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ERST HEISS - DANN KALT? Von der ersten Sekunde an funkt es zwischen ihnen! Aber die schüchterne Alissa will sich nicht eingestehen, dass der neue Boss ihrer Finanzberatungsfirma sie ungeheuer anzieht. Dabei tuschelt schon die ganze Agentur, dass der attraktive Caleb und sie bestimmt ein Paar sind … KÜSSE SIND SÜSSER ALS RACHE Calebs Bruder Nick, eigentlich erfolgreicher Softwareentwickler, erbt eine traumhafte Ranch - und dazu eine Vorarbeiterin, die er seit vielen Jahren unendlich begehrt. Die umwerfende Cheyenne ist die Liebe seines Lebens. Doch davon will sie nichts wissen. ÜBER NACHT KAM DIE LIEBE Hunter, der Pilot unter den Brüdern, bringt sein Erbe in schwere Turbulenzen: Denn seine wundervolle Kollegin Callie hört einfach nicht auf ihn. Dabei wird ihr Exfreund immer gefährlicher. Deshalb geht er eine Scheinbeziehung mit ihr ein. Bis er mehr möchte …
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Seitenzahl: 592
IMPRESSUM
JULIA COLLECTION erscheint monatlich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
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Redaktion und Verlag:
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© by Kathie DeNosky
Originaltitel: „Engagement between Enemies“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe: BACCARA, Band 1421
© by Kathie DeNosky
Originaltitel: „Reunion of Revenge“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe: BACCARA, Band 1425
© by Kathie DeNosky
Originaltitel: „Betrothed for the Baby“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe: BACCARA, Band 1434
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Zweite Neuauflage by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe: JULIA COLLECTION, Band 22 (7) 2010
Veröffentlicht im ePub Format im 07/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
ISBN-13: 978-3-942031-66-0
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Kathie DeNosky
Erst heiß – dann kalt
PROLOG
Caleb Walker saß an einem kleinen runden Tisch in der Nische einer Hotelbar in Wichita und starrte die beiden Männer an, die ihm gegenübersaßen. Nicht einmal die blonde Kellnerin, die ihn aufmunternd anlächelte, konnte ihn ablenken.
Bisher hatte Caleb in der Annahme gelebt, keine Geschwister zu haben, er wusste nicht einmal, wer sein Vater war. Aber vor knapp einer Stunde, in einem luxuriösen Büro der Firmenzentrale von Emerald Inc., hatte sich das geändert. Caleb hatte erfahren, dass sein Vater kein Geringerer war als Owen Larson, der Globetrotter, Playboy und Erbe des Emerald-Inc.-Imperiums. Der vor kurzem verstorbene Owen Larson. Jetzt musste Caleb sich an den Gedanken gewöhnen, dass er endlich wusste, wer sein Vater war. Aber auch daran, dass dieser bei einem Bootsunglück vor der französischen Küste umgekommen war. Caleb hatte nun keine Chance mehr, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass er Calebs Mutter geschwängert und dann sitzen gelassen hatte. Er hatte ebenfalls erfahren, dass seine Großmutter die unbezwingbare Emerald Larson war und die beiden Männer, die ihm gegenübersaßen, seine Halbbrüder.
„Ich kann es nicht fassen, dass die Alte uns seit unserer Geburt ausspioniert hat.“ Hunter O’Banyon zog die Augenbrauen zusammen. „Sie hat alles über uns gewusst und verdammt noch mal nichts getan, um uns über das große Geheimnis aufzuklären. Bis heute.“
„Die ‚Alte‘ ist unsere Großmutter. Und ich würde sagen, sie hat eine Menge getan.“ Nick Daniels trank einen großen Schluck aus der Bierflasche, die er in der Hand hielt, bevor er sie auf den Tisch stellte. „Privatdetektive anzuheuern, die ihr über jeden unserer Schritte berichten, seit wir aus den Windeln heraus sind, und uns gleichzeitig darüber im Ungewissen zu lassen, das erfordert schon Mumm.“
„Stimmt“, meinte Caleb. Er war noch immer wütend auf Emerald Larson, die Gründerin und Vorstandsvorsitzende eines der erfolgreichsten Wirtschaftsunternehmen, weil sie ihnen so lange die Wahrheit über ihre Herkunft verschwiegen hatte. „Am meisten ärgert es mich, dass sie unsere Mütter erpresst hat. Wie konnte sie ihnen nur androhen, dass sie uns unseren Anteil am Erbe vorenthalten würde, sollten unsere Mütter nicht über Emeralds nichtsnutzigen Sohn, unseren Vater, Schweigen bewahren?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Zumindest muss man ihr zugestehen, dass sie meisterhaft zu manipulieren versteht.“
Nick meinte zustimmend: „Ich kann verstehen, warum unsere Mütter sich Emeralds Weisungen gebeugt haben. Sie hatten gehofft, uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber sie mussten einen hohen Preis dafür zahlen.“
„Ich pfeife auf meinen Erbteil an Emerald Larsons selbst geschaffenem Imperium.“ Hunter schüttelte den Kopf. „Eher friert die Hölle zu, als dass ich nach ihrer Pfeife tanze.“
„Du willst ihr Angebot also tatsächlich ausschlagen?“, fragte Caleb.
