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"WER ÜBER KAPITALISMUS REDEN WILL, KOMMT AN THOMAS PIKETTY NICHT VORBEI." HANDELSBLATT
Mit dem Weltbestseller
"Das Kapital im 21.Jahrhundert" hat Thomas Piketty eines der wichtigsten Bücher unserer Zeit geschrieben. Jetzt legt er mit einem gewaltigen Werk nach:
Kapital und Ideologie ist eine so noch niemals geschriebene Globalgeschichte der sozialen Ungleichheit und ihrer Ursachen, eine unnachsichtige Kritik der zeitgenössischen Politik und zugleich der kühne Entwurf eines neuen und gerechteren ökonomischen Systems.
Nichts steht geschrieben: Der Kapitalismus ist kein Naturgesetz. Märkte, Profite und Kapital sind von Menschen gemacht. Wie sie funktionieren, hängt von unseren Entscheidungen ab. Das ist der zentrale Gedanke des neuen Buches von Thomas Piketty. Der berühmte Ökonom erforscht darin die Entwicklungen des letzten Jahrtausends, die zu Sklaverei, Leibeigenschaft, Kolonialismus, Kommunismus, Sozialdemokratie und Hyperkapitalismus geführt und das Leben von Milliarden Menschen geformt haben. Seine welthistorische Bestandsaufnahme führt uns weit über Europa und den Westen hinaus bis nach Asien und Afrika und betrachtet die globalen Ungleichheitsregime mit all ihren ganz unterschiedlichen Ursachen und Folgen. Doch diese eindrucksvolle Analyse ist für Thomas Piketty kein Selbstzweck. Er führt uns mit seinen weitreichenden Einsichten und Erkenntnissen hinein in die Krise der Gegenwart. Wenn wir die ökonomischen und politischen Ursachen der Ungleichheit verstanden haben, so Piketty, dann können wir die notwendigen Schritte für eine gerechtere und zukunftsfähige Welt konkret benennen und angehen.
Kapital und Ideologie ist das geniale Werk eines der wichtigsten Denker unserer Zeit, eines der Bücher, die unsere Zeit braucht. Es hilft uns nicht nur, die Welt von heute zu verstehen, sondern sie zu verändern.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
THOMAS PIKETTY
KAPITAL UND IDEOLOGIE
Aus dem Französischen von André Hansen, Enrico Heinemann, Stefan Lorenzer, Ursel Schäfer und Nastasja S. Dresler
C.H.Beck
«Lesen wir also dieses Buch zu Ende, und krempeln wir die Ärmel hoch. Thomas Piketty führt uns vor Augen, dass es an uns ist, Geschichte zu schreiben.»
Esther Duflo, Nobelpreisträgerin für Ökonomie
Mit dem Weltbestseller Das Kapital im 21. Jahrhundert hat Thomas Piketty eines der wichtigsten Bücher unserer Zeit geschrieben. Jetzt legt er mit einem gewaltigen Werk nach: Kapital und Ideologie ist eine so noch niemals geschriebene Globalgeschichte der sozialen Ungleichheit und ihrer Ursachen, eine unnachsichtige Kritik der zeitgenössischen Politik und zugleich der kühne Entwurf eines neuen und gerechteren ökonomischen Systems.
Thomas Piketty, geb. 1971, ist Professor an der École des hautes études en sciences sociales in Paris. Sein Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert wurde in 40 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als 2,5 Millionen Mal verkauft.
VORWORT UND DANK
EINLEITUNG
Was ist eine Ideologie?
