Kaiserliche Kindheit - Gabriele Praschl-Bichler - E-Book

Kaiserliche Kindheit E-Book

Gabriele Praschl-Bichler

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Beschreibung

Es zählt zu den Sternstunden eines Historikers, wenn er unverhofft auf handschriftliches Material stößt, das interessant ist und noch nicht veröffentlicht wurde. So fand sich unter verschiedenen Dokumenten des österreichischen Kaiserhauses das Tagebuch eines Erzherzogs, das er im Alter von elf Jahren begonnen hatte und zwei Jahre lang führte. Bei dem jugendlichen Autor handelt es sich nicht nur um einen der ranghöchsten Erzherzoge, sondern auch um den zweitältesten Bruder des späteren Kaisers Franz Joseph, der während der Entstehungszeit des Tagebuches bereits als Österreichs nächster Regent feststand. Seine und seiner Brüder späte Kindertage bilden den Inhalt des Buches, aus dem hervorzulesen ist, daß ihnen das Privatleben das Wichtigste war. Die überraschendste Entdeckung dabei: Der kaiserliche Alltag hätte nicht bürgerlicher und biederer sein können. Das Tagebuch gewährt Einblick in einen sehr privaten Lebensbereich der kaiserlichen Familie. Denn abgesehen von der Wiedergabe der Tageserlebnisse und von der Nähe des Erzählers zu den Ersten Personen des Landes entsprang dem Kindermund doch viel Spontanes und Wahrhaftes, das ein erwachsener Schreiber sicherlich unterdrückt hätte.

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Gabriele Praschl-Bichler

Kaiserliche Kindheit

Gabriele Praschl-Bichler

Kaiserliche Kindheit

Aus dem aufgefundenen TagebuchErzherzog Carl Ludwigs, eines Brudersvon Kaiser Franz Joseph

Mit 23 Abbildungen

Alles im Buch veröffentlichte Bildmaterialentstammt einem Privatarchiv

© 1997 by Amaltheain der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH,Wien • MünchenAlle Rechte vorbehaltenUmschlaggestaltung: Daniela SchäferHerstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 12 Punkt Stempel GaramondDruck und Binden: Wiener Verlag, HimbergPrinted in AustriaISBN 3-85002-410-5eISBN 978-3-902998-34-7

INHALT

Vorwort

»Tagebuch angefangenden 13. April 1844«

Familienverbindungen der im Textbesprochenen Habsburger anhand einigerStammtafeln

Habsburg-Lothringen

Wittelsbach

Baden

Bourbon

Holstein-Gottorp

Württemberg

Quellenverzeichnis

Suchhilfe zum Personenregister

Personen- und Ortsregister

VORWORT

Es zählt zu den Sternstunden eines Historikers, wenn er – unerhofft und unerwartet – auf handschriftliches Material stößt, das geschichtlich interessant ist und noch niemals veröffentlicht wurde. So fand sich in einer Masse von verschiedenen Dokumenten aus dem österreichischen Kaiserhaus das Tagebuch eines Erzherzogs, das er im Alter von knapp elf Jahren begonnen und zwei Jahre lang mit ziemlicher Regelmäßigkeit geführt hatte. Bei dem jugendlichen Urheber der Schrift handelt es sich nicht nur um einen der ranghöchsten Erzherzoge, sondern auch um den zweitältesten Bruder des nachmaligen Kaisers Franz Joseph, der während der Entstehungszeit des Tagebuchs schon als Österreichs nächster Regent feststand. Seine und seiner Brüder späte Kindertage bilden den Inhalt des Buches, aus dem herauszulesen ist, daß ihm und ihnen das Privatleben das Wichtigste war. Die überraschendste Entdeckung dabei: Der kaiserliche Alltag hätte nicht bürgerlicher und biederer sein können.

Zurück zum Autor, dem zu Beginn des Tagebuchs noch nicht ganz elfjährigen Erzherzog Carl Ludwig. Er war der dritte Sohn Erzherzog Franz Carls und Erzherzogin Sophies, einer geborenen Prinzessin von Bayern, und hatte damals drei Brüder: Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Ludwig Victor, das zweijährige Nesthäkchen der Familie. Als weitere Hauptpersonen seines nächsten Kreises spielten – neben den Eltern – der regierende Kaiser, Ferdinand I., ein direkter Onkel; die Kaiserinwitwe Caroline Auguste (im laufenden Text immer als ›Kaiserin‹ bezeichnet), Stiefgroßmutter und Tante in einem; sowie Erzherzog Ludwig, ein Großonkel, Bruder und geistiger Erbe Kaiser Franz II./I., bedeutende Rollen. Aufgefüllt wird die Szenerie durch Erzieher und Lehrer der jungen Erzherzoge, Damen und Herren im Gefolge der Eltern und ständig an- und abreisende Verwandte, die entweder dem österreichischen Kaiserhaus oder anderen europäischen Regentenfamilien angehörten.

Zum Aussehen des Tagebuchs: Die einzelnen Seiten messen 12,7 cm mal 19,1 cm; das Buch ist 3,5 cm dick (den Buchdeckel miteingeschlossen 4,2 cm), es scheint zweimal gebunden worden zu sein. An einen ersten bestehenden Band wurden später dreißig Seiten angefügt. Danach muß das ganze noch einmal gebunden und – vermutlich zu diesem Zeitpunkt – mit einem dunkelblauen Umschlag aus gepreßtem Leder versehen worden sein. Am Buchrücken befindet sich eine Prägung in Goldlettern: »TAGEBUCH vom 13. April 1844 bis 16. August 1846. Mit Unterbrechungen.« Die Schnittkanten erhielten an allen drei Seiten eine bunte, wellenförmige Musterung, die dem am Vorsatzpapier des Buches entspricht.