Wenn sie Emeralds Bedingungen akzeptierten, würde jeder von ihnen eine der Firmen aus dem Emerald-Unternehmen erhalten. Sie hatte ihnen versichert, dass keinerlei Bedingungen daran geknüpft seien und ihre Enkel freie Hand in der Leitung des Betriebes hätten. Aber Caleb war nicht so dumm, seiner Großmutter das zu glauben. So wie es aussah, schien es seinen Brüdern ähnlich zu gehen.
„Ich habe seit fünf Jahren keinen Hubschrauber mehr geflogen.“ Hunter verzog seinen Mund zu einer schmalen Linie. „Warum soll ausgerechnet ich einen Flugdienst übernehmen, der Arzneimittel befördert?“
„Na ja, das ergibt immerhin mehr Sinn, als einen Schreibtischtäter wie mich auf eine Ranch in Wyoming zu schicken.“ Nick runzelte die Stirn. „Ich lebe seit mehr als zwölf Jahren in einer Wohnung in St. Louis. Rindviecher sehe ich nur, wenn sie bei einer Parade einen Bierwagen durch die Straßen ziehen.“
Caleb fand auch, dass das, was Emerald Larson von ihnen verlangte, ziemlich hirnrissig klang. Er hatte die Wirtschaftskurse an der Highschool mit Auszeichnung bestanden, aber das war schon eine Weile her. Die Vorstellung, sich zum Narren zu machen, wenn herauskam, dass ihm die Sache über den Kopf wuchs, gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Was glaubt ihr denn, wie ich mich fühle?“ Er schüttelte den Kopf, als er daran dachte, was seine Großmutter sich für ihn ausgedacht hatte. „Ich bin ein einfacher Farmer aus Tennessee, der nur eine Highschool besucht hat. Emerald hätte sich nichts Lächerlicheres ausdenken können, als mir die Leitung einer Finanzberatungsfirma zu übertragen.“
Hunter griff nach einer Brezel, die in einer Schale auf dem Tisch lag. „Ich wette, unsere gute Großmutter führt noch mehr im Schilde, wenn sie jedem von uns einen Teil ihres Imperiums überträgt. Sie macht das nicht nur aus Herzensgüte.“
„Da hast du zweifellos Recht“, stimmte Nick zu.
Caleb war sich nicht wirklich sicher, was Emerald Larson im Schilde führte, aber er war fest davon überzeugt, dass sie die Firmen für ihre Enkel mit sehr viel Bedacht ausgesucht hatte. „Ich vermute, sie will, dass wir etwas beweisen.“
Nick sah ihn überrascht an. „Was denn? Dass wir nicht wissen, was wir tun?“
„Keine Ahnung. Aber ich würde mein letztes Hemd darauf verwetten, dass sie einen Grund für alles hat, was sie tut.“ Caleb zuckte mit den Achseln, während er sein Bier trank. „So wie ich es sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder lehnen wir ihr Angebot ab, verschwinden und machen damit die Opfer, die unsere Mütter für unsere Zukunft gebracht haben, wertlos. Oder wir akzeptieren Emeralds Angebot und beweisen ihr, dass sie keine Ahnung hat, wer wir sind und wo unsere Talente wirklich liegen.“
Hunter sah nachdenklich aus. „Mir gefällt die Idee, es der hochnäsigen Mrs. Larson zu zeigen.“
„Es würde ihr recht geschehen, wenn wir alle auf die Nase fielen“, sagte Nick widerstrebend.
„Aber wenn wir die Aufgaben übernehmen, die Emerald für uns ausgesucht hat, dann sollten wir alle zumindest unser Bestes geben.“ Caleb stand auf und warf ein paar Dollarscheine auf den Tisch. „Etwas Halbherziges zu tun ist nicht mein Ding.“
„Meins auch nicht“, erklärten die beiden anderen im Chor, als sie aufstanden und Geld für ihre Drinks auf den Tisch legten.
„Dann bleibt uns wohl nur noch, Emerald unsere Antwort zu überbringen.“ Caleb hatte plötzlich das Gefühl, ohne Sicherheitsnetz ein Hochseil zu betreten.
Aber während er mit seinen Brüdern die Bar verließ und zurück in das Büro von Emerald Inc. ging, verspürte er auch eine gewisse Vorfreude. Er hatte sich immer gern einer Herausforderung gestellt. Und so unglaublich es war, aber es gefiel ihm tatsächlich, „Skerritt and Crowe Financial Consultants“ zu übernehmen. Er bedauerte lediglich, dass er nicht die nötige Ausbildung besaß und keine Ahnung hatte, wie er den Job vernünftig erledigen sollte.
