KAMPF UM LEORIA (Zwischen den Welten - Band 3) - Rosen Dimitrov - E-Book

KAMPF UM LEORIA (Zwischen den Welten - Band 3) E-Book

Rosen Dimitrov

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Beschreibung

Es herrscht Krieg in Leoria. Der fretanische Imperator Mateas der Sechste hat Lena-Marie entführen lassen, damit sie ihm und dem genialen Wissenschaftler Jeffry Niels dabei hilft, eine vernichtende Waffe zu konstruieren. Diese Waffe würde nicht nur den Imperator zum mächtigsten Mann dieser Welt machen, sondern auch die ihn unterstützenden Götter Fretaniens über die Götter der anderen Völker erheben – und sie könnte sogar die Existenz der Erde bedrohen. Mit unverhoffter Hilfe aus der Zukunft und den verbündeten Armeen und Göttern der restlichen Völker Leorias setzen Mark und seine Freunde alles daran, den Imperator an der Fertigstellung der Waffe zu hindern und ganze Welten zu retten … Rosen Dimitrovs Dreiteiler »Zwischen den Welten« verbindet auf schwindelerregend spannende Weise die Themen künstliche Intelligenz, virtuelle Realitäten und Parallelwelten miteinander. Hier treffen Schwerter auf Bits und Bytes und Götter auf Programmierer. Eine großes Abenteuer zwischen Fantasie und Wirklichkeit.  

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Kampf um Leoria

Zwischen den Welten – Band 3

Rosen Dimitrov

Impressum

Deutsche Erstausgabe Copyright Gesamtausgabe © 2023 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2023) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-768-6

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

Inhaltsverzeichnis

Kampf um Leoria
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Epilog
Über den Autor

Kapitel 1

Im Zelt des Imperators herrschte angespanntes Schweigen. Die Generäle hatten sich um einen großen Tisch versammelt, auf dem eine Karte der Gegend ausgebreitet lag und darauf standen kleine Figuren, die die Anzahl und die Art der feindlichen, der eigenen und der verbündeten Streitkräfte darstellen sollten, doch keiner von ihnen wagte es, auch nur ein einziges Wörtchen von sich zu geben. Der Imperator saß mit ausdruckslosem Gesicht auf dem mit einem Tigerfell belegten, mit zierlichen Ornamenten geschmückten Stuhl, während sein Blick und seine Gedanken irgendwo in der Unendlichkeit herumirrten. Vermutlich konnte nur sein Berater, Lord Niental, sein Freund, Lehrer und Bodyguard aus Kindertagen, sich bis zu einem gewissen Grade denken, was er vorhatte, doch der war im Augenblick nicht da, und für alle übrigen war sein Vorhaben ein Rätsel. Innerlich war der Imperator eher belustigt und amüsierte sich über das Unverständnis der Generäle. In den letzten Wochen hatte er eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die gegen jede Logik und Militärstrategie waren. Die fretanischen Krieger hatten gerade mehrere strategisch wichtige Schlachten gewonnen, die Hauptstreitkräfte von Arhea waren zerschlagen und verstreut, deren Verbündeten aus Keliria waren weit weg und würden es nicht schaffen, rechtzeitig da zu sein, um zu helfen, und die letzte Hürde vor der Einnahme der Hauptstadt waren nur noch deren hohe und dicke Festungsmauern. Das war bestimmt keine leichte Aufgabe, es würde sicherlich mehrere Tage, vielleicht sogar Monate dauern und es würde zahlreiche Opfer kosten, dennoch war der Sieg sicher. Statt dass der siegreiche Angriff aber fortgesetzt wurde, ordnete der Imperator völlig überraschend an, dass die Truppen sich ein Lager einrichten und schickte Lord Niental mit einem außergewöhnlich großen Teil von ihnen, einschließlich seiner eigenen Eliteeinheit, die aus den besten Kriegern der Fretanier bestand, mit einem für alle anderen unbekannten Auftrag in die Berge der wilden Wikea. Außerdem hatte der Imperator dem merkwürdigen, erst kürzlich aus dem Nichts aufgetauchten Fremdling uneingeschränkte Macht erteilt und verbrachte mehr Zeit mit ihm als mit seinen Generälen. Deshalb fragten sich alle, ob der Imperator noch immer bei Verstand oder ob er einfach verrückt geworden sei und sie in den sicheren Untergang führte. Keiner von ihnen wagte jedoch, seine Befehle offen infrage zu stellen, noch ihn nach seinen Plänen zu fragen und vor allem nicht, ob die Götter diese guthießen.

»Eure Hoheit … es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen. Die Reste der Armee von Arhea versammeln sich in Asherat und ihre Verbündeten kommen von Tag zu Tag näher …« In der scheinbar sichern Stimme von Lord Maxwell war eine unsichere Note zu bemerken.

»Wir müssen wirklich schnell handeln, Eure Hoheit. Unseren Vorteil aus den letzten Siegen haben wir schon fast völlig eingebüßt. Arhea reorganisiert sich und bereitet sich auf die Verteidigung vor, und sobald ihre Verbündeten ankommen, sitzen wir in der Klemme …«, unterstützte ihn ein etwas sicherer General Sliters.

Die anderen warteten schweigend auf die Antwort des Imperators, doch es war offensichtlich, dass sie mit dem Lord und dem General vollkommen einer Meinung waren. Die Situation war schwierig … einerseits konnte der Imperator ein oder zwei Mann bestrafen, schuldig des Verrates und Exekution. Das würde die anderen dazu bringen, ihren Schwanz einzuziehen. Andererseits waren das einflussreiche und reiche Leute, die viele Soldaten hinter sich hatten. Außerdem hatten sie Recht und derartige Handlungen konnten auch zu einem Aufstand führen oder zumindest zu einem starken Schwanken des Kampfgeistes der Armee. Und darüber hinaus war sich auch der Imperator selbst nicht mehr so sicher, ob die Entscheidung, sich dem Fremden anzuvertrauen, richtig gewesen war. Wenn es nur nach ihm gegangen wäre, hätte der Imperator den erfolgversprechenden Vormarsch nicht gestoppt, um die Hälfte seiner Truppen auf die Suche nach einer Frau auszuschicken, ganz gleich, was ihm der Fremde versprach. Ganz unerwartet hatten jedoch die Götter ein Gespräch mit ihm allein gefordert und ihn angewiesen, das ihm angebotene Geschäft abzuschließen. Vom Imperator wurde verlangt, er solle die Freundin des Fremden finden und herbringen, als Gegenleistung würde er die von den Göttern selbst verbotenen Kenntnisse und Waffen erhalten! Während er noch über die Antwort nachdachte, die die Generäle beruhigen, ihnen jedoch auch zeigen sollte, dass ihr Leben in jedem Moment nur von seinem Willen abhing, war von draußen das Getrappel zahlreicher Pferdehufe zu vernehmen, gefolgt von Lärm und undeutlichem, schnellem Sprechen. Nur Sekunden später kam hastig ein großer, sichtlich übermüdeter Mann mit einem breiten Verband um Schultern und Brust ins Zelt, grüßte den Imperator mit einer leichten Verbeugung und kam näher, ohne dessen Erlaubnis abzuwarten. Das war der einzige Mensch, der sich so etwas erlauben durfte, nämlich der erste Berater des Imperators selbst, Lord Niental! Er beugte sich zum Imperator hinunter und flüsterte ihm leise etwas zu, sodass die anderen nichts hören konnten.

