34,99 €
Die Zunahme von öffentlichen Gewaltdelikten, Amokläufen und nicht zuletzt Terrorakten hat die westliche Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten massiv verunsichert. Als Folge stieg die Präsenz öffentlicher Videoüberwachung weltweit rapide an. Doch wirken diese Systeme wirklich präventiv oder richten sie sich letztendlich gegen den Bürger selbst? Dieser Band liefert Diskussionsanregungen und einen aktuellen Überblick zum Thema Videoüberwachung in Deutschland und Europa. Drei fundierte Beiträge nähern sich diesem kontroversen Thema aus kriminologisch-rechtlicher, ethischer und empirischer Sicht. Aus dem Inhalt: Juristische Voraussetzungen der Videoüberwachung; Theorien der Kriminalprävention; Nachweisliche Erfolge, Misserfolge und Probleme von Videoüberwachung; Kriminalität, Kriminalitätsfurcht und öffentliche Meinung; Methoden der Überwachung und soziale Akzeptanz in Großbritannien, Deutschland und Österreich
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 224
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Impressum:
Copyright © 2013 ScienceFactory
Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH
Coverbild: morguefile.com
Kameras gegen Gewalt
Wie effektiv ist die öffentliche Videoüberwachung?
Florian Philipp Ott (2011): Vorbeugende Überwachung. Über Voraussetzungen für, Formen von und Erfahrungen mit präventiver Videoüberwachung im kommunalen Bereich
Einleitung
Kriminologische und rechtliche Einordnung
Empirische Erfahrungen mit Videoüberwachung
Fazit: Ambivalente Bilanz der Überwachung
Literatur- und Quellenverzeichnis
Stephan Ackerschott (2013): Die präventive Wirkung von Videoüberwachung im öffentlichen Raum
Einleitung
Legitimation der Videoüberwachung
Videoüberwachung und Kriminalitätstheorie
Grundlegendes zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum
Die präventive Wirkung der Videoüberwachung in der Praxis
Fazit
Literaturverzeichnis
Nico Müller (2013): Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen als Instrument zur Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls
Abstract
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Problemstellung und Reichweite der Untersuchung
Terminologische Grundlagen
Videoüberwachung
Bestandsaufnahme
Empirie
Methoden
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einzelpublikationen
Seit 1993 hat die polizeilich registrierte Kriminalität in Deutschland kontinuierlich abgenommen. Erfasste das Bundeskriminalamt damals noch 6,75 Millionen Delikte, so waren es im Jahr 2010 nur noch 5,93 Millionen. Die Aufklärungsquote stieg im gleichen Zeitraum von 43,8 auf nunmehr 56 Prozent. Besonders stark fiel dabei der Rückgang der Straßenkriminalität aus. Zwischen 1993 und 2010 sank die Anzahl der Vorfälle um mehr als 43 Prozent auf insgesamt 1,4 Millionen. Auch die Zahl einfacher und schwerer Diebstähle nahm in dieser Zeit erheblich ab. Schwerwiegend ist hingegen die Zunahme von Gewaltkriminalität, leichter vorsätzlicher sowie gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Alle drei Zahlen steigen seit 1993 stetig an.[1]
Gleichzeitig mit der Gewalt stieg auch die Präsenz öffentlicher Videoüberwachung in Deutschland. Zwar gibt es keine genauen Angaben darüber, wie viele Anlagen bundesweit im Einsatz sind, doch schon kurz nach der Inbetriebnahme des ersten Überwachungssystems 1994 kopierten viele Städte den Flensburger Versuch. Oft kommt die Forderung nach stärkerer Überwachung dabei aus Reihen der Politik, die sich von öffentlichkeitswirksamen Überwachungssystemen Wählerstimmen und eine Reduktion von Kriminalität sowie Kriminalitätsfurcht erhofft. Dass dies durch Videoüberwachung tatsächlich erreicht wird, wird dabei meist unkritisch vorausgesetzt. Ob die Systeme jedoch tatsächlich zur Furcht- und Kriminalitätsreduktion beitragen, ob sie also kriminalpräventiv wirken, wird nach ihrer Einführung fast nie systematisch überprüft. Auch auf die Frage, wie die Bevölkerung insgesamt zur immer stärkeren Überwachung steht, gibt es bis heute kaum aussagekräftige Antworten.
Hier etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, soll Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein. Sie gliedert sich in einen kriminologisch-rechtlichen und einen empirischen Teil. Ersterer gibt Auskunft über die kriminalwissenschaftliche Einordnung der Videoüberwachung und stellt die Frage, welche juristischen Voraussetzungen für deren Einführung erfüllt sein müssen. Letzterer trägt empirische Ergebnisse bisheriger Publikationen zusammen, die sich mit den Erfolgen, Misserfolgen und Problemen von Videoüberwachung beschäftigen. Dabei stehen insbesondere die Auswirkungen auf Kriminalität, Kriminalitätsfurcht und öffentliche Meinung im Mittelpunkt.