Daß dieses Tagebuch begonnen und geführt wurde, hatte vorrangig einen erzieherischen Grund: Kinder aus gesellschaftlich höher stehenden und gebildeten Familien wurden von ihren Eltern zum Aufzeichnen der Tagesereignisse veranlaßt, um Sprech- und Schreibgewandtheit zu erlangen, und wohl auch, um Situationen beurteilen und Menschen einschätzen zu lernen. Die Übung bildete einen Grundstock für das spätere gesellschaftliche Leben: der Schreiber mußte lernen, als Erwachsener eine Konversation führen und in Gang halten zu können. Natürlich ging jedes Kind anders an die Schreibarbeit heran, und es ist rührend zu verfolgen, wie Erzherzog Carl Ludwig das Pensum erledigte. Den unumstrittenen Mittelpunkt seines Denkens bildete die geliebte ›gute Mama‹. Ihrer An- oder Abwesenheit, ihrem Verhalten den Kindern gegenüber galten die meisten Vermerke. Den nächsten Schwerpunkt bildet die eigene Tagesgestaltung und die der Brüder. Die geringste Bedeutung wird dem Lernprogramm beigemessen, obwohl es den größten Teil der Tageszeit einnahm. Aus erhaltenen Stundenplänen aus dem Jahr 1844 ist zu ersehen, daß im Sommer dieses Jahres dreizehn Fächer gelehrt wurden (Geschichte, Geographie, Mathematik, Naturgeschichte, Latein, Ungarisch, Italienisch, Französisch, Böhmisch, Deutsch, Zeichnen, Schreiben und Musik). Während einer Woche wurden die meisten dieser Gegenstände mehrmals unterrichtet. Pro Tag gab es vormittags sechs bis acht Stunden Studium mit den Lehrern – nachmittags wurde das Programm um Turnen, Reiten, Kutschieren, Fechten, Schwimmen, Tanz und Exerzieren erweitert. Abwechslung bildeten im Sommer nachmittägliche Spaziergänge mit den Eltern, im Winter das (auf ein Minimum beschränkte) abendliche Zusammensein mit der Familie.

Erzherzog Carl Ludwig scheint – wie die meisten Kinder im Alter zwischen elf und dreizehn Jahren – den Unterricht nicht besonders geschätzt zu haben. Das hauptsächliche Interesse galt der Familie und der gemeinsamen Freizeitgestaltung, weshalb das Tagebuch vor allem zu einem beredten Zeugen habsburgischen Privatlebens wird. Sehr überraschend dabei: der überaus bürgerlich angelegte Alltag und der anspruchslose Lebensstil. Die meisten Familienmitglieder lebten in anerzogener und überzeugter Sparsamkeit, und es bereitete keinem Aristokraten oder Bürger mittlerer finanzieller Verhältnisse eine Schwierigkeit, den Aufwand des kaiserlichen Haushaltes zu überbieten.

Das Tagebuch endet zwei Jahre, nachdem es begonnen worden war, im Sommer 1846 und scheint keine Fortsetzung erhalten zu haben. Denn während dieses Zeitraums war das angestrebte Ziel erreicht worden: Schrift und Orthographie des jungen Mannes hatten sich wesentlich verändert, und auch die Wortgewandtheit war dem zeitgenössischen Konversationston schon sehr nahe gekommen. Natürlich entsprach der Stil des Dreizehnjährigen noch nicht dem eines Erwachsenen. Aber Erzherzog Carl Ludwig hatte jenes Alter erreicht, in dem Kinder des 19. Jahrhunderts von ihren Eltern in die meisten Gesellschaften miteinbezogen wurden. Dort erhielten Sprechstil, Wortgewandtheit und Urteilsvermögen ihren letzten Schliff. Da Erzherzogin Sophie eine besonders aufmerksame und liebende Mutter war, hat sie ihre Söhne schon früh als vollwertige Gesprächspartner anerkannt, weshalb es ihnen nicht schwer fiel, sich bald auch im größeren Gesellschaftskreis zurechtzufinden.

Im Hinblick auf die stilistische Entwicklung sei darauf hingewiesen, daß die Eintragungen anfangs etwas knapp gehalten und die Höhepunkte des Tages in wenigzeiligen Bemerkungen abgehandelt wurden. Sehr bald ist aber auch zu erkennen, daß das Erzählvolumen vom Grad der Begeisterung des jungen Erzherzogs abhing. Denn auch in den ersten Aufzeichnungen finden sich längere, spannend erzählte Geschichten. Zu den am ausführlichsten behandelten Themen zählen die Besichtigungen technischer Errungenschaften wie die eines Eisenbahnwagens, der erstmals die Strecke zwischen Wien und Graz befuhr (22. Oktober 1844), oder Ballonfahrten (22. und 25. September 1845, 26. Oktober 1845); Familienfeste, die im Zusammenhang mit Kostümierungen, Tanzveranstaltungen oder Theateraufführungen standen (1. und 4. Februar 1845, 15. Mai 1845, 4. November 1845); eine mehrwöchige Bildungsreise durch Oberitalien (2. September bis 5. Oktober 1845); öffentliche Empfänge oder Veranstaltungen (30. Dezember 1845, 18. Juni 1846); Kinderulk (1. April 1846) sowie historische (Tages)Ereignisse wie der Selbstmord eines Mannes während einer Burgtheatervorstellung (16. Mai 1846), der Tod Papst Gregors XVI. (6. Juni 1846) oder ein Aufstand der nationalistischen Polen in Krakau (23. Februar bis 5. März 1846).

