einem Skandal nach dem anderen erschüttert und befleckt worden.
Nachdem Oscar sich dazu entschlossen hatte, sich zur Existenz seiner illegitimen, zwanzigjährigen Tochter zu bekennen, über die niemand etwas Genaues wusste, war die Familie nicht mehr zur Ruhe gekommen. Jeder, der auf die eine oder andere Weise noch ein Hühnchen mit einem Mitglied der Familie zu rupfen hatte, meldete sich plötzlich zu Wort und versuchte, seinen Teil zum allgemeinen Chaos beizutragen. Auf jeden Fall war das Image der heiligen Familie plötzlich ziemlich angekratzt.
„In meinen Augen hast du die Krise wirklich mannhaft überstanden“, bemühte sich Nikos um einen positiven Ton.
„Das habe ich wohl …“, bestätigte Oscar ruhig, „… ebenso wie du.“
Anstatt am Schreibtisch Platz zu nehmen, fand sich Nikos unversehens vor dem gerahmten Foto seiner Heimatstadt wieder, das er selbst an die Wand gehängt hatte. Wenn er leicht den Blick senkte, konnte er am unteren Bildrand den undeutlichen Fleck ausmachen, der die Slums von Athen bezeichnete, wo er in den ersten zwanzig Jahren seines Lebens von der Hand in den Mund gelebt hatte.
Auf seiner Wange begann ein Muskel zu zucken, während er sich zurückerinnerte. Sein schlechter Start ins Leben war ihm zugleich größter Anreiz gewesen, hart zu arbeiten und kompromisslos nach vorn zu gehen, um nie wieder arm zu sein.
Ohne den glücklichen Zufall, irgendwann auf Oscar zu treffen, würde er vielleicht immer noch ganz unten sein oder wäre sogar irgendwann im Gefängnis elend gestorben, wie viele seiner Weggefährten.
Doch ausgerechnet dieser brillante Kopf und schlaue, gerissene Fuchs in geschäftlicher Hinsicht hatte etwas Besonderes in dem arroganten, zornigen jungen Mann gesehen. Er vertraute seinen scharfen Instinkten und gab Nikos eine Chance, sich aus seinem engen, vorgezeichneten Leben zu befreien.
Plötzlich war Nikos sich seines teuren Designeranzugs und der handgenähten Schuhe sehr bewusst. Er trat an die vollverglaste Wand seines Büros, die ihm einen fantastischen Blick über die Londoner City und die träge dahinfließende Themse bot.
Inzwischen besaß er ähnliche Büros in den wichtigsten Hauptstädten der Welt, neben mindestens ebenso vielen luxuriösen Privatdomizilen, die auf dem ganzen Erdball verteilt waren. Er verfügte über eine Privatjacht, einen Privatjet und ein Privatvermögen, das ihm ziemlich jede Extravaganz gestattete.
Nicht schlecht für einen Straßenjungen aus den Athener Slums, dachte Nikos und sah den Zeitungsartikel mit der gleichlautenden Headline vor seinem inneren Auge, der sich mit seinem Schicksal und Werdegang befasst hatte.
Von den Narben auf Haut und Seele, die er sorgfältig verbarg, wusste allerdings niemand etwas … nicht einmal Oscar Balfour.
„Wie auch immer“, brachte der sich, mit zum Glück kräftigerer Stimme als zuvor, wieder in Erinnerung. „Meine Töchter haben jedenfalls nicht den leisesten Schimmer, was eine Weltwirtschafts- und internationale Bankenkrise überhaupt ist. Und du hast absolut recht, wenn du mir vorwirfst, sie schrecklich verhätschelt und verwöhnt zu haben!“
So hatte er es zwar nicht ausgedrückt, doch Nikos wusste, dass es keinen Sinn machte, sich gegen Oscars perfide Taktik zu wehren.
„Und jetzt ernte ich die Früchte meines unverantwortlichen Verhaltens. Aber ich habe meinen Fehler eingesehen und bin bereit, ihn wieder auszubügeln.“
„Indem du ihnen ihr Geld wegnimmst und sie in die große böse Welt hinausschickst, um festzustellen, ob sie ohne deine Unterstützung auf dem Ozean des Lebens das Schwimmen lernen oder einfach untergehen?“ Trotz der Ernsthaftigkeit ihrer bisherigen Konversation musste Nikos lachen. „Glaub mir, Oscar, dieser Schuss vor den Bug kann nur nach hinten losgehen!“
„Zweifelst du etwa mein Urteilsvermögen an?“
Unbedingt! dachte Nikos, doch der Respekt vor dem alten Mann zwang ihn, etwas anderes zu sagen. „Nein, natürlich nicht.“
„Gut.“ Oscar schien zufrieden. „Denn ich möchte, dass du Mia unter deine Fittiche nimmst und ihr alles beibringst, was sie braucht, um als eine echte Balfour zu überleben.“
„Mia?“, wiederholte Nikos gedehnt. „Ist sie …“ Er biss sich auf die Unterlippe, doch es war zu spät.
„Ist sie was?“, kam es gedehnt zurück.
„Die … die Neue“, bemühte sich Nikos wenigstens jetzt um Diplomatie.
„Du kannst sie ruhig als meine illegitime Tochter bezeichnen, ohne mir damit zu nahe zu treten“, beruhigte Oscar ihn. „Obwohl ich nicht weiß, ob Mia ebenso denkt. Sie ist … sie unterscheidet sich schon sehr von meinen anderen Töchtern“, formulierte er vorsichtig, gab sich dann aber einen Ruck. „Im Klartext … sie hat sehr wenig von einer echten Balfour. Eine Weile in London zu leben und an deiner Seite zu arbeiten, wird ihr guttun und ihr ein wenig … Schliff verleihen. Sieh zu, ob du sie nicht auftauen und ihr etwas mehr Selbstbewusstsein vermitteln kannst.“
„Keine Chance, mein Freund“, erklärte Nikos unumwunden.
„Bring ihr die nötige Etikette bei, damit sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett behaupten kann“, redete Oscar weiter, als hätte es keinen Einwurf gegeben. „Und dann führe sie zu dem einen oder anderen Event aus, weil Übung bekanntlich den Meister macht, wie du selbst am besten wissen solltest, mein Sohn“, fügte er perfiderweise hinzu.
