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KALTE RACHE - HEIßE LEIDENSCHAFT? von GRAHAM, LYNNE Ophelia kann ihr Glück kaum fassen. Einer der reichsten Männer der Welt, der sexy Frauenschwarm Lysander Metaxis, will tatsächlich sie heiraten. Doch nach einer leidenschaftlichen Nacht erkennt sie: Lysander scheint keine Liebe für sie zu empfinden, er will nur Rache … GELIEBTER FEIND von GRAHAM, LYNNE Empört weist Abbey den russischen Milliardär Nikolai Arlov ab, als er sie nach einer glamourösen Modenshow zu Kaviar, Wodka und Sex einlädt. Doch das ist das Falscheste, was sie tun kann! Denn sie mag ihren Stolz haben - aber Nikolai bekommt immer, was er will … STOLZ UND VERLANGEN von GRAHAM, LYNNE Die Liebesnacht, die Molly mit Leandro Marquez, dem Herzog von Sandoval, verbringt, hat Folgen: Sie bekommt ein Baby! Doch kaum gesteht sie es ihm, befiehlt der stolze Spanier: Sie soll auf sein Castillo kommen und ihn heiraten - nur von Liebe spricht Leandro nicht …
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Seitenzahl: 591
Lynne Graham
JULIA COLLECTION BAND 86
IMPRESSUM
JULIA COLLECTION erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
Zweite Neuauflage in der Reihe JULIA COLLECTIONBand 86 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 2008 by Lynne Graham Originaltitel: „The Greek Tycoon’s Disobedient Wife“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1880
© 2008 by Originaltitel: „The Ruthless Magnate’s Virgin Mistress“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1884
© 2008 by Originaltitel: „The Spanish Billionaire’s Pregnant Wife“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: SAS Deutsche Erstausgabe 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1888
Abbildungen: Andrey Kiselev / Fotolia, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733703424
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Lysander Metaxis, griechischer Milliardär, betrat den Salon seiner Luxusjacht, wo seine persönlichen Mitarbeiter bereits auf ihn warteten. Es war halb acht morgens. Da ihr dynamischer Arbeitgeber mit fünf Stunden Schlaf pro Nacht auskam und üblicherweise um sechs Uhr morgens mit der Arbeit begann, bemühte sich jeder, einen hellwachen Eindruck zu machen.
Dimitri, seines Zeichens persönlicher Assistent, überreichte Lysander eine Aktenmappe. „Ich denke, Sie werden zufrieden sein, Sir.“
Das attraktive gebräunte Gesicht konzentriert, entnahm Lysander der Mappe die Fotos von Madrigal Court. Dichte Wälder auf allen Seiten schützten das elisabethanische Herrenhaus vor neugierigen Blicken. Aber eben nicht aus der Luft. Er kannte das altehrwürdige Haus nur von Fotos aus den Alben seiner Mutter, die sie seit ihrer Kindheit verwahrt hatte. Die Luftaufnahmen waren gestochen scharf und zeigten den Verfall, der in den letzten Jahren offensichtlich enorm fortgeschritten war.
Der Blick aus den braunen Augen wurde kalt. An dem Gebäude waren Reparaturen dringend nötig. Das gesamte Dach musste erneuert und die Ziegelsteinfassade ausgebessert werden, und da war eine verdächtigte Ausbuchtung in einer der Giebelwände zu erkennen. Dennoch hatte Gladys Stewart sich immer wieder geweigert, Aristide, seinem verstorbenen Vater, das Anwesen zu verkaufen. Nun, die alte Dame hatte nicht mehr lange zu leben. Lysander ging davon aus, dass mit ihrem Ableben auch ein Kauf endlich möglich wurde.
Vier Jahrhunderte war der Besitz in der Familie seiner Mutter gewesen, bis eine finanzielle Notlage den Verkauf erzwungen hatte. Der Rückkauf von Madrigal Court war für die Metaxis-Familie zu einer Frage der Ehre geworden. Und die Familienehre wiederum war etwas, das für Lysander, Grieche durch und durch, absolute Priorität besaß. Für seine Skrupellosigkeit berüchtigt, war er ein Mann, mit dem man sich besser nicht anlegte. Doch selbst als einer der reichsten Männer der Erde hatte er seine bescheidenen Anfänge nie vergessen, auch nicht die gnadenlose Ablehnung, die er hatte erfahren müssen, bevor das Glück ihm endlich hold war und ihm Virginia und Aristide Metaxis als Adoptiveltern schenkte.
Das Wissen um diese unbezahlbare Schuld brachte ihn ins Grübeln, düstere Schatten zogen über sein Gesicht. Dabei war Lysander für seine kühle Beherrschtheit bekannt. Doch die Ereignisse der letzten Zeit hatten den Rückkauf von Virginias Elternhaus zu einer dringenden Mission werden lassen und den ursprünglichen Plan, das Anwesen irgendwann in unbestimmter Zukunft wieder zu erstehen, aufgehoben. Was immer nötig sein mochte, er musste dieses Haus zurückbekommen, und zwar schnell. Der Zeitfaktor war plötzlich von unerlässlicher Bedeutung.
Eine umwerfend aussehende Brünette schlenderte in den Salon, in einen durchsichtigen Sarong gewickelt, der nur wenig von ihrer bemerkenswerten Figur verbarg. Mit einer Fingerspitze beschrieb sie laszive Kreise auf Lysanders Handrücken. „Komm wieder ins Bett“, gurrte sie lockend.
Unmerklich versteifte Lysander sich. „Ich bin beschäftigt.“
Seine Mitarbeiter tauschten verstohlene Blicke. Keine Frau konnte Lysander länger als ein paar Wochen halten. Seine jetzige Gespielin mochte es noch nicht wissen, aber … sie war bereits Geschichte.
„Dimitri …“ Lysander hob den Kopf von den Fotos. „Was sind das da für Kunststoffrohre innerhalb der Gartenmauern?“
Der Assistent trat vor und sah mit gerunzelter Stirn auf die Fotos. „Äh … das Land gehört doch zum Anwesen, oder, Sir? Ich muss gestehen, ich habe keine Ahnung.“
Lysander bedachte Dimitri mit einem vernichtenden Blick und wies an, eine Konferenzschaltung mit seiner Rechtsabteilung herzustellen.
Für seine Anwälte mit Sitz in England wurde es ein schwarzer Tag. Drohungen standen in der Luft, dass Köpfe rollen würden, ehrerbietige Entschuldigungen wurden geliefert. Man überschlug sich und versprach, sich der Sache sofort anzunehmen, doch die Order des griechischen Tycoons lautete, vorerst nichts zu unternehmen.
Er würde den Zeitpunkt wählen, um die Dinge in Bewegung zu setzen.
„Die Metaxis-Familie wartet nur darauf, dass ich sterbe.“ Kalter Hass blitzte aus Gladys Stewarts unversöhnlichem Blick. „Aasgeier … das sind sie alle!“
„Nun, was immer sie sind, sie werden sich noch ein Weilchen gedulden müssen“, sagte die Krankenschwester, die Gladys’ Blutdruck maß, fröhlich. „Sie sind heute in bester Verfassung.“
„Hat man Sie gebeten, sich in ein persönliches Gespräch einzumischen?“, zischelte die alte Dame giftig. „Ich rede mit meiner Enkelin. Ophelia, wo bist du? Ophelia!“
Eine junge Frau mit ungewöhnlichen blassblauen Augen sammelte schmutzige Bettwäsche zusammen. Mit einem entschuldigenden Blick für die Pflegekraft trat sie vor. Sie war relativ klein, trug einen weiten Pullover und eine Hose, ein Aufzug, der ihre Figur kaschierte. Weizenblondes Haar war mit einem einfachen Gummiband zusammengebunden. Es tat ihrer Schönheit keinen Abbruch.
„Ich bin hier, Großmutter.“
Gladys’ Lippen wurden schmal vor Ärger, als sie ihre Enkelin musterte. „Wenn du dir etwas mehr Mühe geben würdest, hättest du längst einen Mann gefunden. Deine Mutter war eine Närrin, aber zumindest wusste sie, wie sie ihr Aussehen einzusetzen hatte!“
Ophelia, Single aus Überzeugung, hätte sich fast geschüttelt, als sie an die übertriebene Koketterie ihrer verstorbenen Mutter mit ihrer Schönheit zurückdachte. Sie, Ophelia, zog bequeme Kleidung und frische Luft vor. „Leider hat ihr das nicht viel eingebracht.“
„Ich habe geschworen, dass die Metaxis-Familie bezahlen wird – und ich habe sie zahlen lassen … Hör zu, ich bin noch nicht fertig!“ Dürre Finger umklammerten hart Ophelias Handgelenk und zogen sie näher heran. „Es könnte passieren, dass Lysander Metaxis persönlich vor der Tür auftaucht.“
Ophelia blieb unbeeindruckt von dieser höchst unwahrscheinlichen Voraussage. Ein Milliardär, berüchtigt für den Harem, den er sich auf seiner Luxusjacht hielt, würde wohl kaum seine Vergnügungen unterbrechen, um sie aufzusuchen. „Das glaube ich weniger.“
„Du brauchst nur dieses Haus“, raunte Gladys ihrer Enkelin ins Ohr, „und ich verspreche dir, all deine Träume gehen in Erfüllung.“
Mit den letzten Worten hatte Gladys sich Ophelias hundertprozentige Aufmerksamkeit gesichert. „Meinst du damit etwa … Molly?“, flüsterte diese hoffnungsvoll.
