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In 'Julie' liefert der renommierte Autor Jean Jacques Rousseau eine tiefgründige Erzählung über die Liebe, Moral und gesellschaftliche Normen des 18. Jahrhunderts. Der Roman zeichnet sich durch seinen eleganten Schreibstil aus, der die Leser in die Welt der Hauptfigur, Julie, eintauchen lässt. Rousseau verwebt geschickt philosophische Ideen mit emotionaler Tiefe und romantischen Verstrickungen, die das Werk zu einem Meisterwerk der französischen Literatur machen. 'Julie' steht im Kontext der Aufklärung und reflektiert die zentralen Ideen dieser Ära. Der Roman dient nicht nur als unterhaltsame Lektüre, sondern regt auch zum Nachdenken über moralische Dilemmata und die Bedeutung von Freiheit und Liebe an. Jean Jacques Rousseau, bekannt für seine politischen Schriften und philosophischen Werke, schöpft aus seinem umfangreichen intellektuellen Repertoire, um 'Julie' zu kreieren. Als einflussreicher Denker seiner Zeit bringt Rousseau sein profundes Verständnis menschlicher Natur und Gesellschaft in diese fesselnde Geschichte ein. Seine klare Darstellung von Charakteren und moralischen Fragen zeigt die Tiefe seines Denkens und seine Fähigkeit, komplexe Themen auf eine zugängliche Weise zu präsentieren. Rousseau's 'Julie' ist ein Werk, das die Leser auf intellektuelle und emotionale Reise einlädt, die lange nach dem Lesen noch nachhallt. Für Liebhaber der klassischen Literatur und philosophischen Werke bietet 'Julie' von Jean Jacques Rousseau eine unvergleichliche Leseerfahrung. Sowohl für diejenigen, die sich für die Geschichte der Moralphilosophie interessieren, als auch für diejenigen, die von fesselnden Liebesgeschichten angezogen werden, ist dieses Buch ein absolutes Muss. Tauchen Sie ein in die Welt von 'Julie', lassen Sie sich von Rousseau's brillanter Erzählkunst faszinieren und entdecken Sie die zeitlosen Themen, die dieses Werk zu einem Meisterwerk der Literatur machen.
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Seitenzahl: 1689
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Die großen Städte machen das Schauspiel nöthig, verderbte Sitten den Roman. Ich sah die Sitten meiner Zeit, da gab ich ihn heraus, diesen Briefwechsel; ach, warum habe ich nicht in einem Jahrhundert gelebt, welches mich gezwungen hätte, ihn in's Feuer zu werfen!
Ich bin hier zwar nur als Herausgeber aufgetreten, indessen ich will nicht leugnen, daß ich an dem Buche gearbeitet habe. Doch ob ich Alles gemacht habe, ob der ganze Briefwechsel erdichtet ist — wozu die Frage, ihr Leute von der Welt? Euch ist es gewiß eitel Dichtung.
Ein ehrlicher Mann muß sich zu den Büchern bekennen, welche er in die Welt sendet; daher nenne ich mich an der Spitze dieser Briefsammlung, nicht um sie mir beizulegen, sondern dafür einzustehen. Wenn etwas darin schlecht ist, daß man es mir zurechne! Nicht, wenn Gutes darin ist, daß ich es mir zur Ehre mache. Wenn das ganze Buch nichts taugt, so bin ich um so mehr schuldig, mich dazu zu bekennen; ich will nicht für besser gelten, als ich bin.
In Betreff der geschichtlichen Wahrheit erkläre ich, daß ich an dem Wohnort der beiden Liebenden und in der Gegend dort, wo ich öfters gewesen bin, von einem Baron von Étange und seiner Tochter, oder einem Herrn von Orbe, oder einem Milord Eduard Bomston, oder einem Herrn von Wolmar nie etwas gehört habe; auch muß ich bemerken, daß an mehreren Stellen die Ortsangaben sehr unrichtig sind, sei es, daß der Verfasser den Leser habe irreführen wollen oder daß er selbst nicht besser Bescheid gewußt. Das ist Alles, was ich sagen kann; denke nun Jeder, was ihm beliebt!
Dieses Buch ist nicht danach, daß man es sich aus den Händen reißen wird; es paßt nur für wenige Leser. Den Leuten von Geschmack wird sein Styl widerwärtig, den Sittenrichtern sein Inhalt anstößig sein; alle Empfindungen darin werden Denen unnatürlich dünken, die nicht an Tugend glauben. Es muß den Frommen, den Lebeleuten und den Philosophen mißfallen; die galanten Frauen muß es aufbringen und die ehrbaren ärgern. Wem wird es denn aber gefallen? Vielleicht nur mir allein. Aber nur so so gefallen wird es sicher Keinem.
Wer sich entschließen will diese Briefe zu lesen, der waffne sich mit Geduld gegen Fehler der Sprache, gegen Ueberladung und Flachheit des Styls, gegen Ueberschwänglichkeit im Ausdruck alltäglicher Gedanken; er gehe davon aus, daß meine Briefsteller keine Franzosen, keine Schöngeister, keine Akademisten, keine Philosophen sind, sondern Leute aus der Provinz, Ausländer, einsam Aufgezogene, junge Personen, halb noch Kinder, die, in dem Schwunge ihrer Phantasie, jeden ausschweifenden Einfall, der ihnen ungesucht kommt, für einen tiefen Gedanken halten.
Warum sollte ich nicht ungescheut sagen, was ich denke? Für Frauen paßt diese Versammlung mit ihrem altmodigen Tone besser als die philosophischen Werke; sie wird denen unter ihnen auch nützen können, die bei einem ungeregelten Leben doch noch einigen Sinn für Ehrbarkeit bewahrt haben. Mit jungen Mädchen ist es ein anderes Ding. Nie hat ein unverdorbenes Mädchen Romane gelesen, und den Titel des vorliegenden habe ich so deutlich gefaßt, daß man nur das Buch zu öffnen braucht, um zu wissen, was man daran hat. Diejenige, die, trotz dieses Titels, nur eine Seite davon zu lesen wagt, ist zu Grunde gerichtet; aber daß sie nur nicht das Buch dafür verantwortlich mache! Der Schade war schon zuvor gethan. Da sie angefangen hat, so lese sie nur zu Ende: sie hat nichts weiter zu befahren.
Wenn ein ernster Mann, der diese Sammlung durchblättert, sich durch die ersten Abteilungen entrüstet findet, das Buch mit Unwillen wegwirft und dem Herausgeber zürnt, so werde ich mich nicht beklagen, daß er mir Unrecht thue; ich an seiner Stelle würde es vielleicht ebenso gemacht haben. Wenn aber Jemand das Buch ganz gelesen hat und sich dann noch getraut, mir die Veröffentlichung desselben zum Vorwurf zu machen, der sage das, wenn er will, der ganzen Welt; nur mir nicht: ich fühle, daß ich diesen Mann in meinem Leben nicht achten könnte.
In den ersten Ausgaben habe ich der Sammlung der Briefe dieses vorgebliche Gespräch, seiner Form und Länge wegen, nur im Auszuge voranstellen können; ich theile es aber in dieser neuen Ausgabe ganz mit, indem ich hoffe, daß man darin einige nützliche Andeutungen über Schriften dieser Gattung finden wird. Es schien mir übrigens auch nöthig, die Wirkung des Buches abzuwarten, ehe ich mich über das, was schlimm und was gut daran ist, auslassen dürfte, denn ich wollte weder dem Buchhändler Schaden thun, noch die Nachsicht des Publikums erbetteln.
N. Ich bringe Ihnen Ihr Manuscript zurück; ich habe es ganz zu Ende gelesen.
R. Ganz zu Ende? Ich verstehe; Sie glauben, daß Wenige Ihnen das nachthun werden.
N. Vel duo, vel nemo. [„Zwei oder Keiner.“]
R. Turpe et miserabile [„O schändlich und Jämmerlich. Satyr. I, 3.“]. Aber ich wünsche ein bestimmtes Urtheil.
N. Ich wage nicht —.
R. Was wäre noch zu wagen, nachdem dies Wort heraus ist? Also sprechen Sie!
N. Mein Urtheil hängt von der Antwort ab, welche Sie mir jetzt geben werden. Ist dieser Briefwechsel wahr oder erdichtet?
R. Ich sehe nicht ein, was das zur Sache thut. Was nutzt es, um zu entscheiden, ob ein Buch gut oder schlecht sei, daß man wisse, wie es entstanden ist?