Nikos knirschte innerlich mit den Zähnen und suchte fieberhaft nach einem Ausweg aus der gestellten Falle.
„Wenn sie schon in der Sicherheit und Abgeschiedenheit von Balfour Manor nicht zurechtkommt, soll ausgerechnet ich sie den Londoner Gesellschaftshyänen zum Fraß vorwerfen? Das kann nicht dein Ernst sein. Hör auf meinen Rat, Oscar, und bring sie bei einer der respektablen Londoner Witwen unter, die sie gegen eine angemessene finanzielle Unterstützung liebend gern in die Gesellschaft einführen und ihr beibringen werden, wie man sich als eine Balfour benimmt. Ich bin ein einsamer Wolf, arbeite grundsätzlich allein und verspeise wehrlose kleine Lämmer zum Frühstück.“
Wieder dieses quälende Schweigen in der Leitung, doch diesmal nicht angefüllt mit stummer Trauer, sondern eisiger Kälte, wie Nikos kurz darauf zu spüren bekam.
„Ich dachte, wir hätten bereits klargestellt, dass du meine Töchter nicht anrührst.“
„Das wollte ich damit doch auch gar nicht …“
„Ich möchte dich nicht erst daran erinnern müssen, dass du mir etwas schuldest, Nikos“, unterbrach Oscar ihn gelassen, „sondern fordere hiermit die Schulden ein.“
Damit hatte er ihn. Dennoch war Nikos es sich schuldig, einen letzten Versuch zu starten. „Oscar …“
„Willst du mir diesen einen Gefallen etwa verweigern?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Gut, dann ist ja alles geregelt.“ Oscars Stimme klang wieder warm und zugewandt, doch Nikos ließ sich nicht täuschen und blieb auf der Hut. „Und da ich weiß, wie viel Wert du auf deine persönliche Freiheit legst, verlange ich auch gar nicht, dass Mia gleich bei dir einzieht“, fuhr Oscar im Plauderton fort. „Sie kann das Personalapartment nutzen, das zu deinem Londoner Penthouse gehört.“
Hatte er es nicht gewusst? Da war der Haken!
„Du willst also nicht nur, dass sie für mich arbeitet?“, fragte Nikos gefährlich ruhig, „ich soll auch noch ganz nebenbei ihren Babysitter spielen, nicht wahr?“
„Sie wird morgen bei dir sein. Sei nett zu ihr.“
Damit war das Gespräch beendet.
Sei nett zu ihr! Gereizt knallte Nikos das unschuldige Handy auf die Schreibtischplatte und stieß einen lästerlichen Fluch aus. Dann ließ er sich auf der Ecke der polierten Mahagoniplatte nieder und starrte brütend vor sich hin.
Wegen einer moralischen Verpflichtung seinem Gönner gegenüber hatte er gerade gegen seine eigenen, eisernen Gesetze verstoßen, sich von nichts und niemand auf der ganzen Welt zu etwas zwingen zu lassen! Wütend auf sich selbst und die Umstände, die ihm ein Verhalten abverlangten, das ihm absolut gegen den Strich ging, hieb Nikos mit der Faust auf die antike Schreibtischplatte ein – genau in dem Moment, als Fiona nach kurzem Anklopfen ihren Blondschopf durch den Türspalt schob.
„Tut mir leid, Sie stören zu müssen“, murmelte sie unsicher, angesichts der finsteren Miene ihres Chefs. „Aber unten an der Rezeption steht eine Miss Balfour, die nach Ihnen gefragt hat und die Sie unbedingt sehen will.“ Fiona bemühte sich um ein möglichst ausdrucksloses Lächeln. „Sie sagte irgendetwas von einem zweiten Satz Schlüssel zu Ihrem Penthouse?“
Nikos erstarrte. Zum ersten Mal in seinem Erwachsenenleben spürte er heiße Röte auf seinen Wangen und drohte, seine vielgerühmte Coolness zu verlieren. Hatte Fiona tatsächlich gerade gesagt, dass Oscars unzulängliches Kuckucksei einfach so in sein Leben – sprich, sein Büro – geplatzt war und Ungeheuerlichkeiten von sich gab, die sie in eine intime Nähe zueinander rückte, die unter Garantie Anlass zu wilden Spekulationen im Kreis seiner Mitarbeiter geben würde?
Dabei war sie ihm erst für morgen angekündigt worden! Er kannte sie doch überhaupt nicht! Die neue Miss Balfour schien nicht nur sträflich naiv, sondern auch brandgefährlich zu sein!
Gereizt stieß sich Nikos von der Schreibtischkante ab. Von wegen, sei nett zu ihr! Mit energischen Schritten strebte er an seiner verstörten Sekretärin vorbei und fuhr mit dem Lift hinunter ins Erdgeschoss. Je eher er die Fronten klärte und sich aus dem Gefahrenbereich zurückzog, desto besser für alle.
Mia stand wie ein Häufchen Unglück am Empfangstresen und haderte mit sich, weil das, was sie so sorgfältig vorformuliert hatte, in der Aufregung ganz anders herausgekommen war als beabsichtigt.
Als sich einer der Fahrstühle öffnete, und ein dunkelhaariger, hochgewachsener Mann heraustrat, der ihr vage bekannt vorkam, hielt sie unwillkürlich den Atem an. Sekundenlang war ihr Kopf völlig leer, dann traf sie die Erkenntnis wie ein Schock. Dieser kraftvolle Körper im eleganten Businessanzug, das gebräunte arrogante Gesicht …
Kein Zweifel, das war der Kerl, der sie auf der privaten Zufahrt zu Balfour Manor mit seinem Sportflitzer fast über den Haufen gefahren hatte! Schon wie er auf sie zukam … als wäre er auf dem Kriegspfad! Dabei kannte sie den Mann gar nicht.
Mia konnte sich nur mit Mühe davon abhalten, einfach davonzulaufen wie ein ängstliches Kaninchen.
