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In diesem schönen Buch erzählt Eva Rechlin die unterhaltsame Geschichte des kleinen Kall und seinem Zauberonkel Balthasar. Balthasar sorgt mit seinen übernatürlichen Kräften für so manche Überraschungen, die das Leben von Kall regelmäßig auf den Kopf stellen.Kall und der Zauberer diente sogar als Buchvorlage für ein kurze aber schöne gleichnamige Serie im ARD.-
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Seitenzahl: 120
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Eva Rechlin
SAGA Egmont
Kall und der Zauberer
Copyright © 1970, 2017 Eva Rechlin og Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711754351
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach
Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
Ak alle Aufregungen anfingen, saßen Vater, Mutter und Kall gerade in der Wohnküche beim Mittagessen. Die Eltern hatten ihre Teller längst geleert. Der Vater lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schmauchte seine Tabakspfeife. Ihm gegenüber saß die Mutter und rang ungeduldig die Hände. Kall, ihr Sohn, brachte sie gerade wieder einmal zur Verzweiflung. Er flegelte über seinem Teller am Tisch und stocherte mißmutig im Essan. Schließlich warf er sich sogar überdrüssig zurück gegen die Stuhllehne und fing an, im Walzertakt mit der Gabel gegen den Tellerrand zu trommeln: Rimmtata-rimmtata-rimmtata.
Dazu sang er laut: „Rosenkohl-Rosenkohl hängt mir zum Hals heraus …“
Der Vater schlug mit der Faust auf den Tisch und brüllte: „Zum Donner nochmal, du ißt, was auf den Tisch kommt! Beeilung!“
Jammervoll bedeckte die Mutter ihr Gesicht mit beiden Händen und seufzte: „Können wir denn nie, nie, nie in Frieden mahlzeiten? Iß doch endlich den Teller leer, Kall, damit ich abwaschen kann!“
Jetzt pokelte Kall mit der Gabel in seinem Haarschopf herum und meinte: „Ich würde das schmutzige Geschirr ja einfach immer aus dem Fenster schmeißen. Oder überhaupt nur Kuchen essen, dazu braucht man keinen Teller.“
Zum zweiten Mal schlug der Vater auf den Tisch und drohte: „Wenn du nicht augenblicklich den Teller leer ißt …“
Die Mutter hielt sich die Ohren zu und sank gequält nun endlich auch nach hinten gegen die Stuhllehne.
„O nein!“ stöhnte sie, „muß denn alles immer erst kalt und schwer verdaulich werden?“
Kall trommelte wieder mit der Gabel gegen den Teller und sang dazu: „Das Fett ist kalt – die Kartoffeln sind alt – gleich wird die Mahlzeit an die Wand geknallt …“
Der Vater ging langsam und zombebend von seinem Stuhl hoch, Kall duckte sich ein wenig, und die Mutter hielt sich schon die Augen zu. In diesem Augenblick klingelte schrill wie eine Schulglocke die Klingel an der Haustür, und die ganze Familie erstarrte vor Überraschung. Sie waren unbedeutende Leute. Wer konnte sie zu dieser Stunde besuchen?
Verwirrt stand die Mutter auf und ging aus der Küche. Das Klingeln war so überraschend, daß sogar Kall still sitzen blieb. Er und sein Vater horchten gespannt. Sie hörten draußen im Flur kurz eine Männerstimme, die etwas Unverständliches sagte, und gleich darauf schlug die Haustür wieder zu, und die Mutter kam zurück in die Küche. In der rechten Hand schwenkte sie ein großes Kuvert mit vielen bunten Briefmarken und rief: „Ein Eilbrief aus Afrika!“ Kall sprang sofort auf, stolperte über ein Stuhlbein, warf sich gegen seine Mutter und versuchte wie ein toller Hund, ihr den Brief zu entreißen. Blitzschnell riß sie den Brief in die Höhe und schalt: „Kall! Finger weg! Der Brief ist für Papa!“
„Aus Afrika?“ fragte der Vater ungläubig und griff nach dem Brief. „Zeig her. Was kann von da schon kommen?“
Vorsichtig öffnete er das Kuvert mit seiner fettigen Gabel. Er wollte die fremden Briefmarken nicht beschädigen.
„Was kann wohl darin stehen?“ sinnierte die Mutter laut. „Es kann ja nur ein Brief von Onkel Tim sein. Oder haben wir sonst noch Verwandte in Afrika? Nein. Außer Onkel Tim haben wir keine Verwandten in Afrika. Also, was schreibt der gute Alte? Lies vor!“
Auch Kall war schon ungeduldig. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, wie der Vater es ihm immer so schön vormachte, und brüllte:
„Vorlesen, zum Donner!“
Seine Manieren waren wirklich schlimm.