1. KAPITEL
Während er sich nun dem Empfang in der Führungsetage von „Skerritt and Crowe Financial Consultants“ näherte, setzte Caleb das professionelle Lächeln auf, das er in der vergangenen Woche geübt hatte. „Ich möchte gern zu A.J. Merrick.“
„Moment! Haben Sie einen Termin, Sir?“, fragte die grauhaarige Empfangsdame, als er auf die Tür hinter ihrem Schreibtisch zumarschierte.
„Ich bin Caleb Walker.“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Ich bin sicher, Merrick erwartet mich.“
„Warten Sie, Mr. Walton“, sagte sie und stellte sich ihm in den Weg.
„Walker.“ Caleb runzelte die Stirn. Hatte Merrick die Angestellten nicht darüber informiert, dass er, Caleb Walker, der neue Präsident der Firma war?
Die Frau zuckte mit den Schultern. „Walker, Walter, es ist völlig unerheblich, wie Sie heißen. Sie werden ohne Termin nicht dort hineingehen.“
Offensichtlich hatte niemand sich die Mühe gemacht, diese Frau zu unterrichten. „Ich sag Ihnen was …“, er schaute auf das Namensschild auf ihrem Schreibtisch, „… Geneva. Nachdem ich mit Ihrem Boss gesprochen habe, komme ich wieder zu Ihnen und stelle mich vor. Versprochen.“
„Mein Boss ist beschäftigt und will nicht gestört werden.“ Geneva deutete auf eine Reihe von Stühlen, die an der Wand standen. „Wenn Sie sich setzen, werde ich nachsehen, wann ich Sie dazwischenschieben kann.“
Mit einer Körpergröße von gut einem Meter achtzig überragte Caleb die Frau um einiges, was sie jedoch in keiner Weise einschüchterte. Ihrer Miene nach zu urteilen, war sie genauso entschlossen, ihn von dem Büro fernzuhalten, wie er entschlossen war hineinzukommen.
Er musste sich sehr beherrschen, um nicht zu lachen. Geneva erinnerte ihn an eine kleine Henne, die sein Großvater besessen hatte. Die hatte sich auch immer so aufgeplustert. Und wenn ihn sein Instinkt nicht trog, würde er noch eine Ewigkeit hier im Empfang sitzen müssen, bevor Geneva sich dazu herabließ, den Hörer abzunehmen und A.J. Merrick seine Ankunft zu verkünden.
„Die Mühe können Sie sich sparen, Geneva.“ Leise vor sich hin lachend ging er an der Frau vorbei und griff nach dem Türgriff der Mahagonitür, an der ein Messingschild mit dem Namen A.J. Merrick hing. „Glauben Sie mir, Merrick wird mich sofort sehen wollen.“
„Ich rufe den Sicherheitsdienst“, drohte Geneva und eilte zum Telefon.
„Tun Sie das“, meinte Caleb ungerührt. „Den würde ich auch gern treffen.“
„Das werden Sie mit Sicherheit, Sie …“, drohte sie und drückte vehement auf die Telefontasten.
Ohne darauf zu warten, ob Geneva den Sicherheitsdienst erreichte, öffnete Caleb die Tür und trat in ein geräumiges Büro. Sein Blick fiel sofort auf die junge Frau, die an einem riesigen Schreibtisch saß, hinter dem sich eine breite Fensterfront befand.
Mit ihrem rotbraunen Haar, das sie zu einem Knoten gebunden hatte, auf den seine Großmutter stolz gewesen wäre, und einer viel zu großen schwarzen Brille sah sie eher aus wie eine Lehrerin als eine moderne Sekretärin. Und ihrer missbilligenden Miene nach zu urteilen, war sie genauso unnachgiebig und streng in Bezug auf Regeln und Vorschriften wie eine Gouvernante.
Doch als er zu ihrem Schreibtisch schlenderte, glaubte er, einen Hauch von Unsicherheit an ihr zu bemerken – eine Verletzlichkeit, die er nicht erwartet hatte. „Entschuldigen Sie, ich suche A.J. Merrick.“
„Sind Sie geschäftlich hier?“, fragte sie mit eisiger Stimme.
Sie stand auf, schob die Brille auf ihrer niedlichen kleinen Nase zurecht und lenkte damit unbeabsichtigt Calebs Aufmerksamkeit auf ihre funkelnden blauen Augen – Augen, die ihm einen Blick zuwarfen, der einen weniger starken Mann in die Knie gezwungen hätte. Caleb dagegen war nicht im Geringsten eingeschüchtert. Im Gegenteil. Er war sich nicht sicher warum, aber aus irgendeinem Grund fand er ihre blauen Augen ziemlich faszinierend.
„Ich bin …“
„Wenn Sie das Personalbüro suchen, das ist am Ende des Ganges“, unterbrach sie ihn, bevor er sich vorstellen konnte. Dann hob sie eine perfekt geformte Augenbraue. „War Mrs. Wallace nicht an ihrem Platz?“
Trotz des sachlichen Tonfalls klang ihre Stimme weich und melodisch, und Caleb merkte, dass auf einmal seine sämtlichen Hormone in Habachtstellung gingen. Verflixt, was war nur in ihn gefahren? Vermutlich lag es daran, dass er seit fast einem Jahr mit keiner Frau mehr zusammen gewesen war. Das konnte einen normalen, gesunden Mann ja auch nervös machen. Vermutlich registrierte er aus diesem Grund auch jede Bewegung einer Frau – egal welcher Frau – besonders bewusst.