Wohl wissend, dass Ophelia jetzt atemlos an ihren Lippen hing, wandte Gladys triumphierend den Kopf ab. „Ich könnte es dir verraten, aber … du wirst dich wohl überraschen lassen müssen. Wenn du tust, was ich dir sage, und deine Karten richtig ausspielst, wirst du nicht enttäuscht werden.“
„Meine Schwester zu finden ist alles, was ich mir je erträumt habe.“ Ophelia seufzte.
Die alte Frau in dem Bett lachte bellend auf. „Du warst schon immer eine sentimentale Närrin!“
Das Klopfen an der Tür kündigte die Ankunft des Vikars an. „Gehen Sie und genießen Sie die Pause, solange Sie können“, flüsterte die Krankenschwester Ophelia zu.
Sie nickte, nahm die Wäsche und lächelte dem Vikar beim Verlassen des Zimmers freundlich zu. Er war ein gutmütiger Mann, der regelmäßig vorbeischaute und die bissigen Klagen ihrer Großmutter mit stoischer Geduld ertrug.
„Sie kommen umsonst!“, tönte es vom Bett. „Ich werde Ihrer Kirche nicht einen Penny hinterlassen!“
Es erstaunte Ophelia immer wieder, dass ihre Großmutter noch immer so tat, als wäre sie reich, dabei steckte sie bis zum Hals in Schulden. Gladys Stewart würde eine so peinliche Wahrheit natürlich niemals zugeben, sie war besessen von Geld und gesellschaftlicher Stellung. Der Schein musste bis zuletzt gewahrt werden. Madrigal Court, das Anwesen, das Gladys ihren inzwischen verstorbenen Mann damals überredet hatte zu kaufen, verfiel immer mehr. Das Dach war undicht, die Wände feucht, und den Großteil des einst gepflegten Parks hatte sich die Natur längst zurückgeholt. Dieses wunderschöne alte Haus zu einer Ruine verkommen zu lassen und sich dennoch zu weigern, es zu verkaufen, gehörte mit zu der Rache an der Familie Metaxis.
Ophelia blieb am Giebelfenster stehen und schaute hinaus. Fast die gesamte Umgebung gehörte inzwischen Lysander Metaxis, dem griechischen Schiffsmagnaten. Sein Vater war reich gewesen, doch der Sohn übertrumpfte ihn noch bei Weitem. Alles was er anfasste, wurde zu Gold. Und wenn es darum ging, mit Geld um sich zu werfen, gab es niemanden, der das besser konnte als Lysander Metaxis. Jedes Mal, wenn in der Gegend ein Haus zum Verkauf auf den Markt kam, riss er es an sich, mit einem Preisangebot, bei dem niemand mithalten konnte. Vor über dreißig Jahren noch hatte der Metaxis-Familie nur das Pförtnerhaus am Ende der Allee gehört, jetzt waren sämtliche Farmen und die Hälfte der Wohnhäuser in der Stadt in ihrer Hand.
Madrigal Court war ein unabhängiges Reich inmitten des Metaxis-Imperiums, doch schon bald, wenn Gladys nicht mehr war, würde auch das wunderbare alte Haus ihm gehören. Das war schon jetzt abzusehen. Selbst wenn ihre Großmutter ihr einen Teil des Anwesens vererben sollte – was keineswegs feststand … allein die Summe der unbezahlten Rechnungen und die Kosten für die Beerdigung waren Grund genug, das Haus so schnell wie möglich zum Verkauf zu stellen. Ophelia konnte nur hoffen, dass Lysander Metaxis ihr die Möglichkeit lassen würde, das von der Mauer umschlossene Gartenstück zur weiteren Nutzung zu mieten. Schließlich lag es in gebührendem Abstand zum Haus und hatte auch einen eigenen Zugang von der Straße.
Erst stopfte Ophelia die Bettwäsche in die Waschmaschine, dann stieg sie in ihre Gummistiefel und eilte nach draußen. Den Park hatte sie allein nicht in Ordnung halten können, doch der Garten innerhalb der Mauer war eine blühende Oase. Hier wuchsen in säuberlich aufgeteilten Beeten Stauden und exotische Schnittblumen, mit denen sie ihr kleines Geschäft aufbauen wollte. Zwar hatte sie sich inzwischen einen Stammkundenkreis erarbeitet, doch für eine feste Aushilfe reichte es noch lange nicht.
Nach einer guten Stunde Gartenarbeit kehrte sie in die gemütliche Küche zurück, wo ein alter Holzofen aus den Zwanzigerjahren – das modernste Stück im Raum! – für anheimelnde Wärme sorgte.
„Guten Tag! Zeit für den Tee!“, grüßte Haddock sie krächzend von seiner Stange.
„Guten Tag, Haddock.“ Ophelia verstand den Wink und hielt dem großen Papageien eine Erdnuss hin. Sie war mit dem alten Vogel aufgewachsen und liebte ihn geradezu abgöttisch. Und da sie wusste, wie gern er seine Streicheleinheiten hatte, strich sie ihm sanft die Kopffedern glatt.
Bekannte Schritte näherten sich. Pamela Arnold, eine Frau Ende zwanzig mit einem roten Pagenkopf und lustigen braunen Augen, kam in die Küche. „Mädchen, so wie du aussiehst, brauchst du unbedingt einen Mann, an den du dich anlehnen kannst.“
„Nein, danke. So verzweifelt bin ich noch nicht.“ Eine lockere Bemerkung, die Ophelia allerdings durchaus ernst meinte. In ihrem bisherigen Leben waren Männer ein nie verendender Quell von Problemen, Kummer und Enttäuschungen gewesen. Ihr Vater hatte die Familie bereits vor vielen Jahren verlassen und vergessen, dass Ophelia überhaupt existierte. Ihre Mutter war mit einem Mann nach dem anderen ausgegangen, die sie alle entweder um Geld erleichterten, gewalttätig waren oder sie mit anderen Frauen betrogen. Und Ophelias erste Liebe hatte solche Lügen über sie verbreitet, dass sie in der Schule zur Ausgestoßenen geworden war.
„Oh, nicht schon wieder!“, stöhnte Ophelia verlegen auf, als Pamela eine irdene Kasserolle auf den blank geschrubbten Küchentisch stellte. „Du kannst uns doch nicht ständig füttern …“
„Wieso nicht? Du bist im Moment ziemlich erschöpft, und du bist meine beste Freundin. Ich finde zwar nicht gut, wie du dich aufopferst, aber ich kann dir wenigstens ein wenig helfen.“
Ophelia hob kritisch eine Augenbraue. „Ich opfere mich nicht auf …“
„Doch, tust du, noch dazu für eine höchst unsympathische Person. Aber jetzt verschließe ich mein respektloses Mundwerk und sage keinen Ton mehr.“
„Meine Großmutter hat meiner Mutter finanziell unter die Arme gegriffen und mir ein Zuhause gegeben, als ich dringend eines benötigte. Sie hätte weder das eine noch das andere tun müssen.“ Ophelia verstummte. Ihre Großmutter hatte mit ihrer schroffen Art viele Menschen vor den Kopf gestoßen. Gladys war es gelungen, sich durch das strenge britische Klassensystem von ganz unten nach oben zu boxen, um dann einen Mann der obersten Gesellschaftsschicht zu heiraten. Doch letztendlich hatte es nur einen einzigen Schicksalsschlag gebraucht, um der starken Frau den Boden unter den Füßen wegzuziehen und Ophelias viel schwächere Mutter Cathy zu zerstören.
Das war jetzt über dreißig Jahre her, und noch immer hallte das Echo von Verbitterung, Wut und Erniedrigung durch Ophelias Leben. Das tief sitzende Vorurteil hatte auch auf sie Wirkung gehabt, selbst wenn sie immer versuchte, offen zu bleiben. Der Name Metaxis erfüllte sie mit einer unterschwelligen Feindseligkeit, die ihrem heiteren und großzügigen Wesen eigentlich völlig fremd war.
Während sie frischen Kaffee aufbrühte, musste sie ein Gähnen unterdrücken. Der Papagei registrierte es und begann prompt schrill ein Wiegenlied zu pfeifen. Für einen Moment glitt Ophelia zurück in die Vergangenheit. Sie sah wieder Mollys lachendes Gesicht vor sich, umrahmt von dunklen Locken. Bei Mollys Geburt war sie acht Jahre alt gewesen, aber sie hatte sich um das Baby kümmern müssen, weil Cathy der Aufgabe nicht gewachsen war.
Seit acht Jahren hatte sie ihre Schwester nicht mehr gesehen.
Pamela hielt sich die Ohren zu. „Scht, Haddock!“
Eingeschnappt drehte der Papagei den Kopf weg.
„Metaxis Immobilien übernimmt übrigens die Kosten für die Renovierung des Gemeindezentrums“, berichtete Pamela. „Das macht sie jetzt noch beliebter.“
„Lumpenpack!“, krächzte Haddock so laut er konnte. „Nie wird ein Metaxis auf Madrigal hausen!“
Pamela verzog das Gesicht. „Sorry, ich hab vergessen, dass der Name ihn wild macht.“
„Einem Metaxis ist nicht zu trauen!“, gellte der Vogel weiter.
„Haddock kann nichts dafür. Die Leute sagen die unmöglichsten Dinge vor ihm, und er schnappt es auf.“
„Ich weiß.“ Pamela schaute betreten drein. „Ich hab ihm ‚Schleimbeutel‘ und ‚Nulpe‘ beigebracht. Sein Vokabular ist altmodisch geworden.“
„Metaxis Bastard!“
„Haddock!“ Ophelia schwang entsetzt herum.
„Na, das hab ich ihm nicht beigebracht“, verteidigte Pamela sich sofort.