N. In diesem Falle nutzt es viel. Ein Porträt hat immer seinen Werth, wenn es gleicht, möge das Original noch so wunderlich sein. Aber in einem erfundenen Gemälde muß jede menschliche Gestalt die allgemeinen menschlichen Züge an sich tragen, sonst taugt das Gemälde nichts. Gesetzt, es sind beide Bilder gut, so ist noch der Unterschied, daß das Porträt für wenige Personen ein Interesse hat; nur das Gemälde kann Allen gefallen.
R. Ich merke, wohin Sie wollen. Wenn diese Briefe Porträts sind, so interessiren sie nicht; sollen sie Gemälde sein, so schildern sie schlecht. Nicht wahr?
N. Das ist es.
R. Sie wollen mich Ihre Antworten weghaschen lassen, ehe Sie sie mir geben. Gut, aber da ich nicht im Stande bin auf Ihre Frage zu antworten, so werden Sie schon davon absehen müssen, um die meinige zu entscheiden. Setzen Sie den schlimmsten Fall: meine Julie —
N. O, wenn sie eine wirkliche Person wäre!
R. Nun?
N. Aber es ist sicher bloße Dichtung.
R. Nehmen Sie es so an.
N. In diesem Falle kenne ich nichts Abgeschmackteres. Diese Briefe sind keine Briefe, dieser Roman ist kein Roman; die handelnden Personen sind Wesen aus jener Welt.
R. Es thut mir leid, um diese Welt.
N. Trösten Sie sich! Es fehlt ihr ganz und gar nicht an Narren; die Ihrigen sind aber unnatürlich.
R, Ich könnte Ihnen .... Nein! ich sehe, wie Ihre Neugier hinten herum kommt. Was berechtigt Sie zu diesem Urtheil? Wissen Sie denn, wie weit die Verschiedenheit der Menschen gehen kann? Wie weit die Charaktere aus einander liegen und wie mannichfaltig sich nach Zeit, Ort, Alter die Sitten gestalten können? Wer darf es wagen, der Natur unwandelbare Grenzen zu setzen und zu sprechen: Bis hierher und nicht weiter?
N. Mit dieser schönen Floskel könnten Sie das Ungeheuerste, Riesen, Pygmäen, kurz, jede Ausgeburt der Einbildungskraft in die Natur hereinschaffen und das Unterste zu oberst kehren; wir würden gar kein allgemeines Vorbild mehr haben. Ich wiederhole, in einem Menschengemälde muß man den Menschen erkennen.
R. Das gebe ich zu, vorausgesetzt, daß man Alles, was dem Wechsel unterworfen ist, von dem, was der Gattung wesentlich angehört, zu unterscheiden wisse. Was würden Sie dazu sagen, wenn Einer den Menschen nur im modernen Leibrock erkennen wollte?
N. Was würden Sie dazu sagen, wenn Einer einen Menschen malen wollte und malte eine Gestalt ohne Gesicht, ohne Körper, ganz und gar in einen weiten Schleier gehüllt? Würden Sie nicht mit Recht fragen, wo denn der Mensch sei?
R. Ohne Gesicht, ohne Körper! Sind Sie gescheit? Keine vollkommene Menschen; das ist das ganze Ungeheuere.
Ein junges Mädchen, welches von der Tugend weicht, obgleich es sie liebt und durch den Abscheu vor einem größeren Verbrechen zur Pflicht zurückgeführt wird; eine zu gefällige Freundin, die ihr eigenes Herz zuletzt für das Uebermaß ihrer Nachsicht straft; ein junger Mann, der gesittet und gefühlvoll ist, sehr schwach allerdings und von vielen Phrasen; ein alter Herr, der auf seinen Adel stolz ist und Alles der Meinung aufopfert; ein Engländer, brav, edelmüthig, immer vor lauter Weisheit in Leidenschaft und aus lauter gutem Bedacht unbedächtig ....
N. Ein seelensguter und so gastfreundlicher Ehemann, daß er nichts Eiligeres zu thun hat, als den ehemaligen Liebhaber seiner Frau in sein Haus einzuquartieren ....
R. Ich verweise Sie auf die Unterschrift des Kupferstichs [Des siebenten, welcher die Ankunft Saint Preur' auf Wolmar's Landgute vorstellt und die Unterschrift hat: „Wie schöne Seelen einander vertrauen" (La confiance des belles ames). D. Ueb.].
N. „Schöne Seelen" — ein prächtiges Wort!
R. O Philosophie! wie viel Mühe du dir giebst, die Herzen enge, die Menschen klein zu machen!
N. Der romantische Geist macht sie groß und äfft sie. Aber wieder auf unseren Gegenstand zu kommen: die beiden Freundinnen? ... he, was meinen Sie? .... Ach, und die urplötzliche Bekehrung in der Kirche? .... Die Gnade Gottes, nicht wahr? ....
N. Aber ....
N. Eine Christin, eine Fromme, die ihre Kinder nicht den Katechismus lernen läßt, die in ihrer Todesstunde nicht beten will, deren Tod dessenungeachtet einen Pastor erbaut und einen Atheisten bekehrt .... Oh! ....
R. Aber ....
N. Und für wen soll man sich interessiren? Für Alle. Das ist so gut als für Keinen, Keine schlechte Handlung, kein schlechter Mensch, der Einem für die guten bange macht; Begebenheiten so natürlich, so einfach, daß es zu arg ist; nichts Unerwartetes, kein Theaterstreich: man sieht Alles lange voraus kommen, und Alles kommt gerade so, wie man es vorausgesehen hat. Lohnt es der Mühe, Dinge aufzuzeichnen, die Jeder alle Tage in seinem oder in seines Nachbars Hause sehen kann?
R. Das heißt: Sie verlangen gewöhnliche Menschen und ungemeine Begebenheiten: mir würde, glaube ich, das Gegentheil lieber sein. Uebrigens, Sie richten das, was Sie gelesen haben, als Roman. Jedoch es ist keiner: Sie sagten es ja selbst. Es ist eine Sammlung von Briefen.
N. Die keine sind, sagte ich auch, wie ich glaube. Schreibt man so Briefe? So geschraubt? Was für Ausrufungen! was für Umstände! was für Aufwand, um das Gewöhnlichste zu sagen! was für Phrasen für unbedeutende Gedanken! Wenig Menschenverstand, wenig treffendes Unheil! Nirgend Feinheit, Kraft, Tiefe! Eine Sprache, die beständig in den Wolken schwebt und Gedanken, die beständig auf der Erde kriechen. Wären auch Ihre Personen natürliche Menschen, so müssen Sie doch einräumen, daß ihr Styl nicht eben natürlich ist.
R. Ich räume ein, daß es Ihnen nach dem Gesichtspunkte, welchen Sie gewählt haben, so scheinen muß.
N. Glauben Sie, daß das Publikum mit anderem Auge sehen wird? Und dann, war es nicht mein Urtheil, welches Sie verlangten?
R. Ja, und um es noch ausführlicher zu vernehmen, mache ich meine Einwendungen. Ich sehe, daß Sie lieber Briefe haben möchten, die für den Druck geschrieben wären.
N. Dieser Wunsch scheint mir ziemlich wohl begründet in Bezug auf solche, die man in Druck giebt.
R. So soll man denn in den Büchern die Menschen nie anders sehen, als sie sich zeigen wollen?
N. Den Verfasser, so wie er sich zeigen will; diejenigen, welche er schildert, so wie sie sind. Aber auch diese gute Eigenschaft fehlt hier. Nicht Ein kräftig gezeichnetes Porträt, nicht Ein recht ausgeprägter Charakter, keine sichere Beobachtung, keine Weltkenntniß. Was lernt man in dem engen Kreise von zwei oder drei Liebenden, die immer nur mit sich beschäftigt sind?
R. Man lernt die Menschheit lieben. In den großen Gesellschaften lernt man nur die Menschen hassen.
Sie urtheilen streng; das Publikum wird noch strenger urtheilen. Ohne es der Ungerechtigkeit zu zeihen, will ich Ihnen meinerseits sagen, wie ich diese Briefe ansehe; weniger, um die Fehler, welche Sie denselben vorwerfen, zu entschuldigen, als um die Quelle dieser Fehler aufzudecken.
