Juvenile Szenen -  - E-Book

Juvenile Szenen E-Book

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Beschreibung

Juvenile Szenen sind nicht (mehr) nur Kindern und Jugendlichen vorbehalten - sie können auch für Menschen jenseits dieser Lebensphase bedeutsam sein. Entsprechend bieten Szenen wie die Rap-, die Graffiti- oder auch die Fan-Szene Ansätze für die Soziale Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Allerdings wurde die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit juvenilen Szenen lange Zeit durch soziologische und erziehungswissenschaftliche Perspektiven dominiert. Um eine lebensweltliche Sichtweise zu ermöglichen, müssen sozialarbeitswissenschaftliche Zugänge integriert und auch in der Praxis verortet werden. Neben den Kategorien "Jugend" und "Identität" sind Partizipation und Gerechtigkeit sowie Politik und Kultur wichtige analytische Zugänge der Sozialen Arbeit, die in den Beiträgen dieses Bandes erörtert werden. Möglichkeiten praktischer Umsetzung bietet der zweite Teil des Buchs anhand ausgewählter Zielgruppen und Arbeitsfelder in multiperspektivisch und transdisziplinär angelegten Beiträgen. Grundlage dafür sind Praxisprojekte aus der Medienpädagogik, der politischen Bildung und der Kulturarbeit, aus der Graffiti-Szene, der Rap-Pädagogik und der Fan- bzw. der Ultra-Szene.

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Inhalt

Cover

Titelei

Einleitende Bemerkungen

Teil I Theoretische Bezüge und analytische Perspektiven

1 Juvenile Gesellungs- und Gesinnungsphänomene – Zugänge und Implikationen für die Soziale Arbeit

1.1 Einleitung

1.2 Jugend als Lebensphase

1.3 Juvenile Gesellungs- und Gesinnungsgemeinschaften und (kollektive) Identität

1.4 Implikationen für die Soziale Arbeit

1.5 Fazit und Ausblick

2 Jugend und Identität

2.1 Einleitung

2.1.1 Identität als die »zentrale« Entwicklungsaufgabe in der Jugendphase

2.1.2 Identität als Relationierung der Innen- und Außenperspektive

2.2 Entstrukturierung von Jugend – Individualisierung der Jugendphase

2.3 Identität im (Um-)‌Bruch

2.3.1 Identität und Identitätsdiffusion

2.3.2 Identität und Anerkennung

2.4 Identität als Passungsarbeit

2.4.1 Patchwork-Identität

2.4.2 Narrative (Herstellung von) Identität

2.5 Schlussbemerkung

3 Herrschaft vs. Emanzipation

3.1 Einleitung

3.2 Jugend als emanzipatorischer Begriff

3.2.1 Was bedeutet Jugend?

3.2.2 Die Besonderheiten der Kategorien

3.3 Konflikt als wesentlicher Kern des Wandels

3.3.1 Herrschaft durch Kontrolle

3.3.2 Emanzipation durch Widerstand

3.4 Wie weiter?

4 Juvenile Szenen als Kompetenzräume der Zweiten Moderne

4.1 Einleitung

4.2 Zum ›Remix‹ der Sozialisationsinstanzen in der Gegenwartsgesellschaft

4.2.1 Der Mensch als Kulturwesen und Sozialisationsinstanzen

4.2.2 Reflexive Modernisierung und die Transformation von Jugend

4.3 Szenen als Posttraditionale Vergemeinschaftung

4.3.1 Szenen

4.3.2 Kompetenzerwerb

4.4 Chancen und Herausforderungen szenesensibler Sozialer Arbeit

Teil II Szenebezogene Arbeit in der Praxis

5 Kontakt, Kooperation, Kreativität – 23 Jahre jugendkulturelle, medienpädagogische und politische Bildungsarbeit des »Archiv der Jugendkulturen e. V.«

5.1 Entwicklung und Bedeutung von Jugendkulturen früher und heute

5.2 Exkurs: Zur Geschichte des »Archiv der Jugendkulturen«

5.3 Pionierarbeit des Archivs zu Rechtsextremismus: Culture on the Road

5.4 Weitere Themen: Sexismus, (Im)‌Migration und Antisemitismus

5.5 Strukturentwicklung für bundesweite und bundeszentrale Entwicklungen: Jugendkulturen und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten

5.6 Von der Kurzzeitpädagogik zu langzeitpädagogischen Curricula: »sUPpress – Medienkompetenz für Engagement und Selbstwirksamkeit«

5.7 Herausforderungen

6 Szenebezogene Jugendarbeit im Bereich Graffiti

6.1 Einleitung

6.2 Anfänge, Wege und Ambitionen

6.3 Grundanliegen und Handlungsansätze szenebezogener Arbeit

6.4 Community Education als Rahmenkonzept szenebezogener Arbeit

6.5 Szenebezogene Arbeit im Kontext der Jugendhilfe

6.6 Zielgruppen und Angebote

6.7 Potenziale und Spannungsfelder

6.8 Resümee

7 Rap-Pädagogik – Vom Einzug der Jugendkulturen in den pädagogischen Erziehungsbereich

7.1 Von der Idee zum Projekt

7.2 Vom Gelingen pädagogischer Arbeit

7.3 Von pädagogischer Arbeit zu Rap-Pädagogik

7.3.1 Das pädagogische Konzept der Rap-Pädagogik

7.3.2 Rap-Pädagogik in der Praxis

7.3.3 Finanzierung

7.4 Pädagogisierung des Rap

8 Potenziale und Grenzen der Sozialen Arbeit mit »rechtsextremistisch« orientierten Jugendlichen

8.1 Einleitung

8.2 Gesellschaftliche Situation – politische Sozialisation junger Menschen

8.3 »Rechtsextrem« ist kein Jugendphänomen

8.4 Wie »Rechts« Teil der Lebenswelt Jugendlicher wird

8.5 »Rechte« Identitätsentwicklung

8.6 Arbeitsfelder Mobile Jugendarbeit/Streetwork (MJA/SW)

8.7 Handlungsempfehlungen und Perspektiven des Modellprojektes ReMoDe – Regional und Mobil für Demokratie (LAK MJA Sachsen e. V.)

8.8 Herausforderungen in der Praxis

8.9 Was leistet professionelle Jugendarbeit und was ist noch zu tun?

9 Fußballfans und Ultras – Aufgaben, Rahmenbedingungen und Spannungsfelder der Sozialarbeit in Fanprojekten

9.1 Einleitung

9.2 Soziale Arbeit in Fanprojekten

9.3 Exkurs: Die Ultras

9.4 Vertrauen und Vertraulichkeit

9.5 Grenzbereiche der Fansozialarbeit anhand eines Fallbeispiels

9.6 Fehlendes Zeugnisverweigerungsrecht und professionspolitische Konsequenzen

10 Kulturarbeit im suburbanen Raum: Das »Dorf der Jugend«

10.1 Einleitung

10.2 Entstehung der Konzeption

10.3 Die Basiskonzeption: »Dorf der Jugend«

10.3.1 Fernziele

10.3.2 Reflexion des Projektverlaufs

10.4 Die Wirkung emanzipatorischer Arbeit

10.5 Fazit

Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Autor*innen

Der Herausgeber

Dr. Sebastian Schröer-Werner ist Professor für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Forschungsmethoden an der Evangelischen Hochschule Berlin.