Zufrieden, dass er eine Erklärung dafür gefunden hatte, warum er an einer nicht gerade freundlichen Sekretärin Interesse zeigte, deutete er mit dem Daumen über die Schulter. „Doch, soweit ich weiß, ist Geneva noch immer dort draußen.“ Er lachte. „Obwohl es gut sein kann, dass sie sich einen Finger gebrochen hat, als sie die Nummer des Sicherheitsdienstes gewählt hat.“
„Gut.“
„Gut, dass sie sich vielleicht einen Finger gebrochen hat? Oder gut, dass sie die Sicherheitsleute ruft?“, fragte er grinsend.
„Ich meinte nicht …“ Stirnrunzelnd hielt sie inne, und es war klar, dass er sie für einen Moment aus der Fassung gebracht hatte. „Gut, dass sie den Sicherheitsdienst ruft, natürlich.“
Die Frau kam um den Schreibtisch herum, und weder ihre Miene noch ihre Haltung wirkten dabei sonderlich einladend. „Ich weiß nicht, für wen Sie sich halten oder warum Sie hier sind, aber Sie können nicht einfach hier hereinspazieren.“
Die junge Frau hielt inne, als hinter ihnen die Tür aufflog und gegen die Wand krachte.
„Das ist er.“
Caleb blickte zurück und sah Geneva mit wütendem Gesicht ins Büro kommen. Zwei nicht mehr ganz junge, untersetzte Männer in Uniformen folgten ihr auf den Fersen.
„Wie ich sehe, haben Sie die Wachleute erreicht, Geneva.“ Caleb schaute auf die Uhr und nickte dann anerkennend. „Die Zeit, die Sie gebraucht haben, um hier aufzutauchen, ist nicht schlecht, aber ich bin sicher, dass wir das noch verbessern können, meinen Sie nicht auch?“
Geneva gelang es perfekt, auf ihn herabzuschauen, auch wenn sie ein ganzes Stück kleiner war als er, bevor sie sich an die Frau mit den erstaunlich blauen Augen wandte.
„Es tut mir sehr leid, Miss Merrick.“ Geneva betrachtete Caleb, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. „Er hat ein Nein als Antwort einfach nicht akzeptiert.“
Caleb hob eine Augenbraue. Das war A.J. Merrick?
Interessant. Sie war eindeutig nicht das, was er erwartet hatte. Emerald hatte ihn in dem Glauben gelassen, dass Merrick ein langweiliger alter Geschäftsmann war, nicht eine junge Frau in den Zwanzigern mit stahlblauen Augen.
Während sie sich wie zwei Gegner in einem Boxring musterten, bemerkte Calebs vernachlässigte Libido, dass A.J. Merrick nicht wie die meisten Frauen ihres Alters gekleidet war. Statt eines figurbetonten schwarzen Kostüms, das ihre Vorzüge unterstrichen hätte, trug sie etwas, das an ihr herabhing wie ein Kartoffelsack. Aber ihre zierlichen Hände, der schlanke Hals und das, was er von ihren langen, offensichtlich perfekt geformten Beinen sehen konnte, verrieten, dass sich ein paar unglaubliche Kurven unter diesem Stoff verbargen.
„Es ist in Ordnung, Mrs. Wallace.“ Miss Merrick schenkte Caleb ein triumphierendes, leicht herablassendes Lächeln, das merkwürdige Dinge in seinem Inneren anrichtete und ihm das Gefühl gab, als wäre die Temperatur im Zimmer auf einmal um zehn Grad gestiegen. „Ich bin sicher, Sie sehen ein, dass es reine Zeitverschwendung wäre, wenn Sie sich jetzt noch um einen Job bemühen würden.“ An die beiden Sicherheitsleute gewandt meinte sie: „Bitte bringen Sie diesen Herrn zum Parkplatz.“
„Das ist aber ziemlich unfreundlich von Ihnen“, meinte Caleb kopfschüttelnd.
Er ließ zu, dass die Männer demonstrierten, wie sie mit einer solchen Situation umgehen würden, sollte es sich tatsächlich um eine echte Bedrohung handeln, und musste fast lachen, als sie unbeholfen nach seinen Armen griffen und versuchten, sie hinter seinen Rücken zu ziehen. Er entschied, dass die beiden nicht nur ihr Arbeitstempo ein wenig beschleunigen, sondern auch einen Auffrischungskurs für Zugriffsmethoden in Gefahrensituationen machen mussten. Wenn er gewollt hätte, hätte er sich ohne weiteres aus ihrem Griff befreien können.