In der Zurückgezogenheit hat man eine andere Art zu sehen und zu empfinden als im Verkehre mit der Welt; Leidenschaften, anders geartet, schaffen sich auch eine andere Form des Ausdrucks; die Einbildungskraft, stets von denselben Gegenständen berührt, giebt sich diesen mit größerer Lebhaftigkeit hin. Dieselbe beschränkte Anzahl von Bildern drängt sich ihr immer wieder auf, mischt sich allen Gedanken bei und so entsteht der Anstrich von Eigenheit und Mangel an Abwechslung, den man an den Reden Derer, die einsam leben, bemerkt. Folgt hieraus, daß ihre Sprache besonders nachdrücklich sein müsse? Keinesweges; sie ist nur außergewöhnlich. Nur in der Welt lernt man mit Nachdruck sprechen. Erstlich, weil man sich immer anders und besser als die Andern ausdrücken muß; sodann, weil man genöthigt ist, jeden Augenblick Dinge zu behaupten, die man nicht glaubt, Gefühle kund zu geben, die man nicht hat, und deswegen bei Allem, was man sagt, durch einen überzeugenden Schein den Mangel an innerer Ueberzeugung zu überkleiden trachtet, Glauben Sie denn, daß Menschen in der wirklichen Leidenschaft so kurze, starke, lebhaft gefärbte Wendungen gebrauchen, wie jene, die ihr in eueren Theaterstücken und Romanen bewundert? Nein; die Leidenschaft, voll von sich selbst, drückt sich mehr mit Ueberfluß als mit Kraft aus; sie geht gar nicht darauf aus, zu überzeugen; es fällt ihr nicht von Weitem ein, daß man an ihr zweifeln könne. Wenn sie ihrem Gefühle Worte giebt, so geschieht das weniger, um es den Anderen zur Schau zu stellen, als um sich Lust zu machen. Man versteht es in den Palästen, die Liebe feuriger zu schildern: empfindet man sie deshalb dort mehr als in den Hütten?
N. Also zeugt eine schwache Sprache für die Stärke des Gefühls.
R. Wenigstens zuweilen für die Wahrheit desselben. Lesen Sie einen Liebesbrief, den ein Schriftsteller, ein Schöngeist, der glänzen will, in seinem Cabinet verfertigt hat, so wird, wenn der Mann nur Feuer besitzt, seine Feder, wie man zu sagen pflegt, in Flammenzügen schreiben; die Erwärmung wird aber nicht weiter reichen: Sie werden bezaubert sein, vielleicht bewegt; letzteres aber nicht nachhaltig und erquickend, Sie werden nichts davon zurückbehalten, als Worte. Ein Brief dagegen, den die Liebe wirklich eingegeben hat, ein Brief eines im Ernste leidenschaftlich Liebenden wird marklos, zerfahren, unordentlich, voller Weitschweifigkeiten und Wiederholungen sein. Sein Herz, das von Gefühlen überströmt, sagt immer wieder das Nämliche und kann nicht aufhören es zu wiederholen, wie eine lebendige Quelle, die ohne Ende sprudelt und sich nie erschöpft. Nichts, was überrascht, nichts, was des Merkens werth ist: man behält kein Wort, kein Bild, keine Wendung im Gedächtniß; man findet nichts zu bewundern und zu preisen. Aber man fühlt sich das Herz im Busen gerührt, man fühlt sich im Innersten bewegt und weiß nicht warum. Ohne uns durch seine Stärke zu überraschen, hat uns das Gefühl durch seine Wahrheit ergriffen; so weiß das Herz zum Herzen zu sprechen. Aber Die, welche kein Gefühl haben, welche nichts kennen als die künstlich aufgeputzte Sprache der Leidenschaft, haben keine Ahnung von Schönheiten dieser Art, die sie nur mit Verachtung ansehen.
N. Weiter!
R. Wohl! Wenn in Briefen der erwähnten Gattung die Gedanken immerhin gewöhnlich sind, ist doch die Sprache nicht die des gemeinen Lebens und kann es nicht sein. Das Wesen der Liebe ist Täuschung; sie schafft sich, sozusagen, eine andere Welt; sie zaubert Gegenstände um sich her, die nicht wirklich sind, denen nur sie allein Dasein giebt, und da sie alle ihre Empfindungen in Bilder faßt, ist ihre Sprache immer bildlich. Aber was sie bildert, ist unbestimmt und ohne Zusammenhang; sie ist gerade in ihrer Verwirrung beredt; sie beweist desto mehr, je weniger sie folgert. Der höchste Grad der Leidenschaft ist Schwärmerei. Wenn sie ihren Gipfel erreicht, so sieht sie in ihrem Gegenstand ein Bild der Vollkommenheit; sie macht ihn nun zu ihrem Abgott, hebt ihn in den Himmel; und wie die fromme Schwärmerei die Sprache der Liebe entlehnt, so entlehnt die Liebesschwärmerei die Sprache der frommen Andacht. Sie hat nichts mehr vor Augen als das Paradies, die Engel, die Tugenden der Heiligen, die Freuden des himmlischen Aufenthaltes. Kann sie in dieser Verzückung, in diesem Anschauen erhabener Bilder sich niederer Ausdrücke bedienen, um sich kund zu geben? Wird es ihr möglich sein, ihre hohen Gedanken durch alltägliche Redensarten herabzuwürdigen und zu entweihen? Wird sie nicht ihrer Sprache einen höheren Schwung, nicht Adel, nicht Würde geben? Was reden Sie von Briefen, von Briefstyl! Darum handelt es sich auch, wenn man an ein geliebtes Wesen schreibt! Nein, was man da schreibt, sind nicht Briefe, Hymnen sind es.
N. Bürger, lassen Sie mich Ihren Puls fühlen!
R. Nicht doch, sehen Sie den Winterschnee auf meinem Haupte! Es giebt Jahre der Erfahrung, Jahre der Erinnerung. Die Empfindung erlischt endlich einmal, aber eine gefühlvolle Seele bleibt ewig.
Ich komme auf unsere Briefe zurück. Wenn Sie sie als das Werk eines Schriftstellers lesen, der gefallen will oder sich mit seiner Schreibart zeigen, so sind sie abscheulich. Aber nehmen Sie sie als das, was sie sind, und beurtheilen Sie sie in ihrer Art! Zwei, drei einfache, aber gefühlvolle junge Leute unterhalten sich unter sich von ihren Herzensangelegenheiten; sie denken nicht daran, vor einander glänzen zu wollen. Sie kennen und lieben einander zu sehr, als daß die Eigenliebe unter ihnen noch Spielraum fände. Sie sind Ausländer: werden sie correct schreiben? Sie sind einsam aufgewachsen: werden sie die Welt und die Gesellschaft kennen? Erfüllt von dem einzigen Gefühle, welches sie in Anspruch nimmt, schwärmen sie und meinen zu Philosophiren. Fordern Sie von ihnen Beobachtung, Unheil, Ueberlegung? Lauter Dinge, auf die sie sich nicht verstehen. Sie verstehen sich darauf, lieb zu haben; sie bringen zu Allem ihre Leidenschaft mit. Ist die Wichtigkeit, welche sie allen ihren Kinderpossen beilegen, weniger ergötzlich als aller Geist, den sie etwa auskramen könnten? Sie plaudern über Alles, sie täuschen sich über Alles; man lernt durch sie nichts kennen als sie selbst; aber indem man sie kennen lernt, gewinnt man sie lieb; ihre Irrthümer sind mehr werth als alle Wissenschaft der Weisen; ihre redlichen Herzen halten in Allem, und in ihren Fehlern selbst, die Vorurtheile der Tugend fest, die ewig vertrauensvoll, ewig verrathen wird. Da ist Keines, das sie verstünde, das ihnen entgegenkäme; immer wieder müssen sie sich enttäuscht sehen. Sie verschließen sich vor den entmuthigenden Wahrheiten, und da sie nirgend ihr Gefühl befriedigt finden, ziehen sie sich in sich selbst zurück; sie lösen sich von der übrigen Welt los und indem sie sich unter sich eine kleine Welt verschieden von der unseren schaffen, stellen sie uns ein in der That neues Schauspiel dar.
N. Ich gebe zu, daß ein Mann von zwanzig Jahren und Mädchen von achtzehn, wenn auch wohl unterrichtet, nicht wie Philosophen sprechen müssen, selbst wenn sie sich einbilden, es zu sein; ich gebe auch zu (und diese Entwicklung der Sache ist mir nicht entgangen), daß diese Mädchen zu achtbaren Frauen und der Jüngling zu einem besseren Beobachter reifen. Ich will nicht den Anfang und das Ende des Werkes einander gleich stellen. Die Hingabe an das häusliche Leben macht die Jugendverirrungen wieder gut; die züchtige Gattin, die verständige Hausfrau, die würdige Mutter machen uns die strafbar Liebende vergessen. Aber eben dies giebt einen Anlaß zur Kritik: das Ende der Sammlung läßt den Anfang nur noch tadelnswerther erscheinen; man möchte sagen, es sind zwei verschiedene Bücher, die nicht von denselben Personen gelesen werden müssen. Sollen vernünftige Menschen gezeigt werden, warum treten sie auf, bevor sie es geworden sind? Die Kindereien, welche den Weisheitslehren vorangehen, machen, daß man gar nicht bis zu diesen gelangt; man muß sich an dem Schlechten ärgern, ehe man dazu kommen kann, sich an dem Guten zu erbauen; kurz, der Leser wird aufgebracht und wirft unwillig das Buch gerade da von sich, wo es nützlich zu werden anfängt.