Die Grenze und das Eigentum
Ideologien ernst nehmen
Kollektives Lernen und die Sozialwissenschaften
Die in diesem Buch benutzten Quellen. Ungleichheiten und Ideologien
Der menschliche Fortschritt, die Wiederkehr der Ungleichheiten und die Vielfalt der Welt
Die Wiederkehr der Ungleichheiten. Erste Anmerkungen
Die Elefantenkurve. Für eine unaufgeregte Debatte über Globalisierung
Die Rechtfertigung extremer Ungleichheit
Aus der Geschichte lernen, aus dem 20. Jahrhundert lernen
Ideologische Erstarrung und neue Bildungsungleichheiten
Die Rückkehr der Multi-Eliten und die Schwierigkeit, eine Koalition für Gleichheit zu bilden
Eine Neubestimmung gerechten Eigentums, gerechter Bildung und gerechter Grenzen
Die Vielfalt der Welt. Der unverzichtbare Umweg über die langfristigen Entwicklungen
Über die Entsprechung von natürlicher und mathematischer Sprache
Plan des Buches
ERSTER TEIL: UNGLEICHHEITSREGIME IN DER GESCHICHTE
1.: DREIGLIEDRIGE GESELLSCHAFTEN: TRIFUNKTIONALE UNGLEICHHEIT
Die Logik der drei Funktionen: Klerus, Adel, Dritter Stand
Dreigliedrige Gesellschaften und die Bildung des modernen Staates
Der Legitimationsverlust der dreigliedrigen Gesellschaften zwischen Revolutionen und Kolonisationen
Die Aktualität der dreigliedrigen Gesellschaften
Rechtfertigung von Ungleichheit in dreigliedrigen Gesellschaften
Vielfalt der Eliten, Einheit des Volkes?
Die dreigliedrigen Gesellschaften und die Bildung des Staates: Europa, Indien, China, Iran
2.: DIE EUROPÄISCHEN STÄNDEGESELLSCHAFTEN: MACHT UND EIGENTUM
Ständegesellschaften: ein Mächtegleichgewicht?
Die trifunktionale Ordnung, der Aufstieg der freien Arbeit und das Schicksal Europas
Die Größe von Klerus und Adel in Frankreich und deren Einnahmequellen
Die rückläufige Zahl von Adel und Klerus gegen Ende des Ancien Régime
Wie lässt sich die rückläufige Entwicklung des Adels erklären?
Der Adel: eine besitzende Klasse zwischen Revolution und Restauration
Die christliche Kirche als Eigentümerorganisation
Die Kirche als Eigentümer gegenüber familiärem Reichtum und Erbschaften
Das Kircheneigentum am Beginn von Wirtschaftsrecht und Kapitalismus?
3.: DIE ERFINDUNG DER EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN
Die «große Abgrenzung» von 1789 und die Erfindung des modernen Eigentums
Frondienste, Bannrecht, Pachten: vom Feudalismus zum Proprietarismus
Das Laudemium und die Überlagerung dauerhafter Rechte und Ansprüche im Ancien Régime
Kann man das Eigentum neu fassen, ohne sein Ausmaß zu berücksichtigen?
Wissen, Macht und Emanzipation: der Wandel der dreigliedrigen Gesellschaften
Die Revolution, der Zentralstaat und das Erlernen der Justiz
Die proprietaristische Ideologie zwischen Emanzipation und Sakralisierung
Die Rechtfertigung von Ungleichheit in Eigentümergesellschaften
4.: DIE EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN: DER FALL FRANKREICH
Die Französische Revolution und die Entwicklung einer Eigentümergesellschaft
Die Verringerung von Ungleichheiten: die Erfindung einer «vermögenden Mittelschicht»
Paris, Hauptstadt der Ungleichheit: von der Literatur zu den Erbschaftsarchiven
Die Diversifizierung von Portfolios und Eigentumsformen
Die Belle Époque (1880–1914): eine proprietaristische und inegalitäre Moderne
Das französische Steuersystem zwischen 1800 und 1914: ungestörte Akkumulation
Die quatre vieilles, die Steuer auf Kapital und die Steuer auf Einkommen
Das allgemeine Wahlrecht, das neue Wissen, der Krieg
Revolution, Frankreich und Gleichheit
Der Kapitalismus: ein Proprietarismus des Industriezeitalters
5.: DIE EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN: EUROPÄISCHE ENTWICKLUNGSWEGE
Die personelle Stärke von Klerus und Adel: die Vielfalt Europas
Militäradel, Besitzadel
Großbritannien und die schrittweise Entwicklung von der Drei-Stände- zur Eigentümergesellschaft
Der britische Adel, eine proprietaristische Aristokratie
Die Eigentümergesellschaften im klassischen Roman
Burkes Almanach, von den Baronets zu den Öl- und Gas-Milliardären
Die Lords: Garanten der proprietaristischen Ordnung
Der Kampf um die Steuerprogression und der Machtverlust des Oberhauses
Irland zwischen trifunktionaler, proprietaristischer und kolonialistischer Ideologie
Schweden und die verfassungsmäßige Einteilung der Gesellschaft in vier Stände
Ein Mann, hundert Stimmen: die schwedische Demokratie mit einem hyperstrengen Zensuswahlrecht (1865–1911)
Aktiengesellschaften, Zensuswahlrecht: welche Grenze für die Macht des Geldes?
