Kampf um Lübece - Sigrid Kaßbaum - E-Book

Kampf um Lübece E-Book

Sigrid Kaßbaum

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Beschreibung

Um 1100 entwickelt sich unter dem Schutz des Abodritenfürsten Heinrich das erste Zentrum für den Fernhandel an der Trave - Lübece als Vorläufer der Hansestadt Lübeck. Der historische Roman erzählt von Heinrichs ständiger Bedrohung durch seine Gegner, von seinen erfolgreichen Schlachten, von seiner Zwickmühle zwischen Slawen, Dänen und Deutschen. Er erzählt von seinen Frauengeschichten und von seinen Kindern. Findet sich unter ihnen ein Sohn, der als Nachfolger geeignet ist? Soll Heinrich unter den Slawen das Christentum verbreiten lassen und Vicelin die Mission erlauben? In zwei Bänden wird das kampferfüllte Leben dieser Familie dargestellt, die Lübece zu ihrem Hauptort wählte.

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Buch

In der Billunger Mark um 1100: Ausgehend von seiner Machtbasis in Lübece versucht Heinrich, der Abodritenfürst, seine Herrschaft zu sichern. Er dehnt seinen Einfluss weiter nach Osten aus und kämpft darum, die slawischen Vasallen zusammenzuhalten. Gleichzeitig bemüht er sich um gute Beziehungen zu den sächsischen Nachbarn im Westen und zu den dänischen Nachbarn im Norden.

Der zweite Band erzählt, wie seine Söhne als die nachfolgende Generation diese heikle Aufgabe angehen. Sie verstricken sich dabei in heillose Schwierigkeiten und Kämpfe. Auch die Frauen der Familie haben kein geruhsames Leben, sondern sind in die Kämpfe verwickelt und darum bemüht, ihren Platz zu behaupten.

Der historische Roman schildert das Leben eines vorausblickenden, außergewöhnlichen Mannes und das seiner Sippe, angeregt durch die „Slawenchronik“ von Helmold von Bosau.

Autorin

Sigrid Kaßbaum,

1950 in Plön geboren,

lebt in Schleswig-Holstein.

Inhaltsverzeichnis

4. Teil: Heinrich – Samtherrscher der Abodriten 1100 - 1101

Kapitel 48 Zwei Frauen

49 Jerusalem

50 Zwei Kinder

51 Kundschafter

52 Genugtuung

53 Bedrohung

54 Belagerung

55 Verbündete

56 Schlacht um Lübece

57 Nach der Schlacht

58 Geiseln

59 Ausflug

60 Ritterschlag

61 Jaromar

5. Teil: Die Söhne 1101 - 1128

Kapitel 62 Page in Werle

63 Koljada

64 Erkenntnis

65 Brüder

66 Zweikampf

67 Weihnachten

68 Lothar

69 Linowe

70 Räuber

71 Mstivoj

72 Irrweg

73 Lunkini

74 Beute

75 Bodil

76 Sventipolk

77 Tod

78 Gunhild

79 Daso

80 Hulda

81 Elise

82 Waldemar

83 Slieswig

84 Reric

85 Rache

86 Winterfeldzug

87 Ranen

88 Vicelin

89 Geneviève

90 Ein Ende

91 Rivalen

92 Knut

93 Plune

94 Holsten

95 Einigung

Ausblick

Register

Zeittafel

Skizzen

Lage der Billunger Mark

Lübece

Nordelbien

Wagrien/ Polabien

Plune

Heinrichs Familie

4. Teil

Heinrich – Samtherrscher der Abodriten

1100 -1101

Kapitel 48Zwei Frauen

„Wie gut, dass die Welt nicht untergegangen ist!“ Heinrichs Mutter überblickte die kleine Familienrunde und schalt sich selbst, dass sie den düsteren Prophezeiungen für die Jahrhundertwende Glauben geschenkt hatte. Betont munter fuhr sie fort: „1100 – wer weiß, was das neue Jahr uns bringt!“ Dabei sah sie Bodil, die zweite Frau ihres Sohnes lächelnd an. Sie hatte die junge Adlige aus Dänemark nach Lübece gebracht und erhoffte sich nun einen reichen Kindersegen aus dieser Verbindung. Ein halbes Jahr nach der Hochzeit durfte man doch wohl eine gute Nachricht erwarten!

Bodil wusste, was ihre Schwiegermutter dachte. Sie vermutete schwanger zu sein, war sich aber nicht sicher und wählte daher ein neutrales Thema: „Auf jeden Fall wird sich im Heiligen Land viel ereignen. Jerusalem ist erobert. Vielleicht erfahren wir eines Tages von einem, der dabei war, etwas Genaueres.“

Aber Sigrid ließ sich nicht so schnell ablenken. Sie legte ihre Hand auf die Bodils. „Und wie schön, dass die Zwillinge nun wieder eine Mutter haben!“

„Aber nicht mehr lange“, widersprach Heinrich, der schon daran dachte, seine Söhne bald an einen anderen Hof zu schicken, um sie dort zu Rittern erziehen zu lassen.

Die beiden Sechsjährigen saßen am Boden vor dem Feuer und schnitzten unter der Anleitung des alten Thorben kleine Tiere aus Holzstücken. Sie waren in ihre Arbeit mit dem Messer vertieft und schienen nicht auf das Gespräch der Erwachsenen zu achten.

Heinrichs Mutter ärgerte sich über seine Bemerkung und schnitt absichtsvoll ein Thema an, das ihn reizen würde. Sie wandte sich wieder an Bodil. „Deine Namensvetterin, die dänische Königin Bodil, ist nicht nur eine sehr schöne, sondern auch eine äußerst wagemutige Frau. Sie wird zusammen mit ihrem Mann Erik den Kreuzzug ins Heilige Land unternehmen.“

Heinrich sah seine Mutter stirnrunzelnd an. Warum spielte sie schon wieder auf Königin Bodil an, in die er seinerzeit verliebt gewesen war?

„Vielleicht bringt Erik neue, bessere Waffen aus dem Heiligen Land mit. Damaszenerklingen sollen fast unzerbrechlich sein“, kam ihm Tycho Draa zu Hilfe.

Die beiden Männer vertieften sich in eine Erörterung neuer Rüstungen und neuer fränkischer Helme, deren Visier hochklappbar war, als Sventipolk unvermutet bemerkte: „Ich bin auch froh über meine neue Mutter.“

Sein Bruder Mstivoj hielt inne, aber niemand achtete darauf. Heinrichs starrte ins Feuer. Er erinnerte sich an die Erzählungen der Kaufleute von der Eroberung Jerusalems.

Während in Bardowik, am Hof des sächsischen Herzogs, fröhliche Feste und Turniere veranstaltet wurden und während man hier in Lübece die Hochzeit des Fürstenpaares zelebrierte, erstürmten im Heiligen Land die Kreuzfahrer Jerusalem und nahmen die Stadt in Besitz.

Heinrich empfand neuerdings Scham, wenn er daran dachte, dass er bei diesem wichtigen Ereignis nicht dabei gewesen war. „Vielleicht hätte ich doch ins Heilige Land ziehen sollen wie mein Brudersohn Pribislav. Er hat der Christenheit einen echten Dienst erwiesen. Wie es ihm wohl geht? Ob er überhaupt noch lebt?“

Plötzlich stießen beide Jungen wütende Schreie aus, wie aus dem Nichts entstand ein Aufruhr: Mstivoj und Sventipolk brüllten und heulten, Thorben sprach vergeblich auf sie ein, Mstivoj wies eine blutende Wunde am Unterarm vor, Bodil versuchte, die Jungen zu beruhigen, Sigrid schlug auf die Armlehnen ihres Stuhls, aber still wurde es erst, als Heinrich aufsprang.

„Ruhe! Was war los?“

„Svenni hat mich mit seinem Messer gestochen!“

„Gar nicht wahr, du lügst!“

Heinrich hielt Mstivojs verletzten Arm hoch. „Hat er sich selbst gestochen? Am rechten Arm? Wer lügt hier?“

„Stivi hat meine Figur kaputt gemacht!“

„Nee, die ist dir beim Schnitzen zerbrochen, Svenni“, stellte Thorben fest.

„Er hat mich auch gestochen!“

„Schluss! Duna versorgt Stivis Wunde und bringt die beiden Streithähne ins Bett! Sventipolk, du kriegst kein Messer mehr in die Hand“, sagte Sigrid energisch, und Heinrich wies mit strenger Miene auf die Tür.

Tycho Draa hatte die ganze Szene ruhig beobachtet und bemerkte nachdenklich: „Der Zweite ist schon öfter auf den Ersten losgegangen. Ihr solltet ein Auge auf Eure Söhne haben. Nicht, dass sich da ein Unglück anbahnt.“

„Ach was, Kinderkram“, wehrte Heinrich ab, „die vertragen sich auch wieder.“ Er nahm das Gespräch über Waffen und Rüstungen erneut auf.

Tycho pries die Rüstung des bayerischen Herzogssohnes, die er beim Turnier in Bardowik gesehen hatte. „Die Holzstange glitt an seinem Brustpanzer ab und blieb nicht hängen wie in einem Kettenhemd!“

„Ich mag gar nicht mehr an Bardowik denken“, winkte Heinrich ab. „Dieser hochmütige Herzog Magnus und sein aufgeblasener Schwiegersohn aus Bayern!“

„Magnus sieht ihn wohl als seinen Nachfolger“, warf Sigrid ein.

„Woher weißt du das?“

„Ich habe beim Bankett in Bardowik so etwas läuten hören. Schließlich hat Magnus keinen männlichen Erben und möchte sicher, dass ein Sohn von seiner ältesten Tochter Wulfhilde und ihrem bayerischen Heinrich einmal als Herzog in Sachsen eingesetzt wird.“

Heinrich nickte. „Das ist gut möglich. Und wenn dann noch der ältere Bruder vorzeitig ums Leben kommen sollte – man weiß ja nie – dann folgt dieser unangenehme Bursche ihm nach und hat beide Herzogtümer: Sachsen und Bayern.“

Sigrid schüttelte den Kopf. „Das würde der Kaiser nicht dulden. Der Bayer wäre dann ja mächtiger als er selber.“

„Der Kaiser!“ Tycho Draa schnaubte. „Der sitzt in Italien fest und hat weniger Macht als der dänische König.“

Heinrich lachte.