»Bringt mir den Fremdling her!«, befahl der Imperator der Wache und ging nach draußen, gefolgt von seinem Berater.

Die Generäle sahen sich verständnislos an und verließen unsicher einer nach dem anderen ebenfalls das Zelt.

Es war später Nachmittag und trotz der Frühlingssonne wurde es empfindlich kühl. Mehrere Soldaten führten verschwitzte Pferde, während sich fünf Soldaten in der Uniform der Elitetruppe, sichtlich ermüdet, in einer nicht sehr geraden Reihe aufgestellt hatten. Ein wenig seitlich von ihnen stand eine schöne junge Frau und sah sich ohne jegliche Spur von Furcht auf dem Gesicht neugierig um. Der Imperator betrachtete sie interessiert – sie war nicht nur eine Schönheit, sondern hatte auch etwas Besonderes an sich, etwas Magisches … schwer zu sagen, was es war, aber es war etwas, was sie auf den ersten Blick von allen anderen Frauen unterschied. Der Fremde hatte wohl nicht zufällig mit dem Risiko, sein Leben zu verlieren, als untrennbaren Teil ihrer Zusammenarbeit die Bedingung gestellt, dass sie gefunden werden musste. Der Imperator näherte sich ihr, nahm galant ihre Hand in die seine und sah ihr in die Augen. »Das also ist die spezielle Frau, um derentwillen so viele gute Soldaten ihr Leben hingegeben haben! Mylady, ich nehme an, dass Ihr auch andere wertvolle Eigenschaften habt, außer Eurer Schönheit, aber selbst, wenn es nur die ist, es hat die Opfer gelohnt!«

»Ich verstehe wirklich nicht, worum es geht, mein Herr … Ihre Leute sind einfach von irgendwoher aufgetaucht und haben mich entführt!«, antwortete die junge Frau verständnislos, aber ruhig.

»Verzeiht dieses Missverständnis. Ihr wurdet eigentlich nicht entführt, sondern seid unser Ehrengast. Haben sich meine Soldaten Euch gegenüber gut benommen?«

Ehe die junge Frau antworten konnte, schlängelte sich ein junger Mann laufend durch die Soldaten, legte seinen Arm um ihre Taille, hob sie in die Höhe und schwenkte sie wie verrückt rundherum.

»Lena!«, rief er begeistert aus. »Ich bin so glücklich, dich wiederzusehen. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben … Wie geht es dir, Liebste, geht es dir gut? Hat man sich dir gegenüber gut verhalten?«

Lena blickte ihn verwirrt an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte längst begriffen, dass ihr Gedächtnis unterdrückt war, vielleicht sogar endgültig verloren. Alle ihre Erinnerungen fingen mit dem Wachwerden im Wald an, über die Zeit davor war nichts, aber auch gar nichts mehr da. Der junge Mann vor ihr kannte sie offenbar gut, aber für sie war er genauso unbekannt wie alles andere ringsherum.

»Lena, ich bin's, dein Verlobter Jeffry … Jeffry Niels!«

Lena sah ihn unsicher an und versuchte, irgendeine Erinnerung wachzurufen, aber erfolglos. Jeffry griff nach ihrer Hand, aber sie machte ungewollt einen Schritt zurück. Jeffry redete hektisch auf sie ein: »Sei nicht traurig, Liebste, du hast zeitweise dein Gedächtnis verloren. Das kommt durch die Teleportation in die parallele Welt, geht aber wieder vorbei. Wir hatten ja beide die Theorie erarbeitet, dass die Lebewesen bei der Teleportierung sehr wahrscheinlich zeitweise oder sogar für immer ihr Gedächtnis verlieren. Nach der Teleportation hatte auch ich die Erinnerungen verlogen, doch da ich das erwartet hatte, habe ich mich darauf vorbereitet und Dinge mitgenommen, die mir geholfen haben, mich an alles zu erinnern. Es ist also nur eine Frage der Zeit, dass deine Erinnerungen auch wieder zurückkehren.

Jeffry wandte sich an den Imperator und stellte mit sichtlichem Stolz die Frau neben sich vor: »Herr Imperator, das ist Lena-Marie Johansen, eine der intelligentesten Wissenschaftlerinnen in meiner Welt, und sie ist auch meine Verlobte. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, könnte es geschehen, dass sie an vorübergehendem Gedächtnisverlust leidet. Das passiert beim Übergang von einer Welt in eine andere.«

Dann drehte er sich zu der noch immer verständnislosen Lena um: »Lena, ich stelle dir den Imperator des Großen Fretanischen Imperiums vor, Seine Hoheit Mateas den sechsten!«

Nach kurzem Zögern machte die junge Frau eine leichte Verbeugung, was auf dem Gesicht des Imperators ein Lächeln hervorrief. Die anwesenden Generäle und Soldaten blickten erstaunt – das Protokoll verlangte, auf die Knie zu gehen und mit gesenktem Kopf auf ein Zeichen des Imperators zu warten. Ein so leichtes Verneigen wäre bei jeder anderen Frau als Zeichen der Nichtachtung angesehen worden und hätte den Zorn des Imperators hervorgerufen, stattdessen hatte er gelächelt!

Als wollte er sie völlig verwirren, machte der Imperator einen Schritt auf Lena zu, ergriff galant ihre Hand und berührte sie bei einer leichten Verneigung mit den Lippen. In Jeffrys Augen glommen eifersüchtige Fünkchen auf und rasch redete er den Imperator an: »Eure Hoheit, es ist Zeit, dass wir mit der Erfüllung meines Teils des Vertrages anfangen!«

Der Imperator warf Lena ein vieldeutiges Lächeln zu, ließ vorsichtig ihre Hand los und macht eine kaum erfassbare Geste zu Lord Niental hin, der umgehend einen Schritt auf sie zuging und sie mit einer angedeuteten Verbeugung aufforderte, ihm zu folgen. Lena blickte sich zögernd um, bemerkte das zustimmende Kopfnicken von Jeffry, zögerte abermals kurz, verneigte sich erneut vor dem Imperator und entfernte sich zusammen mit dem Lord.