„Ich bin nicht hier, um mich um eine Stelle zu bewerben.“ Er lächelte. „Ich arbeite bereits hier.“
„Ach, tatsächlich?“ Miss Merrick neigte neugierig den Kopf. „Da ich die abschließenden Gespräche mit allen neuen Angestellten führe, wäre es nett, wenn Sie mein Gedächtnis auffrischen und mir sagen könnten, wie Sie heißen, wann wir Sie eingestellt haben und in welcher Abteilung von ‚Skerritt and Crowe‘ Sie arbeiten.“
„Ich habe den Job vor einer Woche bekommen, und ich beabsichtige, im Büro nebenan zu arbeiten.“ Vergnügt entschied Caleb, dass es ihm Spaß machen würde, sich mit A.J. Merrick zu messen. „Mein Name ist Walker. Caleb Walker.“
Ihre vor Schreck aufgerissenen Augen hinter dieser lächerlich großen Brille verrieten ihm, dass seine Antwort nicht das war, was sie erwartet hatte. Aber sie fasste sich schnell wieder und bedeutete den beiden Sicherheitsleuten, von ihm wegzutreten. „Mr. Norton, Mr. Clay, bitte lassen Sie Mr. Walker sofort los.“
„Aber Miss Merrick …“
„Ich sagte, lassen Sie ihn los“, wiederholte sie. Sie hob ihr stures kleines Kinn ein wenig. „Mr. Walker ist der neue Präsident von ‚Skerritt and Crowe‘.“
Die beiden Männer ließen ihn sofort los, und hinter sich hörte Caleb, wie Geneva nach Luft schnappte.
„Tut mir leid, Mr. Walker“, meinte einer der beiden Männer und zupfte unbeholfen Calebs Hemdärmel zurecht.
Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, während Caleb und die Frau vor ihm sich anstarrten. In vielerlei Hinsicht erinnerte sie ihn an eine andere Frau zu einem anderen Zeitpunkt.
Er atmete tief durch. Es war schon eine Weile her, und er hatte in der Zwischenzeit viel gelernt. Zudem war er nicht länger ein naiver Farmersjunge mit hochtrabenden Träumen und einem vertrauensseligen Herzen. Er war ein erwachsener Mann, der seine Lektion gelernt hatte.
„Wenn Sie Miss Merrick und mich einige Minuten allein lassen könnten, würde ich das sehr zu schätzen wissen“, sagte Caleb schließlich, während er weiterhin ihrem Blick standhielt. Als er das leise Zuschlagen der Tür hinter sich hörte, lächelte Caleb. „Was halten Sie davon, wenn wir noch einmal von vorn beginnen?“ Er streckte die Hand aus. „Ich bin Caleb Walker. Freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss Merrick.“
Als sie zögernd ihre Hand in seine legte, verursachte die Berührung ihrer weichen Handfläche einen kleinen elektrisierenden Schock, der sich durch seinen gesamten Körper zog. Offensichtlich spürte auch sie diese Spannung, denn sie ließ seine Hand wie eine heiße Kartoffel los.
„Ich weiß, ich bin früher als erwartet hier, aber meinen Sie nicht, es wäre eine gute Idee gewesen, die Angestellten im Vorfeld über mich zu informieren? Schließlich hat Emerald Larson Ihnen schon vor einigen Tagen mitgeteilt, dass ich Ende der Woche komme.“
„Mrs. Larson sagte, Sie kämen am Freitag.“
„Ich bin nur einen Tag zu früh“, sagte er und atmete erleichtert auf, als Miss Merrick Emerald nicht als seine Großmutter bezeichnete.
Er hatte Emerald ausdrücklich gebeten, ihre Verwandtschaftsverhältnisse nicht zu erwähnen, und wie es schien, hatte sie seine Wünsche respektiert. Zusätzliche Vorurteile, weil er der Enkel der Firmeninhaberin war, konnte er absolut nicht gebrauchen.
„Ich hatte die Absicht, Sie morgen früh auf der Abteilungsleitersitzung vorzustellen“, erklärte sie.
„Jetzt ist die Katze schon ein wenig früher aus dem Sack“, meinte Caleb trocken. „Ich wette, Geneva und ihre beiden Gehilfen werden die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreiten.“
Er war erstaunt, dass sie auch jetzt nicht einmal andeutungsweise lächelte. „Sicherlich.“
Ihre ruhige Haltung ließ Caleb überlegen, ob A.J. Merrick wohl jemals die Fassung verlor. Aus irgendeinem Grund vermutete er, dass so etwas bestimmt nicht oft geschah. Aber er nahm auch an, dass es ziemlich aufregend werden könnte, wenn es doch einmal passieren würde. Was er nicht so ganz verstand, war sein Wunsch, gern dabei zu sein.
Sie deutete auf einen Lederstuhl vor ihrem Schreibtisch. „Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Walker.“
Caleb setzte sich und beobachtete, wie sie um den Schreibtisch herumging und sich in ihren Chefsessel setzte. „Da wir zusammenarbeiten werden, können wir doch auf die Formalitäten verzichten, oder?“, fragte er und überlegte, was in A.J. Merrick wohl vorging. „Nennen Sie mich Caleb.“
„Das möchte ich lieber nicht, Mr. Walker“, antwortete sie und schob einige Papiere auf dem Schreibtisch hin und her.