Das Abdriften der Eigentümergesellschaften im 19. Jahrhundert in die Ungleichheit
Die drei Herausforderungen der Eigentümergesellschaften
ZWEITER TEIL: DIE SKLAVENHALTER- UND KOLONIALGESELLSCHAFTEN
6.: DIE SKLAVENHALTERGESELLSCHAFTEN: EXTREME UNGLEICHHEIT
Gesellschaften mit Sklaven, Sklavenhaltergesellschaften
Vereinigtes Königreich: Die Abschaffung der Sklaverei gegen Entschädigung von 1833–1843
Die proprietaristische Rechtfertigung der Entschädigung der Sklavenbesitzer
Frankreich: die zweimalige Abschaffung der Sklaverei 1794–1848
Haiti: wenn Sklavenbesitz zu öffentlichen Schulden wird
Die Abschaffung der Sklaverei von 1848: Entschädigung, disziplinierende Arbeitsstätten und Engagés.
Zwangsarbeit, Sakralisierung des Eigentums und die Frage der Wiedergutmachungen
Die Vereinigten Staaten: die Abschaffung der Sklaverei durch Krieg (1861–1865)
Die Unmöglichkeit, in den Vereinigten Staaten die Sklaverei schrittweise gegen Entschädigung abzuschaffen
Die proprietaristische und soziale Rechtfertigung der Sklaverei
Der «Wiederaufbau» und die Geburt des Sozialnativismus in den Vereinigten Staaten
Brasilien: die Abschaffung der Sklaverei durch den Kaiser und die Vermischung der Bevölkerungen (1888)
Russland: die Abschaffung der Leibeigenschaft durch einen schwachen Staat (1861)
7.: DIE KOLONIALGESELLSCHAFTEN: VIELFALT UND HERRSCHAFT
Die beiden Zeitalter des europäischen Kolonialismus
Siedlungskolonien, Kolonien ohne Besiedlung
Die sklavenhaltenden und kolonialen Gesellschaften: extreme Ungleichheit
Maximale Ungleichheit des Eigentums, maximale Ungleichheit des Einkommens
Eine Kolonisierung für die Kolonialherren: die Kolonialetats
Die Ausbeutung durch Sklaverei und Kolonialwirtschaft in historischer Perspektive
Von der brutalen kolonialen Appropriation zur Illusion des doux commerce
Die Schwierigkeit, von anderen Ländern besessen zu werden
Legalität im Mutterland, Legalität in den Kolonien
Legale Zwangsarbeit in den französischen Kolonien (1912–1946)
Ein später Kolonialismus: die Apartheid in Südafrika (1948–1994)
Das Ende des Kolonialismus und die Frage des demokratischen Föderalismus
Von der franko-afrikanischen Union zur Mali-Föderation
8.: DREIGLIEDRIGE GESELLSCHAFTEN UND KOLONIALISMUS: DER FALL INDIEN
Die Erfindung Indiens: erste Orientierungspunkte
Indien und das viergliedrige Kastensystem aus Brahmanen, Kshatriya, Vaishya und Shudra
Brahmanenstand, vegetarische Ernährung und Patriarchat
Die multikulturelle Vielfalt der Jatis, die viergliedrige Ordnung der Varnas
Hinduistischer Feudalismus, Aufbau des Staates und Wandel der Kasten
Die Besonderheit der Errichtung des Staates in Indien
Die Entdeckung Indiens und die von der Iberischen Halbinsel ausgehende Umzingelung des Islam
Herrschaft durch Waffen, Herrschaft durch Wissen
Die Volkszählungen der britischen Kolonialregierung in Indien (1871–1941)
Die Bevölkerungsanteile in den trifunktionalen Gesellschaften Indiens und Europas
Gebildete Eigentümer, Verwalter und soziale Kontrolle
Das koloniale Indien und die Verfestigung der Kasten
Das unabhängige Indien angesichts der ererbten Ungleichheiten im Status
Erfolge und Grenzen der positiven Diskriminierung indischer Art