Ophelia kannte den Schuldigen, sagte aber nichts. Die schwierige Gegenwart konnte sie nur meistern, indem sie sich auf die Zukunft konzentrierte. Ihre Ausbildung hatte sie nie für eine Karriere nutzen können. Sie war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Die Blumen und Pflanzen in dem ummauerten Garten waren das, was sie am Leben hielt, während sie ihre restliche Zeit darauf verwandte, eine kranke Verwandte zu pflegen, während im Hintergrund der Stapel an Rechnungen wuchs und das Einkommen schrumpfte.
Zu schade aber auch, dass der Milliardär Lysander Metaxis nicht schon heute vor der Tür stand! Schon seltsam, welchen Scherz ihre Großmutter sich da ausgedacht hatte. Für ihren Humor war die alte Dame eigentlich nie bekannt gewesen.
„Ich mag es nicht, wenn man meine Zeit unnütz verschwendet“, erklärte Lysander seinem Londoner Anwalt in unfreundlichem Ton.
„So überraschend es auch sein mag, aber Mrs Stewart hat Sie in ihrem Testament als Erben mitbedacht. Wie man mir mitteilte, ist Ihre Anwesenheit bei der Testamentsverlesung erforderlich. Der Notar richtet sich mit einem Termin nach Ihnen, wie er mir versichert hat.“
Lysander stieß leise die Luft durch die Zähne aus. Rätsel mochte er ebenso wenig. Warum sollte Gladys Stewart ihn in ihr Testament einschließen? Es ergab keinen Sinn.
„Vielleicht hat sie auf dem Sterbebett ja doch noch Reue empfunden. So etwas kommt häufiger vor.“
„Ich brauche den Segen dieser Frau nicht, um das Anwesen zu kaufen.“ Lysander hatte Gladys Stewart nie getroffen. Sein Vater hatte sie einmal als geldgierige Harpyie beschrieben. Immerhin hatte sie Aristide und Virginia jahrelang eine gewisse Angst eingejagt, was Lysander aber auf ein übertriebenes und unbegründetes Schuldgefühl seiner Adoptiveltern zurückführte. Was war denn so Schlimmes passiert? Sein Vater hatte die Verlobung mit Gladys’ Tochter Cathy gelöst, um Virginia zu heiraten. Solche Dinge passierten eben, andere Leute mussten auch damit leben lernen.
Achtundvierzig Stunden später landete Lysanders Helikopter auf Madrigal Court. Lysander reiste nie allein, ein Team von ausgewählten Mitarbeitern und seine neueste Bettgespielin, Anichka, ein russisches Topmodel, waren mit dabei.
„Was für ein wunderschönes Haus“, entfuhr es einer jungen Frau aus dem Team untypisch verträumt.
Lysander blieb unbeeindruckt. Geschichte hatte ihn noch nie wirklich interessiert, und ein zerfallenes Gebäude in einem verwilderten Park widerstrebte seinem Sinn für Ordnung und Disziplin. Wenn so viele Schäden schon auf Anhieb zu erkennen waren, dann war das nur die Spitze des Eisbergs. Seine Lippen verzogen sich zu einem Strich. Es würde eine Herauforderung werden, die Reparaturen schnell über die Bühne zu bringen.
„Es fällt zusammen“, bemerkte Anichka und wischte sich angeekelt den Staub von den Händen, weil sie unklugerweise das schmiedeeiserne Geländer der kleinen Brücke über den Wassergraben berührt hatte.
Mit einem einzigen kritischen Blick hatte Lysander den Zustand des Hauses erfasst. Es war eine Bruchbude, eine vierundzwanzigkarätige Ruine, nichtsdestotrotz eine Ruine. Doch ganz gleich, wie hoch der Preis auch sein mochte, er würde das Anwesen kaufen.
Morton, der Notar, begrüßte sie in der Halle und führte sie in einen Salon, in dem das meiste Mobiliar mit Laken vor Staub geschützt wurde.
„Leider wird Mrs Stewarts Enkelin Ophelia sich etwas verspäten. Aber sie ist sicher bald hier“, entschuldigte sich der ältere Mann beflissen.
In genau diesem Moment bremste Ophelia ihren zerbeulten Landrover im Hof mit quietschenden Reifen ab. Sie war spät daran, und sie war wütend. Denn obwohl sie den Notar informiert hatte, dass sie heute noch einen anderen Termin wahrnehmen musste, hatte er ihren Einwand ignoriert. Wer Geld hatte, hatte auch das Sagen, und ein griechischer Milliardär war sicherlich ein wesentlich wertvollerer Mensch als sie!
Diese unverfrorene Gleichgültigkeit ärgerte Ophelia maßlos. Die Beerdigung ihrer Großmutter war noch keine Woche her, und jede Minute ihres Tages war seither damit angefüllt, den Berg von Arbeit zu regeln, der sich vor ihr auftürmte. Außerdem hatte der Notar es nicht für nötig gehalten, sie rechtzeitig über die persönliche Anwesenheit von Lysander Metaxis bei der Testamentsverlesung in Kenntnis zu setzen. Dieses winzige Detail hatte er sich bis gestern aufgehoben.
Ophelia eilte durch die Küche. Es war Unsinn, dass Lysander Metaxis nach Madrigal Court eingeladen worden war. Denn was könnte ihre Großmutter schon dem Mitglied einer Familie vermachen, die sie ihr Lebtag verabscheut hatte? Völlig überrascht über Donald Mortons Mitteilung, dass ein Metaxis bei der Testamentseröffnung anwesend sein würde, war Ophelia schließlich zu dem einzig möglichen Schluss gelangt, dass ihre Großmutter bis zum letzten Atemzug noch von Rachegedanken geleitet worden war. Was genau die alte Dame sich ausgedacht hatte, konnte Ophelia sich allerdings beim besten Willen nicht vorstellen.
Ophelia hatte längst akzeptiert, dass Lysander Metaxis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Anwesen kaufen würde. Es war wohl das Beste, was diesem wunderbaren alten Haus widerfahren konnte. Es brauchte jemanden mit genügend Mitteln für die nötigen Renovierungen. Dennoch wäre es ihr lieber gewesen, wenn sie Lysander nicht treffen müsste. Sie konnte nicht vergessen, dass es sein Vater gewesen war, der das Leben ihrer Mutter zerstört hatte. Aristide war ein Playboy gewesen. Reich, verwöhnt und egoistisch. Ein Frauenheld, der sich nicht darum geschert hatte, welchen Schaden er anrichtete. Lysander Metaxis war noch dekadenter als sein verstorbener Vater, obwohl man heutzutage wesentlich toleranter war. Seit dreißig Jahren wäre er der erste Metaxis, der Madrigal Court betrat.
Vor dem Salon holte Ophelia noch einmal tief Luft, dann öffnete sie die Tür und trat ein.
Donald Morton, der Familienanwalt, wirkte gehetzt, als er eilig die formelle Vorstellung übernahm. „Mr Metaxis, das ist Ophelia Carter.“
„Mr Metaxis …“ Die Begrüßung klang mehr als hölzern. Ophelia hielt den Rücken gerade, als der Blick aus den braunen Augen sie traf. Natürlich hatte sie Fotos von ihm in den Zeitungen gesehen, aber sie hätte nicht gedacht, dass er so groß war. Sein Vater war ein eher kleiner, massiger Mann gewesen. Ihr stockte der Atem, denn Lysander Metaxis war ein ausnehmend gut aussehender Mann mit schwarzem Haar und markanten Zügen. Mit jeder Pore strahlte er Macht und Energie aus. Mehr noch … Sogar Ophelia konnte die schwelende Sinnlichkeit dieses Mannes spüren, dabei ließen Männer sie üblicherweise eher kalt.
„Miss Carter.“ Lysander hatte die Augen leicht zusammengekniffen. Irgendetwas an ihr fesselte ihn, er konnte nur nicht sagen, was es war. Sie war klein, mit goldenem Haar wie der Sonnenschein, das sie zu streng zurückgesteckt trug. Ihre Augen hatten die Farbe von hellen Aquamarinen und strahlten aus einem herzförmigen Gesicht. Erst im Nachhinein fiel ihm ihr Aufzug auf – sie trug eine Windjacke und Jeans, die Hosenbeine steckten in lehmigen Gummistiefeln. Als sie die Jacke ablegte, zeigten sich unter der Bluse erstaunlich pralle Kurven über- und unterhalb einer wespenschlanken Taille. Heiß, lautete sein Urteil schließlich. Und zwar richtig heiß. Die Reaktion seines Körpers erfolgte sofort und war schmerzhaft intensiv. Es erstaunte ihn.
Natürlich bemerkte Ophelia den Blick, der auf ihren vollen Brüsten haftete. „Was glauben Sie, wohin Sie da starren?“, fragte sie verärgert.
Lysander konnte sich an kein einziges Mal erinnern, bei dem eine Frau so feindselig auf sein Interesse reagiert hätte. Vor allem nicht eine so winzige Frau, dachte er amüsiert. Wahrscheinlich könnte er sie mit einer Hand hochheben.
„Auf die Stiefel?“, schlug er vor.
Seine tiefe, samtene Stimme jagte Ophelia einen prickelnden Schauer über den Rücken. Als sie auf seinen Blick traf, hatte dieser die Auswirkungen eines Erdbebens auf ihre Fassung. Ihr Mund wurde trocken, ihr Puls beschleunigte sich, ihr Herz schlug wild an ihre Rippen wie ein gefangener Vogel im Käfig.
„Ich habe eine Vorliebe für Stiefel“, fügte er noch träge hinzu. Der Familienanwalt stand stumm dabei und schaute mit wachsender Verwirrung von einem zum anderen. „Mit hohen Absätzen allerdings. Von Lehm und Gummi halte ich nichts.“
Ophelia hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie mit diesem doppeldeutigen, lasziven Ton umgehen sollte, sie wusste nur, dass ihre Wangen brennend heiß wurden. Wortlos ließ sie sich auf einem Sessel nieder und weigerte sich, Lysander noch einmal anzuschauen.