Zurück zum Schreibstil und zum erzieherischen Wert des Tagebuchs. Im Hinblick auf die Rechtschreibung wurden anfangs (wahrscheinlich von einem der Erzieher) stilistische und orthographische Unebenheiten korrigiert und einige ausländische Namen oder Fremdwörter, die der junge Erzherzog nur phonetisch wiedergab, ausgebessert. Sie enden – vermutlich auf Wunsch des Verfassers – nach einigen Seiten. Im gedruckten Text werden aber, unabhängig vom Original, die bekannten Familien- und Geschlechternamen in der richtigen Schreibung wiedergegeben sowie der einfacheren Lektüre halber einige fehlende Kommata ergänzt. Vornamen wurden, um Verwirrungen zwischen Originaltexten und Erläuterungen zu vermeiden, unverändert belassen (alle Karls mit »C« und Viktor mit »c« geschrieben). Wenn von einer Person nur ein Initial des Vornamens erscheint, dann war der Taufname nicht zu eruieren.

Im allgemeinen wurde die Schreibung Erzherzog Carl Ludwigs beibehalten, die hauptsächlich den Regeln der Zeit entsprach. Wenn das Verständnis eines Absatzes gefährdet schien, wurde dem Text eine Erklärung hinzugefügt. Außerdem sei darauf hingewiesen, daß in den vergangenen 150 Jahren die Bedeutung einiger Wörter wechselte: So verwendete man »artig« im Sinn von freundlich/freundschaftlich, »merkwürdig« im Sinn von bemerkenswert, »peinlich« im Sinn von peinigend usf.

In Bezug auf die – oft innerhalb einer Eintragung wechselnden – grammatikalischen Zeiten Vergangenheit und Gegenwart sei bemerkt, daß die Berichte nicht immer zur selben Tageszeit verfaßt wurden. Schon Erlebtes wird in einer Vergangenheitsform erzählt: »Nachmittags waren wir im Kaisergarten …«, während auf eben stattfindende oder kommende Ereignisse in der Gegenwart hingewiesen wird: »Der Hildegarde zu Ehren ist heute große Familientafel beim Kaiser. Abends sind wir allein.« (aus der Eintragung vom 14. Mai 1844)

Mit der Veröffentlichung dieses Bandes wird Einblick in einen sehr privaten Lebensbereich der kaiserlichen Familie gewährt. Denn abgesehen von der Wiedergabe der Tageserlebnisse und von der Nähe des Erzählers zu den Ersten Personen des Landes entsprang dem Kindermund doch viel Spontanes und Wahrhaftes, das ein erwachsener Schreiber (im Hinblick darauf, daß ein Späterer seine Zeilen lesen könnte) sicherlich unterdrückt hätte.

Gabriele Praschl-BichlerWien, im September 1997

»TAGEBUCH ANGEFANGENDEN 13. APRIL 1844«

April .1844.

Samstag

13. Man fürchtet, daß der Franzi Scharlach bekommen. Zur Vorsorge bin ich Nachmittags in den rothen Saal geschickt worden und habe dort geschlafen.

Mit Franzi ist der älteste Bruder Erzherzog Carl Ludwigs gemeint, der damals vierzehnjährige Franz Joseph und spätere Kaiser. Er war tatsächlich an Scharlach erkrankt, doch verlief die Krankheit – wie sich bald herausstellen sollte – für ihn und seine Familie sehr harmlos. Als Vorsichtsmaßnahme war er aber sofort von seinen Brüdern getrennt worden, mit denen er üblicherweise ein Appartement bewohnte. Für Carl Ludwig bedeutete die Krankheit des Bruders zunächst den Auszug in einen ›rothen Saal‹. Später übersiedelte er in ein noch weiter entfernt liegendes Quartier, in dem er in den folgenden Wochen wohnen sollte.

Sonntag

14. Heute hat sich der Scharlach entschieden ausgesprochen. Wir sind in der Früh mit dem kleinen Ludwig in den ersten Stock gezogen und bleiben nun von der Mama geschieden. Der Maxi geht zwar Früh und Abends zur Mama, weil er den Scharlach schon überstanden und folglich keine Ansteckung mehr zu fürchten hat; aber ich darf die Mama nur im Prater und auf dem Gang von Weitem sehen.