R. Ich denke im Gegentheil, daß das Ende dieser Briefsammlung für diejenigen Leser überflüssig ist, welche der Anfang abgestoßen hat, und daß der Anfang gerade Denen angenehm sein muß, für die das Ende von Nutzen sein kann. So werden diejenigen, welche das Buch nicht auslesen, nichts verlieren, da es nicht für sie gemacht ist, und diejenigen, welche Nutzen davon ziehen können, würden es nicht gelesen haben, wenn es ernsthafter angefangen hätte. Wenn das, was man sagen will, nützlich werden soll, so muß man vor allen Dingen sich Eingang bei Denen verschaffen, welche den Nutzen ernten sollen.
Ich habe mit dem Mittel, nicht mit dem Gegenstande gewechselt. Als ich es versuchte, zu den Erwachsenen zu reden, hat man mich nicht hören wollen; vielleicht, wenn ich mich an die Kinder wende, finde ich mehr Gehör; die Kinder nehmen aber die nackte Wahrheit nicht besser ein als Arzueien, die man nicht gut versteckt hat.
Cosi all' egro fanciul porgiamo aspersiDi soave licor gli orli del vaso;Succhi amari ingannato in tanto ei beve,E dall inganno sua vita riceve.
[So reichen wir dem kranken Kind Arzueien,Des Bechers Rand mit süßem Saft bestrichen;Getäuscht den bittern Trank in raschem ZugeSchlürft es und dankt sein Leben dem Betruge.Tasso's Befreit. Jerus. I, 3]
N. Ich besorge, daß Sie sich auch hierin täuschen; sie werden die Ränder des Gefäßes ablecken und den Trank nicht nehmen.
R. Wenn das geschieht, so ist es dann nicht meine Schuld; ich habe wenigstens gethan, was ich konnte, um ihn ihnen beizubringen.
Meine jungen Leute sind liebenswürdig; aber um sie im dreißigsten Jahre zu lieben, muß man sie im zwanzigsten gekannt haben. Man muß lange mit ihnen gelebt haben, um sich mit ihnen zu gefallen, und erst wenn man ihre Fehler beklagt hat, wird man an ihren Tugenden Freude finden. Ihre Briefe reizen nicht im ersten Augenblick, aber nach und nach fesseln sie, man kann nicht recht daran, aber auch nicht wieder davon kommen. Anmuth, gefälliger Styl ist nicht darin, auch nicht Verstand, Witz, Beredtsamkeit; nur Gefühl allein; es theilt sich unvermerkt dem Herzen mit und entschädigt zuletzt für alles Andere. Es ist eine lange Romanze, deren Verse einzeln genommen nichts Ergreifendes haben, aber ihr Zusammenhang bringt zuletzt ihre Wirkung hervor. Dies ist mein Gefühl beim Lesen der Briefe: sagen Sie mir, ob Sie in dem nämlichen Falle sind.
N. Nein! Jedoch begreife ich, daß es Ihnen so ergeht. Sind Sie der Verfasser, so ist die Sache ganz einfach; wo nicht, so begreife ich es dennoch. Ein Mann, der in der Welt lebt, kann sich an die ausschweifenden Gedanken, an das übertriebene Pathos, an das ewige Faseln Ihrer guten Leute nicht gewöhnen. Ein einsamer Mensch mag daran Geschmack finden: Sie haben den Grund selber gesagt. Aber bedenken Sie, bevor Sie dieses Manuscript bekannt machen, daß das Publicum nicht aus Einsiedlern besteht. Das Glücklichste, was Ihnen begegnen könnte, wäre noch, daß man ihr gutherziges Bürschchen für einen Seladon, Ihren Eduard für einen Don Quixote, Ihre Dämchen für ein Paar Astreen nähme und sich daran wie an einer wahren Narrengesellschaft belustigte. Indessen lange Possen sind nicht belustigend: man muß wie Cervantes schreiben, um sechs Bände Phantasterei genießbar zu machen.
R. Der Grund, aus welchem Sie dieses Werk unterdrücken würden, macht mir Muth, es herauszugeben.
N. Wie! Die Gewißheit, nicht gelesen zu werden?
R. Eine kleine Geduld, und Sie werden mich verstehen.
In moralischer Hinsicht giebt es, meiner Meinung nach, keine Lectüre, die Weltleuten nützen kann. Erstlich, weil die vielen neuen Bücher, welche sie durchlaufen und welche eines ums andere das Für und Wider sagen, gegenseitig sich die Wirkung zerstören und Alles so gut wie nicht geschehen machen. Auserwählte Bücher, welche man wiederliest, machen auch keine größere Wirkung: sind sie im Sinne des Weltlebens geschrieben, so sind sie überflüssig, widersprechen sie demselben, so sind sie unnütz. Sie finden ihre Leser an die Laster der Gesellschaft durch Bande gekettet, welche sie nicht zerbrechen können. Der Weltmann, der einen Augenblick lang Willens ist, in sich zu gehen und seine Seele in die sittliche Sphäre zu versetzen, stößt auf unüberwindlichen Widerstand von allen Seiten und sieht sich jedesmal gezwungen, seinen alten Standpunkt zu behalten oder wieder einzunehmen. Ich bin überzeugt, daß es wenige gutgeartete Menschen giebt, welche nicht diesen Versuch, wenigstens einmal in ihrem Leben gemacht haben. Aber bald entmuthigt durch die Erfolglosigkeit der Anstrengung, erneuert man ihn nicht und gewöhnt sich daran, die Büchermoral als müßiges Geschwätz zu betrachten. Je weiter man sich von den Geschäften, von großen Städten, von zahlreichen Gesellschaften entfernt, desto mehr vermindern sich die Hindernisse. Es giebt eine Grenze, wo diese Hindernisse nicht mehr unüberwindlich sind und alsdann können Bücher von einigem Nutzen sein. Wenn man zurückgezogen lebt, so hat man bei dem Lesen nicht den Zweck, mit Belesenheit Staat zu machen und man liest daher nicht Bücher in Massen und denkt mehr nach über das, was man liest; da nun die Bücher weniger Gegengewicht von außen finden, so machen sie auch innerlich mehr Eindruck. Die lange Weile, diese Pest der Einsamkeit wie der großen Welt, nöthiget, zu unterhaltenden Büchern Zuflucht zu nehmen, der einzigen Hülfsquelle Dessen, der still für sich lebt und keine in sich selbst findet. Man liest mehr Romane in den Provinzen als in Paris, mehr auf dem Lande als in Städten, und sie machen da lebhafteren Eindruck. Sie sehen, warum das nicht anders sein kann.
Die Bücher aber, welche dem Landbewohner, der nur unglücklich ist, weil er sich dafür hält, zu gleicher Zeit Unterhaltung und Belehrung gewähren könnten, scheinen im Gegentheile nur darauf berechnet, ihm sein Leben noch mehr zu verleiden, indem sie das Vorurtheil, das ihn mit Geringschätzung desselben erfüllt, nähren und befestigen; Schönheiten, Modedamen, Große, Militairpersonen, das sind die Helden aller euerer Romane. Das Raffinement des städtischen Geschmacks, Maximen des Hoflebens, Prachtliebe, Epikuräermoral — das ist es, was sie predigen und lehren. Das Gleißen ihrer geschminkten Tugenden verdunkelt den Glanz der wahren, die Schicklichkeiten der guten Lebensart setzen sie an die Stelle der ernsten Pflichten; schöne Reden werden höher gehalten als schöne Handlungen und die Einfalt guter Sitten gilt für bäuerisches Wesen.
Welchen Eindruck müssen nicht derartige Gemälde auf einen Herrn vom Lande machen, wenn er die Offenheit, mit welcher er seine Gäste empfängt, verspotten und die Lust, welche er in seinem Bereiche herrschend zu machen sucht, als pöbelhaftes Juchhei behandeln sieht? Oder auf seine Frau, wenn sie erfährt, daß die Erfüllung der häuslichen Pflichten unter der Würde einer Dame ihres Ranges ist? Oder auf seine Tochter, wenn die verrenkten Manieren und der Bombast der Stadt ihr Verachtung einflößen für den ehrlichen Nachbar, der freilich nur ein schlechter Landmann ist und sie geheiratet hätte? Sie wollen nun allesammt nicht mehr Krautjunker sein, ihr Dorf wird ihnen verhaßt, sie lassen ihr altes Schloß im Stiche, welches bald verfällt, und ziehen in die Hauptstadt, wo der Vater, mit seinem S. Louis-Kreuz aus einem Herrn, was er war, ein Knecht oder ein Industrieritter wird; die Mutter etablirt ein Spielhaus; die Tochter lockt die Spieler heran und der gewöhnliche Fall ist, daß sie alle Dreie, nach einem schändlichen Leben, in Schmach und Elend sterben.
