Tom Quarky und das dille Dong - Eva Rechlin - E-Book

Tom Quarky und das dille Dong E-Book

Eva Rechlin

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Beschreibung

Das Buch erzählt die spannende und unterhaltsame Geschichte des jungen Tom Quarky. Von außen betrachtet, wirkt Tom wie ein ganz normaler zwölf jähriger Junge. Doch der Schein trügt, denn er besitzt ein auf der Welt wohl einmaliges Sprachtalent. Ganz egal wie abgelegen und schwierig eine Sprache ist, Tom ist in der Lage sie blitzschnell zu erfassen und zu erlernen.-

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Eva Rechlin

Tom Quarky und das dille Dong

Saga Egmont

Tom Quarky und das dille Dong

Copyright © 1981, 2017 Eva Rechlin og Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711754375

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach

Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk  – a part of Egmont www.egmont.com

1. Das Besondere an Tom Quarky

Wir wollen es mit der Heimlichtuerei nicht so weit treiben wie die geheimen Mitarbeiter der geheimnisvollen IGA. Nein, wir wollen freimütig den jungen Helden unserer Geschichte nennen. Er heißt Tom Quarky. Und was die IGA betrifft: Dort arbeitet als Wissenschaftler Toms Vater, Dr. Quarky, ein technischer Spezialist von der Sorte, wie die IGA sie braucht. Es ist sehr schwierig, genaugenommen sogar verboten, von der IGA zu berichten. Die meisten Menschen wissen ja nicht einmal, daß es Einrichtungen wie die IGA überhaupt gibt! Halten wir uns also zunächst an Tom Quarky. Mit Hilfe seines findigen Kopfes stoßen wir vermutlich schneller und leichter durch die unerstürmbaren Mauern aus eisigem Schweigen, dunklen Geheimnissen und verwirrenden Rätseln, hinter denen sich die IGA verbergen muß.

Tom Quarky ist einerseits ein Junge wie die meisten anderen Jungen. Völlig normal. Andererseits hat er sich im Verlauf seines zwölfjährigen Lebens einige besondere Fähigkeiten angeeignet. Als Baby bereits verlor er seine Mutter. Sein viel beschäftigter Vater mußte eine Haushälterin einstellen, die seitdem den großen und den kleinen Herrn Quarky in Küche und Wohnung zu versorgen hat. Vater Quarky wollte damals für seinen noch sehr kleinen Tom vor allem eine ebenso herzensgute wie großherzige Haushälterin haben. Sein Kind sollte sich bei ihr wohl fühlen, wenn er fort mußte, um bei der IGA zu arbeiten.

Von den verschiedenen Haushälterinnen, die sich vorstellten, wählte Dr. Quarky die dicke, schwerhörige, kurzsichtige Jola aus, eine liebe ältere Frau. Tatsächlich brachte Jola es fertig, Tom und seinen Vater mit appetitlichen Mahlzeiten bei Kräften zu halten. Sie kocht gern und schmackhaft. Ihre Mahlzeiten sind obendrein phantasievoll und gesund. Die restlichen Hausarbeiten interessieren sie nicht besonders. Jola ist nicht kleinlich und läßt vielen Dingen im Hause Quarky ihren Lauf. Es liegt ebenso an ihrer Kurzsichtigkeit wie in ihrem Wesen, lästige Arbeiten so lange wie möglich zu übersehen. Sobald sie vormittags alles Notwendige erledigt hat, setzt sie sich vor den Fernsehapparat und läßt sich möglichst nicht mehr stören. Fernsehen ist ihre Leidenschaft.

Für Tom war und ist Jolas Laster gar nicht so übel. Bereits als Kleinkind mußte Tom sich selbst beschäftigen, sich selbst helfen, selbst waschen, an- und ausziehen, mit sich selber reden, Pannen selber reparieren, kleine Wehwehchen selber kurieren und schließlich dermaßen selbständig werden, daß er Jola tatsächlich nur noch zum Kochen braucht. Nein, ganz so übel ist es nicht, denn er braucht Jola auch als lieben Mitmenschen.

Kam Dr. Quarky einmal nach Hause, was selten genug war, staunte er jedesmal über die fabelhafte Erziehung zur Selbständigkeit, und brüllend lobte er dafür die schwerhörige Jola. Tom ließ seinen Vater in solchem Irrglauben und hat bis heute keinem verraten, daß Jolas vermeintliche Erziehung aus – na, sagen wir mal »aus gewisser Nachlässigkeit« besteht. In Wahrheit ist es natürlich ziemliche Schlamperei. Aber welcher Miesmacher wollte einer Jola Übles nachreden, he?