Bei den »Übersiedlern« handelt es sich um die drei Brüder Ferdinand Maximilian (›Maxi‹), Carl Ludwig und den ›kleinen Ludwig‹ (Victor). Daß die drei gesunden Kinder – und nicht das kranke – von der Mutter getrennt wurden, war unüblich für die Zeit. Denn Erzherzogin Sophie pflegte – im Unterschied zu den meisten Frauen der obersten Gesellschaftsschichten – die kranken Familienmitglieder selbst. Im Fall von ansteckenden Krankheiten – wie dem Scharlach, der damals bei mehr als einem Viertel der Bevölkerung tödlich endete – begab sie sich mit dem Betroffenen in Quarantäne. Sie übernahm meist alle Tag- und Nachtdienste und ließ sich nur selten von Pflegern unterstützen. Als im Jahr 1840 ihre einzige Tochter Maria Anna im Alter von knapp viereinhalb Jahren an einer schweren Krankheit litt (an deren Folgen sie auch verstarb), war sie keinen Augenblick lang von ihrer Seite gewichen und hatte das Kind bis zu seinem Tod ununterbrochen betreut.

Die Bemerkung, daß Carl Ludwig seine Mutter ›nur im Prater‹ und ›auf dem Gang von Weitem sehen‹ durfte, bezieht sich auf die Trennung von ihr, die den scharlachkranken Sohn Franz Joseph versorgte. Treffen durfte er sie nur auf den Gängen der Hofburg und bei Spaziergängen im Prater, wo keine Ansteckung zu befürchten war. Der Wiener Prater hatte ursprünglich zu den kaiserlichen Jagdrevieren gehört, seit 1766 war er der Öffentlichkeit zugänglich. Dorthin führten – solange man in der Hofburg wohnte – viele Spaziergänge der kaiserlichen Familie. Die elegante Welt Wiens fand sich allnachmittäglich im Prater ein, und Erzherzog Carl Ludwig sollte die Spaziergänge dorthin bis ins Alter pflegen. Als Erwachsener marschierte er meist die gesamte Strecke von der Innenstadt bis in den Prater und zurück (das dauerte je nach Route zwei bis drei Stunden), wohin er sich von einem Mann seines Gefolges oder von einem Verwandten begleiten ließ.

Montag

15. Heute hat uns der Franzi durch den Baron Gorizzutti einen Brief schreiben lassen. Heute begegneten wir der Mama und dem kleinen Ludwig. Ich bin zur Toilette zum kleinen Ludwig gegangen. Abends kamen die Bombelles.

Baron Franz Gorizzutti, einer der Kammerherren Erzherzog Franz Carls und Erzieher seiner drei älteren Söhne – Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig – hatte sich offensichtlich mit dem Scharlachkranken in Quarantäne begeben.

Daß man die Mama und den kleinen Bruder Ludwig traf, muß bedeuten, daß man beiden – getrennt – begegnete, da Erzherzogin Sophie sicherlich auch mit ihrem zweijährigen Sohn jeden Kontakt vermied.

›Die Bombelles‹ waren Studien- und Spielkameraden der jungen Erzherzoge und Söhne des kaiserlichen Ajos Heinrich Graf Bombelles. Sie hießen Markus (›Marko‹) und Carl (›Charli‹) und entsprachen im Alter den Erzherzogen Franz Joseph und Ferdinand Maximilian.

Dienstag

16. Dem Franzi geht es besser. Ich habe zum ersten Mahle die Urika geritten. Zum ersten Mahl bin ich zum Frühstück vom kleinen Ludwig gegangen.

Der Scharlach Franz Josephs nahm einen schnellen Verlauf. Die Krankheit war am 13. April aufgetreten, und schon bald ging es ihm nach eigenen Angaben wieder ›sehr gut‹. Daraufhin nahmen die Bemerkungen darüber im Tagebuch Carl Ludwigs ab, weshalb die Sensation des Tages dem ersten Ritt auf einem Pferd namens Urika galt.

Der Besuch des kleinen Bruders Ludwig Victor während seines Frühstücks ist einer der vielen Hinweise darauf, daß die Bewohner der verschiedenen Appartements (die drei älteren Brüder Franz Joseph, Ferdinand Maximilian und Carl Ludwig, die Eltern, Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl, der kleine Ludwig Victor, das Kaiserpaar usf.) das Morgenmahl getrennt einnahmen. Zu Mittag aßen die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern, worauf ein langes, familiäres Zusammensein folgte.

Mittwoch

17. Heute sind wir mit dem Papa, der Mama und dem kleinen Ludwig in dem Prater zusammengekommen. Abends bin ich allein.

Wegen der Ansteckungsgefahr waren die gemeinsamen Zusammenkünfte der Eltern mit den drei gesunden Brüdern noch immer auf die Praterspaziergänge beschränkt. Der Hinweis auf das abendliche Alleinsein bezog sich ebenfalls auf die Trennung von den Eltern, bedeutete aber ›allein mit einem der Erzieher‹. Sie teilten – vor allem zum Schutz ihrer Zöglinge – das Appartement mit ihnen. Das Abendprogramm mit dem Erzieher oder mit den Eltern war auf das Alter der Kinder abgestimmt. In dieser Epoche wurden meist Geschichten vorgelesen oder andere Unterhaltung gepflogen.

Donnerstag

18. Der Albert, die Marie, der Onkel Carl und der Stephan sind heute angekommen. Wir sind geritten. Der Wittek war Abends allein bei uns.

Mit Albert und Marie sind – streng genommen – ein Onkel und eine Tante zweiten Grades gemeint, die an diesem Tag mit ihrem Vater, Erzherzog Carl (dem ersten Bezwinger Napoleons), – von wo immer – in Wien ankamen. Stephan war ein Neffe Erzherzog Carls, der spätere Palatin von Ungarn.

