Kamala Harris - Dan Morain - E-Book
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Kamala Harris E-Book

Dan Morain

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Beschreibung

Das Porträt einer selbstbewussten, starken und intelligenten Frau

Kamala Harris ist die erste Frau im Amt des Vizepräsidenten der USA. Dan Morain schreibt in dieser Biografie über ihren Weg zur mächtigsten Frau im Land. Als Journalist, der sie auf diesem Weg viele Jahre lang begleitet hat, versteht er wie kaum ein anderer, welche Ereignisse Kamala Harris prägten und zu den Überzeugungen führten, für die sie entschlossen einsteht. Er zeigt, was es für sie bedeutete, als Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners im Kalifornien der 60er- und 70er-Jahre aufzuwachsen, wie sie erst Attorney General von Kalifornien, dann US-Senatorin und schließlich Vizepräsidentin an der Seite von Joe Biden wurde. Auch dass ihr Weg dabei nicht frei von Niederlagen und Rückschlägen war, wird in Dan Morains Biografie deutlich: Kamala Harris hat loyale Unterstützer und erbitterte Gegner. Schon 2020 wollte sie Präsidentin werden und wurde Vize-Präsidentin. 2024 tritt sie als Präsidentschaftskandidatin gegen Donald Trump an – und ist schon jetzt die Hoffnung vieler Wählerinnen und Wähler.

„In vielen Dingen bist du vielleicht die erste, aber sorge dafür, dass du nie die letzte bist.“ Shyamala Harris, oft zitiert von ihrer Tochter Kamala

„Es mag sein, dass ich die erste Frau in diesem Amt bin, aber ich werde nicht die letzte sein, denn jedes kleine Mädchen, das heute Abend zusieht, sieht, dass in diesem Land alles möglich ist.“ Kamala Harris in ihrer Siegesrede am 7. November 2020

  • Die erste deutschsprachige Biografie der US-Präsidentschaftskandidatin
  • Intelligent, selbstbewusst, zielstrebig – Kamala Harris ist das Vorbild für eine ganze Generation junger Frauen
  • Der Lebensweg einer bemerkenswerten Frau: ihre Herkunft, ihre Motive, ihre Weggefährten

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Über dieses Buch:

Sie war Generalstaatsanwältin und Senatorin, nun ist sie Vizepräsidentin. Doch eigentlich wollte sie Präsidentin werden – ein Ziel, das sie immer noch erreichen kann.

Dan Morain beschreibt in dieser Biografie den einzigartigen Aufstieg von Kamala Harris. Als Reporter der Los Angeles Times hat er ihren Weg von Beginn an begleitet, und er zeigt, was es für sie bedeutete, als Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners im Kalifornien der 60er- und 70er-Jahre aufzuwachsen, wie sie erst Bezirksstaatsanwältin und später Generalstaatsanwältin von Kalifornien wurde, dann US-Senatorin und schließlich Vizepräsidentin an der Seite von Joe Biden. Es kommen Freunde und Wegbegleiter zu Wort, aber es wird deutlich: Kamala Harris hat auch erbitterte Gegner. Doch für ihre Überzeugungen, wie die Abschaffung der Todesstrafe und die Ehe für alle, steht sie entschlossen ein – und erkämpft sich so ihren Aufstieg ins Weiße Haus: Heute ist sie die mächtigste Frau im Land und Vorbild und Hoffnung für viele Amerikaner und Amerikanerinnen.

Über den Autor:

Dan Morain schreibt seit über 40 Jahren über politische und juristische Themen. Er war 27 Jahre lang als Redakteur bei der Los Angeles Times und acht Jahre bei der Sacramento Bee tätig.

Dan Morain

KAMALA HARRIS

DIE BIOGRAFIE

Aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker, Christiane Bernhardt, Karsten Singelmann, Astrid Becker, Eva Schestag, Henriette Zeltner-Shane, Pieke Biermann, Hella Reese, Stephan Kleiner

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Kamala’s Way« bei Simon & Schuster, New York.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 2021

© der deutschsprachigen Ausgabe 2021 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

»Kamala’s Way. An American Life« © 2021 by Dan Morain All Rights Reserved. Published by arrangement with the original publisher, Simon & Schuster, Inc.

Redaktion: Gisela Fichtl und Kristian Wachinger

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

Umschlagfotos: © Getty Images (San Francisco Chronicle/Hearst Newspapers via Getty Images/Kontributor), © Trunk Archive/Christian Witkin

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-28052-9V003

www.heyne.de

Für Claudia, mein Ein und Alles.

Inhalt

Kapitel 1 Shyamalas Tochter

Kapitel 2 Dieses kleine Mädchen

Kapitel 3 Studium, Apartheid und ein Massaker

Kapitel 4 Ein Vorgeschmack auf die Politik

Kapitel 5 Sie setzt sich ein Ziel

Kapitel 6 In die Schlagzeilen

Kapitel 7 Abgetrennte Köpfe

Kapitel 8 Polizist niedergeschossen

Kapitel 9 Clever gegen Kriminalität

Kapitel 10 Erste Begegnung mit Obama

Kapitel 11 Wilder Ritt

Kapitel 12 Der Wandel erreicht Kalifornien

Kapitel 13 Generalstaatsanwältin Harris

Kapitel 14 Das Relikt

Kapitel 15 Hochzeitsglocken

Kapitel 16 Die schrecklichen Fotos

Kapitel 17 Die Hypothekenkrise

Kapitel 18 Phänomenale Frauen

Kapitel 19 Bloß irgendein Typ

Kapitel 20 Eine Frau hat es eilig

Kapitel 21 Joe Biden wird zum Unterstützer

Kapitel 22 Wohlüberlegte Schüsse

Kapitel 23 Der endlose Krieg für Selbstbestimmung

Kapitel 24 Gegen Zuhälterei im Internet

Kapitel 25 Ich werde kämpfen

Kapitel 26 Auftritt auf der großen Bühne

Kapitel 27 Widerstand

Kapitel 28 Ich stelle hier die Fragen!

Kapitel 29 Ja oder Nein

Kapitel 30 Harris gegen Kavanaugh

Kapitel 31 Ein Todesfall in der Familie

Kapitel 32 Für das Volk

Kapitel 33 Timing ist alles

Kapitel 34 Dancing in the Rain

Epilog

Dank

Bildnachweise

Nachweise

Kapitel 1

Shyamalas Tochter

Wenn Kamala Harris ihren Platz in der Geschichte irgend jemandem zu verdanken hat, ist es die sechsundzwanzig- jährige indische Einwanderin, die sie im Herbst des Jahres 1964 im Kaiser Permanente Hospital in der kalifornischen Stadt Oakland zur Welt brachte. Es war vielleicht kein Zufall, dass sich ihre Geburt nur zwei Wochen vor dem Wahltag ereignete und dass sie in Kalifornien stattfand. Es waren ein Jahr und ein Bundesstaat, die sich als perfekter Brutkasten für ein Mädchen erwiesen, das in späteren Jahren beweisen sollte, dass gesellschaftlicher Fortschritt und eine Politik ohne Samthandschuhe Hand in Hand gehen.

Das kleine Mädchen wuchs zu einer robusten, scharfsinnigen, anspruchsvollen, hart arbeitenden, klugen, differenzierten Frau mit vielfältigem kulturellen Hintergrund heran. Kamala Harris entgeht nichts, und sie vergisst noch viel weniger. Sie hat loyale Unterstützer, die von Beginn an Teil ihres politischen Umfelds gewesen sind, und sie hat Menschen verprellt, die ihr einmal so nahestanden wie Familienmitglieder. Wenn die Kameras nicht laufen, hat sie sich auch gegenüber Menschen, die ihr nicht nützlich werden konnten, mitfühlend und liebenswürdig gezeigt, andererseits empfinden sie manche, die sie gut kennen, als kalt und berechnend. Ihrem Leben auf einer nationalen Bühne zum Trotz macht Harris nur wenige persönliche Details publik. Sie ist eine Feinschmeckerin, die Freude am Kochen und an feinen Restaurants und ausgefallenen Lokalen hat. Als wir uns einmal zum Essen trafen, wählte sie ein kleines familiengeführtes karibisches Restaurant gegenüber dem California State Capitol in Sacramento aus, sprach über die mannigfaltigen Gewürze und aß langsam – im Gegensatz zu mir, wie sie feststellte. Vor allem aber ist sie die Tochter ihrer Mutter. Menschen, die eng mit ihr zusammengearbeitet haben, sagen, es vergehe kaum eine Woche, in der sie sich nicht an die kleinen Weisheiten von Shyamala Gopalan Harris erinnere, die im Jahr 2009 verstarb. In der Öffentlichkeit wiederholt sie am häufigsten diese: »In vielen Dingen bist du vielleicht die Erste, aber sorge dafür, dass du nie die Letzte bist.« In bedeutenden Augenblicken ihres Lebens kommen ihr manchmal die Tränen, wenn sie an ihre Mutter denkt, und sie wünscht sich ganz offensichtlich, sie an ihrer Seite zu haben.