Der Vater fing an vorzulesen: „Mein lieber Neffe!“
„Aber Papa“, rief Kall, „für einen Neffen bist du doch schon viel zu alt. Also ist der Brief für mich!“
Dabei langte er über den Tisch und wollte seinem Vater den Brief aus Afrika wahrhaftig einfach wegnehmen. Die Mutter fing seinen Arm ein, als haschte sie eine Eidechse, und erklärte: „Papa ist aber Onkel Tims Neffe. Du bist nur sein Großneffe. Lies weiter, Mann!“
Der Vater begann noch einmal: „Mein lieber Neffe! Zuerst möchte ich Dich und Deine liebe Frau herzlich grüßen und Euch ein gesundes neues Jahr wünschen …“
Kall hielt sich den Bauch vor Lachen und gluckste: „Haaaooouuaah! Neujahr ist doch längst vorbei!“
Die Finger des Vaters trommelten so gereizt auf der Tischplatte, daß es sich anhörte, als wäre ein ganzes Reiterregiment im Anzuge, um Kall über den Haufen zu rasen. Schließlich ballten sich die Finger wieder zur Faust, die Hand donnerte wie ein Schmiedehammer nieder, und der Vater brüllte: „Ruhe!“
Die Mutter sank erschöpft auf ihren Stuhl und flehte: „Gebt doch einmal im Leben Ruhe! Kall, Onkel Tims Bananenplantage liegt so tief im Urwald, daß es sehr, sehr lange dauern kann, bis ein Brief von ihm bei uns eintrifft. Bitte, laßt uns den Brief jetzt endlich weiterlesen.“
Grimmig las der Vater weiter: „Ich schreibe heute ausnahmsweise, weil ich eine sehr wichtige Nachricht für Euch habe. Ich werde nun allmählich alt, und meine Kräfte lassen nach. Ich kann deshalb die Arbeit auf meiner Bananenplantage nicht mehr schaffen …“
„Der arme alte Onkel Tim!“ jammerte die Mutter.
„Ruhe!“ sagte der Vater und fuhr fort zu lesen: „Nun weiß ich ja, daß es Euch zwar nicht schlecht, aber auch nicht gerade gut geht und möchte Euch deshalb meine Bananenpflanzung hier im Urwald schenken. Dazu müßt Ihr freilich herkommen und sie in Besitz nehmen …“
Der Vater kam nicht weiter. Wie ein Hühnerhund sprang Kall in die Luft und danach mit beiden Füßen auf seinen Stuhl. Dort tanzte er umher wie ein betrunkener Schimpanse und gröhlte: „Nach Afrika! Nach Afrika! Babbeldibubbeldibobbeldida! Alle Mann nach Afrika!“
Drohend hob der Vater diesmal gleich beide Arme und ließ seine Fäuste mitsamt dem Brief auf den Tisch knallen, daß das Geschirr hochhopste.
„Zum Donner! Was soll dieser Affentanz? Augenblicklich bist du ruhig!“
Aber Kall beruhigte sich erst, als seine Mutter wie eine geübte Dompteuse einfach nach ihm griff, ihn vom Stuhl zerrte und wieder zum Sitzen zwang.
