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Jola hat Finn in die Sommerferien eingeladen, nach Polen, zu ihren Großeltern aufs Land. Hier warten wieder einmal jede Menge Abenteuer auf die zwei: Mit einem selbstgebauten Floß geht es auf große Fahrt, zusammen mit dem Jungen Antek und seinem dreibeinigen Hund. Dann müssen Finn und Jola noch ganz nebenbei herausfinden, ob Jolas Onkel wirklich eine Leiche im Schuppen versteckt hat und wie man einen Stier mit einem Cabrio fängt. Und am Ende gibt es eine krachende Silvesterfeier – mitten im Sommer.
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Martin Muser
Kannawoniwasein – Manchmal fliegt einem alles um die Ohren
Dass seine Sommerferien in Polen so aufregend werden würden, hätte Finn niemals gedacht. Aber zusammen mit Jola wird jeder Tag zum Abenteuer. Mit einem selbst gebauten Floß geht es auf große Fahrt, zusammen mit dem Jungen Antek und seinem dreibeinigen Hund Nuschki. Außerdem müssen Finn und Jola herausfinden, ob Jolas Onkel wirklich eine Leiche im Schuppen versteckt hat und ob man einen Stier mit einem Cabrio einfangen kann. Und am Ende gibt es dann noch eine krachende Silvesterfeier, mitten im Sommer – Kannawoniwasein!
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Vita
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Der Fahrtwind bläst durchs offene Seitenfenster. Der Motor des Transporters schnurrt. Die Luft ist warm und es riecht nach Sommer, nach gemähtem Heu und heißem Asphalt.
Finn sitzt mit Jola auf dem Beifahrersitz. Hinter dem Steuer kaut Onkel Wojciech mit angespannter Miene auf einem Zahnstocher, während er den Transporter über die Straße lenkt. »Ich werde sie fahren wie rohe Eier«, hat er Mama versprochen.
Jola und ihr Onkel haben Finn am Morgen in der Grimmstraße abgeholt. Finn hat sich schon die ganze Woche darauf gefreut, Jola wiederzusehen. Sie hat ihre Abmachung nicht vergessen: dass sie in den Sommerferien zusammen verreisen wollen. So richtig verreisen. In ein anderes Land. Nach Polen zu Jolas Großeltern, Babcia und Dziadek, auf den Bauernhof in Cedynia. Finn hat es sich auf der Karte angesehen. Cedynia liegt gleich hinter der Grenze an der Oder. Nur anderthalb Stunden mit dem Auto von Berlin entfernt. Finn wusste gar nicht, dass Polen so nah ist. Er war nämlich noch nie dort und sehr gespannt, wie es da wohl sein würde.
Mama dagegen war ein bisschen skeptisch. »Mit dem Bruchpiloten soll ich dich fahren lassen?«, hat sie gesagt. ›Bruchpilot‹ war ihre Bezeichnung für Jolas Onkel und bezog sich auf dessen Fahrkünste. Letztes Jahr hatte Wojciech nämlich einen Unfall. Ausgerechnet mit einem Polizeiauto, in das er an einer roten Ampel reingerumst war. In Oranienburg ist das gewesen. Finn weiß es so genau, weil er selbst in dem Polizeiauto gesessen hat. Es war ja auch der Moment, wo er und Jola sich kennengelernt haben. Alles Weitere ist eine längere Geschichte, die selbst ein ganzes Buch füllen würde.