„Ein Gutes hatte Bardowik aber doch“, meldete sich Bodil. „Du bist jetzt mein lieber Mann, Henrik.“

Dessen Mundwinkel sanken, er empfand ein Unbehagen bei ihren Worten. Er sah ihr zu, wie sie gleichmäßig stickte. „Sie ist fleißig“, dachte er, „und im Bett nicht unangenehm, nur leider ein bisschen zu langweilig und zu naiv, liegt immer so ergeben da. Aber ich erfülle brav meine Pflicht. Eigentlich könnte sie mal schwanger werden.“

Seine Gedanken schweiften ab zu seiner Geliebten Barbara, so dass er unwillkürlich lächelte. Seit der Hochzeit hatte er sich nur noch im Sommer ganz verstohlen außerhalb von Lübece mit ihr treffen können. Bodil hatte deutlich gemacht, dass sie von seiner Affäre mit Barbara wusste und eine Fortsetzung nicht duldete.

Heinrich hatte Barbara, die in Sigrids Haushalt ihren Dienst versah, im letzten halben Jahr so selten zu Gesicht bekommen, dass er beschloss, sie sofort aufzusuchen. Sein dringendes Bedürfnis, der trauten Familienrunde zu entfliehen, war übermächtig. Indem er nach seinem Umhang griff, erklärte er, er würde jetzt die Wache überprüfen, und verließ die Halle.

Aber Tycho Draa folgte ihm, so sah er seine Absicht durchkreuzt und begann unverfänglich über die geplante Pferdezucht zu plaudern. Ihr Weg führte sie zufällig am Haus seiner Mutter vorbei. Es lag vollkommen im Dunkeln. Aus keiner Ritze schimmerte ein Lichtstrahl. Ob Barbara schon schlief? Heinrich verwickelte die Wachleute in der Nähe in ein so langes Gespräch, dass Tycho sich schließlich verabschiedete. Heinrich stieg vom Wall hinunter und klopfte leise an die Fensterläden, hinter denen er Barbara vermutete. Endlich rührte sich etwas im Haus. Die obere Hälfte der Tür wurde geöffnet.

Barbara leuchtete mit einem Kienspan ins Dunkel, und als sie Heinrichs Gesicht erkannte, lächelte sie erfreut und zischte gleich darauf warnend: „Vorsicht, Eure Mutter!“

Begleitet von Thorben, der eine Laterne hielt, kam Sigrid näher. Hinter ihr ging – Heinrich zuckte zusammen – seine Frau Bodil. Sigrid hatte ihren Sohn schon entdeckt und zog die Augenbrauen hoch.

„Ach, da bist du, Mutter“, gab Heinrich sich erleichtert. „Gut, dass Thorben euch leuchtet. Ich wollte mich erkundigen, ob du auch sicher nach Hause gekommen bist.“

An Sigrids und Bodils Blick erkannte er, dass keine der Frauen ihm glaubte, aber er wahrte den Schein, indem er Bodils Arm nahm und sie für die umsichtige Begleitung ihrer Schwiegermutter lobte. Er sah Barbara während der Verabschiedung nicht mehr an und redete freundlich mit seiner Frau, während er sie in Gedanken verwünschte.

Auch Bodil verbarg mit höflichen Antworten ihre wahren Gefühle. Sie hatte befürchtet, dass sie ihren Mann hier finden würde. Aber nicht ihm zürnte sie, sondern diese Barbara war ihr ein Dorn im Auge. Sie wollte ihre Rivalin unbedingt loswerden, wusste allerdings auch, wie sehr ihre Schwiegermutter die Dienerin schätzte.

Aus ihrem Schlafzimmer hatte ein Feuerbecken die Kälte nur wenig vertreiben können. Bodil schmiegte sich unter den klammen Felldecken eng an ihren Mann, und der – in Gedanken noch bei Barbara – zog sie heftig an sich.

Sie deutete sein Verhalten als Liebe und murmelte kurz vor dem Einschlafen: „Henrik, du weißt, ich könnte es nicht ertragen, dich mit einer anderen Frau zu teilen.“

Er rückte ab und fragte: „Wie kommt Ihr darauf?“

„Liebst du nur mich?“

„Slawina habe ich geliebt“, dachte Heinrich und drehte sich um. „Eure Frage ist kindisch“, sagte er. „Schlaft jetzt, Bodil!“

Sein königlicher Großvater hatte mindestens sieben außereheliche Kinder. Er bezweifelte, dass nun für ihn selbst strengere Sitten gelten sollten. Schließlich war Barbara nicht verheiratet, also verletzte er nicht das sechste Gebot. Gleich darauf schlief er ein.

Bodil lag wach und starrte ins knisternde Dunkel. Sie spürte einen Druck in der Kehle, gab ihm nach und fühlte, wie die Tränen eine kalte Spur über ihre Schläfe zogen. „Ein Sohn würde ihn an mich binden“, dachte sie.

Als Heinrich am nächsten Abend wortlos nach seinem Umhang griff, sah Bodil von ihrer Näharbeit auf. „Inspizierst du wieder die Wache, Henrik?“

Heinrich stutzte. Seit wann interessierte sich seine Frau für militärische Aufgaben? „Für einen Abendspaziergang dürfte es Euch zu kühl sein, werte Bodil. Bleibt lieber hier in der warmen Halle.“ Damit schloss er die Tür.

Bodil konnte die Tränen nicht zurückhalten, und Sigrid sah sie besorgt an. „Du bist so empfindlich, liebe Schwiegertochter. Bist du vielleicht guter Hoffnung?“

Bodil zog die Schultern hoch und weinte stärker, worauf Sigrid den Arm um sie legte. „Das wäre doch schön. Warum weinst du?“

Die junge Frau mochte ihren Verdacht nicht äußern, denn sie befürchtete, sich lächerlich zu machen. Heinrich hatte sie kindisch genannt. Vielleicht dachte seine Mutter ebenso.

Er verlor diesmal keine Zeit und begab sich schnurstracks zum Haus seiner Mutter. Barbara hatte schon auf ihn gewartet. Auf sein leises Klopfen öffnete sie sofort die Tür und zog ihn in die dunkle Küche.

Bevor er eine Stunde später ging, umschlang sie seinen Hals und flüsterte: „Herr Heinrich, ich erwarte ein Kind von Euch. Im Mai ist es so weit.“

Er umarmte sie, legte die Hand auf ihren Bauch und sagte zärtlich: „Wie schön! Ich freue mich so, Barbara, und ich werde gut für diese Tochter sorgen, das verspreche ich dir.“

„Wieso Tochter?“, flüsterte Barbara.

„Ich hätte so gern eine Tochter. Meine Söhne sind schrecklich!“ Bevor seine Mutter oder Bodil ihn wieder in einer verfänglichen Situation überraschen konnten, verschwand er im Dunkeln.

Sigrid eröffnete ihm kurz darauf, dass sie Bodil für schwanger hielt.

„Warum sagt sie es mir nicht selbst?“, fragte er konsterniert.

„Sie ist ja so jung und unerfahren, womöglich weiß sie es noch nicht sicher.“

„Und woher willst du es wissen?“

„Nun, ihre Stimmungen wechseln häufig. Sie weint und seufzt und hat Ringe unter den Augen.“

„Das kann auch andere Gründe haben“, sagte Heinrich ohne einen Anflug von schlechtem Gewissen.

Aber seine Mutter reagierte scharf. „Ich hoffe, du selbst gibst ihr keinen Grund!“

Er machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Mutter, falls du recht hast, wird dein dringlicher Wunsch nach einem weiteren Enkel wohl bald erfüllt.“

Sigrid nickte, sie sah unternehmungslustig aus. „Ich werde mit Bodil einen Spaziergang machen. Das wird ihr guttun.“

Abends im Bett wagte Bodil einen Vorwurf: „Henrik, du hast mir die Treue geschworen.“

„Ja, sicher, ich bin Euch ja auch treu“, und als sie auffuhr, „oder habe ich Euch verlassen oder Euch verstoßen?“

Bodil brach in Tränen aus. „Du weißt, was ich meine.“

Heinrich hatte das Gefühl, er müsse jetzt ein für alle Mal klare Verhältnisse schaffen. Er hielt seine Frau an den Schultern und sagte eindringlich: „Bodil, Ihr seid noch sehr jung. Ich habe schon einige Jahre mehr auf dem Buckel und mehr Lebenserfahrung. Daher hört mir jetzt gut zu! Eine Ehefrau, die dauernd heult, treibt ihren Mann aus dem Haus.

Ich habe Euch ein Eheversprechen gegeben und damit ist es gut. Ihr könnt nicht ständig Treueschwüre und Liebeserklärungen von mir verlangen. Ich bin kein junger Troubadour, falls Ihr solche romantischen Erwartungen hattet. Eure Aufgabe ist es, gesunde Kinder zu bekommen, in erster Linie Söhne. Wie steht es damit? Seid Ihr schwanger?“

Bodil nickte stumm. Heinrichs herzlose Ansage hatte ihr die Sprache verschlagen.

„Das freut mich. Dann schont Euch, damit dem Kind nichts passiert.“ Damit tätschelte er ihre Schulter, drehte sich um und atmete bald tief und regelmäßig.

Bodil lag wieder wach und dachte nach. Offensichtlich hatte sie in seinen Augen nur als Mutter seiner Kinder eine Bedeutung. Falls sie so alt werden sollte wie ihre Schwiegermutter und nicht vorzeitig im Kindbett starb, wäre sie später vielleicht ebenso wie Sigrid für die Enkel zuständig. Unabhängig von diesen Aufgaben schien sie als Person unwichtig zu sein.