Die Kriminologie „[...] befasst sich mit den im menschlichen und gesellschaftlichen Bereich liegenden Umständen, die mit dem Zustandekommen, der Begehung und der Verhinderung von Verbrechen sowie mit der Behandlung von Rechtsbrechern zusammenhängen.“[2] Obwohl das Aufstellen von Überwachungskameras eine rein technische Maßnahme ist, wird oft davon ausgegangen, dass der Videoüberwachung eine kriminologische Doppelfunktion innewohnt: Einerseits soll sie durch ihren präventiven Charakter Verbrechen verhindern, andererseits soll sie durch ihre repressive Eigenschaft die Überführung von Rechtsbrechern erleichtern. Diese Unterscheidung erscheint logisch, solange man die Folgen der Überwachung betrachtet. Bedenkt man hingegen den psychologischen Mechanismus, der Verbrechen verhindern soll, beruht auch die Prävention lediglich auf der Angst vor dem gesteigerten Repressionsrisiko.[3]
Damit steht die Kausalitätsvorstellung von der Funktionsweise der Videoüberwachung in der Tradition der ökonomischen Kriminalitätstheorie, wie sie vor allem im Rahmen der New Yorker Polizeioffensive der 1990er Jahre umgesetzt wurde. Sie geht davon aus, dass jeder Akteur vor der Entscheidung zu einer kriminellen Handlung die jeweils situationsspezifischen Kosten und Nutzen der Tat rational kalkuliert. Erhöht man durch Videoüberwachung das Risiko, erfolgreich entdeckt und anschließend bestraft zu werden, so sinkt quasi automatisch die Kriminalität. Damit grenzt sich der ökonomische Ansatz von älteren Root-Causes-Theorien der Kriminologie ab, die ihren Fokus primär auf die Lebenssituation von Täter und Opfer legen.[4]
Vor diesem Hintergrund lässt sich Videoüberwachung als Interventionsprogramm zur spezifischen Kriminalitätsprävention in die kriminologische Theorie einordnen, da sie sich unmittelbar gegen strafbares Verhalten richtet und auf sozialer Kontrolle basiert. Sie hat nicht den Anspruch tiefere Ursachen der Kriminalität zu bekämpfen.[5]
Wie in der Kriminologie, so ist auch in der Rechtswissenschaft die Differenzierung zwischen Prävention und Repression von großer Bedeutung. Insbesondere, weil für beide Teilaspekte in der föderalistischen Bundesrepublik unterschiedliche Gesetzgeber verantwortlich sind. So obliegt es den Ländern präventive Kriminalpolitik mit Hilfe ihrer jeweiligen Polizeigesetze zu betreiben. Der Bund ist rechtlich gesehen hingegen für alle strafverfolgenden Tätigkeiten verantwortlich, die er in der Strafprozessordnung regelt. Staatliche Videoüberwachung, soll sie nicht nur zur Observation dienen sondern für den Fall tatsächlicher Straftaten auch Aufzeichnungen ermöglichen, berührt aufgrund ihrer Doppelfunktion beide Teilbereiche. Daher gibt es juristisch keine einseitige Kompetenzzuordnung sondern die Notwendigkeit zu Komplementärregelungen. Von Seiten des Bundes wurde hierauf mit einer Generalermächtigung reagiert, die in Paragraph 163 der Strafprozessordnung verankert ist. Sie erlaubt es der Polizei kurzfristige Aufzeichnungen von Täter und Tatverlauf zu machen.[6]
Auf Seiten der Länder ist die Rechtslage differenzierter. Zwar wird öffentliche Videoüberwachung in zahlreichen Polizeigesetzen geregelt, doch Umfang und Ausgestaltung unterscheiden sich. So ist in einigen Ländern lediglich die Überwachung öffentlicher Plätze und allgemein zugänglicher Flächen geregelt, in anderen Ländern hingegen auch die Überwachung gefährdeter Objekte. Die meisten Länder setzen außerdem auf das Prinzip der Offenheit. Videokameras müssen also entweder für jedermann offensichtlich angebracht oder es muss ausdrücklich auf sie hingewiesen werden.[7] In wenigen Bundesländern sind auch verdeckte Überwachungsmaßnahmen möglich, wenn damit zu rechnen ist, dass „[...] die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten an anderer Stelle, zu anderer Zeit oder in anderer Weise begangen werden.“[8]
Aufgrund der vielen Unterschiede kann hier keine komparative Betrachtung aller Regelungen stattfinden. Daher wird am Beispiel Nordrhein-Westfalens lediglich exemplarisch dargelegt, welche Voraussetzungen gegeben sein und welche Vorgaben beachtet werden müssen, sollen Videoüberwachungssystem dort errichtet werden.