»Jeffry, würden Sie vor meinen Generälen und Beratern eine kleine Demonstration machen?«

Jeffry, der diese Aufforderung offensichtlich erwartet hatte, nickte und gab den Generälen mit einer gebieterischen Handbewegung zu verstehen, sie sollten ihm folgen. Als er an dem riesigen Zelt vorbeikam, das ihm zum Schlafen und zum Arbeiten diente, ging er einen Augenblick hinein und erschien wieder zusammen mit seinem Diener, der zwei große undurchsichtige Beutel trug. Niels wandte sich an die Generäle: »Meine Herren, wir werden Ihnen eine Waffe zeigen, von der Sie nicht einmal geträumt haben. Um diese Waffe jedoch geheim zu halten, müssen wir Ihnen deren Handhabung im Wald zeigen, wo die Götter nicht sehen können, was wir tun. Das Unterbrechen des Vormarschs auf Asherat und die Suche nach meiner Verlobten hat die Aufmerksamkeit vieler Völker hervorgerufen und die beobachten uns sehr aufmerksam und so müssen wir vorsichtig sein, um den Vorteil der Überraschung zu behalten.«

Die Generäle nickten zum Zeichen des Einverständnisses und die Gruppe machte sich auf den Weg zum Lagerausgang, während Lord Niental Lena leicht beim Arm fasste und sie zu einem großen Zelt führte. Davor warteten drei Frauen unterschiedlichen Alters, alle gut und reinlich angezogen. Als der Lord und Lena sich näherten, verneigten sich die Frauen untertänig und warteten.

»Lady Johansen, das ist Euer Dienstpersonal. Von jetzt an werden diese Frauen sich um jeden Eurer Wünsche kümmern. Und wenn sie das nicht mit den notwendigen Bemühungen tun, werde ich mich darum kümmern, dass sie es begreifen!«

Die Frauen zuckten unwillkürlich zusammen und machten ängstliche Gesichter, was deutlich machte, dass die Drohungen des Lords keine leeren Versprechungen waren. Im ersten Moment wollte Lena die Bediensteten ablehnen, aber etwas in ihren Blicken hielt sie davon ab und außerdem fühlte sie sich viel zu müde und verwirrt, um sich in Diskussionen einzulassen.

»Ich danke Euch, Lord Niental. Und wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, würde ich mich gern ausruhen von der langen und ermüdenden … und nicht ganz freiwilligen Reise!«

Der Lord nahm den scharfen Ton der jungen Frau mit steinernem Gesicht auf, verbeugte sich leicht und entfernte sich. Lena lächelte müde zu den Frauen mit den gesenkten Köpfen und winkte zu dem Zelt hin.

»Meine Damen, ich habe tausende Fragen und hoffe sehr, dass Sie mir helfen, die Antworten darauf zu finden … allerdings bin ich gerade jetzt sehr, sehr müde. Bitte, würden Sie mir zeigen …«

Lena konnte nicht einmal ihre Frage vollenden, die Frauen hatten sie bereits in ihre Obhut genommen – eine zog den Vorhang des Zeltes beiseite und lud sie mit einer Geste zum Eintreten ein. Eine andere fragte sie, ob sie Hunger oder Durst habe, die dritte schlug ihr vor, in der mit heißem Wasser vorbereiteten Holzwanne ein Bad zu nehmen. Lena seufzte tief, zögerte einen Augenblick und überließ sich dann den Händen ihrer Dienerinnen. Während die sich um sie kümmerten, war auf einmal ein starkes Dröhnen wie von Donner zu hören, trotz des klaren Wetters. Kurz darauf erklangen noch solche Donnerschläge und noch stärkere und riefen bei den Frauen verwirrte Blicke hervor, doch dann wurde wieder alles ruhig. Erst zwei oder drei Stunden später – Lena war nun gebadet und ordentlich gekämmt – gelang es ihr, sie davon zu überzeugen, dass sie nichts weiter brauche, und sie ließ sich auf das große Bett fallen, auf dem zierliche weiche Decken lagen. Einen Augenblick ging ihr Jeffry Niels durch den Kopf. Sie versuchte, eine Erinnerung an ihn in sich wachzurufen, aber sie war so müde, dass sie schnell Abstand davon nahm. Sie schloss die Augen und fiel in einen tiefen, ruhigen Schlaf.

Kapitel 2

Die Pferde verlangsamten ihren Gang, bald darauf hielten sie an. Nach der kühlen Luft zu urteilen, waren sie nach wie vor im Wald und es wurde Abend. Mark wagte es nicht, noch einmal die gerade erworbenen Fähigkeiten einzusetzen, denn er konnte sich vor lauter Müdigkeit kaum auf dem Sattel halten und es war ungewiss, was sie erwartete. Er musste um jeden Preis die wenige, ihm noch gebliebene Energie bewahren. Er hörte, wie die Reiter leise und ruhig von den Pferden stiegen und gedämpft einige Worte wechselten, vielleicht untereinander, vielleicht auch mit anderen Leuten – das war für ihn unergründlich. Kurz darauf löste jemand die Stricke, die ihn am Pferd festhielten, und zwei Paar starke Hände hoben ihn mit so einer Leichtigkeit herunter, als sei er ein kleines Kind und kein großer, muskulöser Mann. Immerhin war an der Art und Weise, wie sie das taten, zu erkennen, dass sie versuchten, nicht grob zu sein und ihn nicht noch mehr zu verletzen. Eine feste Hand packte ihn am Ellenbogen und führte ihn irgendwohin. Zu hören war Merassas zorniges und drohendes Knurren, woraus Mark schloss, dass ihr persönlich selbst dieses Verhalten nicht passte. Sie legten nur wenige Meter zurück, eine Tür knarrte leise und eine ausdruckslose Männerstimme warnte sie: »Achtung, Stufen!«