Womöglich hätte Tom obendrein selber kochen gelernt, wäre ihm nicht die zeit- und kraftraubende Schule in die Quere gekommen. Also wurde die gute alte Jola im Hause Quarky glücklicherweise nicht total überflüssig. Und Tom ist mittlerweile zwölf Jahre alt geworden, folglich beinahe so gut wie fast bald erwachsen.

Was Tom in seiner Schule aus dem üblichen Haufen von Jungen und Mädchen heraushebt, ist nicht etwa so viel Selbständigkeit. Auch in Häusern ohne Jolas gibt es Dutzende von selbständigen Kindern. Was Tom Quarky allen Mitschülern voraus hat – unerkannt übrigens, unbemerkt –, das ist seine einzigartige Sprachbegabung. Toms Sprachbegabung wurde durch merkwürdige Umstände wohl überhaupt erst geweckt und gefördert von der Schule, die er besucht. Es ist eine der gewöhnlichen Schulen in einem typischen Randviertel einer Großstadt, nicht weit ab von einem Flughafen. Irgendwann vor Jahren allerdings fing in dieser Schule eine Klasse damit an, sich eine Geheimsprache zuzulegen. Lehrer und sonstige Mitschüler sollten sie bei privaten Gesprächen nicht verstehen können. Zuerst war es fast nur wie ein Scherz. Doch andere Klassen äfften es nach. Die reinste Geheimsprachenseuche brach aus und hat sich bis heute gehalten. Es ist jedoch schwer, immer neue Geheimsprachen zu erfinden. Man sann auf Auswege.

Beispielsweise hat eine Klasse mit Vierzehnjährigen deshalb von ausländischen Arbeitskräften türkisch gelernt; eine nächste paukte einen arabischen Dialekt, andere sind dabei, die Sprachen von Eskimos, Tungusen, Pygmäen und einem aussterbenden Indianerstamm zu studieren. Wer in der großen Pause über den Schulhof von Grüppchen zu Grüppchen schlendert, kann sich einbilden, hier seien die Vereinten Nationen zu einem schnatternden, kollernden, blökenden, schnarrenden, kieksenden, summenden, gakkernden, zischelnden Palaver versammelt. Es gibt keine Klasse mehr ohne eigene geheime Sprache. Und während der Pausen irren die Lehrer zwischen ihren Schülern umher wie sprachlose, blöde, unwissende, sehr niedere Tiere.

Niemand, auch keiner von den eigenen Klassengefährten, weiß, daß es einem einzigen Mitschüler gelang, insgeheim die verschiedenen Sprachen zu entziffern und zu erlernen: Tom Quarky. Wenn Tom Quarky über den Pausenhof von Grüppchen zu Grüppchen schlendert, senkt er die Blicke, um sich nicht zu verraten. Er nämlich hört wie mit hundert Ohren. Blitzschnell erfaßt er in dem Sprachengewirr noch das trostloseste Stammeln, das albernste Fiepen und kann es für sich in unsere Sprache übersetzen. Es ist ihm selber unbegreiflich, wie ihm das gelingt. Wie eine Kunst kommt ihm das vor, denn auch bedeutende Sänger, Maler, Pianisten, Bildhauer, Gitarristen zum Beispiel können sich kaum erklären, warum und woher ausgerechnet sie gerade über ihre Gabe verfügen. Natürlich spielt fleißiges Lernen eine gewisse Rolle. Woher aber kommt der Rest? Die ungewöhnliche Einfühlungsgabe für Sprachen aller Art ist eben einfach Tom Quarkys besondere Begabung. Er ist klug genug, nicht damit anzugeben. In der Schule würden sich ja auch vor ihm schlagartig überall Mauern aus Schweigen aufrichten. Spionwürde man ihn nennen, Verräter, Schnüffler! Nein, dieser ruhige, selbständige Mensch hat das Geheimnis seiner fabelhaften Begabung nur einem einzigen verraten, dem er am meisten vertraut, seinem Vater Dr. Simon Quarky.

