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Wer an außersinnlichen Erscheinungen zweifelt, dem sei sein Argwohn und seine Zurückhaltung belassen. Er möge das Vorhandensein der Phänomene weiterhin gerne anzweifeln, und sollte auch von niemandem genötigt werden, dieses Buch zu lesen. Falls er es aber doch tut, wird er sich sicherlich eine neue Meinung bilden. Denn die darin wiedergegebenen Geschichten sind nicht der Phantasie eines Romanschriftstellers entsprungen, sondern haben genauso in der Wirklichkeit stattgefunden. Nichts wurde ergänzt, nichts wurde weggelassen. Die Erzähler, Mitglieder der ehemaligen österreichischen Kaiserfamilie, haben sich stets um eine klare und nüchterne Darstellung bemüht. Das Resultat - Erlebnisse über Prophezeiungen, Erscheinungen und Spuk - liegt nun in diesem einmaligen Band vor.
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Seitenzahl: 264
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Gabriele Praschl-Bichler
Die Habsburger und das Übersinnliche
Für Manfred,der mir in der schwierigsten Phase dieses Buchesdurch die Kraft seines geistlichen Amtesstarke Unterstützung leistete.
Gabriele Praschl-Bichler
Die Weiße Frau in der Hofburgund andere Phänomene
Mit einem Beitragdes Parapsychologen Peter Mulaczund 69 Abbildungen
Zur Rechtschreibung
Die Autorin legt großen Wert darauf, daß der vorliegende Band nach der alten Rechtschreibung wiedergegeben wird. Die Entscheidung bezieht sich auf die Sinnwidrigkeit der meisten neuen Regeln und darauf, daß sie sich gegen die deutsche Sprache selbst – eines der größten und ältesten Kulturgüter, das wir besitzen – richten. Ein gewachsenes Ganzes, etwas sich ständig Neu- und Weiterentwickelndes kann nicht auf einen Schlag per Gesetz geändert und neu verordnet werden. Ganz abgesehen davon, daß man von keiner Neuerung sprechen kann, da man schon unter Kaiser Franz Joseph nach der sogenannten neuen Rechtschreibung schrieb.
Bildnachweis
Alle im Buch verwendeten Fotos entstammen Privatarchiven.
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© 2003 by Amalthea Signum Verlag GmbH, WienAlle Rechte vorbehalten.Umschlaggestaltung: Wolfgang HeinzelHerstellung und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger& Karl Schaumann GmbH, HeimstettenGesetzt aus der 11 Punkt Adobe GaramondDruck und Bindung: Ueberreuter Buchproduktion, KorneuburgPrinted in AustriaISBN 3-85002-507-1eISBN 978-3-902998-36-1
1.Die Habsburger und das Übersinnliche – Prophezeiungen, Erscheinungen, Spuk
2.Paranormale Phänomene in Schloß Schönbrunn und in der Wiener Hofburg
3.Die frühen Habsburger: Visionen, Voraussagungen und astrologische Berechnungen
4.Die Prophezeiungen von Nostradamus
5.Die spiritistischen Experimente von Erzherzog Johann Salvator
6.Kaiserin Elisabeth: Eine Sensitive oder das Opfer ihrer Phantasie?
7.Kaiser Franz Joseph: »Wecken Sie mich um 5 Uhr!«
8.Der Exorzist
9.Kronprinz Rudolf: Prophezeiungen, Spuk und ewige Messen
10.Erzherzogin Elisabeth und die Poltergeister von Schloß Schönau
11.Prophezeiungen zur Ermordung des Erzherzog-Thronfolgers
12.Spuk im kaiserlichen Lustschloß in Hetzendorf
13.Maria-theresianische Erscheinungen in Schloß Schönbrunn zur Zeit des Ersten Weltkriegs
14.Das Krönungsbild
15.Schwester Theresa
16.Ankündigung von Todesfällen
Dank
Ein Habsburger Geist im Kampf gegen den Kommunismus?
Einführung in die Parapsychologie Wie alles begonnen hat … oder »Was ist eigentlich Parapsychologie?«von Peter Mulacz
Literaturverzeichnis
Abgekürzte Literatur
Eines vorab weg: Wer an übersinnlichen oder – wie Parapsychologen*) sie korrekterweise nennen – »außersinnlichen« Erscheinungen zweifelt, dem sei sein Argwohn und seine Zurückhaltung belassen. Er möge das Vorhandensein der Phänomene weiterhin gerne anzweifeln, und er sollte auch von niemandem dazu genötigt werden, dieses Buch zu lesen. Falls ihn die Lektüre aber trotzdem interessiert, sei sie ihm unbenommen und herzlich zugeeignet. Vielleicht wird er sich danach auch eine neue Meinung bilden. Denn die auf den folgenden Seiten wiedergegebenen Geschichten sind nicht der Phantasie eines Romanschriftstellers entsprungen, sondern haben genauso in der Wirklichkeit stattgefunden. Nichts wurde ergänzt, nichts wurde weggelassen. Alle Erlebnisse entstammen entweder dem wissenschaftlichen Bestand der Parapsychologie oder sie wurden der Autorin zum ersten Mal von den Betroffenen oder deren Nachkommen weitergegeben: und zwar ausschließlich von ernsthaften Personen, die alle eine Gemeinsamkeit teilen, nämlich von der ehemaligen österreichischen Kaiserfamilie abzustammen. Die meisten von ihnen sind (oder waren) Akademiker, manche von ihnen verfüg(t)en über mehrfache Graduierungen. Die meisten Kontaktpersonen arbeite(te)n auf wissenschaftlichem Gebiet und waren an der Veröffentlichung von Publikationen beteiligt. Diese Grundlage hat die Zusammenarbeit sehr erleichtert, da sich alle Erzähler stets um eine klare und nüchterne Darstellung bemühten. So war eine gute Voraussetzung zur Aufarbeitung des heiklen, in diesem Band behandelten Themas über Prophezeiungen, Erscheinungen und Spuk geschaffen.