Aufmerksam warteten sie ab, bis er die nach unten führenden Stuten, insgesamt fünf, gefunden hatte, noch ein paar Meter und sein Begleiter drückte seine Schulter nach unten und zwang ihn, sich hinzusetzen. Gleich darauf sank auch Merassa wieder mit einem zornigen Knurren neben ihm nieder. Mark hatte den unbändigen Wunsch, mit der ihn umgebenden Energie in Verbindung zu treten, um zu sehen, wo sie waren und wie viele Leute sich ringsum aufhielten, doch sein knurrender Magen und der leichte Schwindel hielten ihn von solchen Unternehmungen ab. Wieder vergingen einige Minuten, Menschen verließen den Raum und kamen herein, zu vernehmen waren gedämpfte Gespräche, so leise, dass nicht ein einziges Wort zu verstehen war. Einen Augenblick lang wurden seine hinter dem Rücken gebundenen Hände gelöst, ihm jedoch sofort vorn wieder zusammengebunden. Endlich nahm jemand Mark die Kapuze ab und auch das Tuch, das ihm den Mund knebelte. Mark füllte erleichtert seine Brust mit frischer Waldluft und blickte um sich. Zu sehen war nicht viel, der Raum lag in Dämmerung, nur zwei Kerzen gaben spärliches Licht ab. Sie waren in einem halb unterirdischen Raum ohne Möbel, ohne Fenster und mit einem niedrigen Dach aus dicken Ästen und Laub. Zwei Männer unterhielten sich neben der Tür, während der dritte Merassa gerade das Tuch vom Mund nahm. Einen Moment lang dachte Mark, sie würde ihm in die Hand beißen, aber Wildkatze konnte ihren Zorn im Zaum halten und begnügte sich damit, ihren Bezwingern einen tödlichen Blick zuzuwerfen. Mark betrachtete die Männer. Obwohl es recht dunkel war, war doch zu erkennen, dass sie stark waren. Sie waren schwarz gekleidet, auf ihrem Rücken waren jeweils zwei Schwerter festgebunden. Aus ihren Bauchwickeln und ihren Stiefeln ragten Dolche heraus. Entweder waren die Männer dunkelhäutig, oder sie hatten ihre Gesichter und Hände schwarz gefärbt. Ihren breiten, flachen Nasen nach zu urteilen, waren sie eher dunkelhäutig, afrikanischen Typs. Die beiden Männer an der Tür unterbrachen ihr Gespräch und drehten sich zu Mark und Merassa hin. »Ich bin sicher, dass ihr nicht besonders glücklich seid über die Art eurer Reise …« Die Stimme des Mannes drückte weder Bösartigkeit noch Mitgefühl aus. »Aber ebenso sicher bin ich, dass ihr nicht freiwillig mit uns mitgekommen wärt, und daher haben wir beschlossen, euch gar nicht erst zu fragen.«

»Ich wiederum bin sicher, dass ihr viele Fragen an uns habt, genauso wie wir an euch, aber ihr könnt auch sicher sein, dass ein Gespräch zwischen uns nicht zustande kommt, wenn ihr uns nicht erst etwas zu essen und Wasser gebt!«, unterbrach Mark ihn in demselben ausdruckslosen, konstatierenden Ton.

Ein Lächeln flog über das Gesicht des Mannes und nach kurzem Überlegen nickte er: »So soll es sein, wenigstens das habt ihr verdient.«

Sein Begleiter ging in eine Ecke des Raumes und beugte sich über die dort liegenden Beutel. Gleich darauf kam er mit einem kleinen Bündel zurück, aus dem er getrocknetes Fleisch und einen Laib Brot herausholte, und sie ihnen auf den Schoß warf. Merassa zögerte einen Augenblick, anscheinend war es unter ihrer Würde, von jemandem gefüttert zu werden, aber Mark nickte ihr zu, und sie fing an, die Nahrung langsam und mit einem verachtenden Blick zu sich zu nehmen. Mark selbst, der fast umkam vor Hunger nach den heutigen Experimenten mit seiner inneren Energie, schluckte die Bissen einen nach dem anderen, ohne zu kauen, was denjenigen, der ihn fütterte, offensichtlich amüsierte. Nachdem sie schließlich ihren Hunger gestillt hatten, gab man ihnen kaltes, frisches Wasser. In der Nähe floss offenbar ein Bach oder ein Fluss. Zwischendurch war der andere Mann, der wohl so etwas wie der Chef der Gruppe war, hinausgegangen und kehrte mit noch einem Mann zurück, ebenfalls dunkelhäutig und in Schwarz gekleidet. Beide saßen ihnen mit übereinandergeschlagenen Beinen gegenüber und der ihnen bereits bekannte Mann fing an zu reden: »Wir haben unseren Teil der Abrede erfüllt, nun ist es Zeit, dass wir uns unterhalten.«

Die Stimme des Mannes war selbstsicher und duldete keine Widerrede. Mark nickte. »Was wollen Sie wissen? Und es wäre nicht schlecht, wenn sie zumindest ein wenig gute Erziehung und guten Willen zeigen würden, indem Sie uns losbinden und sich uns vorstellen, sagen, wer Sie sind, und uns erklären, warum sie uns entführt haben! Ich heiße Mark Dimov und meine Begleiterin ist Merassa Wildkatze vom Stamm der Wikea.«

Der Mann nickte und antwortete, ohne Verärgerung durch das herausfordernde Verhalten Marks zu zeigen: »Ich nehme an, dass wir Ihnen fürs Erste nicht genügend vertrauen können, um Sie loszubinden, vor allem, weil wir die kriegerische Art der Wikea nur zu gut kennen. Mein Name ist Mobassa und ich bin der Anführer eines der Senegalesenstämme. Und das hier«, Mobassa nickte zu dem neben ihm Sitzenden, »ist Mahadi, der Schamane unseres Stammes.«

Mobassa machte eine kurze Pause und fuhr fort: »Und nun, Mark, hoffen wir, eine detaillierte Information darüber zu bekommen, was eigentlich los ist. Ich sehe, du bist kein Wikea und kommst vermutlich von sehr weit her, denn Kleidung wie die deine hat noch niemand von uns gesehen. Fangen wir doch damit an, wer du bist, woher du kommst und was du mit den Wikea zu tun hast?«

»Antworte ihm nicht, Lehrer!«, warnte Merassa ihn. »Die Senegalesen sind Wilde, die denjenigen als Söldner dienen, die ihnen mehr bezahlen und sonst interessiert sie nichts und niemand. Sobald sie die Information haben, die sie brauchen, werden sie uns einfach umbringen.«

»Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht.« Zum ersten Mal glitt über Mobassas Gesicht so etwas wie ein Lächeln. »Das hängt von dem ab, was ihr uns sagt.«

Merassa schickte sich an zu antworten, aber Mark schüttelte den Kopf und sie schluckte ihre Worte herunter. Mark betrachtete die Senegalesen, überlegte einige Augenblicke und sagte: »Ich bin Mark Dimov und komme aus einer anderen Welt mit Hilfe einer sehr starken Magie. Zu den Wikea bin ich zufällig gekommen, aber jetzt sind sie meine Brüder. Warum interessiert ihr euch aber für die Beziehungen zwischen den Wikea und einem Magier aus einer anderen Welt?«

Mobassa und Mohadi sahen sich an, tauschten flüsternd einige Worte aus und wieder redete der Anführer: »Eigentlich interessieren uns die Wikea gar nicht, sondern die Gründe, um derentwillen die Fretanier ihren Feldzug gegen Arhea unterbrochen haben und in die Gebiete der Wikea eingedrungen sind.«

»Die falschen senegalesischen Hunde sind bestimmt von den Fretaniern angeheuert worden, aber die haben ihre Pläne geändert, ohne ihnen zu sagen, warum, und nun wissen sie nicht, ob sie die versprochene Beute bekommen oder nicht!«, zischte Merassa verärgert.

»Die Wikea mögen ja gute Krieger sein, aber das Denken gehört offensichtlich nicht zu ihren Stärken, sonst würden sie verstehen, dass es hier um etwas viel Größeres geht als Beute!«, unterbrach Mohadi sie scharf.