„Wir sollten anfangen“, meinte Lysander ungerührt.
Ophelia musste feststellen, dass sie nach dieser kurzen Vorstellung darauf hoffte, die Testamentsverlesung möge ein riesiges Loch in Lysanders Metaxis’ unglaubliches Ego schlagen. Und sie ärgerte sich über sich selbst. Wieso ließ sie zu, dass er sie so aufrieb?
„Vorab möchte ich einen Punkt klarstellen“, hob Donald Morton angespannt an. „Dieses Testament wurde vor vier Monaten aufgesetzt, als Mrs Stewart sicher wusste, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. Da sie die Möglichkeit einer gerichtlichen Anfechtung ausschließen wollte, unterzog sie sich vorher einer genauesten psychiatrischen Untersuchung. Mrs Stewart war im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, wie die Diagnose bestätigt.“
Ophelias ungute Ahnung wurde stärker. Dieses Testament musste ziemlich ungewöhnlich sein. Sie hoffte nur, sie würde sich gleich nicht in einer extrem peinlichen Situation wiederfinden. Allerdings konnte sie sich auch nicht vorstellen, weshalb sie sich bei der Metaxis-Familie entschuldigen sollte.
„Ich vermache“, begann der Notar aus dem Testament vorzulesen, „Ophelia Carter, meiner Enkelin, und Lysander Metaxis Madrigal Court zu gleichen Teilen, unter der Bedingung, dass sie heiraten …“
„Heiraten?“, fiel Lysander dem Anwalt ungläubig ins Wort, während Ophelia schockiert die Augen aufriss und zur gleichen Zeit ausstieß: „Das ist ja lächerlich!“
„Ich fürchte, dieses Testament ist in der Tat höchst ungewöhnlich. Man hat versucht, Mrs Stewart davon abzubringen, aber die alte Dame hatte sehr genaue Vorstellungen von den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit das Erbe angetreten werden kann. Die Ehe muss mindestens ein Jahr dauern, und Sie beide müssen für die Dauer Ihrer Ehe auf dem Anwesen wohnen.“
Das war das Verrückteste, was Ophelia je gehört hatte! Eine Ehe! Nach allem was passiert war, war allein die Vorstellung ein unglaublicher Affront auf ihren Stolz. Während die Welt ihren Gang ging, war Gladys Stewart in der bitteren Vergangenheit verhaftet geblieben, als Aristide Metaxis Ophelias Mutter Cathy vor über dreißig Jahren vor dem Hochzeitsaltar versetzt hatte.
Das große gesellschaftliche Ereignis, das Gladys mit Stolz erfüllen sollte, war zu einer Erniedrigung der ganzen Familie geworden. Kurz vor der Erfüllung all ihrer Ambitionen, ihre Tochter mit einem gesellschaftlich hoch stehenden und vermögenden Mann zu verheiraten, war die Seifenblase geplatzt. Aristide Metaxis hatte sich für Virginia Waveney entschieden, ein Mädchen aus dem verarmten Adel, deren Familie damals im Pförtnerhaus von Madrigal Court lebte. Unglücklicherweise rieben sich damals viele vor Schadenfreude mehr oder weniger stumm die Hände über Gladys’ Qual, denn besonderer Beliebtheit hatte sie sich nie erfreut. Gladys hatte Wut und Gram in sich hineingefressen und sich davon vergiften lassen.
„Eine Heirat ist keine Option.“ Für diesen verrückten Vorschlag hatte Lysander nichts als kühle Verachtung übrig.
Die Herablassung in seiner Stimme ließ Ophelias Nackenhärchen zu Berge stehen. Pikiert schüttelte sie den Kopf. „Absolut undenkbar! Selbst wenn man mich gefesselt und geknebelt zum Altar zerren würde. Er ist ein Metaxis!“
Der Anwalt schaute sie mit offenem Mund an.
„Versuchen Sie Ihre Vorliebe für Dramatik zu zügeln, bis die legalen Feinheiten geklärt sind“, knurrte Lysander eisig.
Ophelia wusste nicht, wieso sie nicht aufstand und ihm eine Ohrfeige versetzte. Ihre Augen schleuderten Dolche, als sie zu ihm hinblickte. „Mir gefällt Ihr Ton nicht.“
„Ich bin ein Metaxis und stolz darauf.“ Ihrem Blick begegnete er mit einem herausfordernden Blitzen. „Halten Sie den Mund und lassen Sie das die Erwachsenen erledigen.“
Dieses Mal sprang Ophelia empört von ihrem Sitz auf. Es war eine Unverschämtheit, wie dieser Mann sich hier aufführte! „Ich verbitte mir das!“
Es amüsierte Lysander, wie eifrig sie nach dem Köder geschnappt hatte.
„Ophelia … Mr Metaxis“, bat Donald Morton flehentlich. „So lassen Sie mich doch erst einmal zu Ende lesen …“
Mit brennend roten Wagen und hellen Strähnen, die sich aus dem Knoten lösten, stand Ophelia da und zitterte vor Wut. Nur zögernd und höchst unwillig zwang sie sich dazu, sich wieder zu setzen.
„Sollte die Ehe zwischen Ihnen nicht zustande kommen, wird Cedric Gilbert, Ophelias Cousin dritten Grades, das Anwesen erben“, fuhr Donald Morton hastig fort.
„Aber Großmutter konnte Cedric nie ausstehen!“, entfuhr es Ophelia. „Sie hat ihn nicht einmal ins Haus gelassen!“
Cedric war ein vermögender Immobilienspekulant. Als Gladys herausfand, dass der Verwandte ihres Mannes still und heimlich Erkundigungen über Möglichkeiten einzog, auf Madrigal Court ein Bauprojekt mit modernen Mietkomplexen und exklusiven Einfamilienhäusern zu verwirklichen, war sie entsetzt und wütend gewesen.
„Hinzufügen muss ich, dass, sollte Mr Gilbert das Anwesen erben, er sich verpflichtet, den Besitz nicht zu verkaufen und für die Dauer von fünf Jahren auch keine Entwicklung auf dem Land vorzunehmen.“
„Und wenn er sich nicht daran hält?“, hakte Lysander nach.
„Dann fällt das gesamte Anwesen dem Staat zu. Mrs Stewart hat somit sämtliche möglichen Schlupflöcher geschlossen.“
Nur mit Mühe hielt Lysander die Rage im Zaum, die ihn jäh überkam. Er konnte sich an keine Situation erinnern, dass ihn jemand derart in eine Ecke gedrängt hätte. Dafür gebührte der alten Dame sicherlich Respekt, dennoch kochte Lysander innerlich. Er fragte sich, ob Gladys Stewart etwas über seine aktuelle Situation herausgefunden haben könnte und dieses absurde Testament mit diesem Wissen aufgesetzt hatte. Doch wie hätte sie an solch vertrauliche Informationen kommen sollen? In der kurzen Zeit war das undenkbar.
Als der Anwalt die erheblichen Außenstände auflistete, die auf dem Besitz lagen, wurde Ophelia bleich. Wie sollte sie Schulden in einer solchen Höhe je ausgleichen können, selbst nur ihren Anteil? Außerdem war es erniedrigend, die desolate Finanzlage vor Lysander Metaxis offengelegt zu haben.
„Gibt es eine … äh … persönliche Information für mich?“ Ophelia wollte nicht glauben, dass das Testament mit keinem Wort die Existenz ihrer Schwester Molly erwähnte.
Der ältere Mann schaute über den Rand seiner Brille zu ihr hin. „Da ist ein Brief für Sie, der Ihnen aber erst bei der Hochzeit übergeben wird.“
Tiefe Enttäuschung flammte in Ophelia auf. Eine Hochzeit würde nicht stattfinden. Genauso schnell ermahnte sie sich aber auch, wie unsinnig es war zu erwarten, dass ihre Großmutter irgendetwas tun würde, um ihr zu helfen, ihre Schwester zu finden. Rache hatte Gladys ganz offensichtlich immer mehr bedeutet als Familienbande, denn wie hätte sie sonst in ihrem Testament eine solch unmögliche Forderung stellen können? Zwei Fremde sollten heiraten, um ein Haus zu erben? Als ob Lysander Metaxis so etwas nötig hätte!
„Ich wäre Ihnen beiden dankbar, wenn Sie mich Ihre Entscheidung, wie es weitergehen soll, bis zum Ende der Woche wissen lassen könnten“, sagte Donald Morton nahezu entschuldigend.
Lysander erhob sich. „Ophelia, ich möchte, dass Sie mir das Haus zeigen.“
Sie schnaubte. Das hätte sie nun wirklich nicht erwartet. Woher nahm er die Nerven, sie so etwas zu fragen, nach seinem Benehmen ihr gegenüber? Von einer höflichen Bitte war es Lichtjahre entfernt, eher war es ein Befehl. Aber vielleicht wusste er ja gar nicht, was Höflichkeit war. Vielleicht war er ja ein durch und durch arroganter Banause, der nicht die geringste Ahnung von Manieren hatte.
„Tut mir leid, aber im Moment passt es überhaupt nicht.“ Aus den Augenwinkeln sah sie den Anwalt über ihre Weigerung zusammenzucken. Doch Lysander Metaxis ärgerte sie einfach nur, und sie sah keinen Grund, dass zu verheimlichen.
„Ich bitte niemals um einen Gefallen. Sie geben mir eine offizielle Führung, dafür zahle ich die Wasserrechnung“, erwiderte er nüchtern.