Die Herren Autoren, Literaten, Philosophen schreien unaufhörlich, daß man nicht seine Bürgerpflichten erfüllen, noch seinen Nebenmenschen dienen könne, wenn man nicht in der großen Stadt lebe. Wenn man Paris nicht mag, so haßt man, ihrer Meinung nach, das menschliche Geschlecht; das Volk vom Lande ist in ihren Augen nichts; nach ihren Reden sollte man wirklich meinen, daß es nur Menschen giebt, wo man Pensionen, Akademien und Diners hat.
Allgemach reißt derselbe Hang alle Stände hin. Erzählungen, Romane, Theaterstücke, Alles stichelt auf die Provinz, macht die schlichten Sitten, wie sie auf dem Lande herrschen, lächerlich und predigt die Manieren und Vergnügungen der großen Welt: eine Schande, diese nicht zu kennen, ein Unglück, sie nicht zu genießen. Wer weiß, mit wie vielen Gaunern und öffentlichen Dirnen die Lockung dieser eingebildeten Freuden Paris tagtäglich bevölkert! So kommen dem Mißgriffe des politischen Systems Vorurtheile und die öffentliche Meinung zu Hülfe, um die Bewohner jedes Landes auf einigen Punkten des Gebietes zusammenzuschichten, daß alles Uebrige öde und menschenleer bleibt; so entvölkern sich die Länder, um die Hauptstädte glänzend zu machen, und dieser eitle Schimmer, der die Augen der Narren blendet, macht, daß Europa schnellen Schrittes seinem Untergange entgegengeht. Es ist zum Heile der Menschen dienlich, daß man diesen Strom vergifteter Maximen aufzuhalten suche. Es ist der Prediger Gewerbe, uns zuzurufen: Seid gut und vernünftig! ohne sich weiter um den Erfolg ihrer Ermahnung viel Sorge zu machen. Der Bürger, der sich Sorge darum macht, muß nicht so dumm sein und nur rufen: Seid gut! sondern uns den Stand lieb machen, in welchem wir es werden können.
N. Einen Augenblick — schöpfen Sie Athem! Ich mag das gern, was auf's Nützliche abzielt, und ich bin diesmal so sehr mit Ihren Gedanken gegangen, daß ich an Ihrer Stelle fortfahren kann.
Es ist, Ihrer Entwicklung nach klar, daß man den Werken der Einbildungskraft nicht anders eine nützliche Richtung geben kann, als indem man sich ein Ziel steckt, welches dem, das ihre Verfasser gewöhnlich vor Augen haben, entgegengesetzt ist: alles Bestehende fern halten, zur Natur zurücklenken, den Menschen Liebe zu einem gleichmäßigen und einfachen Leben einflößen, sie von den grillenhaften Vorurtheilen heilen, ihnen Geschmack an wahren Freuden beibringen, ihnen die Einsamkeit und den Frieden lieb machen, sie in einiger Entfernung von einander halten und anstatt sie in Städten zusammenzuschichten, sie dazu bewegen, daß sie sich gleichmäßig über das Land vertheilen, um es aller Orten zu beleben. Ich sehe auch, daß es sich nicht darum handelt, Daphnisse, Sylvandre, arkadische Schäfer, poetische Bauern, die mit eigener Hand ihr Land bauen und dabei über die Natur Philosophiren und sonst dergleichen romantische Wesen, die es nur in Büchern giebt, aus den Leuten zu machen, sondern Denen, die sich im Wohlstand befinden, zu zeigen, daß die Pflege des Bodens und das Landleben Freuden gewährt, von welchen sie keine Ahnung haben, daß diese Freuden nicht so ungenießbar und tölpisch sind, als sie denken, daß auch darin Geschmack, Sinn, Gefühl walten können, daß ein gebildeter Mann, der sich mit seiner Familie auf's Land zurückziehen und sein eigener Pächter werden wollte, sich dort ein ebenso angenehmes Leben bereiten könnte, als mitten in den Vergnügungen der Stadt, daß eine Landwirthin eine liebenswürdige Frau sein und ebenso viel Anmuth, ja eine weit lieblichere Anmuth entwickeln kann als die reizendsten Stadtschönen, daß endlich die sanftesten Gefühle des Herzens dort eine Gesellschaft angenehmer beleben können als die gekünstelte Sprache der Zirkel, in denen beißender Witz und Spottgelächter einen traurigen Ersatz bieten für den Frohsinn, der in ihnen etwas Unbekanntes ist. Ist es so?
R. So ist es. Ich will nur noch eine Bemerkung hinzufügen. Man klagt darüber, daß Romane die Köpfe verwirren; ich glaube es gern. Indem der Roman Denen, die ihn lesen, beständig die eingebildeten Reize eines Standes, dem sie nicht angehören, vorspiegelt, verführt er sie, setzt ihren eigenen Stand in ihren Augen herab und reizt sie, diesen in Gedanken mit dem andern, den man ihnen lieb macht, zu vertauschen. Wenn man so sein will, was man nicht ist, bringt man es in der That dahin, sich für etwas Anderes zu halten, als man ist, und man wird zum Narren. Wenn die Romane ihren Lesern nur Schilderungen von Gegenständen vorhielten, wie sie sie wirklich um sich sehen, Pflichten, welche sie erfüllen können, Freuden, die ihnen zugänglich sind, so würden die Romane sie nicht närrisch, sondern weise machen. Schriften, die für einsam lebende Leute geschrieben sind, müssen deren Sprache sprechen: wenn sie sie belehren sollen, müssen sie ihnen gefallen, müssen sie fesseln; sie müssen ihnen ihren Stand lieb machen, indem sie ihnen denselben angenehm zeigen. Sie müssen die Maximen, die in den großen Gesellschaften gelten, bekämpfen und zerstören, sie müssen sie falsch und verächtlich darstellen, d. h. so wie sie in Wahrheit sind. Und um Alles dessen willen muß ein Roman, wenn er recht gemacht ist, wenigstens wenn er nützlich ist, bei dem Modevolk als ein plattes, überspanntes, lächerliches Buch verspottet, gehaßt und verrufen sein, und so, mein Herr, ist Weisheit, was der Welt Thorheit ist.
N. Die Folgerung hieraus ergiebt sich von selbst. Man kann seinen Fall nicht besser voraussehen und sich nicht stolzer zum Falle anschicken. Es ist nur noch eine Schwierigkeit übrig. In der Provinz, wie Sie wissen, liest man nur, was wir empfehlen: sie erhalten nur, was wir ihnen zuschicken. Ein Buch, das für die einsam Lebenden bestimmt ist, wird zuerst von den Weltleuten beurtheilt; wenn diese es verwerfen, lesen es die Anderen nicht. Antworten Sie!
R. Die Antwort ist leicht. Sie sprechen von den Schöngeistern der Provinz, ich aber von Denen, die ein wirkliches Landleben führen. Ihr, die ihr in der Hauptstadt glänzet, habt Vorurtheile, von denen ihr zurückkommen müßt: ihr bildet euch ein, in ganz Frankreich den Ton anzugeben und drei Viertel von Frankreich wissen von euerem Dasein nicht. Die Bücher, welche in Paris durchfallen, machen die Buchhändler der Provinz reich.
