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Mit ihrem flammendroten Haar und ihren verführerischen Kurven weckt die schöne Beth heißes Begehren in Dante Cavallo. Aber Vorsicht: Sein Instinkt als Anwalt sagt ihm, dass sie etwas vor ihm verbirgt
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Seitenzahl: 177
Jacqueline Baird
Verrat mir dein sinnliches Geheimnis
IMPRESSUM
JULIA EXTRA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH
© 2013 by Jacqueline Baird Originaltitel: „The Cost of her Innocence“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 377 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Trixi de Vries
Fotos: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733703905
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Noch einmal, Miss Mason: Haben Sie die Anklage gegen Sie verstanden?“
Es dauerte eine Weile, bevor Jane mit vor Angst brüchiger Stimme antworten konnte. „Ja.“
Ihr war noch immer unbegreiflich, wie sie auf die Anklagebank geraten war. Man warf ihr Drogenbesitz vor, außerdem Handel mit Drogen. Dabei studierte sie seit zwei Jahren Betriebswirtschaft und arbeitete an fünf Abenden in der Woche in einem Imbiss, um ihr Studium zu finanzieren. Diese ganze Geschichte kam ihr wie ein Albtraum vor. Hoffentlich war der bald überstanden!
Leider holte die Realität sie schnell wieder ein, als der Richter ungeduldig fragte: „Plädieren Sie auf schuldig oder nicht schuldig, Miss Mason?“
Am ganzen Körper bebend, hob sie den Kopf und stieß verzweifelt hervor: „Nicht schuldig!“
Warum glaubt mir denn keiner? Völlig aufgelöst warf sie einen hilfesuchenden Blick auf Miss Sims, ihre Pflichtverteidigerin. Doch die war in die Akte in ihrer Hand vertieft und beachtete ihre Mandantin nicht weiter.
Dante Cannavaro lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, während die Vorbesprechung im Gericht weiter andauerte. Wenn Henry Bewick, der Chef der Kanzlei, in der Dante am Anfang seiner Karriere als Praktikant gearbeitet hatte, ihn nicht inständig gebeten hätte, den Fall zu übernehmen, säße er jetzt nicht hier.
Inzwischen war Dante neunundzwanzig Jahre alt und hatte sich einen Namen als international agierender Wirtschaftsanwalt gemacht. Als Strafverteidiger war er schon lange nicht mehr tätig gewesen. Doch seinem alten Boss zuliebe hatte er sich mit der Anklageschrift vertraut gemacht. Für ihn war der Fall ziemlich eindeutig: Ein Auto hatte Miss Masons Wagen seitlich abgedrängt. Als die Polizei bei der Unfallaufnahme nach ihrem Führerschein fragte, hatte die junge Frau nervös in ihrer Handtasche gekramt. Dabei fiel ein verdächtig wirkendes Päckchen heraus. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um Drogen. Die einzige andere Person im Fahrzeug entpuppte sich als der ziemlich betrunkene Timothy Bewick – Henrys Sohn. Das Mädchen hatte behauptet, nichts von den Drogen zu wissen und angedeutet, dass jemand anders, möglicherweise Henry Bewicks Sohn, ihr das Zeug untergeschoben haben musste.
Dante hatte Timothy Bewick kennengelernt, der ganz offensichtlich bis über beide Ohren in das Mädchen verliebt war und zögerte, gegen sie auszusagen. Dante, der bis zu diesem Zeitpunkt nur ein Foto von Miss Mason gesehen hatte, konnte ihn gut verstehen. Das Bild zeigte eine hochgewachsene schwarzhaarige Schönheit in knappem Top und winzigen Shorts, die ihre beachtlichen Kurven und langen Beine perfekt zur Geltung brachten. Miss Mason hätte jeden Mann in Versuchung geführt, und ein hormongesteuerter Teenager hatte nicht den Hauch einer Chance. Also hatte Dante die Verteidigung des jungen Bewick übernommen.
Jetzt sah er auf, als die Angeklagte im Gerichtssaal hartnäckig ihre Unschuld beteuerte. Lügnerin, dachte Dante und musterte sie eingehend. Heute war Miss Mason wesentlich unauffälliger gekleidet als auf dem Foto. Das lange Haar war hochgesteckt, sie war ungeschminkt und trug einen schlichten schwarzen Hosenanzug – vermutlich auf Anraten ihrer Verteidigerin.