Sebastian Schröer-Werner (Hrsg.)

Juvenile Szenen

Theoretische und praktische Zugängefür die Soziale Arbeit

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Umschlagsabbildung: Gethuk_Studio – stock.adobe.com

1. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-038824-6

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-038825-3epub: ISBN 978-3-17-038826-0

Einleitende Bemerkungen

Sebastian Schröer-Werner

Als ich im Jahr 2019 die Anfrage für diesen Sammelband bekam, war ich einerseits geehrt, andererseits aber auch skeptisch: Meine Wahl zum Rektor der Evangelischen Hochschule Berlin lag unmittelbar zurück und ich wusste schon damals, dass mein Zeitkontingent innerhalb meiner Amtszeit sehr beschränkt sein wird. Allerdings hat es mich gereizt, dieses Thema zu bearbeiten, denn auch nach meiner Dissertation zum Thema »HipHop als Jugendkultur?« hatte ich immer wieder Bezüge zu Szenen, auch und insbesondere im Kontext Sozialer Arbeit, u. a. bei der wissenschaftlichen Begleitung verschiedener Praxisprojekte und der Betreuung von Abschlussarbeiten. So handelte ich einen – wie ich zum damaligen Zeitpunkt fand – sehr großzügigen Arbeitszeitraum von drei Jahren aus. Dass die Corona-Pandemie und der Angriff der russischen Föderation auf die Ukraine meine Aufmerksamkeit zusätzlich binden würden, war zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen. Ich bin daher sehr dankbar, dass mir zweimal eine Verlängerung gewährt wurde und ich Verständnis dafür erfuhr.

Bei der Anfrage des Verlages ging es um ein Buch zum Thema »Jugendkulturen und Soziale Arbeit«. Zunächst hatte ich nur ein vages Konzept, das Ziel war, theoretische Ansätze mit der Praxis Sozialer Arbeit anhand von heterogenen Arbeitsfeldern zu verknüpfen. Von Anfang an war ein Expert*innenband geplant, der durchaus unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Perspektiven vereint und so die Ambiguität der Sozialen Arbeit widerspiegelt. Ich habe gezielt Kolleg*innen angesprochen und die Resonanz war – bis auf wenige Absagen und ausbleibende Reaktionen auf meine Anfrage – durchaus ermutigend.

Aber warum ein Band zu diesem Thema und zum jetzigen Zeitpunkt? Ist die Beschäftigung mit »Jugendkulturen« (eine Begründung dafür, warum dieser Begriff nicht unproblematisch ist, findet sich in ▸ Kap. 1) überhaupt noch relevant und an gegenwärtige Diskurse in Theorie und Praxis anschlussfähig?

Damit sind vielfältige Fragen verbunden, bspw. danach, ob »Jugendkulturen«, die sich spätestens ab den 1970er Jahren als Gruppenstile wie Punk, Skinheads, Rocker, HipHopper etc. manifestiert und mittlerweile stark ausdifferenziert haben, gegenwärtig überhaupt noch existieren oder durch gegenwärtige andere, eventuell szenenübergreifende, soziale Netzwerke wie »Fridays for Future« ersetzt worden sind. Weiterhin ist zu hinterfragen, ob, sofern sie noch existieren, angesichts der Verlagerung von sozialen Prozessen in private und mediale Räume Soziale Arbeit überhaupt Zugriff auf derartige soziale Gesellungs- und Gesinnungsphänomene hat und was dies für Konsequenzen nach sich zieht.

Gegenwärtig ist häufig von einer Krise der (insbesondere offenen) Jugendarbeit die Rede, und in der Tat: Das klassische Jugendhaus hat für Jugendliche an Bedeutung verloren. Der eigentliche Ansatz der (offenen) Jugendarbeit war es, emanzipatorisch zu wirken, und im Hinblick auf den Anspruch »Jugend zu ermöglichen« tritt spätestens mit der Verschärfung des Kinder- und Jugendschutzes im Jahr 2007 ein Interessenskonflikt zutage: Menschen, die die Lebensphase Jugend durchlaufen, sollen/wollen/müssen zunehmend Autonomie erlangen. Das geschieht innerhalb der Lebensphase Jugend experimentell und zumeist zunehmend innerhalb von Peer-Beziehungen.

Wenn Räume, die eben Jugend ermöglichen sollen, (zu) stark »verregelt« werden, werden Angebote von der eigentlichen Zielgruppe nicht (mehr) wahrgenommen. Ich selbst habe in den 2000er Jahren als Sozialarbeiter in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe erlebt, wie insbesondere die Altersgruppe der 16- bis 20-Jährigen fernblieben. Nun ist es sicherlich ein hehres Unterfangen, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren gesundheitsschädlicher Substanzen zu schützen, allerdings war es seitdem nicht mehr möglich, zumindest kommunikativ auf diese aufmerksam zu machen und zusätzlich in einem lebensweltlichen Kontext präventive Angebote zu unterbreiten: Der klassische Jugendtreff mit Theke, Billardplatte, Dartscheibe, Proberaum und Raucherecke vor der Tür hatte ausgedient.

Gleichwohl es spätestens seit Ende der 1980er Jahren zu einer starken Ausdifferenzierung von Lebenswelten Jugendlicher und damit verbundener ästhetisch-kultureller Präferenzen gekommen ist, spielen (juvenile) Szenen in verschiedenen Lebensphasen und Lebenswelten eine Rolle und nach wie vor gibt es Arbeitsfelder Sozialer Arbeit, in denen derartige Bezüge relevant erscheinen. In quantitativen Studien geben ca. 1/3 aller Befragten an, zumindest temporär einer Szene oder gar mehreren nahezustehen.

Nach wie vor hat die Lebensphase Jugend eine entscheidende Bedeutung im Sozialisationsprozess inne, die einerseits durch Krisenhaftigkeit (Identitätsdiffussion, Ohnmacht) geprägt ist und in der (Handlungs-)‌Spielräume im Zuge eines Moratoriums unterschiedlich verteilt sind. Allerdings liegen auch Chancen und Optionen hinsichtlich Kompetenzerwerb, Emanzipation und Partizipation darin begründet, was in den Einzelbeiträgen näher ausgeführt werden wird.

Das vorliegende Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden theoretische Zugänge entfaltet, die als Grundlage einer gegenwartsdiagnostischen Betrachtung vorgeschlagen werden, welche bisher fehlt. Die (sozial-)‌wissenschaftliche Auseinandersetzung mit »Jugendkulturen« wurde lange Zeit durch soziologische und genuin erziehungswissenschaftliche Perspektiven dominiert. Dabei wurden deren Stile, politische Orientierungen, Kommerzialisierung und Risikopraxen untersucht. Um eine lebensweltliche Sichtweise aus Perspektive der Sozialen Arbeit zu generieren, ist es notwendig, sowohl weitere bezugswissenschaftliche Zugänge als auch sozialarbeitswissenschaftliche Ansätze zu integrieren. Der erste Beitrag wurde von mir als Herausgeber verfasst und beinhaltet einen Abriss zur Genese juveniler Szenen und eine Skizze analytischer Zugänge (▸ Kap. 1). Außerdem werden Implikationen für die Soziale Arbeit abgeleitet. Anschließend entfaltet Günter Mey das Thema »Jugend und Identität« aus einer (vor allem) entwicklungspsychologischen Perspektive (▸ Kap. 2). Dabei wird insbesondere der Ansatz der »narrativen Identität« beschrieben. In einem weiteren Beitrag beschreibt Tobias Burdukat das Spannungsverhältnis von Herrschaft und Emanzipation als begriffliches Gegensatzpaar und leitet die These ab, dass auch Jugendarbeit nicht nur zu Emanzipation beitragen, sondern sich ebenso selbst emanzipieren müsse (▸ Kap. 3). Im Beitrag von Paul Eisewicht und Ronald Hitzler wird eine soziologische Perspektive eingeführt, die nicht an Risikopraxen Jugendlicher ansetzt, sondern Potenziale des Kompetenzerwerbs in juvenilen Szenen beschreibt (▸ Kap. 4). Damit werden bisherige defizit- und problemzentrierte Sichtweisen zugunsten einer ressourcen- und kompetenzorientierten Perspektive aufgegeben.