N. Nun, und Sie wollen jene auf Kosten der unsrigen bereichern?
R. Spotten Sie nur. Ich wanke nicht. Wenn man nach Ruhm strebt, so muß man darauf hinarbeiten, daß man in Paris gelesen werde, wenn man nützen will, in der Provinz. Wie viele brave Leute bringen ihr Leben auf entfernten Gütern hin, bauen ihr väterliches Erbe und betrachten sich wie ausgeschlossen von der Welt, weil sie wenig bemittelt sind. An den langen Winterabenden, wann sie keine Gesellschaften haben, vertreiben sie sich an ihrem Kamine die Zeit damit, unterhaltende Bücher zu lesen, die ihnen gerade in die Hände fallen. In ihrer bäuerischen Einfalt wollen sie weder mit Literatur noch mit schönem Geist groß thun; sie lesen, um sich zu vergnügen, und nicht um sich zu unterrichten; moralische und philosophische Bücher sind für sie so gut wie nicht da: ihretwegen brauchten diese nicht geschrieben zu werden; sie dringen nie bis zu ihnen. Aber weit entfernt, ihnen etwas zu bieten, was für ihre Lage paßt, dienen euere Romane nur dazu, ihnen dieselbe noch unerträglicher zu machen. Sie machen ihnen ihren einsamen Wohnort zu einer schrecklichen Wüste, und für einige Stunden Zerstreuung, die sie ihnen gewähren, bereiten sie ihnen Monate des Mißbehagens und eitler Klagen. Warum sollte ich nicht annehmen, daß durch einen glücklichen Zufall dieses Buch, gleich so vielen anderen noch schlechteren, einem dieser Landbewohner in die Hände falle und daß die Schilderung von Freuden eines Standes, der dem ihrigen ganz ähnlich ist, ihnen diesen erträglich mache? Ich mag mir gern zwei Gatten vorstellen, die diese Sammlung mit einander lesen, neuen Muth schöpfen, um in ihren gemeinsamen Arbeiten auszuharren und vielleicht neue Gesichtspunkte, um denselben Nutzen abzugewinnen. Wie könnten sie darin das Gemälde eines glücklichen Hausstandes anschauen, ohne sich getrieben zu fühlen, einem so schönen Muster nachzueifern? Wie könnten sie sich gerührt fühlen von dem Zauber des ehelichen Bandes, selbst in einem Falle, wo die Liebe fehlt, ohne daß sich das ihrige enger und fester knüpfe? Wenn sie das Buch weglegen, werden sie weder betrübt über ihre Lage noch angewidert von ihren Geschäften sein. Im Gegentheil, es wird Alles um sie her ein lachenderes Ansehen gewonnen haben, ihre Pflichten werden ihnen geadelt erscheinen, sie werden wieder Geschmack gewinnen an den Freuden der Natur, ihre wahren Gefühle werden in ihren Herzen wieder lebendig werden, und indem sie das Glück erreichbar sehen, werden sie es genießen lernen. Sie werden das Nämliche verrichten wie zuvor, aber mit einer anderen Seele und werden wie wahre Patriarchen thun, was sie wie Bauern gethan hatten.
N. So weit geht Alles sehr schön. Die Männer, die Frauen, die Familienmütter .... Aber die Töchter vom Hause, sagen Sie über die nichts?
R. Nein! Ein ehrbares Mädchen liest keine Liebesbücher. Die, welche dieses ungeachtet seines Titels liest, beklage sich nicht, daß es ihr geschadet habe: sie lügt. Der Schade war schon zuvor da; sie hat nichts weiter zu befahren.
N. Vortrefflich! Hier kommt in die Schule, ihr erotischen Schriftsteller; ihr findet euch von aller Schuld befreit.
R. Allerdings, wenn sie ihr Herz frei spricht und der Gegenstand ihrer Schriften.
N. Und dies ist bei Ihnen der Fall?
R. Ich bin zu stolz, um hierauf zu antworten. Julie hatte sich aber für die Beurtheilung der Bücher eine Regel gemacht [Abth. 2. Br. 18, gegen den Schluß, D. Ueb.]; wenn Ihnen diese gut scheint, so wenden Sie sie an, um das meinige zu beurtheilen.
Man ist darauf gefallen, der Jugend Romane in die Hände zu geben, um ihr zu nützen; ich kann mir nichts Unsinnigeres denken: es heißt das, Feuer anlegen, um die Spritzen spielen zu lassen [Vgl. „Bekenntnisse" Th. 8. S. 3 Anmerk. D. Ueb.]. Diesem verrückten Einfall zufolge lenkt man die Moral, die in dieser Art Schriften liegen kann, von ihrem Ziel ab, und richtet alle moralische Belehrung an die weibliche Jugend [Dies geht nur auf die modernen englischen Romane. R. Richardson's Romane, von denen der erste (Pamela) 1740 erschien; auch der Grandison ist schon 1753 erschienen, also vor der Neuen Heloise, die Rousseau 1757-59 verfaßte. D. Ueb.], ohne zu bedenken, daß junge Mädchen an den Unordnungen, über die man Klage führt, keinen Theil haben. Im Allgemeinen ist ihr Betragen geregelt, wenn auch ihre Herzen schon verdorben sind. Sie gehorchen ihren Müttern, und warten, bis die Zeit kommt, es diesen nachzuthun. Werden die Frauen ihre Pflichten erfüllen, so verlassen Sie sich darauf, daß auch die Töchter die ihrigen nicht versäumen werden.
N. Die Erfahrung bestätigt Ihre Bemerkung nicht. Das andere Geschlecht scheint immer einer Zeit der Ungebundenheit zu bedürfen, entweder in jenem Stande oder in diesem. Es ist ein böser Sauerteig, der früher oder später gährt. Bei den Völkern, die Sitte haben, sind die Mädchen leicht und die Frauen streng, umgekehrt bei denen, die keine haben. Die ersteren ziehen nur den Fehltritt in Betracht, die letzteren nur das Aergerniß. Es kommt dann nur darauf an, daß nichts bewiesen werden könne: so wird das Verbrechen für nichts gerechnet [Talis est via mulieris adulterae, quae comedit et tergens os suum dicit: Non sum operata malum. Prov. (XXX, 20).].
R. Wenn man auf die Folgen sieht, sollte man das nicht denken. Seien wir jedoch gerecht gegen die Frauen! die Schuld ihres unordentlichen Wandels liegt weniger an ihnen als an unsern schlechten Einrichtungen.
Seitdem die schroffe Ungleichheit der Lebensverhältnisse alle natürlichen Gefühle erstickt, entspringen die Laster und das Unglück der Kinder aus dem ungerechten Despotismus der Väter: in gezwungenen und übel gewählten Ehebündnissen löschen junge Frauen, die Opfer des Geizes oder der Eitelkeit ihrer Eltern, durch Unordnungen, mit denen sie prahlen, die Schande ihrer früheren Ehrbarkeit aus. Wollen Sie den Schaden heilen, so müssen Sie ihm an die Wurzel gehen. Soll irgend eine Reform in den öffentlichen Sitten vorgenommen werden, so muß man mit den häuslichen Sitten den Anfang machen, und da hängt Alles von den Vätern und Müttern ab. Aber auf diesen Punkt arbeiten die Moralprediger nicht hin; euere feigen Schriftsteller kanzeln immer nur Die ab, die unterdrückt sind und die Büchermoral wird ewig fruchtlos sein, weil sie in nichts besteht als in der Kunst, dem Stärkeren zu hofiren.
N. Knechtisch allerdings ist die Ihrige nicht. Aber geht sie nicht nach der entgegengesetzten Seite zu weit? Ist es genug, daß sie den Schaden bei der Wurzel fasse? Fürchten Sie nicht, daß sie selbst Schaden thue?
R. Schaden? Wem denn? Soll man in Zeiten der Pest und der Ansteckung, wann Alles von Kindheit auf mit dem Uebel befallen ist, den Absatz der den Kranken dienlichen Arzueien verbieten, weil ihr Mißbrauch den Gesunden schaden könnte? Mein Herr! wir denken so verschieden über diesen Punkt, daß ich fest überzeugt bin, wenn sich nur einige Verbreitung dieser Briefe hoffen ließe, so würden sie mehr Gutes wirken als manches bessere Buch.
N. Es ist wahr, Sie haben eine vortreffliche Predigerin. Ich bin nur froh, daß ich Sie mit den Frauen wieder ausgesöhnt sehe, denn es that mir leid, daß Sie ihnen verwehren wollten, uns den Text zu lesen [In dem Briefe an M. d'Alembert (über dessen Artikel Genève in der Encyclopèdie, worin er die Gründung eines Theaters in Genf anempfohlen hatte; s. „Bekenntnisse" Th. 7, S. 12) kommt R., nachdem er mancherlei erwähnt hatte, worin die Bühne ein böses Beispiel für das Leben aufstelle, auch auf die Intriguenstücke, und sagt bei dieser Gelegenheit: „Die Liebe ist das Reich der Frauen, Sie sind darin nothwendig die Gesetzgeberinnen, weil ihnen, nach der Ordnung der Natur, der Widerstand eignet, der nur auf Kosten ihrer Freiheit von den Männern überwunden werden kann. Eine natürliche Folge dieser Art Stücke ist daher, daß sie die Herrschaft des andern Geschlechtes ausdehnt, Frauen und junge Mädchen zu Lehrern des Publikums macht und ihnen denselben Einfluß auf die Zuschauer verschafft, welche sie auf ihre Liebhaber ausüben." Auf diese Stelle ist oben im Texte angespielt. D. Ueb.].