Mark dachte nach. Die Senegalesen hatten ganz gezielt ihn und Merassa gefangen, um ihn nach dem Verhalten der Fretanier auszufragen. Und wer konnte sie auf ihn angesetzt haben, nachdem nur die Soldaten ihn kannten? Das bedeutete, dass sie ganz sicher von »oben« geschickt worden sind und ebenso, dass ihr Bestreben, hinter die Absichten der Fretanier zu kommen, nicht der Wunsch der Senegalesen war, sondern das ihrer sogenannten »Götter«. Das wiederum bedeutete, dass die Götter der einzelnen Völker unterschiedliche Absichten verfolgten und sie voreinander verbargen, selbst wenn sie, wie in diesem Fall, Verbündete waren. Und das eröffnete neue Möglichkeiten. Die Anwesenheit des Schamanen, der wahrscheinlich die Verbindung zwischen dem Stamm und den Göttern war, bestätigte seine Vermutung.

»Und? Mir scheint, dass ihr zwei nicht hoch genug steht, um Antworten zu verlangen von einem mächtigen Magier, der noch dazu aus einer anderen Welt kommt. Wenn eure Götter tatsächlich Informationen haben möchten, müssen sie schon mit mir persönlich sprechen.«

Während Mark in einem herablassenden Ton mit ihnen redete, öffnete er ganz langsam und unmerklich seine Gürtelschnalle, schaltete den darin eingelassenen Mini-Laser ein und fing an, den Strick durchzubrennen, der seine Hände umwand. Um sich nicht zu verbrennen, musste er die heute frisch erworbenen Fähigkeiten einsetzen, die Energien zu sehen und dank dessen schaffte er es. Die Senegalesen waren nur zwei Schritte von ihnen entfernt, aber das Halbdunkel war auf seiner Seite.

»Ob nun ein mächtiger Magier oder nicht, Mark Dimov, du bist ganz bestimmt nicht in der Lage, Bedingungen zu stellen. Ich rate dir, auf unsere Fragen zu antworten, solange wir noch freundlich fragen, denn wir können auch ganz schön grob zu dir und deiner Freundin sein, und das wird euch bestimmt nicht gefallen.« Der spöttische Ton des Anführers zeigte, dass sie nicht zögern würden, sie zu quälen, um an die gewünschte Information zu kommen.

»Ihr solltet die Fähigkeiten eines Magiers aus einer anderen Welt nicht unterschätzen, ihr Hunde, ihr habt noch eine letzte Chance!«, warnte auch Merassa sie, die fest daran glaubte, dass Mark ein Magier und zu allem fähig war.

Das Seil war bereits durchtrennt und Mark bereit, in Aktion zu treten, entschied dann aber doch, ihnen noch eine Chance zu geben, guten Willen zu zeigen. Die beiden Senegalesen lachten aber nur, als hätten sie einen guten Witz gehört. Na gut, dann sei es, wie es sei. Mark sprang plötzlich auf wie eine Sprungfeder und stand sekundenschnell zwischen den beiden. Noch ehe sie reagieren konnten, drückte er mit drei Fingern einen gewissen Punkt im Genick des Schamanen und paralysierte ihn. Gleich darauf paralysierte er auch den Körper des Anführers. Die Senegalesen waren unfähig, irgendetwas zu unternehmen, und blickten verständnislos drein. Mark band Merassa los und konnte sie kaum zurückhalten, sich nicht auf sie zu stürzen. Dann kniete er sich neben den Schamanen, strich ihm mit den Händen über den Körper, um seine Energieströme zu verringern, anschließend drückte er mit den Fingern auf seine Schläfen und fragte ihn: »Was fühlst du?«

Der vor lauter Überraschung erstarrte Schamane konnte erst jetzt seinen Mund aufmachen, fühlte sich aber urplötzlich so schwach und entkräftet, dass er nicht antworten konnte. Mark wiederholte diese Prozedur auch mit dem Anführer. Anschließend holte er sein Telefon heraus, suchte sich ein Foto von Sebastian und ließ es als dreidimensionales Hologramm erscheinen. Der Anführer und der Schamane zuckten vor Überraschung und Angst zusammen, vermochten sich allerdings keinen Millimeter zu bewegen.

»Seht ihr diesen mächtigen Krieger? Der hat genau wie ihr gedacht, dass er mich besiegen kann, und nun ist sein Geist in diesem Gegenstand gefangen. Soll ich auch eure Geister darin einfangen oder denkt ihr über die Art und Weise nach, in der ihr mit einem Magier sprecht?«

Mark fotografierte schnell beide, wegen des Halbdunkels mit Blitzlicht, was sie noch zusätzlich in Schrecken versetzte. Dann brachte er das Foto in das Hologrammprogramm ein und sah mit Vergnügen, wie die beiden Krieger, die sich ohne weiteres in eine todbringende Schlacht werden würden, jetzt vor Angst in Panik geraten waren. Sie haben es nicht anders verdient, dachte sich Mark, denn gerade sie waren es doch, die ihn daran gehindert hatten, Lena zu finden und zu retten!

»Und nun frage ich euch nochmal – hättet ihr etwas dagegen, wenn ich mit euren Göttern rede?«

Am Gesicht des Anführers war zu erkennen, dass er mit allem einverstanden war, doch der Schamane zögerte noch immer, trotz Angst und Schrecken, die ihn erfasst hatten. Mark beschloss, ihm die Sache zu erleichtern: »Hab keine Angst, deine Götter werden dir nicht böse sein. Die haben auch das Bedürfnis, mit mir zu reden. Das wird auch für sie von Nutzen sein. Trotzdem erlaube ich dir, sie erst einmal zu fragen.«

Mark beugte sich über den Schamanen und drückte auf einen Punkt in seinem Nacken, dann auf zwei an seinen Schläfen und auf noch einen im Nacken. Der so plötzlich befreite Körper schwankte einen Moment, aber der Senegalese beherrschte sich schnell und stand langsam auf, wobei er sich bemühte, nicht den Zorn dieses entsetzlichen Magiers vor ihm herauszufordern. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, näherte sich Mohadi den Beuteln in der Ecke und beugte sich darüber. Mark wunderte sich nicht, als er in den Händen des Schamanen die bekannte Kugel erblickte, über die sie die Verbindung zu den Göttern der Wikea hergestellt hatten. Gleich darauf erschein ein kleines Hologramm, ähnlich dem der Wikea-Götter – derselbe Kontrollraum mit Monitoren und Schränken, nur die Anordnung war ein wenig anders. Ein dunkelhäutiger Mann mit einem schönen, anziehenden Gesicht blickte den Schamanen streng an: »Warum sind die Gefangenen dabei, wenn du mich anrufst, Mohadi?«

»Vermutlich, weil die Gefangenen keine Gefangenen mehr sind und euren Untertanen keine Wahl gelassen haben!« Mark hatte sich nicht zurückhalten können, obgleich er ihm versprochen hatte, abzuwarten, bis er die Genehmigung eingeholt hatte.