„Warum nicht?“ Es überraschte ihn nicht, dass sie sein Angebot ablehnte. Ärgern tat ihn nur seine eigene Beharrlichkeit. Warum war ihm so viel daran gelegen, sie aus der Reserve zu locken?
Sie hob den Blick. „Es würde die Dinge nur verkomplizieren, wenn es an der Zeit ist, dass Sie mich loswerden wollen.“
Was sollte das denn? Er hatte ihr doch noch gar keinen Grund gegeben, sich bedroht zu fühlen oder zu glauben, er wollte sie oder irgendjemand anderen feuern. Doch sie verhielt sich so, als wäre das eine abgemachte Sache.
Er beugte sich vor. „Woher haben Sie die aberwitzige Idee, dass ich Sie loswerden will?“
„Jedes Mal, wenn es in der Führungsetage einen Personalwechsel gibt, ist es dasselbe. Der neue Präsident oder Geschäftsführer bringt eigene Leute mit, die die Leitungsposten bekleiden sollen, und die alte Führungsriege ist Geschichte.“ Sie zuckte mit den Schultern, während sie Caleb direkt ansah. „Da ich die Geschäftsführerin bin, wird mein Kopf zuerst rollen.“
Caleb glaubte, ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu vernehmen. Doch da sie fortfuhr, ihn mit kühlem Blick zu mustern, entschied er, dass er es sich nur eingebildet hatte. A.J. Merrick war viel zu sehr Profi, als dass sie sich Gefühle geleistet hätte. Was ihn mehr schockierte als ihre eiserne Kontrolle, war sein plötzlicher Wunsch, herauszufinden, was sich hinter der kühlen Fassade verbarg und was sie so offensichtlich zu verstecken suchte.
„Ich kann Sie hier und jetzt beruhigen. Ich werde weder Sie noch sonst jemanden entlassen“, erklärte er. Sie konnte ja nicht wissen – und er hatte auch nicht vor, ihr davon zu erzählen –, dass er keine Ahnung hatte, wie man eine Finanzberatungsfirma leitete. Er war auf ihre Erfahrung angewiesen und musste sich auf sie verlassen, um nicht auf die Nase zu fallen. „Ihr Job ist genauso sicher wie vor der Übernahme durch Emerald Inc.“
Sie schob ihre Brille hoch. „Das sagen Sie jetzt, aber es ist eine bekannte Tatsache, dass es innerhalb von sechs Monaten nach einer Übernahme immer zu einer Umstrukturierung kommt.“
„Das mag bei einer feindlichen Übernahme der Fall sein, aber Emerald Larson hat diese Firma mit dem Segen von Frank Skerritt und Martin Crowe übernommen. Die beiden wollten sich zur Ruhe setzen, und keiner von ihnen hat Angehörige, die die Firma hätten leiten können.“
Während Caleb sie beobachtete, wie sie an ihrer Unterlippe nagte und seine Worte überdachte, überlegte er, ob ihre perfekt geformten Lippen wohl genauso weich und süß waren, wie sie aussahen. Er musste schlucken und entschied, dass er sich lieber auf das Geschäftliche konzentrieren sollte und nicht darauf, dass Miss Merricks Mund zum Küssen einlud.
„Ich werde …“, er räusperte sich, bevor er fortfuhr, „… einige kleinere Änderungen hier und dort vornehmen. Aber solange kein Angestellter kommt und mir selbst seine Kündigung auf den Tisch legt, wird niemand seinen Arbeitsplatz verlieren.“
„Wir werden sehen“, sagte sie leise.
Ihre Miene war völlig ausdruckslos und verriet nichts darüber, was sie dachte. Aber Caleb wusste, dass sie ihm kein Wort glaubte.
Nachdem er beschlossen hatte, dass es wohl einfacher wäre, ein Rudel Wölfe davon zu überzeugen, Vegetarier zu werden, als A.J. Merrick dazu zu bringen, zu glauben, dass ihr Job sicher war, atmete Caleb tief durch und stand auf. „Ich denke, ich werde mal herumgehen und mich einigen unserer Leute vorstellen.“
„Aber was ist mit unserer Besprechung morgen früh um zehn, Mr. Walker?“, fragte sie und stand ebenfalls auf.
Entdeckte er da einen Anflug von Panik in ihren schönen Augen?
Interessant. Es schien, als würde ein Traditions- oder Regelbruch A.J. Merrick aus der Bahn werfen. Das musste er sich merken.
„Ich heiße Caleb.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es bleibt bei der Besprechung um zehn. Ich werde dann gleich einige Änderungen bekannt geben können.“
Er bemerkte, dass ihre Knöchel weiß wurden, weil sie ihren Stift so fest umklammerte, und streckte, ohne nachzudenken, die Hand aus und legte sie beruhigend auf ihre. Doch kaum berührte seine Handfläche ihre samtweiche Haut, kam es ihm vor, als würde ein Stromschlag durch seinen Arm bis hin in seine Brust fahren. An Miss Merricks überraschtem Luftschnappen merkte er, dass sie das Gleiche gefühlt hatte.