Ungleichheiten beim Eigentum, Ungleichheiten im Status
Geschlechter- und soziale Quoten und die Bedingungen ihres Wandels
9.: DREIGLIEDRIGE GESELLSCHAFTEN UND KOLONIALISMUS: EURASISCHE ENTWICKLUNGSWEGE
Kolonialismus, Militärherrschaft und westlicher Wohlstand
Der Nachtwächterstaat und die zwei großen Sprünge des modernen Staates nach vorn
Staatliche Konkurrenz und damit einhergehende Innovationen: die Erfindung Europas
Smithianische Chinesen und mit Opium handelnde Europäer
Protektionismus und Merkantilismus: zu den Ursprüngen der «großen Divergenz»
Japan und die beschleunigte Modernisierung einer dreigliedrigen Gesellschaft
Von der sozialen Integration der Burakumin, der Unberührbaren und der Sinti und Roma
Die trifunktionale Gesellschaft und die Errichtung des chinesischen Staates
Die Beamtenprüfungen im kaiserlichen China: Gebildete, Vermögende und Krieger
Chinesische Aufstände und neue Weichenstellungen, die nicht ans Ziel gelangten
Ein Beispiel für eine geistliche konstitutionelle Republik: der Iran
Die antikolonialistische Legitimität des schiitischen Klerus
Egalitäre schiitische Republik, sunnitische Ölmonarchien: Reden und Realitäten
Gleichheit, Ungleichheit und Zakat in den muslimischen Ländern
Proprietarismus und Kolonialismus: die Globalisierung der Ungleichheit
DRITTER TEIL: DIE GROSSE TRANSFORMATION IM 20. JAHRHUNDERT
10.: DIE KRISE DER EIGENTÜMERGESELLSCHAFTEN
Die «große Transformation» der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neu denken
Die Auflösung der Ungleichheiten und des Privateigentums (1914–1945)
Vom europäischen Proprietarismus zum Neoproprietarismus in den Vereinigten Staaten
Das Ende der Eigentümergesellschaften, die Stabilität der Ungleichheit bei Löhnen und Gehältern
Analyse des Einbruchs beim Privateigentum (1914–1950)
Enteignungen, Verstaatlichungen als Sanktionen und «gemischte Wirtschaft»
Private Ersparnisse, staatliche Verschuldung und Inflation
Ein Schlussstrich unter die Vergangenheit und die Sorge für Gerechtigkeit: Sondersteuern auf privaten Kapitalbesitz
Vom Absturz des Eigentums zu seiner dauerhaften Dekonzentration: die Rolle der progressiven Besteuerung
Die angelsächsischen Ursprünge der modernen progressiven Besteuerung
Der Aufstieg des Steuer- und Sozialstaats
Die Vielfalt der Abgaben und der Rolle der progressiven Besteuerung
Die Eigentümergesellschaften, die progressive Besteuerung und der Erste Weltkrieg
Die Rolle der gesellschaftlichen und ideologischen Auseinandersetzungen beim Sturz des Proprietarismus
Warum eine soziale Einbettung der Märkte nötig ist
Die Konkurrenz der Imperien und die Auflösung des europäischen Gleichgewichts
Von maßlosen Tributzahlungen zu einer neuen kriegerischen Ordnung
Der Niedergang der Eigentümergesellschaften, die Überwindung des Nationalstaats
Die föderale Union – zwischen demokratischem Sozialismus und Ordoliberalismus
11.: SOZIALDEMOKRATISCHE GESELLSCHAFTEN: DIE UNVOLLENDETE GLEICHHEIT
Die Verschiedenheit der europäischen sozialdemokratischen Gesellschaften
Der New Deal in den Vereinigten Staaten: eine sozialdemokratische Gesellschaft mit Abschlag