Im zweiten Teil des Bandes werden anhand ausgewählter Zielgruppen, Arbeitsfelder und Zugänge Sozialer Arbeit Möglichkeiten der praktischen Umsetzung multiperspektivisch und transdisziplinär hinterfragt. Basis dafür ist eine kritische Reflexion der Arbeit durch Praktiker*innen. Gabriele Rohmann reflektiert die medienpädagogische und politische Bildungsarbeit des Berliner »Archiv der Jugendkulturen e. V.«, das sich seit mehr als 20 Jahren zu einer deutschlandweit herausragenden Institution entwickelt hat und neben der Arbeit des Archivs, das eine Sammlung verschiedenster Quellen (insbesondere Medien verschiedener Szenen) umfasst, auch Praxisprojekte im Bildungsbereich anbietet (▸ Kap. 5). Anschließend erörtert Ellen Demnitz-Schmidt den Ansatz der szenebezogenen Jugendarbeit mit Jugendlichen, die der HipHop-Szene nahestehen (▸ Kap. 6). Dabei geht sie auf Besonderheiten der Zielgruppe, das System der (kommunalen) Jugendhilfe und Stereotype ein, die sich als besondere Herausforderungen darstellen. Nico Hartung stellt das von ihm entwickelte Konzept der »Rap-Pädagogik« in schulischen und außerschulischen Settings vor und in diesem Zusammenhang insbesondere die Bedeutung von Authentizität heraus (▸ Kap. 7). Dies ist vor allem in Hinblick auf die Konnektivität szenebezogener Ansätze von Bedeutung. Potenziale und Grenzen der Arbeit mit rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen werden in einem Beitrag von Antje Schneider und Sascha Rusch gegenübergestellt (▸ Kap. 8). Dabei wird auf Erfahrungen aus den 1990er Jahren verwiesen, als Ansätze der »akzeptierenden Jugendarbeit« gescheitert sind, aber auch aktuelle Perspektiven werden entfaltet. Dazu kommt ein Beitrag von Sarah Köhler über die Arbeit mit Fankulturen anhand des Leipziger Fanprojektes mit dem Fokus auf Vertrauen und Beziehung, die für dieses Arbeitsfeld eine entscheidende Voraussetzung sind, jedoch durch externe Instanzen gefährdet werden (▸ Kap. 9). Abschließend benennt Tobias Burdukat Herausforderungen und Möglichkeiten gegenwärtiger Jugendarbeit in suburbanen Räumen anhand des Projektes »Dorf der Jugend« in Grimma (Sachsen) (▸ Kap. 10).

In den einzelnen Beiträgen wird herausgearbeitet, dass Soziale Arbeit mit Menschen, die sich innerhalb von Szenen verorten, durch vielfältige Herausforderungen, Spannungen und Unwägbarkeiten gekennzeichnet ist. Und auch innerhalb dieses Buches werden Ambivalenzen deutlich: Während Paul Eisewicht und Ronald Hitzler die Entgrenzung der Lebensphase Jugend beschreiben, hebt Tobias Burdukat die Abgrenzung von Jugend und Erwachsenenwelt hervor. Beide Beiträge diagnostizieren jedoch eine Entkopplung von Jugend und Lebensalter. Für die Soziale Arbeit ist das Lebensalter ihrer Adressat*innen jedoch insofern von Relevanz, als dass die Finanzierung über die Jugendhilfe gemäß SGB VIII unmittelbar daran gekoppelt ist. Diese »Brüche« in den einzelnen Perspektiven sind durchaus beabsichtig, kennzeichnen sie doch das Feld der Sozialen Arbeit und immanente Konflikte zwischen Disziplin (Wissenschaft) und Profession (Praxis).

Dies zeigt sich auch in einem wissenschaftlich-explorativen Duktus vs. Perspektive der Praxis, die sich oft an gesetzlichen Rahmenbedingungen und/oder den von der Jugendhilfe vorgegebenen Zielen orientiert und die sich argumentativ in einer Plausibilisierungs- und Rechtfertigungslogik niederschlägt. Darin sehe ich allerdings eher eine Stärke: Dadurch werden Diskursfelder sichtbar, die zur Entwicklung von Disziplin und Profession der Sozialen Arbeit beitragen und die oft totgesagte Jugendarbeit auf ein neues Fundament stellen können. Andererseits kann dieses Buch nur ein erster Impuls sein, weil wichtige Perspektiven nicht erfasst wurden und einzelne Beiträge aus unterschiedlichen Gründen leider nicht zustande gekommen sind. Dazu zählen wichtige Themenbereiche und Rahmungen wie Geschlecht, urbaner Raum vs. Peripherie sowie Medien und Digitalisierung. Auch Soziale Arbeit mit anderen als den hier beschriebenen Szenen gilt es zu ergänzen.

Berlin, Dresden und Sibiu/Hermannstadt im Herbst 2023

Teil I Theoretische Bezüge und analytische Perspektiven

1 Juvenile Gesellungs- und Gesinnungsphänomene – Zugänge und Implikationen für die Soziale Arbeit

Sebastian Schröer-Werner

1.1 Einleitung

Der Beitrag erläutert den Begriff »Jugend« als analytische Kategorie, damit verbundene Gesellungs- und Gesinnungsphänomene und entfaltet Implikationen für die Soziale Arbeit. Dabei erfolgt eine Auseinandersetzung mit bezugswissenschaftlichen Ansätzen und Perspektiven sowie damit einhergehende Potenziale und Grenzen.

Jugend, die Lebensphase, in der nach gängiger Auffassung jugendkulturelle Zusammenhänge zu beobachten sind, wird häufig im Sinne einer »negativen Definition« als ein Status beschrieben, der nicht mehr als Kindheit und noch nicht als Erwachsenphase gedeutet wird (Lenz 1986: 104 sowie 1989: 14; Mansel/Griese/Scherr 2003: 21) und durch für diese Lebensphase typische Risikopraxen (Böhnisch 2012: 170 ff.) gekennzeichnet sein kann. Diese Sichtweise erweist sich jedoch als problematisch, denn es finden sich innerhalb jugendtypischer (im Folgenden: juveniler) Netzwerke und damit einhergehender Peer-Beziehungen Akteur*innen, die noch nicht oder nicht mehr als Jugendliche zu definieren sind, und zwar weder aus entwicklungspsychologischer noch aus sozialisationstheoretischer Perspektive. Zudem lässt sich die gegenwärtige Ausdifferenzierung sozialer Praxen nicht (mehr) ohne weiteres typisieren. Lebenswelten der Akteur*innen widersetzen sich also gängigen Kategorisierungen und theoretischen Zugängen von und zu Jugend. Außerdem verstellt diese eindimensionale Rahmung den Blick auf Potenziale juveniler Handlungspraxen, die sich u. a. in Szenen widerspiegeln. Dies soll im Folgenden erörtert und daran anknüpfend sollen Konsequenzen für die Soziale Arbeit diskutiert werden. Zuvor erfolgt ein Abriss über Sozialisationstheorien und analytische Konzepte zur Beschreibung juveniler Gesellungs- und Gesinnungsphänomene.