»Meine Mutter Shyamala Gopalan Harris war eine Naturgewalt und die größte Inspiration in meinem Leben«, schrieb Harris in einem Instagram Post zu Ehren ihrer Mutter im Rahmen des Women’s History Month 2020. »Sie hat meine Schwester Maya und mich gelehrt, wie wichtig es ist, hart zu arbeiten und an unsere Kraft zu glauben, etwas, das falsch läuft, geradebiegen zu können.«1

Shyamala Gopalan war etwas über 1,50 Meter groß. Sie war das älteste von vier Kindern eines hohen Verwaltungsbeamten in einer Familie von Erfolgsmenschen in einem Land, das seine Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1947 erlangte, sieben Jahre nach ihrer Geburt. Sie war neunzehn Jahre alt, als sie 1958 am Lady Irwin College im indischen Neu-Delhi ihren Abschluss in Hauswirtschaftslehre machte. Mit der Zustimmung ihres Vaters reiste sie nach Berkeley, um eine höhere und bedeutendere Ausbildung zu beginnen. Sie studierte Ernährungswissenschaften und Endokrinologie, promovierte und erwarb sich in den darauffolgenden Jahrzehnten Anerkennung für ihre Forschungen zum Thema Brustkrebs. Sie publizierte mehr als hundert Forschungsarbeiten in wissenschaftlichen Zeitschriften und warb nicht weniger als 4,76 Millionen Dollar an Zuschüssen für ihre Arbeit ein.

»Meine Mutter wuchs in einem Haushalt auf, in dem politischer Aktivismus und staatsbürgerliches Engagement ganz natürlich waren«, schrieb Kamala Harris in ihrer 2019 erschienenen Autobiografie The Truths We Hold. Und sie fährt fort: »Von meinen beiden Großeltern hat sie das wache politische Bewusstsein. Sie wusste Bescheid über Geschichte, über das Kämpfen und über Ungleichheit. Sie hatte ein angeborenes ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl.«2

Im Herbst 1962 nahm Shyamala Gopalan an einer Versammlung schwarzer Studenten teil, bei der ein junger Wirtschaftsstudent namens Donald Jasper Harris sprach. 1961 war er aus Jamaika emigriert und ebenfalls zum Studium nach Berkeley gekommen. Er vertrat recht radikale oder, wie Ökonomen vielleicht sagen würden, »heterodoxe« Positionen und hielt sich nicht an die seinerzeit von den US-amerikanischen Universitäten bevorzugten traditionellen wirtschaftswissenschaftlichen Theorien. Donald Harris sagte der New York Times, dass Gopalan, in einen traditionellen Sari gekleidet, nach seinem Vortrag zu ihm gekommen sei und »ihre Erscheinung sich von allen anderen in der Gruppe, Männern wie Frauen, abgehoben« habe. Sie bezauberte ihn; sie trafen sich noch einige Male zum Reden, und, so Donald Harris, »der Rest ist Geschichte«.3

Gopalan und Harris heirateten 1963, ein Jahr nachdem Jamaika von Großbritannien unabhängig geworden war. In ihrer Heiratsanzeige im Kingston Gleaner am 1. November 1963 hieß es, dass beide sich im Promotionsstudium befänden. Kamala Devi wurde 1964 geboren und ihre Schwester Maya Lakshimi zwei Jahre darauf. Devi ist die hinduistische Muttergöttin. Lakshimi ist die Lotusgöttin des Reichtums, der Schönheit und des Glücks. Im Jahr 2004 sagte Shyamala einem Reporter der Los Angeles Times, sie habe ihren Töchtern Namen aus der indischen Mythologie gegeben, um ihnen zu helfen, ihr kulturelles Erbe zu bewahren. »Eine Kultur, die Göttinnen verehrt, bringt starke Frauen hervor.«4

Von Mitte bis Ende der 1960er-Jahre engagierten sich beide Eltern in der Bürgerrechtsbewegung. Harris berichtet, dass sie oft im Kinderwagen zu Bürgerrechtsdemonstrationen kutschiert wurde. Sie erzählt die Familienanekdote, derzufolge ihre Mutter sie gefragt habe, was sie wolle, als sie einmal im Kinderwagen gequengelt habe.

»Fei-heit!«, soll sie geantwortet haben.

Wie viele junge Wissenschaftler war Donald Harris auf Wanderschaft; er wechselte von Berkeley an die University of Illinois in Urbana-Champaign, an die Northwestern University, die University of Wisconsin und zog 1972 schließlich wieder zurück in die Bay Area und an die Stanford University. Die Studentenzeitung The Stanford Daily charakterisierte seine Wirtschaftsphilosophie als marxistisch. Ob das nun zutraf oder nicht, sie war in jedem Fall nicht klassisch. Das machte es riskant, ihn dauerhaft einzustellen. Als seine Gastprofessur im Jahr 1974 endete, zögerten einige der Wirtschaftsprofessoren, ihn für eine Vollzeitstelle zu empfehlen. Die Vereinigung Union for Radical Political Economics intervenierte zu Harris’ Gunsten, und der Stanford Daily griff das Thema auf. Studenten sammelten mehr als 250 Unterschriften für eine Petition, in der sie forderten, dass der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften ein »förmliches Bekenntnis« zur marxistischen Ökonomie ablegte, dass stets drei Angehörige der Fakultät in diesem Feld tätig waren und dass die Fakultät Harris für eine Vollzeitstelle mit fester Laufbahnzusage empfahl. Donald Harris schreibt, er habe »keinen großen Drang oder Wunsch verspürt«, in Stanford zu bleiben.5 Doch letztlich wurde er eingestellt, wurde der erste schwarze Wirtschaftswissenschaftler mit einer Festanstellung an der ökonomischen Fakultät von Stanford und blieb an der Universität, bis er sich im Jahr 1998 zur Ruhe setzte. Bis heute hat Harris dort den Status eines emeritierten Professors.

Shyamala und Donald trennten sich im Jahr 1969, als Donald an der University of Wisconsin unterrichtete und Kamala fünf und Maya drei Jahre alt waren. Im Januar 1972 reichten sie die Scheidung ein. In ihrer Autobiografie schrieb Harris: »Ich habe oft gedacht, wenn sie beide etwas älter und emotional reifer gewesen wären, hätte die Ehe vielleicht gehalten. Aber sie waren so jung. Mein Vater war der erste Freund, den meine Mutter hatte.«6

In einem Essay von 2018 beklagt Donald Harris, dass der enge Kontakt zu Kamala und Maya nach einem hitzigen Sorgerechtsstreit »zu einem abrupten Stillstand gekommen« sei. Er suchte die Schuld bei dem Sorgerechtsabkommen, »das auf der Fehlannahme des Bundesstaats Kalifornien fußte, Väter seien nicht zur Kindererziehung in der Lage (vor allem nicht im vorliegenden Fall eines ›Neeegers von da Innsel‹).« Ein »Yankee-Klischee«, so schreibt er, das nahelege, dass ein solcher Vater »seine Kinder womöglich irgendwann zum Frühstück verspeist!« Er schreibt: »Ich blieb nichtsdestoweniger beharrlich und gab meine Liebe zu meinen Kindern niemals auf.«7

Der auf den 23. Juli 1973 datierten Scheidungsurkunde zufolge erhielt Shyamala das Sorgerecht, doch Donald durfte die Mädchen an jedem zweiten Wochenende und sechzig Tage lang über den Sommer zu sich nehmen. Er schreibt darüber, wie er mit seinen Töchtern nach Jamaika fuhr, um dort Verwandte zu besuchen und ihnen die Welt zu zeigen, in der er aufgewachsen war: »Ich versuchte, diese Botschaft auf sehr konkrete Weise zu vermitteln, indem wir regelmäßig nach Jamaika reisten und uns am dortigen Leben in seiner ganzen Fülle und mit all seinen Schwierigkeiten beteiligten.«

»Natürlich«, schreibt Donald Harris, »versuchte ich, ihnen in späteren Jahren, als sie reifer und verständiger waren, auch die Widersprüche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in einem ›armen‹ Land zu erklären, wie zum Beispiel das Nebeneinander von extremer Armut und extremem Reichtum, während ich selbst gemeinsam mit der Regierung von Jamaika hart daran arbeitete, einen Plan und angemessene politische Strategien zu entwerfen, um etwas gegen diese Umstände zu unternehmen.«

So viel Mühe er sich auch gab, die Lektionen von Harris’ Mutter scheinen Kamala stärker geprägt zu haben. Harris verweist in ihrer Autobiografie immer wieder auf ihre Mutter. Ihr Vater taucht auf weniger als einem Dutzend Seiten auf. »Mein Vater ist ein guter Kerl, aber wir haben wenig miteinander zu tun«, sagte sie in einem Interview von 2003.8

In ihrem offiziellen Lebenslauf auf der Internetseite des Generalstaatsanwalts von Kalifornien beschreibt Harris sich selbst als »Tochter von Dr. Shyamala Gopalan, einer tamilischen Brustkrebsexpertin, die aus dem indischen Chennai in die Vereinigten Staaten kam, um an der UC Berkeley zu studieren«.9 Ihr Vater kommt in dem Lebenslauf nicht vor.