Die Grenzen der sozialdemokratischen Gesellschaften
Öffentliches Eigentum, soziales Eigentum, Eigentum auf Zeit
Die Macht aufteilen, gesellschaftliches Eigentum einführen: eine unvollendete Geschichte
Erfolge und Grenzen der deutschen Mitbestimmung
Die langsame Ausbreitung der Mitbestimmung in den deutschsprachigen und nordeuropäischen Ländern
Sozialisten, Labour Party und Sozialdemokraten: Wege, die sich kreuzen
Von der europäischen Mitbestimmung zum Vorschlag «2x + y»
Jenseits der Mitbestimmung: soziales Eigentum und die Aufteilung der Macht neu denken
Kooperativen und Selbstverwaltung: Kapital, Macht und Stimmrechte
Die Sozialdemokratie, die Bildung und der verlorene Vorsprung der Vereinigten Staaten
Die Vereinigten Staaten, das Land der frühen primären und sekundären Schulbildung
Der Absturz der unteren Schichten in den Vereinigten Staaten seit 1980
Die Auswirkungen des Rechts-, Steuer- und Bildungssystems auf die primäre Ungleichheit
Die zunehmende Bedeutung der Hochschulbildung und die neue Stratifikation von Bildung und Gesellschaft in der Welt
Kann man seinen Studienplatz kaufen?
Ungleicher Zugang zu Bildung in Europa und in den Vereinigten Staaten
Gleicher Zugang zu Bildung, der Ursprung des Wachstums in der modernen Zeit
Die Sozialdemokratie und die gerechte Besteuerung: eine unvollständige Begegnung
Die Sozialdemokratie und die Überwindung des Kapitalismus und des Nationalstaats
Die Globalisierung und die Liberalisierung der Kapitalströme neu denken
Die Vereinigten Staaten, Europa und die Steuer auf Eigentum: eine unvollendete Debatte
Die progressive Eigentumsteuer oder die permanente Landreform
Das Beharrungsvermögen der Steuern auf Eigentum, die im 18. Jahrhundert entstanden
Kollektive Lernprozesse und künftige Perspektiven für die Besteuerung von Eigentum
Gemeinsamkeiten und Wiederentdeckungen bei der Steuer auf Eigentum
12.: KOMMUNISTISCHE UND POSTKOMMUNISTISCHE GESELLSCHAFTEN
Kann man ohne eine Eigentumstheorie Macht ausüben?
Vom Überleben des «Marxismus-Leninismus» an der Macht
Glück und Unglück der kommunistischen und antikolonialistischen Emanzipation
Der Kommunismus und die Frage der legitimen Unterschiede
Die Rolle des Privateigentums in einer dezentralisierten gesellschaftlichen Organisation
Das postkommunistische Russland: der Aufstieg von Oligarchen und Kleptokraten
Wenn Offshore-Geldanlagen den Gesamtwert der legalen Geldanlagen übersteigen
An den Ursprüngen der «Schocktherapie» und der russischen Kleptokratie
China als autoritäre gemischte Wirtschaft
Negative staatliche Vermögen, Allmacht des Privateigentums
Flucht nach vorn in die Verschuldung und die unterstellte Unmöglichkeit einer gerechten Besteuerung
Grenzen der chinesischen Ungleichheitstoleranz
Von der Undurchsichtigkeit der Ungleichheit in China
China zwischen Kommunismus und Plutokratie
Die Auswirkung der Kulturrevolution auf die Wahrnehmung der Ungleichheiten
Das chinesische Modell und die Überwindung der parlamentarischen Demokratie
Die Wahldemokratie, die Grenzen und das Eigentum
Die Einheitspartei und die Reformierbarkeit der gelenkten Demokratie
Osteuropa: ein Labor enttäuschter Hoffnungen nach dem Ende des Kommunismus