Und es ist noch gar nicht lange her, seit er es seinem Vater gestand. Tom gab vor seinem Vater sogar Kostproben zum besten von den verschiedenen geheimen Sprachen in der Schule. Zuerst kopfschüttelnd, dann aufmerkend, zuletzt immer nachdenklicher hörte ihm sein Vater zu. Toms vielsprachige Vorführung dauerte länger als eine Stunde und endete sonderbar. Dr. Quarky nämlich hielt sich plötzlich beide Ohren zu, als quälte ihn blitzartig eine schauderhafte. Vorstellung. Er schüttelte wild abwehrend den Kopf und ächzte: »O Tom, wie furchtbar, daß ich es nun weiß! Wie soll ich mit dem Wissen von deiner Begabung morgen wieder an meine schwierige Arbeit gehen?«

Lange hat Tom über diesen Satz nachgedacht. Dunkel beginnt er zu ahnen, was sein Vater meint: Zwischen Toms sagenhafter Sprachbegabung und der geheimnisumwitterten IGA muß sich etwas angebahnt haben. Aber was? Was?

2. Dr. Quarky muß handeln

Am zwanzigsten Juni sollen die großen Ferien beginnen. Seit Monaten planen Tom und sein Vater, in diesem Jahr in ein nördliches, wasserreiches Land zum Fischen zu reisen. Nach Alaska oder Sibirien, Finnland oder Sachalin, Labrador oder Island.

Am fünfzehnten Juni jedoch kommt Dr. Quarky zu ungewohnter Zeit und ohne Voranmeldung nach Hause. Bei der IGA gibt es keine regelmäßigen Arbeitszeiten. Manchmal bleibt Dr. Quarky tage- und nächtelang fort, meistens weit fort, wie es scheint. Daß die Quarkys nahe am Flugplatz wohnen, ist wichtig wegen der IGA, von der Tom sonst kaum etwas weiß. Da sein Vater, neben anderen Kenntnissen und Fähigkeiten, vor allem Spezialist für Weltraumfragen ist, kann Tom sich trotzdem allerlei zusammenreimen. Und eine Begabung wie er ist längst dahintergekommen, wie die Abkürzung IGA in voller Länge heißt: »Internationale Galaktische Abwehr«. Tom begriff rasch, daß sein Vater ihm nichts, absolut nichts, kein Sterbenswörtchen von seiner Arbeitsstelle erzählen durfte. »Höchste Geheimhaltung!« Diese zwei Worte wenigstens verriet Dr. Quarky einmal seinem Sohn – und das grenzte wirklich schon fast an Verrat. Und genau deswegen wird der fünfzehnte Juni für Tom unvergeßlich bleiben.

Jola vor ihrem Farbfernseher bemerkt nichts von der unvermuteten Heimkehr des Hausherrn. Tom ist gerade aus der Schule zurückgekommen und löffelt seine schmackhafte Mahlzeit, als sein Vater zu ihm hereinhuscht wie ein Dieb, den Zeigefinger gegen die Lippen gepreßt. Jolas Fernseher lärmt wie der Dreißigjährige Krieg. Trotzdem flüstern Vater und Sohn unwillkürlich.

»Was ist los, Vater? Wieso kommst du hinten herum über die Terrasse? Sind sie hinter dir her?«

Dr. Quarky stößt sein Kinn vielsagend in Richtung Jola und stöhnt: »Alarmstufe acht zwo zwo. Wo kann ich dich am besten allein und ungestört sprechen, Tom?«

Tom ist der Appetit vergangen. Er läßt den Löffel in Jolas köstlicher Himbeercreme stecken, steht auf, nimmt seinen Vater an die Hand und schleicht sich mit ihm hinter Jola vorbei und über den Flur in sein Zimmer. Wie üblich hat Jola Toms Bett noch nicht gelüftet und frisch hergerichtet. Dr. Quarky muß sagenhaft aufgeregt sein, daß er es so wenig bemerkt wie die Spinnweben in den Ecken, Staub auf Regalen und Schreibtisch, Fusseln und Flecken auf dem Fußboden, graue Fensterscheiben. Er wirkt erschöpft. Womöglich funktionieren seine Sinne deshalb nicht ganz vorschriftsmäßig. Richtig kaputt läßt er sich auf Toms zerwühltes Bett fallen und stößt endlich hervor:

»Die Ferienreise, Tom – aus der Traum! Ich kann nicht mit dir zum Fischen fahren. Es ist etwas unglaublich Ungewöhnliches passiert, Junge. Und ich weiß keinen anderen Ausweg als diesen. Vier Konferenzen auf höchster Ebene haben wir deinetwegen abgehalten, bis das Chefoberhauptkommando endlich zustimmte. Ich habe ihnen versichert, daß ich für deine Verschwiegenheit meine Hand ins Feuer legen würde. Sogar beide Hände! Und du weißt ja, Geheimhaltung ist bei uns das A und O, das ein und alles … «