1.2 Jugend als Lebensphase

Beschäftigt man sich mit Ansätzen Sozialer Arbeit, in deren Mittelpunkt Akteur*innen stehen, die sich innerhalb von Szenen verorten bzw. sich mit diesen identifizieren, ist eine Auseinandersetzung mit dem Begriff »Jugend« und damit einhergehenden analytischen Konzepten und theoretischen Zugängen unerlässlich. Diese sind vielfältig:

eine Klassifikation anhand von Rechtsnormen, die mit dem Lebensalter korrelieren

eine Definition anhand des biologischen Alters

die Konzeption von Jugend als Phase der Sozialisation

die Betrachtung von Jugend als generative Einheit

Die Definition von Jugend anhand des Lebensalters ist für die Soziale Arbeit von besonderer Bedeutung, da sie expliziert Aufgabenbereiche definiert (und damit einhergehend auch deren Finanzierung tangiert). So findet sich bspw. eine Definition dieser Zielgruppe in § 7‍(1) SGB VIII, deren Geltungsbereich sich im engeren Sinne auf die Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen und im weiteren Sinne auf junge Menschen bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres erstreckt. Auch weitere Rechtsvorschriften sind an das Lebensalter gekoppelt: Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) wird die Geschäftsfähigkeit sowie das aktive und passive Wahlrecht anhand gesetzlicher Normen definiert, das Jugendgerichtsgesetz (JGG) sieht vor dem Hintergrund es Kerngedankens »Erziehung statt Strafe« in Abhängigkeit von der sittlichen und geistigen Entwicklung der*des Delinquent*in eine Anwendung bis zum 21. Lebensjahr vor und definiert auch die Strafmündigkeit ab dem 14. Lebensjahr. Ferner finden sich Regelungen in Bezug auf den Kinder- und Jugendschutz in einer entsprechenden Verordnung, dem Jugendschutzgesetz (JSchG).

Eine weitere Möglichkeit, sich dem Begriff anzunähern, ist eine Definition aus biologischer Perspektive. Demnach fällt der Beginn von Jugend mit dem Einsetzen der Pubertät zusammen, die mit der Geschlechtsreife einhergeht und eine Veränderung des Körpers und der Körperwahrnehmung nach sich zieht. In einer entwicklungspsychologischen Rahmung ist damit die Phase der Adoleszenz als ein »psychosoziales Moratorium« (vgl. Erikson 2021 [orig. 1959]: 137 f.) verbunden. Dieses Moratorium (i. S. v. »Aufschub«) wird als eine durch die Gesellschaft zugestandene Karenzzeit verstanden, um experimentell die Erwachsenenrolle zu erlernen. »Klassische« Sozialisationstheorien sehen Jugend und den damit verbundenen Prozess der Sozialisation abgeschlossen, wenn die Erwachsenenrolle erfolgreich verinnerlicht wurde.

Hier zeigen sich Bezüge zu anthropologischen Ansätzen. So beschrieb der Schweizer Biologe und spätere Anthropologe Adolf Portmann (1969) den Menschen als »physiologische Frühgeburt«, der als »Lernwesen« ein »extra-uterines Frühjahr« durchlebe und auf einen »sozialen Uterus« angewiesen sei. Das heißt, dass Menschen im Gegensatz zu vielen Tieren zu Beginn ihres Lebens von ihrem sozialen Umfeld abhängig sind und sich erst in einem Lernprozess emanzipieren. Der Soziologe, Philosoph und Vertreter einer Philosophischen Anthropologie Helmuth Plessner (1975) argumentiert ähnlich: Der Mensch sei von Natur aus ein Kulturwesen und damit (Zeit des Lebens, aber besonders zu dessen Beginn) auf andere Menschen angewiesen. Arnold Gehlen, ebenfalls Soziologe, Anthropologe und Vertreter einer Philosophischen Anthropologie, begründet dies damit, dass Menschen im Vergleich zu Tieren eine geringere instinktive Absicherung des Verhaltens hätten und anstelle der Erbmotorik bei Menschen eine Erwerbsmotorik trete (ders. 1993 [1940]). Dies ist auch auf soziale Kontexte und damit einhergehend auch dem Erwerb sozialer Kompetenzen zu übertragen.

Die Bedeutung des Sozialisationsbegriffs ist aus historischer Perspektive einem Wandel unterworfen. So verstand der französische Soziologe und Ethnologe Émile Durkheim darunter die Anpassung des Individuums an seine soziale Umwelt im Kontext einer »planmäßigen Sozialisation« (1972 [orig. 1922]). Dieses adaptive Verständnis verweist auf eine normative Zielsetzung des Sozialisationsprozesses, der durch eine Generation Erwachsener durch Erziehung – Durkheim versteht darunter »die Einwirkung, welche die Erwachsenengeneration auf jene ausübt, die für das soziale Leben noch nicht reif sind« (ebd.: 30.) – gezielt und mehr oder weniger bewusst gesteuert wird. Peter Berger und Thomas Luckmann unterscheiden dabei zwei Phasen: (1) die »primäre Sozialisation« als erste Phase, in der ein Mensch zum Mitglied einer Gesellschaft wird (Kindheit), und (2) die »sekundäre‍[] Sozialisation«, im Rahmen derer eine (primär) sozialisierte Person sich ab der Adoleszenz neue Ausschnitte sozialer Wirklichkeit erschließt (1980: 140 f.). Hurrelmann und Geulen sprechen in den 1980er Jahren bereits etwas allgemeiner von der Bildung des Menschen zu einem »sozial handlungsfähigen Subjekt« (1980: 51). Modernere Sozialisationstheorien sehen Sozialisation als einen lebenslangen Prozess an, der die Entwicklung von Menschen in einem Wechselwirkungsverhältnis von Anlage und Umwelt begreift (ebd.) und dabei dem Individuum als »produktiv realitätsverarbeitendes Subjekt« eine aktive Rolle zugesteht (Hurrelmann 1983: 91 ff.).

Die Fokussierung von Sozialisationstheorien auf die Phasen der Kindheit und Jugend hat ihre Ursprünge in (Stufen-)‌Modellen der psychischen und psychosozialen Entwicklung von Menschen. Sigmund Freud als Begründer der Psychoanalyse beschriebt fünf Phasen der psychosexuellen Entwicklung (2004: 48 ff.). Während die ersten vier Phasen (orale Phase, anale Phase, phallische Phase und Latenzphase) mit der Phase der Kindheit korrelieren, fällt die genitale Phase mit der Pubertät zusammen. Talcott Parsons unternahm später den Versuch, dieses Stufenmodell in seine strukturfunktionalistisch begründete Sozialisationstheorie weitgehend zu integrieren (1956; vgl. dazu auch Tillmann 2004: 36). Er geht davon aus, dass die soziale Ordnung einer Gesellschaft durch Prozesse der Sozialisation reproduziert würden, und postuliert eine Übernahme bestehender Normen und Werte im Zuge einer »sukzessiven Internalisierung« (Parsons 1956: 42 ff.).