Sie traute ihren Ohren nicht. Wie konnte er ihr ein so erniedrigendes Angebot machen? Als könnte er ihre Zeit mit seinem vermaledeiten Geld kaufen! Andererseits … konnte sie es sich leisten, ein solches Angebot abzulehnen? Warum sollte er nicht zahlen? Im Grunde war es ein Sieg für sie – er zahlte eine Strafe für seine Unverschämtheit. Vielleicht war er ja gewöhnt daran, für alles zahlen zu müssen. Es war gut möglich, dass er nur etwas zu schätzen wusste, für das er Geld auf den Tisch legte.
„Die gesamte Wasserrechnung?“, fragte sie betont nach und verdrängte die innere Stimme, die ihr einflüstern wollte, dass aus zwei Fehlern nichts Positives entstehen konnte.
„Ophelia, ich glaube wirklich nicht …“ Donald Morton hielt inne mit dem Zusammensuchen seiner Unterlagen, entsetzt über diese Art von Absprache.
„Ophelia und ich verstehen uns bestens“, entgegnete Lysander geradezu liebenswürdig in Mortons Richtung, bevor er sich kühl wieder an Ophelia wandte. „Ja, die gesamte Wasserrechnung.“
„Ich will das Geld in bar … jetzt sofort.“
Ein knallharter Verhandlungspartner, das musste man ihr lassen. „Ich will die Rechnung sehen.“
„Natürlich, kein Problem“, flötete sie zuckersüß, so als sei ihr jeder Wunsch von ihm Befehl.
Befriedigt in dem Bewusstsein, dass Ophelia Carter für den richtigen Preis genau das tun würde, was er von ihr verlangte, ging Lysander in die Halle und zog sein Handy hervor, um mit seinen Anwälten zu telefonieren. Kurz wanderten seine Gedanken zu Gladys Stewart. Scheinbar eine Lady mit eisernem Willen, die lieber in Armut gelebt hatte als nachzugeben, und die ihren Rachefeldzug selbst vom Grab aus noch weiterführte. Eine Charaktereigenschaft, die ihm unwilligen Respekt abverlangte.
Während er telefonierte, kam Anichka zu ihm und schmiegte sich an ihn. Es irritierte ihn maßlos. Er legte großen Wert auf seinen persönlichen Raum, im Bett und außerhalb des Bettes.
Immerhin hatte er seine Wut jetzt wieder unter Kontrolle. Lysander ließ sich niemals von Emotionen lenken. Er arbeitete längst daran, das Blatt zu wenden und zu gewinnen. Niederlagen akzeptierte er grundsätzlich nicht. Was bedeutete, dass er Ophelia Carter heiraten musste. Eine andere Option gab es nicht. Ein Verzug von fünf Jahren war nicht machbar, und das Testament gerichtlich anzufechten dauerte ebenfalls zu lange, noch dazu mit ungewissem Ausgang. Wenn er also das Haus auf einen repräsentablen Standard bringen wollte, musste es vorab ihm gehören.
Was nun Ophelia betraf … sie sah sich einem unüberschaubaren Schuldenberg gegenüber und war offensichtlich ebenso geldgierig wie jede andere Frau, die er kannte – und gab es zudem unverblümt zu. Sie würde einer Ehe zustimmen, da war er sicher. Hatte sie von dem Testament gewusst? Hatte sie ihrer Großmutter vielleicht sogar dazu geraten? Bevor er mit ihr fertig war, würde er es wissen. Er fragte sich, wie sie wohl im Bett war. Aber auch das würde er bald herausfinden. Ob ihr hitziges Temperament sich im Bett in stürmische Leidenschaft verwandelte?
Das Landleben, für Lysander als Stadtmensch durch und durch immer zu träge und ruhig, erschien ihm plötzlich durchaus reizvoll, wenn sich das Versprechen von einer solch lustvollen Belohnung am Horizont abzeichnete …
Zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte Ophelia die Dienstbotentreppe nach unten. Cedric würde also Madrigal Court erben. Ihre Großmutter musste es mit diesem Testament beabsichtigt haben. Aber Gladys hatte ja immer Männer vorgezogen und sich oft beklagt, dass sie keinen männlichen Erben hatte.
Pamela erwartete sie in der Küche. „Und?“, überfiel sie sie sofort. „Ist Lysander in Fleisch und Blut genauso attraktiv wie auf den Fotos der Klatschmagazine?“
„Lysander besitzt den gewinnenden Charme einer Klapperschlange.“ Beide Frauen vermieden es vorsichtig, den Nachnamen auszusprechen, um Haddock nicht wieder zu einer Schimpftirade zu provozieren.
„Ly-san-der.“ Haddock war ein intelligenter Vogel, der gern und schnell neue Worte aufschnappte.
Diesen Namen würde sie also in Zukunft vermeiden müssen, wenn sie nicht wollte, dass der Papagei ihn konstant vor sich hinplapperte. Stumm kramte sie in der Schublade des alten Küchentischs.
„Was suchst du?“, fragte Pamela. „Wie ist es mit dem Testament gelaufen?“
„Nicht gut. Aber im Moment habe ich keine Zeit, dir alles zu erzählen. Ich muss diesen Mann durch das Haus führen.“
„Warum das denn, um Himmels willen?!“
„Weil er die Wasserrechnung zahlt.“ Der Freundin stand im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offen. Ophelia versuchte sich mit einem lässigen Schulterzucken zu rechtfertigen und streifte sich die Gummistiefel von den Füßen. „Er ist ein arroganter Großkotz. Er hat angeboten, sie zu zahlen, nur um mir unter die Nase zu reiben, dass ich arm bin und er reich. Ich war so wütend, dass ich das Angebot angenommen habe. Warum auch nicht!“
„Ja, warum nicht …“ Pamela war zu überrascht, um mehr zu sagen.
Ophelia eilte schon wieder aus dem Raum, auf den dicken Wollsocken, die sie immer in den Gummistiefeln trug. Bei dem Bild, das sich ihr bot, als sie bei der Halle ankam, stoppte sie abrupt. Lysanders blonde Freundin wand sich praktisch wie eine Liane um ihn, die roten Lippen zu einem Schmollmund verzogen, die Augen halb verhangen. Ihre Hände hatte sie flach auf seiner Brust gespreizt, das Becken aufreizend seinem Schoß entgegengebogen – ein Stillleben, das ein unangenehmes Gefühl in Ophelia hervorrief. Für einen schrecklichen Augenblick war sie unfähig, sich zu rühren oder auch nur wegzuschauen, denn noch nie hatte sie eine Frau gesehen, die einen Mann mit so offensichtlicher Sinnlichkeit anhimmelte.
Doch Lysander blieb scheinbar völlig ungerührt von dem russischen Model. Er hatte Ophelia erblickt und ließ seine Augen auf ihr haften. Ihre hellblauen Augen stachen funkelnd aus ihrem Gesicht heraus, ihr Haar war wirr und ihr Aufzug ein Witz, aber irgendwie gelang es ihr, dennoch umwerfend auszusehen. Das grobe Arbeitshemd und die Jeans taten nichts, um die reizvollen weiblichen Kurven zu kaschieren, im Gegenteil. Und dass sie in dem Garten gearbeitet hatte, der bald ihm gehörte, verlieh dem Ganzen eine besonders pikante Note.
Schon schob er die Blondine von sich. „Lass uns allein, Anichka. Ich möchte mit Miss Carter reden.“
Die Blondine bedachte Ophelia mit einem tödlichen Blick und stolzierte davon, und Ophelia musste zugeben, dass sie Lysander Metaxis nicht sympathisch zu finden brauchte, um dennoch in seiner Gegenwart aufgeregt zu sein.
„Ist das die Wasserrechnung?“ Er zeigte auf das zerknüllte Blatt Papier in ihrer Hand. „Die brauche ich nicht zu sehen, es sollte nur ein Witz sein.“
Er drückte ihr ein Bündel Banknoten in die Hand, und für einen Moment wusste Ophelia nicht, was das sollte, bis ihr klar wurde, dass es Bargeld für die Rechnung war. Sie wurde blass. Jetzt da sie sich wieder beruhigt hatte, sah sie auch, wie falsch es war, Geld von ihm anzunehmen. Doch wie sollte sie es zurückgeben, ohne sich völlig zum Narren zu machen? Also stopfte sie das Bündel mit roten Wangen hastig in die Gesäßtasche ihrer Jeans. Irgendwie würde sie das später regeln.
Mit einer aufmunternden Geste bedeutete Lysander ihr, voranzugehen und mit der Tour durchs Haus zu beginnen.
Ophelia fühlte eine schreckliche Leere in sich. Sie konnte dieses Haus nicht mehr als das ihre bezeichnen. Angespannt wie eine aufgezogene Feder, blieb sie am Fuße der Treppe stehen. „Die Schnitzereien des Geländers datieren zurück auf …“ Weiter kam sie nicht.
„Ersparen Sie mir diesen Touristen-Unsinn“, schnitt Lysander ihr das Wort ab. „Nur die Highlights.“
Sie war empört über seine so schamlos zur Schau gestellte Gleichgültigkeit. Wütend funkelte sie ihn an. Ein Fehler, wie sie feststellen musste. Denn ohne es zu wollen, blieb ihr Blick an ihm hängen und wanderte dann über seine markanten Züge, seinen sinnlichen Mund und verweilte schließlich an seinen dichten schwarzen Wimpern. Der Ärger war vergessen, während ihr Magen Kapriolen schlug und ihre Haut am ganzen Körper prickelte. Ungerührt blickte er ihr in die Augen, und Ophelia glaubte, ersticken zu müssen, weil ihre Kehle wie zugeschnürt war.