„Oh, Dio!“, stieß sie stattdessen entnervt hervor. „Sie sind das!“
Ihr spontaner Ausruf spiegelte so exakt seine Gefühle wider, dass Nikos unwillkürlich grimmig auflachte. Offenbar stand er unter dem gleichen Schock, der sich in ihrem entsetzten Mienenspiel abzeichnete, nur verfügte er über mehr Selbstkontrolle.
Bis auf die Tatsache, dass er unfähig schien, den Blick von der üppigen Fülle ihrer nachtschwarzen Locken abzuwenden. Zum weißen T-Shirt trug sie einen schlichten kurzen Rock und flache Schuhe, wie er ungewollt registrierte. Weiche goldene Ledermokassins, die sie kleiner erscheinen ließen als bei ihrem ersten Treffen, ohne die beeindruckende Länge ihrer fabelhaften, goldgetönten Beine zu beeinträchtigen.
„Miss Balfour?“, fragte er laut und mit kühler Höflichkeit. Dabei versuchte er, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. „Da wir einander noch nie begegnet sind, möchte ich mich Ihnen vorstellen. Ich bin Nikos Theakis und freue mich, Sie kennenzulernen.“
Er hielt ihr die ausgestreckte Hand entgegen, doch anstatt sie zu ergreifen, starrte Mia wie paralysiert auf seine langen, bronzebraunen Finger. Dabei empfand sie die unverhohlene Neugier der Empfangsdame und sämtlicher Anwesenden im betriebsamen Foyer wie einen körperlichen Schmerz. Dass Nikos Theakis mit seiner demonstrativen Zurückweisung offenkundig versuchte, ihren verbalen Fauxpas auszugleichen, demütigte sie mehr, als wenn er sie angeschrien hätte wie bei ihrem ersten unfreiwilligen Zusammentreffen.
Am liebsten wäre sie einfach im Boden versunken.
Sei tapfer und lass dich nicht einschüchtern, hatte ihr Vater ihr als letzten Rat mit auf den Weg gegeben. Doch davon fühlte sich Mia meilenweit entfernt, als sie sich zwang, seine Hand zu ergreifen.
„Buon Giorno“, murmelte sie schwach, während sie versuchte, Nikos per Blickkontakt eine Entschuldigung für ihren Patzer zu übermitteln.
Wenn er es überhaupt registrierte, schaute er sie höchstens noch unterkühlter an als zuvor. „Ich habe Sie nicht vor morgen erwartet, Miss Balfour.“ Das klang eindeutig nach einem Tadel. „Wie auch immer … wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es ein Problem mit dem Schlüssel zu Ihrem Apartment?“
„Ich … ja.“
Einigermaßen geschockt von dem elektrischen Impuls, der ihn durchfuhr, als sich ihre Finger berührten, zog Nikos hastig die Hand zurück und sah stirnrunzelnd auf seine Uhr. „Ich habe jetzt ein wichtiges Meeting, aber wenn Sie mit mir kommen wollen, kann sich meine Sekretärin um Ihre Probleme kümmern.“
Damit wandte er sich um und marschierte zum Lift, in der Hoffnung, mit seinem energischen Auftreten alle möglichen Spekulationen darüber entkräftet zu haben, was Mia Balfour und ihn verbinden könnte.
„Es … es tut mir so schrecklich leid!“, platzte Mia eingeschüchtert heraus, sobald sich die Lifttüren hinter ihnen geschlossen hatten. „Ich wollte Sie auf keinen Fall kompromittieren oder …“
„Sie unmögliches Ding!“, herrschte Nikos sie wütend an, ohne sie ausreden zu lassen. „Wenn Sie mit mir zusammen arbeiten wollen, Miss Balfour, sollten Sie sich schleunigst um mehr Diskretion bemühen, sonst könnte Ihr erster Tag sehr leicht auch Ihr letzter hier werden!“
„Ich … ich habe einfach nicht nachgedacht. Oscar hat mir gesagt …“
„Lassen Sie Ihren Vater aus dem Spiel!“, knurrte er. „Als er mich überredet hat, ihm diesen verdammten Gefallen zu tun, bin ich davon ausgegangen, dass er Ihnen wenigstens vorher die grundlegendsten Benimmregeln erläutert hat. Also, Miss Balfour, Regel Nummer eins … sorgen Sie dafür, dass Sie mich nie wieder derart in Verlegenheit bringen!“
„Tut mir leid“, murmelte sie erneut und verkniff es sich, Nikos Theakis zu erklären, dass Oscar sie explizit angewiesen hatte, an der Rezeption nach den Schlüsseln zu ihrem Apartment zu fragen. „Aber ein Kurier ist bereits mit dem Auftrag unterwegs, mein Gepäck zu Ihrer … zu meiner neuen Adresse zu bringen, und ich brauche nun mal den Schlüssel, um ihn einlassen zu können.“
Nikos warf ihr einen scharfen Blick zu und fragte sich, ob er den leicht trotzigen Ton in ihrer Stimme wirklich gehört oder sich nur eingebildet hatte. „Versuchen Sie es beim nächsten Mal besser mit dem Telefon“, brummte er ungnädig.
Darauf nickte Mia stumm und entschied sich auf der Stelle, ihren neuen Boss nicht leiden zu können.
„Um etwaigen Träumereien oder Höhenflügen ein für allemal vorzubeugen, Miss Balfour, Sie sind nicht auf meine ausdrückliche Einladung hier, vergessen Sie das nie. Ich habe keinerlei Geduld mit Dummköpfen, und wenn Sie bleiben wollen, sollten Sie alles daransetzen, sich zu beweisen.“
Langsam reichte es ihr. Natürlich hatte Mia nicht erwartet, in ihrem neuen Job unbedingt auf Rosen gebettet zu werden, aber diese eisige Ablehnung kam dann doch etwas unerwartet. Und da sie ihn nicht absichtlich in Verlegenheit gebracht hatte, war seine rüde Haltung in ihren Augen auch völlig überzogen und unberechtigt.
Anstatt erneut demütig den Kopf zu senken, warf sie ihn zurück und erwiderte standhaft Nikos’ kalten Blick.