Nachdem kriminalpräventive Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen lange Zeit nicht ausdrücklich erlaubt war,[9] ist sie seit dem Jahr 2000 in Paragraph 15a des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes geregelt. Notwendig war diese Neuerung, weil Videoüberwachung einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt und deshalb immer einer gesetzlichen Grundlage bedarf.[10]
Über die Einführung von staatlicher Videoüberwachung entscheidet laut Gesetz der jeweils zuständige Behördenleiter der Polizei, im kommunalen Bereich also der örtliche Polizeipräsident. Er hat sicherzustellen, dass Videoüberwachung in erster Linie der Verhütung von Straftaten und keinen anderweitigen Zwecken dient. Daher darf er sie nur an einzelnen Orten zulassen, die sich durch Kriminalitätshäufung ausgezeichnet haben, sich durch ihre Beschaffenheit begünstigend auf das Begehen von Straftaten auswirken und wo zukünftig mit weiteren Delikten zu rechnen ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und werden Überwachungssysteme genutzt, so müssen diese entweder offensichtlich angebracht oder deutlich erkennbar gemacht werden.[11]
Damit folgt staatliche Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen zwei zentralen Prinzipien: Sie beruht erstens auf der Maxime der Offenheit, durch die die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung abgeschwächt und der Präventionseffekt erreicht werden soll. Zweitens beschränkt sie ihre Ausweitung selbst, da sie stets für ein Jahr befristet wird und eine Verlängerung nur möglich ist, sofern anhand stichhaltiger Tatsachen ein berechtigtes Wiederholungsrisiko nachgewiesen werden kann. „Das bedeutet, dass die Videoüberwachung dann zu unterbleiben hat, wenn ihr präventiver Zweck erreicht ist, also [...] an diesem Ort keine Straftaten mehr vorkommen.“[12] Dadurch soll sichergestellt werden, dass Videoüberwachung in jedem Fall eine streng präventive Ausrichtung verfolgt. Daher dürfen aufgezeichnete Daten in der Regel auch nicht länger als 14 Tage gespeichert werden.[13] Insgesamt ist die Einführung von staatlicher Videoüberwachung keine politische Entscheidung, sondern lediglich ein individuell-abstrakter Verwaltungsakt der Polizei.
Deutlich verbreiteter als staatliche Videoüberwachung sind private Überwachungssysteme. Rechtlich unterscheidet man diese hauptsächlich nach der Art des zu überwachenden Raumes: Ist dieser nicht öffentlich zugänglich, sind Überwachungsmaßnahmen weitgehend uneingeschränkt möglich. Geht es hingegen um öffentlich zugängliche Räume in privatem Besitz, wird die Legalität von Videoüberwachung detailliert im Bundesdatenschutzgesetz geregelt. Das gestattet die Durchführung von privaten Überwachungsmaßnahmen auch dann, wenn dadurch keine kriminalpräventive Wirkung erzielt werden soll. So ist nicht-öffentliche Videoüberwachung bereits legal, wenn sie der Wahrnehmung berechtigter Interessen oder des Hausrechtes dient. Neben diesen, in erster Linie privaten Zielen, kann private Videoüberwachung jedoch auch zu öffentlichen Zwecken betrieben werden. So ist optisch-elektronische Überwachung ebenfalls erlaubt, wenn sie die Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen erleichtert. Was dies im konkreten Einzelfall bedeutet, definiert das Gesetz nicht.[14]
Grundsätzlich beruht private Videoüberwachung auf Freiwilligkeit. Gleichwohl kann sie über gesetzliche Umwege in bestimmten Fällen vorgeschrieben werden. Grundlage hierfür ist Paragraph 15 des siebten Sozialgesetzbuches. Er fordert die Träger der gesetzlichen Unfallversicherungen zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften auf.[15] In einigen dieser Vorschriften ist Videoüberwachung verankert und muss in bestimmten Fällen durchgeführt werden. Betroffen sind etwa Kassenräume von Banken.[16] Dabei gehen die Versicherungsträger offenbar davon aus, durch den repressiven Charakter von Videoüberwachung Kriminalität vorzubeugen und damit die Arbeitssicherheit bzw. das Unfallrisiko für die Arbeitnehmer zu reduzieren.
Obwohl Videoüberwachung auf diesem Wege privaten Akteuren vorgeschrieben werden kann, kommt solchen Regelungen aus kommunaler Perspektive kaum Bedeutung zu. Schließlich liegen die Unfallverhütungsvorschriften außerhalb des kommunalen Einflusses. Gleichwohl darf vermutet werden, dass private Überwachungssysteme kriminologisch mit ähnlichen Wirkungen verbunden sein könnten, wie staatliche Videoüberwachung. Daher sollte man sich ihrer Voraussetzungen bewusst sein.
Neben der rechtlichen Differenzierung, lässt sich Videoüberwachung auch anhand technisch-funktionaler Kriterien typologisieren. In diesem Zusammenhang unterscheidet Laue zwischen blinden, passiven und aktiven Formen der Videoüberwachung, ohne diese jedoch konkret so zu benennen. Jeder Typ ist aus kriminaltheoretischer und juristischer Sicht dabei mit spezifischen Vor- und Nachteilen verbunden.