In einem Essay über seine jamaikanischen Vorfahren schreibt Donald Harris über einen Hamilton in seiner Familie, Hamilton Brown, der jedoch wenig mit Alexander Hamilton, einem der Gründerväter seiner Nation und Gegner der Sklaverei, gemein hatte. »Meine Wurzeln reichen während meiner Lebenszeit zurück bis zu meiner Großmutter väterlicherseits, Miss Crishy (geboren als Christiana Brown, Nachfahrin von Hamilton Brown, der als Plantagenbesitzer, Sklavenhalter und Gründer von Brown’s Town verzeichnet ist).«10 Hamilton Brown wurde 1775 in der irischen Grafschaft Antrim geboren und segelte als junger Mann zur Karibikinsel Jamaika. Seine erste überlieferte Handlung in der neuen Heimat bestand darin, dass er Schwarze an einen anderen Mann verkaufte. Das war 1803. In den darauffolgenden drei Jahrzehnten wurde Hamilton Brown ein bereitwilliger Akteur und Mittäter des brutalen Systems der jamaikanischen Sklaverei, die er eifrig gegen die wachsende, von Baptisten und Methodisten angeführte abolitionistische Bewegung verteidigte.

Diese Tätigkeit war damals für Männer seiner Herkunft ein üblicher Weg zum Wohlstand. »Die Sklavenhaltung war eine Verdienstmöglichkeit, und für weiße Männer war der Besitz von Sklaven ein Weg zu materiellem Aufstieg, Unabhängigkeit und größerer Freiheit«, schreibt Christer Petley, Professor für Geschichte an der University of Southampton, in seinem Buch Slaveholders in Jamaica.11

Tatsächlich stieg Hamilton Brown in der jamaikanischen Gesellschaft auf und erlangte einen Sitz im Unterhaus, der gesetzgebenden Instanz der Insel. Als Rechtsanwalt war er als Beauftragter, Bevollmächtigter, Testamentsvollstrecker, Vormund, Geschäftsführer, Treuhänder oder Verwalter für mehr als fünfzig Anwesen eingetragen. Petley schreibt, in den jamaikanischen Anwesen seien selten weniger als 200 Menschen versklavt gewesen.

Die Weißen besaßen weitläufige Zucker-, Piment- und Kaffeeplantagen, während versklavte Schwarze die Arbeit erledigten. Von jamaikanischen Sklaven produzierter Zucker war für den transatlantischen Handel von zentraler Bedeutung, und »mehr als ein Drittel aller Sklavenschiffe, die mit Großbritannien Handel betrieben, legte hier an«, schreibt Petley.12 Zur Hochzeit des jamaikanischen Sklavenhandels wurden dort 354 000 Schwarze von 8 000 bis 10 000 Weißen als Leibeigene gehalten.

»In Jamaika waren sexuelle Beziehungen zwischen weißen Männern und versklavten Frauen üblich, und da der Rechtsstatus über die weibliche Linie von einer Generation auf die nächste überging, wurden die Kinder versklavter Mütter in die Sklaverei hineingeboren, ungeachtet des Status ihres Vaters«, schreibt Petley.13

Welche Gewalttaten Hamilton Brown an den von ihm versklavten Menschen im Einzelnen verübt haben mag, ist nicht überliefert. Was von seiner DNA fortlebt, ist ohne Gentests nicht feststellbar. Doch »die sexuelle Machtstellung weißer Männer war«, so Petley, »ein bedeutendes Überbleibsel ihres Rechts auf Zwangsanwendung und ihres hohen Sozialstatus«.14

Neben seinen vielen weiteren Rollen wurde Hamilton Brown auch ein hochrangiges Militärmitglied. Anfang der 1830er-Jahre, als die versklavten Menschen aufbegehrten, wurden seine Miliz und er eingesetzt, um dabei zu helfen, den Aufstand niederzuschlagen. Bei einem Halt stießen seine Soldaten und er auf Aufrührer. Zehn wurden gehängt, und dreizehn erhielten 300 Peitschenhiebe.

»Brown arbeitete hart daran, den Aufstand zu unterdrücken, und war stolz auf das, was er tat«, schreibt Petley.15

Im Jahr 1833, nach dem Sklavenaufstand, beugte sich die britische Regierung der Abolitionsbewegung und erließ ein Gesetz zur Befreiung der jamaikanischen Sklaven. Hamilton Brown versuchte in späteren Jahren, den Mangel an Plantagenarbeitern durch die Einfuhr von Arbeitskräften aus Irland auszugleichen. 1842 entschuldigte er sich dafür, der nachfolgenden Generation kein größeres Vermögen vermachen zu können, und beklagte den finanziellen Verlust, den er »wegen des starken Wertverlusts jamaikanischen Grundbesitzes« erlitten hatte.16 Er starb 1843.

Shyamala und Donald Harris lebten in Berkeley und Oakland, den Städten östlich der Bucht von San Francisco, die Zentrum der Free-Speech-Bewegung und vieler politischer Initiativen zur Umgestaltung des Landes waren. Die Bewegung gegen den Vietnamkrieg, der Aufstieg der Umweltbewegung, Forderungen nach ethnischer Gleichbehandlung, die aufkeimende Gefangenenrechtsbewegung und vieles mehr waren Teil dieser turbulenten Zeit.

»Sie verliebten sich auf diese höchst amerikanische Art, als sie in der Bürgerrechtsbewegung der 1960er für Gerechtigkeit auf die Straße gingen. Vom Kinderwagen aus sah ich, wie Menschen auf den Straßen von Oakland und Berkeley mit den Worten des großen John Lewis in ›positive Schwierigkeiten‹ gerieten«, sagte Harris bei der Nationalversammlung der Demokraten, als sie die Ernennung zur Vizepräsidentschaftskandidatin an der Seite Joe Bidens durch ihre Partei annahm.17

Es waren berauschende, aber auch todernste Tage. Die Nationalgarde wurde regelmäßig auf den Campus der UC Berkeley gerufen. Tränengas wurde vom Boden und aus Helikoptern abgefeuert. 1969 erschossen Polizisten einen unbewaffneten Demonstranten bei Protesten wegen eines Stücks Land, das als People’s Park bekannt wurde. 1966 gründeten Huey Newton und Bobby Seale die Black Panther Party for Self-Defense. Panther trugen offen Schusswaffen, wenn sie beobachteten, dass Nicht-Weiße in Oakland von der Polizei angehalten wurden. Der Gedanke, dass junge Schwarze legal Schusswaffen zur Schau trugen, beunruhigte die Behörden. Im Mai 1967, kurz nachdem Ronald Reagan Gouverneur wurde, führten Newton und Seale zwei Dutzend Panther, die Barette, Sonnenbrillen und Lederjacken trugen und ungeladene Schusswaffen in der Hand hielten, in das California Capitol in Sacramento. Eine Schlagzeile der Sacramento Bee verkündete eine »Invasion bewaffneter Black Panther ins Kapitol«. Die Panther waren dort, um gegen ein Gesetz zu protestieren, das das öffentliche Tragen geladener Schusswaffen verbieten sollte. Das von einem republikanischen Abgeordneten aus den wohlhabenden Oakland Hills eingebrachte Gesetz enthielt eine Klausel, die das Tragen von Schusswaffen im Kapitol unter Strafe stellte. Es wurde mit großer Mehrheit bei Republikanern wie Demokraten verabschiedet.

Unterstützt von der National Rifle Association (NRA, Nationale Schusswaffen-Organisation) unterzeichnete Gouverneur Reagan den Gesetzentwurf am Tag nach dem Parlamentsbeschluss. »Es gibt keinen Grund, warum in der heutigen Zeit ein Bürger auf der Straße geladene Waffen tragen sollte«, sagte er.18 Es war eine der ersten Maßnahmen zur Reglementierung von Waffenbesitz in Kalifornien. Viele weitere sollten folgen, wenngleich die NRA diese Maßnahmen in späteren Jahren zu blockieren versuchte, allerdings mit geringem Erfolg.

Das neue Gesetz verhinderte nicht, dass es auf den Straßen von Oakland gefährlich war und immer wieder zu Konflikten kam. Im Oktober 1967 wurde Huey Newton in der Stadt von der Polizei angehalten. Es kam zu einem Schusswechsel, und der Polizist John Frey wurde erschossen.19 Newton, der einen Bauchschuss erhielt, wurde wegen Mordes angeklagt. »Befreit Huey« wurde zum Schlachtruf. Newton wurde wegen Totschlags verurteilt und inhaftiert, allerdings revidierte ein bundesstaatliches Berufungsgericht das Urteil. Nach drei ergebnislosen Prozessen entschied sich die Bezirksstaatsanwaltschaft von Alameda gegen eine Wiederaufnahme des Verfahrens, und er war wieder auf freiem Fuß, wenn auch nicht lange. Er wurde erneut angeklagt, weil er eine Prostituierte ermordet und einen Mann, der sein Schneider gewesen war, mit einer Pistole geschlagen haben sollte.