„Und lassen Sie uns noch etwas klarstellen, bevor wir diesen Lift verlassen“, fuhr er fort. „Ich habe absolut nichts übrig für Vetternwirtschaft. Meiner Meinung nach sollte jeder gleich hart arbeiten müssen, um sich seinen Platz in der Welt zu erobern.“
Das war tatsächlich einer der Gründe, warum ihn seine Angestellten respektierten. Egal, in welcher Stellung sie sich befanden, er ermutigte jeden von ihnen, sein Potenzial zu erkennen, auszuschöpfen und zu steigern, und honorierte jede Bemühung in dieser Richtung.
„Deshalb sehen Sie zu, dass Sie Ihr Geld wert sind oder Sie fliegen“, schloss er brutal.
„Sie halten mich also für so etwas wie einen nutzlosen Schmarotzer?“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage.
„Ist diese Position in Ihren Augen eine Stufe höher oder niedriger als der Job einer Haushälterin?“
Mia spürte, dass sie vor Ärger errötete. „Diese irrige Annahme war Ihr Fehler, nicht meiner!“
„Worauf Sie sich offenbar beleidigt fühlten und mit erhobenem Näschen wie eine Diva davongestiefelt sind“, schoss er unerwartet zurück. „Es hat mich seltsam berührt, jetzt, drei Monate später, zu erfahren, dass Sie an jenem Tag auf dem Weg waren, die gesamte Familie Balfour zu brüskieren und bloßzustellen. Als ob sie zu der Zeit nicht schon ausreichend genug vom Schicksal gebeutelt war.“
Angesichts dieser Erinnerung fiel Mias Gegenwehr wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Rasch senkte sie den Blick und dachte an Lillian, Oscars arme Frau. Und daran, wie ihr unerwartetes Auftauchen und dessen unabsehbare Folgen den Familienfrieden der Balfours bis heute beeinträchtigten.
„Ich wusste nicht, dass Lillian im Sterben lag“, verteidigte sie sich.
„Aber wenn ich gewusst hätte, worauf Sie an jenem Morgen aus waren, hätte ich Sie niemals auch nur in die Nähe der Familie gelassen! Dann hätten der kollektive Schock und die darauffolgenden Skandale vielleicht vermieden werden können.“
Der Lift stoppte, die Türen glitten auseinander, und Nikos konnte offensichtlich nicht schnell genug aus ihrer Nähe flüchten. Mia jedoch verharrte sekundenlang im Wirrwarr ihrer Gefühle wie angefroren auf der Stelle.
„Ich befürchte, Sie glauben, dass es tatsächlich besser gewesen wäre, wenn Sie mich damals über den Haufen gefahren hätten.“
Nikos blieb nach drei, vier Schritten stehen und wandte sich ihr langsam zu. Das totenblasse Gesicht umrahmt von einer Fülle glänzender schwarzer Locken, so stand sie einfach nur da und starrte ihn an.
Jung … viel zu jung, war sein erster Gedanke. Schuldbewusst, verletzlich und verletzt …
In seiner ersten Wut hatte er ihr die gesamte Verantwortung für die Schwierigkeiten gegeben, mit denen die Balfours derzeit zu kämpfen hatten. War das wirklich gerecht? Möglicherweise nicht, gab er sich selbst die Antwort. Aber ich stehe trotzdem dazu!
Außerdem war da noch etwas, das er dieser dunklen Schönheit anlastete.
Nikos fühlte sich nämlich zu ihr hingezogen, gegen seinen Willen! Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, stand ihm ihr Bild Tag und Nacht vor Augen. Wenn er in den letzten drei Monaten die Chance gehabt hätte, auch nur für einen Tag nach England zurückzukehren, wäre er als Erstes zum Familiensitz der Balfours rausgefahren, um herauszufinden, wer sie war. Jetzt wusste er es …
Sie war eine Balfour, und damit für ihn so unerreichbar wie die Kronjuwelen. So war es doch wohl mehr als verständlich, dass sich seine Begeisterung darüber, Mia in der nächsten Zeit den ganzen Tag über um sich zu haben, in Grenzen hielt. Er wollte nicht ständig vor Augen haben, was ihm verwehrt wurde … ihre atemberaubende Figur, die großen ausdrucksstarken Augen, der weiche sinnliche Mund, der von unterdrückter Leidenschaft und höchsten Wonnen sprach …
Ohne ein Wort zu sagen, drehte Nikos sich abrupt um und setzte seinen Weg fort. Er wusste, dass er sich wie ein brutaler Schuft benahm, doch das war die einzige Möglichkeit, sich selbst zu schützen. Eine Woche würde er Mia Balfour geben … allerhöchstens zwei! Länger würde es angesichts ihres angeschlagenen Selbstbewusstseins und seiner kalten Strategie sicher nicht dauern, bis er sie zu Oscar nach Buckinghamshire zurückschicken konnte.
Das war es zumindest, was Nikos sich selbst versicherte, als er Mia der Obhut von Fiona überließ und zu seinem Meeting verschwand.
Zwei lange harte Wochen später stand Mia gut vier Schritte von Nikos’ Schreibtisch entfernt da und kochte innerlich, während sie darauf wartete, dass er ihre Anwesenheit bemerkte.
Heute hatte sie sich für ein schlicht geschnittenes, cremefarbenes Leinenkleid entschieden, das ein maisgelber breiter Ledergürtel in der Taille zusammenhielt. In einer Luxusboutique neu erstanden, hätte sie das gesamte Outfit locker ein Jahresgehalt gekostet, aber gegen geerbte Kleidung hatte sie nichts einzuwenden.
Mia stand immer noch unter Schock, wenn sie daran dachte, was für Unsummen ihre Halbschwestern für Designermodelle ausgaben, die sie nur einmal trugen, um sie hinterher in den Tiefen ihrer Kleiderschränke in Balfour Manor für immer verschwinden zu lassen. Dafür hatte sie jetzt an einem Garderobenständer in ihrem kleinen Apartment eine traumhafte Auswahl der aufregendsten und hinreißendsten Kleider hängen, die sie sich niemals selbst hätte leisten können, aber mit Begeisterung trug.
Und dieses spezielle Outfit war dazu gedacht, Nikos Theakis wenigstens ein Mal zu beeindrucken – und wenn schon nicht seine Bewunderung, dann vielleicht zumindest einen Hauch von Akzeptanz zu erringen.