Tom muß schlucken, bevor er fragen kann: »Redest du etwa von der IGA, Vater? Vater! Du bist doch gesund? Es ist doch alles in Ordnung mit dir, oder?«

Endlich lächelt sein Vater. Er schaut Tom, der sich zu ihm auf die Bettkante gesetzt hat, eine ganze Weile still an, greift dann nach seiner Hand und sagt mit ruhiger, gewohnter Stimme: »Ich bin rundum dicht, Junge. Bevor ich dir jedoch alles erkläre, muß ich dich einer gewissen Prüfung unterziehen. Es geht um dein sonderbares Sprachtalent. Paß auf. Ich werde dir einen Satz sagen, und du sollst versuchen, ihn mir zu übersetzen. Obwohl diese Sprache der unsrigen unbegreiflich ähnlich ist … aber vielleicht ist gerade das der teuflische Trick, der es uns so schwer macht.«

Tom spitzt die Ohren, und sein Vater fährt fort: »Wie etwa würdest du folgenden Satz in unsere Sprache übersetzen?, Nein, nicht mitschreiben, bitte. Ich sagte ja: Alarmstufe acht zwo zwo!« Der Vater erhebt sich.

»Okay. Also sag mir den Satz!« Auch Tom steht auf.

Dr. Quarky zieht einen schmalen, zusammengerollten Papierstreifen aus seinem linken Ohr, entrollt ihn und liest davon ab: »Tompe drusseln verfloxter most putermock bokolzt schnaubelschall af klotzklump antrudel as.«

Tom schließt die Augen, läßt sich den Satz noch dreimal vorlesen und spricht ihn jedesmal leise mit.

»Ich darf dir den Zettel nicht geben«, gesteht sein Vater, »ich muß ihn nachher völlig vernichten. Hast du den Satz im Kopf?«

»Es sind drei Sätze, Vater. Ihr habt sie also nur abgehört und danach aufgeschrieben? Du kannst den Zettel vernichten. Hier, verbrenn ihn am besten.«

»Es ist ein Spezialpapier. Man kann es im Nu zu Pulver verreiben. Laß nur, ich puste den Staub aus dem Fenster. Ist ein guter Gartendünger. Du hast es wirklich im Kopf?«

Tom nickt und wiederholt langsam: »Tompe drusseln, verfloxter Most – klingt wie verflixter Mist. Also noch mal: Tempo drusseln, verflixter Mist. Das ist der erste Satz.«

Dr. Quarky starrt seinen Sohn begeistert an und drängt: »Weiter, weiter! Es könnte zu denen passen, von denen es stammt.«

»Nicht ablenken«, bittet Tom und kombiniert: »Putermock bokolzt. Das könnte meinen: Computer kobolzt. Natürlich schießt er nicht Kobolz. Er tut was Bestimmtes. Vielleicht kommen wir durch den Rest des zweiten Satzes darauf: Schnaubelschall af Klotzklump. Ja. Hm. Computer kobolzt Schnaubelschall … Mund meinen sie damit, Worte, Töne. ›Af Klotzklump‹? Arbeitet die IGA vielleicht in einem Bunker oder Betonturm oder so was ähnlichem? Dann könnte es nämlich heißen: Computer erfaßt oder erkennt oder entschlüsselt Mundtöne aus gewaltigem, klotzigem Bauwerk … «

»Das ist es!« jubelt Dr. Quarky, »genau das könnten die Mi … die … also jene gemeint haben. Jetzt noch der letzte Satz: ›Antrudeln as‹?«

»Na, eben antrudeln«, dolmetscht Tom, »sich ranmachen, sich nähern! Und ›As‹? Wahrscheinlich ein Name. Oder es ist eine Führungsperson damit gemeint. Pik-As. Captain. Chef. Irgendsowas. Wer hat denn den Satz gesagt?«

»Wenn As ein Name ist, dann ist Kos ebenfalls ein Name. Kos und As, Die beiden Worte kommen immer wieder vor, am Anfang oder am Ende meistens. Kos und As … «

»Klingt wie die Abkürzung von Kosmonaut und Astronaut«, sagt Tom.