„Romantische Erwartungen“, wie er es genannt hatte, waren unerwünscht. Also brauchte sie nicht auf seine Zuneigung zu hoffen. Sie war nicht seine Herzensdame. Auf ihre liebevollen Gefühle ihm gegenüber legte er keinen Wert. Was blieb ihr übrig? Sie konnte ihre Kinder umsorgen und vielleicht lieben.

Allerdings war sie und nicht ihre Schwiegermutter die Fürstin im Abodritenland und sie musste ihre Stellung wahrnehmen und entsprechend geachtet werden. Sie war nicht ohne Macht und musste sich nicht durch eine Nebenfrau demütigen lassen! Bodil grübelte lange, wie sie Barbara bekämpfen, beseitigen, vernichten könnte. Schließlich wurde ihr schlecht und sie schlich frierend und zitternd vor die Tür, wo sie sich in einen Kübel erbrach.

Als sie wieder im Bett lag, wanderten ihre Gedanken zurück. Sie dachte an ihr Elternhaus in Dänemark und schob dann die Erinnerung entschlossen weg. Der Weg dorthin war ihr versperrt. Sie musste hier zurechtkommen und sie war hier allein. Ob sie von ihrer Schwiegermutter Unterstützung bekäme, wenn sie darum bitten würde? Sigrid gegen ihren Sohn?

Bodil wälzte sich hin und her, ein Krampf zog ihre Eingeweide zusammen. Durch die Unruhe wachte Heinrich kurz auf, er klopfte ihr beruhigend auf den Arm und schlief weiter.

„Ich brauche eine Vertraute“, dachte sie. „Ich werde um eine Dame aus Dänemark bitten.“ Mit diesem Gedanken schlief sie auch endlich ein.

Einige Tage später verlangte Bodil kühl und bestimmt eine Dame aus Dänemark. Heinrich fiel zum ersten Mal auf, dass sie ihn nicht mehr vertraulich mit „du“ ansprach, sondern wie er das förmliche „Ihr“ verwendete.

„Sie wird erwachsen“, dachte er erfreut. „Nicht dauernd dieses Betteln um Treue und verliebtes Getue, dieses alberne Beschwören von einer Herzensvertrautheit, die gar nicht vorhanden ist.“ Erleichtert besprach er mit Tycho Draa die Pläne für das Frühjahr.

Kapitel 49Jerusalem

Als die Tage wieder länger wurden, wich ganz allmählich die stille Bedrückung, die im Winter auf den Menschen gelastet hatte.

Nur Bodil erholte sich nicht von der tiefen Enttäuschung über ihre Ehe. Ernst saß sie jeden Tag an Näharbeiten; der Schwerpunkt lag nicht mehr auf dem kunstvollen Besticken ihrer Gewänder, sondern auf der Herstellung von Babywäsche. Heinrich war froh, dass sie ihn nun in Ruhe ließ. Alle Zärtlichkeit und Fürsorge, deren er fähig war, schenkte er Barbara bei ihren heimlichen Zusammenkünften. Bodil sah nichts davon, aber sie ahnte es und fasste einen finsteren Plan nach dem anderen.

An einem sonnigen Märztag meldeten die Wächter einen Ritter, der sich Lübece näherte. Heinrich stieg auf den Wall, um ihn in Augenschein zu nehmen. Der fremde Ritter trug keine Farben, sein eisenbeschlagenes Wams war matt und staubig. Als er vor dem Tor den Helm abnahm, wusste Heinrich, wen er vor sich hatte: Pribislav, den Sohn seines Halbbruders Butue. Pribislav hatte sich vier Jahre zuvor verabschiedet, um an dem Kreuzzug ins Heilige Land teilzunehmen.

„Pribislav, lieber Brudersohn!“, rief er erfreut und ging ihm entgegen. Der Ritter stieg schwerfällig ab und begrüßte ihn mit einem müden Lächeln. „Seit unserem letzten Zusammentreffen ist einige Zeit vergangen, ich bin froh, wieder hier zu sein.“

Pribislav sah ihn so bewegt an, dass Heinrich erschrak. Wie war der junge Mann gealtert! Seine Augen waren umschattet, scharfe Furchen durchzogen seine Wangen, die Haut war braun und rissig. Seine vormals große, kräftige Gestalt war mager geworden, er schien äußerst erschöpft.

Heinrich veranlasste die Versorgung von Reiter und Pferd. Er ließ für Pribislav sofort Wein und Brot in die Halle bringen. Duna musste Badewasser erhitzen und frische Kleider bereitlegen. Beim Essen fragte Heinrich nur wenig, als er bemerkte, wie mühsam sich Pribislav aufrecht hielt.

Tycho Draa bot an, den Ritter in seinem Haus unterzubringen, und obwohl noch heller Tag war, fiel Pribislav nach seinem Bad in einen tiefen Schlaf. Heinrich berichtete den Damen von dem Besuch des Kreuzritters, und obwohl sie sehr gespannt waren auf seinen Bericht, mussten sie sich bis zum nächsten Tag gedulden.

Nachdem er sich etwas erholt hatte, war Pribislavs Haltung straffer, und er begrüßte die Damen charmant mit einem Handkuss. Bodil starrte ihn fasziniert an. Sie war gefesselt vom Ausdruck seiner blauen Augen, die einen starken Kontrast zu dem dunklen Teint bildeten. Sein sonnenverbranntes Gesicht verzog sich beim Lächeln in tausend Falten und wirkte wie zerknittert.

Während des Essens erzählte Pribislav von seinem langen Rückweg aus dem Orient, von der gefährlichen Schiffsreise und vom beschwerlichen Ritt durch das winterliche Land. Es wurde lebhaft gefragt und erzählt, aber Heinrich fiel auf, dass der Gast dem Thema „Kreuzzug“ auswich.

Bodil beteiligte sich kaum am Gespräch, sie beobachtete Pribislavs Hände, wie er damit beim Reden gestikulierte, wie er den Fisch zerteilte, wie er nervös das Brot zerbröselte, sich durch die kurzen Haare fuhr und seine Hände auf den Knien rieb.

Heinrich hatte überrascht festgestellt, dass Pribislav sich nach seinem Bad den Bart abrasiert hatte.

„Ist es nicht mühsam, sich ständig den Bart abzuschaben?“, fragte er direkt, und Pribislav antwortete ernsthaft: „Man gewöhnt sich daran. Im Süden bevorzugen die meisten Männer das glatte Kinn, und die Damen bevorzugen es auch.“

Sigrid lachte, Bodils Blick fiel unwillkürlich auf seinen Mund und sie errötete heftig.

„Möchtet Ihr noch etwas Fleisch?“, fragte Niklot, der mit einer Platte hinter ihr stand. Bodil sah nur kurz auf den Braten und ihr Magen verkrampfte sich. Sie verließ eilig die Halle, man hörte sie draußen würgen.

„Meine Gemahlin ist guter Hoffnung“, sagte Heinrich ungerührt, während er Niklot heranwinkte und sich bediente. Pribislavs Glückwunsch nahm er mit einem Nicken entgegen.

Später lud Heinrich seinen Gast zu einem Rundgang durch Lübece ein. Voller Stolz führte er seine Stadt vor und freute sich, dass die Leute ihn überall freundlich und respektvoll begrüßten. „Was sagst du zu unseren Befestigungsanlagen?“

Pribislav wollte nicht unhöflich sein. „Gut, dass ihr sie habt. Es ist auch richtig, die nördliche Siedlung mit einem weiteren Wall zu umgeben. Aber was ist mit der Siedlung der Kaufleute drüben?“ Er zeigte über den Fluss.

„Das ist ein wunder Punkt. Die Kaufleute sind ungeschützt. Dort haben wir nur Sperren für Schiffe, falls die Ranen uns angreifen. Aber vermutlich würden sie ihren Angriff gegen die Burg richten.“

„Du meinst euer Haus?“

„Nun ja, die ganze Stadt ist eigentlich eine Burg.“

„Ach so, eine Burg!“

„Gehen wir in die Kirche. Sie ist aus Stein und kann einem Teil der Bewohner als Zuflucht dienen.“

Pribislav sagte gar nichts mehr. Sie betraten die kleine Kirche. Das Licht fiel nur durch hohe, schmale Fenster ein. Pribislav sah zur Holzdecke hoch und dann auf den schlichten Steinaltar.

„Dort hat meine Familie Schutz gefunden, als wir bei der Taufe der Zwillinge von Bogenschützen angegriffen wurden. Seitdem haben wir selber Bogenschützen“, berichtete Heinrich, der seinem Blick gefolgt war.

Pribislav atmete hörbar ein und sagte mit einem Seufzer: „Lasst uns für Gottes Schutz beten. Ich muss ihm danken für meine glückliche Heimkehr.“ Dann ging er zum Altar, ließ sich auf ein Knie nieder und murmelte vor sich hin.

Heinrich folgte ihm, dabei fiel sein Blick auf Slawinas Grabplatte und er sprach ein Gebet für ihr Seelenheil.

Nach einiger Zeit erwartete er, dass Pribislav sich erheben würde, aber dessen Kopf sank immer tiefer, er fiel schließlich mit dem ganzen Oberkörper auf die Altarstufen, murmelte inbrünstig und begann schließlich zu schluchzen.

Heinrich war erschrocken. Er zog seinen Neffen vorsichtig hoch und versuchte ihn zu beruhigen. Pribislav saß erschöpft auf einer Altarstufe. „Er sieht furchtbar mitgenommen aus“, dachte Heinrich und fragte: „Was liegt dir auf der Seele?“

„Es sind die Erinnerungen“, murmelte Pribislav. „Ich habe seit dem Kreuzzug schreckliche Bilder vor Augen, die mich verfolgen.“

„Ihr habt den Tod von Glaubensbrüdern und vielleicht Freunden miterlebt“, vermutete Heinrich.

„Das auch, und es war schwer genug, aber es gab noch weit Schlimmeres.“ Damit schwieg sein Neffe und auch auf Nachfragen sagte er nichts mehr.