Blinde Videoüberwachung ist im eigentlichen Sinne gar keine Videoüberwachung. Es werden lediglich funktionsuntüchtige Kameraattrappen angebracht, die keinerlei Überwachung ermöglichen. „Der Öffentlichkeit wird nur das Gefühl gegeben, beobachtet zu werden, wovon man sich (wohl allenfalls kurzfristige) präventive Effekte erhofft.“[17] Blinde Videoüberwachung ist damit die einfachste und günstigste Form. Sie zielt jedoch nur auf Prävention von Kriminalität, nicht aber auf Repression ab.[18]
Passive Videoüberwachung ist insbesondere im privaten Bereich verbreitet. Gemeint ist die kontinuierliche Aufzeichnung des Bildmaterials von Überwachungskameras, ohne dass es zeitgleich gesichtet wird. Kommt es im beobachteten Bereich zu Unregelmäßigkeiten, wird das Bildmaterial im Nachhinein herangezogen und soll im Falle von Straftaten Rückschlüsse auf die Identität des Täters ermöglichen. Hierbei steht eindeutig der repressive Aspekt im Vordergrund. Gleichwohl soll die Angst potentieller Täter vor Repression auch zur Prävention von Kriminalität beitragen.[19]
Aktive Videoüberwachung meint die Übertragung von Überwachungsaufnahmen auf Monitore. „Die Monitore werden ständig beobachtet und im Falle des Vorliegens einer Straftat werden Einsatzkräfte zum Ort des Geschehens geschickt, um den Täter sofort zu verfolgen.“[20] Aktive Videoüberwachung kann mit und ohne Aufzeichnung stattfinden. Ohne Aufzeichnung steht die sogenannte Rapid-Response – der schnelle Eingriff der Polizei – und damit die Reaktion im Mittelpunkt. Mit Aufzeichnung sollen hingegen Reaktion, Repression und damit auch Prävention verbessert werden. Insgesamt ist aktive Videoüberwachung der teuerste und aufwendigste Typus.[21]
Staatliche Videoüberwachung wurde in Deutschland erstmals 1994 eingesetzt. Die Flensburger Polizei wollte damit die lokale Drogen- und Punkerszene von ihren bisherigen Treffpunkten vertreiben. Ähnliche Ziele verfolgte man auch auf Sylt, wo 1996 Drogenabhängige und Bettler vom Brunnenplatz in Westerland vertrieben werden sollten. In beiden Fällen wurde Videoüberwachung als isolierte Einzelmaßnahme durchgeführt und war primär gegen klar definierte soziale Randgruppen gerichtet. Mit tatsächlich kriminalpräventivem Ziel setzte man polizeiliche Videoüberwachung erstmals 1996 in der Leipziger Innenstadt ein.[22] Hier war sie Teil einer konzentrierten Strategie zur Kriminalitätsbekämpfung, die sich sowohl gegen die offene Rauschgiftszene, als auch gegen damit verbundene Taschendiebstähle und KFZ-Delikte richtete. Begleitet wurden die Überwachungsmaßnahmen durch verstärkte Präsenz von Polizeibeamten in Uniform und Zivilkleidung, die aus der Beobachtungszentrale gesteuert und zur Abschreckung sowie zur Reaktion auf Straftaten eingesetzt wurden. Aufzeichnungen der Bilder wurden hingegen erst im Verdachtsfall angefertigt.[23]
Am Leipziger Pilotprojekt orientieren sich seitdem zahlreiche Kommunen. Obwohl es für Deutschland keine Zahlen darüber gibt, wie viele Überwachungssysteme in Betrieb sind, kann davon ausgegangen werden, dass ihre Zahl seit 1996 gestiegen ist und weiter steigt. In Großbritannien – wo Videoüberwachung jedoch deutlich stärker verbreitet ist – gingen Schätzungen bereits für das Jahr 2000 von rund 500 000 öffentlichen Überwachungskameras aus.[24] Das Überwachungsnetz ist dort so engmaschig, dass „[...] beim Mord an der Fernsehjournalistin Sue Dando, die Bewegungen eines Menschen für einen ganzen Tag rekonstruiert werden“[25] konnten.
Trotz des verstärkten Einsatzes von Videosystemen, wird kaum systematische Erfolgsevaluation betrieben. Daher gibt es nur wenige Zahlen über die Auswirkungen. Dennoch soll das bisherige Material im Folgenden analytisch vorgestellt werden.
Kriminalität wird in Europa mit Hilfe offizieller Kriminalstatistiken gemessen, in denen alle polizeilich erfassten Delikte aufsummiert werden. Diese Vorgehensweise ist methodisch mit zwei Problemen verbunden: Einerseits bleiben viele Delikte im statistischen Dunkelfeld, weil nur Straftaten registriert werden, die der Polizei bekannt sind. Die tatsächliche Kriminalität liegt also stets höher als die statistische. Andererseits führt konzentrierte Kriminalitätsbekämpfung fast immer zu einem statistischen Kriminalitätsanstieg, da die Polizei durch ihre verstärkten Bemühungen Straftaten vermehrt aufdeckt und registriert.[26] Vor diesem Hintergrund ist die Evaluation von Videoüberwachung stets eine schwierige Aufgabe. Schließlich können sowohl ein Anstieg der registrierten Kriminalität als auch ein Sinken für Erfolge der Überwachungsmaßnahme sprechen. „Es ist deshalb nicht überraschend, dass der Ausschuss für Naturwissenschaften und Technologie des britischen Oberhauses die Evaluationsdaten, welche die propagierten kriminalpräventiven Effekte der Videoüberwachung belegen sollen, insgesamt als schwach (»weak«) bezeichnete.“[27]
Eine grundsätzlich positive Auswirkung auf die allgemeine Kriminalität lässt sich anhand der wenigen systematischen Studien nicht feststellen. Vielmehr ergibt sich ein äußerst durchwachsenes Bild, was den Erfolg von kriminalpräventiven Überwachungsanlagen angeht. So zeigte sich beim umfassenden Vergleich der Ergebnisse von dreizehn Videoüberwachungsmaßnahmen in Großbritannien, dass lediglich in fünf Fällen die allgemeine Kriminalität sank. In nur einem Fall sank sie signifikant. In drei Fällen war hingegen ein signifikanter Anstieg und in fünf Fällen ein Anstieg zu verzeichnen.[28] „Die Hoffnung, dass Videoüberwachung ein wirksames Instrument zur Reduzierung der Gesamtkriminalität sei, muss [daher] [...] relativiert werden.“[29]
Insgesamt aussagekräftiger für die Wirkung von Videoüberwachung könnte der Blick auf einzelne Deliktformen sein. Im Folgenden werden daher Ergebnisse für Rauschgift-, Eigentums- und Gewaltdelikte differenziert dargestellt.