Kaiser Franz Joseph im Kreis seiner Familie: Seine Nachkommen und die Nachkommen seines Bruders Erzherzog Carl Ludwig (ganz hinten Mi.) haben die meisten der in diesem Buch wiedergegebenen paranormalen Vorfälle erlebt.
Es bleibt aber unbestritten, daß nicht alles, was je über paranormale Phänomene erzählt wurde, wirklich wahr ist und genauso stattgefunden hat. Denn selbstverständlich gibt es auch Menschen, die sich die Vorkommnisse nur einbilden. Sei es, daß sie überempfindliche Charaktere haben, sei es, daß sie über eine rege Phantasie verfügen oder sei es auch nur darum, daß sie glauben wollen, eine bestimmte übersinnliche Begabung zu besitzen. So verhält es sich zum Beispiel mit all jenen Menschen, die sich ganz stark auf die Erfüllung eines bestimmten Wunsches konzentrieren und dafür bereit sind, Rituale – welcher Art auch immer – zu vollführen, um dieses Ziel zu erreichen. Dafür ist man jederzeit bereit, auf die ältesten und sinnlos scheinenden Bräuche zurückzugreifen, die seit Beginn der Menschheit existieren. Nicht einmal die Mitglieder der europäischen Herrscherhäuser haben davor zurückgeschreckt, sich ihrer im Bedarfsfall zu bedienen. Als ein Beispiel von vielen kann der Besuch einer heidnischen Kultstätte herangezogen werden, die eines Tages auch die damalige Königin von Frankreich aufgesucht zu haben scheint. Warum sie das tat und was sie sich davon erwartete, wird in den folgenden Zeilen erklärt: »In der Umgebung von Verdun setzen sich die kinderlosen Frauen auf einen Felsen, der die Umrisse einer sitzenden Frau aufweist und in der Gegend der ›Stuhl der heiligen Lucie‹ genannt wird. Sie sind überzeugt, daß dadurch ihre Kinderlosigkeit behoben wird, und es heißt, daß Anna von Österreich*) vor der Geburt Ludwigs XIV. ebenfalls hier gesessen sei.« (Flammarion, S. 31)
Unter den Mitgliedern der österreichischen Kaiserfamilie, die im 19. Jahrhundert lebten, galt Kaiserin Elisabeth als besonders abergläubisch. Um das sogenannte »Böse« von sich abzuwehren, trug sie stets eine Menge Glücksbringer und Amulette mit sich. Ein Leben lang wich sie den Blicken der (nach Volksglauben) unheilbringenden Raben aus und vermied aus Angst vor Spuk und Erscheinungen Gänge in der Dunkelheit. Hauptsächlich scheint eine außerordentlich rege Phantasie Schuld an ihrer Furchtsamkeit getragen zu haben. Ein anderer Grund, warum paranormale Phänomene damals ständig präsent waren, lag am herrschenden Zeitgeist. Denn zu Elisabeths Lebzeiten war es geradezu »Mode« geworden, mit der außersinnlichen Welt in Kontakt zu treten. Da auch sie »chic« sein wollte, nahm sie – wie übrigens etliche Mitglieder der kaiserlichen Familie – an spiritistischen Zirkeln teil. Neben all diesen Einflüssen von außen war sich die Kaiserin zudem ganz sicher, eine übersinnliche Begabung zu besitzen. Vor allem meinte sie, jederzeit mit Verstorbenen in Kontakt treten und sich mit ihnen austauschen zu können. Welche Erlebnisse sie dabei hatte und wieviel Erfolg ihr beschieden war, ist auf den Seiten 96 ff. nachzulesen. Wie seine Mutter und etliche andere Habsburger hat auch Kronprinz Rudolf an »mediumistischen Séancen« teilgenommen. Noch intensiver hat sich seine einzige Tochter Elisabeth, spätere Prinzessin Windisch-Graetz, mit der außersinnlichen Welt auseinandergesetzt. Sie hat gemeinsam mit einem der bedeutendsten Wissenschaftler ihrer Zeit Poltergeist-Erscheinungen untersucht und mit ihm parapsychologische Experimente geleitet.