Die «Naturalisierung» der Marktkräfte in der Europäischen Union
Der Postkommunismus und die sozialnativistische Falle
13.: DER HYPERKAPITALISMUS: ZWISCHEN MODERNE UND RÜCKWÄRTSGEWANDTHEIT
Formen der Ungleichheit in der Welt des 21. Jahrhunderts
Der Nahe Osten, der Gipfel der Ungleichheiten
Die Messung von Ungleichheiten und die Frage nach der demokratischen Transparenz
Mangelnde Transparenz der Staaten in Steuerangelegenheiten
Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit
Die Ungleichheit der CO2-Emissionen verschiedener Länder und verschiedener Personen
Die Messung der Ungleichheit und der Rückzug der Staaten
Die Intransparenz durchbrechen: ein staatliches Finanzkataster
Die Verarmung der staatlichen Statistik im Informationszeitalter
Der Neoproprietarismus, die Intransparenz von Vermögen und der Steuerwettbewerb
Die Hyperkonzentration der Vermögen und ihre Hartnäckigkeit
Die Beharrungskraft des Patriarchats im 21. Jahrhundert
Die Verelendung der armen Staaten und die Liberalisierung des Handels
Wird die Geldschöpfung uns retten?
Der Neoproprietarismus und die neue Geldordnung
Neoproprietarismus und Ordoliberalismus: Von Hayek zur EU
Die Erfindung der Meritokratie und des Neoproprietarismus
Von der philanthropischen Illusion zur Vergötterung der Milliardäre
VIERTER TEIL: EIN NEUER BLICK AUF DEN POLITISCHEN KONFLIKT
14.: GRENZE UND EIGENTUM: DIE KONSTRUKTION DER GLEICHHEIT
Dekonstruktion der Linken und der Rechten: die Dimensionen des soziopolitischen Konflikts
Die Linke seit 1945: von der Arbeiterpartei zur Akademikerpartei
Zu einer globalen Untersuchung der politisch-ideologischen Lager
Für eine länderübergreifende Untersuchung der ethnischen Bruchlinien und des Sozialnativismus
Erneuerung der politischen Parteien, Rückgang der Wahlbeteiligung
Der Rückzug der Unterschichten von den Wahlen
Umkehrung des Bildungsgefälles: die neue Akademikerpartei
Die Beständigkeit der Umkehrung des Bildungsgefälles
Umkehrung des Bildungsgefälles, Neudefinition der beruflichen Gruppierungen
Die Linke und die Unterschicht: Anatomie eines Bruchs
Die «brahmanische Linke»: soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit
Bedarf an neuen Normen für Bildungsgerechtigkeit
Das Eigentum, die Linken und die Rechten
Die Linke und die Selbstständigen im 20. Jahrhundert: die Chronik eines gegenseitigen Misstrauens
Stärken und Schwächen der «brahmanischen Linken» und der «kaufmännischen Rechten»
Die Wiederkehr von Spaltungen nach nationaler Identität und Religion
Der Aufstieg des Nativismus und die große politisch-religiöse Zerrüttung
Religiöse Spaltungen, Spaltungen aufgrund der Herkunft: die Fallstricke der Diskriminierung
Die Grenze und das Eigentum: die viergeteilte Wählerschaft
Die Instabilität der viergeteilten Wählerschaft
Gelbwesten, Kohlendioxid und Vermögensteuer: die sozialnativistischen Fallstricke in Frankreich
Europa und die Unterschichten: ein Bruch
Die neoproprietaristische Instrumentalisierung Europas
15.: BRAHMANISCHE LINKE: DIE NEUEN EURO-AMERIKANISCHEN BRUCHLINIEN
Die Wandlungen des Parteiensystems in den Vereinigten Staaten
Werden die Demokraten zur Partei der Globalisierungsgewinner?