Hastig zog er seine Hand zurück und versuchte, gelassen zu wirken. Doch angesichts der Tatsache, dass er sich immer noch wie elektrisiert fühlte, war das ziemlich schwierig.
„Entspannen Sie sich, Miss Merrick“, sagte er und fragte sich, was in ihn gefahren war. Es konnte doch nicht sein, dass er so dringend eine Frau brauchte, dass allein schon die Berührung einer weiblichen Hand ihn in Aufregung versetzte. „Sie haben mein Wort darauf, dass Ihr Job sicher ist, und ich verspreche außerdem, dass das, was ich im Sinn habe, nur dazu dienen wird, die Arbeitsmoral und die Produktivität zu steigern.“
Zumindest hoffte er das. Da er von Finanzberatung und Firmenleitung keine Ahnung hatte, würde er einfach nach dem System Versuch und Irrtum vorgehen, sich an den Management-Ratgeber halten, den er sich im Buchladen besorgt hatte, und dann auf das Beste hoffen.
Abweisend verschränkte A.J. die Arme vor der Brust und starrte ihn an. „Wenn Sie es sagen.“
Caleb ging Richtung Tür. Er musste unbedingt Distanz schaffen, um sich wieder zu fangen. Er war hier, um eine Beratungsfirma zu übernehmen, nicht um herauszufinden, warum es ihm missfiel, dass diese Frau ihm nicht glauben wollte. Oder warum er diese hübschen Augen so faszinierend fand. „Wir sehen uns morgen früh, Miss Merrick.“
„C…Caleb?“ Sein Name kam ihr nur stockend über die Lippen, aber der Klang ihrer weichen Stimme richtete bei seinen vernachlässigten Hormonen ein heilloses Durcheinander an.
Er drehte sich zu ihr herum. „Ja, Miss Merrick?“
„Ich denke, da Sie darauf bestehen, dass ich Sie mit Vornamen anrede, können Sie mich auch A.J. nennen.“
„Okay, A.J.“ Er lächelte. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung. „Wir sehen uns morgen.“
A.J. schaute auf die Tür, die sich hinter Caleb Walker schloss, und ließ sich dann mit zitternden Beinen auf ihren Stuhl fallen. Warum klopfte ihr Herz so schnell? Und warum kribbelte ihre Haut noch immer von der Berührung mit Calebs Hand?
Sie nahm die Brille ab und vergrub das Gesicht in den Händen. Was war nur in sie gefahren? Sie war keine Frau, die sich von einem gut aussehenden Mann ablenken ließ. Jedenfalls nicht mehr seit dem Fiasko mit Wesley Pennington III. Er hatte ihr eine wertvolle Lektion erteilt, und zwar eine, die sie sich nicht leisten konnte zu vergessen – man sollte niemals Geschäft und Vergnügen miteinander verbinden, denn das führt unweigerlich in die Katastrophe.
Normalerweise war das auch kein Problem für sie. Seit sie ihr Herz, ihre Unschuld und ihren ersten Job aufgrund ihrer Naivität verloren hatte, war sie stets darum bemüht, so professionell wie möglich aufzutreten. Das vereinfachte das Leben und half ihr, Kollegen auf Abstand zu halten. Bisher war sie damit gut gefahren.
Die meisten Menschen, vor allem Männer, wurden durch ihre rein geschäftliche Art abgeschreckt und machten sich nicht die Mühe, ihr einen zweiten Blick zu schenken. Und das war ihr durchaus recht. Aber Caleb Walker hatte nicht nur zweimal hingeschaut, er hatte sie überhaupt nicht mehr aus seinen verwirrenden braunen Augen gelassen, seit er in ihr Büro gekommen war.
Kopfschüttelnd versuchte A.J., nicht an das Kribbeln im Bauch zu denken, das Calebs Lächeln in ihr ausgelöst hatte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Tatsache, dass er ihr neuer Chef war. Er würde „Skerritt and Crowe“ übernehmen und sie irgendwann durch einen seiner eigenen Leute ersetzen. Auch wenn er ihr versichert hatte, dass dem nicht so wäre, wusste sie es besser. Alles, was sie sich in den letzten fünf Jahren aufgebaut hatte, würde den Bach runtergehen, und sie hatte keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen.
Sie setzte die Brille wieder auf und drehte dann den Stuhl herum, um aus dem Fenster zu schauen. Ohne etwas wahrzunehmen, blinzelte sie hinaus auf das von der strahlenden Junisonne erhellte Zentrum von Albuquerque. Zu ihrem Entsetzen kämpfte sie gegen die Tränen an. Sie hatte das Gefühl, dass Caleb Walker ihr wohl geordnetes Leben auf den Kopf stellen würde. Und sie konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten.