Wenn man von den Habsburgern und paranormalen Phänomenen spricht, darf man die zahlreichen Prophezeiungen nicht vergessen, die – bei Nostradamus begonnen und bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs reichend – niedergeschrieben wurden und später auch tatsächlich eingetroffen sind. Selbstverständlich haben Weissagungen, Spuk und Erscheinungen mit dem Niedergang der Monarchie aber nicht ihr Ende genommen. Vielmehr geistert und poltert es noch immer heftig in den meisten ehemaligen habsburgischen Palästen: Allerdings sind die Betroffenen heute nicht mehr die Mitglieder der kaiserlichen Familie, sondern eine völlig andere Menschengruppe – die Bewohner und Beamten der verstaatlichten Schlösser. Die meisten Vorfälle wurden und werden bis in unsere Zeit aus der Hofburg gemeldet, doch auch das viel jüngere Schloß Schönbrunn und einige andere Häuser, die sich noch in Familienbesitz befinden, blieben nicht vom Spuk verschont. So habe ich im Zuge meiner Beschäftigung mit der Kulturgeschichte der österreichischen Kaiserfamilie von deren Nachkommen mehrmals gehört, daß auch andere Villen, Land- und Forsthäuser sowie Wirtschaftsgebäude von Erscheinungen heimgesucht wurden. Ich brauche sicherlich nicht zu betonen, daß ich solchen Geschichten immer sehr aufmerksam lauschte. Denn die Thematik des Übersinnlichen hat mich schon immer sehr interessiert. Außerdem konnte ich mir gut vorstellen, daß es eine Menge daran interessierter Leser gäbe. Jedoch hatte ich mir strikt vorgenommen, niemals darüber zu schreiben. Und das obwohl sich mir das Thema immer wieder – und besonders in letzter Zeit – immer stärker »näherte«.
Zu Kaiserin Elisabeths Lebzeiten war es geradezu »Mode« geworden, mit der außersinnlichen Welt in Kontakt zu treten. Da auch sie »chic« sein wollte, nahm sie – wie etliche Mitglieder der kaiserlichen Familie – an spiritistischen Zirkeln teil.
Zum ersten Mal hatte man mir in den frühen 90er-Jahren von paranormalen Phänomenen erzählt, als ich begann, Bücher über die Habsburger zu schreiben. Ich erfuhr von den verschiedensten außersinnlichen Wahrnehmungen und Ereignissen, die ich zwar gut in Erinnerung behielt, mir aber niemals notierte, da ich ja auch nicht darüber arbeiten wollte: Denn erstens ist die Parapsychologie ein heikles Thema und zweitens gibt es ohnehin zu viele Menschen, die dieser Wissenschaft gegenüber skeptisch eingestellt sind. Ein anderer Grund, warum ich mich in die Materie nicht allzu sehr vertiefen wollte, bezog sich auf die Bemerkungen von Betroffenen, die mich vor dem zu häufigen – und vor allem vor dem zu saloppen – Umgang mit der außersinnlichen Welt warnten. Ganz besonders wurde mir abgeraten, an Sitzungen und Experimenten mit unbekannten Medien teilzunehmen und Séancen jemals in den eigenen Wohnräumen abzuhalten. Denn allzuoft habe sich schon der sprichwörtlich bekannte Goethe-Satz bewahrheitet, daß man die »Geister, die man rief« nicht mehr los wurde*). Diesen Ratschlag habe ich beherzigt. Mehr noch: Ich habe in der Folge sogar einen Schutzwall um mich aufgebaut und jeden, der mich auf dieses Thema ansprach, mit einer freundlichen Entschuldigung abgewiesen. So auch Peter Mulacz, einen Parapsychologen aus Wien, den ich im vergangenen Sommer kennenlernte. Er erzählte mir von seiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Parapsychologie, einschließlich seiner historischen Forschungen zur Geschichte der Parapsychologie in Österreich. In diesem Zusammenhang interessierte er sich besonders für die Beschäftigung mancher Habsburger – konkret Erzherzog Johann und Kaiserin Elisabeth – mit dem Paranormalen. Zuletzt fragte er mich, ob ich diesbezüglich etwas über die Kaiserin wüßte. Ich bejahte zwar, sagte ihm aber auch, daß ich nicht gerne darüber sprechen wollte. Das hat er rückhaltlos akzeptiert und sich mit einem freundlichen Gruß von mir zurückgezogen.
Kurz nach dieser Begegnung fragten mich die Mitarbeiter meines Verlags, worüber ich im nächsten Jahr schreiben wollte. Da sich von meiner Seite kein Thema besonders aufdrängte, bat ich um Ideen und staunte nicht schlecht, als sich in der Liste der vorgeschlagenen Titel unter anderem »Die Habsburger und das Übersinnliche« befand. Diesen Zufall, zur selben Zeit von zwei verschiedenen Seiten auf dasselbe Thema angesprochen zu werden, faßte ich nun als deutliche »Aufforderung von drüben« auf, mich endlich schriftlich mit dieser Materie zu befassen. Da ich aber – wie früher erwähnt – niemals Notizen über die mir berichteten Phänomene oder Erscheinungen gemacht hatte, befand ich mich nun in der unangenehmen Lage, das vor Jahren Erfahrene aus dem Gedächtnis zurückrufen zu müssen. Das klappte natürlich nur in den wenigsten Fällen, weshalb ich daran ging, meine ›Informanten‹ von früher neuerlich zu kontaktieren. Da in der Zwischenzeit zwei ältere Herrschaften verstorben waren, wandte ich mich an deren Nachkommen und fragte um etwaige Notizen nach. Wirklich war das meiste in schriftlicher Form erhalten. Zuletzt bat ich um die Erlaubnis, das an mich Weitergegebene veröffentlichen zu dürfen. Ich habe sie für alle Geschichten erhalten, wurde aber manchmal gebeten, nicht alle Betroffenen beim Namen zu nennen. Diesem Wunsch bin ich selbstverständlich entgegengekommen.
Idealszenerie zum Thema »Die Habsburger und das Übersinnliche«: Blick von Schloß Schönbrunn auf das nebelige Wien (aufgenommen wenige Tage nach dem Tod Kaiser Franz Josephs im November 1916).