Doch damit hatte Miss Sims ihrer Mandantin keinen Gefallen erwiesen. Denn der perfekt geschnittene Anzug schmeichelte den festen Brüsten, der schmalen Taille und den wohlgerundeten Hüften und ließ Miss Mason älter wirken als ihre neunzehn Jahre. Ein Umstand, der ihm in die Hand spielen würde, wenn er Timothy Bewick in den Zeugenstand rief. Die Geschworenen würden natürlich dem verliebten Jungen glauben, nicht der viel erfahrener wirkenden jungen Frau.
Dante erhob sich und blickte der Angeklagten zynisch lächelnd in die Augen. Sie schien ihn anzuflehen, ihr zu glauben. Gleichzeitig meinte er festzustellen, dass ihre Augen sich verdunkelt hatten – ein Zeichen sexuellen Interesses. Dafür sprach auch, dass sie sich die sinnlichen Lippen befeuchtete. Selbst Dante blieb dafür nicht unempfänglich und musste ihr ein gewisses Talent als Verführerin zugestehen. Kein Wunder, dass der junge Bewick verrückt war nach ihr! Nur zu gut erinnerte Dante sich, wie sich das anfühlte und nahm sich vor, die Aussage der aufreizenden Jane Mason nach allen Regeln der Kunst zu zerpflücken.
Janes Blick ruhte auf dem großen schwarzhaarigen Mann, der aufgestanden war und sich ihr zuwandte. Sein Lächeln nahm ihr den Atem, sie schöpfte neue Hoffnung. Endlich ein freundliches Gesicht. Der attraktive Anwalt strahlte Selbstbewusstsein, Anteilnahme und pure Männlichkeit aus. Er musste doch merken, dass sie die Wahrheit sagte! Das spürte sie instinktiv …
Als das Gefängnistor hinter Jane Mason zufiel, konnte sie es noch immer nicht fassen, wie sehr sie sich in diesem Mann getäuscht hatte. Ängstlich betrachtete sie das furchteinflößende Gebäude, in dem sie die kommenden drei Jahre eingesperrt sein würde. Bei guter Führung vielleicht auch nur halb so lange. Jedenfalls hatte Miss Sims, ihre absolut unfähige Strafverteidigerin, ihr das in Aussicht gestellt.
Achtzehn Monate später …
„Es fällt mir so schwer, dich hier zurückzulassen, Helen“, schluchzte Jane und schaute die ältere Frau verzweifelt an. „Ohne dich hätte ich die Zeit hier im Gefängnis sicher nicht überlebt.“ Schweren Herzens umarmte sie die Freundin, die ihr buchstäblich das Leben gerettet hatte.
„Schon gut, Kleines.“ Helen gab ihr einen Kuss auf die Wange und löste sich lächelnd von Jane. Dann wurde sie ernst. „Keine Tränen, Jane! Ab heute bist du wieder ein freier Mensch. Wenn du dich an unsere Absprachen hältst, wird alles gut.“
„Darf ich dich wirklich nicht besuchen, Helen? Ich werde dich schrecklich vermissen.“
„Nein, Jane. Meine Tochter musste mit achtzehn Jahren sterben, und dein Leben wurde beinahe zerstört durch falsche Freunde und eine völlig unfähige Anwältin. Denk immer daran, was ich dir gesagt habe: Auf der Welt geht es nicht gerecht zu. Aber du musst das Unrecht vergessen, das dir zugefügt wurde, sonst wirst du eine verbitterte, zynische Frau. Denk nur an deine Zukunft. So, und nun ab mit dir! Mein Anwalt Clive Hampton erwartet dich draußen. Du kannst ihm vertrauen. Hör auf seinen Rat. Geh selbstbewusst, stolz und mit offenen Augen durchs Leben, wie die erfolgreiche Frau, die du zweifellos werden wirst.“ Helen drückte sie ein letztes Mal an sich. „Viel Glück!“
„Schönen Feierabend, Mary“, rief Beth Lazenby der Empfangsdame zu, als sie die Steuerberaterkanzlei Steel and White im Londoner Stadtzentrum verließ, bei der sie als Juniorpartnerin arbeitete. Draußen atmete sie tief durch. Endlich wieder an der frischen Luft. Obwohl frisch – na ja. Die Arbeit machte Beth Freude, aber in letzter Zeit, besonders wenn sie im Cottage gewesen war, fragte sie sich immer häufiger, ob sie wirklich den Rest ihres Lebens in der Großstadt verbringen wollte.