„Komm, wir setzen unsere Inspektion zu Pferde fort!“, schlug Heinrich schließlich vor.

„Es ist eine guter Vorschlag, an die frische Luft zu gehen“, meinte Pribislav höflich. „Es wäre mir aber noch lieber, wenn wir eine Bootsfahrt auf der Trave unternehmen könnten. Ich entferne mich nach meinen Erfahrungen ungern weit vom Wasser.“

Er erhob sich, und auf dem Weg zum Ufer schilderte er, wie sehr sie in der Hitze Durst gelitten hatten, wie das Gehirn unter dem Helm zu kochen schien und wie manche Männer durch diese Qualen den Verstand verloren hatten.

Es war nun an Heinrich, zu schweigen.

Auf der Trave glitten sie, gerudert von Heinrichs Männern, schnell dahin. Der frische Wind und die gleichförmige, grüne Uferkulisse glätteten Pribislavs aufgewühltes Gemüt. An der Mündung des Flusses Wakenitz in die Trave wies er auf einen Hügel: „Dort wäre auch ein guter Ort für die Anlage einer Burg. Ich habe auf dem Weg zu euch gesehen, dass er auf einer Art Halbinsel liegt, die durch die Flüsse gebildet wird. Eine noch größere Stadt als Lübece hätte Platz und könnte gut befestigt und verteidigt werden. Der Hügel eignet sich für eine Burg.“

Heinrich nickte. „Der Ort nennt sich Bucu. Dort war schon eine Burg, aber sie ist verfallen. Ich habe Bucu als ein schlammiges, stinkendes Dorf in Erinnerung, das von Schurken bewohnt wird.“ Und auf Pribislavs überraschten Blick: „Die Burg gehörte dem Fürsten Kruto, meinem Todfeind. Ich habe diesen Ort gemieden.“

„Aber Bucu liegt sehr nah bei Lübece. Willst du es nicht unter deine Obhut nehmen?“

„Der Gedanke ist zu überlegen.“ Damit schwiegen sie für den Rest der Bootsfahrt.

Heinrich gingen Pribislavs Andeutungen über die Kreuzritter nicht aus dem Sinn, denn er hatte sich die Kreuzfahrer als fromme, untadelige Gotteskrieger und heldenhafte Ritter vorgestellt. Unter vier Augen sprach er ihn noch einmal darauf an.

Pribislav anwortete ernst: „Wir Kreuzritter mögen zum größten Teil im tiefen Glauben aufgebrochen sein, der Christenheit zu dienen. Manche haben allerdings von Anfang an nur an die Reichtümer des Orients gedacht, wie man jetzt in den neugegründeten christlichen Ländern dort sehen kann, wo sie sich gut eingerichtet haben.“ Er winkte ab und fuhr nach einer Pause fort: „Aber was mich so verstört hat, war die Verwandlung der frommen Männer in gottlose Berserker, die ohne Mitleid über die Menschen in Jerusalem herfielen.“

„Doch die Eroberung von Jerusalem war eine große Tat.“

„So? Eine große Tat?“ Pribislav sah ihn lange an und zeigte auf seinen Knöchel. „Bis hierhin stand ich im Blut, bis hierhin!“

„So viele Feinde habt ihr erschlagen?“

„Feinde? Frauen und Kinder, Männer – mit und ohne Waffen, Muslime, Juden und Christen, alles, was uns vor die Waffen kam, haben wir niedergemacht bei unserer glorreichen Eroberung der heiligen Stadt Jerusalem.“

„Auch Christen?“ Heinrich war entsetzt.

„Glaubst du, wenn man einmal dabei ist, fragt man noch groß nach der Religion? Da ist alles eins. Und alle haben rotes Blut.“

Beide schwiegen. „Ich bin geflohen“, sagte Pribislav schließlich. „Aber den Bildern konnte ich nicht entkommen und meinem bösen Gewissen auch nicht.“

„Ich brauche mich wohl doch nicht zu schämen, dass ich nicht dabei war“, dachte Heinrich, fragte aber zur Sicherheit noch einmal nach: „Du glaubst also nicht, dass ihr mit dem Kreuzzug der ganzen Christenheit einen Dienst erwiesen habt?“

Pribislav schnaubte. „Hat es sich so angehört, als wenn ich stolz wäre auf meine Taten? Nein, wir haben Gott und den Menschen keinen Dienst erwiesen“, sagte er dann ernst. Beide sahen vor sich hin und schwiegen wieder.

Schließlich blickte Pribislav ihn direkt an und fragte: „Kannst du meine Dienste hier in Lübece gebrauchen, Heinrich?“

Dieser umarmte ihn erleichtert. „Natürlich, Pribislav, ein so erfahrener Ritter ist mir sehr willkommen! Du kannst so lange hier bleiben, wie du willst.“

„Gut.“ Pribislavs Gesicht verzog sich wieder faltenreich, als er lächelte. „Ich danke dir. Wollen wir jetzt über die Befestigungen rund um deine Stadt noch einmal ausführlicher sprechen?“

Heinrich nahm das Angebot freudig an.

Auch beim gemeinsamen Essen wollte er noch das Gespräch über die Wallanlagen fortsetzen, aber Pribislav wandte sich an Sigrid und Bodil und bemerkte: „Die Damen langweilen sich sicher schon. Wie bekommt Euch das kühle Wetter?“

Sigrid lachte und entgegnete: „Das Wetter ist eigentlich fast immer kühl, besonders für jemanden, der gerade aus dem Süden kommt. Aber wir sind es gewohnt. Die Befestigungsanlagen der Stadt interessieren mich dagegen sehr, denn es geht um unseren Schutz. Wenn du Beobachtungen gemacht hast, die uns nützen können, lass es nur hören.“

„Ihr lacht mich aus!“, sagte Pribislav mit gespielter Bestürzung.

„Oh, davon bin ich weit entfernt, nein, es ist ein ernstes Thema. Ich habe seinerzeit erfahren müssen, welche Folgen es hat, wenn die Befestigung nicht ausreicht.“ Und es folgte der Bericht von ihrer Flucht aus der Mikilinburg.

Heinrich sah überrascht, wie lebhaft seine Mutter erzählte, wie sie, die ihm oftmals sauertöpfisch vorkam, mit dem neuen Mitglied der Familien scherzte. Sie hatte rote Flecken am Hals, ihre Augen sprühten. Und Bodil? Sie war stumm in den Anblick des Gastes versunken. „Bodil, wie befindet Ihr Euch heute?“, fragte er höflich und erhielt erst, nachdem er seine Frage wiederholt hatte, eine flüchtige Antwort.

Bodil war durch Pribislavs Erscheinen abgelenkt worden von ihren düsteren Plänen für Barbaras Zukunft, aber als nach dem Essen Sigrids Dienerin erschien, um ihrer Herrin einen Umhang zu bringen, überfiel der Missmut sie erneut und verstärkte sich noch, als sie sah, wie Heinrich aufblickte und einen vertraulichen Blick mit Barbara tauschte, und sie zwinkerte sogar.

„Was fällt ihr ein!“, dachte Bodil empört.

Als Barbara den Umhang auf einen Stuhl legte, sah Bodil deutlich den gewölbten Bauch ihrer Rivalin. Ihr wurde übel vor Ärger. Dieses Weib würde Heinrichs Bastard noch vor ihrem eigenen Kind zur Welt bringen!

An Sigrids Umhang blinkte eine große, goldene Fibel, die mit Edelsteinen besetzt war. Bodil kam die Idee, diese Fibel an sich zu bringen und in Barbaras Sachen zu schmuggeln, um sie als Diebin vorzuführen. Dann müsste Heinrich sie verbannen. Mindestens. Und dann würde er sich endlich auf seine Frau konzentrieren. Ach, wenn er doch so freundlich und einfühlsam wie sein Neffe wäre! Sie lächelte Pribislav an und der bemerkte liebenswürdig: „Was Ihr für schöne, feste Zähne habt, Frau Bodil! Darauf könnt Ihr stolz sein. Und noch alle vollständig! Ihr könnt euch nicht vorstellen...“ Darauf begann er eine weitere Geschichte von seiner Reise zu erzählen.

Kapitel 50Zwei Kinder

Im Mai hatte Barbara mit Sigrids und Dunas Hilfe ein Mädchen geboren, und Heinrich hatte es voller Stolz in der Halle präsentiert: „Das ist meine Tochter Ingegerd. Es soll ihr an nichts fehlen.“

„Er greift hoch“, dachte Bodil, „ein Name wie für eine Königstochter.“

„Zum Glück ein Mädchen“, dachte Sigrid, „die stellt für Henriks Söhne keine Gefahr dar. Hoffentlich bekommt seine Frau einen Sohn.“

„Wie bist du auf den Namen gekommen?“, fragte Barbara eines Abends, während sie ihre Tochter beim Trinken beobachtete. Heinrich saß auf der Bettkante und freute sich über das gesunde Aussehen des Neugeborenen.

„Ich kenne den Namen aus meiner Familie“, sagte er. „So heißt die Witwe meines Onkels Olaf und gleichfalls die Tochter meines Onkels Knud. Knud ist der dänische König, der im Jahr 1086 ermordet wurde.“

„Oh!“ Barbara sah auf.

Heinrich seufzte. „Das kommt leider in meiner Familie häufiger vor.“

Barbara drückte ihre Tochter unwillkürlich enger an sich.

„Keine Sorge, hier sind wir weit entfernt von solchen Machtkämpfen. Ingegerd ist hier in Sicherheit.“

„Und was wurde aus der kleinen Prinzessin, als ihr Vater tot war?“, fragte Barbara beklommen.

„Ihr geht es sicher gut. Sie wurde zusammen mit ihrer Zwillingsschwester von ihrem Onkel Erik und seiner lieben Frau Bodil wie eine eigene Tochter aufgezogen, allerdings in Schweden, wo sie heute wahrscheinlich gesund und munter lebt. Vielleicht ist sie inzwischen schon verheiratet und hat eigene Kinder.“ Er zwinkerte ihr beruhigend zu.