„Laß den Vater doch endlich mit dem Brief fertig werden!“ schalt sie. „Vielleicht mögen wir ja gar nicht nach Afrika? Es soll dort ziemlich warm sein.“
„Ganz richtig“, meinte der Vater, „einen solchen Schritt über Hunderte von Breitengraden hinweg muß man erst gründlich beschlafen! Würdet ihr wohl jetzt die Güte besitzen, mich weiterlesen zu lassen? Hört zu, was Onkel Tim sonst noch schreibt: … ,doch bevor ich euch meine Bananenpflanzung überlasse, müßt Ihr erst einmal zur Besichtigung hierherkommen. Kommt jedoch auf keinen Fall gleich mit Sack und Pack und Kind und Kegel. Das würde erstens zu teuer, und zweitens könnte es immerhin sein, daß es Euch hier dann doch nicht gefällt oder daß Ihr mir nicht gefallt oder daß es Euch zu heiß ist…“
„Recht hat er, der gute alte Onkel Tim“, sagte die Mutter, „auf alle Fälle muß man sich die Sache erst einmal ansehen, ehe man sie sich schenken läßt. Wir fahren erst mal nur zur Besichtigung hin, so daß wir immer noch nein sagen können, wenn es uns nicht paßt.“
„Onkel Tim schreibt“, fuhr der Vater fort, „daß wir deshalb nicht gleich mit Kind und Kegel kommen sollen. Ja, da wird einer wohl vorläufig zu Hause bleiben müssen, denke ich.“
Und dabei blickte er seinen Sohn Kall bedeutungsvoll an. Kall schwenkte seinen Kopf zwischen den Eltern hin und her, als sähe er den beiden beim Ping-Pong-Spiel zu, doch es gab keine Hoffnung. Die Mutter nickte nur zu diesen ungeheuerlichen Worten des Vaters und seufzte: „Ach ja, das wird unsere kleine Familie für eine Weile auseinanderreißen. Womöglich ist das da unten im Urwald auch eine fürchterlich wilde Gegend …“
„Mit giftigen Spinnen“, fuhr der Vater düster fort, „mit grausigen Taranteln, elendigem Schlangengewürm und gierigen Krokodilen.“
„Entsetzlich!“ flennte die Mutter, „nein, es wäre bodenlos leichtsinnig, gleich beim ersten Mal und ohne die Gegend zu kennen, unser einziges Kind mit in den Urwald zu nehmen. Wir haben doch nur das eine!“
„So ist es“, preßte der Vater schmerzlich hervor.
Kall legte erschüttert die Hände vor das Gesicht. Sein Kopf und seine Schultern sackten vor Enttäuschung nach vorn. Gleich darauf warf er beide Arme über den Tisch und den Kopf hinein und schluchzte: „Und wo … wowowo … soll ich … solalalahange bleibleiheiben?“
Die Mutter stand auf, trat zu ihrem einzigen Kind und streichelte seinen Kopf.
„Aber Kall!“ tröstete sie, „Kalli! Kalligula! Wir werden dich bestimmt nicht lange allein lassen. Sobald wir erkundet haben, ob im Urwald alles in Ordnung ist, holen wir dich nach.“
Kalls Schultern fingen an zu zucken. Er warf den Kopf in seinen Armen hin und her und heulte: „Und sosososolange sososoll ich hiehiehier alleihein bleibleiheiben? Ich kakann doch gagagar nicht kokokochen!“
Und ein wildes Schluchzen durchschüttelte ihn ganz und gar.
„Das ist doch alles Unsinn!“ schalt der Vater, „noch heute werden wir bei sämtlichen Verwandten anfragen, ob jemand von ihnen unsern Kall aufnimmt, bis wir ihn in den Urwald nachkommen lassen. Oder – oder selber wieder zurückkommen! Man weiß ja noch nicht.“
Die Mutter war glücklich über diesen Vorschlag. Sie klatschte in die Hände und rief begeistert: „Ein großartiger Einfall – bei den lieben, lieben Verwandten werden wir unsern Kall lassen. Am besten laden wir sie samt und sonders zu uns ein, um alles gleich mit ihnen gründlich zu besprechen. Mann, du mußt gleich mit ihnen telefonieren! Mit Onkel Otto …“
Kall heulte auf und schüttelte sich.
„… mit Tante Bella …“
Kall heulte auf und bekam eine Gänsehaut.
„… und mit der lieben Großmama!“
Kall wimmerte lang und schaurig wie ein Kater, dem einer auf den Schwanz getreten hat. Die Mutter aber war schon emsig dabei, den Mittagstisch abzuräumen, eine neue Tischdecke aufzulegen und das Kaffeegeschirr für die heben Verwandten aufzustellen, während der Vater zum Telefon eilte.
Als Kall erkannte, daß seine Eltern tatsächlich tun wollten, was sie beschlossen hatten, ballte er seine Fäuste und schwor sich, die Pläne der Eltern mit allen Mitteln zu durchkreuzen.
Nie, schwor er sich, nie lasse ich mich an Onkel Otto oder Tante Bella oder an die Großmama verschachern – nicht einmal für einen einzigen Tag! Und Kall hatte einen eisernen Willen.
Das sollte sich zwei Stunden später zeigen, als die liebe Verwandtschaft tatsächlich um den Kaffeetisch versammelt saß.
Zuerst schnatterten alle durcheinander, als hätten sie sich Jahrhunderte nicht mehr gesehen. Schließlich gab die Mutter dem Vater einen kleinen Wink. Er nickte bedächtig, nahm seinen Teelöffel und klirrte damit gegen seine Kaffeetasse. Dazu räusperte er sich so gekünstelt und laut, daß alle sofort zu ihm hinblickten und verstummten. Er legte seine Hand auf die Stelle, wo sein Herz pochte, und verbeugte sich im Sitzen gegen jeden einzelnen der versammelten Runde.