J. Wittek zählte zu den Erziehern der jungen Erzherzoge. Er unterrichtete Böhmisch (Tschechisch) und war vermutlich ein Verwandter – vielleicht sogar der Vater – Heinrich Ritters von Wittek, des späteren Ministerpräsidenten.

Freitag

19. Heute ist der Geburtstag des Kaisers. Deßwegen ist große Parade; wir waren bei ihm, um zu gratuliren. Der Palatino ist angekommen. Dem Franzi geht es besser. Der Graf Coronini ist angekommen. Heute Abends sind die Bombelles gekommen.

Der Kaiser, dessen 41. Geburtstag man feierte, war Ferdinand I., ein direkter Onkel Carl Ludwigs. Mit dem ›Palatino‹ ist Erzherzog Josef, ein Großonkel, gemeint, der zu diesem Zeitpunkt die Würde des Palatins von Ungarn innehatte und der – wie einen Tag vorher die Familie Erzherzog Carls – vermutlich auch wegen der Geburtstagsfeierlichkeiten zu Ehren des Kaisers angereist war.

Graf Johann Baptist Coronini-Cronberg war einer der Kammerherren Erzherzog Franz Carls und Erzieher der jungen Erzherzoge, der hauptsächlich dem ältesten Sohn, Franz Joseph, zugeteilt war.

Das abendliche Kommen der Brüder Bombelles bedeutete Spiel und Unterhaltung.

Samstag

20. Heute sind wir geritten und haben Visite gemacht. Abends war die Großmama mit der Amie bei uns.

»Visitemachen« gehörte zu den gesellschaftlichen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Ohne sich anzumelden, schaute man bei Bekannten vorbei, um ihnen einen Kurzbesuch abzustatten. Er verlangte dem Besuchten einen Gegenbesuch ab. War er nicht anzutreffen, so hinterließ man die Visitenkarte, die ebenso zum Gegenbesuch verpflichtete.

Beliebte Gesellschafterinnen der jungen Erzherzoge waren die ›Großmama‹ und die ›Amie‹ (ihre ›Freundin‹). Kaiserin Caroline Auguste war eine geborene Prinzessin von Bayern, vierte Ehefrau und Witwe nach Kaiser Franz II./I. Als solche rangierte sie als Großmutter. Da sie aber auch Halbschwester Erzherzogin Sophies, der Mutter Carl Ludwigs, war, stand ihr ebenso die Ansprache ›Tante‹ zu. Erzherzog Franz Joseph hatte für sie den Titel einer Großmutter-Tante entworfen. Ihre ›Freundin‹, Hofdame und Sternkreuzordensdame Baronin Luise Sturmfeder, hatte ursprünglich die Stellung einer Aja (einer Leiterin aller Gefolgsleute der jungen Erzherzoge) bei Franz Joseph und Ferdinand Maximilian inne. Als die beiden das Schulalter erreichten und männliche Erzieher bekamen, wurde sie als Hofdame in das Gefolge Kaiserin Caroline Augustes übernommen. Sie hielt aber mit den jungen Erzherzogen weiter innigen Kontakt, wie auch der folgenden Eintragung zu entnehmen ist.

Sonntag

21. Die Amie hat bei uns gespeist. Vor dem Essen sind wir mit der Mama ausgegangen.

›… bei uns gespeist‹ meint in den Appartements der Kinder, wo während der Krankheit Franz Josephs gegessen wurde und nicht – wie üblich – in den Räumen der Eltern.

Montag

22. Heute sind wir mit der Mama und mit dem kleinen Ludwig in den Prater gegangen. Der Baron Gorizzutti ist zu uns gekommen, der Charli (der junge Graf Bombelles) war Abends bei uns.

Dienstag

23. Wir sahen heute den kleinen Ludwig im Prater. Ich war Abends allein (mit dem Erzieher). Dem Franzi ging es besser.

Mittwoch

24. Heute fing die neue Tagesordnung an. Wir sind mit der Mama im Pratergarten spazieren. Den kleinen Ludwig haben wir (dort) gesehen. Abends war die Großmama mit der Amie bei uns.

Einen Einschnitt im Lern- und Erziehungsprogramm der jungen Erzherzoge bildete die zweimal jährlich wechselnde ›Tagesordnung‹ (im Frühling und im Herbst). Sie bedeutete – wie früher erwähnt – in den wärmeren Monaten verstärkten Unterricht im Freien und längeres Zusammensein mit den Eltern.

Donnerstag

25. Mittags sind wir in der Stadt herumgegangen. Heute ist der Namenstag des Marko (junger Graf Bombelles). Abends bin ich (mit dem Erzieher) allein gewesen (was sich wegen des Scharlachs Franz Josephs noch immer auf die ungewöhnliche Gestaltung der Abendstunden Carl Ludwigs bezieht, die er gewöhnlich beim Spiel mit den Brüdern zubrachte).

Freitag

26. Heute Mittags sind wir in den Augarten gefahren. Nachmittag sind wir mit der Mama in den Prater gegangen. Abends sind die (Spielkameraden) Bombelles gekommen.