Nun ist sein Vater plötzlich ungewohnt blaß und erregt. Einigemale rennt er in Toms Zimmer auf und ab, bleibt unvermutet dicht vor seinem Sohn stehen und sagt bitter ernst: »Tom. Könntest du schweigen wie die gesamte IGA?«

»Sogar wie der Mond. Besonders für dich, Vater. Fehlt bloß noch, daß du sagst, die IGA braucht mich.«

»Das hast du erraten, Junge? Und du würdest dafür auf unsere Angelferien verzichten?«

»Fragen stellst du!« sagt Tom kopfschüttelnd. »Also los, was soll ich tun?«

»Vor allem über alles schweigen. Vorher wie nachher. Ich werde dich während deiner Schulferien mit zur IGA nehmen müssen. Wir werden dort möglicherweise einige Wochen bleiben. Jola und die Nachbarn hier müssen denken, daß wir gemeinsam zum Fischen nach Sibirien verreist sind.«

»Warum gerade Sibirien?«

»Erstens weil du russisch kannst, außerdem kannst du davon nachher am leichtesten berichten: Birkenwälder und Nadelgehölze und fischreiche Flüsse und Tundra und Taiga und helle Nächte und Balalaikamusik … «

»Okay. Und wo geht es wirklich hin?«

»Die IGA hat ihre geheimen Stationen rings um den Erdball verteilt. Eine sieht aus wie die andere. Wir werden viel unterwegs sein, meistens im Dunklen. Du verstehst, Tom?«

»Genau, Vater. Alarmstufe acht zwo zwo. Was soll ich in meinen Reisepack stopfen?«

»Alles wie für einen Sportfischerausflug nach Sibirien. Am zwanzigsten gleich nach Mitternacht hole ich dich hier ab. Glaub mir, ich weiß selbst nicht, in welche IGA-Station man uns fliegen wird. O Tom, ich bin stolz auf dich. Du hast etwas geschafft, an dem unsere sämtlichen Computer und Fachleute gescheitert sind. Menschliche Phantasie – so was hat kein Computer, das haben die Experten nicht bedacht … «

»Ich soll mehr können als eure Computer?« fragt Tom überwältigt, »aber was soll ich denn können? Was denn!«

3. Auf dem Weg zur IGA

Obwohl es Nacht ist, weiß Tom genau, daß sie auf ihrem heimatlichen Flughafen in eine gewöhnliche Linienmaschine gestiegen sind. Aber sie ist menschenleer. Im Cockpit sitzen natürlich Pilot und Copilot und – wie Tom später bemerkt – weitere Männer, Bordingenieure vielleicht, Sicherheitsbefugte oder Funkspezialisten oder Kontrollpersonen. Und kaum haben Dr. Quarky und Sohn nebeneinander Platz genommen und sich angeschnallt, rollt die Maschine zur Startpiste.

»Nur für uns beide?« fragt Tom entgeistert. Sein Vater zuckt die Achseln und antwortet: »Kann sein, daß es Zwischenlandungen für weitere Zusteiger gibt. Jedenfalls sind wir von diesem Augenblick an im Abschirmbereich der IGA, und ich kann offen mit dir über das reden, was dich erwartet. Aber frage nicht, wo es uns erwartet. Unser Kommandostand kann heute tief im Innern eines Gebirges stecken, morgen in Tauchbunkern am Meeresgrund oder in einer ausgepumpten Ölkaverne unter der Wüste – und auch das können geschickte Täuschungsmanöver sein.«

»Ich werde es schon rauskriegen«, knurrt Tom.

Sein Vater mustert ihn besorgt und fleht: »Bloß das nicht, Junge! Und wenn, dann den Mund halten. Sie haben notfalls Medikamente, die dich alles vergessen lassen. Ich will nicht, daß das Zeug in deinen Körper eingeschleust wird. Also mach mir keinen Kummer mit zu großer Neugierde. Und jetzt hör mir gut zu, damit du weißt, was los ist.«

»Wozu sie mich brauchen?« fragt Tom gespannt.

Steil hebt das Flugzeug vom Erdboden ab. Der heulende Startlärm geht rasch über in dumpfes, gleichmäßiges Wummern.

»Eine Stewardeß wird uns hier nicht bedienen«, deutet Dr. Quarky an und fragt: »Hat Jola dir genug Reiseproviant für die angebliche Fahrt nach Sibirien eingepackt? Laß mal sehen … «

Herrliche Jola! An alles hat sie gedacht: Kuchen und saftig belegte Brote, Dauerwurst und gegrillte Hühnerschenkel, Becher mit Fruchtcreme und Yoghurt, Dosen voller Kirschen, Mirabellen, eine kleine Kühlbox mit Eiscreme, verschiedene Getränke, Bananen, eine Kokosnuß, Orangen, Datteln, Schokolade, Nüsse und in einem Schraubglas auf feuchtem Erdklumpen sogar Regenwürmer zum Angeln. Als gäbe es in Sibirien keine Würmer.