Bevor ich die mir erzählten Erlebnisse weitergebe, möchte ich eine Geschichte voranstellen, die mir vor etlichen Jahren selbst widerfahren ist und die auch mit den Habsburgern in Zusammenhang steht. Sie stammt aus einer Zeit, als ich mich noch lange nicht mit der Kulturgeschichte der österreichischen Kaiserfamilie beschäftigte. Ich war damals Studentin der französischen Literatur- und Kunstgeschichte und hielt mich für ein paar Tage in Paris auf, um an der Bibliothèque St. Geneviève Literatur für meine Dissertation zusammenzutragen. Wenn Zeit blieb, besichtigte ich mit meiner aus Wien mitgekommenen Freundin die Sehenswürdigkeiten der Stadt. In Frankreich lebende Freunde unterstützten uns dabei und führten uns an die schönsten Plätze. Selbstverständlich stand eines Tages auch der Besuch von Schloß Versailles auf dem Programm, der an einem herrlichen Herbsttag stattfand. Wir traten ihn zu siebent an: Das befreundete Ehepaar mit drei Kindern, meine Freundin und ich. Zunächst standen die Wohn- und Repräsentationsräume des Schlosses auf dem Programm, danach spazierten wir durch den Park. Mich interessierte vor allem das unter Königin Marie Antoinette*) errichtete »Hameau«: Als typisches Kind ihrer Zeit hatte sie sich den fröhlichen, aber wenig nutzbringenden Ideen der Epoche hingegeben und innerhalb der riesigen Grünanlage dieses romantische Bauerndorf errichten lassen. Es bildete die Kulisse für jene ländlichen Szenerien, durch die sich verkleidete Könige und Prinzen tummelten und sich dann vorstellten, sie wären Bauern. Man nannte die Unterhaltung »Schäferspiele«, und es gab vermutlich keine Herrscherfamilie innerhalb Europas, deren Mitglieder nicht zumindest einmal pro Sommer in die Bauerntracht schlüpften. Daß diese Inszenierung des »idyllischen Landlebens« vom Original sehr weit entfernt war, braucht nicht besonders betont zu werden.
Während ich mit meinen Freunden im Schloßpark von Versailles das Hameau ansteuerte, herrschte klares Herbstwetter. Die Sonne schien, und ich wunderte mich, als plötzlich der Himmel bewölkt war und ein vorgewitterlich dunkles Licht die Szenerie beleuchtete. Ich stand neben einem dieser kleinen landwirtschaftlichen Gebäude, war alleine, meine Freunde hatten offensichtlich einen anderen Weg genommen. Das tat mir sehr leid, da plötzlich zwischen den Bauernhäuschen ein paar Leute in Kostümen des 18. Jahrhunderts auftauchten. Ich vermutete, daß sie für ein Freilicht-Theaterspiel probten. Also kehrte ich um, um meine Freunde zu holen. Mittlerweile schien wieder die herrliche Herbstsonne. Bald hatte ich alle wiedergefunden. Sie standen munter beisammen und schwätzten fröhlich über irgendetwas gemeinsam Erlebtes. Es gelang mir nicht, sie zu unterbrechen, um ihnen von der so stilgerechten Theaterprobe zu erzählen. Also nahm ich mir vor, ihnen später davon zu berichten, vergaß es dann aber ganz. Wahrscheinlich hätte ich dieses Erlebnis für immer vergessen, wäre mir vor fünf Jahren nicht zufällig ein Buch über »rätselhafte Begebenheiten« in die Hand gefallen, in dem ich auf den allerersten Seiten die folgende Geschichte las.
Charlotte Moberly und Eleanor Jourdain, zwei Engländerinnen, die sich kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende in Paris aufhielten, um dort Sehenswürdigkeiten zu besichtigten, brachten den Nachmittag des 10. August 1901 in Versailles zu. Als sie durch die riesige Parkanlage des Schlosses spazierten, hatten sie ein außergewöhnliches Erlebnis, wie es nur ganz wenige Menschen erleben: Sie fielen in der Zeit zurück. »Das Unglaubliche geschah, als sie zum ›Petit Trianon‹ spazierten, dem kleinen Schlößchen aus dem 18. Jahrhundert, das einmal die private Bleibe der Königin Marie-Antoinette war. Das Aussehen des Gartens, die Gebäude, ja sogar die Menschen, denen sie begegneten, gehörten eindeutig in eine längst vergangene Zeit … (Die beiden Frauen) hatten den direkten Weg zum Schloß verfehlt und waren auf einen dunklen, schattigen Gartenweg geraten, der hinter ländlichen Gebäuden vorbeiführt … Sie kamen an einem steinernen Häuschen vorbei … Schließlich trafen sie zwei distinguiert wirkende Herren, bekleidet mit langen grüngrauen Röcken, mit Dreispitz und Spazierstöcken in den Händen. Sie fragten die Herren nach dem Weg. Die beiden Frauen hielten sie für Gärtner, denn in der Nähe standen Gartengeräte – ein Karren und ein Pflug. Und doch ließ ihre würdevolle Haltung darauf schließen, daß sie Männer von einiger Autorität sein mußten. Sie wiesen die beiden Frauen zu einem runden Kiosk, einer Art kleinem Musikpavillon. Auf den Stufen saß ein Mann, der einen schweren schwarzen Mantel und einen Schlapphut trug … Als der Mann seinen Kopf drehte, erkannten sie, daß sein Gesicht dunkel und pockennarbig war … Dann stand plötzlich jemand hinter ihnen. Auch dieser Mann trug einen dicken Mantel und einen breiten Hut, aber erst hinterher wunderten sich die beiden Frauen über diese sonderbare Kleidung an einem heißen Augusttag … Die beiden Touristinnen gingen über eine kleine Brücke, die über eine schmale Schlucht führte, und gelangten in einen Garten, der wie eine englische Landschaft aussah. Von dort hatten sie schließlich freie Sicht auf das ›Petit Trianon‹. Die Fenster waren mit Läden verschlossen, aber auf der Terrasse saß eine Frau mittleren Alters in leichtem Sommerkleid und mit einem breitkrempigen Hut auf ihrem blonden Haar. Sie zeichnete …«*) (Kingston, S. 9f.)