Nie zuvor hatte Mia jemand getroffen, der mit einem einzigen Blick einen ganzen Kübel Kritik und Missbilligung über jemanden ausschütten konnte, der seinem harten Urteil nicht standhielt. Gestern hatte sie sich ihm im engen, perlgrauen Rock und einer zwetschgenblauen Bluse aus Seidengeorgette präsentiert und dafür prompt einen abschätzigen Blick aus den schwarzen, kieselharten Augen kassiert, der sie plötzlich fürchten ließ, der Rock sei zu kurz und die Bluse womöglich durchsichtig.
Darum hatte sie ihre weiblichen Formen heute so gut wie möglich hinter blickdichtem Leinen versteckt und dafür gesorgt, dass auch ihre Knie mindestens eine Handbreit verdeckt waren. Das widerspenstige, glänzende Haar trug sie in einem strengen Knoten zurückgesteckt – ohne die geringste Ahnung, wie perfekt diese Frisur ihre klassischen Züge zur Geltung brachte.
Doch inzwischen war sie überzeugt davon, dass ihr Boss sie absichtlich ignorierte und warten ließ. Den Beweis dafür bekam sie Sekunden später, als Nikos seinen Chefsessel herumschwang, sodass er zum Fenster zeigte, und Mia nichts anderes übrig blieb, als frustriert auf seinen arroganten schwarzen Hinterkopf zu starren, der über die hohe Lederlehne herausragte.
Das alles war Teil der Zermürbungstaktik, die Nikos seit geschlagenen zwei Wochen anwandte. Er würde sie nie in einem Job akzeptieren, für den sie nicht hart gearbeitet und sich dank ihrer Leistung qualifiziert hatte. Und Mia war um Oscars willen – und nur um seinetwillen – wild entschlossen, der Mensch zu werden, den ihr Vater in ihr sehen wollte. Selbst, wenn es sie umbringen würde!
Oder sie Nikos Theakis umbrachte …
Nikos fragte sich, ob sie wusste, dass er ihre Gedanken lesen konnte, ohne sie anschauen zu müssen. Mia Balfour war dummerweise viel zu jung, um gelernt zu haben, ihre Gefühle zu maskieren, und viel zu italienisch, um auch nur den Versuch zu unternehmen.
Abgelenkt bemühte er sich, seinem Geschäftsfreund aus Athen am Telefon seine volle Aufmerksamkeit vorzugaukeln, während er in der Rauchglasscheibe Mias reizende Silhouette betrachtete. Ihre Körperhaltung drückte Stolz, Abwehr und zunehmende Gereiztheit aus. Als sein Gespräch beendet war, klappte Nikos das Handy zu, atmete innerlich noch einmal tief durch und schwang im Stuhl herum.
Diese berechnende kleine Hexe, dachte er. Das Kleid, das sie trug, war ein Meisterwerk der subtilen Täuschung. Auf den ersten Blick wirkte es schlicht und brav, fast langweilig. Jedes Detail, besonders die Länge, signalisierte ihm, dass sie versucht hatte, jeden seiner Kritikpunkte – ausgesprochen oder unausgesprochen – zu entkräften.
Sie hatte wirklich an alles gedacht.
Dagegen interpretierte Mia seine stumme Musterung als einen weiteren Versuch, ihr ohnehin angeschlagenes Selbstbewusstsein zu unterminieren, und spürte, wie ihr Blut langsam zu sieden begann. Doch ihr Ärger und ihre Frustration galten nicht allein Nikos, sondern auch sich selbst. Sie hasste ihn, soviel war sicher, aber das hielt sie offensichtlich nicht davon ab, sich gleichzeitig mit jeder Faser ihres Körpers zu ihm hingezogen zu fühlen. Er machte sie atemlos und verführte sie zu einer übersteigerten Selbstwahrnehmung als Frau mit Wünschen und Bedürfnissen, die sie irritierten, ängstigten und die sie kaum beherrschen konnte.
„So, und nun zu Ihnen“, sagte Nikos kühl. „Womit kann ich Ihnen dienen, Miss Balfour?“
Energisch riss Mia sich zusammen, trat vor und legte einen Aktenordner auf den Schreibtisch. „Die Informationen über Lassiter-Brunel, die Sie haben wollten.“
Nikos schaute auf den umfangreichen Ordner, dann wieder zu Mia, wobei er seine Überraschung nur schwer verbergen konnte. „Das ging aber schnell … haben Sie etwa die ganze Nacht daran gearbeitet?“
„Sie wollten den Bericht heute Morgen vorliegen haben“, kam es knapp zurück.
„Das stimmt.“ Während er die Unterlagen flüchtig durchblätterte, stieg so etwas wie ein Schuldgefühl in ihm auf. Ihm stand ein ganzes Expertenteam für derartige Recherchearbeit zur Verfügung, und tatsächlich lagen deren Ergebnisse bezüglich Lassiter-Brunel bereits seit Wochen vor, sodass Mias Bemühungen reine Zeitverschwendung bedeuteten.
Plötzlich fiel ihm eine Notiz ins Auge, die beim Durchblättern zwischen den Ordnerseiten herausgefallen war.
Mia versteifte sich, als sie sah, dass es sich dabei um eine Internetrecherche handelte, die sich mit Anton Brunels zweifelhaftem Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht beschäftigte, was nicht unbedingt in einen Geschäftsreport gehörte.
„Und das halten Sie für eine sachdienliche Information?“, fragte Nikos auch prompt mit erhobenen Brauen.
„Man sagt, er habe einer Arbeitskollegin, zu der er eine … sehr spezielle Beziehung hatte, eine nicht unerhebliche Summe gezahlt.“
„Schweigegeld, heißt es hier“, präzisierte Nikos.
„Si … Die Frau hatte ihn wegen sexueller Belästigung angeklagt, die Anklage dann aber überraschend zurückgezogen. Wenn Sie weiterlesen, werden Sie sehen, dass ich einer anderen Quelle entnehmen konnte, dass sie acht Monate später einen Sohn zur Welt brachte, den sie Anthony nannte.“
„Und was wollen Sie damit sagen?“
„Dass an der Reputation eines Mannes, der seine Position ausnutzt, um eine Angestellte zu verführen und sich dann auch noch von ihr erpressen lässt, ernsthafte Zweifel mehr als angebracht sind“, formulierte sie vorsichtig.