R. Sie schieben mir die Sache in's Gewissen; da muß ich still sein. Ich bin weder so thöricht, noch so weise, allezeit Recht zu haben. Lassen wir diesen Knochen der Kritik zum Abnagen!
N. Recht gern, damit es ihr nicht fehle! Aber hätte man wegen alles Uebrigen jedem Anderen nichts vorzuwerfen, sagen Sie, wie kann man dem unerbittlichen Verurtheiler des Schauspiels die verliebten Auftritte und die leidenschaftlichen Gefühle durchgehen lassen, von denen diese Sammlung strotzt? Zeigen Sie mir doch in irgend einem Theaterstück eine Scene, welche denen im Gebüsch von Clarens [Sprich: Klarang.] und im Schlafcabinet gleich kommt. Sehen Sie Ihren Brief über die Schauspiele wieder an und dann diese Sammlung .... Sie müssen consequent sein oder Ihre Ansichten aufgeben .... was soll man denken?
R. Der Kritiker, mein Herr, soll selber consequent sein, und nicht richten, ehe er untersucht hat. Sehen Sie die Schrift, die Sie erwähnen, genauer wieder an, sehen Sie auch die Vorrede zum „Narcisse" an, Sie werden darin die Antwort auf den Vorwurf der Inconsequenz finden, den Sie mir machen. Jene Oberflächlichen, die mich ihrer wegen des Devin du village ziehen, werden hier ohne Zweifel noch weit mehr Ursache dazu finden. Jene werden thun, was ihres Amtes ist. Aber Sie ....
N. Ich erinnere mich zweier Stellen [In der Vorrede zum „Narcisse“ wirkt R. die Frage auf: wenn einmal ein Volk bis zu einem gewissen Punkte verderbt ist, mögen nun die Wissenschaften dazu beigetragen haben oder nicht, muß man diese dann verbannen oder es vor ihnen behüten, um es zu bessern oder um zu verhindern, daß es noch schlechter werde? und er antwortet: Nein. Denn die Künste und Wissenschaften könnten, nachdem das Uebel einmal vorhanden ist, als Arzuei dienen, wenigstens, wenn sie die Menschen nicht gut machen können, sie doch durch Zerstreuung und angenehme Beschäftigung von dem Schlechten abziehen. Ebenso spricht sich R. in dem Briefe an d'Alembert aus. D. Ueb.] .... Sie denken gering von Ihren Zeitgenossen.
R. Mein Herr, ich bin ja doch auch ihr Zeitgenoß. O, warum bin ich nicht zu einer Zeit geboren, wo ich diese Sammlung hätte in's Feuer werfen müssen!
N. Sie übertreiben, wie gewöhnlich; aber bis auf einen gewissen Punkt ist Ihre Methode ziemlich richtig. Zum Beispiel, wenn Ihre Heloise immer ordentlich gewesen wäre, würde das Buch weit weniger lehrreich sein; denn wem würde sie zum Vorbild dienen? Gerade in den verderbtesten Zeiten liebt man die Lehren der vollkommensten Moral: sie vereiteln den Gedanken an Nachahmung und man befriediget im müßigen Lesen den Rest von Neigung, welchen man noch für die Tugend hat, auf wohlfeile Weise.
R. Ja, ihr hochfliegenden Schriftsteller, stimmt eure Ideale ein wenig herab, wenn ihr wollt, daß man ihnen nachzuahmen trachte. Wem preiset ihr die Reinheit, die noch nie befleckt worden? Ei, zeigt uns die, welche sich wieder erlangen läßt; vielleicht ist es dann wenigstens möglich, daß Jemand auf euch höre.
N. Ihr Jüngling hat diese Bemerkung schon ausgesprochen. Indessen es hilft nicht; man wird es Ihnen nichtsdestoweniger zum Verbrechen machen, daß Sie sagen, was man thut, um hinterher zu zeigen, was man thun sollte. Gar nicht davon zu reden, daß man die bestehende Ordnung über den Haufen wirft und die platte Moral, welche die Philosophie verbannt hat, zurückführt, wenn man den jungen Mädchen Liebe und den verheirateten Frauen Zurückhaltung an's Herz legt. Sagen Sie was Sie wollen, bei einem Mädchen ist die Liebe unanständig und skandalös, und nur ein Ehemann berechtigt ein Frauenzimmer zu einem Liebhaber. O wie ungeschickt, Nachsicht für die Mädchen zu zeigen, die Sie nicht lesen sollen und Strenge gegen die Frauen, welche Sie richten werden! Wahrhaftig, wenn Sie Furcht haben, mit Ihrem Buche Glück zu machen, so beruhigen Sie sich; Sie haben zu gute Vorkehrungen getroffen, um nicht vor einer solchen Kränkung ganz sicher zu sein. Wie dem nun sei, ich werde Ihr Geheimniß bewahren; seien Sie wenigstens nur zur Hälfte Tollkopf. Wenn Sie meinen, ein nützliches Buch in die Welt zu schicken, gut! Aber hüten Sie sich, sich dazu zu bekennen.
R. Mich dazu zu bekennen? Wie, mein Herr? Versteckt sich ein ehrlicher Mann, wenn er zu dem Publikum spricht? Darf er drucken lassen, was er sich nicht anzuerkennen getraut? Ich bin der Herausgeber dieses Buchs und werde mich als Herausgeber nennen.
N. Sie werden sich nennen? Sie?
R. Ja wohl, ich.
N. Wie? Sie wollen Ihren Namen auf den Titel setzen?
R. Allerdings.
N. Ihren wahren Namen? Jean Jacques Rousseau, Wort für Wort?
R. Wort für Wort: Jean Jacques Rousseau.
N. Ich bitte Sie aber, was wird man von Ihnen denken?
R. Was man will. Ich nenne mich an der Spitze dieser Sammlung, nicht um sie mir beizulegen, sondern um dafür einzustehen. Wenn etwas darin schlecht ist, daß man es mir zurechne; nicht, wenn Gutes darin ist, daß ich es mir zur Ehre mache. Wenn man das Buch an sich selbst schlecht findet, so ist das nur ein Grund mehr, meinen Namen darauf zu setzen. Ich will nicht für besser gelten, als ich bin.
N. Diese Antwort finden Sie genügend?
R. Ja, in einer Zeit, wo es Niemandem möglich ist, gut zu sein.
N. Wie? Und die „schönen Seelen“?
R. Die Natur schuf sie, aber euere Einrichtungen verderben sie.
N. Vor einer Liebesgeschichte wird man also lesen: „Von Jean Jacques Rousseau, Bürger von Genf."
R. Bürger von Genf? Nein, das nicht. Ich profanire den Namen meines Vaterlandes nicht! den setze ich nur auf Schriften, die ihm meiner Meinung nach zur Ehre gereichen können.
N. Sie haben selbst einen Namen, der nicht ungeehrt ist und Sie haben auch etwas zu verlieren. Sie schicken ein schwaches und plattes Buch in die Welt, das Ihnen schaden wird. Ich möchte Sie davon abhalten; wenn Sie aber einmal die Dummheit begehen, so finde ich es gut, daß Sie es offen und ehrlich thun; Sie werden wenigstens Ihrem Charakter hierin treu sein. Aber, apropos, werden Sie auch Ihre Devise [Vitam impendere vero. ,,Das Leben dem Dienste der Wahrheit opfern"; s. z. B. „Bekenntn. Th. 9. S. 11 Anm. D. Ueb.] auf das Buch setzen?
R. Mein Buchhändler hat schon diesen Scherz gemacht, und ich habe ihn so gut gefunden, daß ich versprochen habe, ihn ihm zu lassen. Nein, mein Herr, ich werde meine Devise nicht auf das Buch setzen, aber ich werde sie deshalb nicht aufgeben und es ist mir weniger als je leid, daß ich sie angenommen habe. Erinnern Sie sich, daß ich schon daran dachte, diese Briefe drucken zu lassen, als ich gegen die Schauspiele schrieb und daß ich mich nicht habe verleiten lassen, um die eine dieser Schriften zu entschuldigen, der Wahrheit der anderen Abbruch zu thun. Ich habe mich selbst zum Voraus vielleicht schärfer getadelt, als es sonst Jemand thun wird. Wer die Wahrheit höher hält als seinen Ruhm, darf von sich erwarten, daß er sie auch höher halten werde als das Leben, Sir verlangen, daß man stets konsequent sei; ich glaube nicht, daß dies dem Menschen möglich ist; aber möglich ist ihm, daß er stets wahr sei. Und das zu sein, ist mein Bestreben.