Charlotte Moberley hatte während eines Spaziergangs mit ihrer Freundin durch den Park von Versailles ein außergewöhnliches Erlebnis: Sie fiel um mehr als hundert Jahre in die Zeit König Ludwigs XVI. von Frankreich zurück.
Als sich die Frauen nach diesem historischen Spaziergang in der Gegenwart wiederfanden und über das Erlebte sprachen, bemerkten sie bald, daß sie nicht immer dasselbe gesehen hatten. Jede von ihnen hatte einige Szenen erlebt, darunter einige gemeinsam mit der Freundin, einige hatte aber nur jeweils eine der beiden Frauen durchlebt. Erst dadurch wurde ihnen bewußt, daß sie eine paranormale Erscheinung gehabt hatten. Sie beschlossen, alles schriftlich festzuhalten und verfaßten – gemäß ihren Eindrücken zwei unterschiedliche Berichte (die später veröffentlichte Niederschrift »An Adventure« setzt sich aus der Summe aller Erlebnisse zusammen). Beide hatten sich während ihres Abenteuers in der Vergangenheit sonderbar und schwermütig gefühlt und alles wie in einem tiefen Traum erlebt. Das ist ein wichtiger Hinweis für die Parapsychologie, die das Empfinden von Müdigkeit und körperlicher Schwere als typische Merkmale bei solchen Erlebnissen kennt. Von derselben Wahrnehmung berichten die meisten Betroffenen, die entweder in der Zeit »zurückfielen« oder denen verstorbene Personen erschienen.
Bei der Aufarbeitung von Vorfällen wie jenes der beiden Engländerinnen in Versailles interessiert die Wissenschaft immer besonders das soziale Umfeld der betroffenen Personen. Denn selbstverständlich gibt es eine Menge Phantasten, die sich die Erlebnisse nur einbilden oder Wunschträume haben oder krank sind und unter Halluzinationen leiden. Nichts von all dem traf aber auf die beiden Engländerinnen zu, die beide sehr gebildeten Familien entstammten und – was um die vorletzte Jahrhundertwende nicht sehr häufig vorkam – sogar akademische Berufe ausübten. Charlotte Moberly, die ältere der beiden, war Vorsteherin eines College (dem späteren College der Universität Oxford), die jüngere, Eleanor Francis Jourdain, folgte der Älteren nach deren Pensionierung im selben Amt nach.
Das Erlebnis von Versailles hat das Leben der zwei Frauen nachhaltig verändert. Sie wollten der Geschichte neuerlich auf die Spur kommen und besuchten das Schloß und den Park noch etliche Male, weil sie hofften, noch einmal in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurückfallen zu können. Da ihnen das nicht gelang, stürzten sie sich in die Forschung und begannen die Merkmale aller Orte, die sie nur aus der Epoche König Ludwigs XVI. kannten, akribisch genau aufzunehmen und mit dem aktuellen Zustand zu vergleichen. Denn vieles hatte sich innerhalb der etwa 120 Jahre Zeitensprung verändert. So existierten der Rundpavillon und die Brücke über die Schlucht nicht mehr, und der Platz, an dem sie die zeichnende Frau gesehen hatten, war durch hohe Rhododendronbüsche völlig verwachsen. Weiters befanden sich Türen, Einzäunungen und auch Kieswege an anderen Stellen als zur Lebenszeit Königin Marie Antoinettes. Die grüngrauen Röcke der vermeintlichen Gärtner stellten sich zuletzt als die Livreen der ehemaligen königlichen Bediensteten heraus.