Beth beobachtete, wie die Menschen nach getaner Arbeit an ihr vorbeihasteten. Die Schlange an der Bushaltestelle wurde lang und länger, daher beschloss Beth, zu Fuß zur nächsten zu gehen. Bewegung würde ihr guttun. Außer Binkie wartete zu Hause ja niemand auf sie. Wozu sollte sie sich also beeilen? Ihre Freundin Helen war vor drei Jahren an Krebs gestorben – vier Monate nachdem sie auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen worden war.
Traurig schob Beth den rutschenden Träger ihrer Handtasche wieder über die Schulter und ging weiter. Eine große, bildhübsche Frau, deren rotes Haar in der Abendsonne wie Feuer loderte. Sinnlich zeichnete sich der kurvige Körper unter dem grauen Leinenkleid ab. Die bewundernden Blicke der vorbeieilenden Männer fielen ihr nicht auf. Männer spielten in ihrem Leben eine eher untergeordnete Rolle. Sie hatte Erfolg im Beruf, war stolz darauf, was sie bisher erreicht hatte und ganz zufrieden mit ihrem Leben.
Plötzlich sah sie einen Mann entgegenkommen, der die meisten anderen Passanten um einen guten Kopf überragte, und geriet ins Stolpern. Ihr Herz begann zu rasen. Hastig wandte sie den Blick von dem schwarzhaarigen Mann ab, den sie abgrundtief hasste. Der Teufel in Gestalt des Strafverteidigers Cannavaro war nur noch wenige Schritte entfernt.
Helens mütterlicher Rat schoss ihr durch den Kopf: Geh selbstbewusst, stolz und mit offenen Augen durchs Leben, wie die erfolgreiche Frau, die du zweifellos werden wirst.
Entschlossen hob Beth das Kinn und setzte ihren Weg fort. Helen war es noch vergönnt gewesen, die Anfänge von Beths erfolgreicher Karriere mitzuerleben. Ich werde sie auch jetzt nicht enttäuschen, schwor Beth sich. Cannavaro würde sie niemals wiedererkennen. Die naive Jane Mason hatte der selbstbewussten Beth Lazenby Platz gemacht.
Trotzdem stellten sich ihre Nackenhärchen auf, als sie an ihm vorbeiging. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie den Blick, den er ihr zuwarf. Kam sie ihm bekannt vor? Und wenn schon. Sie ging weiter, doch ihre gute Laune war verflogen, denn von einer Sekunde auf die nächste wurde Beth wieder an die Vergangenheit erinnert. Verbittert presste sie die Lippen zusammen und fragte sich, wie viele Unschuldige Cannavaro in den vergangenen acht Jahren noch hinter Gitter gebracht hatte.
Wie naiv sie damals gewesen war. Verängstigt hatte sie auf der Anklagebank gesessen und neue Hoffnung geschöpft, als Cannavaro ihr zugelächelt und sie mit seiner sympathischen sonoren Stimme mit den Worten beruhigt hatte, sie bräuchte keine Angst zu haben. Dass alle im Gerichtssaal Anwesenden nur die Wahrheit herausfinden wollten. Naiv, wie sie gewesen war, hatte sie ihm vertraut. Er war ihr Held gewesen, ihr Ritter. Doch Timothy Bewick und sein Freund James Hudson hatten vor Gericht beide dreist gelogen. Als ihr bewusst wurde, einen großen Fehler gemacht zu haben, war es zu spät gewesen. Das Gericht hatte sie für schuldig befunden und verurteilt. Als sie aus dem Gerichtssaal geführt wurde, hatten Cannavaro und ihre Pflichtverteidigerin die Köpfe zusammengesteckt und gelacht, ohne auch nur einen Blick an sie zu verschwenden.
Dante Cannavaro war sehr zufrieden mit sich und der Welt. Gerade hatte er für seinen Klienten, einen multinationalen Konzern, einen weit besseren Deal ausgehandelt, als alle erwartet hatten. Er schickte die wartende Limousine fort und machte sich zu Fuß auf den Weg zu seiner Wohnung. In einer Stunde sollte der speziell nach seinen Wünschen gebaute Ferrari geliefert werden. Voller Vorfreude ging Dante beschwingt weiter.