Barbara atmete auf. „Ein Glück, sonst hätte der Name unserer Kleinen womöglich noch Unglück gebracht.“

Heinrich schüttelte den Kopf. „Das ist reiner Aberglaube. Aber ich muss jetzt gehen, sonst wird meine Gemahlin ungehalten.“ Er küsste beide und ging winkend hinaus.

Bodil lag allerdings schon, dunkle Gedanken wälzend, allein im Ehebett. Als Heinrich leise eintrat, stellte sie sich schlafend.

Während er nach einem wohligen Seufzer schnell einschlief, starrte sie ins Dunkel, lauschte dem Geraschel der Mäuse im Dach und rief sich selbstquälerisch ins Gedächtnis, wie liebevoll Heinrich seine kleine Tochter betrachtet, wie er sie und ihre Mutter reich beschenkt hatte. Da Heinrich sich so offen zu seiner Vaterschaft bekannte, blieb Bodil nichts anderes übrig, als diese Tatsache zu akzeptieren. Aber ihr Groll gegen Barbara wurde allmählich zum Hass.

Ihre Rivalin bemerkte, wie sie verstohlen fixiert wurde, wenn Bodil sich unbeobachtet glaubte, und wie sehr sie sich beherrschte, indem sie höflich blieb. Barbara dachte: „Ich darf meine Kleine nicht mit der Fürstin allein lassen, womöglich tut sie ihr etwas an.“

Im Juni plante Heinrich einen Umritt zu verschiedenen Burgen im Osten, unter anderem wollte er Carl Bagge in der Mikilinburg einen Besuch abstatten. Bodil und Pribislav sollten ihn begleiten. Aber Bodil wollte zwei Monate vor der Geburt ihres Kindes nichts riskieren und bat darum, sie in Lübece zu lassen.

„Wenn die Fürstin dich nicht begleitet, fehlt deinem Umritt eine Dame, Henrik“, bemerkte seine Mutter. „Ich könnte mit meinem feierlichen Einzug in der befreiten Mikilinburg die Schmach meiner damaligen Vertreibung wett machen.“

Heinrich überlegte und entschied schließlich: „Gut. Euer langgehegter Wunsch soll erfüllt werden, Mutter. Und Eure Dienerin Barbara kommt mit.“

Darüber ärgerte Bodil sich sehr. Aber sie legte die Hände mit demütiger Geste zusammen und sah ihren Mann von unten herauf an. „Wenn Ihr wochen- oder monatelang abwesend seid, brauche ich hier einen starken Schutz. Euer Neffe ist ein erfahrener Ritter. Er kann mit seiner Erfahrung Tycho Draa unterstützen.“

„Gerade Pribislav wollte ich die Burgen im Osten zeigen und ihn dort einführen.“

„Ach, bitte lasst ihn hier, sonst fürchte ich mich.“

Es kam nicht oft vor, dass Bodil ihn so dringlich um etwas bat. Heinrich fixierte seine Frau. Ob sie noch mehr von ihm wollte als nur Schutz? Aber sein hochschwangeres Weib würde ihn wohl kaum betrügen. Zögernd sagte er zu.

Abends besuchte Heinrich in selbstverständlicher Offenheit Barbara. Es war nun allgemein bekannt, dass er bei ihr seine kleine Tochter sehen wollte. Bodil würde sich nicht beschweren, nachdem er ihrem Wunsch entsprochen hatte.

„Wir gehen zusammen auf Reisen!“, summte er in Barbaras Haar. „Du schläfst in meinem Zelt! Das wird schön!“

„Aber Ingegerd ist noch sehr klein“, wandte Barbara vorsichtig ein. „Für sie ist so eine beschwerliche Reise nicht ungefährlich.“

„Dann lassen wir sie in Bodils Obhut zurück.“

„Nein“, sagte Barbara erschrocken. „Ich stille sie noch.“

„Wir finden bestimmt eine Amme für sie. Du kannst nicht hier bleiben, Barbara. Meine Mutter braucht dich auf der Reise. Und ich kann auch nicht auf dich verzichten.“

Barbara lenkte ein. „Dann werde ich sie wohl mitnehmen müssen.“

Aber die Reisevorbereitungen wurden unterbrochen durch den neuen Erdenbürger, der früher als erwartet erschien: Heinrichs viertes, Bodils erstes Kind, kam in einer hellen Juninacht zur Welt.

Entzückt strich Heinrich mit der Nase über die winzige Handfläche seines neugeborenen Sohnes, der bei seinen ersten Schreien die Finger zitternd spreizte und nun sofort die kleine Faust um die väterliche Nase schloss. Heinrich lachte. Er sah Bodil stolz an und befand: „Er nimmt sich energisch, was er haben will. Habt Ihr gesehen, wie fest er seine kleine Faust um alles klammert?“

„Das tun alle Babys“, sagte sie müde und schloss die Augen.

„Aber dieses Kind ist etwas Besonderes“, beharrte er. „Seht nur, die vielen Haare und wie schön er ist.“

Bodil nickte. Sie war zufrieden, aber erschöpft und schlief ein.

„Mein Sohn!“, freute er sich, ohne an die beiden ersten Söhne zu denken. Heinrich hatte die Geburt seiner Zwillinge Mstivoj und Sventipolk nicht miterlebt und sie erst gesehen, als sie schon einen Monat alt waren. Selbst Ingegerd hatte sein Herz nicht so gerührt wie dieses Kind. Als Duna den Kleinen wickeln wollte, mochte er ihn nicht hergeben.

„Ihm ist kalt, Herr“, sagte Duna drängend, und Heinrich überließ ihn ihr widerwillig.

„Welchen Namen geben wir ihm?“

Bodil wachte wieder auf und blinzelte. „Waldemar!“, sagte sie.

„Ja, das ist ein guter, dänischer Name. Ich bin einverstanden.“

Heinrich hob das frisch gewickelte Kind hoch und zeigte es den winkenden und rufenden Stadtbewohnern, die sich vor dem Haus versammelt hatten. „Das ist mein neugeborener Sohn Waldemar!“, rief er. „Er hat eine große Zukunft!“

Und die Menge jubelte. Ja, auf ihrem zeugungsstarken Herrn lag das Heil. Heinrich bekräftigte sein ohnehin gutes Ansehen in der Bevölkerung, indem er von der Treppe seines Hauses aus Münzen unter das Volk warf.

Schon einen Tag später taufte er seine Kinder Waldemar und Ingegerd eigenhändig in der Kirche von Lübece. Wegen der bevorstehenden Reise wurde nur eine kleine Feier abgehalten.

„Ich weiß nicht so recht, ob die Taufe gilt“, merkte Sigrid leise an. „Schließlich bist du kein geweihter Priester, Henrik.“

„Wir haben eine Kirche, wir haben eine Bibel, wir haben einen Taufstein und ich bin der Fürst. Meine beiden anderen Söhne habe ich auch selbst getauft! Gottes Segen ruht auf dir, mein Sohn“, sagte Heinrich und legte ihm die Hand auf den Kopf.

Bisher war es Bodil nicht geglückt, ihrer Rivalin wie geplant, einen Diebstahl anzuhängen. Nun musste sie wieder einige Zeit damit warten. Zum Glück konnte Heinrich sich von seinem kleinen Sohn nicht losreißen und blieb länger in Lübece als geplant.

Die Zwillinge betrachteten erstaunt aus der Ferne, wie der neue Bruder vom Vater mit zärtlicher Liebe überschüttet wurde und empfanden dabei eher Neid und Sorge als Freude. Aber Bodil freute sich über Heinrichs starke Gefühle für seinen Sohn, gewann sie doch als dessen Mutter auch mehr an Bedeutung. Sie war zwar beschäftigt, vergaß aber ihre Rachepläne nicht.

Als Heinrich sich, von Sigrid gedrängt, endlich zum Aufbruch nach Osten entschloss, verließ Bodil ihr Wöchnerinnenlager und gab vor, helfen zu wollen. Im Durcheinander der Vorbereitungen auf die Reise gelang es ihr endlich, die kostbare Mantelschließe ihrer Schwiegermutter in Barbaras Truhe zu verstecken. Am Morgen des Aufbruchs fand Sigrid ihre Mantelschließe nicht.

„Ihr könnt vielleicht eine andere nehmen, wir suchen das schöne Stück in Ruhe, wenn wir zurück sind“, schlug Barbara vor.

„Nein!“, rief Sigrid aufgebracht. „Wenn ich in die Mikilinburg zurückkehre, will ich dieses schöne Stück, wie du sagst, tragen. Da reicht eine schlichte Mantelschließe nicht.“

Also begann eine hektische Suche, bei der Bodil schließlich auch auf Barbaras Truhe wies, in der sich der edle Schmuck wie erwartet fand.

Barbara wurde blass. „Ich weiß überhaupt nicht, wie das in meine Truhe gelangen konnte.“ Zwar hatte sie eine Ahnung, konnte ihren Verdacht gegen die Fürstin aber nicht äußern, obwohl sie bemerkte, dass Bodil nicht überrascht aussah, sondern zufrieden wirkte.

Sigrid war entsetzt und zunächst sprachlos. „Das hätte ich nie von dir erwartet. Ich habe dir vertraut“, sagte sie schließlich, und Barbara brach in Tränen aus. Sie ahnte, was auf sie zukam.

Heinrich war bestürzt, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie von zwei Wächtern festsetzen zu lassen.

Da es kein Verlies gab, wurde sie in den Rübenkeller gesperrt, wo sie weinend auf den erdigen Rüben hockte, die jetzt, ein Dreivierteljahr nach der Ernte, schon allmählich verfaulten. Ihre Hände wurden schmutzig und als sie sich die Tränen abwischte, sah sie schwarz verschmiert aus.

Heinrich verschob wieder einmal die Abreise und berief seine adligen Gefolgsleute zu einer Gerichtssitzung in der Halle ein. Es war allen bekannt, dass der Fürst hier über seine Geliebte urteilen musste, und entsprechend gespannt warteten die Zuhörer auf die Verhandlung. Nervös saß er am Kopfende der Halle, vor sich einen freien Raum. Seitlich von ihm hatte seine Mutter ihren Platz. Obwohl sie die Klägerin war, sprach sie kein Wort, immer noch erschüttert vom vermeintlichen Vertrauensbruch ihrer Dienerin.