Auf jeden Fall sind Finn und Jola seitdem Freunde. Was gar nicht so einfach ist, wenn der eine in Berlin wohnt und die andere in Vehlefanz. So heißt nämlich das Dorf in der Nähe von Oranienburg, wo Jola mit ihren Eltern lebt. Finn und Jola haben sich andauernd Nachrichten geschrieben und stundenlang »videofoniert«, wie Papa das nannte. Und zuletzt hat Finn es kaum mehr abwarten können, bis das Schuljahr endlich vorbei war und die Ferien angefangen haben. Die Ferien, in denen er und Jola nach Polen reisen würden. Papa fand die Idee von Anfang an prima. »Dann lernst du unsere Nachbarn kennen«, hat er gesagt. »Das ist gut für die Völkerverständigung und damit Europa weiter zusammenwächst.« Das fand Mama dann auch. »Ich werde diesem Wojciech aber klipp und klar sagen, dass er vorsichtig fahren muss.«
Als der Transporter unten auf der Straße gehupt hat, ist Mama mit Finn die drei Stockwerke runtergelaufen. Finn hat seine Tasche getragen und als er unten ankam, stand Jola schon vor der Haustür. Sie hat auf den Fußspitzen gewippt und »Hi« gesagt. Finn hat auch »Hi« gesagt und sich ein Loch in den Bauch gefreut, sie wiederzusehen. Sie sah eigentlich noch genauso aus wie letztes Jahr, nur etwas größer, sodass zwischen ihr und Finn kaum mehr ein Unterschied lag.
»Wir sitzen vorne«, sagte Jola und hüpfte zum Transporter.
Mama umkreiste den Wagen mehrmals und kontrollierte alles mit Argusaugen. »Ist das Fahrzeug nach dem Unfall fachgerecht repariert worden? Sind die Bremsen intakt? Haben die Reifen auch noch genug Profil?« Sie schaute sogar in den Laderaum mit den alten Waschmaschinen, die Wojciech immer in den Osten bringt. »Ist die Ladung auch ordnungsgemäß gesichert?«
Wojciech nickte mürrisch. »Ich versichere Ihnen, meine Dame, alles ist in bester Ordnung.« Und dann sagte er das mit den rohen Eiern und Mama war einigermaßen beruhigt. Sie umarmte Finn und verzichtete auf den Abschiedsknuddelkuss, so wie sie es versprochen hatte, damit es nicht peinlich wurde. Finn kletterte zu Jola ins Führerhaus. Dann ging es los.
Sie sind schon eine gute Stunde gefahren. Durch die Stadt, durch den Stau. Aus der Stadt raus, immer Richtung Osten. Die Häuser wurden kleiner, die Landschaft immer grüner.
Im Laderaum klappern die Waschmaschinen. Vor und hinter ihnen fahren viele Lastwagen.
»Die wollen auch alle über die Grenze«, sagt Wojciech. »Im- und Export!« Er kratzt sich den Nacken und Finn sieht die dunklen Flecken unter den Achseln auf Wojciechs T-Shirt. Ein scharfer Schweißgeruch weht zu ihm rüber und sticht ihn in die Nase.
»Ich muss hier kurz noch was erledigen«, sagt Wojciech und setzt den Blinker. Er fährt an einer Tankstelle raus und hält auf dem Parkplatz. »Bin gleich wieder da.« Er öffnet die Fahrertür. »Ihr bleibt hier sitzen und rührt euch nicht vom Fleck. Klar?«
Er schaut Finn und Jola mit finsterer Miene an. Und Finn versteht, warum Jola gesagt hat, dass sie ihren Onkel nicht leiden kann. Er ist wirklich total unfreundlich. Dabei haben Finn und Jola gar nichts gemacht. Nicht mal Kaugummi gekaut, weil sie schon wissen, dass das bei Wojciech im Auto streng verboten ist. Der Kaugummi könnte ja irgendwo kleben bleiben.
»Siehst du, was für ein Blödmann er ist«, sagt Jola, als Wojciech außer Hörweite ist. »Vielleicht sollten wir einfach ohne ihn weiterfahren.« Sie grinst. »Der würd ganz schön blöd gucken, wenn die Kiste weg wär.«
»Das meinst du jetzt nicht ernst, oder?«, sagt Finn unsicher.
»So ’n Transporter ist auch nicht komplizierter als ’n Trecker«, sagt Jola. Finn schaut beunruhigt zum Autoschlüssel, der unterm Lenkrad im Zündschloss steckt.