Newton war in den 1960ern ein charismatischer Führer gewesen und wurde während seiner Inhaftierung geradezu zu einer Kultfigur.20 Thomas Orloff hatte einen anderen Blick auf die Dinge. Als Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt von Alameda sprach Orloff Newton des Mordes an der Prostituierten und des Einschlagens auf den Mann »mit begrenztem Erfolg« schuldig. Orloff, der später Chef der Bezirksstaatsanwaltschaft von Alameda wurde, sagte:

»Der Huey Newton, den ich zu sehen bekam, war im Grunde ein Gangster.«21

Newton erwarb danach an der University of California in Santa Cruz einen Doktortitel und fand einen frühen Tod, als er 1989 in West Oakland bei einem Drogenkauf auf der Straße erschossen wurde.22

Während Shyamala Gopalan die Geburtsstunde einer neuen politischen Kultur in den USA miterlebte, sorgte sie auch dafür, dass ihre Töchter um ihr indisches Erbe wussten, und reiste mit ihnen um die halbe Welt, damit sie ihre Großeltern kennenlernten. Doch Amerika und seine Ansichten zu ethnischer Herkunft und Geschlecht drangen zunehmend in ihr Bewusstsein. Ihr war auch bewusst, dass sie »zwei schwarze Töchter großzog. Sie wusste, dass Maya und ich in ihrer Adoptivheimat als schwarze Mädchen galten, und war entschlossen, dafür zu sorgen, dass aus uns selbstbewusste und stolze schwarze Frauen werden«, so Harris in ihrer Autobiografie.23

Einige der Lektionen, die Shyamala ihre Töchter lehrte, fanden im Rahmen donnerstagabendlicher Versammlungen im Rainbow Sign, einem schwarzen Kulturzentrum in Berkeley, statt. Zu den Gästen dort gehörten Shirley Chisholm, die New Yorker Kongressabgeordnete und erste schwarze Präsidentschaftskandidatin, die Jazzsängerin, Musikerin und führende Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone und die Dichterin Maya Angelou.

»In diesem #BlackHistoryMonth möchte ich meine Mutter und die Community des Rainbow Sign hochleben lassen, die uns lehrten, dass alles möglich war, ungeachtet dessen, was vorher gewesen ist«, postete Harris Anfang 2020 in den sozialen Medien.24

Doch auf Shyamala traf diese Lektion nicht immer zu. Sie hatte mit einer Freundin, Dr. Mina Bissell, an der UC Berkeley gearbeitet, die sich erinnerte, dass Shyamala eine Beförderung in Aussicht gestellt worden war, die letztlich ein Mann erhielt. Die alleinerziehende Mutter der zwölfjährigen Kamala und der zehnjährigen Maya reagierte darauf, indem sie 1976 einen Lehrauftrag an der McGill University in Montreal annahm und am Jewish General Hospital in derselben Stadt über Brustkrebs forschte.

Shyamala war als Kind viel gereist. Ihr Vater war ein hochrangiger Beamter, der im Laufe von Shyamalas Kindheit Anstellungen in Chennai, Neu-Delhi, Mumbai und Kalkutta annahm. Vermutlich fühlte es sich für sie völlig normal an, für eine Arbeitsstelle von Kalifornien nach Quebec zu ziehen. Ihre ältere Tochter allerdings fand den Umzug einschüchternd. Kamala erinnert sich in ihrer Autobiografie, dass »die Idee, im Februar, mitten im Schuljahr, aus dem sonnigen Kalifornien in eine fremde Stadt zu ziehen, in der Französisch gesprochen wurde und der Schnee dreieinhalb Meter hoch lag, milde ausgedrückt, unschön« gewesen sei.25 Shyamala meldete sie bei Notre-Dame-des-Neiges, einer französischsprachigen Grundschule, und später an der Westmount High School an, einer der ältesten englischsprachigen Schulen in Quebec.

An der Westmount nahm Kamala an Kundgebungen teil, rief eine Tanztruppe mit Namen »Midnight Magic« ins Leben und tanzte zusammen mit fünf Freundinnen in glitzernden handgenähten Kostümen zum Pop der frühen 1980er. Aber sie lernte auch die harte Realität kennen.26

Wanda Kagan und Kamala Harris waren während der Highschool-Zeit in Montreal beste Freundinnen, verloren sich jedoch, wie das bei Teenagerfreundschaften häufig der Fall ist, nach dem Abschluss aus den Augen. Im Jahr 2005 kamen sie wieder in Kontakt. Kagan sah im Fernsehen, wie ihre Freundin in der Oprah Winfrey Show über ihre Erfahrungen als erste schwarze Frau sprach, die in Kalifornien zur Bezirksstaatsanwältin gewählt worden war.

Kagan rief Harris an, und die beiden führten ein langes Telefongespräch, brachten sich gegenseitig auf den neusten Stand und schwelgten in Erinnerungen, unter anderem an die Zeit, als Kagan bei Kamala, Maya und Shyamala Harris gewohnt hatte. Sie war vor Misshandlungen in ihrem Elternhaus geflüchtet.

In diesem Gespräch erzählte Harris Kagan, sie habe sich für die Karriere als Staatsanwältin nicht zuletzt aufgrund dessen entschieden, »was sie mit mir durchgemacht hatte«.27 Kagan sagte Harris, ihr Zusammenleben mit der Familie Harris sei eine der wenigen guten Erinnerungen, die sie an jene Jahre habe. Kagan, die ihre Geschichte erstmals der New York Times erzählte, erinnerte sich daran, dass die Familie Harris gemeinsam kochte und zu Abend aß. Meist waren es indische Gerichte. Kagan hatte nie so gut gegessen. Es war eine besondere Zeit für sie. Im Haushalt der Familie Harris war Kagan nicht nur »irgendjemand, der jetzt hier wohnt«. Sie wurde als Familienmitglied aufgenommen. Shyamala bestand darauf, dass sie sich in Therapie begab. Kagans Erfahrung war so tiefgreifend, dass sie ihre eigene Tochter Maya nannte. Die Jahrzehnte zurückliegende Geschichte dieser Verbindung zwischen den beiden Mädchen im Teenageralter wurde 2020 Teil des Präsidentschaftswahlkampfs.

Harris’ Eintrag im Highschool-Jahrbuch zeigt, dass sie sich danach sehnte, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren. Auf die Frage, was sie glücklich mache, antwortete sie mit »Ferngespräche«, und unter »schöne Erinnerungen« trug sie »Kalifornien, Angelo; Sommer ’80« ein. Sie lächelt auf ihrem Jahrbuchfoto, und bald würde sie ihr erstes Jahr an der Howard University beginnen, einem traditionell schwarzen College in Washington, D. C. In diesem Jahrbucheintrag ermuntert Harris ihre Schwester: »Sei cool, MA YA!« Maya wurde im Zuge von Kamala Harris’ politischem Aufstieg zu deren engster Vertrauter. Shyamalas Tochter beendet den Eintrag mit einer Hommage an die Naturgewalt, die ihre größte Inspiration war: »Großes Dankeschön an meine Mutter.«

Kapitel 2

Dieses kleine Mädchen

Man kann Kamala Harris nur verstehen, wenn man die Widersprüche in der politischen Landschaft Kaliforniens kennt. Es gab schon immer mehr als nur ein Kalifornien. Teile des Landes machen den konservativsten Regionen der Südstaaten Konkurrenz, andere gehören zu den liberalsten der Vereinigten Staaten. Will ein Politiker, wie Harris, Geschichte schreiben, so muss er sich zwischen all dem zurechtfinden. Ihr Aufstieg verdankt sich, wie sich zeigen wird, vor allem ihrer Fähigkeit, genau damit umzugehen.

Doch vor allem muss man den höchst widersprüchlichen Umgang mit Rassismus in Kalifornien verstehen – ein Umgang, den Harris vom ersten Lebenstag an hautnah zu spüren bekam.

1964 fiel der Tag der Wahl auf den 3. November. Das war zwei Wochen nach dem 20. Oktober, dem Tag, als Shyamala Gopalan Harris ihre erste Tochter zur Welt brachte. Hätten sich die frischgebackenen Eltern mehr für die Wahlergebnisse als für ihr Kind interessiert, dann hätten Shyamala und Donald Harris die folgenschwere Wende der Ereignisse an diesem Abend bemerkt. Präsident Lyndon Johnson gelang ein Erdrutschsieg über Senator Barry Goldwater, einen Republikaner aus Arizona, und er errang damit ein Mandat, das ihm helfen sollte, seine sozialpolitischen und Bürgerrechte-Reformen des Great-Society-Programms auszuweiten. In Kalifornien erreichte er knapp sechzig Prozent der Stimmen. Es war das erste Mal nach sechzehn Jahren, dass ein Demokrat in Kalifornien gewann.