Das Vertreiben offener Drogenszenen und das Bekämpfen von Drogenmissbrauch sind häufige Ziele bei der Errichtung von Videoüberwachungsmaßnahmen. Auch das Leipziger Pilotprojekt wurde damit begründet. Bereits innerhalb des ersten Monats stieg die Zahl der registrierten Betäubungsmitteldelikte in der Leipziger Innenstadt um rund 25 Prozent, was vermutlich „[...] in der verstärkten polizeilichen Kontrolltätigkeit begründet ist.“[30] Gleichzeitig verlagerte sich der Drogenhandel jedoch innerhalb des Stadtgebietes an einen bis dato nicht videoüberwachten Platz.[31]
Ähnliche Erfahrungen machte man in Baden-Württemberg: Nach der Inbetriebnahme einer Videoüberwachungsanlage auf dem Stuttgarter Rotebühlplatz im Jahr 2000 verlagerte sich die lokale Drogenszene in Richtung des nahe gelegenen Charlottenplatzes. Auch Erfahrungen aus Heidelberg lassen auf einen Verdrängungsmechanismus schließen. Hier sank die Zahl der registrierten Rauschgiftkriminalität nach der Einführung von Videoüberwachung deutlich ab. Projektbeobachter führen dies ebenfalls auf eine Verlagerung der Szene zurück, können dies jedoch nicht belegen.[32]
Vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen kann davon ausgegangen werden, dass Videoüberwachung im Fall von Rauschgiftdelikten nur räumlich begrenzt präventive Wirkung entfaltet. Straftäter antizipieren das erhöhte Repressionsrisiko und wandern der ökonomischen Kriminalitätstheorie entsprechend in nicht überwachte Bereiche ab. „Dass eine schlichte Verschiebung der Kriminalität in Räume hinein, die nicht überwacht werden, die Effizienz der Videoüberwachung als kriminalpräventives Mittel (erheblich) mindert, bedarf keiner weiteren Erläuterung.“[33] Um dieser Minderung zu entgehen, bleibt lediglich die Möglichkeit, Videoüberwachung auf jene Bereiche auszuweiten, in die die Straftaten verdrängt wurden. Das wiederum würde zu neuen Verdrängungseffekten und neuen Überwachungsnotwendigkeiten führen.[34] Eine derartige Ausweitung wäre jedoch weder legal noch finanzierbar.[35]
Neben Rauschgiftdelikten gehört auch die klassische Eigentumskriminalität zu den Deliktformen, gegen die Videoüberwachung eingesetzt wird. In Leipzig war es beispielsweise ausgewiesenes Ziel, mit Hilfe von Kameraüberwachung Taschendiebstähle und Diebstähle aus Kraftfahrzeugen zu verhindern. Innerhalb des ersten Monats konnte die Polizei hier beachtliche Erfolge vorweisen und die registrierte Zahl von Fällen beider Delikttypen um rund 50 Prozent senken. Verdrängungseffekte konnten in diesem Zusammenhang nicht festgestellt werden.[36] In die gleiche Richtung weisen Erfahrungen aus Mannheim, Stuttgart und Heilbronn, wo die allgemeine Straßenkriminalität – und damit auch Eigentumsdelikte – nach Beginn der Überwachung ebenfalls sank. Allerdings kann dies auch im Zusammenhang mit der gleichzeitigen Verdrängung der lokalen Drogenszenen stehen, da diese aufgrund von Beschaffungskriminalität zuvor für einen Großteil der Taten verantwortlich war.[37]
Erfahrungen aus Großbritannien zeigen, dass insbesondere Diebstähle aus Kraftfahrzeugen mit Videokameras zu verhindern sind. Am besten funktionierte dies auf Großparkplätzen. Auch Einbrüche und Sachbeschädigungen gehen häufig zurück.[38] So bilanziert Gras: „Die bisherigen Ergebnisse deuten auf Möglichkeiten hin, die Videoüberwachung effektiv zur Verhinderung von Diebstahl, Sachbeschädigung, Kfz-Kriminalität und zum Teil Einbruchsdiebstahl in Geschäftsgebäuden einzusetzen.“[39]
Bei Eigentumsdelikten scheinen sich die Annahmen der ökonomischen Kriminalitätstheorie also erneut zu bestätigen. Das erhöhte Repressionsrisiko sorgt dafür, dass in überwachten Bereichen weniger Straftaten begangen werden. Anders als im Fall von Rauschgiftdelikten ist eine Verlagerung jedoch unwahrscheinlich, da Eigentumskriminalität meist räumlich gebunden ist. So werden durch Videokameras zwar die bisherigen Straftäter vertrieben, die potentiellen Opfergruppen hingegen nicht. Schließlich werden weder Autos wegen der Kameras woanders geparkt, noch gehen die Menschen andernorts einkaufen. Daher kann Videoüberwachung auf Grundlage bisheriger Erkenntnisse Eigentumsdelikte vermutlich relativ nachhaltig vorbeugen.