Sie riss den Blick los und stieg die Treppe hinauf. „Das ist die Lange Galerie.“
Lysander war ihr gefolgt und sah den langen Korridor entlang. Einst Madrigal Courts Prunkstück, lag alles jetzt unter einer feinen Staubschicht begraben. Die Gemälde, die Familienporträts und das kostbare Mobiliar waren vor Langem verkauft worden, nur zerschlissene Vorhänge an den Fenstern waren übrig geblieben. Doch das störte Lysander nicht. Schon seit Jahren arbeitete ein Team in seinem Auftrag daran, die verloren gegangenen Erbstücke ausfindig zu machen und zurückzukaufen. Er studierte die hohe Decke und den alten knarrenden Holzboden, beides hatte unter der Feuchtigkeit stark gelitten. Statt eines Kommentars presste er die Lippen zusammen.
„Passen Sie auf, wo Sie hintreten. Der Boden ist an manchen Stellen recht morsch“, warnte Ophelia.
„Sie schienen schockiert über das Testament zu sein“, hob Lysander ohne Einleitung an.
„Wer wäre nicht schockiert? Aber meine Großmutter hat immer nach eigenen Vorstellungen gelebt. Sie liebte Geheimnisse.“ Sie sah keinen Sinn darin, mit ihm über das Testament zu reden. Ihrer Überzeugung nach hatte er keinen Anspruch darauf, darin überhaupt Erwähnung zu finden. Es tat ihr auch keineswegs leid, dass besagte Erwähnung nur eine Enttäuschung für ihn gewesen sein konnte. Sie schaute ihn nicht an. Es erschütterte und beschämte sie, dass sie sich zu einem Mann hingezogen fühlen konnte, wenn ein Stockwerk tiefer seine Geliebte auf ihn wartete. Allerdings schien ihr gesunder Menschenverstand sich verabschiedet zu haben, stattdessen war ihr Körper erfüllt von diesem verrückten Prickeln, das ständig ihrer Vernunft in die Quere kam.
„Ihnen ist klar, dass ich dieses Anwesen unbedingt kaufen möchte.“
Ophelia schob die Tür am Ende der Galerie auf. „Sie sind doch ein reicher Mann. Ich bin sicher, Cedric wird Ihnen das Haus verkaufen, sobald die Möglichkeit gegeben ist.“
Seine Miene wurde hart. „Ich habe nicht vor, fünf Jahre zu warten.“
„Ich fürchte, Ihnen wird gar nichts anderes übrig bleiben.“ Es würde ihm nicht schaden, auch mal auf etwas warten zu müssen. Sicherlich würde er es Cedric sehr schmackhaft machen, der über den plötzlichen Wert seiner Erbschaft höchst erfreut sein musste. Und wie stand es nun um ihre Chance, den Garten innerhalb der Mauer von Cedric zu mieten? Ihr Mut sank, als ihr die zu erwartende Antwort bewusst wurde.
„Wir haben noch eine andere Wahl.“ In dem Moment, da er es aussprach, sank er mit einem Fuß durch die brüchigen Holzbohlen. Er fluchte deftig in Griechisch und zog den Fuß aus dem splitternden Holz zurück.
„Ich hatte Sie gewarnt!“ Ophelia stöhnte auf. „Im obersten Stockwerk gibt es reichlich Löcher, aber bisher war es mir gelungen, diesen Stock hier noch in Ordnung zu halten.“
Das war eindeutig ein Vorwurf statt einer Entschuldigung oder Sorge. Lysander schwankte zwischen Ärger und Erstaunen. „Ich hätte mich verletzen können.“
„So empfindlich sind Sie nicht. Aber unter diesem Boden ist eine nicht zu ersetzende, fünfhundert Jahre alte Decke“, konterte sie feindselig.
Ophelia führte ihn herum, und Lysander missfiel alles, was er zu sehen bekam – der Zerfall und Niedergang von einstiger Grandeur. Als sie vorschlug, ihn über das Grundstück zu führen, lehnte er ab und geleitete sie zurück zum Salon.
„Wir müssen über das Testament reden.“ Lysander hatte ein Ziel im Auge: ihr Einverständnis für die Erfüllung der Bedingungen zu erhalten und dann ohne weiteren Verzug nach London zurückzukehren. „Ich will dieses Haus, und obwohl ich mich normalerweise nie erpressen lasse, bin ich bereit, Sie dafür sogar zu heiraten.“
Ophelia konnte ihn nur stumm anstarren. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, ein so reicher Mann wie er würde eine Fremde heiraten, um ein altes Haus zu bekommen. Vor allem nicht, wenn er nur fünf Jahre zu warten brauchte und es dann kaufen konnte. „Das meinen Sie nicht ernst!“, entfuhr es ihr.
„Doch, durchaus.“
Sie schüttelte den Kopf, und der Knoten löste sich endgültig. Ungeduldig zog sie den Clip aus den Haaren und raffte die blonden Strähnen mit den Fingern zusammen, um sie wieder festzustecken. „Das ergibt doch keinen Sinn!“
„Für mich schon.“
Natürlich merkte sie ihm das männliche Interesse an ihr an, doch sie ignorierte es und ging zum Fenster. Doch dann wandte sie sich empört um. „Sie können warten, um es von Cedric zu kaufen! Oder Sie sollten Ihre Anwälte daransetzen, einen Kompromiss auszuhandeln. Wenn jemand so reich ist wie Sie, gibt es immer Mittel und Wege. Wieso haben Sie es so eilig? Ich weiß, das Anwesen war jahrhundertelang im Besitz Ihrer Familie, aber die Geschichte des Hauses interessiert Sie doch offensichtlich nicht.“
Lysander zog überheblich eine Augenbraue in die Höhe. „Ich habe meine Gründe. Die ich Ihnen nicht mitteilen muss.“
Seine Arroganz war fast unerträglich. „Stimmt. Aber vorzuschlagen, dass wir heiraten, als würde es nichts bedeuten …“
„Es bedeutet nichts, genau. Eine stille standesamtliche Trauung, mehr ist es nicht. Und es ist der einfachste Weg für mich, Madrigal Court zu erlangen. Das Gebäude ist bereits in einem mehr als schlechten Zustand. Wie wird es wohl in fünf Jahren aussehen, wenn nichts daran getan wird? Ich dagegen habe vor, sofort ein Team von Architekten und Handwerkern an die Arbeit zu schicken.“
Ophelia musste sich wirklich zusammennehmen. Wie konnte er es wagen, eine Heirat vorzuschlagen, nur damit er das Haus früher bekommen konnte? War er denn so unsensibel? Ophelia war groß geworden mit der traurigen Geschichte, wie Aristides Metaxis ihre Mutter vor dem Altar versetzt hatte. Jedes Mal nach ein oder zwei Drinks hatte Cathy endlos über ihre einzige wahre Liebe und ihr gebrochenes Herz lamentiert. Sie war nie über ihre Gefühle für Aristide hinweggekommen, und letztendlich hatte es sie zerstört.
„Es hat keinen Zweck, weiter über eine Heirat zu reden, standesamtlich oder anders.“ Ihre Stimme klang flach und tonlos, aber endgültig. „Ich könnte es nicht tun.“
„Natürlich können Sie. Ich versichere Ihnen, die finanziellen Vorteile für Sie wären beträchtlich.“
Ophelias Gesicht verlor alle Farbe. Das Bündel Geldscheine in ihrer Hosentasche schien sich durch den Stoff in ihr Fleisch zu brennen. „Vermutlich bin ich selbst schuld, dass Sie mir ein solches Angebot machen.“ Sie zog die Scheine aus der Tasche und schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch. „Hier, nehmen Sie Ihr Geld zurück. Vorhin habe ich Sie dummerweise provoziert. Doch noch kenne ich den Unterschied zwischen richtig und falsch.“
Er lächelte dünn. „Sie hören sich an wie ein kleines Mädchen. Ideale sind eine wunderbare Sache, wenn man sie sich leisten kann.“ Diese Show zog sie nur ab, um den Preis in die Höhe zu treiben, davon war er überzeugt. „Wenn ich gehe, verlieren Sie Ihren Anteil am Haus und sehen sich einem enormen Schuldenberg gegenüber. Stimmen Sie einer Heirat mit mir zu, und Sie werden sich nie wieder Sorgen um Geld machen müssen. Ich bin sehr großzügig denjenigen gegenüber, die mich zufriedenstellen.“
Seine Weigerung, ein Nein zu akzeptieren, ließ Ophelias Temperament explodieren wie einen Geysir. „Leider habe ich nicht das geringste Bedürfnis, Sie zufriedenzustellen.“
Lysander lachte heiser. „Ich denke, wir beide wissen, dass ich Sie ohne Mühe dazu bringen könnte, Ihre Meinung zu ändern.“
Sie war wütend und entsetzt, dass er ihre Reaktion auf ihn bemerkt hatte, dennoch jagte ihr sein Lachen einen Schauer über den Rücken. Selbst in seiner Unverschämtheit lag eine seltsame sexuelle Macht, allerdings fraß es auch an ihrem Stolz wie Säure. „Nein, das schaffen Sie nicht, schon aus dem einfachen Grund, weil ich Leute wie Sie nicht mag. Eine Ehe könnte ich nie derart auf die leichte Schulter nehmen, nur damit ich mein Ziel erreiche.“
„Ob Sie mich mögen oder nicht sollte keinen Einfluss auf Ihre Entscheidung haben“, konterte er nüchtern. „Denken Sie doch mal nach. Diese Ehe könnte man höchstens als geschäftliche Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen bezeichnen. Sie brauchen Geld, und ich will das Haus.“
„Ich habe aber keine Lust, die Spiele meiner Großmutter oder Ihre mitzumachen. Und offen gesagt … ich will Ihr Geld nicht!“ Sie konnte ihren Abscheu nicht verbergen. „Sie können mich mit Ihrem Geld nicht erpressen, das zu tun, was Sie wollen. Sicher, ich werde eine lange Zeit damit zubringen, Schulden abzuzahlen, aber ich werde immer mit stolz erhobenem Kopf durchs Leben gehen können. Im Gegensatz zu Ihnen halte ich mich an meine Prinzipien.“
Kein Muskel regte sich in Lysanders Miene, allerdings schien die Temperatur in dem Zimmer unter null gefallen zu sein. „Ich lasse mich nicht beleidigen.“
„Ich beleidige Sie nicht. Ich stelle lediglich fest, dass Sie scheinbar keine Skrupel haben. Für Sie steht das, was Sie wollen, immer an erster Stelle. Das sollte mich nicht überraschen, schließlich sind Sie ein Metaxis.“
„Und ich bin stolz auf diese Abstammung. Was Sie allerdings aufzuregen scheint.“ Der Blick aus den braunen Augen forderte sie heraus.