Jenseits der San Francisco Bay errang Willie Lewis Brown Jr., ein 30-jähriger Schwarzer, der als »verantwortungsvoller Liberaler« für sich warb, einen Sitz im Unterhaus, und zwar gegen einen irisch-amerikanischen Politiker, der diesen Sitz seit 1940 innegehabt hatte. Bei den vorangegangenen Sonderwahlen im selben Jahr hatte sich Philip Burton bereits einen Sitz im Kongress gesichert. Da Burtons jüngerer Bruder, John Burton, ebenfalls einen Abgeordnetensitz errungen hatte, wurde Brown Gründungsmitglied der Burton-Klientelpolitik, die später »Burton- Brown Machine« und schließlich schlicht »Willie Brown’s Machine« genannt wurde. Aber egal unter welcher Bezeichnung, die Gruppe dominierte die Politik von San Francisco über Jahrzehnte.

Brown, Sohn eines Dienstmädchens und eines Kellners, wuchs in Mineola, Texas, auf, einer sozial gespaltenen Kleinstadt, 135 Kilometer östlich von Dallas, mit Rassentrennung und 3600 Einwohnern. Er war 17, als er 1951 aus dem von einer Jim-Crow-Politik geprägten Süden floh. In ausgetretenen Schuhen und mit einem Pappkoffer mit seinen Habseligkeiten kam er nach San Francisco. Der einzige Mensch, den er dort kannte, war sein Onkel Rembert »Itsie« Collins, ein Spieler mit luxuriösem Lebenswandel, der seidene Anzüge und Diamantringe trug. Er lehrte Willie die ersten Lektionen über die Stadt, deren Geschicke er später lenken sollte.

Wie Shyamala Gopalan, Donald Harris und so viele andere kam Brown in den Westen, um hier sein Glück zu machen. Das hieß zunächst, sich Bildung anzueignen. Brown fing am San Francisco State College als Hausmeister an und machte am Ende einen Juraabschluss am University of California Hastings College of Law, das sich mitten im Tenderloin District der Stadt befindet. Damals wie heute ist das Tenderloin die Heimat von Einwanderern, gestrandeten Existenzen und Drogensüchtigen. Da er bei keiner der Kanzleien in der Innenstadt eine Stelle fand, vertrat Brown Mandanten, die wegen Drogendelikten vor Gericht standen. Das sollte sich in den kommenden Jahrzehnten ändern,28 in denen er im Kalifornien des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts zu einem der mächtigsten Politiker avancierte. Kamala Harris würde das in späteren Jahren noch aus nächster Nähe erfahren. Und sie würde selbst lernen, mit den heimtückischen politischen Widersprüchen des Bundesstaates klarzukommen, den ihre Eltern sich als Heimat ausgesucht hatten.

An jenem Wahltag stimmten die Wahlberechtigten Kaliforniens auch über ein Volksbegehren ab, »Proposition 14«, das Immobilienbesitzern die »absolute Diskretion« garantieren sollte, völlig frei an Menschen ihrer Wahl zu verkaufen oder nicht zu verkaufen. Dadurch wollte man die Regierung daran hindern, sich – in welcher Form auch immer – darin einzumischen, an wen Immobilienbesitzer verkaufen durften. Das Volksbegehren war von der Immobilienbranche und Wohnungsbesitzern finanziert, sein Text umfasste gerade einmal 270 Wörter. Das Ziel war einfach, aber nicht so explizit formuliert: Weiße Eigentümer sollten das Recht haben, Schwarze aus den Vorstädten fernzuhalten. Ins gleiche Horn stieß Jahrzehnte später Präsident Trump im Wahlkampf von 2020.

In der offiziellen Wahlinformation, die an alle in Kalifornien registrierten Wählerinnen und Wähler verschickt wurde, argumentierten die Unterstützer von »Proposition 14« folgendermaßen: Wenn die Regierung von Grundstücks- oder Wohnungseigentümern verlangen könnte, an jeden zu vermieten oder zu verkaufen, der in der Lage ist, den Preis dafür zu bezahlen, »was würde dann das Parlament davon abhalten, Gesetze zu erlassen, die es Eigentümern verbieten, aufgrund von Geschlecht, Alter, Familienstand oder fehlender finanzieller Verantwortung an bestimmte Leute nicht zu vermieten oder zu verkaufen?«29

Der kalifornische Generalstaatsanwalt Stanley Mosk, ein bekennender Liberaler, nahm den gegenteiligen Standpunkt ein: »Das würde Fanatismus legalisieren und fördern. Zu einem Zeitpunkt, wo unser Land im Bereich Bürgerrechte Fortschritte macht, schlägt es vor, Kalifornien in ein zweites Mississippi oder Alabama zu verwandeln und eine Atmosphäre von Gewalt und Hass zu erzeugen.«30

Wie so viele Städte war Berkeley, als späte Folge des sogenannten Redlining, schon lange in zwei Hälften geteilt. Nicht-Weiße konnten es sich im Allgemeinen nicht leisten, Häuser östlich der Grove Street, die inzwischen Martin Luther King Jr. Way heißt, zu mieten oder zu kaufen. Im östlichen Hügelland, den Hills, wo Eukalyptusbäume und Eichen stehen, wohnten Weiße. Die Familie Harris wohnte unten in den Berkeley Flats.

»Proposition 14« war eine Reaktion auf den Rumford Fair Housing Act, den Gouverneur Edmund G. »Pat« Brown 1963 unterzeichnet hatte. Das Gesetz garantierte das Recht, eine Wohnung oder ein Haus zu mieten, wo immer man wollte, und untersagte Diskriminierung im sozialen Wohnungsbau. Es wurde am letzten Abend der Legislaturperiode verabschiedet, nachdem konservative Senatoren es durch die Ausnahme von Einfamilienhäusern verwässert hatten.

Der Initiator des Gesetzes, der Abgeordnete William Byron Rumford, vertrat den Bezirk, der die Berkeley Flats und West Oakland umfasste, wo die Familie Harris lebte. Rumford war Apotheker und hatte an der University of California in San Francisco, auch einer staatlichen Universität, studiert. Als er 1948 zum ersten Mal einen Sitz im Unterhaus bekam, war er der erste schwarze Abgeordnete31 aus der Bay Area.

In den Augen der Immobilienbranche war Kalifornien der Austragungsort eines nationalen Kräftemessens zum Thema Vermietung oder Verkauf von privatem Wohneigentum frei von Diskriminierung. Die Makler »hatten das Gefühl, wenn sie es im sogenannten ›liberalen‹ Kalifornien schaffen würden, dieses Gesetz zu verhindern, dann müssten doch ihre Chancen, es auch in anderen Gegenden zu verhindern, sehr gut sein«, erinnerte Rumford sich rückblickend in einem Gespräch.32

Das Ergebnis des Volksbegehrens fiel nicht knapp aus.

Am selben Tag, als die Kalifornier mit überwältigender Mehrheit LBJ (Lyndon B. Johnson) im Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten bestätigten und Willie Brown ins Unterhaus nach Sacramento schickten, stimmten sie mit 65 Prozent zu 35 für »Proposition 14«. Wahlberechtigte in 57 der insgesamt 58 Bezirke, einschließlich des liberalen San Francisco, billigten den Gesetzesvorschlag.

Doch »Proposition 14« hatte nicht lange Bestand. Der Supreme Court von Kalifornien kippte den Vorschlag 1966 mit der Begründung, er verstoße gegen den Verfassungsgrundsatz, wonach alle Bürger den gleichen Schutz genießen. Am 29. Mai 1967 einigte sich der Supreme Court mit dem denkbar knappsten Votum von fünf zu vier Stimmen darauf, dass das Abstimmungsergebnis das 14. Amendment der US-Verfassung verletze.33

Richter William O. Douglas schrieb dazu: »Dieser Fall ist nicht so einfach wie der eines Mannes mit einem Fahrrad, einem Auto, einer Aktie oder sogar einer Holzhütte, der sein Recht geltend macht, dieses Eigentum zu verkaufen, an wen er will, und dabei alle anderen ausschließt, egal ob sie Schwarze, Chinesen, Japaner, Katholiken, Baptisten oder Menschen mit blauen Augen sind.« Stattdessen gehe es hier um »eine Form von ausgeklügelter Diskriminierung«, um Wohnviertel weiß zu halten.

James Madison zitierend, schrieb Douglas: »Und denjenigen, die behaupten, ›Proposition 14‹ repräsentiere den Willen der Bevölkerung Kaliforniens, kann man nur entgegnen: ›Wo die wahre Macht einer Regierung liegt, dort besteht auch die Gefahr von Unterdrückung.‹«

Was übersetzt bedeutet: Die Verfassung schützt Minderheiten aus gutem Grund vor uneingeschränkter Herrschaft der Mehrheit.