Der Schweizer Entwicklungspsychologe und Biologe Jean Piaget beschreibt Phasen der kognitiven Entwicklung (Kesselring 1999: 100 ff.), wobei das »formaloperationale Stadium« (11 bis 16 Jahre) in die Phase der Pubertät und damit gemäß klassischer Erklärungsansätze in die Phase der Jugend fällt (ebd.: 163 f.). Der deutsch-amerikanische Entwicklungspsychologe Erik Erikson, der durch psychoanalytische Ansätze geprägt war und diese weiterentwickelte, etablierte ebenfalls ein Stufenmodell, das sich jedoch auf den gesamten Lebenszyklus bezieht (ders. 2021 [orig. 1959]). Er beschreibt damit anhand von Krisen, die mit Dilemmata einhergehen, die psychosoziale Anthropogenese im Kontext der menschlichen Biografie. Zwei dieser Stadien (Adoleszenz und das frühe Erwachsenenalter) fallen nach dieser Lesart in die Jugendphase. Während die Adoleszenz durch das Gegensatzpaar »Identität vs. Identitätsdiffusion« geprägt ist, wird das frühe Erwachsenenalter durch den Konflikt »Intimität und Solidarität vs. Isolation« geprägt (ebd.: 150 f.).

Modernere Ansätze klassifizieren die Lebensphase Jugend anhand adoleszenzspezifischer Handlungsaufgaben, die zu bewältigen sind (bspw. Lenz 1986: 114 ff.). Dazu zählen:

1.

Die Umstrukturierung sozialer Netzwerke: Eine Bindung erfolgt nunmehr nicht nur an die Herkunftsfamilie bzw. das primäre Netzwerk, sondern wird kontinuierlich (bspw. durch außerfamiliäre Beziehungen) erweitert.

2.

Die Übernahme einer (relativ stabilen) Geschlechtsrollenidentität und die Aufnahme sexueller Beziehungen: Diese sind zwar im Laufe des Lebens veränderbar, dennoch erfolgt eine erste Prägung innerhalb der Jugendphase.

3.

Der Erwerb von (beruflichen) Qualifikationen: Diese sind auf eine spätere ökonomische Autonomie ausgerichtet.

4.

Die Ausformung eines (relativ stabilen) Selbstkonzeptes: Hier geht es um die Selbstdefinition von Individuen im Sinne einer Vorstellung der biographischen Kontinuität.1

5.

Der Entwurf eines Lebensplanes: Dieser bildet die Basis für eine Zukunftsorientierung, ist jedoch im Lebensverlauf modifizierbar.

Ein ähnliches Modell wird von Hurrelmann (u. a. 1995: 34; 2002: 35 f.) vorgeschlagen und später von Hurrelmann und Quenzel breiter ausformuliert (2022: 24 f.):

1.

Qualifizieren: Die Entwicklung von intellektueller und sozialer Kompetenz, auf deren Grundlage dann schulische und nachfolgend berufliche Qualifikationen erworben werden können, die der Herausbildung einer selbstständigen materiellen Existenz dienen.

2.

Binden: Die Herausbildung einer geschlechtlichen Identität und eines sozialen Bindungsverhaltens in Bezugnahme zu Gleichaltrigen sowie der Aufbau von sexuellen Partnerbeziehungen im Hinblick auf die Gründung einer Familie.

3.

Konsumieren: Die Konstituierung von Handlungsmustern, die eine gesellschaftliche Teilhabe in Bezug auf Konsum- und Freizeitmarkt gewährleisten, sodass damit die Herausbildung eines eigenen Lebensstils einhergehen kann.

4.

Partizipieren: Die Entwicklung eines Werte- und Normensystems sowie eines ethisch-moralischen bzw. politischen Bewusstseins, auf deren Grundlage eine verantwortliche gesellschaftliche Partizipation in kultureller und politischer Hinsicht möglich wird.

Die Lebensphase Jugend steht in einer gesellschaftlichen Generationenbeziehung. In Anknüpfung an das Modell von Karl Mannheim (1928) verweisen Ralf Bohnsack und Burkhard Schäffers (2002) darauf, dass Generationen durch das Teilen von Erfahrungen im Sinne spezifischer Ereignisse – bspw. (Welt-)‌Kriege, 9/11, Pandemien, Klimakatastrophen etc. –, die global bedeutsam sind, geprägt werden. Diese sind nicht unmittelbar an ein konkretes Lebensalter, sondern an kollektive Erfahrungen gekoppelt, die deren Lebenswirklichkeit beeinflussen. Diese Erfahrungen müssen nicht unmittelbar sein, stattdessen stehen Kohorten vor identischen Herausforderungen der Lebensbewältigung (sog. »Lebens-« oder »Generationszusammenhänge«). Diese sind jedoch im Sinne »konjunktiver Erfahrungsräume« je nach Klasse, Milieu, geografische Verortung etc. unterschiedlich zu lösen. In diesem Zusammenhang finden sich auch Bezeichnungen wie »Generation X/Y/Z«, die jedoch weder hinreichend empirisch begründet noch theoretisch elaboriert sind.

Der Beginn der Lebensphase Jugend ist häufig rituell überformt, bspw. wird der Übergang von der Kindheit zur Jugend durch »Übergangsrituale« wie Kommunion, Firmung, Konfirmation, Jugendweihefeier u. ä. in Abhängigkeit religiöser bzw. weltanschaulicher Bezüge (Griese 2000b) markiert, die Initiationsriten ähneln. Das Ende dieser Lebensphase ist jedoch nicht eindeutig zu bestimmen, da die Bewältigung der Handlungsaufgaben individuell vollzogen wird und durch Strukturen sozialer Ungleichheit geprägt sind.2

1.3 Juvenile Gesellungs- und Gesinnungsgemeinschaften und (kollektive) Identität

Ab der Lebensphase Jugend gewinnen Peer-Relationen an Bedeutung. Eine fast ausschließliche Orientierung an der Herkunftsfamilie wird durch die Ausbildung neuer sozialer Netzwerke abgelöst, die vor Allem außerhalb klassischer und institutionalisierter Sozialisationsinstanzen (Familie, Schule etc.) durch Gleichaltrige und Gleichgesinnte geprägt sind. Dabei stehen häufig ästhetisch-kulturellen Aspekte im Vordergrund, die mit einer Selbststilisierung und deren Performanz einhergehen. Es handelt sich also primär um die Identifikation mit einem spezifischen kulturellen Kontext, der sich über Präferenzen hinsichtlich u. a. Kleidung, Musik, Sprache und Normen definieren lässt und vor allem interessenspezifisch in der Freizeit praktiziert wird (Baake 1993: 116). Eine Bildung von Gruppen und Gemeinschaften Jugendlicher wird häufig dem Beginn der Industrialisierung zugeschrieben, allerdings lassen sich auch frühere Formen wie Studentenverbindungen, in Zünften organisierte Wanderburschen, Mädchen in Spinnstuben oder nach Geschlechtern getrennte Verbünde unverheirateter Personen in dörflichen Gemeinschaften nachweisen (vgl. Mitterauer 1986: 190 f.). Bewegungen und mehr oder weniger autonome Organisationsformen Jugendlicher können ebenfalls als Prototypen zeitgenössischer Szenen betrachtet werden.