»Und mich an ihre Schürze gedrückt und geweint hat sie auch wieder zum Abschied, wie bisher bei jeder Ferienreise«, sagt Tom gerührt. Gute, alte Jola. Wenn die wüßte! Tom reißt sich zusammen und mahnt: »Also, fang an, Vater. Erzähl mir von euren Problemen.«

Dr. Quarky wirft einen besorgten Blick auf seine Weltzeituhr, stellt sie anders ein, nickt dabei, lehnt sich bequem zurück und berichtet von den Aufregungen, die die IGA seit Wochen in Atem halten: »Ich muß vorausschicken, warum und wozu es die IGA überhaupt gibt … «

»Internationale Galaktische Abwehr«, zischelt Tom.

»Das weißt du? Ich habe dir noch nie … aber natürlich: dein Spezialriecher für Buchstaben, Worte, Sprachen! Die IGA arbeitet mit der modernsten und raffiniertesten Technik, um alles zu orten, was sich in unserer irdischen Gashülle und draußen im Weltraum ereignet und was sich womöglich unserer Erde nähert. War nicht viel bisher, abgesehen von Meteoriten, also Sternschnuppen, Lichterscheinungen, erdeigenen Raumfahrtteilen und dergleichen. Natürlich beobachten wir außerdem jegliche Veränderungen in unserer Atmosphäre sowie andere Planeten und so weiter, und so fort. Ich will sagen, daß uns kaum ein Staubkorn entgeht bei so viel brillanter Technik, wie sie uns zur Verfügung steht. Und trotzdem haben wir die Minis wochenlang nicht ernst genommen. Wir haben sie einfach nicht ernst genommen! Ist es zu fassen?«

»Weiß ich nicht. Muß ja erst mal wissen, was oder wer die Minis überhaupt sind«, sagt Tom.

»Richtig, Junge. Wenn du bloß nicht so verflixt jung wärst! Ich meine wegen der Geheimhaltung, Alarmstufe acht zwo zwo. Obwohl ich persönlich alles nur vorstellbare Vertrauen zu dir habe.«

»Na und? Zählt das nicht mehr als sämtliche verfluchten Geheim- und Alarmstufen?« faucht Tom ungeduldig. »Also, schieß los mit eurem Miniproblem. Unser Flug dauert ja wohl nicht ewig.«

Dr. Quarky lehnt sich mehr nach rechts zu seinem am Fenster sitzenden Sohn hin und beginnt mit der Preisgabe seines ungeheuerlichen IGA-Geheimnisses: »Es tauchte also vor einigen Wochen auf sämtlichen Peilgeräten der IGA ein Störfaktor auf. Wir hatten ihn im Radar, im Bild, auf sämtlichen Frequenzen, konnten ihn sehen, hören, verfolgen – aber wir kamen nicht dahinter, was für ein Ding das sein könnte. Eindeutig flog es. Es stürzte also nicht einfach abwärts durch den Weltraum oder die irdische Gashülle wie ein Meteorit oder Satellitenrest oder Raumschiffkrümel und dergleichen. Nein, es flog. Vorwärts, rückwärts, rauf, runter, rein, raus, wie eine Fliege, verstehst du? Wie eine gierige Schmeißfliege. War auch nicht viel größer als eine Fliege. Wie ein Marienkäfer etwa.«

»Wahrscheinlich ist es also ein Marienkäfer«, sagt Tom.

Sein Vater klatscht sich eine Hand gegen die Stirn und stöhnt: »Als wir sein Näherkommen orteten, befand es sich in der Exosphäre!«

»Das ist wie hoch?«

»Fünfhundert bis zweitausend Kilometer über dem Erdboden.«

»Nein, so hoch fliegen Marienkäfer wohl nicht. Was war es dann?«

»Zunächst hielten wir es für ein galaktisches Staubkorn aus uns bis dahin unbekannter Materie von irgendeinem Himmelsgestirn. Da es nicht einfach zu uns hinabstürzte, widerstand es immerhin der Anziehungskraft der Erde. Muß ich dir noch erklären, wie unwiderstehlich normalerweise die Anziehungskraft unserer Erde ist für alles, was sich ihr nähert?«