Der Augarten und sein Palais (nahe der Inneren Stadt zwischen Donau und Donaukanal gelegen) war wie das ehemalige Jagdrevier im Prater ebenfalls habsburgischer Besitz gewesen. Aber auch ein Großteil dieses Parks war im Jahr 1775 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Samstag

27. Wir fuhren Mittags zum Erzherzog Ferdinand; er war aber nicht zu Hause. Dann sind wir in den Schwarzenbergischen Garten gegangen. Nachmittags sind wir in den Kaisergarten gegangen. Abends kam die Großmama (Kaiserin Caroline Auguste) mit ihrer neuen Hofdame, der Gräfin (Ludovica) Praschma zu uns (vermutlich um sie vorzustellen und einzuführen).

Mit Erzherzog Ferdinand ist ein weitschichtiger Großonkel aus der Linie der Herzoge von Modena gemeint. Er wird sich im – heute im dritten Wiener Gemeindebezirk gelegenen – Familienpalais aufgehalten haben. Das Gebäude fiel eines Tages – wie etliche andere historische Bauten Wiens – einer Beamtenlaune zum Opfer und wurde noch vor dem Ende des Ersten Weltkriegs dem Erdboden gleichgemacht. Die Herzoge von Modena aus dem Haus Habsburg-Lothringen besaßen aber noch ein Palais in Hofburgnähe (das Gebäude des heutigen Innenministeriums in der Herrengasse). Vermutlich diente das Palais im dritten Bezirk als Sommersitz und das im Zentrum gelegene als Winterresidenz.

Einige Gehminuten vom ehemaligen Palais Modena entfernt befindet sich (auch heute noch) das barocke Gartenpalais Schwarzenberg mit seinem Park. Dorthin wechselten die Spaziergänger, nachdem Erzherzog Ferdinand nicht daheim anzutreffen war. Mit dem später besuchten Kaisergarten ist der Park rund um das ehemalige, ebenfalls im dritten Bezirk gelegene, Gartenpalais Harrach gemeint, das anläßlich der folgenden Eintragung genauer besprochen wird.

Sonntag

28. Wir gingen auf der Bastei spazieren. Die Amie speiste bei mir. Nachmittags gingen wir in den Harrachischen Garten in die Blumenausstellung. Abends sind wir (Ferdinand Maximilian, Carl Ludwig und ein Erzieher) allein.

Der Spaziergang auf der Bastei zählte wie der Besuch des Praters zu den beliebtesten Ausflügen der Wiener. Die Bastei war die alte Befestigungsanlage der Stadt, die in etwa wie die heutige Ringstraße verlief und die Innere Stadt (den ersten Bezirk) und die Längsseite der Hofburg umgab. Ihre Wälle waren begrünt und verfügten über zahlreiche Vergnügungsstätten.

Der Harrachische Garten/Kaisergarten gehörte zum ehemaligen Gartenpalais Harrach, das auf eine wechselvolle Besitzergeschichte zurückblickt. Ursprünglich Eigentum der gräflichen Familie Harrach, kam es später in den Besitz Kaiser Leopolds II., wurde danach von einer anderen Familie erworben und ging zuletzt wieder in kaiserlichen Besitz über. Der berühmte Obstgarten, in dem sogar exotische Früchte gediehen, wurde ab 1841 zum größten Teil der drei Jahre zuvor gegründeten Gartenbaugesellschaft überlassen, die dort jedes Jahr Blumen- und Obstausstellungen veranstaltete. Erzherzog Carl Ludwig verbrachte auch die beiden folgenden Tage im Kaisergarten oder auf kurzen Spaziergängen mit der Mutter im Prater.

Einen wesentlichen Höhepunkt brachte der 1. Mai, der um diese Zeit noch eine andere Bedeutung hatte als heute. Der Frühlingsbeginn wurde mit einem öffentlichen Fest im Freien begangen. Alle Welt – Reich und Arm – strömte in den Prater, um dort zu sehen oder gesehen zu werden. Die Damen erschienen in den neuen Frühjahrstoiletten, die Männer führten die neuerworbenen Wagen vor. Für alle Mitglieder der kaiserlichen Familie, die sich um diese Zeit in Wien aufhielten, stellte es eine Pflicht dar, an dem Fest teilzunehmen. Das Publikum dankte für das Erscheinen des Kaisers und der Erzherzoge mit lauten Beifallsbezeugungen.

Mai 1844

Mittwoch

1. Mittags sind wir in den Kaisergarten (= Harrachischer Garten, siehe auch Eintragung vom 28. April) gegangen. Um ½ 4 Uhr Nachmittags haben wir im Prater mit dem Prinzen Nassau, mit der Mama, mit dem Papa und mit noch mehreren Anderen gespeist. Wir haben den neuen Wagen Sandor’s gesehen; er ist sehr lächerlich. Dann haben wir viele Jokeys gesehen, und auch noch viele andere Wägen, es war recht hübsch, aber sehr kalt. Heute Abends war ich allein.

Das mittägliche Zusammensein im Prater vereinte einen Großteil der in Wien lebenden Habsburger sowie etliche Mitglieder anderer Fürstenfamilien. Der elfjährige Carl Ludwig hatte noch einen Prinzen von Nassau wahrgenommen. Vermutlich handelte es sich bei ihm um den in österreichischen Diensten stehenden Prinzen Moritz Nassau, dem Bruder des späteren Großherzogs Adolf von Luxemburg. Selbstverständlich gehörte auch er ›zur Familie‹. Denn der mittlerweile verwitwete Erzherzog Carl, der Bezwinger Napoleons, war mit Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg verheiratet gewesen, die eine direkte Tante von Moritz war.