Es stimmt. Er und Jola sind letztes Jahr zusammen Traktor gefahren. Ganz alleine. Das war toll. – Aber da sind sie nur ganz langsam gefahren, höchstens 25 km/h, und die Straßen waren auch nicht so voll.
Aber Jola ist in Gedanken schon wieder ganz woanders. »Mal schaun, was Wojciech hier so treibt.« Sie öffnet die Beifahrertür und springt heraus.
Wojciechs Verbot schert sie einen feuchten Kehricht. Finn klettert hinterher.
Sie spähen um den Transporter herum. Finn sieht, wie Wojciech in dem Tankstellenhäuschen verschwindet.
»Vielleicht will er einfach nur tanken?«
»Niemals«, antwortet Jola. »Der Sprit ist auf der polnischen Seite viel billiger.«
»Oder er kauft Schokocroissants«, sagt Finn.
»Pfff«, macht Jola verächtlich. »Dafür ist er viel zu geizig.«
Sie beobachten das Tankstellenhäuschen. Nach einer Weile geht die Tür wieder auf und Wojciech kommt mit einem Mann heraus. Der Mann hat eine silberne Jacke an und eine verspiegelte Sonnenbrille auf. Er glitzert in der Sonne wie eine Disco-Kugel. Die beiden gehen zu einem großen Lastwagen mit Anhänger und reden. Wojciech gestikuliert wild. Schließlich zieht er ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und reicht es dem Glitzermann. Der schlägt die Plane des Anhängers zurück und klettert in den Laderaum. Zusammen schieben er und Wojciech ein großes Paket heraus und hieven es auf eine Sackkarre.
»Schnell«, flüstert Jola. Sie und Finn klettern wieder ins Fahrerhaus.
Wojciech und Glitzermann kommen mit dem Paket auf der Sackkarre. Während Finn und Jola mucksmäuschenstill dasitzen, hören sie, wie hinten die Hecktüren des Transporters geöffnet werden.
»Hau ruck«, kommandiert Glitzermann, dessen silberne Jacke bei jeder Bewegung knistert. Im Rückspiegel sieht Finn, wie die beiden Männer das Paket hochwuchten. Da ertönt ein lautes RATSCH!
»Cholera!«, flucht Wojciech.
Finn und Jola schauen sich an: Was war das?
Glitzermann ächzt. »Nicht loslassen, wir hams gleich.«
Die Männer keuchen. Finn spürt, wie der Transporter hin und her wackelt, als sie den Karton zwischen die Waschmaschinen in den Laderaum schieben. Es muss etwas sehr Schweres drin sein.
»Na, geht doch«, sagt Glitzermann schließlich.
»Verdammt, so kann ich unmöglich rumlaufen.« Im Spiegel sieht Finn, wie Wojciech an seiner Hose rumfummelt.
Glitzermann lacht und klopft Wojciech auf den Bauch. »Bist einfach zu fett geworden, mein Freund.«
»Pass auf, was du sagst«, knurrt Wojciech und schlägt die Hecktüren zu.
»War mir ’ne Freude«, sagt Glitzermann und grinst. »Meld dich, wenn du was brauchst. Mir fällt immer mal wieder was vom Laster.«
Die Hände der beiden klatschen zum Abschied ineinander. Dann kommt Wojciech nach vorne und steigt umständlich wieder ein, weil er dabei seine Hose hinten zuzuhalten versucht. Darin klafft ein großes Loch. Daher das Ratsch-Geräusch! Finn und Jola kichern. Durch den Riss sieht man Wojciechs haarige Pobacken. Dazwischen klemmt eine Unterhose mit Tigermuster.