„Ist das Ihre persönliche Meinung?“
„Ja“, sagte Mia fest.
„Und wenn es sich um eine … Liebesaffäre im gegenseitigen Einvernehmen handelte, würde das Ihre Meinung ändern?“
„Er ist ein verheirateter Mann und hat bereits Kinder.“
„Das war nicht meine Frage.“
Mia trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. „In dem Artikel stand …“
„Wird behauptet …“
„Wird behauptet“, echote sie entnervt, „dass die Frau an Armen und Gesicht verletzt war, als sie Anklage erhob.“ Mit dem Finger wies sie auf die Akte. „Es existieren Beweisfotos.“
Während Nikos die Fotos grimmig betrachtete, trommelte er ungeduldig mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte. „Hier heißt es, dass Brunel jede Kenntnis von den Verletzungen bestreitet und die Frau ihn zu Unrecht beschuldigt.“
„Warum sollte sie das tun?“
„Um sich auf einfachem Weg ein solides finanzielles Polster zu verschaffen?“
„Und was ist mit dem Baby?“
„Das kann sonst wer gezeugt haben.“
Empört stemmte Mia die Hände in die Hüften. „Was für eine zynische Betrachtungsweise! Sie kennen die Wahrheit doch gar nicht und …“
„Ebenso wenig wie Sie!“, schnitt er ihr das Wort ab. „Wahrscheinlich liegt sie irgendwo zwischen den beiden Versionen – wie meist in derartigen Fällen.“ Er legte das Papier zur Seite und sah Mia an. „Also, warum haben Sie diese Geschichte nun wirklich in den Report hineingenommen?“
„Weil … weil ich Anton Brunel nicht leiden kann“, erklärte sie fast trotzig.
„Aber Sie sind ihm doch nur einmal begegnet, vor wenigen Tagen beim Lunch.“
„Er … er hat unangenehme Manieren.“
„Erklären Sie das.“
„Ich … nein.“
Da sprang Nikos von seinem Chefsessel auf, kam um den Tisch herum und fasste Mia bei den Schultern. „Verdammt, Mia! Sie werden mir jetzt auf der Stelle sagen, was all das zu bedeuten hat!“
„Warum sind Sie denn jetzt auf mich sauer?“, wehrte sie sich und schauderte unter dem elektrisierenden Gefühl seiner starken Hände auf ihren Schultern. „Sie haben mir befohlen, alles über Lassiter-Brunel zu recherchieren. Wollen Sie, dass ich so tue, als hätte ich nichts herausgefunden?“
Sie versucht, das Thema zu wechseln, konstatierte Nikos grimmig und dachte an die Lunchverabredung mit John Lassiter und Anton Brunel Anfang der Woche zurück. Beide waren harte Geschäftsleute – attraktiv, arrogant, mit allen Charakteristika von Menschen ausgestattet, denen Erfolg alles bedeutete.
Aber wie auch immer, seine PA hatte zu diesem Anlass ein rotes Sommerkleid getragen, das ihre weiblichen Hüften und herausfordernden Brüste auf eine Weise betonte, die das kleine schwarze Nichts, das über ihren Schultern lag, nicht beeinträchtigte. Die langen Locken hatte sie mit einer raffinierten Spange aus dem Gesicht gesteckt, deren Farbe exakt zu Kleid und Lippenstift passte. Sie wirkte wie eine kostbare exotische Blüte.
Und dann noch diese warme Stimme mit dem etwas rauchigen italienischen Akzent, wann immer sie sich traute, etwas zur Konversation beizutragen.
„Was hat Anton Brunel getan, dass Sie ihn so wenig mögen?“, fragte er scharf. „Hat er einen Annäherungsversuch unternommen?“
Mia wand sich unbehaglich. „Nein …“
„Was dann?“ Nikos verstärkte den Griff um ihre Schultern, und Mia ließ einen unterdrückten Schmerzlaut hören.
„Verflixt, was ist denn mit Ihnen los?“, platzte sie heraus.
„Ich erwarte eine Antwort“, beharrte er stur.
„Ihr feiner Geschäftspartner hat beim Verlassen des Restaurants etwas zu mir gesagt, als Sie sich gerade von John Lassiter verabschiedet haben.“
„Was denn, verdammt noch mal?“
Schweigend senkte sie den Blick.
„Los, raus mit der Sprache!“
Widerstrebend hob sie den Kopf und begegnete Nikos’ flammendem Blick mit einer Gelassenheit, die ihn wider Willen beeindruckte. „Er hat mich beschuldigt, mit ihm geflirtet zu haben, und außerdem noch eine unschöne Bemerkung über Sie und mich gemacht.“
„Aber daran sind Sie selbst schuld, Nikos!“, fuhr sie ihn gleich darauf an. „Warum bestehen Sie auch darauf, dass ich Ihnen überall hin folge wie ein dressiertes Hündchen? Außerdem lassen Sie mich nie aus den Augen! Sie starren mich an, egal, was ich tue … ob ich gehe, stehe, spreche oder lächle. Sie berühren mein Haar, meine Arme und legen beim Gehen wie selbstverständlich Ihren Arm um meine Schulter oder Taille.“
Nikos stand da wie erstarrt und war zum ersten Mal wirklich sprachlos.
„Schauen Sie sich doch nur jetzt an!“, forderte Mia ihn auf. „Sie halten mich fest, und verhören mich inquisitorisch, als hätten Sie jedes Recht dazu. Dieser widerliche Kerl hat nichts weiter getan als die Zeichen missinterpretiert, die Sie ihm gegeben haben!“
Sofort zog Nikos seine Hände zurück, als hätte er sich verbrannt. Der verwirrte, fast verletzte Ausdruck auf seinen dunklen Zügen entlockte Mia ein raues Lachen. „Sie sind sich nicht einmal dessen bewusst, was Sie tun, stimmt’s?“, fragte sie spöttisch. „Nun, Anton Brunel ist es jedenfalls nicht entgangen, und er hat daraus geschlossen, dass Sie und ich ein … ein intimes Verhältnis haben. Nichtsdestotrotz hat er mich gefragt, ob wir uns nicht treffen könnten, wenn Sie einmal verhindert sind …“
Vor ihren Augen gefror Nikos zu Eis. Mia konnte es immer noch nicht fassen, was sie ihrem Boss gerade alles an den Kopf geworfen hatte. Daran ist er selbst schuld! versuchte sie sich zu beruhigen.