Anders als Rauschgift- und Eigentumskriminalität werden Gewaltdelikte meist im Bereich affektiver Straftaten verortet. Gewalttaten werden demnach nicht rational geplant sondern sind Delikte, die „[...] impulsiv im Zustand hochgespannter Affektregung begangen werden.“[40] Zentral ist dabei die psychische Disposition des Täters, dem es in der Tatsituation schwerfällt seine eigenen Handlungen zu kontrollieren. [41] Er wägt also nicht situationsbezogen die Kosten und den Nutzen einer kriminellen Handlung ab, sondern handelt häufig irrational und unabhängig vom Repressionsrisiko. Die Axiome der ökonomischen Kriminalitätstheorie greifen dann oftmals nicht.
Daher ist es wenig verwunderlich, dass Videoüberwachung nach bisherigen Erfahrungen kaum oder gar keine präventive Auswirkung auf Gewaltkriminalität hat. Systematische Evaluationen in Großbritannien ergaben beispielsweise, dass lediglich in einem von acht Fällen die Zahl von Körperverletzungen nach Einführung von Überwachungssystemen rückläufig war.[42] Das bedeutet natürlich nicht, dass die Polizei nicht trotzdem Überwachungssysteme gegen Gewalt einsetzt. In Birmingham versuchte sie beispielsweise durch Kameraüberwachung die Interventionszeit bei Gewalttaten zu verkürzen und so die Repressionsmöglichkeiten zu verbessern.[43]An das erste Gewaltdelikt anschließende Taten können so vermutlich verhindert werden.
Im Falle von Raub sind die Ergebnisse etwas ambivalenter. So konnte in kleinen und übersichtlichen Bahnhöfen der Londoner U-Bahn die Zahl von Überfällen zwar gesenkt werden, in größeren und unübersichtlicheren Bahnhöfen blieb der Effekt hingegen aus.[44] Insgesamt sind nach Kammerer die Erfolgsaussichten von Überwachungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Gewalt bisher ernüchternd. So schreibt er: „Bei personenbezogenen Straftaten wie Raub, [...] Gewalt gegen Personen [...] oder sogenannten »impulsive crimes« zeigen sie sich weitgehend wirkungslos.“[45]
Neben tatsächlicher Kriminalität hat auch die Angst vor Straftaten Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Kriminologen nennen diese Angst Kriminalitätsfurcht und verstehen darunter das affektive also emotionsbezogene Drittel subjektiv-individueller Kriminalitätseinstellungen der Bürger. Diese nehmen Kriminalität in ihrer Lebenswirklichkeit oder durch Kommunikation kognitiv wahr, versuchen subjektiv ihr Opferrisiko einzuschätzen und richten je nach Ergebnis ihre individuellen Verhaltensweisen daran aus. Daher ist Kriminalitätsfurcht unabhängig von Kriminalität ein eigenständiges soziales Problem, das die Bürger bei der Wahrnehmung ihrer Freizügigkeit einschränken kann. Wie hoch die jeweilige Kriminalitätsfurcht ist, korreliert dabei jedoch nicht in jedem Fall mit dem realen Kriminalitätsaufkommen.[46]
Es ist deshalb wenig überraschend, dass die Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens und damit die Bekämpfung von Kriminalitätsfurcht immer häufiger als Grund für die Einführung von Videoüberwachungsmaßnahmen angeführt wird.[47] Schließlich überschätzen viele Bürger ihr persönliches Opferrisiko noch immer deutlich, obwohl sich die Sicherheitssituation in Deutschland innerhalb der letzten Jahre kontinuierlich verbessert hat. Oberwitter nennt dieses Phänomen die „[...] Entkopplung von ‚objektiver‘ Sicherheitslage und subjektivem Sicherheitsempfinden.“[48]
In einigen Fällen scheint Videoüberwachung hier tatsächlich Abhilfe schaffen zu können. So ergaben Studien aus London und Southwark, dass sich mehr Menschen in videoüberwachten U-Bahnhöfen sicher fühlen, als dies in Bahnhöfen ohne Überwachung der Fall ist. In Glasgow und Brighton konnte dieser Effekt jedoch nicht festgestellt werden.[49] Auch auf öffentlichen Straßen und Plätzen konnte eine vergleichende Studie von insgesamt zehn britischen Videoüberwachungssystemen keinen Rückgang der Kriminalitätsfurcht ausmachen. Vielmehr hatte die Einführung von Überwachungsmaßnahmen hier teilweise sogar negative Folgen für das Sicherheitsempfinden der Bürger. So stieg die Kriminalitätsfurcht innerhalb der überwachten Bereiche erkennbar an, wenn die Kameras den Menschen bewusst waren. Gleichzeitig gaben nur zwei Prozent der Befragten an, dass sie bisher gemiedene Bereiche wieder aufsuchen würden, wenn sie wüssten, dass diese videoüberwacht werden.[50] Diese Einstellungen hängen vermutlich damit zusammen, dass Überwachungskameras auf öffentlichen Plätzen den Menschen den Eindruck vermitteln, dass sie sich an einem Kriminalitätsschwerpunkt aufhalten. Schließlich wäre eine Überwachung außerhalb von Kriminalitätsschwerpunkten überflüssig und rechtswidrig.[51] So attribuieren einige Bürger die Kameras mit Kriminalitätsgefahr, was sie verängstigt.