Die Gegenseite berief sich auf den Willen des Volkes und argumentierte, Gerichte sollten nicht im Nachhinein den Gesetzgeber oder im weiteren Sinne die Bevölkerung, die über solche Themen abgestimmt hat, infrage stellen.

Jahrzehnte später würde die kalifornische Generalstaatsanwältin Kamala Harris eine Variante dieser Argumentation nutzen, um für die gleichgeschlechtliche Ehe zu plädieren. Doch zuerst und viel direkter sollte sie die unmittelbaren Folgen eines beachtlichen Kräftemessens zum Thema Rassismus zu spüren bekommen.

Neil V. Sullivan, Leiter der Schulbehörde von Berkeley, hatte in Harvard studiert, weil seine Mutter wusste, dass Bildung das Ticket war, um aus ihrem irischen Getto in Manchester, New Hampshire, herauszukommen. Und er war einer der führenden Verfechter der Desegregation, der Aufhebung der Trennung nach Hautfarbe, an Schulen.

Im Auftrag der Kennedy-Regierung arbeitete Sullivan 1963 daran, die Schulen im Prince Edward County von Virginia wiederzueröffnen. Befürworter der Rassentrennung hatten dort versucht, die Anordnung zur Integration zu umgehen, indem sie alle staatlichen Schulen schlossen. Weiße Eltern hatten ihre Kinder daraufhin auf eigens gegründete Privatschulen geschickt, für schwarze Kinder gab es überhaupt keine Schulen mehr. Sullivans Job war hart. Mitbürger kippten regelmäßig Müll auf die Stufen und die Veranda seines Hauses, wo er zur Miete wohnte. Es gab Bombendrohungen, und jemand schoss ihm sogar ins Fenster. Doch es gelang ihm, die Schulen wieder zu öffnen, und 1964 besuchte Justizminister Robert F. Kennedy Sullivan in Prince Edward County, nachdem sein Bruder, Präsident John F. Kennedy, erschossen worden war.

»Die Kinder mochten ihn sofort, und offensichtlich gaben sie ihm den Trost, den er so dringend brauchte«,34 schrieb Sullivan später.

Sullivan kam im September 1964 nach Berkeley, da die Schulbehörde ihn eingestellt hatte. Anfangs war die Lage heikel. Vertreter der Schulbehörde drohten abberufen zu werden, weil sie sich für Integration an den Schulen einsetzten, doch sie blieben standhaft. So konnte auch Sullivan seinen Auftrag ausführen. Im Mai 1967 erklärte er dem Berkeley School Board: »An diesen Schulen wird die Rassentrennung im September 1968 komplett aufgehoben, und vielleicht schreiben wir an jenem Tag Geschichte.«

In einem Buch hielt Sullivan seine Erlebnisse in Berkeley fest. Dessen Titel Now is the Time verweist auf Martin Luther Kings Mahnung beim Marsch auf Washington 1963: »Jetzt ist es an der Zeit, das Versprechen von Demokratie wirklich einzulösen.«

King, der mit Sullivan befreundet war, schrieb im Vorwort zu dessen Buch, das auf den 1. September 1967 datiert ist: »Ich glaube, dass unsere Schulen bei dieser gewaltigen Anstrengung die Führung übernehmen müssen und können.«35 Das Ergebnis dieser Anstrengung zur Überwindung der Trennung nach Hautfarbe sollte King allerdings nicht mehr erleben.

1968, im Jahr der Mordanschläge und Bürgerrechts-Unruhen, machte Sullivan sein Versprechen wahr. Busse transportierten schwarze Kinder aus den Berkeley Flats zu Schulen in den Hills, während weiße Kinder an Schulen in den Flats gebracht wurden. So wurde Berkeley die größte Stadt Amerikas, die die Desegration an ihren Schulen umsetzte.

»Ist es möglich, dass eine mittelgroße Stadt mit dem bekannten Aufgebot weißer Fundamentalisten, die massenhaft Hassliteratur versenden, Erfolg hat, auch wenn diese Stadt von Städten voller Rassismus – weißem und schwarzem – umgeben ist? – In der Stadt Berkeley ist die Antwort darauf ein weithin vernehmliches JA«, schrieb Sullivan.36

Kamala Harris saß 1968 in keinem dieser Busse. Sie war noch zu klein. Auch 1969, in dem Jahr, als sie in die Vorschule kam, fuhr sie noch nicht mit. Ihre Eltern meldeten sie damals an einer Montessori-Schule in Berkeley an.

Doch im Herbst 1970 bestieg das kleine Mädchen tatsächlich einen Bus, um zur 1. Klasse an der Thousand Oaks Elementary zu fahren,37 die knapp vier Kilometer von ihrem Wohnort entfernt lag. Vor der Desegration waren 11 Prozent der Schüler an der Thousand Oaks schwarz gewesen. 1970 betrug der Anteil nicht-weißer Kinder über 40 Prozent.

»Ob uns das bei Erwachsenen gelingt oder nicht – Kinder können wir ändern. Unsere Kinder werden in einer Gemeinschaft heranwachsen, in der Gerechtigkeit ein selbstverständlicher Teil ihres Lebensmusters ist, und wir hoffen, sie werden die Gerechtigkeit weitertragen«, schrieb Sullivan. Seine Haltung war nobel und ambitioniert, aber sicherlich nicht einfach.38

Ein halbes Jahrhundert später, mitten im Präsidentschaftswahlkampf 2019, war Harris fest entschlossen, ihre Landsleute an diesen Augenblick in ihrer Geschichte zu erinnern. Auf der großen Bühne des Adrienne Arsht Center for the Performing Arts in Miami ließ sich die US-Senatorin Kamala Harris, ehemalige Staatsanwältin und Tochter einer indischen Mutter und eines jamaikanischen Vaters, nicht zum Schweigen bringen.

»Ich möchte gerne über das Thema Rassismus sprechen«, sagte die Senatorin von Kalifornien, die sich noch immer in ihrer ersten Amtszeit befand.39 Damit unterbrach sie das Hin und Her der ersten Debatte der Demokratischen Partei vor den Vorwahlen im Rennen um ihren Kandidaten zur Ablösung von Präsident Donald J. Trump.

Eine der Moderatorinnen, Rachel Maddow von MSNBC, bat sie um ein Statement von maximal dreißig Sekunden. Harris lächelte und sammelte sich. Was sie an diesem 27. Juni 2019 sagen wollte, würde ein wenig länger als eine halbe Minute dauern.

Sie wandte sich an Joe Biden, den ehemaligen Vizepräsidenten und jetzigen Spitzenkandidaten, 22 Jahre älter als sie, Angehöriger einer anderen Generation. Harris begann freundlich. Sie glaube nicht, dass er ein Rassist sei, sagte sie, womit ja schon die Andeutung im Raum stand, dass das möglich sein könnte. Dann schwenkte sie um. In der Vergangenheit habe Biden sich beinah sentimental über seine Zeit im Senat geäußert, eine Zeit, als es in der Politik noch zivilisiert zugegangen sei, wo er als Liberaler aus Delaware mit James O. Eastland aus Mississippi und Herman E. Talmadge aus Georgia zusammengearbeitet hatte, beides alte Demokraten, die für Rassentrennung eintraten. Das Gesetz, an dem sie arbeiteten, richtete sich gegen Schulbustransporte als Maßnahme gegen die Trennung nach Hautfarbe. Harris nannte das »schmerzhaft«.

»Wissen Sie, es gab damals ein kleines Mädchen in Kalifornien, das in die zweite der Klassen ging, die an ihrer staatlichen Schule integriert werden sollten. Jeden Tag wurde sie mit dem Bus zur Schule gefahren. Und dieses kleine Mädchen war ich«,40 sagte Harris. Mit diesem Satz drückte sie der Debatte ihren Stempel auf.

In den kommenden Tagen sollten Harris’ Befürworter und Kritiker sich darüber streiten, ob der koordinierte Angriff politisch geschickt oder dumm war, ob unter der Gürtellinie oder überfällig von einer Kandidatin, die in die Spitzenriege der Demokraten für die Nominierung als Präsidentschaftskandidatin strebte. Zumindest hatte Kamala Harris klargemacht, dass sie ein multikulturelles Amerika verkörperte und unmittelbar von den hart erkämpften politischen Maßnahmen profitiert hatte, die die Befürworter der Segregation so heftig zu verhindern versucht hatten. Von diesen Debatten einmal abgesehen, drängten die Spannungen der aktuellen politischen Ereignisse den Kontext der Zeit, in die Harris hineingeboren worden war, in den Hintergrund.