»Ja, ja, sehr lustig«, schnauft Wojciech und quetscht sich hinter das Steuer. Er riecht noch mehr nach Schweiß als vorher. Aber seine Laune scheint sich trotz Hosenplatzer verbessert zu haben. Er fummelt eine Tüte aus der Jackentasche und hält sie Jola hin. »Für euch.«
Jola und Finn schauen überrascht: Kaubonbons! Wojciech muss sie in der Tankstelle gekauft haben.
»Kann man kauen und schlucken!«, sagt Wojciech und verzieht das Gesicht zu einem schmalen Grinsen. »Prima Sache! Dann klebt schon nix am Sitz.«
»Danke«, sagt Finn. Vielleicht ist Wojciech ja doch nicht so übel, wie man denkt.
Jola hat die Tüte schon aufgerissen. Finn nimmt sich ein Kaubonbon, Jola stopft sich gleich drei auf einmal in den Mund.
»Waf iff denn da drin in dem Paket?«, fragt sie kauend und deutet nach hinten.
Schlagartig verfinstert sich Wojciechs Miene wieder. »Das hat dich überhaupt nicht zu interessieren. Wehe, ihr fasst es an!«, droht er. »Dann dreh ich euch den Hals um. Und kein Wort zu Babcia und Dziadek.«
Er schaut Finn und Jola an und seine Augen verengen sich zu Schlitzen, so dass Finn richtig ein kleines bisschen Angst bekommt.
Aber Jola nickt nur und wirft Finn wieder ihren Was-für-ein-Blödmann-Blick zu.
Eine Weile fahren sie schweigend. Finn und Jola kauen Kaubonbons, bis ihre Zungen ganz rau davon sind. Finn schaut aus dem Fenster. Die Frage, was in dem Paket sein könnte und warum Wojciech nicht darüber reden will, lässt ihn nicht los. Ist Wojciech ein Schmuggler? Sind verbotene Sachen in dem Paket? Oder gar eine Leiche? Groß genug dafür wäre der Karton auf jeden Fall.
»Gleich kommt sie«, ruft Jola auf einmal aufgeregt und deutet aus dem Fenster.
»Wer?«, fragt Finn und taucht aus seinen Gedanken auf.
»Na, die Grenze«, sagt Jola.
Sie fahren auf eine Eisenbrücke zu. Die grünen Verstrebungen wischen am Seitenfenster vorbei. Durch die Zwischenräume sieht Finn Wasser, Wasser – und noch mal Wasser.
»Das ist die Oder«, sagt Jola.
Finn staunt. Er hätte nicht gedacht, dass die Oder so ein großer Fluss ist. Ein richtig breiter Strom. Viel größer als die Spree, eher so wie der Amazonas. Zumindest stellt Finn sich den Amazonas so ähnlich vor. Nur eben noch mit Urwald drum herum.
Dann sind sie auch schon über die Brücke drüber. Am Straßenrand kommt ein blaues Schild. In einem gelben Sternenkreis steht Rzeczpospolita Polska.
Finn versucht es zu lesen. »Rzezeze … Voll der Zungenbrecher!«
»Das heißt Republik Polen«, sagt Jola.
»Schöne Republik«, schnaubt Wojciech verächtlich. »Verraten und verkauft haben die uns …«
Finn schaut neugierig aus dem Fenster. Das also ist Polen! Ein Busparkplatz und mehrere halb verfallene Fabrikgebäude ziehen vorbei. An den Fassaden hängen bunte Werbeschilder: »Feuerwerk«, »Zigaretten«, »Wurstwaren«, »Autoteile«.
Finn wundert sich: »Warum steht das denn da alles auf Deutsch?«
»Das ist der Polenmarkt«, erklärt Jola und deutet auf die Verkaufsstände zwischen den Gebäuden, an denen sich die Menschen drängeln. »Also eigentlich ist er für die Deutschen. Die kommen über die Grenze, um billig Sachen zu kaufen. Da müssen wir unbedingt auch mal hin.«
Finn nickt. Papa hat ihm sogar extra etwas polnisches Taschengeld mitgegeben. Fünfzig Złoty. Das sind ungefähr 12 Euro. »Damit kannst du was Kleines kaufen oder deine Freundin mal zu einem Eis einladen.«
Dabei hat Papa so gezwinkert, dass Finn erst dachte, er hat was im Auge. Aber es war dann wohl eher so ein »Männerding«, wie Mama das immer nannte.