»Menschlein, ist dir klar, dass du mit einem Gott sprichst? Wer hat dir überhaupt erlaubt, den Mund aufzumachen? Hast du eine Vorstellung davon, was da für eine Strafe auf dich wartet?«, zischte der Dunkelhäutige ärgerlich und zugleich verächtlich.

Der Schamane zitterte vor Schreck. Merassa, die zum ersten Mal einem Gespräch mit Göttern beiwohnte, saß erschrocken da, unfähig etwas zu sagen. Der Anführer war sicher auch entsetzt, doch die Paralyse gestattete ihm nicht, auf irgendeine Weise zu reagieren.

»Dir scheint nicht klar zu sein, mit wem du redest!«, entgegnete Mark ihm in demselben verächtlichen Ton. »Eure Mätzchen mögen wohl bei euren Untertanen fruchten, nur komme ich von der Erde und wenn ihr etwas von mir wollt, müsst ihr mir schon die entsprechende Achtung entgegenbringen! Wenn nicht – steige ich einfach auf mein Pferd und reite zu den arheischen Göttern, um denen meine Informationen zu überbringen, die brennen sicher auch schon darauf zu erfahren, was los ist!«

Der Mann sah ihn völlig verdattert an, wahrscheinlich wegen der Art und Weise, in der dieser Mensch es sich erlaubte, mit einem Gott zu reden, aber wohl auch deswegen, weil er vor sich einen Menschen von der Erde hatte. Es vergingen einige Sekunden, bevor er zu sich kam und antwortete, sich an den Schamanen wendend: »Ich möchte, dass ihr alle hinausgeht und mich mit dem Menschen von der Erde allein lasst!«

Der Schamane nickte erschrocken, aber wieder mischte sich Mark in einem Ton ein, der keinen Widerspruch duldete: »Meine Begleiterin bleibt bei mir!«

Der Mann aus dem Hologramm schickte sich schon zu einer Erwiderung an, konnte sich dann aber doch zurückhalten und nickte dem Schamanen zu. Mark ging zu dem Anführer, drückte auf mehrere Punkte und befreite ihn so aus der Erstarrung. Dann half er seinem steifen Körper, sich aufzurichten, und ging zur Seite. Der Anführer und der Schamane verließen den Raum unterwürfig und schlossen hinter sich die knarrende Tür. Merassa saß weiterhin schweigend da, eingeschüchtert sowohl durch den dunkelhäutigen Gott, als auch durch die rücksichtslose Weise, in der Mark sich erlaubte, mit ihm zu reden.

»Nun müssen Sie einen Augenblick warten, die Situation erfordert auch die Anwesenheit anderer Götter!« Damit drückte er einen Knopf auf der Tastatur vor sich und nahe der Tür blinkte eine rote Lampe auf. Dann drückte er eine andere Taste und beugte sich zu einem den Monitoren hin. »Bitte, der Rat soll sich umgehend im Konferenzraum einfinden!«

Mark blickte ihn spöttisch an – alles ähnelte so sehr der modernen irdischen Technik, dass die Versuche dieser Leute, sich ihm als »Götter« vorzustellen, ihn einfach nur ungeheuer belustigten. Na gut, sagte er sich, sollen sie doch Götter spielen, wenn sie ihm halfen, Lena zu finden und zu befreien. Das Hologramm verblasste und einige Minuten lang war nichts zu sehen. Als das Bild wieder da war, waren sie bereits in einem anderen Raum mit großem Tisch, um den herum etwa zehn Männer und Frauen Platz genommen hatten. Mark hatte erwartet, dass die alle dunkelhäutig sein würden, seine Vermutung traf jedoch nur auf die Hälfte von ihnen zu. Der ihnen bekannte Mann sagte: »Erdenmensch, du hast die seltene Gelegenheit, mit Göttern zu sprechen! Verhalte dich achtungsvoll und beantworte jede Frage, die dir gestellt wird!«

Mark sah ihn spöttisch an, wartete kurz ab, um zu unterstreichen, wie wenig ihn ihr Status als Götter interessierte, und entgegnete: »Wir wollen doch kein Theater spielen, lasst uns doch offen und ehrlich miteinander reden. Mir persönlich ist es gleich, wofür ihr euch haltet. Und selbst, wenn wir annehmen, dass ihr tatsächlich Götter seid, so seid ihr Götter für die Menschen dieses Planeten, nicht aber für uns Menschen von der Erde. Und wenn ich das richtig verstanden habe, seid ihr nicht einmal Götter für alle Leute dieses Planeten, sondern nur für die Senegalesen, also redet nicht in diesem hochnäsigen Ton mit mir, wenn ihr möchtet, dass wir euch überhaupt antworten!«

Ein bis zwei Sekunden lang vermochten die um den Tisch herum Sitzenden keinen Ton von sich zu geben, so schockiert waren sie davon, wie Mark mit ihnen redete. Dann aber schrien sie alle zusammen so durcheinander, dass nur einzelne Worte zu verstehen waren. Nur einer von ihnen behielt seine Selbstsicherheit und wartete ab, und als er sah, dass sich die Lage verschärfte, schlug er mit der Faust auf den Tisch, stand auf und blickte die um ihn Sitzenden mit strengem Blick an. Urplötzlich verstummten alle und richteten ihre Blicke auf ihn. Er schien die Hauptperson in dieser Runde zu sein. Nun wandte sich der Mann an Mark und sagte in mäßigem Ton: »Entschuldige uns einen Augenblick, Erdenmensch, die Götter brauchen eine kurze Pause. Wir treten gleich wieder mit euch in Verbindung.«

Das Hologramm verblasste und die beiden waren wieder allein. Merassa saß stumm da und blickte Mark mit weit aufgerissenen Augen voller Schrecken und Ehrfurcht an. Sie hatte ja längst begriffen, dass er sowohl ein großer Kämpfer war als auch ein mächtiger Magier, aber dass er so mit den Göttern redete … Das ging über ihr Verständnis hinaus, ebenso die Tatsache, dass die Götter selbst auf ihn eingingen, was ihn irgendwie auf eine Stufe mit ihnen hob. Mark nutze die kurze Pause, um sich umzusehen. Er schloss die Augen, konzentrierte sich und verband sich mit der Energie rundherum. Langsam und vorsichtig erweiterte er die Reichweite außerhalb des unterirdischen Raumes und sah sich um. Darum herum standen an die zwanzig Krieger, bereit, mit ihren Waffen in Aktion zu treten. Ganz normal, dachte sich Mark, es wäre eine große Überraschung, wenn sie es nicht tun würden. Es würde nicht leicht werden, wenn sie sich ihren Weg kämpfend bahnen müssten, doch neben seinen Fähigkeiten hatte Mark noch einen Vorteil, von dem die Senegalesen nicht einmal etwas ahnten, nämlich die Pistole, die ein Teil der ihnen von Lenas Vater überlassenen Ausrüstung war. Immerhin wäre es besser, überlegte Mark, wenn wir uns mit den Göttern der Senegalesen einigen könnten und ein Kampf vermieden würde … mehr Zeit blieb ihm nicht, um sich umzusehen, denn wieder leuchtete die Kugel auf und das Hologramm füllte den Raum aus.

