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Erich Loest, damals gerade einmal 24 Jahre alt, beschreibt in seinem Romandebüt von 1950 das Schicksal junger Rekruten, die am Ende des Zweiten Weltkrieges ihr Vaterland verteidigen sollen, immer bereit, dafür zu sterben. Loest, selbst zum Kriegsende noch zur Wehrmacht eingezogen, erzählt nüchtern, hart und mit einer desillusionierenden Sachlichkeit von dieser Generation, den Kindern in Uniform, die von einem zynischen Regime bedenkenlos missbraucht wurden – ein packendes und berührendes Stück Zeitgeschichte.
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Seitenzahl: 416
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Erich Loest
Jungen
die übrigblieben
mitteldeutscher verlag
Erich Loest, 1926 in Mittweida (Sachsen) geboren, war 1944/45 Soldat, 1947 bis 1950 Redakteur bei der „Leipziger Volkszeitung“ und ist seit 1950 als freischaffender Schriftsteller tätig (Debüt „Jungen die übrig blieben“, 1950). 1957 aus der SED ausgeschlossen und aus politischen Gründen zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, tritt er 1979 aus Protest gegen Zensur aus dem Schriftstellerverband aus und erzwingt 1981 seine Ausreise in die Bundesrepublik. Er war von 1994 bis 1997 Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller.
Loest bekam unter anderem den Hans-Fallada-Preis, den Marburger Literaturpreis, zweimal den Jakob-Kaiser-Preis, 2009 den Deutschen Nationalpreis sowie den Kulturgroschen 2010 des Deutschen Kulturrates zuerkannt, einige seiner Bücher wurden verfilmt. Loest lebt in Leipzig. Er ist Ehrenbürger seiner Heimatstadt Mittweida (1992) und von Leipzig (1996).
Editorische Notiz
Die vorliegende Ausgabe basiert auf dem Band1 der Werkausgabe, der 1991 im Linden-Verlag, Künzelsau und Leipzig, erschien. Grundlage für diese Werkausgabe war die Originalausgabe von 1950, die im Verlag Volk und Buch, Leipzig, veröffentlicht wurde.
2013
© mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)
www.mitteldeutscherverlag.de
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
des Linden-Verlags, Leipzig
© Linden-Verlag, Leipzig 1991
Alle Rechte vorbehalten.
Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
Umschlagabbildung: Deutsche Stellung an einer Landstraße,
März 1945 (ullstein bild – Heinrich Hoffmann)
ISBN 978-3-95462-726-4
Wo sich die sächsischen Hügel unmerklich in das norddeutsche Flachland hinabsenken, wo sich die ersten Kiefern auf den sandigen Dünen erheben, streckt sich die weite Ebene von Zeithain. Ein Dorf, das den Namen gab, und eine endlose Heide, die zum Begriff wurde: Zeithain, Truppenübungsplatz Zeithain. Das waren Baracken, Übungsanlagen, Schießstände, Unterkünfte, Ställe, Küchen, Werkstätten, Scheunen, Depots für alles, was der Krieg verschlang, waren Lazarette, Munitionsfabrik, Gefangenenlager. Zeithain hieß das Wort, das die Männer und Jungen Sachsens mit ernstem Gesicht aussprachen und dem sie eine kleine, bedeutungsvolle Pause folgen ließen. In dieser Pause lagen Sand, Heide und Ginster, lagen Ebene, Staub und Durst, lagen Schweiß und Schmerz. In ihr lagen Befehlen und Gehorchen.
Cover
Titel
Über den Autor
Impressum
Vorwort
I.
II.