Der Begriff »Jugendkultur« wird dem deutschen Reformpädagogen Gustav Wynecken (1875 – 1964) zugeschrieben, der darunter eine Gemeinschaft Jugendlicher unter der Führung eines Lehrers verstand. Jugendkultur wird bei ihm als eine eigene Subkultur innerhalb der bestehenden Kultur Erwachsener konzipiert (vgl. Baacke 2004: 141). Auch Siegfried Bernfeld (1892 – 1953), ebenfalls Pädagoge mit Bezug zur Psychoanalyse, nutzte den Begriff, allerdings bezeichnete er damit Formen der Selbstorganisation Jugendlicher (ebd.: 141 ff.). Ein genuin soziologisches Konzept des Phänomens »Jugendkultur« wurde erstmals von Talcott Parsons entworfen:

»Genau am Übergang zur Adoleszenz entwickeln sich zum ersten Mal eine Reihe von Mustern und Verhaltensweisen, in denen die Alterseinstufung und Elemente der Geschlechterrolle eine höchst komplexe Kombination eingehen. Zusammen können sie als Erscheinung der Jugendkultur bezeichnet werden« (1964: 68 [orig. 1942]).

Parsons bezieht sich dabei auf ein systemtheoretisch geprägtes Verständnis für die Beschreibung soziokultureller Phänomene. Sein Konzept ist Ergebnis einer weitreichenden theoretischen Debatte über das Vorhandensein einer eigenständigen Jugendwelt (Griese 2000a: 40). Insofern deutet auch er Jugendkultur als eine zum Teil gegensätzliche Lebensform zur Erwachsenwelt.

Auf diesem Konzept basierend gingen die Vertreter*innen der amerikanischen Jugendsubkulturtheorie vom Vorhandensein einer singulären Gesamtjugend‍(sub-)‌kultur aus (Elkin/Westley 1965). Sie verstanden diese als ein soziokulturelles Phänomen, das in den westlichen Industriestaaten vorfindbar ist und sich in den unterschiedlichen Peer-Groups niederschlage, in denen sich die Heranwachsenden vorzugsweise aufhalten. Die Akteur*innen dieser Jugendkultur würden dann ihr Leben aus der Position der Normen und Werte betrachten, die in den jeweiligen Peer-Groups Gültigkeit besitzen (ebd.). Diesen Ansätzen liegt ein dichotomes Modell mit dem Gegensatzpaar »Jugendkultur« vs. »Erwachsenenkultur« zugrunde. Auf diese Idee bezieht sich auch der israelische Soziologe Shmuel Noah Eisenstadt (1966 [orig. 1956]), der in starkem Maße von Parsons inspiriert wurde. Allerdings erweitert er dessen Konzept im Sinne einer Differenzierung, das den biologischen Reifeprozess kulturell überformt. Sozialisation bedeutet in dieser Lesart die Übermittlung eines »sozialen Erbes«. Die Vermittlung dieses Erbes vollzieht sich, so Eisenstadt, zunehmend weniger in altersheterogenen Gruppen (bspw. Familien). Stattdessen gewinnen altershomogene Gruppen wie »Peer Groups« zunehmend an Bedeutung (ebd.: 40).

Die bisher beschriebenen Ansätze gehen von (einer) Jugendkultur aus, die für alle prägend ist, die die Lebensphase Jugend in einer jeweiligen Epoche durchlaufen. Eine erste Differenzierung erfolgte durch das Konzept der Subkultur. Diese wurde im deutschsprachigen Diskurs maßgeblich durch den österreichischen Sozialwissenschaftler Rolf Schwendter (1971) geprägt. Dieser vertrat die Teilkulturthese, nach der Subkulturen als Elemente einer übergreifenden Kultur zu verstehen sind, und unterscheidet zwischen progressiven Subkulturen, die auf eine Veränderung gesellschaftlicher Strukturen ausgerichtet sind, und regressiven Subkulturen, die etablierte Strukturen bewahren wollen (ebd.). Er vertritt eine allgemeine Kulturtheorie, die nicht explizit auf Subkulturen Jugendlicher rekurriert. In diesem Sinne können bspw. auch Kleingartenverbände als Subkulturen gedeutet werden. Allerdings kann diese Theorie dazu genutzt werden, Gesellungs- und Gesinnungsphänomene als Subkulturen Jugendlicher bzw. »Jugendsubkulturen« zu deuten. Demnach wären Subkulturen Teilkulturen von Jugendlichen, die man prinzipiell als »regressiv« oder »progressiv« charakterisieren kann. Der deutsche Erziehungswissenschaftler Dieter Baake merkt in diesem Zusammenhang jedoch an, dass damit die Gefahr einer Stigmatisierung und unterkomplexen Betrachtung von Gruppen einhergeht (1998: 125 ff.).

Eine klassentheoretische Rahmung erfährt die Jugend‍(sub)‌kulturforschung durch die Arbeiten, die im Umfeld des sog. »Birmingham-Centers«, dem »Centre for Contemporary Cultural Studies« (CCCS) in Birmingham (UK), entstanden sind. Zu den Autoren zählen u. a. Mike Brake (1981) sowie Paul Willis, John Clarke, Dick Hebdige und Toni Jefferson (vgl. Clarke et. al. 1979; Jacke 2009). Sie unterschieden zwischen einer (Sub-)‌Kultur Jugendlicher (»youth culture«) und der Kultur Erwachsener bzw. der Elterngeneration (»parent culture«). Außerdem vertraten sie die Hoch- vs. Gegenkulturthese und postulierten eine Differenzierung der Gesellschaft in soziale Klassen. Gegenstand ihrer Untersuchungen waren Gruppenstile Jugendlicher, bspw. von »Teddyboys«, »Mods«, »Rocker«, »Skinheads« und »Punks« (vgl. Brake 1981: 82 ff. [orig. 1980]). Sie begriffen dabei Jugendliche als aktiv handelnde Akteur*innen im Prozess der Stilschöpfung (Kunst, Musik, Mode etc.). Ferner unterschieden sie – ihrer klassentheoretischen Perspektive folgend – zwischen jugendlichen Subkulturen der Arbeiterklasse (bspw. Skinheads) und jugendlichen Subkulturen der Mittelschicht (Hippies).

Die Studien, die im Umfeld des CCCS entstanden, gehen erstmals von einer Pluralität jugendlicher (respektive juveniler) Lebenswelten und damit verbundener kultureller Praxen aus. Damit wird das Modell einer homogenen Jugendkultur abgelöst, von der frühere Ansätze und Modelle ausgingen. Allerdings blieb die Perspektive auf den Gegenstand der Betrachtung in einer Perspektive verhaftet, die von einem (Zwei-)‌Klassenmodell der Gesellschaft ausgeht. Zudem erscheinen die untersuchten »Subkulturen« als analytische Konzepte retrospektiv nicht mehr angemessen, da sie als »Idealtypen« nicht (mehr) der Komplexität postmoderner Gesellschaften gerecht werden. Spätestens in den 1980er Jahren kam es zu einer Ausdifferenzierung ästhetischer Orientierungen, die sich zum Teil von der sozialen Lage, tradierten Milieus, aber auch politischen Systemen entkoppelte (Baacke 2004: 40 f.; kritisch äußert sich dazu Hoffmann 2011). Die Ausbildung juveniler Gesellungs- und Gesinnungsgemeinschaften fand nicht mehr ausschließlich in westlichen Industriestaaten statt, sie entwickelten sich teilweise zu globalen Kulturphänomenen (vgl. dazu u. a. Roth 2002 sowie Villányi/Witte/Sander 2007).