Als Barbara – schmutzig, erdverschmiert und umgeben vom Geruch der angefaulten Rüben – hereinkam, krampfte sich Heinrichs Herz zusammen. Dieses Bild des Jammers stieß ihn ab und weckte gleichzeitig sein Mitleid.

Er zeigte den Versammelten die Mantelschließe und wandte sich an Barbara: „Diese Fibel deiner Herrin fand sich in deiner Truhe. Was hast du dazu zu sagen?“

Hilflos zog sie die Schultern hoch und wiederholte, dass sie nicht die geringste Ahnung habe, wie das Schmuckstück in ihre Truhe gelangen konnte.

„Ich frage dich: Hast du sie gestohlen?“

„Nein!“, rief Barbara gequält. „Ich würde meine Herrin niemals bestehlen.“

„Die Tatsachen sprechen gegen dich“, mischte sich Tycho ein.

Barbara schluckte. „Ich habe sie nicht genommen. Das schwöre ich bei Gott.“

Heinrich sah sie ratlos an. „Also?“ Er kehrte die Handflächen nach außen. „Wie willst du diese Sache erklären?“

„Vielleicht hat jemand die Fibel in meine Truhe gelegt“, sagte Barbara leise.

„Wer sollte das gewesen sein? Wer hat Zugang zu dieser Truhe?“, fragte er. Der Verdacht, den Barbara hier andeutete, war ungeheuerlich und konnte nicht geduldet werden.

Die Beschuldigte schwieg. Sie wusste, dass sie gegen Bodil keine Chance hatte, selbst, wenn ihr Verdacht berechtigt war.

„Da hilft nur ein Gottesurteil. Wir machen die Wasserprobe“, behauptete einer der Gefolgsmänner.

Heinrich fixierte ihn unwillig. Wer machte hier ungefragt Vorschläge? Es war der Holste Gero, der sich offenbar mit kirchlichen Methoden zur Urteilsfindung auskannte. Weil die Wasserprobe einem Todesurteil gleich kam, Heinrich aber die Mutter seines Kindes nicht umbringen wollte, winkte er ab.

Da kam ihm Pribislav zu Hilfe: „Ein sogenanntes Gottesurteil ist in meinen Augen Scharlatanerie, denn es hilft einem Unschuldigen niemals, sondern hat immer seinen Tod zur Folge. Die Wahrheit kommt dadurch nicht ans Licht.“

Gero wollte etwas einwenden, aber Heinrich wehrte ihn ab: „Ich muss dir Recht geben, Pribislav. Die Wasserprobe trifft auch die Unschuldigen. Zwar erscheint der Diebstahl wahrscheinlich, ist aber nicht beweisbar. Und wenn die Schuld nicht eindeutig feststeht, kann auch nicht die härteste Strafe für Diebstahl angewandt werden.“ Er hörte das Raunen der Zuhörer und sah Barbara an.

„Die Beschuldigte wird verbannt. Sie muss Lübece heute noch verlassen.“

Barbara senkte den Kopf und weinte. „Was geschieht nun mit meinem Kind?“

Heinrich presste die Lippen zusammen. Dann sagte er: „Dein Kind bleibt hier. Dafür wird gesorgt werden.“ Barbara sank mit einem Jammerlaut zu Boden. „Steh auf und pack dein Bündel!“

Heinrich unterdrückte den Impuls, ihr die Hand zu reichen, stattdessen winkte er den Wächtern, die sie hochzogen und aus der Halle führten. Dann schloss er die Versammlung und stieg schweren Herzens in seine Wohnräume hinauf.

Der kleine Waldemar lag schlafend in seiner Wiege. Sein Sohn! Aber an diesem Tag konnte ihm der Anblick des Kindes nicht den erhofften Seelenfrieden geben.

„Wie lautet das Urteil?“, fragte Bodil ohne Umschweife.

„Barbara wird verbannt“, antwortete Heinrich knapp, indem er sich aufrichtete und Bodil argwöhnisch ansah.

Aber sie erwiderte seinen Blick ganz unbefangen. „Und ihren Bastard nimmt sie mit?“

„Ihr Bastard, wie Ihr Ingegerd zu nennen beliebt, bleibt hier. Sie ist meine Tochter und wird entsprechend versorgt.“

„So ein kleines Kind gehört zur Mutter!“

„Schön, dass Ihr an ihr Wohlergehen denkt. Ingegerd wird von einer Amme aufgezogen werden.“

Bodil war einerseits erleichtert, andererseits aber wütend, das Kind seiner Geliebten nicht endgültig losgeworden zu sein. Sie merkte, dass Heinrich auf einen versöhnlichen Satz von ihr wartete, aber sie war dazu nicht bereit.

Er vermutete, dass bei dieser Affäre Bodils Hand im Spiel war. Niemand außer ihr hatte ein Interesse daran, Barbara zu schaden. Barbaras Reaktion auf den Diebstahlsvorwurf hatte Heinrich von ihrer Unschuld überzeugt, und ihn plagte ein schlechtes Gewissen. Daher ging er wortlos wieder hinaus und beauftragte seinen Knappen Bror, Barbara nachzureiten, um sie mit Kleidern, Decken, Proviant und einem Beutel voller kostbarer Armreifen zu versorgen.

Barbara hatte schon die Trave überquert, als Bror sie einholte. Er übermittelte ihr auch Heinrichs Nachricht, sie solle nach Susle zurückgehen, er werde den Burgvogt Nils Brahe bitten, sie gut aufzunehmen. Ihre Tochter würde er Björns Frau Stine anvertrauen, die im April einen Sohn bekommen hatte und ihn auch noch stillte.

Etwas beruhigt kehrte Barbara um. Bror richtete Heinrich ihren Dank aus und ihren Wunsch, ihn in Susle bald wiederzusehen. Bei Brors letzten Worten fühlte Heinrich, wie ihm heiß wurde. Aber er schämte sich seiner Gefühle und gab mit lauter Stimme Anweisungen für den endgültigen Aufbruch am folgenden Tag.

„Ach, ich habe noch etwas vergessen, Herr...“, fiel Bror ein.

„So, was denn?“

„Barbara sagte noch: Ich bitte deinen Herrn flehentlich, auf Ingegerd Acht zu geben und sie vor allen Gefahren zu bewahren.“

„Was befürchtet sie?“, fragte sich Heinrich. Er schüttelte den Kopf und tröstete sich mit dem Gedanken, dass Stines Mann Björn ein erprobter Kämpfer war und die kleine Ingegerd beschützen würde. Viel schwieriger war die Frage, ob seine Söhne und seine Frau Bodil in Lübece sicher waren, während er nach Osten zog. Wahrscheinlich war es trotz aller Bedenken vernünftig, Pribislav zur Unterstützung von Tycho Draa bei ihnen zu lassen.

Sigrid bat ihren Sohn um eine neue Dienerin. Dieser schlug Duna vor, aber Bodil erhob heftig Einspruch, und so ließ er sich von Duna eine der Mägde empfehlen, sie sei umsichtig und geschickt. Zögernd akzeptierte Sigrid das junge Mädchen aus dem Dorf, nannte es aber zu Bodils Ärger „Barbara“ – schließlich könne sie sich nicht dauernd einen neuen Namen merken. Sie forderte ihren Sohn auf, noch vor der Abreise einen Gottesdienst zu halten, in dem sie für eine glückliche Heimkehr bitten konnte.

„Unsere Unternehmung hat bisher nicht unter einem günstigen Stern gestanden“, sagte sie. „Wir wollen beten, sodass dieser Treuebruch kein böses Vorzeichen ist.“

Heinrich erfüllte ihren Wunsch, überlegte aber, ob man durch Beten ein böses Vorzeichen entkräften könnte.

Kapitel 51Kundschafter

Nach dem langwierigen Übersetzen ließ Heinrich mit ungutem Gefühl seine Stadt Lübece hinter sich. Auf dem Waldweg östlich der Trave eilte er schnell voran, um nach dem Zeitverlust noch eine befriedigende Tagesstrecke zurückzulegen.

Er hatte den Anblick seiner Frau Bodil vor Augen, wie sie neben Pribislav auf dem Wachturm stand, um ihnen nachzuwinken. Seine Sorge galt seiner Familie. „Das nächste Mal muss ich sie alle mitnehmen.“

Währenddessen nutzte Pribislav in Lübece die Gelegenheit, einmal mit Tycho Draa unter vier Augen über den Schutz der Stadt zu sprechen. Er hatte mit seinen Bedenken Heinrich nicht kränken und beunruhigen wollen, hoffte aber, für einen weiteren Ausbau der Befestigungen beim Statthalter Unterstützung zu gewinnen.

Die beiden Männer standen auf dem Wall am Hafen, um das Einlaufen mehrerer Kauffahrer zu beobachten. Die Kommandos der Schiffsführer schallten beim Einholen der Segel über das Wasser. Pribislav beschattete die Augen mit der Hand.

„Die gänzlich ungeschützte Siedlung der Kaufleute auf dem Ufer drüben weckt meine Besorgnis. Dort lagern wertvolle Waren, die sind begehrt und werden bei einem Angriff sofort geplündert. Es sollte auch auf dem anderen Traveufer einen Palisadenzaun und Wachtürme geben.“

„Richtig beobachtet“, meinte Tycho Draa abwartend.