Kapitel 3

Hauptmann Shonekas beobachtete die beiden Fremdlinge mit deutlichem Interesse. Der Bodyguard der bezaubernden rothaarigen Dame vertilgte unversehens alles, was ihm aufgetischt wurde und sie hatte wenigstens doppelt so viel gegessen, wie Malte ihr zugetraut hätte, wenn auch langsamer und mit mehr Stil. Der wikeische Hund, dessen Rasse den Ruf hatte, von allen bekannten Rassen die grausamste zu sein, lag ihm zahm zu Füßen, als sei er ein ganz gewöhnlicher Haushund. Malte war sich jedoch sicher, dass er bei dem kleinsten Zeichen seines Herrchens aufspringen und wen auch immer in Stücke reißen würde.

»Ich möchte Sie nicht drängen, aber es wird Zeit, dass wir den Marsch auf Asherat fortsetzen. Wir sind schon nahe dran und morgen um diese Zeit sind wir dann auch nahe am Lager der Fretanier.«

Lady von Holsten legte Messer und Gabel zur Seite, wischte ihren Mund vorsichtig mit einem Tuch ab und lächelte dem Hauptmann zu. »Wir sind Ihnen ausgesprochen dankbar für die Gastfreundschaft, Hauptmann. Wäre es sehr unangebracht, wenn wir Sie um noch einen Gefallen bitten würden?«

Hauptmann Shonekas machte eine galante Geste, die sie aufforderte, ihre Bitte vorzutragen. Die rothaarige Dame lächelte wieder einschmeichelnd und fuhr fort: »Wie wir bereits erwähnt haben, sind wir ausgezogen, um eine Freundin von uns zu suchen, die von fretanischen Kriegern entführt worden ist. Und da Sie ebenfalls zu den Fretaniern unterwegs sind, wäre es da möglich, dass wir mit Ihnen mitkommen?«

Lady von Holstens Bitte war eine große Erleichterung für den Hauptmann. Er wusste immer noch nichts über die beiden und wusste auch nicht, was er mit ihnen machen sollte und ob er ihnen trauen konnte. Er konnte sie nicht einfach ziehen lassen, gleichzeitig sollten sie sich nicht zurückgehalten oder sogar verhaftet fühlen. Aber er wollte sich auch nicht so rasch von der schönen rothaarigen Dame trennen. Dass sie mit ihm mitkamen, war eine vorzügliche Lösung, bot sie ihm doch die Gelegenheit, sie näher kennenzulernen.

»Selbstverständlich, Lady von Holsten, für uns ist es ein Vergnügen, dass Sie uns begleiten. Und für Sie wäre es auch wesentlich gefahrloser. Ganz zu schweigen davon, dass ich es gar nicht abwarten kann, Ihre Geschichte zu hören!«

Malte winkte Jever zu, der in der Nähe stand, und gab ihm kurze Anweisungen. Der Soldat nickte ehrerbietig, schwang sich auf sein Pferd und ritt zur Spitze der Kolonne. Kurz darauf gab ein Hornsignal das Zeichen für das Ende der Pause und die Soldaten stellten sich schnell und ohne viel Hin und Her in langen Reihen auf und machten sich auf den Weg. Bald darauf kam Jever zurück, dieses Mal mit zwei weiteren Pferden. Der eine war ein großer, kräftiger Hengst, der sehr wohl in der Lage war, mit Leichtigkeit einen so großen Soldaten wie Sebastian zu tragen. Das andere Pferd war zwar kleiner, aber auch stark und wendig. Beide kosteten ein Vermögen, aber Lady von Holsten und ihr Begleiter konnten sie sich bestimmt leisten, wenn man von ihren Waffen ausging, die sie trugen, und auch von den prall mit Gold gefüllten Geldbeuteln.

»Ich hoffe, ihr kommt mit diesen beiden Jungs zurecht. Die haben schon mehr als eine Schlacht hinter sich und werden mit Sicherheit nicht erschrecken und davonlaufen, wenn euch wieder Banditen überfallen!«

Malte bemerkte erstaunt, wie Sebastians Gesicht beim Anblick der Pferde aufleuchtete. Der Riese näherte sich ihnen, streichelte sie und flüsterte ihnen etwas zu, als unterhalte er sich mit ihnen. Lady von Holsten lächelte und meinte scherzhaft: »Mein Begleiter ist ein ausgezeichneter Kämpfer, außerhalb der Kämpfe versteht er sich jedoch besser mit den Tieren als mit den Menschen.«

»Ich glaube, das ist mit den meisten Soldaten so, Mylady. Jede Schlacht und jeder Krieg hinterlassen in unseren Herzen unheilbare Wunden. Manchmal denke ich, dass es eine grausame Strafe ist, einen Krieg zu überleben!«

Jever betrachtete seinen Hauptmann und mochte seinen Ohren nicht trauen. Beide zusammen hatten sie schon viele Schlachten geschlagen, zusammen hatten sie vor und nach den Schlachten auch schon viel Wein getrunken, aber noch nie hatte er ihn so reden hören. Sie waren bereits mehrere Stunden lang geritten, von denen Hauptmann Shonekas den überwiegenden Teil in Gesellschaft von Lady von Holsten und ihrem Begleiter verbracht und voller Staunen ihren Geschichten zugehört hatte. Und die waren mehr als unwahrscheinlich – die Geschichte von dem wikeischen Hund, die Geschichte, wie Lady von Holsten mehrere Krieger der Wikea besiegt hatte, eine junge Frau, die nur mit einem Stab bewaffnet einen Tiger bezwungen hatte, wilde Wölfe, die der schönen Rothaarigen und ihrem Begleiter im Kampf gegen fretanische Krieger geholfen hatten, Erzählungen über den großen Zauberer und ihren Freund Mark, der nur mit seinen Händen einen sterbenden Menschen gerettet hatte … aber so unwahrscheinlich diese Geschichten sich auch anhörten, Lady von Holsten erzählte sie so überzeugend und mit so viel Feuer, dass der Hauptmann nicht einmal für einen Augenblick Zweifel daran hegte. Ganz plötzlich kam Jever in gestrecktem Galopp auf sie zu, nahm den Hauptmann beiseite und erstattete hastig Bericht über etwas. Kurz darauf wandte sich der Hauptmann mit zusammengezogenen Brauen an die beiden und sagte: »Die Götter haben uns eine Mitteilung zukommen lassen, dass wir so schnell wie möglich die Fretanier angreifen müssen. Mehr Einzelheiten sollen wir heute Abend erfahren, sobald wir unser Lager eingerichtet haben. Dann stoßen der Geistliche und die Generäle zu uns.«