Wer wusste schon, was er für Veränderungen plante oder wie schnell er entscheiden würde, dass sie entbehrlich war? Am meisten Sorgen bereitete ihr jedoch, dass sie nicht vergessen konnte, wie ausdrucksstark seine Augen waren und wie sein hellbraunes Haar ihm in die Stirn gefallen war, was ihn eher nach einem Rebell als nach einem Geschäftsmann hatte aussehen lassen. Genauso wenig konnte sie leider vergessen, wie die Kombination seiner tiefen Stimme mit dem sexy Südstaatenakzent ihr Innerstes in Aufruhr versetzt hatte.
„Mach dich nicht lächerlich“, murmelte sie und wandte sich wieder zum Schreibtisch.
Sie war genauso wenig an Caleb Walker interessiert wie er an ihr. Doch während sie auf die Dokumente auf ihrem Schreibtisch starrte, musste sie immer wieder daran denken, wie breit seine Schultern waren, wie angegossen seine Jeans gesessen hatte und wie ihre Hand bei seiner Berührung gekribbelt hatte.
Schließlich seufzte sie frustriert auf, sammelte hastig die Unterlagen zusammen, an denen sie gearbeitet hatte, schnappte sich ihre Handtasche und ging zur Tür. „Ich bin für den Rest des Tages außer Haus“, verkündete sie Geneva, als sie an ihr vorbeieilte.
A.J. wartete nicht auf die überraschte Reaktion der Empfangssekretärin angesichts ihres so untypischen Verhaltens. Sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie wollte in ihrer Wohnung Zuflucht suchen, bevor die Fassade, die sie in den letzten Jahren perfektioniert hatte, zusammenbrach und enthüllte, was nur ihr Sittich Sidney über sie wusste.
Alissa Jane Merrick war nicht der kühle gefühllose Automat, für den jeder bei „Skerritt and Crowe“ sie hielt. Sie war eine lebendige Frau, die skurrile Glasfiguren sammelte, in sentimentalen Momenten in Tränen ausbrach und Fehlschläge mehr als alles andere fürchtete.
Hastig überquerte sie den Parkplatz, stieg in ihren Wagen und legte den Kopf auf das Lenkrad. Mit geschlossenen Augen zählte sie langsam erst bis zehn, dann bis zwanzig, während sie sich bemühte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Zum ersten Mal seit fünf Jahren bestand die Gefahr, dass sie die Fassung verlor. Und das war etwas, was sie sich nicht leisten konnte.
Sie durfte nicht zulassen, dass einer ihrer Kollegen sie in solch einem Augenblick sah. Das wäre zum einen ein eklatanter Verstoß gegen jegliche Professionalität und würde zum anderen den Geist ihres verstorbenen Vaters dazu bringen, sie heimzusuchen, weil sie etwas so typisch Weibliches getan hatte.
Seit sie alt genug gewesen war, um es verstehen zu können, hatte ihr Vater, ein Mann, der beim Militär Karriere gemacht hatte, ihr eingebläut, wie wichtig es war, dem Feind gegenüber keine Schwäche zu zeigen. Und es bestand kein Zweifel, Caleb Walker war ein Feind, der eine ernsthafte Bedrohung für sie und ihren Job darstellte. Aber er war auch der bestaussehende Feind, den sie je gesehen hatte.
2. KAPITEL
„Als Erstes möchte ich Ihnen versichern, dass Ihre Jobs sicher sind“, beruhigte Caleb die im Konferenzzimmer versammelten leitenden Angestellten. Dabei sah er insbesondere A.J. Merrick an. „Im Gegensatz zu anderen Übernahmen habe ich nicht vor, irgendjemandem zu kündigen, um meine eigenen Leute einzustellen. Sie können Ihren Job nur verlieren, wenn Sie selbst die Kündigung einreichen.“
Die Zweifel, die er in A.J.s Augen sah, machten deutlich, dass sie ihm noch immer nicht glaubte. Dem erleichterten Aufseufzen der anderen Angestellten nach zu urteilen, fanden diese seine Worte glaubhaft. Warum nur war ihm die Meinung der kühlen Miss Merrick so verflixt wichtig?
Er entschied, nicht länger darüber nachzugrübeln, und machte sich wieder daran, seine Pläne für die Firma darzulegen. „Ich habe mir die Quartalsberichte des letzten Jahres angesehen, und obwohl das Wachstum langsam war, war es stetig.“ Er grinste. „Und wie mein Großvater immer gesagt hat, ‚Wenn etwas nicht kaputt ist, schraub nicht daran rum.‘ Aus diesem Grund werde ich vorläufig keine Veränderungen im täglichen Ablauf der Firma vornehmen.“ Jedenfalls so lange nicht, bis ich ein paar Wirtschaftskurse belegt habe und anfange zu verstehen, was ich hier tue.
„Mir gefällt die Art, wie Ihr Großvater denkt“, sagte Malcolm Fuller und nickte.
Caleb lachte. „Ich bin froh, dass es Ihre Zustimmung findet, Malcolm.“ Er hatte den älteren Mann gestern getroffen, und sie hatten sich auf Anhieb prächtig verstanden. Malcolm erinnerte Caleb an Henry Walker, seinen verstorbenen Großvater – ein Mann voller Weisheit, der nie ein Blatt vor den Mund genommen hatte.
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