Der deutsche Soziologe Ulrich Beck beschrieb die Ausdifferenzierung von Lebenslagen als Charakteristikum der Gegenwartsgesellschaft, die er als »entgrenzte Risikogesellschaft« in einer »reflexiven Moderne« charakterisierte (1986: 251 ff.). Damit geht eine Pluralisierung von Lebensentwürfen, Lebensstilen und Handlungsoptionen einher, was einerseits zu einer Vielzahl von Optionen, andererseits jedoch auch zu einer Individualisierung von Lebensrisiken führt. Damit korreliert auch die Entstehung neuer juveniler Formen der Vergemeinschaftung, sodass die beiden deutschen Erziehungswissenschaftler Dieter Baacke und Winfried Ferchhoff argumentieren, dass von einer Jugendkultur, die die Gesamtheit von Jugend beschreibt, nicht mehr die Rede sein kann (1995: 511 ff.). Ebenso sei der Begriff einer (sozialmilieuspezifischen) Jugendsubkultur nicht mehr adäquat, da sich diese diversifiziert und von einer Anbindung an soziale Klassen entkoppelt habe (Ferchhoff 1990). Sie unterschieden juvenile Gesellungs- und Gesinnungsphänomene anhand von Stilmerkmalen und spezifischer Handlungspraxen, die für die Lebensphase Jugend typisch seien (Ferchhoff/Baacke 1995: 505 f.). So identifizierte Ferchhoff (2007) 25 verschiedene Jugendkulturen: (1) Boygroups/Girlgroups, (2) Computerkids, (3) Fußballfans, (4) Fantasy-Fans, (5) Hooligans, (6) Grunge, (7) Kellys, (8) Junge Christen und viele Religions-Bricolagen/Mix-Religionen, (9) Heavy Metal; White-‍, Black-‍, Dark-‍, Trash- [sic], Death Metal, Satansrock, (10) Mainstream Pop/Rock, (11) Metaller, (12) Punks/Punkrock, (13) HipHopper/Rap-(Text) [sic]/DJing (Musik)/Graffiti (Bild), Break-dance (Tanz), (14) Rave/Techno, (15) Serienfreaks, (16) Skater/Surfer/Snowboarder, (17) Bürgerliche Jugendliche, (18) Splatters, (19) Trekker/Trekkies, (20) Skinheads, die nicht nur rechts orientiert sind, und rechte Jugendliche, (21) Grufties/Gothics, (22) Stinos, (23) Girlies, (24) die Autonome Szene sowie (25) Unbekannte, nicht entdeckte Jugendkulturen (ebd.: 188 – 234).3

Das Problem dieser Aufzählung ist, dass die beschriebenen »Jugendkulturen« einerseits nicht überschneidungsfrei sind – bspw. können Punks auch leidenschaftliche Skateboarder*innen sein und Fußballfans Fernsehserien konsumieren, andererseits muss die Frage erlaubt sein, was »Metaller« von Jugendlichen unterscheidet, die »Heavy Metal; White-‍, Black-‍, Dark-‍, Trash- [sic], Death Metal, Satansrock« konsumieren. Einige »Jugendkulturen« waren aus heutiger Sicht relativ kurzlebig (bspw. wissen Studierende, die ich in Seminaren befrage, nur selten etwas mit dem Begriff »Kellys« anzufangen), außerdem sind Fremdbezeichnungen (bspw. »Grufties«) enthalten, die innerhalb der beschriebenen Gesellungs- und Gesinnungsphänomene als stigmatisierend und/oder herabwürdigend wahrgenommen werden. Andererseits sind in der Aufzählung Gesinnungsgemeinschaften enthalten, die auch gegenwärtig noch relevant sind und zum Teil auch in diesem Band aus der Perspektive der Sozialen Arbeit behandelt werden (vgl. dazu bspw. ▸ Kap. 6, ▸ Kap. 7, ▸ Kap. 8, ▸ Kap. 9).

Hinsichtlich der Orientierung an den vielfältigen Identifikationsangeboten innerhalb jugendkultureller Gemeinschaften ist auch ein experimenteller Umgang zu beobachten. Zudem sind hybride Selbstverortungen charakteristisch. Ferchhoff und Neubauer (1997) erläutern dies Anhand des Konzeptes der Bricolage, die auf den französischen Strukturalisten Claude Lévi-Strauss (1968 [orig. 1962]) zurückgeht. Damit sind kulturelle Techniken gemeint, die die Bedeutung von Symbolen, Gegenständen und kulturellen Praxen Entkontextualisieren, verändern und neu adaptieren. Die Lebensphase Jugend lässt sich in Konsequenz daraus als »Patchwork-Jugend« charakterisieren (vgl. Ferchhoff/Neubauer 1997). Hier finden sich auch Bezüge zum entwicklungspsychologisch fundierten Ansatz der »Patchwork-Identität‍(en)«, wie sie u. a. der deutsche Sozialpsychologe Heiner Keupp und Kollegen beschreibt (ders. 1999; siehe dazu auch ▸ Kap. 2) bzw. zu einer »Bastelidentität« (bei Hitzler und Eisewicht, ▸ Kap. 4): Es geht um ein »Sampling« von Stilen und Orientierungsmustern. Identität‍(en) werden dabei situativ hergestellt, performativ gerahmt und in im Sinne einer »narrativen Identität« plausibilisiert. Durch geteilte Narrative können kollektive Identitäten entstehen, die als Basis posttraditionaler Gemeinschaften und damit auf von Szenen verstanden werden können.

Ausgehend von den beschriebenen Ansätzen entwerfen Ronald Hitzler, Thomas Bucher und Arne Niederbacher (2005 [2001]) das Konzept der juvenilen Szenen als Formen posttraditionaler Gemeinschaften. Posttraditionale Gemeinschaften bzw. Vergemeinschaftungen sind nicht durch Familienbeziehungen und/oder formale Mitgliedschaften gekennzeichnet, sondern auf Freiwilligkeit beruhende, vergleichsweise diffuse soziale Geflechte sozialer Bindungen mit einer gemeinsamen ästhetisch-kulturellen Orientierung und einem geteilten Mindset. Szenen sind, so Hitzler, Bucher und Niederbacher, »[t]‌hematisch fokussierte Netzwerke, die bestimmte materiale und/oder mentale Formen der kollektiven Selbststilisierung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen Orten und zu typischen Zeiten stabilisieren und weiterentwickeln.« (2005: 20). Im Unterschied zu Subkulturen sind Szenen in Bezug auf In- und Exklusion diffuser, haben im Vergleich zu Milieus einen wesentlich geringeren Bezug auf vorgängige biografische Umstände und sozialstrukturelle Verortungen, sind im Vergleich zu Peer-Beziehungen in einem geringeren Maße altershomogen, verfügen über eine geringere Kommunikationsdichte und sind als soziale Netzwerke von Gruppen translokal ausgerichtet. Es geht dabei also weniger um Gleichaltrigkeit, sondern vielmehr um eine (relative) Gleichartigkeit von Interessen und Dispositionen. Im Vergleich zu traditionalen Netzwerken besteht ein geringeres Maß an Verpflichtung‍(en); eine Distinktion zu anderen sozialen Netzwerken und die Identifikation erfolgen im Modus der Selbstinszenierung. Szenen werden also durch kollektives Handeln hergestellt, sodass sich die analytische Perspektive in eine interaktionistische Lesart verschiebt. Allerdings sollte der Aspekt der (Selbst-)‌Stilisierung als bestimmendes Distinktionsmerkmal durch eine Außenperspektive ergänzt werden, also einem Wechselwirkungsverhältnis von Stilisierung und deren Wahrnehmung. Ferner können Szenen aus einer interaktionistischen Perspektive in Anlehnung an Strauss (1993) als Soziale Welten gedeutet werden (vgl. dazu Schröer 2013: 68 ff.)