Diese beinahe unglaublich scheinende und doch wahre Geschichte sei dem Buch über die Habsburger und ihre außersinnlichen Beziehungen vorangestellt. Sie möge all jene, die sich für dieses Thema interessieren, auf das folgende einstimmen. Besonders widmen möchte ich den Band aber der vermutlich großen Gruppe derer, die schon Ähnliches erlebte und die Zeugen von Erscheinungen geworden sind. Alle, denen das noch bevorsteht, mögen sich im tatsächlich eintretenden Fall an folgende Regel erinnern: » ›Wenn man ein Gespenst sieht‹, sagt … der New Yorker Parapsychologe Prof. Dr. Hans Holzer, ›soll man um Himmels willen nicht fortlaufen! Denn es hat große Mühe gehabt, uns zu erscheinen. Fragen wir lieber, was es will.‹ Das ist ein praktischer, einfacher und nützlicher Rat. Und fast jeder, selbst der phantasieloseste Materialist, hat mindestens einmal im Leben Gelegenheit, ihn zu befolgen. Gespenster erscheinen nämlich nicht nur den Leuten, die an sie glauben.« (Ingrisch, S. 51f.) Zu denen, die an sie glaubten, zählen bedeutende Persönlichkeiten der Geschichte wie der heilige Franz von Assisi, die Philosophen Plato, Baruch de Spinoza, Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer und Friedrich Wilhelm Nietzsche, Wissenschaftler wie Giordano Bruno sowie die Schriftsteller Vergil, Dante Alighieri, William Shakespeare, Gottfried Ephraim Lessing, und – nicht zu vergessen – die beiden großen deutschen Klassiker, Friedrich Schiller und Wolfgang von Goethe. Letzterer hatte insgesamt zwei paranormale Erscheinungen: einmal traf er einen verstorbenen Freund und einmal sogar sich selbst in einem anderen Lebensalter. Dem Leipziger Freund, »Hofrat Rochlitz (war er) unerwartet bei strömendem Regen … (begegnet). Noch dazu in seinem, Goethes, Schlafrock und Pantoffeln! Zwar löste der Freund sich bei der Begrüßung in Luft auf, doch fand Goethe ihn gleich darauf, als er in seine Wohnung zurückkehrte, in derselben Aufmachung auf dem Sofa vor. Er wäre, sagte der Hofrat, überraschend nach Weimar gekommen, hätte Goethe besucht und erfahren, daß dieser sich auf einem Spaziergang befinde. So ließ er sich trockene Kleider aus der Garderobe des Freundes geben und erwartete ihn, sich einen Spaziergang lebhaft vorstellend, auf dem Sofa und schlief ein … (Ein anderes Mal) begegnete Goethe … seinem eigenen Gespenst. Als er Friederike von Sesenheim, Urbild des Faustschen Gretchens, verließ, kam er sich zu seinem begreiflichen Schrecken selbst entgegengeritten. In der gleichen Tracht übrigens, die er viele Jahre später trug, als er die verlassene Geliebte noch einmal besuchte.« (dies., S. 55f.)
Das unter Königin Marie Antoinette errichtete Hameau im Park von Versailles. Nahe dieses romantischen Bauerndorfs ereigneten sich alle Rückfälle in die Zeit des 18. Jahrhunderts.
Ein spannendes Lesevergnügen allen Glaubenden, Betroffenen und Zweiflern wünscht
Gabriele Praschl-BichlerWien, im Juni 2003
*) Parapsychologie ist die Wissenschaft, die sich mit »paranormalen« Phänomenen beschäftigt. Dazu gehören außersinnliche Erscheinungen – wie Voraussehen, Visionen; bestimmte Fähigkeiten – wie Gedankenlesen, Telepathie, das Zurückfallen in eine andere Zeit und eine Menge von Ereignissen wie der Poltergeist und die Psycho- oder Telekinese, wobei Gegenstände durch gedankliche Energie bewegt werden u.v.a.m. Unter dem Parapsychologen versteht man den ausführenden Wissenschaftler.
*) Anna von Österreich entstammte der spanischen Linie der Habsburger. Sie war eine Enkelin Kaiser Karls V. und Tochter König Philipps III. von Spanien. 1615 hatte sie König Ludwig XIII. von Frankreich geheiratet und sollte gemeinsam mit ihm 23 Jahre lang auf die Geburt des ersehnten Sohnes und Thronerben warten. Bei ihrer Heirat war sie 14 Jahre alt gewesen, zum Zeitpunkt, als sie das erste Mal Mutter wurde, 37 Jahre. Zwei Jahre später gebar sie einen zweiten Sohn, ihr letztes Kind, den späteren Herzog Philipp I. von Orléans. Er wurde der Stammvater aller heute noch lebender Bourbonen aus der Linie der Könige von Frankreich.
*) Vgl. mit dem Kapitel über Erzherzogin Elisabeth auf den Seiten 147 ff.
*) Königin Marie Antoinette von Frankreich, geborene Erzherzogin von Österreich, war eine Tochter Kaiserin Maria Theresias. Als Ehefrau König Ludwigs XVI. geriet sie in die Fänge der Französischen Revolution und wurde später – wie ihr Ehemann – von den damaligen Machthabern guillotiniert.
*) Leider konnte ich das 1911 von den beiden Engländerinnen veröffentlichte Buch »An Adventure« (»Ein Abenteuer«) in keiner Bücherei ausfindig machen. Darin hatten die zwei Frauen nicht nur ihre Erlebnisse festgehalten, sondern auch alle Eindrücke und Forschungen von späteren Besuchen in Versailles zusammengetragen. Die vorliegende, leider nicht sehr gelungene Übersetzung aus dem Englischen entstammt dem Buch »Große Mysterien – Rätselhafte Begebenheiten« von Jeremy Kingston.