Mit ›Sándor‹ ist Moritz Graf Sándor von Szlawnicza gemeint, der durch seine Ehe mit Prinzessin Leontine Metternich Schwiegersohn des Staatskanzlers war. Er galt als einer der wagemutigsten Reiter seiner Zeit, verfügte aber auch über etliche Marotten, zu denen das alljährliche Vorführen eines neuen Wagens gehörte. Die Bemerkung, man habe ›den neuen Wagen Sandor’s gesehen; er ist sehr lächerlich‹, entstammte sicher einem Erwachsenenmund, die der selten kritisierende Junge hier übernahm. Obwohl Graf Sándor tatsächlich von der Wiener Gesellschaft belächelt wurde – er hatte von etlichen Stürzen Kopfverletzungen davongetragen, wodurch er absonderlich wurde –, hielt gerade die kaiserliche Familie treu zu ihm. Als er 1850 bei einem Unfall mit dem Hinterkopf an ein eisernes Gitter geschleudert wurde, litt er in der Folge unter Wahnsinnsanfällen. Er verbrachte eineinhalb Jahre in einer Nervenheilanstalt und war in der Folge nur noch bedingt gesellschaftsfähig, wie man den Memoiren seiner Tochter Pauline (verehelichte Fürstin Metternich) entnehmen kann: »… wer nur einige Worte mit ihm wechselte, merkte nichts von seinem traurigen Zustande. Bei einem längeren Gespräche fielen die Wiederholungen alter Geschichten auf … Der Kaiser und der gesamte kaiserliche Hof haben die treu dynastische Haltung meines Vaters nie vergessen. Insbesonders ließen die Frau Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl keine Gelegenheit vorübergehen, ohne ihn, trotz seines Zustandes, zu sich zu rufen, so zwar, daß, wenn er im Sommer nach Ischl kam, er immer gleich zur Hoftafel geladen wurde … Erzherzogin Sophie (richtete es) dann immer so ein, daß kein Fremder an diesem Tage mit zur Hoftafel gezogen wurde, damit er, wie sie so liebevoll sich äußerte, ›die Freude haben möge, seine alten Geschichten ungestört erzählen zu können‹.« (Metternich, S. 53)

Donnerstag

2. Heute sind wir Mittags auf der Bastei und auf dem Glacis (eine der Bastei vorgelagerte, breite, unbebaute Fläche, die die Innere Stadt von den Vorstädten trennte) gegangen. Heute Nachmittags sind wir mit der Mama zum Wassertreter gegangen; es war ziemlich hübsch. Heute war die Großmama mit der Amie bei uns.

Der erste gemeinsame Ausgang mit der Mutter ›zum Wassertreter‹ hatte sicherlich einen medizinischen Hintergrund. Daß Erzherzog Carl Ludwig die Räume dort ›ziemlich hübsch‹ fand, mag entweder mit der ungewöhnlichen Einrichtung zusammenhängen, eher aber mit seiner glücklichen Stimmung: Er durfte nach etlichen Wochen der Entbehrung endlich wieder mit der geliebten Mutter ausgehen. An den Abenden wurde die strenge Trennung (in geschlossenen Räumen) aber weiter aufrechterhalten.

Seit 1. Mai waren zumindest gemeinsame Ausgänge erlaubt, weshalb in den Eintragungen der folgenden Tage von Spaziergängen mit den Eltern zu lesen ist. Außerdem wird eine neuerliche Besserung im Befinden des Bruders Franz Joseph verzeichnet (4. Mai).

Sonntag

5. Mittags waren wir in der Stadt, auf der Bastei und auf dem Glacis. Heute hat der Maxi bei der Mama gespeißt. Nachmittags waren wir ein wenig in der Stadt. Dann sind die Cameraden gekommen und wir haben im Kaisergarten exercirt und gespielt. Abends war die Großmama mit der Amie da.

Eine besondere Hervorhebung – gleichzeitig aber auch eine besondere Enttäuschung – enthält der Vermerk, daß der Bruder Ferdinand Maximilian (wie sonst alle Brüder) das Mittagessen gemeinsam mit der Mutter einnehmen durfte. Er war schon früher an Scharlach erkrankt gewesen, weshalb man ihm das Zusammensein mit ihr früher erlaubte.

Montag

6. Heute Mittags waren wir in einem Gewölb (vermutlich in einem tiefliegenden Verkaufsladen) und haben etwas gekauft. Nachmittags sind wir mit der Mama im Prater spazierengegangen. Heute Abends bin ich allein, aber der Maxi ist mit der Mama im Theater, wo die Elßler tanzt.

Abermals durfte der Bruder Ferdinand Maximilian der Mutter Gesellschaft leisten. Der sicherlich sehr enttäuschte Carl Ludwig verbrachte die Zeit wie üblich ›allein‹ mit einem Erzieher.

Mit der im Theater tanzenden ›Elßler‹ ist die damals weltberühmte Balletteuse Fanny Elßler (1810–1884) gemeint, die durch die Neuartigkeit ihres Tanzstils und durch ihre Schönheit zu den meistbewunderten Tänzerinnen ihrer Zeit zählte.