Szenebezogene Praxen müssen nicht an die Lebensphase Jugend gekoppelt sein und können Lebensphasen übergreifen. Gleichwohl erfolgt eine Affinisierung häufig innerhalb der Lebensphase Jugend, sodass das Attribut »juvenil« im Sinne von »jugendtypisch« bzw. »mit Jugend assoziiert« deren Kontext beschreibt (vgl. Schröer 2013: 233 ff.). Wesentlich wichtiger als das tatsächliche Lebensalter ist folglich ein entsprechendes Mindset, dass mit einem szeneorientierten Lebensstil kompatibel ist. Eine ähnliche Sichtweise vertritt Tobias Burdukat (▸ Kap. 3), der Jugend ebenfalls vom Lebensalter entkoppelt definiert.

1.4 Implikationen für die Soziale Arbeit

Für die Soziale Arbeit ist die Lebensphase Jugend mit vielfältigen Implikationen verbunden, die auf mehrere Handlungsfelder verweist. Von herausragender Bedeutung ist hier das SGB VIII, das die Rechtsgrundlage weiter Felder der Kinder- und Jugendarbeit darstellt. Grundsätzlich geht es dabei auch und vor allem darum, Jugend (Böhnisch/Schefold 2017: 15, BMFSFJ 2017: 480) bzw. eigenständige Jugendräume (Böhnisch 2021) zu »ermöglichen« und ggf. soziale Benachteiligungen auszugleichen. Dies umfasst Angebote im Bereich der (bio-psycho-sozialen) Prävention, das Vorhalten von (sozialen) Räumen, die Förderung von Partizipation, (politische) Bildung und Beziehungsarbeit. Hier besteht jedoch die Herausforderung, dass Szenen Lebensphasen übergreifen (können) und damit deren jeweiliger Kontext von Bedeutung ist. Szenen bieten – vor allem jüngeren – Menschen Gesinnungs- und Gesellungsformen an, die auf ästhetische und kulturelle Sinndimensionen verweisen. Diese sind Gegenstand von Identitätskonstruktionen. Für die Soziale Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist das insofern relevant, als dass sie als Teil der Lebenswelten von Adressat*innen einen Anknüpfungspunkt bieten, um soziale Probleme zu vermeiden, zu lindern oder bestenfalls zu lösen. Allerdings ist – wie ausgeführt – die Zielgruppe keinesfalls homogen und von der jeweiligen sozialen Lage und der lebensweltlichen Verortung geprägt, die Schröer (2004) als Entgrenzung beschreibt. Eine spannende Frage wäre in diesem Zusammenhang auch, inwieweit der Begriff Jugend und eine Partizipation innerhalb juveniler Szenen um ein Konzept der Präadoleszenz erweitert werden müssten, da Formen juveniler Vergemeinschaftung nicht an die Lebensphase Jugend gekoppelt sein müssen. Mit der von Beck (1986) diagnostizierten Pluralisierung von Lebenswelten und Lebensentwürfen geht der Befund einher, dass innerhalb von Szenen auch Akteur*innen außerhalb des Jugendalters verortet sind. Zudem sind die Art und Dauer des Moratoriums im starken Maße von der sozioökonomischen Lage sowie Faktoren wie Geschlecht, Bildung, Religion, Migration und weiteren Kategorien sozialer Differenzierung bestimmt.

Gegenstandsangemessener stellt sich eine sozialisationstheoretische Perspektive dar, die davon ausgeht, dass der Erwachsenenstatus mit der Bewältigung konkreter Handlungsaufgaben wie ökonomische Selbstständigkeit, Aufbau relativ stabiler Partnerbeziehungen, Loslösung von der Herkunftsfamilie zugunsten frei gewählter Netzwerke etc. erworben wird (vgl. dazu u. a. Hurrelmann/Quenzel 2022; Lenz 1986: 114 ff.). Die Bewältigung dieser Handlungsaufgaben vollzieht sich dabei maßgeblich in der Lebensphase Jugend. In der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass auch diese Definition nicht wirklich greift. So ist es durchaus keine Seltenheit, dass Akteur*innen Handlungsaufgaben noch nicht bewältigt haben, jedoch aufgrund ihres Alters als Erwachsene zu betrachten sind, da sie aufgrund von Statusmerkmalen und Professionsorientierung nur noch partiell auf jugendliche Attitüden verweisen. Innerhalb der Peers werden diese Akteur*innen jedoch als organischer Teil der Szene wahrgenommen.

Der Jugendbegriff ist insofern also für die Betrachtung posttraditionaler Gesellungs- und Gesinnungsphänomene problematisch. Stattdessen ist eine Perspektive nötig, die losgelöst von der exklusiven Betrachtung im Kontext von Jugend ist und sowohl präadoleszente als auch postadoleszente Akteur*innen inkludiert, da sowohl eine Zugehörigkeit zu einer Szene vor der Konfrontation mit konkreten Handlungsaufgaben der Lebensphase Jugend als auch ein Verbleib trotz deren Bewältigung möglich ist.

Für die Soziale Arbeit ergeben sich daraus mehrere Dilemmata: Jugendarbeit ist häufig mit der Erwartung einer Befriedung von sozialen Konflikten um öffentliche Räume verbunden und Fachkräfte der Sozialen Arbeit sehen sich in die Funktion von »Raumwächtern« gedrängt. Häufig wird Jugend mit Krisendiskursen verbunden und auf Risikopraxen, die mit dieser Lebensphase assoziiert werden, rekurriert. Demgegenüber hat (szenebezogene) Soziale Arbeit das Potenzial, kreative Räume zu eröffnen und Kompetenzen zu fördern. Die gesetzliche Rahmung gibt dabei einerseits einen Handlungsrahmen vor, engt jedoch andererseits notwendige Spielräume ein. So können juvenile Lebenswelt‍(en) mit dem Anspruch des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes in Konflikt stehen. Die offene Kinder- und Jugendarbeit hat dies bspw. in den 2000er Jahren in eine Sinn- und Existenzkrise geführt: Das Rauch- und Alkoholverbot in Einrichtungen der öffentlichen Hand bzw. der aus öffentlichen Mitteln geförderten Projekte hat bei der Zielgruppe wenig Anklang gefunden und deren Streben nach Autonomie konterkariert. Die Folge dessen war ein Rückzug der Zielgruppe in private (und zunehmend digitale) Räume, auf die Soziale Arbeit kaum Zugriff hat.