„Meine Lieben!“ hob er an.
Die Großmutter steckte ihr Hörrohr ins Ohr, beugte sich zu Onkel Otto hin und fragte: „Otto, hat er was gesagt?“
In diesem Augenblick schnellte Kall hinter Onkel Ottos Stuhl in die Höhe, fischte sich den Kuchen vom Teller der Großmutter und rief ihr dabei ins Horchrohr: „Er hat gesagt: ,Meine Lieben!‘“
Onkel Otto gab Kall einen Schlag auf die Finger, daß das Kuchenstück der Großmutter auf den Schoß fiel.
„Das klingt freundlich!“ sagte die Großmutter, „doch wen meint er damit?“
Und Onkel Otto schalt im gleichen Augenblick: „Verflixter Bengel!“
Dann bemerkte die Großmutter das Kuchenstück auf ihrem Schoß, beugte sich tief darüber, schnupperte daran, setzte ihre Brille auf und sagte verwundert: „Wie seltsam! Bei uns legt man einem den Kuchen auf den Teller, aber man wirft ihn einem doch nicht gleich an den Bauch!“
Kall kicherte so laut, daß Onkel Otto abermals zu ihm herumfuhr und ihm kräftig gegen den Kopf schnippste.
„Wenn ich groß bin, kriegst du’s zurück!“ fauchte Kall und verschwand wieder hinter den Stühlen. Er legte es zielbewußt darauf an, die Verwandten zu ärgern, damit sie ihn nicht aufnähmen. Darum fing er jetzt auf dem Fußboden an zu wimmern, als hätte ihm Onkel Ottos Klaps wer weiß wie weh getan. Die Großmutter spähte durch ihr Augenglas unter Tisch und Stühle und sagte: „Ich höre eure Katze schreien. Ihr habt doch eine Katze? Sicher hat das arme Tier jämmerlich Hunger. Es soll meinen Kuchen haben!“
Dabei hielt sie ihr Kuchenstück unter den Tisch und rief: „Komm, Muschi! Musch musch musch! Fresselchen! Einen schönen fetten Kuchen, Muschilein!“
Kall schnappte mit dem Mund so heftig nach dem Kuchenstück, daß es zu Boden fiel und die Hand der Großmutter zurückzuckte. Erschrocken schlenkerte sie alle fünf dürren Finger durch die Luft und schalt: „Diese verflixte Bestie beißt ja! Das ist ein Tiger! So was würde ich in meinem Haus nicht halten!“
„Aber wovon redest du denn!“ riefKalls Vater verzweifelt, „wir haben doch gar keine Katze!“
Daraufhin sagte Tante Bella mit ihrem hagebuttenroten Mündchen spitz: „Ich glaube, hier ist mehr von einer zweibeinigen Bestie die Rede! Aber fahr du nur in deiner Ansprache fort, lieber Schwager. Oder hast du nicht gerade mit einer Tischrede beginnen wollen?“
Kalls Vater schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und rief: „Richtig, ich hatte ja vor, eine wichtige Angelegenheit mit euch zu besprechen …“
Als Onkel Otto das hörte, blickte er auf seine Armbanduhr, warf sich zurück in seinen Stuhl und sagte gähnend: „Schieß schon los, alter Knabe. Wir haben dank der Flegeleien deines Sohnes schon Zeit genug verloren!“
„Wie bitte?“ fragte Kalls Vater, der von allem nichts bemerkt hatte. Seine Frau trat wie ein Schutzengel hinter seinen Stuhl, legte beschwichtigend ihre Hände auf seine Schultern und sagte: „Sprich trotzdem, Lieber. Sie werden uns gewiß verstehen. Nur Mut!“
Tante Bella ließ ihre Wimpern zappeln und rang die Hände, als durchkribbele sie rasende Ungeduld, aber Kalls Vater fing dennoch wieder an: „Ihr habt also gehört, was der gute alte Onkel Tim uns aus dem Urwald schrieb …“
„Hach!“ seufzte Tante Bella wie ein faules Huhn, „eine solche Erbschaft müßte unsereiner auch mal machen. Sicher hat der gute alte Tim an seinen Bananen Millionen verdient! Sie sind ja auch immer so teuer.“
„Unsinn!“ fuhr ihr die Großmutter dazwischen. „Tim war schon als Baby ein Faulenzer. Und wie abscheulich, von morgens bis abends nichts als Bananen zu essen. Habt ihr euch das auch gut überlegt, Kinder?“