Vor drei Tagen hatten Uhlig und Gietzel die Worte »Zeithain, Hauptlager« zum ersten Mal gelesen. Sie standen auf dem lange und nicht gerade sehnsüchtig erwarteten Einziehungsbefehl: »Sie haben sich am 3.Juni 44, bis 18Uhr, in Zeithain über Riesa, Hauptlager einzufinden…!« Diese Zettel waren eines Tages dagewesen und hatten eine jähe Änderung im täglichen Einerlei hervorgerufen. Telefonanruf in der Schule, überstürzter Abschied von den Lehrern und den letzten wenigen Schülern der Klasse. Gespielte Schadenfreude der Väter (»Zeithain, da könnt ihr was erleben!«), durch die Besorgnis hindurchklang, zwei Tage wilden Trubels, ausgefüllt mit wichtigen Verrichtungen, Abschied hier und da. Schließlich eine Bahnfahrt mit unklaren, gemischten Gefühlen.
Dort war also Zeithain. Im Schatten schirmförmiger Kiefern glänzten die Teerdächer nackter Ziegelbauten. Sie waren niedrig, dunkelrot und unfreundlich. Nur wo die Straße den geflickten Lattenzaun traf, boten ein weißes Haus und eine Säule dem Auge einige Abwechslung.
Die Sonne brannte über die graugelbe Landschaft. Links vor dem Hauptlager dehnte sich eine Fläche, besetzt mit allerlei Dingen, die wohl mit dem Militärdienst zusammenhingen. Künstliche Hecken, zerbrochene Mauern und niedrige Zäune, hölzerne Giebel imaginärer Häuschen, buntbemalte quadratische Scheiben mit Soldatenköpfen in der Mitte, Figuren aus Pappe und kleine Flugzeuge auf hohen Stangen gaben der Ebene ein eigenartiges Aussehen. Aber man würde ja wohl noch lernen, wozu das alles da war.
Uhlig kam, zwei Eisenbahnstunden weit, aus Chemnitz. Er trug die kurze schwarze Hose der Hitlerjugend mit dem dazugehörigen Koppel, ein blaukariertes Hemd und breitgetretene Halbschuhe ohne Strümpfe. Die Haare hatte er sich am Tage vorher noch etwas kürzer schneiden lassen, als er sie ohnehin schon getragen hatte. »Nur nicht auffallen«, hatte ihm sein Vater immer wieder gesagt. »Immer schön in der Mitte, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Wenn du am ersten Tage auffällst, hängst du die ganze Zeit!« Und so war auch sein immerhin noch etwas ziviler Haarschnitt gefallen.
Neben ihm ging Harry Gietzel. Untersetzt, blond, mit einer großen, leicht nach oben gewölbten Nase und kantigem Schädel. Die beiden hatten sich auf dem Bahnhof in Riesa getroffen. »Auch nach Zeithain?« hatte Uhlig gefragt. Seitdem waren sie zusammen gegangen, über die Elbbrücke, durch Röderau hindurch, nahe am Dorf Zeithain vorbei und auf die flache Höhe vor dem Lager.
»Es ist erst um vier«, sagte Gietzel im harten Dialekt seiner Egerländer Heimat. »Ich bin dafür, wir bleiben noch ein bißchen hier sitzen. Nur keine Eile, wir haben noch zwei Stunden Zeit. Oder willst du dem Kommiß zwei Stunden schenken?«
Uhlig wollte nicht. Gietzel setzte den großen Koffer ab und hockte sich nieder. Vorsichtig legte er den Koffer um, öffnete den Deckel und begann nach einigem Suchen zu essen. Uhlig streckte sich in das verdorrte Gras, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blinzelte in die Sonne, die manchmal hinter den Sommerwölkchen verschwand und dann blaue Schatten über die Ebene huschen ließ. Sommer, dachte Uhlig, Sommer. Und gähnte.
Wenn der mir nichts zu essen gibt, brauche ich ihm auch nichts zu rauchen anzubieten, dachte Uhlig nach einer Weile. Er nahm eine Packung Zigaretten aus seiner Aktentasche, schlitzte sie mit dem Nagel auf und begann zu rauchen, nachdem ihm der Wind drei Streichhölzer ausgelöscht hatte. Er legte sich wieder lang auf den Rücken.
»Was hast du denn bloß alles in dem Koffer?«
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