N. Warum also, wenn ich Sie frage, ob Sie der Verfasser dieser Briefe sind, weichen Sie meiner Frage aus?
R. Eben deshalb, weil ich nicht lügen will.
N. Aber Sie weigern sich doch auch, die Wahrheit zu sagen.
R. Und auch dies heißt der Wahrheit die Ehre geben, wenn man erklärt, daß man sie verschweigen wolle: Sie würden leichteren Kaufs bei einem Manne davon kommen, der Sie belügen wollte. Uebrigens täuschen sich denn die Geschmacksrichter über die Feder eines Verfassers? Wie? Scheuen Sie sich nicht, eine Frage aufzuwerfen, deren Entscheidung Ihre Sache ist?
N. Ich möchte sie in Betreff einiger Briefe allerdings für entschieden halten; die, welche ich meine, sind sicherlich von Ihnen; aber in den übrigen erkenne ich Sie nicht, und ich zweifle daran, daß man sich so verstellen könne. Die Natur, die nicht zu besorgen hat, daß man sie verkenne, nimmt bisweilen ein fremdartiges Ansehen an, und die Kunst verräth sich oft dadurch, daß sie natürlicher sein will als jene; Sie erinnern sich des Grunzers in der Fabel, der die Stimme des Thieres besser von sich qiebt als das Thier selbst. In Ihrer Sammlung sind eine Menge so ungeschickter Sachen, daß der elendeste Sudler sie vermieden hätte: Wortschwall, Weitschweifigkeiten, Widersprüche, ewiges Wiederkäuen derselben Gedanken. Welcher Mensch, der fähig ist, es besser zu machen, könnte sich entschließen, es so schlecht zu geben? Giebt es Jemanden, der den anstößigen Vorschlag hätte stehen lassen, den dieser verrückte Eduard Julien macht? Oder der nicht die Lächerlichkeit vermieden hätte, daß Ihr liebes Männchen immerfort sterben will und alle Welt fleißig davon benachrichtigt, zuletzt aber sich stets bei bestem Wohlsein befindet? Oder der sich nicht von vorn herein gesagt hätte: man muß die Charaktere scharf unterscheiden und jeden in seinem Style sprechen lassen? Unfehlbar würde er es bei diesem Vorhaben besser gemacht haben als die Natur selbst.
Bei einem sehr innigen Umgang, habe ich bemerkt, nähern sich die Menschen einander im Styl wie im Charakter und Freunde verschmelzen mit dem Verschmelzen ihrer Seelen auch ihre Art zu denken, zu fühlen und zu reden. Diese Julie muß, so wie sie ist, ein bezauberndes Geschöpf sein; Alles, was ihr naht, muß ihr ähnlich, Alles um sie her muß Julie werden; alle ihre Freunde müssen nur einen und denselben Ton haben. Das sind Dinge, die sich wohl fühlen, aber nicht erfinden lassen. Wenn sie Jemand ersonnen hätte, würde er sie nicht niederzuschreiben wagen: er braucht vielmehr Züge, die sich der Menge aufdrängen; was durch seine Feinheit wieder einfach wird, paßt ihm nicht. Gerade in solchen Dingen ist der Stempel der Wahrheit; in ihnen sucht und findet ein aufmerksames Auge die Natur.
R. Nun, und was folgern Sie daraus?
N. Nichts. Ich zweifle, und dieser Zweifel hat mich, beim Lesen Ihrer Briefe, ich kann nicht sagen wie sehr gequält. Gewiß, wenn Alles nur Dichtung ist, so haben Sie ein schlechtes Buch gemacht. Sagen Sie aber: diese beiden Frauen haben gelebt! und ich lese diese Sammlung alle Jahre bis an mein Ende.
R. Und wenn sie gelebt haben, was hilft's? Sie würden sie doch vergeblich auf der Erde suchen: sie sind nicht mehr.
N. Sie sind nicht mehr? Also waren doch?
R. Bedingungsweise, ja. Gesetzt, sie waren, so sind sie nicht mehr.
N. Unter uns, gestehen Sie, daß mit solchen kleinen Subtilitäten mehr ausgesagt als in Zweifel gestellt wird.
R. Nein, ich stelle sie, wie ich sie stellen muß, um mich weder zu verrathen noch zu lügen.
N. Wahrhaftig, stellen Sie sich wie Sie wollen, man wird Sie wider Ihren Willen errathen. Sehen Sie denn nicht, daß schon Ihr Titel allein Alles sagt?
R. Ich sehe, daß er über den fraglichen Punkt nichts sagt: denn wer kann wissen, ob ich in der Handschrift den Titel so gefunden oder ob ich ihn gemacht habe? wer kann sagen, ob ich mich nicht in dem nämlichen Zweifel befinde wie Sie, ob dieser ganze Anstrich von Heimlichthun nicht vielleicht eine Finte ist, um Ihnen meine eigene Unwissenheit über das, was Sie gern wissen wollen, zu verbergen?
N. Aber genug, Sie kennen die Orte; Sie sind in Vevay, sind im Waadtlande gewesen; wie?
R. Mehrmals, und ich kann Ihnen sagen, daß ich daselbst nie von einem Baron von Étange oder der Tochter eines solchen gehört habe. Der Name Wolmar ist dort nicht im Entferntesten bekannt. Ich bin in Clarens gewesen, aber ich habe dort kein solches Haus gesehen, wie es in den Briefen beschrieben wird. Ich habe, als ich aus Italien zurückkam, das Jahr des traurigen Ereignisses selbst dort zugebracht und man beweinte dazumal keine Julie von Wolmar, oder eine ihr ähnliche Person, soviel ich weiß. Endlich noch habe ich, soweit ich mich der Gegend erinnern kann, in diesen Briefen Ortsverwechslungen und topographische Irrthümer bemerkt, sei es nun, daß der Verfasser nicht recht Bescheid wußte oder daß er seine Leser geflissentlich irre führen wollte. Das ist Alles, was Sie von mir über diesen Punkt erfahren können, und seien Sie überzeugt, daß Andere mir nicht ablocken werden, was ich Ihnen nicht habe sagen wollen.
N. Alle Welt wird meine Neugier theilen. Wenn Sie dieses Werk bekannt machen, sagen Sie wenigstens dem Publikum, was Sie mir gesagt haben. Noch mehr; schreiben Sie unsere Unterredung auf und stellen Sie sie als Vorrede voran: es liegen alle nöthigen Aufklärungen darin.
R. Sie haben Recht; es ist mehr werth, als was ich aus meinem Kopfe gesagt haben würde. Uebrigens aber richtet man mit derartigen Apologien nichts aus.
N. Nein! wenn man sieht, daß der Verfasser sich darin schont. Aber ich habe dafür gesorgt, daß man an dieser diesen Fehler nicht finden wird. Nur würde ich Ihnen rathen, die Rollen zu vertauschen. Stellen Sie es so dar, als ob ich in Sie dränge, die Sammlung bekannt zu machen und Sie sich dagegen sträubten. Geben Sie sich die Einwürfe und mir die Antworten. Das wird bescheidener sein und wird mehr Effect machen.
R. Wird es auch in dem Charakter sein, wegen dessen Sie mich zuvor gerühmt haben?
N. Nein. Ich habe Ihnen eine Falle gestellt; lassen Sie Alles, wie es ist.
Ich muß Sie fliehen, Mademoiselle, ich fühle es wohl. O, hätte ich doch nicht so lange damit gewartet, oder vielmehr hätte ich Sie nie gesehen! Aber nun, was thun? wie mich benehmen? Sie haben mir Freundschaft zugesagt. Sehen Sie meine Qual und rathen Sie mir!
Sie wissen, daß ich nur auf die Einladung Ihrer Frau Mutter in Ihr Haus eingetreten bin. Weil sie wußte, daß ich einige angenehme Talente angebaut hatte, glaubte sie, daß dieselben an einem Orte, wo es gänzlich an Lehrern fehlt, zu der Erziehung der Tochter, welche sie anbetet, einige Dienste leisten könnten. Ich, stolz darauf, eine so schöne Anlage mit einigen Blüten schmücken zu dürfen, wagte es, dieses bedenkliche Geschäft zu übernehmen, ohne die Gefahr vorauszusehen, wenigstens ohne sie zu fürchten. Ich will Ihnen nicht sagen, daß ich für meine Verwegenheit zu büßen anfange: ich hoffe, daß ich mich nie so weit vergessen werde, Reden gegen Sie zu führen, die Ihnen anzuhören nicht geziemt, daß ich es nie an der Achtung werde fehlen lassen, die ich Ihrer Sittsamkeit noch mehr als Ihrem Range und Ihren Reizen schuldig bin. Wenn ich leide, so habe ich wenigstens den Trost, daß ich allein leide, und ich würde ein Glück nicht mögen, das Ihnen das Ihrige kosten könnte.