Plötzlich blieb sein Blick auf dem flammend roten Haar einer bildhübschen jungen Frau hängen, die ihm entgegenkam. Der Sportwagen war vergessen. Sie war groß, schätzungsweise einen Meter fünfundsiebzig und trug ein schlichtes graues Leinenkleid, das vielleicht eine halbe Handbreit über den Knien endete, und ihre verführerischen Kurven und die makellosen langen Beine bestens zur Geltung brachte.
Automatisch drehte Dante sich nach dieser Augenweide um, als sie an ihm vorbeiging. Beim Anblick der sich sanft wiegenden Hüften wurde er ohne jede Vorwarnung von heftiger Erregung gepackt. Doch dafür hatte er sofort eine Erklärung parat: Diese Frau war umwerfend schön und es war viel zu lange her, seit er das letzte Mal Sex gehabt hatte. Er durfte bloß nicht vergessen, dass er inzwischen mit Ellen verlobt war …
Als international agierender Anwalt unterhielt Dante Kanzleien in London, New York und Rom, wo er auch jeweils Eigentümer einer Wohnung war. Sein eigentliches Zuhause befand sich allerdings in der Toskana. Auf dem dortigen Anwesen, das sich seit Generationen im Besitz seiner Familie befand, war er zur Welt gekommen.
Onkel Aldo, der jüngere Bruder von Dantes Vater und Chef von Cannavaro Associates in Rom, war im vergangenen März verstorben. Somit war Dante der letzte überlebende männliche Cannavaro. Daher wurde es Zeit, seine Karriere als international tätiger Anwalt zu beenden, sich den Geschicken des Familienunternehmens zu widmen und einen Erben zu zeugen, damit der Familienname erhalten bliebe.
Dante hatte schon immer geplant, eines Tages zu heiraten und Kinder zu haben. Und nun, mit siebenunddreißig Jahren, wurde er plötzlich massiv an seine Familienpflichten erinnert. Er wollte Kinder, solange er noch fit genug war, um seine Rolle als aktiver Vater wahrnehmen zu können. Seine Wahl war auf Ellen gefallen, weil er sie seit zwei Jahren kannte, ihre Arbeit schätzte und sie alle notwendigen Voraussetzungen mitbrachte: Sie war intelligent, attraktiv und kinderlieb. Zudem war sie selbst Anwältin und wusste, wie anstrengend der Beruf sein konnte. Der Sex mit ihr war auch okay. Es war eine perfekte Partnerschaft, und wenn Dante eine Entscheidung traf, dann war sie endgültig. Andere Frauen waren kein Thema mehr.
Aber der Rotschopf war nun mal wirklich ein echter Hingucker gewesen …
Eine Stunde später freute Beth sich auf ihr Zuhause, als sie die Straße mit den Reihenhäusern aus den zwanziger Jahren hochging und schließlich die Haustür aufschloss. In der Diele tauschte sie die Pumps gegen Hausschuhe aus und lächelte vergnügt, als das einzige männliche Wesen in ihrem Leben ihr um die Beine strich.
„Hallo Binkie.“ Sie nahm den verschmusten Kater mit dem roten Fell auf den Arm und kraulte das schnurrende Tier, während sie an Schlafzimmer, Wohnzimmer und Badezimmer vorbei in den rückwärtigen Teil des Hauses schlenderte, wo sich der größte Raum befand: die Wohnküche.
Dort setzte sie Binkie ab, betätigte den Wasserkocher und öffnete eine Dose Katzenfutter.
„Du bist bestimmt schon halb verhungert“, sagte sie zu dem miauenden Kater und stellte den mit Binkies Lieblingsfutter Thunfisch gefüllten Napf auf den Boden. Dann machte sie sich einen Becher Kaffee, den sie auf der direkt hinter der Küche gelegenen Terrasse trank.
Der Garten war Beths ganzer Stolz. Die Kübelpflanzen auf der Terrasse standen in voller Blüte. Ein Anblick, der sie sehr erfreute. Zufrieden schlenderte sie über den Rasen, der von einer halbhohen Mauer eingefriedet war, durch die eine Pforte zum Garten der über ihr gelegenen Wohnung führte.