Über das politische Ausschlachten der Rassenspaltung in den Vereinigten Staaten
«Welfare queens» und «Rassenquoten»: die republikanische Südstaatenstrategie
Wählerlager und Identitätskonflikte: Blicke über den Atlantik
Über fließende Identitäten und die Gefahren starrer Kategorien
Die Demokraten, die «brahmanische Linke» und die Rassenfrage
Ungenutzte Chancen und verpasste Abzweigungen: Von Reagan zu Sanders
Die Wandlungen des Parteiensystems in Großbritannien
«Brahmanische Linke» und «kaufmännische Rechte» in Großbritannien
Wachsende religiöse und ethnische Spaltungen im postkolonialen Großbritannien
Die Politisierung der Einwanderung in Großbritannien, von Powell zur UKIP
Die europäische Entzweiung und die unteren Volksschichten
16.: SOZIALNATIVISMUS: DIE POSTKOLONIALE IDENTITÄTSFALLE
Von der Arbeiterpartei zur Akademikerpartei: Ähnlichkeiten und Varianten
Den Zerfall des Links-Rechts-Parteiensystems der Nachkriegszeit neu denken
Die Entstehung des Sozialnativismus im postkommunistischen Osteuropa
Die Entstehung des Sozialnativismus: der italienische Fall
Die Falle des Sozialnativismus und die europäische Ernüchterung
Die Demokratische Partei – ein erfolgreicher Sozialnativismus?
Der zwischenstaatliche Wettbewerb und die nativistische Marktideologie
Die nativistische Marktideologie und ihre Verbreitung
Die Möglichkeit eines europäischen Sozialföderalismus
Die Konstruktion eines transnationalen demokratischen Raums
Eine europäische parlamentarische Souveränität auf der Grundlage souveräner nationaler Parlamente schaffen
Vertrauen wiederherstellen, gemeinsame Gerechtigkeitsnormen schaffen
Die permanente Staatsschuldenkrise in Europa überwinden
Aus der Geschichte der Schulden lernen und neue Lösungen finden
Die politischen Voraussetzungen der sozial-föderalistischen Umgestaltung Europas
Die separatistische Falle und das katalanische Syndrom
Ideologische Unstimmigkeit, Steuerdumping und das Kleine-Länder-Syndrom
Die sozial-lokalistische Falle und die Konstruktion des transnationalen Staates
Die Entstehung des Parteiensystems und der Wählerlager in Indien
Politische Konfliktlinien in Indien: Zwischen Klasse, Kaste und Religion
Das allmähliche Hervortreten der Klassenspaltungen in Indien
Die Schicksalsgemeinschaft der unteren Schichten erkennen
Bruchlinien zwischen Klassen und zwischen Identitäten: die sozialnativistische Falle in Indien
Die Zukunft der Klassenspaltung und die Umverteilung in Indien: Wechselwirkungen
Die unvollendete Politisierung der Ungleichheit in Brasilien
Bruchlinien zwischen Identitäten, Bruchlinien zwischen Klassen: die Grenze und das Eigentum
Sackgassen und Fallstricke der Debatte über den Populismus
17.: ELEMENTE EINES PARTIZIPATIVEN SOZIALISMUS FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT
Gerechtigkeit als Partizipation: Teilhabe, Beratung, Mitbestimmung
Die Überwindung des Kapitalismus und des Privateigentums
Die Macht in Unternehmen aufteilen. Eine Teststrategie
Progressive Eigentumsteuer und Kapitalzirkulation
Eigentumsstreuung und allgemeine Kapitalausstattung
Das Triptychon der progressiven Steuer: Eigentum, Erbschaft, Einkommen
Die Rückkehr der Steuerprogression und die permanente Landreform
Für ein soziales und temporäres Eigentum
Vermögenstransparenz innerhalb eines einzelnen Landes
Zur Verankerung des Prinzips der Steuergerechtigkeit in der Verfassung
Grundeinkommen und gerechter Lohn: die Rolle der progressiven Einkommensteuer
Zur Frage der progressiven Besteuerung von CO2-Emissionen
Für die Einführung von Normen der Bildungsgerechtigkeit
Die Bildungsheuchelei beenden, für Transparenz sorgen