Dieser Effekt wirkt jedoch nicht immer: In Wien konnte beispielsweise keine Erhöhung der Kriminalitätsfurcht bei Personen festgestellt werden, die über die Kameraüberwachung informiert waren. Gleichzeitig führte die Existenz der Überwachungssysteme hier jedoch auch nicht zu einem erhöhten Sicherheitsgefühl. Im Gegenteil konnte in einer vergleichenden Betrachtung sogar festgestellt werden, dass sich auf dem mit deutlich mehr Kameras ausgestatteten Wiener Karlsplatz eine deutlich höhere Kriminalitätsfurcht feststellen ließ, als dies auf dem weniger intensiv beobachteten Schwedenplatz der Fall war. Allerdings wird für diesen Unterschied primär die auf dem Karlsplatz ansässige Drogenszene verantwortlich gemacht.[52]
Insgesamt scheinen die Auswirkungen von Videoüberwachung auf die Kriminalitätsfurcht äußerst ambivalent zu sein. Mit Sicherheit lässt sich eigentlich nur sagen, dass sie auf keinen Fall einen Einfluss auf die gesamtgesellschaftlich messbare Angst vor Kriminalität haben. Die blieb beispielsweise in Großbritannien trotz der dort stark verbreiteten Überwachungsmaßnahmen auf einem relativ stabilen Niveau.[53] Daher scheint Videoüberwachung mit Blick auf Kriminalitätsfurcht – wenn überhaupt – nur einen räumlich begrenzten Effekt zu haben. Allerdings sind systematisch erhobene Evaluationsergebnisse noch seltener als die wenigen Auswertungen zum Effekt von Videoüberwachung auf die Kriminalität selbst. Es ist daher zu hoffen, dass zukünftige Maßnahmenevaluationen diesen Aspekt verstärkt berücksichtigen.
Neben der Wirkung auf Kriminalität und Kriminalitätsfurcht ist bei der Einführung von Videoüberwachungssystemen die Akzeptanz der Maßnahmen innerhalb der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Im Rahmen des Leipziger Pilotprojekts wurde deshalb vorbereitende und begleitende Öffentlichkeitsarbeit betrieben, mit der viele Bürger für das Projekt gewonnen werden konnten.[54] „Umfragen ergeben eine hohe Kamera-Akzeptanz in der Stadt der Montagsdemonstrationen von 1989.“[55]
Ein ähnliches Bild zeigt sich auch im baden-württembergischen Stuttgart: Hier hatten die Geschäftsleute am Rotebühlplatz die Möglichkeit, ihre Meinung abzugeben. Eine große Mehrheit von ihnen war davon überzeugt, dass Videoüberwachung eine richtige Maßnahme ist. Auch bei einer Bevölkerungsbefragung konnte „[...] eine positive Grundstimmung zur Videoüberwachung festgestellt werden. Dem Großteil der Befragten ist die Videoüberwachung bekannt. Eine deutliche Mehrheit bejaht eine positive Wirkung der Videoüberwachung auf ihr Sicherheitsgefühl.“[56]
Eine der wenigen Studien aus Deutschland, die sich primär mit den Einstellungen der Bevölkerung zur Videoüberwachung beschäftigt, hat Reuband bereits im Jahre 2001 vorgelegt. Darin vergleicht er die Akzeptanz von staatlicher Videoüberwachung in Dresden und Düsseldorf. Düsseldorf verfügte damals über keine Überwachungssysteme, während in Dresden bereits Kameras im Einsatz waren. Insgesamt konnte er nachweisen, dass in Dresden 77 Prozent und in Düsseldorf 66 Prozent der Menschen Videoüberwachung positiv bewerten. „Die Gefahr des Mißbrauchs [sic!] wird von der Bevölkerung niedrig veranschlagt.“[57] Gleichwohl gab es Personengruppen, die der Videoüberwachung kritischer gegenüberstanden als die Allgemeinheit. Dies war bei Männern, jüngeren Befragten und Personen mit höherer Bildung der Fall.[58] Bei der Rezeption dieser Ergebnisse ist jedoch zu beachten, dass sie nur für Düsseldorf und Dresden repräsentativ waren und mittlerweile zehn Jahre alt sind.
Eine abschließende Bewertung der Möglichkeiten, mit Hilfe von Videoüberwachung Kriminalität zu verhindern, kann aufgrund der schwachen Datenlage bisher nicht geleistet werden. Deshalb – und weil in den letzten Jahren immer mehr Überwachungssysteme auf öffentlichen Plätzen errichtet wurden – sind verstärkte Anstrengungen zur wissenschaftlichen Evaluation von Videoüberwachung für die Zukunft unabdingbar. Sofern überhaupt möglich, müssen dabei auch Lösungen für die methodischen Probleme systematischer Erfolgsevaluation gefunden werden, die mit der Hell- und Dunkelfeldproblematik von Kriminalitätsstatistiken verbunden sind. Andernfalls wird eine endgültige wissenschaftliche Beurteilung unmöglich bleiben.