Die Kälte im Zimmer und seine Regungslosigkeit waren einschüchternd. Ihr Herz schlug heftiger. Der Mann war hart und unnachgiebig, ganz anders als der seichte Charmeur, der sein Vater gewesen war. Und warum sollte sie sich vom Testament ihrer Großmutter manipulieren lassen? Sie hatte getan, was jede gute Enkelin tun würde, aber jetzt war es an der Zeit, ihr eigenes Leben wieder aufzunehmen.
„Wir haben einander nichts mehr zu sagen.“ Sie ging zur Tür und öffnete sie, eine Aufforderung für ihn, zu gehen.
„Ich mag es nicht, wenn man Spielchen mit mir treibt“, erwiderte er grimmig.
„Sie hören einfach nur ungern ein Nein“, berichtigte Ophelia. Ihrer Meinung nach müsste er es sehr viel öfter hören.
„Und Sie haben ein Vorurteil gegenüber meiner Familie.“
Die Bemerkung ließ einen Hauch Rot auf ihre Wangen ziehen. „Schon möglich“, sagte sie bedauernd. „Aber dagegen kann ich nichts tun.“
„Wie können Sie zulassen, dass etwas, das vor dreißig Jahren passiert ist, heute noch Einfluss auf Sie hat? Damit hatten wir nichts zu tun.“ Mit einem kalten Lächeln schob er ihr seine Visitenkarte in die Hemdtasche, und Ophelia musste die Zähne zusammenbeißen. „Meine Privatnummer. Aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen … Sie haben meine Zeit verschwendet, deshalb wird es keinen so guten Deal mehr geben.“
„Ich werde Sie nicht anrufen“, fauchte sie.
Mit funkelnden Augen sah er auf sie herunter. „Sie werden zu mir kommen“, weissagte er überzeugt.
Ophelia hielt den Atem an. Es überlief sie abwechselnd heiß und kalt. Und als Lysander den Korridor entlangging, verschränkte sie trotzig die Arme vor der Brust. Niemals! wollte sie ihm hinterherrufen, doch diese ungewohnte Rage erschütterte sie so sehr, dass sie sich selbst nicht traute, überhaupt etwas zu sagen. Während sie auf das Donnern des davonfliegenden Hubschraubers lauschte, merkte sie, dass sie so verspannt war, dass ihre Muskeln schmerzten. Noch nie in ihrem ganzen Leben war sie so wütend gewesen, sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie zu solcher Wut fähig war. Bis sie mit Lysander Metaxis zusammengetroffen war, hatte sie sich immer für einen ausgeglichenen und toleranten Menschen gehalten.
Eine Stunde später fuhr Ophelia die lange Auffahrt hinunter zu dem Pförtnerhaus, das Pamela von Metaxis Immobilien gemietet hatte. Sie fand Pamela in der Küche, wo sie unzählige Gerichte für ihren kleinen, aber sehr gefragten Party-Service vorbereitete. Die Nerven noch immer bis zum Zerreißen gespannt, war Ophelia froh, sich bei der Freundin aussprechen zu können, und berichtete alles bis ins kleinste Detail.
Der Rotschopf hörte fasziniert zu, die Augen wurden immer größer. „Du liebe Güte! Wieso sollte ein Milliardär derart versessen darauf sein, Madrigal Court in seine Finger zu bekommen?“
„Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal.“
„Vielleicht hat er ein geologisches Gutachten erstellen lassen, und unter dem Haus liegt eine Goldmine. Oder Erdöl. Könnte doch sein“, verteidigte sie sich, als Ophelia ihr einen zweifelnden Blick zuwarf. „Ich hab neulich ein paar Typen auf dem Feld neben deinem Garten Vermessungsarbeiten machen sehen. Ich glaube sogar, sie sind reingegangen …“
„Du hast Landvermesser auf dem Grundstück gesehen und mir nichts davon gesagt?!“
„Ich dachte, sie wären nur neugierig. Und außerdem hattest du da andere Sachen im Sinn. Du brauchtest die Aufregung wirklich nicht“, rechtfertigte Pamela sich leicht betreten.
„Entschuldige.“ Ophelia seufzte. „Ich bin einfach nur schrecklich gereizt.“
„Du hast völlig recht“, lenkte Pamela jetzt ein, „dich an deine Prinzipien zu halten. Trotzdem schade. Das Geld hättest du gut gebrauchen können, um die Schulden abzuzahlen. Du hättest auch einen Privatdetektiv anheuern können, der deine Schwester sucht. Ich wette, es wäre sogar noch genügend übrig geblieben, um die Dinge mit deinem geplanten Gartenmarkt so richtig in Schwung zu bringen.“
Ophelia sackte in sich zusammen. Molly! Wieso hatte sie bisher nicht daran gedacht, dass ihrer Schwester ebenfalls ein Anteil an Madrigal Court zustand? Jede Entscheidung, die fiel, würde auch Molly betreffen. Leider hatte Gladys immer eine andere Einstellung zu der unehelich geborenen Molly gehabt.
Ihre Mutter starb bei einem Zugunglück, als Ophelia sechzehn gewesen war. Gladys war damals nach Schottland gekommen, um die beiden Mädchen nach Madrigal Court zu holen. Zwei Tage später war Ophelia von der Schule zurückgekommen und musste feststellen, dass ihre kleine Schwester mitsamt all ihren Sachen verschwunden war. Ophelia war völlig verzweifelt gewesen, doch Gladys hatte kein Mitleid gezeigt.
„Mollys Vater hat sie abgeholt. Er wird sich von nun an um sie kümmern“, hatte Gladys Ophelia informiert. „So sollte es auch sein. Sie hat nie zu uns gehört.“
Nie würde Ophelia den Schmerz vergessen, den die Trennung von der kleinen Schwester ihr verursacht hatte. Sie tröstete sich damit, dass man durch Briefe und Besuche in Verbindung bleiben würde. Doch das geschah nicht, und die Großmutter hatte damals nur immer wieder gleichgültig mit den Schultern gezuckt. Heute war Ophelia überzeugt, dass sehr viel mehr mit dieser Geschichte zusammenhing, als Gladys je hatte zugeben wollen.
Sie musste sich im Klaren darüber sein, dass, wenn sie das Erbe verweigerte, Mollys Ansprüche ebenfalls verloren gingen. Molly musste jetzt siebzehn sein. Wenn sie sich je wiederbegegneten, würde sie Ophelia verzeihen, dass diese mit ihrer Entscheidung auch die Schwester um ihr Erbteil gebracht hatte?
„Vielleicht war es ein wenig vorschnell, Lysanders Angebot abzulehnen“, murmelte sie seufzend und verabscheute sich gleichzeitig dafür, dass sie scheinbar zu den Frauen gehörte, die alle fünf Minuten ihre Meinung änderten.
Ophelia schlief unruhig in dieser Nacht. Umso mehr frustrierte es sie, als sie am Morgen feststellen musste, dass die Telefonnummer, die Lysander ihr hinterlassen hatte, lediglich zu einer kurz angebundenen Sekretärin führte, statt zu ihm selbst. Nein, Mr Metaxis sei geschäftlich im Ausland, man könne erst für nächste Woche einen Termin in London ausmachen.
So wartete Ophelia ungeduldig auf den Termin, was der Neugier auf den geheimnisvollen Brief, der ihr erst bei einer Hochzeit überreicht werden würde, ausreichend Nährboden lieferte. Dieser Brief bildete ein ebenso unverständliches Teil in diesem seltsamen Puzzle wie das Testament selbst. Ob dieser Brief ihr eröffnen würde, wie und wo sie Molly finden konnte? Plötzlich verspürte sie eine sehr viel stärkere Motivation, dieser Heirat zuzustimmen.
Und was würde es sie schon kosten? Die völlig bedeutungslose Verbindung zu dem Mann, den sie verabscheute, würde sehr bald wieder gelöst werden. Schließlich war es keine wirkliche Ehe. Ophelia zweifelte nicht daran, dass Lysander Metaxis weiterhin ohne Einschränkung seiner überaktiven Libido frönen würde. Bei der Vorstellung, wie eine Parade von lüsternen Schönheiten zu jeder Tages- und Nachtzeit durch Madrigal Court zog, schnitt Ophelia eine Grimasse. Mit Sicherheit würden sie alle wie Kletten an ihm hängen, in dieser lasziven, provozierenden Art, die Ophelia in endlose Verlegenheit stürzte. Andererseits … ihr Schlafzimmer lag im hinteren Flügel, und wenn er im Haus war, würde sie bestimmt ausreichend Möglichkeiten finden, ihm aus dem Weg zu gehen.