Babcia und Dziadek
Auf der Landstraße fahren die drei weiter nach Cedynia. Links liegt wie ein grün-gelber Flickenteppich das flache Land mit Feldern und Wiesen bis zur Oder. Rechts säumen Wälder und Hügel die Straße.
Jola streckt den Kopf aus dem Fenster und deutet auf eine Anhöhe mit einer großen Steinfigur darauf. »Da ist das Schlachtendenkmal«, ruft sie.
»Hier war eine Schlacht?«, fragt Finn.
»Die Schlacht von Cedynia, 972«, sagt Wojciech. »Da haben wir die Deutschen plattgemacht.«
Finn schaut auf die vorbeiziehende Steinfigur. »Sieht aus wie ein Totempfahl mit Flügeln dran.«
»Nix Totempfahl«, knurrt Wojciech. »Das ist der polnische Adler.«
Jola knufft Finn in die Seite und macht ein Gesicht wie Frau Henschke-Pohl, wenn man einen Eintrag ins Klassenbuch kriegt. »Das ist eine ernste Angelegenheit.«
Aber dann grinst sie schon wieder. »In Polen kennen alle die Schlacht von Cedynia. Deswegen wird sie auch jedes Jahr nachgespielt. So richtig wie im Mittelalter. Mit Schwertern, Rüstungen und so. Letztes Mal hat Onkel Wojciech auch mitgemacht. Aber dann ist im Kampf seine Ritterrüstung auseinandergekracht.« Jola prustet los. Und Finn, der an die geplatzte Hose denkt, muss auch lachen.
Nur Wojciech findet es gar nicht lustig. »Ihr könnt gleich aussteigen und zu Fuß weitergehen«, droht er und Jola und Finn hören lieber schnell auf zu lachen.
Kurz darauf passieren sie das Ortsschild ›Cedynia‹.
»Guck mal«, sagt Jola und deutet auf die Straßenlaternen. »Voll öko.«
Finn staunt. Jede Laterne hat ein kleines Dach aus bläulich schimmernden Solarzellen. Das muss er Papa erzählen. Der hat auf seinem Haus in Neustrelitz auch Sonnenkollektoren und ein Windrad.
Der Transporter fährt über die Dorfstraße. Die Häuser hier sind viel niedriger als in Berlin und haben spitze Giebel. Es gibt eine Post, eine Bäckerei, ein Blumengeschäft und sogar einen kleinen Supermarkt.
Wojciech biegt in eine Toreinfahrt ein. Dahinter liegt ein kleiner Hof mit Garten. Als der Transporter über die Wiese rumpelt, spritzen links und rechts Hühner gackernd zur Seite.
»Da wären wir.« Wojciech hält neben einem windschiefen Schuppen aus Backstein. Jola springt aus dem Wagen. Finn schaut sich um. Es gibt ein kleines Gewächshaus und Beete, die mit alten Autoreifen eingefasst sind. Gegenüber vom Schuppen steht ein zweistöckiges Wohnhaus. In dem Moment geht die Tür auf und zwei alte Leute kommen heraus. Die Frau trägt eine Kittelschürze, der Mann eine blaue Latzhose mit Gummistiefeln.
»Babcia! Dziadek«, ruft Jola und fliegt ihnen in die Arme.
Babcia drückt Jola an sich. »Jolanta, Gott, du wieder so gewachsen bist.«
Dziadek lächelt. »Nu ja, muss ja.«
Er wuschelt Jola durch ihre Locken.
»Das ist Finn.« Jola zeigt auf Finn, der schüchtern stehen geblieben ist.