Es stellte sich heraus, dass der Geistliche und die Generäle der Armee zusammen mit einer Bewachung aus etwa hundert Elitesoldaten folgten. Der Hauptmann erklärte ihnen, dass die häufig Pausen einlegten, in denen sie mit den Göttern redeten, die ihnen neue Informationen gaben und Anweisungen. Der ursprüngliche Plan war, abzuwarten, bis die Fretanier die Festung Asherat überfielen, und genau in diesem Moment sollten sie ihnen in den Rücken fallen. Diese Taktik sei vielversprechend und bedeute einen sicheren Sieg. Die neuen Anweisungen, einen ausgeruhten und zahlenmäßig großen Gegner zu überfallen, sei selbst dann ein ziemlich riskantes Unterfangen, wenn die arheische Armee aus der Festung herauskäme und sich dem Kampf anschlösse. Mit besorgtem Blick gab der Hauptmann Anweisung, einen Gang zuzulegen.

Einige Stunden später, als sie bereits ein Lager bezogen hatten und die Zelte aufgestellt waren, holten auch der Geistliche und die Generäle sie ein. Ohne sich auch nur eine Minute Ruhe von dem langen Ritt zu gönnen, ließen sie den Hauptmann zu sich kommen und schlossen sich mit ihm in einem großen Zelt ein, vor dem zwei Soldaten Posten bezogen. Die Sitzung würde sicher lange dauern, und Fredi und Sebastian wollten die Zeit nutzen, um sich auszuruhen und etwas zu essen. Noch waren aber keine fünf Minuten vergangen, da kam auch schon Jever zu ihnen gelaufen, verneigte sich ungelenk und sagte hastig: »Lady von Holsten, der Rat der Generäle hat angeordnet … h-h-m-m … gebeten … mmm … dass Sie zusammen mit ihrem Bodyguard kommen sollen … h-h-m-m … zu ihnen kommen möchten!«

»Gern, Leutnant!«, lächelte Fredi ihn bestechend an und versetzte dem wegen des unterbrochenen Abendbrotes unzufriedenen Sebastian unbemerkt einen Tritt.

Leutnant Jever führte sie zum Zelt der Kommandeure, wo die Wachen am Eingang strammstanden und der eine von ihnen untertänig den Vorhang am Eingang zur Seite zog. Fredi und Sebastian gingen hinein und standen vor den neugierigen Blicken von etwa zehn Leuten, die sich im Kreis um ein die Hälfte des Zeltes einnehmendes Hologramm versammelt hatten, das ebenfalls etwa zehn Leute umfasste … vielleicht aber auch Götter, mit mindestens ebenso neugierigen Blicken. Direkt neben dem Hologramm war ein zweites Hologramm, das einen Mann in Königsgewändern und einer Krone auf dem Kopf zeigte, wahrscheinlich der König von Kelirien. Hauptmann Shonekas lächelte Fredi zu, wies mit einer Geste auf sie und Sebastian und drehte sich zu beiden Gruppen um. »Ich möchte Ihnen unsere Gäste von der Erde vorstellen, Lady Friederike von Holsten und deren Bodyguard Sebastian Schrader.«

Fredi grüßte sie mit einem leichten Kopfnicken und gab ihnen damit zu verstehen, dass das ein Zeichen der Achtung war von einem Menschen, der sich nicht zu ihren Untergebenen rechnete, während Sebastian die Arme kreuzte und so zeigte, dass er von der Anwesenheit von Göttern, König und Generälen nicht sonderlich beeindruckt war. Sie waren erstaunt, dass daraufhin keinerlei Proteste und Bemerkungen fielen. Einer der Götter sagte: »Die Götter grüßen euch, Menschen von der Erde!« Der Sprecher wartete ab und gab Sebastian und Fredi so die Gelegenheit, mit einem Kopfnicken zu antworten, dann fuhr er fort: »Ich heiße Helios und bin der oberste Gott von Kelirien. Ich muss zugeben, dass wir nicht erwartet haben, dass hier Menschen von der Erde auftauchen … und ich nehme an, dass eure Anwesenheit in direkter Verbindung steht mit den bisher unerklärlichen Unternehmungen der Fretanier. Wärt ihr wohl so gut, ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen und uns zu erklären, wie es euch gelungen ist, hierher zu gelangen und warum ihr gekommen seid und ebenso, was die Unternehmungen der Fretanier mit euch zu tun haben?«

Es war wirklich erstaunlich, wie unterschiedlich sich die arheischen Götter im Vergleich zu denen der Wikea verhielten. Zwar waren nicht alle Götter feindlich, aber aus jedem ihrer Worte roch es nach Hochnäsigkeit und Arroganz, während die hier sich ihnen gegenüber wie mit Gleichstehenden verhielten.

»Sehr gern, aber wir hoffen sehr, dass auch ihr uns ein wenig helft.«

»Es wäre wunderbar, wenn wir uns gegenseitig helfen könnten.« Ihr Gesprächspartner nickte aufmunternd.

Fredi zeigte ihr charmantestes Lächeln und fing an zu erklären: »Wir sind durch Teleportation hierher gekommen, um eine Freundin zu suchen, die …«

In den folgenden beiden Stunden erzählten Fredi und Sebastian geduldig die Geschichte ihrer Ankunft und die Abenteuer, die sie in dieser kurzen Zeit erlebt hatten, und gaben sich Mühe, auf die zig Fragen der Götter zu antworten. Der König, die Generäle, der Geistliche und Hauptmann Shonekas begnügten sich vorwiegend damit, zuzuhören, nur von Zeit zu Zeit schaltete sich einer von ihnen mit einer Frage ein oder mit der Bitte um eine zusätzliche Erklärung. Mitternacht war längst vorüber, als das langwierige, ermüdende Gespräch seinem Ende zuging. Die Götter waren sehr beunruhigt darüber, dass zwei geniale Wissenschaftler von der Erde, die sich mit Teleportation und Antimaterie befassten, in den Händen der Fretanier und deren Göttern waren und vermutlich einer von beiden mit denen zusammenarbeitete. Und merkwürdigerweise war das Erstaunlichste an dieser ganzen Geschichte, dass Lenas und Marks Fähigkeit, durch ihre innere Energie zu heilen, zwar die Menschen bewegte, nicht aber die Götter. Sebastian konnte sich nicht zurückhalten und fragte: »Ihr interessiert euch für die Arbeit zweier Wissenschaftler, von denen es auf der Erde -zigtausend gibt, aber nicht für die ungewöhnlichen Fähigkeiten zweier Menschen, die durch ihre eigene Energie zu heilen verstehen, etwas, wozu den wikeischen Göttern zufolge bisher noch kein Gott und kein Mensch fähig gewesen ist?«