Außersinnliche Wahrnehmungen sind selbstverständlich nicht nur an die Anlage von Schloß Versailles gebunden, sondern können allerorts und jederzeit geschehen. So wurden – und werden auch noch in unseren Tagen – in den Schlössern der Habsburger immer wieder paranormale Vorfälle wahrgenommen. Denn das Auftreten solcher Phänomene hängt weniger mit der Prominenz oder der Bedeutung der früheren Besitzer zusammen als damit, daß sich in lange bestehenden Gebäuden einfach mehr Geschichte zugetragen hat als in jüngeren Häusern. Und diese reichhaltigere Geschichte wirkt dann eben nach. Die einfachste Erklärung dafür lautet: Je stärker die Ereignisse im wirklichen Leben stattgefunden haben und je weniger die Urheber oder Betroffenen die Möglichkeit hatten, sie im Leben aufzuarbeiten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit von Erscheinungen. Am bekanntesten sind »die Gespenster toter Personen. Sie halten sich hartnäckig in alten Häusern oder Schlössern auf, am liebsten als Weiße oder Schwarze Frauen, kettenrasselnde Ritter oder gar mit dem eigenen Kopf unter dem Arm. Ammenmärchen sind das keine, im Gegenteil, diese Fälle sind im allgemeinen glänzend bezeugt. Trotzdem müssen wir uns das Jenseits nicht als Gruselkabinett und die Toten als kindische Unholde vorstellen. Ein paar von ihnen sind halt verrückt. Es gibt lebendige Narren, und es gibt tote Narren. Beide sind zu bedauern, beide sind unseres Mitleids und unserer Hilfe bedürftig. Warum also sollte es keinen Geist geben, der geisteskrank ist?« (Ingrisch, S. 57f.)
In Schönbrunn wurden – wie in etlichen anderen Habsburger Schlössern – seit Jahrhunderten paranormale Vorfälle wahrgenommen. Sogar in unseren Tagen scheint es dort noch im besten Sinne des Wortes zu spuken.
Welche Art von Geistern – harmlose, fröhliche oder geisteskranke – ihr Unwesen in Schloß Schönbrunn und in der Hofburg trieben, wird auf den folgenden Seiten zu klären sein. Feststeht auf jeden Fall, daß sowohl die Sommer- als auch die Winterresidenz der kaiserlichen Familie Schauplatz einer Menge von Erscheinungen war. Daß die um 500 Jahre ältere Burg davon wesentlich stärker betroffen war, ist nicht weiter verwunderlich. Unter den verschiedenen Phänomenen, die sich in der Stadtresidenz der Habsburger ereigneten, ist die sprichwörtlich bekannte »Weiße Frau« am häufigsten gesehen worden. Der Schriftsteller Alexander Lernet-Holenia, der als Mieter selbst in der Burg wohnte, hielt in seinem Buch »Die Geheimnisse des Hauses Österreich« fest, daß er ihr zwar nie begegnet sei, legte aber immerhin großen Wert darauf, mit der nie Gesehenen verwandt gewesen zu sein. Wobei die Geschichte dieser Verwandtschaft, auf die später noch genauer eingegangen wird, einigen Aufschluß über seine Persönlichkeit gibt. Denn Lernet-Holenia dachte – ohne je von seiner Mutter oder von jemandem anderen die Bestätigung dafür bekommen zu haben – ein natürlicher Abkömmling der österreichischen Kaiserfamilie zu sein. Ganz konkret hatte er Erzherzog Karl Stephan*) als seinen Vater in Verdacht, dem er allerdings so wenig ähnlich sah wie zwei Menschen, die nicht miteinander verwandt sind. Doch ließ ihn der Gedanke an die mögliche Habsburger Abstammung niemals zur Ruhe kommen. Im lebenslangen Grübeln ob »ja!« oder ob »nein!« nahm er einen immer verbisseneren Charakter an, der ab einem gewissen Zeitpunkt sicherlich auch sein künstlerisches Schaffen beeinträchtigte.
Die stete Auseinandersetzung mit dem immer selben Thema, der nicht auszuschließenden hohen Ahnenschaft, war wohl auch einer der Gründe, warum er sich in seinen Büchern so häufig mit den Habsburgern auseinandersetzte. Und das auf sehr zwiespältige Weise: Denn während er über die früher lebenden Mitglieder der Familie zum Teil sehr amüsante und historisch bemerkenswerte Berichte verfaßte, fand er für seine Zeitgenossen aus der Kaiserfamilie meist nur hämische und bösartige Bemerkungen. Besonderen Haß hegte er gegen den letzten Regenten von Österreich, Kaiser Karl, eines der sanftmütigsten und friedvollsten Mitglieder der Familie. Beinahe möchte man glauben, daß Lernet-Holenia, der Möchtegern-Erzherzog, ihm den Status als Thronfolger und Herrscher neidete. Bei all der Aufmerksamkeit, die er dem einen bestimmten Thema widmete, vergaß der Schriftsteller in seiner Aufregung allerdings auch, daß er selbst als anerkannter außerehelicher Sohn Erzherzog Karl Stephans nur einen der hintersten Ränge in der Familie eingenommen hätte und für eine Thronanwartschaft ohnehin niemals herangezogen worden wäre. Denn laut Familiengesetz wurden dafür zunächst die legitimen männlichen Nachkommen herangezogen, im Fall ihres Aussterbens die ehelich geborenen weiblichen Familienmitglieder. Erst bei Erlöschen aller Stämme hätte man auf einen natürlichen Abkömmling zurückgegriffen. Und selbst da lag Lernet-Holenia auf einem schlechten Platz. Denn von den etwa fünfzig männlichen Erzherzogen, die damals lebten, gab es eine ganze Menge anerkannter natürlicher Sprößlinge, die von wesentlich ranghöheren Erzherzogen abstammten als Karl Stephan.
Kaiser Joseph II. und sein ihm nachfolgender Bruder, der spätere Kaiser Leopold II., sollen als erste Habsburger von der Weißen Frau in der Hofburg heimgesucht und von ihr vor einer drohenden Katastrophe gewarnt worden sein.