Denn Nikos hatte sie zu jeder seiner Lunch- oder Dinnereinladungen in den letzten zwei Wochen mitgeschleppt. Eines Morgens hatte er sie sogar in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt, damit sie ihn zu einem Businessfrühstück begleitete! Wenn sie sich mit anderen Gästen unterhielt, war er unwirsch, lächelte sie, schaute er unter Garantie grimmig drein, ließ sie sich von etwas in ihrer Umgebung ablenken, griff er nach ihrer Hand oder legte einen Finger unter ihr Kinn, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich zu konzentrieren. Und abends brachte er sie wortlos in ihr Apartment zurück und ließ sie allein.
Wahrscheinlich, damit ich mich erhole und für den nächsten Tag wappne, während er ausgeht und sich mit irgendwelchen Models vergnügt! dachte Mia genervt.
„Okay, dann lassen wir den Lassiter-Brunel-Deal eben sausen.“
Noch zu verstrickt in ihre eigenen Gedanken, bekam Mia den Inhalt seiner Worte nicht wirklich mit. Nikos war inzwischen hinter seinen Schreibtisch zurückgekehrt, klappte den Report zu und hielt ihn ihr hin. „Kümmern Sie sich darum.“
„Kümmern? Worum?“, fragte sie verwirrt und nahm den Ordner zögernd entgegen. „Tut mir leid, ich war einen Moment abgelenkt und habe Sie nicht verstanden.“
„Oder ist mein Englisch so schlecht?“, fragte er sarkastisch.
Ich hasse ihn! dachte sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, nein … ich …“
Nikos spürte wieder Oberwasser und stellte sich genüsslich vor, wie sie heiser stammelte, während sie nachts splitterfasernackt in seinen Armen und seinem Bett lag.
Theos! Wie konnte er seine Fantasie nur derart entgleisen lassen? Zwei verdammte Wochen war sie so gut wie jede Sekunde des Tages um ihn und trieb ihn langsam in den Wahnsinn! Hatte er wirklich all diese Dinge getan, die sie ihm gerade an den Kopf geworfen hatte?
Und wenn schon! rechtfertigte sich eine kleine Stimme in seinem Inneren. Seine PA mochte ihn hassen, aber gleichzeitig verzehrte sie sich ebenso sehr nach ihm wie umgekehrt. Um das verbergen zu können, war sie viel zu unerfahren, geradeheraus und transparent.
Und nur darum war es Anton Brunel möglich gewesen, die unterschwelligen sexuellen Schwingungen zwischen ihnen zu bemerken. Also ihr Fehler, nicht seiner!
Ihre besondere Ausstrahlung … halb unschuldiges Mädchen, halb verführerischer Vamp, war unglaublich herausfordernd. Keine Frau vor ihr hatte ihn derart gereizt und beeindruckt. Aber sie durfte auf keinen Fall in seinem Bett landen!
Denn das würde Oscar ihm niemals verzeihen.
„Rufen Sie John Lassiter an und teilen Sie ihm mit, ich bin nicht länger an Geschäften mit ihm und seinem Partner interessiert“, befahl er knapp.
Wenn sie das nicht lehrte, ihr provokatives Verhalten ihm gegenüber aufzugeben, dann wusste er auch nicht weiter. Der Lassiter-Brunel-Deal war zumindest auf dem Papier Millionen wert, und an dem Verlust eines Geschäfts dieser Größenordnung durch ihre Einmischung würde die von Haus aus eher bescheiden aufgewachsene Mia Bianchi-Balfour bestimmt eine Weile zu kauen haben.
„Ich?“, keuchte Mia erschrocken. „Aber ich will nicht …“
„Und bringen Sie mir einen Kaffee.“ Das klang abschließend. „Und informieren Sie Fiona, dass ich für zwei Stunden zum Lunch auswärts sein werde.“
„Aber, Nikos … bitte!“, flehte sie noch einmal. „Ich weiß nicht, wie … wie ich das tun soll, was Sie von mir verlangen.“
„Was, Kaffee machen?“, fragte er ohne aufzusehen.
„Jemandem sagen, sein Geschäft sei geplatzt.“
„Dann wird es höchste Zeit, dass Sie es lernen. Und nur zu Ihrer Information, Miss Balfour – wenn ich etwas überhaupt nicht schätze, dann sind es Affären am Arbeitsplatz, nicht einmal platonische Freundschaften. Also hören Sie damit auf, mich mit Ihrer Garderobe und Ihren Blicken reizen oder beeindrucken zu wollen. Das ist unreif und stört den Arbeitsablauf. Es gibt kein wir oder uns. Und was Sie mir sonst noch erzählt oder sogar vorgeworfen haben, gehört eindeutig ins Reich Ihrer offensichtlich noch sehr mädchenhaften Fantasie.“
Mia war sprachlos vor Wut und Empörung über eine derartige Ungerechtigkeit. Sie schäumte noch, als sie das Zimmer verließ und die Tür zu Nikos’ Büro nachdrücklich hinter sich schloss.
„Ich hasse ihn!“, zischte sie und wurde sich erst in der nächsten Sekunde Fionas Anwesenheit im Vorzimmer bewusst.