Unter Berücksichtigung der methodischen Einschränkungen lassen die bisherigen Erfahrungen mit Videoüberwachung auf sehr ambivalente Tendenzen schließen, was kriminalpräventive Effekte angeht. So können räumlich gebundene Eigentumsdelikte wie Taschendiebstahl, Diebstahl aus Kraftfahrzeugen oder Einbrüche mit Hilfe von Überwachungsmaßnahmen offenbar recht gut verhindert werden. Räumlich nicht gebundene Rauschgiftdelikte werden durch Kameras hingegen oft an nicht überwachte Orte verdrängt. Eine Verdrängung kann dabei jedoch kein Sinken der Gesamtkriminalität bewirken und verbessert die Sicherheitssituation deshalb kaum. Es ist sogar denkbar, dass sich das Kriminalitätsproblem intensiviert, wenn aus einem großen Kriminalitätsschwerpunkt durch Verdrängung viele kleinere Kriminalitätsschwerpunkte werden. Gewaltkriminalität letztendlich, lässt sich durch Videoüberwachung aufgrund ihres affektiv-impulsiven Charakters in den meisten Fällen weder verhindern noch verdrängen. Mit Blick auf das Entstehen von Gewalt können kriminalpräventive Effekte daher mit relativ großer Sicherheit ausgeschlossen werden. Allerdings können durch Videoüberwachung bedingte Verkürzungen der polizeilichen Interventionszeit die Eskalation von bereits begonnen Gewaltdelikten verhindern. Zumindest unter diesem Gesichtspunkt kann aktive Videoüberwachung positiv auf Gewaltkriminalität einwirken. Wirklich präventiven Charakter hat dies natürlich nicht.
Dass Videoüberwachung Gewaltdelikte in der Regel nicht verhindern kann, ist vor dem Hintergrund aktueller Kriminalitätsstatistiken bedauerlich. Schließlich sind es insbesondere Gewaltstraftaten, deren Anzahl in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Eigentums- und Rauschgiftdelikte, die sich mit Videoüberwachung nachhaltig bekämpfen bzw. zumindest verdrängen lassen, nehmen hingegen tendenziell ab. Videoüberwachung scheint daher keine adäquate Antwort auf die immer dringlichere Gewaltfrage zu geben, sondern ist lediglich im Stande die Sicherheitslage in jenen Kategorien zu verbessern, die sich bereits auf gutem Wege befinden.
Ähnlich ernüchternd ist die Bilanz von Videoüberwachung im Hinblick auf die Kriminalitätsfurcht. In den wenigen Fällen, wo systematische Evaluationen stattgefunden haben, lassen sich kaum positive Auswirkungen feststellen. Vielmehr ist es sogar möglich, dass durch das Errichten von Überwachungsanlagen die Kriminalitätsfurcht der Menschen steigt. Ein erhöhtes Sicherheitsempfinden, wie es häufig erwartet wird, ist demnach alles andere als garantiert. Gleichwohl erfreut sich die Videoüberwachung großer Akzeptanz in der Bevölkerung, die mehrheitlich an deren Wirksamkeit glaubt. Trotzdem meiden die meisten Menschen Kriminalitätsschwerpunkte auch dann, wenn Kameras dort im Einsatz sind. Einen Rückgewinn von durch Kriminalitätsangst verlorener Freizügigkeit scheint es daher nicht zu geben.
Die Kombination von mangelhafter Wirksamkeit und hoher Akzeptanz hat auch politische Folgen: Da fundierte Zahlen zur Effektivität von Videoüberwachung Mangelware sind, hält sich die Überzeugung einer generellen Wirksamkeit. Politische Forderungen nach stärkeren Überwachungsmaßnahmen kommen bei einem Großteil der der Videoüberwachung positiv gegenüberstehenden Bevölkerung vermutlich gut an. Zudem setzen sich primär lediglich junge, männliche und gebildete Menschen mit dem Thema kritisch auseinander. Daher kann es zu der Situation kommen, dass eine sachlich nur eingeschränkt wirksame Maßnahme politisch breit unterstützt wird.
Letztendlich bleibt die Entscheidung über die Einführung von Videoüberwachung jedoch ein Verwaltungsakt der zuständigen Polizeibehörde. Gleichwohl werden derartige Maßnahmen immer häufiger zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. Analytisch könnte es für zukünftige Forschungen daher von Interesse sein, wie Videoüberwachung kommunalpolitisch diskutiert wird und welche Akteure über welche institutionellen Wege ihre Einführung vorantreiben oder verhindern können. Dass Videoüberwachung vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzung tatsächlich ein völlig autonomer Verwaltungsakt ist, darf nämlich durchaus bezweifelt werden. Einzig eine Vetospielerposition der Polizei scheint hier gegeben zu sein.
Bannenberg, Britta: Strategien wirkungsorientierter Kriminalprävention, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften, Band I/2003, S. 53-68