„Aber auch die Stadt selbst“, Pribislav wandte sich um, er zeigte auf die Kirche, „und auch das Wohnhaus des Fürsten sind einem ernsthaften Angriff nicht gewachsen. Ich habe auf dem Kreuzzug gesehen, wie selbst dicke Stadtmauern gestürmt wurden. Dann brannte alles, und das Blut floss durch die Straßen.“

„Ja, im Heiligen Land! Das waren auch riesige Heere von gewappneten Rittern. Lübeces Feinde würden nicht in so großer Zahl und nicht so gut gerüstet angreifen.“

Pribislav räusperte sich. „Unterschätzt das nicht. Die Leute hier sind frischer, nicht erschöpft von jahrelanger Reise. Außerdem kämpfen sie selbstständiger. Jeder einzelne Mann ist gefährlich.“

„Möglich.“ Tycho war verschnupft. „Ich habe selbst einige Kämpfe in Wagrien und Polabien bestanden. Unsere Maßnahmen zur Verteidigung entsprechen den hier üblichen Anlagen.“

Pribislav legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Glaubt nicht, ich wollte Euch belehren, Herr Tycho. Ihr habt in dieser Gegend sicher viel mehr Erfahrungen gesammelt als ich. Trotzdem möchte ich Euch einige Vorschläge für Verbesserungen machen, da mir die Stadt am Herzen liegt und besonders auch Heinrichs Familie.“

„Was schlagt Ihr vor?“ Tycho bemühte sich, sachlich zu bleiben.

Pribislav schlug die Umfriedung der Kaufmannssiedlung vor, zusätzlich den Ausbau von Fluchtwegen für alle unbewaffneten Einwohner, da er annahm, dass die Siedlungen sofort überrannt würden und den Menschen nicht den geringsten Schutz böten. Außerdem sprach er sich für eine Schiffssperre auf der Trave weit vor der Stadt aus und für unsichtbare Hindernisse in den Sümpfen entlang der Flüsse.

„Der Sumpf selber ist doch schon ein Schutz.“

Pribislav erklärte weiterhin geduldig, was er beabsichtigte, denn er merkte, dass Tycho Draa nach einiger Zeit nicht mehr alles abwehrte, wenn er ihm auch nicht offen zustimmte.

„Es ist das Beste, wenn wir das gemeinsam mit Herrn Heinrich besprechen, sobald er zurückkommt“, schloss Tycho endlich das Gespräch. Pribislav nickte. Immerhin hatte er die Saat gelegt.

Eine der Knorren, die von den beiden Männern beim Anlegen beobachtet worden waren, hatte zwei ganz besondere Menschen an Bord. Das Schiff kam von der Insel Rügen, wurde aber angemeldet als Segler aus Reric.

Heinrich lauschte auf die Geräusche der Reiterkolonne, auf das Stampfen, Klirren und Knarren, auf das Schnauben und Rufen. Er hatte die vertrauten Geräusche vermisst und freute sich, wieder einmal unterwegs zu sein. Die Vögel in den Bäumen verstärkten bei dem Lärm ihren Gesang, und Heinrichs Herz wurde leichter.

Sein neues Pferd, ein Schimmel aus der Zucht des Ritters Lothar von Supplinburg, trabte mit wiegendem Schritt über den Waldboden. „Sehr angenehmes und aufmerksames Ross“, dachte er zufrieden. Ein Reiter eilte nach vorn, um ihm zu melden, dass seine Mutter Sigrid das scharfe Tempo nicht durchhalten könne. Heinrich ritt nun langsamer, machte aber abends keine Anstalten, ein Nachtlager aufzuschlagen.

„Herr, wollen wir nicht rasten?“, fragte Bror schließlich.

„Nein, die Sommernacht ist hell. Solange wir unseren Weg noch sehen können, reiten wir weiter.“

Er achtete nicht auf das Murren hinter sich. Als sie aber die Mühle passierten, in der vor Jahren sein Kurier Slawomir gepflegt worden war, sprach seine Mutter ein Machtwort: „Henrik, ich werde hier übernachten.“

Seine Leute lagerten rund um die Mühle, während die Müllerin eilfertig das Bett für die hohe Dame richtete und Heinrich mit dem Müller einen Humpen leerte. Dabei kam das Gespräch auch auf seinen Vater Gottschalk, von dem der Müller voller Ehrfurcht sprach, während er für Race nur verächtliche Worte übrig hatte. Heinrich war erfreut, einen treuen Anhänger zu treffen und brachte das Gespräch auf den seinerzeit vermissten Kurier Slawomir.

Die Müllerin hatte seine letzten Worte beim Eintreten gehört und verharrte lauschend. Schließlich fragte sie: „Wann war das genau, Herr?“

Heinrich überlegte. „Es ist bestimmt schon fünf, nein, sechs Jahre her, als ich mit meinen Leuten die Mikilinburg belagerte.“

Die Müllerin nickte. „Damals war ein Kurier von Euch hier. Er hatte eine böse Verletzung am Bein und musste sich längere Zeit auskurieren. Seinen Namen hat er nicht genannt, aber das könnte Euer Slawomir gewesen sein.“

„Weißt du, was aus ihm geworden ist?“

Bevor sie antworten konnte, sprach der Müller gewichtig: „Ich habe ja dann seine Aufgabe übernommen und für Euch die Leute zusammengetrommelt und sie nach Lübece geschickt.“ Vielleicht würde sein Herr sich jetzt erkenntlich zeigen, auch wenn es ein paar Jahre her war. Schließlich hatte er mit seinen Beziehungen zu dem Sieg an der Mikilinburg beigetragen!

„Danke für deine Hilfe.“ Heinrich hob gleichzeitig abwehrend die Hand, wandte sich wieder der Müllerin zu und wiederholte: „Was wurde aus dem verletzten Kurier? Ist er gestorben?“

„Nein, nein, er ritt mit seinem Gefangenen los, bevor er ganz geheilt war, er wollte ihn möglichst schnell in Lübece abliefern.“

„Warum weiß ich nichts davon?“, rief der Müller dazwischen.

Während seine Frau beschwichtigend etwas murmelte, stellte Heinrich fest: „Dort ist er nicht angekommen. Was für ein Gefangener war das?“

Die Müllerin bereute inzwischen, dass sie sich ins Gespräch eingemischt hatte, auch war ihr die Erinnerung an den damaligen Überfall unangenehm. Sie machte eine vage Handbewegung. „Er kam mitten in der Nacht hier angepoltert, und Euer Mann Slawomir band ihn und warf ihn aufs Pferd“, kürzte sie das Geschehene ab.

„Wie konnte er das mit seiner Verletzung?“, knurrte ihr Mann misstrauisch. „Der Fremde muss ja ein Schwächling gewesen sein.“

„Wer war der Fremde? Hatte er euch bedroht?“

„Nun“, sie druckste, „er behauptete, Fürst Race zu sein...“

„Was?“ Heinrich sprang auf. „Fürst Race? Wie sah er aus?“

Beide Männer starrten sie an. Die Müllerin schwieg ratlos.

„Sprich, Weib!“

In der Tür erschien Sigrid im Unterkleid. „Was ist das für ein Lärm? Kannst du nicht für Ruhe sorgen, Henrik? Ich bekomme kein Auge zu bei eurem Geschrei.“

„Ist schon gut, Mutter. Wie sah der Fremde aus? Ist dir etwas aufgefallen?“

„Seine Augen, er hat wild geguckt.“

„Wild geguckt!“ Der Müller schlug sich an die Stirn. „Dummes Weib, du!“

„Sei still!“, fuhr Heinrich ihn an. „Waren seine wilden Augen von auffälligem Grün?“

„Ja, grün!“

„Ach, sie redet Euch doch nur nach dem Munde!“

„Sei endlich still! Dein Weib hat offensichtlich den geflüchteten Race gesehen. Dann hat Slawomir ihn überwältigt. Aber warum kamen sie nicht in Lübece an?“

Die Frau zog die Schultern hoch.

Sigrid beobachtete die Runde jetzt mit wachen Augen. „Race muss sich befreit und deinen Slawomir getötet haben“, mutmaßte sie.

Heinrich fielen die Erzählungen von dem verdächtigen Reiter ein, der mit Slawomirs Pferd in Lübece aufgetaucht war. Wenn es Race gewesen war, hatte er Slawomir sicher getötet. Seine Mutter hatte wahrscheinlich recht. Er wusste nun ein bisschen mehr über das Schicksal seines Kuriers, aber Gewissheit hatte er nicht.

„Lasst uns alle zur Ruhe gehen und Slawomir in unser Nachtgebet einschließen“, sagte er. Im Einschlafen hörte er den Müller heftig mit seiner Frau streiten.

Da die Müllerin am nächsten Morgen humpelte und an der Stirn einen blauen Fleck hatte, schickte Heinrich ihren widerstrebenden Gatten mit einer Mission fort: Er sollte erkunden, wo Race sich aufhielt und ihm anschließend einen Bericht erstatten. Und als Entschädigung für die Misshandlung seiner Frau bekam er außerdem den Auftrag, ihr einen Ballen feines Leinen mitzubringen.

„Und wer mahlt in der Zeit das Korn?“

„Für einen Müller, der sich frech gegen seinen Herrn benimmt, gibt es schnell Ersatz. Außerdem bist du sicher vor der Erntezeit zurück.“

Der Müller knurrte und ging, um sein Pferd zu satteln, wobei er seiner Frau einen bitterbösen Blick zuwarf. Aber sie verzog keine Miene, sondern rührte mit Sorgfalt den Morgenbrei.

Der Kurier Gunzo wurde beauftragt, zur Mikilinburg vorauszueilen und für eine angemessene Begrüßung zu sorgen.

Heinrich sah beim Aufbruch mit Erstaunen, dass sich ein ansehnlicher Tross von fliegenden Händlern eingefunden hatte, die im Gefolge seiner Truppe auf gute Geschäfte hofften.

Zur gleichen Zeit empfing Bodil in Lübece eine junge Frau, die sich als Gunhild, Adelsfräulein aus Schweden vorstellte. Sie war in schlichtes, graublaues Leinen gekleidet und trug die unbedeckten Haare zu einem Zopf geflochten. Bodils Blick wurde angezogen von einem goldverzierten Gürtel in Form einer Schlange, die ihr Schwanzende im Maul hielt. Gunhild erklärte, sie habe erfahren, dass Fürst Heinrichs Gemahlin Damen für ihr Gefolge suche und sie habe sich für diese weite Reise in ein unbekanntes Land entschieden.