Am anderen Ende des Gartens rankten sich Clematis und duftender Jasmin an der Hauswand empor. Langsam entspannte Beth sich, trank noch einen Schluck Kaffee und verdrängte die unerwartete Begegnung mit Cannavaro aus ihrem Gedächtnis. Der Typ war es nicht wert, auch nur einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden. Sie kehrte zurück auf die Terrasse und machte es sich auf einem der um einen Holzgartentisch dekorierten Holzsessel gemütlich.
Als sie gerade so richtig entspannt war, kreuzte ihr Nachbar Tony auf und lehnte sich an die Pforte. Tony war stämmig gebaut, hatte kurzes blondes Haar, ein rundes freches Gesicht und war gerade dreiundzwanzig Jahre alt geworden. Beth war zwar nur vier Jahre älter, fühlte sich aber bedeutend erwachsener als er und sein Mitbewohner Mike. Die jungen Männer arbeiteten bei derselben Bank in der Londoner City, waren völlig unbeschwert und wollten ihren Spaß haben.
„Hi Beth. Ich habe schon auf dich gewartet. Darf ich mich zu dir setzen?“ Er hatte bereits die Pforte geöffnet und kam näher.
„Was brauchst du denn, Tony? Zucker, Milch, oder willst du dich zum Abendessen einladen?“, fragte sie trocken, als er sich rittlings auf einen Stuhl setzte und die Ellenbogen auf der Rückenlehne aufstützte.
„Nein, ausnahmsweise mal nichts davon. Aber gegen Sex hätte ich nichts einzuwenden.“ Er grinste gespielt anzüglich.
Beth lachte herzlich. „Mit mir? Darauf kannst du lange warten, Tony Hetherington.“
„Das habe ich mir schon gedacht, aber fragen kann man ja mal.“ Seine blauen Augen glitzerten humorvoll. „Spaß beiseite: Bist du am kommenden Wochenende hier, oder fährst du zum Cottage?“
„Die nächsten beiden Wochen bleibe ich hier, aber dann mache ich drei Wochen Urlaub. Ich muss das Cottage renovieren und freue mich darauf, endlich mal wieder zu surfen, falls ich dazu komme. Du wirfst doch ein wachsames Auge auf meine Wohnung, solange ich fort bin? Den Schlüssel hast du doch noch, oder?“
„Ja klar, kein Problem, Beth. Nun zu meiner Bitte: Als ich am Montag Geburtstag hatte und mit meinen Eltern zu Abend essen musste, war das so öde, dass ich beschlossen habe, jetzt am Sonnabend mit meinen Freunden so richtig zu feiern. Du bist natürlich auch eingeladen. Bei uns herrscht akuter Frauenmangel, du musst also unbedingt kommen.“
„Ich fühle mich geschmeichelt“, antwortete Beth ironisch. „Eigentlich habe ich noch genug von eurer Weihnachtsfeier, wo ich euch den ganzen Abend bedient habe und am Ende auch noch die Gäste hinauskomplimentieren musste, weil du und Mike dazu nicht mehr in der Lage gewesen seid. Vom Aufräumen und Saubermachen ganz zu schweigen.“
Tony lachte verlegen. „Tut mir leid. Aber die Party war super. Dieses Mal wollen wir grillen. Die Gäste werden schon am Nachmittag eintrudeln, und alles spielt sich draußen ab. Aufräumen und Saubermachen ist also nicht erforderlich.“
„Ach, so ist das. Du willst in meinem Garten feiern, weil der doppelt so groß ist wie deiner.“
„Ja, das auch“, gab Tony unumwunden zu. „Und Mike schreibt eine Einkaufsliste. Wenn es nach mir ginge, würden einige Dutzend Bratwürstchen, Hamburger und Salat völlig ausreichen. Aber er hält sich ja für einen begnadeten Koch und will Spieße, mariniertes Hühnchen, etliche Salate und ich weiß nicht was, auftischen. Du musst mir helfen, Beth.“ Er setzte seinen treuen Dackelblick auf, dem seiner Meinung nach niemand widerstehen konnte.