Dieser Moment sollte Harris schlagartig zur Spitzenkandidatin machen, ihr Zustimmung der Basis der Demokratischen Partei sichern, insbesondere bei schwarzen Wählerinnen und Wählern. Er sollte den Spitzenreiter Biden behindern. Für kurze Zeit funktionierte das. Harris’ Wahlkampfteam nutzte den Augenblick und twitterte ein Foto von Harris als junges Mädchen mit Zöpfen und ernster, entschlossener Miene. Bidens Team geriet in die Defensive. Harris’ Team versuchte, den Moment finanziell zu nutzen, indem es T-Shirts verkaufte, bedruckt mit dem Bild des bezopften Mädchens und dem Satz »DIESES KLEINE MÄDCHEN WAR ICH«. Für 29,99 bis 32,99 Dollar.

Harris hatte die feste Absicht zu gewinnen, als sie in den Präsidentschaftswahlkampf einstieg, und um das zu schaffen, musste sie den Favoriten schlagen. Dass ihr das misslang, liegt an Fehlern, die sie gemacht hat, aber auch an Faktoren, auf die sie keinen Einfluss hatte. Doch auch wenn ihre Kampagne stotternd zum Stillstand kam, noch bevor die ersten Stimmen abgegeben wurden, hatte Harris großen Eindruck gemacht. Etwas bleibt von ihr immer in Erinnerung.

So läuft das bei Kamala Harris.

Kapitel 3

Studium, Apartheid und ein Massaker

Am 13. Mai 2017, 150 Jahre nach Gründung der Howard University und einunddreißig Jahre nach ihrem Examen, kehrt Senatorin Harris an ihre Alma Mater zurück, um eine Rede vor den Universitätsabsolventen zu halten. Wie viele Ehemalige der Howard hält auch Harris ihrer Alma Mater die Treue und spricht mit großer Zuneigung von ihr. Sie führt die großartigen Howard-Absolventinnen und -Absolventen vor ihr an – die Schriftstellerin Toni Morrison, den Richter am Supreme Court Thurgood Marshall und viele weitere. In ihrer Rede geht sie ausführlich auf das Motto der Howard University ein: Veritas et Utilitas – Wahrheitsliebe und Handeln zum Wohle der Gemeinschaft. Ohne Donald Trump explizit zu erwähnen, lässt sie keinen Zweifel daran, auf wen sie sich bezieht.

»In einer Zeit, in der amerikanische Männer, darunter unverhältnismäßig viele People of Color, in einem maroden System der Masseninhaftierung gefangen sind, hilft nur, die Wahrheit auszusprechen und zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln. In einer Zeit, da Männer, Frauen und Kinder an Flughäfen unseres Landes allein wegen ihres Glaubens festgenommen werden, hilft nur, die Wahrheit auszusprechen und zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln. In einer Zeit, in der Einwanderer vor Schulen und Gerichtsgebäuden ihren Familien entrissen werden, hilft nur, die Wahrheit auszusprechen und zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln.«

Die Howard University nimmt einen besonderen Platz in der amerikanischen Geschichte ein, mit dem Aufstieg von Harris nun umso mehr. Die Hochschule wurde nach Oliver O. Howard benannt, einem Generalmajor im US-Bürgerkrieg, der die Behörde Bureau of Refugees, Freedmen, and Abandoned Lands leitete und dafür kämpfte, dass die vier Millionen Menschen, die durch die Abschaffung der Sklaverei und den Bürgerkrieg befreit worden waren, das Recht erhielten zu heiraten, Land zu erwerben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, zu wählen und Zugang zu Bildung zu erlangen. Howard spielte eine bedeutende Rolle bei der Ausbildung von Lehrern und anderen Personen, die ehemals versklavten Menschen halfen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.

Präsident Andrew Johnson, der schwarzenfeindlich war, stark trank und Verschwörungstheorien anhing, unterzeichnete die Charta zur Gründung der Howard University am 2. März 1867. Am selben Tag annullierte der US-Kongress Johnsons Veto gegen den ersten Reconstruction Act, der die Gleichberechtigung auch in den Südstaaten zum Ziel hatte, und ein Jahr später enthob ihn das Repräsentantenhaus des Amtes. In der Chronik der Howard University formuliert Rayford W. Logan, selbst seit fast dreißig Jahren Geschichtsprofessor an der Hochschule, dass angesichts der rassistischen Ansichten Johnsons seine Entscheidung, die Gründungscharta zu unterzeichnen, »vermutlich nicht uneigennützig« gewesen war. Vielleicht, so schreibt er, habe Johnson auch die Bedeutung des Dokuments nicht erkannt.

Am 7. November 2020, dem Tag, als Joe Biden seinen Sieg im langen Ringen um den Ausgang der Präsidentschaftswahl erklärte, trat die gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris zu Ehren des seit einhundert Jahren bestehenden Wahlrechts für Frauen in einem weißen Hosenanzug aufs Podium und trug Perlenohrringe zu Ehren von Alpha Kappa Alpha, der ersten Studentinnenverbindung ausschließlich für schwarze Frauen. Harris zollte bei dieser Gelegenheit den Frauen vor ihr Tribut – Shirley Chisholm, Hillary Clinton und vielen anderen – und wurde zum lebenden Beispiel für das Versprechen, dass jedes Mädchen erreichen kann, was es sich wünscht, solange es Talent, Tatkraft und ein gewisses Quäntchen Glück besitzt. Harris’ Aufstieg ist bezeichnend für die 1908 gegründete Verbindung Alpha Kappa Alpha: Mitglieder dieser und anderer Studentinnenverbindungen, die zu den ebenfalls von schwarzen Frauen gegründeten, sogenannten Divine Nine gehören, trugen zweifellos dazu bei, dass das Team Biden–Harris zustande kam.

»Heute Abend denke ich an den Kampf dieser Frauen, ihre Entschlossenheit und die Kraft ihrer Vision und erkenne, was sie schon alles für uns getan hatten«, sagte Harris an das Publikum in Wilmington, Delaware, gewandt sowie zu den TV-Zuschauern in den gesamten USA und weltweit. Viele Zuschauerinnen gehörten zur Howard-Family.

Karen Gibbs saß zu Hause vor ihrem Fernseher in einem Vorort von Washington, D. C. Sie und Harris hatten einst in einem Wohnheim an der Howard Tür an Tür gewohnt und waren beste Freundinnen geworden.

»Begeisterung pur, Stolz und Dankbarkeit«, fasste Gibbs zusammen, was sie empfand, als sie der Patentante ihrer Kinder bei ihrer Rede zusah. »Ich war von Gefühlen überwältigt.«

Die Howard University liegt etwas weniger als vier Kilometer vom Weißen Haus entfernt. Sie hat Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Senatorinnen und Senatoren, einen Richter am Supreme Court, eine Nobelpreisträgerin und einen Nobelpreisträger hervorgebracht und nun eine Frau, die ihren Platz im Weißen Haus einnehmen wird. Wie andere, die sich letztlich für die Howard entschieden, hätte auch Harris auf eine andere Spitzenuniversität gehen können. Aber sie suchte sich ein geschichtsträchtiges Black College aus, weil sie dort dafür respektiert wurde, wer und was sie war. Dort konnte sie mit Kommilitonen zusammen zu sein, die wie sie aussahen, und musste sich nicht erst ihren Platz hart erkämpfen, weil sie nicht aus einer wohlhabenden Familie stammte.

»Kamala ist es, die uns endlich voranbringt. Man kann nicht anders, als so wahnsinnig viel Freude und Hoffnung zu empfinden«, sagte Ron Wood, Jurist und prominenter Howard-Absolvent, der ihre Rede zu Hause in Los Angeles verfolgte.

In Berkeley und Oakland aufgewachsen und schon als Kleinkind an Demonstrationen gewöhnt, fügte sich Kamala Harris gut in das Leben an der Howard University Mitte der 1980er ein.

»Freitagabends gingen wir tanzen und samstagmorgens demonstrieren«,41 sagte Harris über ihre Zeit an der Howard in einem Werbespot zum Präsidentschaftswahlkampf, der sich an Absolventen der ursprünglich für Afroamerikaner gegründeten Hochschulen wandte, die sogenannten Historically Black Colleges and Universities, insbesondere Harris’ Studentinnenverbindung Alpha Kappa Alpha, ein Netzwerk von Frauen mit Universitätsabschluss. Harris schreibt in The Truths We Hold:

Unser aller Lieblingsort zum Ausspannen war eine Riesenwiese im Herzen des Campus, groß wie ein Häuserblock. Wir nannten sie Yard, und egal, an welchem Tag man sich in die Mitte stellte, man sah rechts Tänzer beim Schritte-Üben und Musiker mit Instrumenten, und links Studenten, die aktentaschenschleppend aus der Wirtschaftsfakultät kamen, und Medizinstudenten in weißen Kitteln, die ins Labor zurückeilten. Wieder andere saßen irgendwo im Kreis, laut lachend oder in Debatten vertieft. … Das war das Schöne an Howard. Das alles signalisierte uns, dass wir alles erreichen konnten – dass wir jung, begabt und schwarz waren und dass nichts unserem Erfolg im Wege stand.42

Harris schloss ihr Bachelor-Studium in Politikwissenschaft und Volkswirtschaft 1986 ab. Das entsprechende Jahrbuch der Howard University dokumentiert, dass Shirley Chisholm, die erste afroamerikanische Präsidentschaftskandidatin einer der großen Parteien, für ihre Karriere geehrt wurde. Wynton Marsalis und die Hip-Hop-Gruppe Run-DMC traten auf. Jüngere Studenten waren sauer, weil 1984 das Mindestalter für Alkoholkonsum von achtzehn auf einundzwanzig hochgesetzt worden war, und die Howard-Studenten begannen, Computer zu nutzen, die damals noch mehr als 3000 Dollar pro Stück kosteten. Studenten organisierten einen Boykott von Coca-Cola wegen Geschäftsverbindungen zum weiß regierten Staat Südafrika. Am 20. Januar 1986 feierten die USA erstmals den Martin Luther King Day. An diesem Gedenktag sprach Reverend Jesse Jackson an der Howard über Martin Luther King.