„Seid mir willkommen, Gunhild“, antwortete Bodil überrascht, „aber verratet mir, wie Ihr von meinem Wunsch erfahren habt und aus welcher Familie Ihr stammt.“

Gunhild zögerte keinen Augenblick. „Euer Wunsch hat sich wohl durch die Kaufleute bis nach Schweden herumgesprochen. Jedenfalls hat Ingegerd mir zugeredet, mein Glück hier zu wagen.“

„Schön, aber welche Ingegerd?“

„Ingegerd, die Verlobte meines Bruders Folke, die Tochter des dänischen Königs Knud, der jetzt gerade heilig gesprochen wurde, die Ingegerd, die ein Mündel des dänischen Königs Erik und seiner lieben Frau Bodil war, Eurer Namensvetterin. Ich komme an Euren Hof, in der Hoffnung, Ihr würdet ebenso liebenswürdig sein wie die Königin...“

Bodil winkte ab, ihr schwirrte der Kopf von all´ diesen Namen.

„Ingegerd blieb in Schweden, als Erik aus dem schwedischen Exil nach Dänemark zurückkehrte und König wurde. Sie ist, wie gesagt, die Verlobte meines Bruders Folke.“

Bodil kannte keinen Folke. „Ja, das sagtet Ihr schon. Wie hat denn diese Ingegerd von meinem Wunsch erfahren?“

„Durch Königin Bodil, nehme ich an.“

So. Also nicht durch die Kaufleute. Hatte Heinrich denn den Wunsch seiner Frau ans dänische Königspaar weitergeleitet? Warum hatte er ihr nichts davon gesagt? Und waren Erik und Bodil nicht auf dem Weg nach Jerusalem? Sie sah Gunhild prüfend an.

Deren Blick war offen und freundlich, ihr ganzes Auftreten selbstsicher, wenn auch ihre Rede verworren schien.

Bodil hätte zwar eine Dänin vorgezogen, aber vielleicht konnte eine junge Adlige aus Schweden eher ihre Vertraute und vielleicht sogar Verbündete und Freundin werden. An ihre singende und überdeutliche Sprechweise würde sie sich gewöhnen.

Der andere Fremde, der mit Gunhild in Lübece eingetroffen war, stand breitbeinig auf dem Deck und schien das Entladen des Schiffes zu überwachen. Dabei schweifte sein Blick von dem befestigten Lübece zum Hafen mit den zahlreichen Schiffen, zu den Speichern und Bürgerhäusern in der Kaufmannssiedlung. Wer ihn beobachtete, hätte den Eindruck gewinnen können, dass er etwas suchte oder sich einprägen wollte. Ab und zu sah er nach den Schauerleuten und rief Anweisungen hinüber. Sie stapelten seine Warenballen und Kisten am Ufer auf.

„Was liefert Ihr?“, rief ihn ein dunkel gekleideter Mann vom Kai aus an.

„Bernstein, Feuersteine und Wolle“, antwortete der fremde Kaufmann.

„Woher kommt Ihr?“

„Aus Reric.“

„Eure Waren auch? Bernstein und Feuerstein – das hört sich mehr nach Rügen an.“

Der Kaufmann stieß sich energisch vom Deck ab und sprang an Land. „Und wer seid Ihr?“ Er fixierte den Frager mit intensivem Blick, sodass der unwillkürlich ein paar Schritte zurückwich.

„Ich bin hier der Hafenmeister, von den Kaufherren bestellt“, erwiderte der Schwarzgekleidete würdevoll. „Ich muss alle Schiffe notieren, die Eigner und die Waren. Und wer seid Ihr? Ich kenne Euch noch nicht.“

„So werdet Ihr mich kennen lernen. Ich bin der Kaufmann Hein Isenhard, und zwar aus Reric, wie ich schon sagte.“

„Hein Isenhard.“ Der Hafenmeister schrieb.

„Ihr seid ein gelehrter Mann, des Schreibens kundig“, bemerkte Kaufmann Isenhard, auf einmal mit einschmeichelndem Tonfall.

„Oh, gelehrt nicht, aber für meine Aufgabe langt es“, erwiderte der andere nüchtern. „Fahrt Ihr gleich zurück oder wollt Ihr hier noch bleiben und andere Waren laden?“

„Ihr seid sehr gewissenhaft, Meister ... Ich lade morgen Holz und würde mir gerne noch das berühmte Lübece ansehen. Und in der Kirche dort“, er deutete mit dem Kopf hinüber, „möchte ich dem heiligen Jacob für meine glückliche Überfahrt danken.“

„Das ist sicher wohlgetan. Betet auch gleich für Eure Rückfahrt. Es soll stürmisch werden.“

„Allerdings, mit Blitz und Feuer“, antwortete Hein Isenhard.

Der Hafenmeister maß dieser seltsamen Bemerkung keine Bedeutung bei und sagte nur knapp: „Ich bin übrigens Meister Ossenkopp“, bevor er sich einem anderen Schiff zuwandte.

„Sehr ausdrucksvoller Name, fast so wie meiner“, murmelte der Mann, der angeblich aus Reric kam, und rief den Fährmann heran, um sich übersetzen zu lassen.

Am Abend, bei einem Becher Rotwein in der Runde der Kaufherren, erkundigte sich Herr Friedrich beim Hafenmeister nach Neuigkeiten. Ossenkopp fragte im Anschluss an seinen Bericht: „Kennt Ihr einen Kaufmann Hein Isenhard aus Reric?“

Friedrich schüttelte den Kopf. „Ich kenne eigentlich alle Händler in Reric, so viele sind es ja nicht. Was für eine Ladung hatte er denn?“

Die Auskunft erstaunte ihn. „Feuersteine aus Reric? Die sind doch eher von der Insel Rügen.“

Ossenkopp nickte. „Sagte ich auch. Er wollte noch Holz laden und dann zurück. Verkauft von Euch jemand Holz an einen gewissen Hein Isenhard aus Reric?“, fragte er in die Runde.

Man sah sich gegenseitig an. Niemand meldete sich.

„Tja, dann hat er wohl gelogen“, murmelte Ossenkopp. „Der kam mir gleich so komisch vor – wie der auftrat! Gar nicht, wie man es von einem Kaufmann gewohnt ist. So bedrohlich.“

„Bedrohlich! Was hat er sonst noch gesagt?“

„Er wollte sich die Stadt drüben angucken, wollte auch in die Kirche, um zu beten.“

„Die Stadt besichtigen? Wie sah der Mann aus?“ Friedrich war höchst alarmiert und drängte Ossenkopp, nach der Beschreibung des Mannes zu prüfen, ob Isenhards Segler noch im Hafen lag.

Atemlos kam der Hafenmeister zurück: „Weg!“

Friedrich schlug mit der Hand auf den Tisch. „Verdammich, dat hev ick doch gliecks dacht, dei hett lücht, Düwel nochmol! Hein Isenhard! Wenn das man nicht...“

Er wurde heftig mit dem Ellenbogen angestoßen. „Den Namen des Bösen darf man nicht aussprechen, das bringt Unglück.“

Die Kaufmannsrunde verstummte. Mehrere Männer schlugen zur Sicherheit ein Kreuz. Friedrich tauschte einen besorgten Blick mit dem Hafenmeister, und man beschloss, Ritter Tycho von dem unheimlichen Händler zu berichten.

Kapitel 52Genugtuung

Je näher sie der Mikilinburg kamen, desto aufgeregter wurde Heinrichs Mutter. Sie hatte ihr Pferd neben das ihres Sohnes gelenkt und wies auf hohe Bäume oder Häuser hin, die sie wiederzuerkennen glaubte.

Heinrich lächelte. „Die Bäume stehen sicher schon ein paar hundert Jahre, aber die Häuser sind bestimmt nicht sehr alt. Hier wurde ja in den ständigen Kriegen alles zerstört, wieder aufgebaut und wieder zerstört.“

Sigrid seufzte. „Hoffentlich bekommen die Menschen durch dich endlich den Frieden, der Gott gefällt und den dein Vater ihnen auch schon gebracht hat.“

Heinrich sah nachdenklich in die Ferne. Hatte sein Vater ihnen Frieden gebracht?

„Ich bin gespannt, wie du den Zustand der Burg finden wirst und ob du sie überhaupt wiedererkennst.“

Seine Mutter lachte auf. „Da kannst du sicher sein!“ Voller Vorfreude wippte sie im Sattel, und bei dem Anblick musste er auch lachen.

Schon vor dem Dorf, am Fuß der Burg, warteten einige Jungen, die beim Anblick der Reiter staubumwirbelt und rufend ins Dorf stürmten. Hunde bellten aufgeregt, die Einwohner des Dorfes versammelten sich und zogen ihren Besuchern singend entgegen. Beim Anblick der blumengeschmückten Menschen, die zur Feier des Tages ihre besten Kleider trugen, verharrte Sigrid bewegt, um den Augenblick zu verlängern. Mädchen traten vor, boten Wasser und schöne Brotlaibe mit Zopfmuster an.

Die Reiter an der Spitze des Zuges kamen in den Genuss der Gaben, aber Sigrid blieb der Brocken im Halse stecken, Tränen liefen ihr übers Gesicht. Als sie ins Dorf einritten, begannen die Leute wieder zu singen und warfen ihren Gästen Blumen zu.

Heinrich fing mehrere davon auf und winkte lächelnd zurück. Er registrierte zufrieden, dass freundliche Blicke auf ihm lagen.

Plötzlich staute sich die Menge: Seine Mutter hatte es nicht mehr auf dem Pferd gehalten, sie hatte sich zu Boden gleiten lassen und war sofort von Dorfbewohnern umringt worden. Heinrich glaubte seinen Augen nicht zu trauen: Sie umarmte so viele Menschen, wie sie nur erreichen konnte, und weinte dabei.

„Auf diesen Augenblick hat sie Jahrzehnte gewartet“, dachte er. „Das heilt hoffentlich die alte Wunde.“