„An dir ist ein Schauspieler verloren gegangen, Tony.“ Beth lachte trocken. „Aber die Masche zieht bei mir nicht.“
„Ich weiß.“ Tony grinste jungenhaft. „Kommst du trotzdem? Als du im vergangenen Monat am Wochenende im Cottage warst, haben wir auch gegrillt. Es war ein ziemliches Desaster. Mike hat die Hälfte der Gäste mit seinen gefüllten Schweinelendchen vergiftet. Unsere Kollegen bei der Bank schmieren uns das ständig aufs Butterbrot.“
„Du liebe Zeit!“ Beth amüsierte sich prächtig. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
„Leider doch. Deshalb haben wohl auch die meisten Frauen abgesagt, als wir sie wieder einladen wollten. Eine Lebensmittelvergiftung hat ihnen wohl gereicht.“
„Also gut, überredet. Ich helfe euch. Vorausgesetzt, der Grill wird in eurem Garten aufgebaut. Ich möchte nicht, dass meine Pflanzen Schaden nehmen. Und bei euch Chaoten weiß man nie, was passiert. Die Gäste können in meinem Garten trinken und essen, aber meine Wohnung ist tabu. Haben wir uns verstanden?“
„Ja! Du bist die Beste, Beth!“ Freudestrahlend sprang er auf und kehrte in seinen eigenen Teil des Gartens zurück. „Vielen Dank!“, rief er ihr an der Pforte zu, bevor er wieder in seiner Wohnung verschwand.
Am Sonnabend blickte Beth sich gegen sieben Uhr abends zufrieden im Garten um. Die Sonne strahlte noch vom blauen Himmel, die lässig gekleideten Gäste aßen und tranken im Garten, standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich angeregt oder tanzten. Auch in der Wohnung der beiden jungen Männer hatten sich Gäste eingefunden. Hier wurde Hochprozentiges ausgeschenkt, während Bier und Weißwein in großen, mit Eis gefüllten Kübeln vor Beths Küchenfenster darauf warteten, konsumiert zu werden. Ihre Hintertür hatte Beth sicherheitshalber abgeschlossen, und den Schlüssel in die Tasche ihrer Jeans gesteckt.
„So allein, Beth?“ Der beschwipste Tony legte ihr einen Arm um die Taille. „Danke, dass du Mike seine kulinarischen Experimente ausgeredet hast. Die Grillparty ist ein voller Erfolg. Komm, darauf trinken wir.“
Lächelnd schüttelte Beth den Kopf. „Du weißt doch, dass ich keinen Alkohol trinke.“
„Ich hole mir noch ein Glas. Bis später.“ Tony ließ sie los, wandte sich halb um und verharrte verblüfft in der Bewegung. „Das glaube ich jetzt nicht!“, rief er und schlang schnell wieder den Arm um Beths Taille. „Mein großer Bruder gibt uns die Ehre. Ich hatte ihm eine Einladung auf den Anrufbeantworter in seiner Londoner Wohnung gesprochen, aber nie gedacht, dass er sie annehmen würde. Er ist Anwalt, du weißt schon: der ernste, intellektuelle Typ. Er spricht sechs Sprachen und arbeitet in der ganzen Welt. So ein richtiger Workaholic. Zuletzt habe ich ihn im vergangenen Jahr gesehen, aber Mum hat erzählt, er hätte sich vor zwei Monaten verlobt. Die Frau an seiner Seite muss wohl seine Verlobte sein.“
„Dass du einen Bruder hast, höre ich zum ersten Mal“, sagte Beth und warf einen neugierigen Blick an Tony vorbei. Dann erstarrte sie.
Der Mann mit dem harten, markanten Gesicht hatte den Blick direkt auf sie gerichtet, bevor er sich wieder seiner Begleiterin zuwandte. Ein angstvoller Schauer lief Beth beim Anblick des Paares über den Rücken, das Mike gerade in den Garten geführt hatte. Jetzt deutete er in Tonys Richtung.
Cannavaro! Das konnte doch nicht wahr sein! Ungläubig starrte sie den großen, breitschultrigen Mann an, der jetzt direkt auf sie zukam.
Sie bemerkte, dass er das dichte schwarze Haar jetzt länger trug – bis zum Kragen des weißen Hemds, zu dem er helle Chinos gewählt hatte. Die Freizeithose brachte die schmalen Hüften und langen Beine gut zur Geltung. Beth erschauerte erneut. Es war tatsächlich unverkennbar Cannavaro.
Bisher hatte sie ihn nur im dunklen Anzug gesehen. Der Mann, der ihr seit Jahren in Albträumen erschien, war stets schwarz gekleidet. Im Freizeitoutfit machte er ihr fast noch mehr Angst, denn man könnte auf die Idee kommen, ihn für einen der Guten zu halten, dabei war er doch der Teufel in Menschengestalt. Jedenfalls für Beth.