Kamala Harris und Karen Gibbs gingen häufig zusammen shoppen, sie teilten die Paketsendungen, die sie von zu Hause bekamen, gingen sonntags normalerweise zusammen zu Gottesdiensten unterschiedlicher Kirchen in Washington und kochten gemeinsam.

»Sie lachte immer über meine Kochkünste. Mein Essen schmeckte meistens fade«, sagte Gibbs.43

Harris besuchte Gibbs’ Familie in Delaware und Gibbs Harris’ Familie in Oakland. Gibbs zeigte ihre große Wertschätzung, indem sie Harris als Patentante für ihre Kinder wählte. Harris fühlte sich geehrt. Bis heute denkt Gibbs an Shyamala Harris, wenn sie ein Rezept nachkocht, das Shyamala ihr einst beigebracht hat: in Butter und Zimt gebratene Äpfel. An der Howard konzentrierten sich Harris und Gibbs intensiv darauf, später Rechtsanwältin beziehungsweise Staatsanwältin zu werden. Beide erreichten ihr Ziel. »Damals wurden wir erwachsen, fanden heraus, wer wir waren. Es war unglaublich aufregend. So viele junge, talentierte People of Color«, sagte Gibbs Jahrzehnte später. Als Senatorin lud Harris Gibbs zur Anhörung des Justizausschusses des Senats ein, als Kavanaugh an den Supreme Court berufen werden sollte. Von ihrer alten Freundin, die selbst häufig feindselig gesinnte Zeugen befragt hatte, wollte Harris eine ehrliche Meinung hören, wie ihr Auftreten wirkte. Gibbs befand Harris’ Befragung von Kavanaugh als meisterhaft.

Während des Studiums an der Howard hatte Harris im Büro von Alan Cranston hospitiert, damals Senator von Kalifornien. Viel später würde sie selbst diesen Sitz im US-Senat einnehmen. Darüber hinaus beteiligte sie sich an Protestmärschen gegen die Apartheid. Kurz nach der Wiederwahl des US-Präsidenten Ronald Reagan 1984 hielt der führende südafrikanische Menschenrechtler Bischof Desmond M. Tutu eine Rede an der Howard, in der er der Reagan-Regierung vorwarf, mit Südafrika in einer Form zusammenzuarbeiten, die den Rassismus in seinem Heimatland festigte, berichtete Associated Press am 7. November 1984. Der Bischof sagte demzufolge, dass sich die US-Außenpolitik unter Reagan als »eine heillose Katastrophe für die schwarze Bevölkerung« in Tutus Heimat erwies und Reagans Politik das südafrikanische Regime ermutigte, »die Unterdrückung zu verstärken und noch unnachgiebiger zu werden«.

In Harris’ Heimatstaat Kalifornien ergriffen mächtige Menschen Maßnahmen, die darauf abzielten, das südafrikanische Regime ins Wanken zu bringen. Ein einflussreicher Republikaner spielte bei diesem Bemühen eine herausragende Rolle.

Seit Jahren engagierte sich die demokratische Kongressabgeordnete Maxine Waters, damals Vertreterin von Los Angeles, einen Gesetzentwurf einzubringen, der die Manager von Kaliforniens umfangreichen Pensionsfonds für Staatsbedienstete zwingen sollte, Beteiligungen an südafrikanischen Unternehmen zu veräußern – allerdings erfolglos. Willie Brown, Sprecher des kalifornischen Unterhauses, unterstützte Waters so gut er konnte. Im Juni 1985 rief er das University of California Board of Regents dazu auf, die in Südafrika angesiedelten Besitztümer des Universitätsrentenfonds abzustoßen. Obwohl sich Brown auf dem Höhepunkt seiner Macht befand und die finanzielle Kontrolle über die Hochschule hatte, kam der Vorstand der Aufforderung nicht nach. Der republikanische Gouverneur George Deukmejian stimmte dieser Entscheidung zunächst zu.

Während die Studenten weiter gegen die Apartheid demonstrierten, versuchte Brown, den Gouverneur umzustimmen, und sorgte dafür, dass er ihm zufällig beim Mittagessen in der Cafeteria im Kellergeschoss des Kapitols begegnete, obwohl er sonst nie dort aß. Er bevorzugte gehobene Küche. Deukmejian hingegen war mit Thunfisch-Sandwiches zufrieden. Brown konnte Thunfisch nicht leiden, doch er opferte seinen guten Geschmack für eine bedeutende Angelegenheit, die er in seiner Autobiografie Basic Brown so beschreibt: »Im Verlauf dieser Mittagessen sprachen wir über viele Dinge, auch über den von den Türken verübten Genozid am armenischen Volk 1915 – Gräueltaten, die Deukmejian persönlich betrafen, da Mitglieder seiner Familie dem Völkermord zum Opfer gefallen waren. Ich wies auf die Parallelen des armenischen Volkes zur aktuellen Lage der schwarzen Bevölkerung in Südafrika hin.«44

Deukmejians Einstellung wandelte sich. Mitte 1986 rief sein Stabschef Steven Merksamer den Kanzler der University of California an, um mitzuteilen, dass der Gouverneur seinen Widerstand hinsichtlich des Kapitalabzugs überdenke.

Danach wandte sich Deukmejian an seinen Freund Präsident Reagan. Während dessen Amtszeit als Gouverneur hatte ihm kein Abgeordneter nähergestanden als Deukmejian. In einem Brief an Präsident Reagan bat er nun dringend darum, »den Druck gegen die Apartheidpolitik in Südafrika zu erhöhen«.45 Deukmejian unterzeichnete diesen Brief mit seinem Spitznamen »Duke«.

Am 16. Juli 1986 schrieb Deukmejian an den Vorstand der University of California: »In dieser großen Krise dürfen wir der schwarzen Bevölkerung Südafrikas nicht den Rücken zukehren. Kalifornien kann als weltweit siebtgrößte Volkswirtschaft etwas bewirken. Wir müssen uns für Freiheit starkmachen und gegen Menschenrechtsverletzungen auflehnen, wo auch immer sie geschehen.«46

Zwei Tage danach rückte der Vorstand der Universität im Beisein von Deukmejian von seiner bisherigen Haltung ab und stimmte dafür, Milliarden von Pensionsfondsbeteiligungen an Unternehmen, die in Südafrika geschäftlich tätig waren, zu veräußern.

1986 brachte die Abgeordnete Waters in Sacramento erneut ihren Gesetzentwurf ein, der staatliche Pensionsfonds zwingen sollte, Beteiligungen an in Südafrika agierenden Firmen abzustoßen. Bedeutende Großunternehmen, Deukmejians wichtigste Unterstützer, arbeiteten vehement gegen den Gesetzentwurf. Doch er wurde – auch mit Stimmen von republikanischer Seite – durchgebracht. Als Gouverneur Deukmejian die sogenannte Waters Bill unterzeichnete, sagte er: »Wir alle sollten uns dieselbe Frage stellen: Wie würden wir uns fühlen, wenn uns unsere Rechte und unsere individuelle Freiheit genommen und der Rest der Welt uns den Rücken zukehren würde?«47

Harris wird die Ereignisse in ihrem Heimatstaat von Washington aus verfolgt und bemerkt haben, dass die in Sacramento getroffenen Maßnahmen Einfluss hatten. Kalifornien bewies wieder einmal, Zugpferd einer Bewegung, wenn nicht sogar einer ganzen Nation, sein zu können. Nelson Mandela zum Beispiel nahm davon Notiz.

Nach siebenundzwanzig Jahren im Gefängnis wurde Mandela 1990 von der südafrikanischen Staatsführung aus der Haft entlassen. Im Juni 1990, als Harris gerade ihre Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft im Bezirk Alameda aufgenommen hatte, absolvierte Mandela im Oakland Coliseum einen triumphalen Aufritt vor einem Publikum von 60 000 Menschen, die im Chor »Freedom, Freedom« riefen. Bei dieser Gelegenheit lobte Mandela die Spitzenpolitiker Kaliforniens, die mit ihrem Einsatz zum Kapitalabzug die Regierung Südafrikas unter Druck gesetzt hatten.48