Dienstag

7. Heute ist der Onkel Carl mit dem Fritz angekommen. Mittags waren wir im Augarten, wir sind auch geritten. Nachmittags bin ich mit dem Papa allein ausgegangen, und zwar in den Prater und dann ist die Mama gekommen. Wir sind mit ihr herumgegangen, dann bin ich mit dem Papa in das Kärntnerthortheater gegangen, dort hat die Elßler in einem neuen Ballet getanzt; es war sehr hübsch.

Bei Onkel Carl handelt es sich abermals um Erzherzog Carl, den Sieger über Napoleon. Fritz (Erzherzog Friedrich) war einer seiner Söhne, der drei Jahre später im Alter von nur 26 Jahren verstarb.

Erzherzog Carl Ludwig besuchte an diesem Abend mit seinem Vater offensichtlich dieselbe Vorstellung, die sein Bruder tags zuvor gesehen hatte. Sie fand im heute nicht mehr existierenden ›K.k. Hoftheater nächst dem Kärntner Thore‹ (dem Stadttor an der Kärntner Straße) statt, das an der Hinterseite – der damals noch nicht bestehenden – Staatsoper lag. Dort wurden vor allem Ballette sowie italienische und deutsche Opern aufgeführt.

Mittwoch

8. Mittags haben wir dem Onkel Carl eine Visite gemacht und dann sind wir in den Kaisergarten gegangen. Mittags war der Fritz bei uns. Nachmittag sind wir mit der Mama und mit dem kleinen Ludwig im Augarten herumgegangen. Abends kam die Großmama mit der Amie.

Donnerstag

9. Heute haben wir mit der Mama und mit dem kleinen Ludwig im Augarten gefrühstückt. Der Abbé Kiss (ein Geistlicher, der die jungen Erzherzoge im Ungarischen unterrichtete) hat da gespeist. Nachmittag sind wir geritten. Wir sind zur Herzogin von Köthen und zum Fritz gegangen. Abends bin ich allein gewesen.

Mit der ›Herzogin von Köthen‹ ist wohl eines der letzten – nicht genau zu bestimmenden – Mitglieder der fürstlichen Familie von Anhalt-Köthen gemeint. Dieser Zweig der Fürsten von Anhalt starb noch im 19. Jahrhundert aus.

Freitag

10. Mittags waren wir im Kaisergarten und haben dort gespielt. Nachmittags sind wir mit dem Papa und mit der Mama im Prater spazierengegangen. Abends war die Großmama bei uns.

Samstag

11. Mittags sind wir in den Prater gefahren. Nachmittags ist die Hildegarde mit dem Albert von München angekommen; ich habe sie aber heute noch nicht gesehen. Abends sind wir allein, bis ½ 9 Uhr, dann ist die Großmama gekommen mit der Amie.

Erzherzog ›Albert‹ (Albrecht), ein Sohn Erzherzog Carls, hatte am 1. Mai, also zehn Tage vor dieser Eintragung, in München Prinzessin Hildegard von Bayern geheiratet. Sie war eine Tochter König Ludwigs I. und eine direkte Nichte Erzherzogin Sophies (somit auch eine Cousine des Tagebuchschreibers). Da Carl Ludwig sie an diesem Tag, an dem sie in der Hofburg dem engsten Familienkreis vorgestellt wurde, nicht gesehen hatte, stattete er ihr am folgenden Tag den Gegenbesuch ab.

Sonntag

12. Mittags sind wir in den Schwarzenbergischen Garten gegangen, und dann sind wir wohl etwas später zur Hildegarde und zum Albert gegangen. Heute haben wir wieder zum ersten Mahle seit der Krankheit des Franzi beim Kaiser gespeist, auch die Hildegarde. Nachmittags sind wir in den Prater gefahren; es war recht hübsch. Die Hildegarde war auch dort.

Allsonntäglich fanden unter Anwesenheit des jeweils regierenden Kaisers Familiendiners statt, an denen die meisten in Wien anwesenden Erzherzoge teilnahmen. Durch die Scharlacherkrankung Franz Josephs waren seine Brüder und Eltern für Wochen davon ausgeschlossen gewesen. Sonntag, der 12. Mai, markierte das Ende der streng eingehaltenen Quarantäne.

Daß in den folgenden Wochen in den Eintragungen Carl Ludwigs ›Hildegarde‹ eine bedeutende Rolle spielte, hängt mit der kindlichen Begeisterung für das neuhinzugekommene Familienmitglied zusammen und natürlich auch mit den zahlreichen Empfängen, die man ihr zu Ehren gab.

Montag

13. Heute haben wir mit der Mama im Augarten gefrühstückt. Der Wittek speiste bei uns. Nachmittags sind wir in Schönbrunn gewesen, aber es hat geregnet. Heute geht die Hildegarde zum ersten Mahl in das Kärntnerthortheater; das Theater ist besonders beleuchtet. Abends sind wir allein.

›Gefrühstückt‹ meint eine Essenseinnahme um die Mittagszeit und bedeutete für die jungen Erzherzoge Unterbrechung nach vier, fünf Stunden Unterricht.

Festbeleuchtungen eines Gebäudes (›das Theater ist besonders beleuchtet‹) wurden zu Ehren hoher Persönlichkeiten veranstaltet. An diesem Abend galt sie natürlich der neuvermählten Erzherzogin Hildegard.

Dienstag

14. Mittags waren wir bei der Parade, wobei der nach Linz bestimmte Regent H. Homburg vom Regiment Hrabovsky abgelöst wurde. Nachmittags waren wir im Kaisergarten und im Volksgarten