Doch zurück zur Weißen Frau in der Hofburg, die – Habsburger Ahnenschaft hin oder her – in diesem Band einen wichtigeren Inhalt darstellt als die Biographie Lernet-Holenias. Die Geschichte dieser Licht-Gestalt reicht in die Zeit der Habsburger Herrschaft zurück, während der sie sogar mehrere Regenten heimgesucht zu haben schien: »Immer wieder soll dem jeweiligen Kaiser vor einer drohenden Katastrophe nachts eine Frau … erschienen sein. Von Joseph II. bis zu Kaiser Franz Joseph I. soll sie alle kontaktiert haben …« (Berger/Holler, S. 146) Gemäß der Nachforschungen Lernet-Holenias will man die Weiße Dame »besonders in früheren Tagen … mehrmals gesehen haben, die – übrigens entfernt mit uns verwandt*) – hin und wieder aus dem sogenannten Amalientrakt in den Reichskanzleitrakt herübergeistern soll. Der Amalientrakt ist ursprünglich die Stadtburg der Grafen von Cilli gewesen, und die Weiße Dame war selber eine Gräfin von Cilli und daher auch mit den Habsburgern verwandt. Trägt sie weiße Handschuhe, so bedeutet ihr Erscheinen eine Geburt im Erzhause, und trägt sie schwarze Handschuhe, so kündet sie den Tod eines Habsburgers oder einer Habsburgerin an … (Während der Zeit der Monarchie wurde sie letztmalig) übrigens nicht in der Hofburg, sondern im Schloß Schönbrunn (gesehen), und zwar in der Nacht, bevor die Kaiserin vom Anarchisten Luccheni in Genf mit einer Feile erstochen worden war. Da hatte einer meiner entfernten Verwandten, ein Boyneburg, der einer … erlittenen Kopfverletzung wegen zur Garde versetzt worden war, in Schönbrunn Dienst zu tun, als sein dienstführender Wachtmeister erschien und meldete, in den Gängen treibe sich eine seltsame Gestalt umher, die auf keinerlei Anruf stehenbleibe und sich nicht zu erkennen gebe. Richard Boyneburg, als er diese Meldung empfing, folgte dem Wachtmeister sogleich auf die Vorplätze und sah dort tatsächlich die rätselhafte Gestalt*), die auch seinem Anrufe nicht entsprach und sich allen weiteren Versuchen, ihre Natur zu erforschen, nunmehr durch alsbaldiges endgültiges Verschwinden entzog«. (Lernet-Holenia, S. 268f.)
Für die Deutung einer so gespaltenen Natur, wie Lernet-Holenia sie war, ist eine Episode wie diese besonders aufschlußreich. Denn obwohl er sich nachweislich mit Parapsychologie beschäftigte, klingt der Ton seiner Erzählung doch sehr spöttelnd, ihr Wahrheitsgehalt ihm eher unglaubwürdig. Um beim Leser der Geschichte keinen Zweifel von seiner persönlichen Meinung aufkommen zu lassen, läßt er als Helden den »nur entfernt« verwandten Richard Boyneburg auftreten (zum Beweis der großen Entfernung schrieb er »Boyneburgk« wohl auch absichtlich falsch, obwohl sogar sein Halbbruder aus der ersten Ehe seiner Mutter so hieß. Und als eifriger Beinahe-Erzherzog unterließ er auch die Erwähnung, daß es sich bei Boyneburgks um eine sehr alte freiherrliche Familie handelte). Schließlich kam ihm die erlittene Kopfverletzung des entfernten Vetters ganz recht, um dem Leser anzudeuten, daß man eben nicht alles glauben mußte, was dieser Verwandte erzählte.
Blick auf den Leopoldinischen Trakt der Wiener Hofburg. In der 800 Jahre alten Habsburger Stadtresidenz wurden die meisten Erscheinungen wahrgenommen. Der Schriftsteller Lernet-Holenia, der als Mieter in der Burg wohnte, scheint dort sogar der Weißen Frau begegnet zu sein.
Als in der Öffentlichkeit bekannter Mann, der wegen seiner nie geklärten Abstammung über eine heftige gesellschaftliche Unsicherheit verfügte, fürchtete Lernet-Holenia, sich mit Geschichten wie diesen lächerlich zu machen. Daß er der sprichwörtliche Philosoph geblieben wäre, wenn er sie gar nicht veröffentlicht hätte, hat er nicht bedacht. Noch dazu, wenn zuletzt in der vor sechs Jahren erschienenen Biographie von Roman Rocek herauskam, daß er sehr wohl an paranormale Phänomene glaubte und sogar an spiritistischen Sitzungen teilnahm. Ja »Lernet (behauptet sogar), selbst die Weiße Frau gesehen zu haben, von der es heißt, daß sie in der Hofburg umgehe.« (Rocek, S. 107) Statt dessen schrieb er, daß »man, besonders in früheren Tagen, die sogenannte ›Weiße Dame‹ gesehen haben« will. So hat also laut seiner Aussage nicht er, sondern irgend jemand anderer – ein unpersönlicher »Man« – das Erzählte erlebt. Und selbst das drückte er im Text so aus, als ob er es bezweifelte. Denn anstelle von »hat gesehen« verwendete Lernet-Holenia die Möglichkeitsform, also die Wendung, daß derjenige alles nur »gesehen haben will«. Selbst dadurch versuchte er dem Leser noch einzureden, daß er an so etwas ohnehin nicht glaubt.