Babcia umarmt ihn auch. »Was für netter Junge!«
Finn wird rot. Jola lacht.
Wojciech begrüßt die beiden Alten mit einem knappen Wangenkuss. Finn überreicht die Gastgeschenke, die Mama und Papa ihm mitgegeben haben. Von Papa natürlich Bärlauchtofubuletten aus eigener Produktion und von Mama zwei Tassen mit dem Berliner Ampelmännchen drauf.
»Oh, danke!« Dziadek schüttelt Finn die Hand und zwinkert Jola zu. »Wie war Reise mit Wojtek? Diesmal ohne Kraksa?«
Kraksa? Finn versteht nicht.
»Finn kann doch kein Polnisch, Dziadziu«, sagt Jola und erklärt Finn: »Kraksa heißt Unfall …«
»Nix Unfall«, widerspricht Wojciech scharf. »Ich bin ein guter Fahrer und das damals war einfach Pech.«
Jola nickt eifrig. »Diesmal is nur ’ne Hose geplatzt.«
Babcia, die den Riss in Wojciechs Hose nun auch bemerkt, schlägt die Hand vor den Mund. »Jezus, Wojtek, was du hast gemacht?! Wie du warst kleiner Junge.« Sie kneift ihn in die Wange. »Aber ich nähen kann. So schön, du wieder bist da.«
»Ich fahr gleich morgen früh weiter.« Wojciech schiebt Babcias Hand weg und verzieht das Gesicht. »Und nennt mich nicht immer Wojtek, ihr wisst, dass ich das hasse. Ich heiße Wojciech, basta.«
»Morgen schon wieder weg?«, klagt Babcia. »Ach, Junge, warum nur du immer so kurz bist hier?«
Wojciech zuckt mürrisch die Achseln. »Hab ’ne Ladung. Die muss in die Ukraine.«
Dziadek nickt. »Man immer muss kombinieren. – Aber zum Glück wir haben unsere zwei jungen Gäste. Fühlt wie zu Hause euch.«
»Machen wir«, sagt Jola und schnappt ihre und Finns Tasche. »Komm, ich zeig dir unser Zimmer!«
Finn folgt Jola ins Haus. Neben dem Eingang führt eine Holztreppe in den ersten Stock.
»Das hier ist die Knarze-Stufe«, sagt Jola und tänzelt auf einer der Stufen hin und her, sodass ein Geräusch ertönt, das sich ein bisschen so anhört wie das Winseln eines Hundes. Dann hüpft sie weiter die übrigen Stufen hoch, bis sie in einen kleinen Flur kommen, von dem mehrere Türen abgehen. Aber es geht noch weiter.
»Wir sind ganz oben«, sagt Jola und deutet auf eine Leiter am Ende des Flures. Finn und Jola klettern die Sprossen hoch. Die Leiter führt durch eine Luke auf den Dachboden. Warmer Holzgeruch schlägt Finn entgegen. Seine Augen brauchen einen Moment, bis sie sich an das Zwielicht gewöhnt haben. Durch die Ritzen zwischen den Dachziegeln fallen schmale Keile aus Sonnenlicht, in denen Staub tanzt wie Glitter. An einer quer durch den Raum gespannten Leine trocknet Wäsche. Unter Finns Füßen knistert es. Er schaut verwundert auf den Boden, der von einer silbergrauen Schicht bedeckt ist.
»Was ist denn das?«
»Tote Fliegen«, sagt Jola.
Tatsächlich. Der ganze Boden ist mit trockenen schwarzen Insektenkörpern bedeckt. Finn schaudert es ein bisschen.
»Die fliegen hier rein, weil es schön warm ist. Irgendwann sterben sie – und plumps«, sagt Jola.
Sie geht auf eine Tür zu und öffnet sie.
»Tattaaah!«, sagt sie und macht eine einladende Geste. »Na, da staunst du?«
Ja, Finn staunt.