Ihre düsteren Überlegungen an diesem Tag wurden durch einen unerwarteten Anruf unterbrochen. Donald Morton bat sie, in seine Kanzlei zu kommen. Als sie zu ihm ging, erfuhr sie die nächste Hiobsbotschaft. Lysander Metaxis’ Anwälte hatten ihn aufgesucht, mit der formellen Order, Ophelia müsse die Nutzung des eingemauerten Gartenstücks einstellen.
Ophelia starrte den Anwalt verwirrt an. „Aber wieso? Ich verstehe nicht …“
„Man hat mich darauf hingewiesen, dass Ihr Großvater vor zwölf Jahren den Garten und die drei Felder, die danebenliegen, an einen ansässigen Bauern verkauft hat. Ihre Großmutter scheint nicht gewusst zu haben, dass der Garten in den Verkauf eingeschlossen war.“
Vor zwölf Jahren hatte Ophelia nicht auf Madrigal Court gelebt, sondern noch bei ihrer Mutter. „Ich weiß, dass die Felder vor Ewigkeiten verkauft wurden, aber der Garten … Das ist doch unmöglich.“
„Ich war damals nicht involviert, aber man hat mir Kopien der Verträge vorgelegt und überlassen. Ich kann Ihnen versichern, dass der Garten in die veräußerte Parzelle eingeschlossen ist.“ Morton erklärte ihr, dass der Sohn des Bauern eigentlich eine Baumschule dort einrichten wollte, doch dann war er plötzlich und unerwartet verstorben, und der alte Bauer hatte keine Verwendung für das Stück, sodass bisher niemand an Ophelia herangetreten war.
Sie hörte mit wachsender Bestürzung zu. Metaxis Immobilien hatte den Bauern vor vier Jahren ausgekauft, das wusste sie. Irgendwie musste übersehen worden sein, dass der Garten Teil der gekauften Parzelle war.
Der Boden schien ihr unter den Füßen wegzubrechen. „Sie sagen mir hier, dass ich seit fünf Jahren unbefugt fremdes Land bewirtschafte? Dass mein Garten offiziell Lysander Metaxis gehört?“
„Und alles, was sich innerhalb der Mauern befindet.“
Ophelia konnte nur mechanisch nicken, während sie die Worte des Anwalts hörte, wie sehr er es bedaure, und dass sie absolut nichts unternehmen könne.
Benommen fuhr sie von der Kanzlei direkt zu ihrem Garten. Zumindest versuchte sie es. Doch Metaxis Immobilien verschwendete keine Zeit. Das Land, das ihnen gehörte, wurde bereits mit schimmernden grünen Metallzäunen abgegrenzt. Tore waren errichtet worden, eines davon auch vor dem Weg, der zum Garten führte. Ophelia fuhr an den Arbeitern vorbei und bremste den Wagen vor dem Tor am Weg ab. Sie sprang vom Fahrersitz und musste feststellen, dass ein schweres Vorhängeschloss ihr jetzt den Zutritt zum Garten, seit Jahren ihr Traum und ihre Arbeit, verwährte.
Sie schäumte schier über vor Wut. Sollte ich einer Heirat mit Lysander Metaxis zustimmen, dann werde ich ihm dafür den Hals umdrehen, dachte sie düster.
Denn sie zweifelte keine Sekunde daran, wer der Verantwortliche war, der sie von ihren geliebten Pflanzen trennte.
Noch am gleichen Tag, an dem Ophelia ihre Einwilligung in eine Heirat mit ihm verweigert hatte, begann Lysander mit der Zusammenstellung eines professionellen Teams, das die zügige Renovierung von Madrigal Court übernehmen würde.
Er zweifelte nicht daran, dass – mit den richtigen Anreizen – Ophelia sich letztendlich anders entscheiden würde. Ihr klarzumachen, dass ihr Garten sich auf einem fremden Grundstück befand, war nur ein Warnschuss für sie. Sie sollte erkennen, wie schwierig ihr Leben ohne seine Unterstützung werden konnte. Außerdem war er überzeugt, dass sie sich nie mehr die Hände mit Gartenerde schmutzig machen würde, sobald er anfing, die Rechnungen zu begleichen.
Als Mann, der keine Zeit verschwendete, hatte er seinem Rechtsanwaltsteam den Auftrag erteilt, einen Ehevertrag auszuarbeiten, und sich bereits nach den Möglichkeiten für eine diskrete Eheschließung erkundigt. Die Nachricht, dass Ophelia um einen Termin mit ihm ersucht hatte, überraschte ihn nicht. Allerdings würde das nun warten müssen, bis er aus Griechenland zurück war.
Auch in Griechenland verwandte Lysander jede Minute des Tages auf seine Arbeit. Das war immer sein Weg gewesen, um sich von Problemen oder Sorgen abzulenken. Sobald sich ein negativer Gedanke einschleichen wollte, oder auch irgendetwas anderes, das eine emotionelle Reaktion nötig machen würde, vergrub er sich erst recht in Arbeit.
An dem Tag, als er nach London zurückkehrte, berichteten die Schlagzeilen in der Finanzwelt von einem weiteren Millionen-Deal, den Finanzgenie Lysander Metaxis abgeschlossen hatte. Doch Lysander feierte seinen Erfolg lieber allein und gab die Order, ein Diamantcollier an Anichka zu schicken. Als Abschiedsgeschenk.
Er hatte noch nie etwas für das Landleben übrig gehabt. Die Aussicht auf Wochenenden auf dem Land, zusammen mit Ophelia, gewann allerdings seltsamerweise immer mehr an Reiz, so als würde eine geheimnisvolle Aura von verbotener Erotik aufkeimen. Dabei sagte ihm sein Verstand laut und deutlich, dass Ophelia nicht sein Typ war, sie war zu klein, zu streitsüchtig und achtete zu wenig auf ihr Äußeres. Ebenso stellte sein Verstand nüchtern fest, dass er Anichka bereits nach zwei Wochen leid gewesen war. Sein Verschleiß an Frauen wurde langsam exzessiv. Ein Wechsel in Stil und Tempo konnte ihm also nur guttun. Er stellte sich Ophelia als laszive Schönheit auf einem Himmelbett vor, die nichts anderes trug als ein einladendes Lächeln auf den Lippen, und seine Libido schaltete automatisch in den Überholgang.
Als er dann jedoch den traurigen Zustand des großen Bettes und die zerfetzten Vorhänge wieder vor sich sah, drohte die schöne Fantasie in sich zusammenzubrechen. Er setzte sich mit seinem Hauspersonal in Verbindung und gab zum ersten Mal einen speziellen Möbelwunsch in Auftrag – ein Vier-Pfosten-Bett mit Baldachin. Das perfekte Hochzeitsgeschenk!
Ophelia eilte auf den Lift im Metaxis-Gebäude zu.
Um rechtzeitig für den Termin nach London zu kommen, hatte sie den Zug schon im Morgengrauen nehmen müssen. Sie trug eine schwarze Jacke und einen knielangen grauen Rock. Übrigens eine Kombination, in der sie bei allen ernsten Anlässen erschien … wie Kirchgänge und Beerdigungen.
Sie musste daran denken, dass sie noch nie gut darin gewesen war, sich unterwürfig zu zeigen. Lysander würde ihre Kapitulation bis zur Neige auskosten. Es fraß sie bei lebendigem Leibe auf, aber es ließ sich nicht ändern. Er hatte das Undenkbare getan – er hatte sie aus ihrem Garten ausgeschlossen! Jede Pflanze, jeder Busch, jeder Baum war von ihr mit Liebe und Sorgfalt herangezogen und hingebungsvoll gepflegt worden. Gladys Stewart war eine kaltherzige Bezugsperson für einen Teenager gewesen, der über den Verlust von Mutter und Schwester trauerte. Ophelia hatte Trost in der Gartenarbeit gefunden, hatte den Wechsel der Jahreszeiten genossen und war zu dem Schluss gekommen, dass die Beziehungen zu Pflanzen erfüllender und verlässlicher waren als die zu Menschen.
Hier in dem riesigen Klotz aus Metall und Glas voller Menschen, die mit ernsten Gesichtern hektisch umhereilten, fühlte sie sich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Es überraschte sie, welche Aufmerksamkeit man ihr entgegenbrachte, sobald sie am Empfang den Termin mit Lysander Metaxis erwähnte. Diensteifrig geleitete man sie zu seinem Büro – lieferte sie ab wie ein Paket. Er telefonierte, sprach in fließendem Französisch, und bei seinem Anblick in dem maßgeschneiderten anthrazitfarbenen Anzug machte ihr Herz einen dummen Hüpfer, wofür Ophelia sich sofort still schärfstens tadelte.
Lysander beendete das Gespräch und studierte Ophelia lange unter dichten Wimpern hervor. Das anerkennende Auffunkeln erlosch und machte einem eiskalten Ausdruck Platz. Die Schönheit ihres Gesichts, umrahmt von dem goldenen Haar, und die seltene Farbe ihrer klaren Augen waren außergewöhnlich. Doch das langweilige, nichtssagende Kostüm war einfach grässlich, und es ärgerte ihn, dass sie sich nicht mehr Mühe mit ihrem Äußeren gegeben hatte.
„Ihre Starrhalsigkeit hat eine Verzögerung von einer ganzen Woche verursacht“, eröffnete er das Gespräch ohne Einleitung.
Ophelia ermahnte sich, selbst im Angesicht dieses Vorwurfs ruhig zu bleiben. „Mit Halsstarrigkeit hatte es nichts zu tun. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken.“
„Aber sicher.“ Er sagte das mit solcher Ironie, dass es nur beleidigend sein konnte.