„Tun wir das nicht alle, meine Liebe?“, fragte Nikos’ Sekretärin trocken. „Unser großartiger Boss mag personifizierter Sex auf zwei Beinen sein, aber er ist kalt wie ein Gletscher. Was für eine Verschwendung besten Männermaterials!“ Lächelnd schüttelte Fiona ihren blonden Kopf und zwinkerte Mia verschwörerisch zu. „Hat er versucht, Ihnen den Kopf abzubeißen?“
„Nahe daran …“, murmelte Mia. „Ich weiß wirklich nicht, wie Sie es so lange mit ihm aushalten.“
„Ich bin immun“, behauptete Fiona und wedelte mit der linken Hand, an der drei Ringe glitzerten, von denen einer ein Ehering war. „Ich habe meinen eigenen Sexprotz, der mich jeden Abend zu Hause erwartet. Und der ist kein Eisklotz!“
„Er will, dass ich den Lassiter-Brunel-Deal absage“, erzählte Mia.
Schlagartig wurde Fiona wieder ernst. „Also haben Sie es ihm gesagt.“
„Er glaubt mir nicht.“
„Und trotzdem will er das Geschäft platzen lassen?“
„Um mich zu demütigen, nehme ich an“, mutmaßte Mia. „Und um mir eine Lektion zu erteilen – darüber, was geschieht, wenn man unliebsame Geschichten ausgräbt.“
Fiona lachte ehrlich amüsiert. „Nikos Theakis soll auf ein Millionengeschäft verzichtet haben, um Ihnen eine Lektion zu erteilen? Das glaube ich niemals. Hinter so einer gravierenden Entscheidung steckt unter Garantie mehr!“
Zum Beispiel sein Benehmen mir gegenüber, von dem er absolut nichts hören und annehmen wollte, dachte Mia bedrückt. „Er nimmt mich heute nicht einmal zum Lunch mit …“
„Das ist vielleicht auch besser so“, sagte Fiona freundlich.
„Und er will einen Kaffee haben …“ Mia seufzte tief. „Können Sie ihm den nicht bringen, Fiona?“, bat sie.
„Aber sicher.“ Entspannt wie gewohnt stand Nikos’ Sekretärin von ihrem Schreibtisch auf, um Mia das Tablett abzunehmen, das sie schon vorbereitet hatte. Freundlich schaute sie der Jüngeren in die Augen. „Nehmen Sie den Rat einer erfahrenen Frau an und suchen Sie sich einen Partner. Je eher, desto besser …“
„Oh, Gott …“, murmelte Mia entsetzt. „Ist es wirklich so offensichtlich?“
Fionas verständnisvolles Lächeln sagte ihr alles. „Als Sie vor zwei Wochen hier hereingeplatzt sind, war jeder in diesem Gebäude entschlossen, Sie nicht leiden zu können“, gestand sie ganz offen. „Doch in weniger als sieben Tagen ist es Ihnen gelungen, uns alle für sich zu gewinnen. Mia, Sie sind nicht nur ausnehmend attraktiv, sondern intelligent, fleißig und sehr nett. Er ist es nicht … zumindest nicht gegenüber Frauen.“
Mia stand einfach nur da und versuchte, das Gehörte zu verdauen.
„Er benutzt sie, aber er respektiert sie nicht“, legte Fiona noch einmal nach.
„Und sie benutzen ihn.“ Mia ärgerte sich über das schizophrene Bedürfnis, Nikos Theakis auch noch zu verteidigen, obwohl er es nicht verdiente.
„Ja“, stimmte Fiona ihr zu. „Besonders Miss Supermodel Lucy Clayton, die ihr opulentes Abschiedsgeschenk erst letzte Woche per Kurier empfangen hat! Nächste Woche wird wahrscheinlich bereits wieder eine weitere umwerfende Schönheit ihren Platz eingenommen haben. So läuft das hier eben. So mag es unser Boss!“
Missbilligend schnalzte Fiona mit der Zunge. „Im Business scheut er keine Herausforderung und kein Risiko. Er ist ein Finanzgenie, von allen verehrt und bewundert, aber im Privatleben …“
Nikos’ Sekretärin schüttelte traurig den blonden Schopf, bevor sie weitersprach: „Er ist galant, umwerfend sexy und der geborene Verführer. Aber er achtet sorgfältig darauf, Sex und Gefühle streng getrennt zu halten, wenn er überhaupt welche hat! Darüber ist man sich noch nicht wirklich einig. Also nehmen Sie meinen Rat an und machen einen großen Bogen um ihn. Denn selbst, wenn er Sie erwählt, wird er Ihnen am Ende das Herz brechen. Suchen Sie sich lieber einen netten Mann, der zu Ihnen passt und …“
„Wo bleibt mein Kaffee?“
Beide Frauen fuhren herum und starrten Nikos schuldbewusst an. Sein Gesichtsausdruck ließ jeden Funken Hoffnung schwinden, er könnte überhört haben, worüber sie gerade gesprochen hatten.
Zum ersten Mal sah Mia seine smarte Sekretärin verunsichert, aber Fionas knallrote Wangen konnten kaum heftiger brennen als ihre eigenen.
Nikos ließ die Wirkung seines Auftritts noch einen Moment nachhallen, dann durchquerte er den Raum, nahm seiner verstummten Sekretärin das Tablett aus den Händen und kehrte in sein Büro zurück.
Suchen Sie sich lieber einen netten Mann!
Warum war er nicht selbst auf die Idee gekommen, seiner PA einen dezenten Wink in dieser Richtung zu geben? Geräuschvoll stellte er das Tablett auf seinem Schreibtisch ab. Dass er keinem anderen gönnte, was er nicht haben konnte, wäre ziemlich infam. Aber hatte seine Sekretärin Mia nicht gerade erst eröffnet, dass er kein netter Mann war, insbesondere, was Frauen betraf?
Verstimmt ließ sich Nikos in seinen Chefsessel fallen und schwang zum Fenster herum.
So, ich respektiere also keine Frauen!
Stimmte das wirklich? Unsinn! Nur weil er nicht nach der großen Liebe Ausschau hielt, hieß das doch nicht, dass er seine Geliebten ausnutzte! Achtete er nicht jedes Mal peinlichst darauf, dass er sich nur mit Damen einließ, die das Spiel kannten und sich ebenso wenig auf Dauer binden wollten wie er? Zum Ende ihrer Beziehung erhielten sie alle ein angemessenes Geschenk. Wenn das nicht von Respekt zeugte …
Überrascht stellte Nikos fest, dass er sich ein wenig verletzt fühlte.