Gerechte Demokratie: Gutscheine für demokratische Gleichheit
Für eine partizipative und egalitäre Demokratie
Gerechte Grenzen. Über den globalen Sozialföderalismus nachdenken
Für eine transnationale Gerechtigkeit
Zwischen Kooperation und Abschottung: die Entwicklung des transnationalen Ungleichheitsregimes
SCHLUSSWORT
Geschichte als Kampf der Ideologien und Suche nach Gerechtigkeit
Über die Grenzen der Entwestlichung des Blicks
Über die staatsbürgerliche und politische Rolle der Sozialwissenschaften
INHALTSÜBERSICHT
AUFLISTUNG DER GRAFIKEN UND TABELLEN
PERSONENREGISTER
Dieses Buch setzt Das Kapital im 21. Jahrhundert fort, aber es kann auch unabhängig von ihm gelesen werden. Ganz wie sein Vorgänger bringt es eine kollektive Arbeit zum Abschluss, die ohne die Mitarbeit und Unterstützung sehr vieler Freunde und Kollegen nie hätte entstehen können. Für die Deutungen und Analysen, die auf den folgenden Seiten vorgelegt werden, bin selbstverständlich ich allein verantwortlich; aber nie hätte ich aus eigener Kraft die historischen Quellen zusammentragen können, auf die sich diese Untersuchung gründet.
Ich stütze mich namentlich auf die in der World Inequality Database gesammelten Daten (http://WID.world). Das unter diesem Namen laufende Projekt beruht auf den vereinten Anstrengungen von mehr als 100 Forschern und deckt inzwischen mehr als 80 Länder auf sämtlichen Kontinenten ab. Es bietet die umfassendste Datenbank zur historischen Entwicklung von Einkommens- und Vermögensungleichheiten innerhalb der einzelnen Länder wie zwischen ihnen, die derzeit verfügbar ist.
Darüber hinaus habe ich in diesem Buch zahlreiche andere Quellen und Materialien zu Zeiträumen, Ländern oder Aspekten konsultiert, die von WID.world nur unzureichend erfasst werden, zum Beispiel zu vorindustriellen Gesellschaften oder Kolonialgesellschaften, aber auch zu Status-, Berufs-, Bildungs-, Geschlechter-, Rassen- oder Religionsungleichheiten, zu politischen Einstellungen und zum Wahlverhalten.
Leser, die sich genauer über die Gesamtheit der historischen Quellen, bibliographischen Angaben oder über die Methoden informieren möchten, derer ich mich bediene, sind eingeladen, den online verfügbaren Technischen Anhang zu Rate zu ziehen (im Haupttext des Buches oder den Fußnoten konnten nur die wichtigsten Quellen und Belege zitiert werden): http://piketty.pse.ens.fr/files/AnnexeKIdeologie.pdf.
Alle statistischen Reihen, Grafiken und Tabellen, die im Buch vorgelegt werden, sind ebenfalls online verfügbar: http://piketty.pse.ens.fr/ideologie. Wer sich dafür interessiert, wird dort auch eine große Zahl zusätzlicher Grafiken und Datenreihen finden, die nicht ins Buch aufgenommen wurden, um es nicht zu überfrachten, auf die ich mich aber in den Fußnoten manchmal beziehe.
Besonders dankbar bin ich Facundo Alvaredo, Lucas Chancel, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman. Gemeinsam haben wir das Projekt WID.world und den Laboratoire sur les inégalités mondiales an der École d’économie de Paris und der University of California, Berkeley ins Leben gerufen. Aus diesem Projekt ist jüngst der Rapport sur les inégalités mondiales 2018 hervorgegangen (http://wir2018.wid.world), auf den ich in diesem Buch häufig zurückgreife. Mein Dank gilt auch den Institutionen, die dieses Projekt möglich gemacht haben, zuallererst der École des Hautes Études en Sciences Sociales, an der ich seit 2000 lehre und die eine der wenigen Einrichtungen auf der Welt ist, in der alle Sozialwissenschaften einander Gehör schenken und sich austauschen können, aber auch der École Normale supérieure und all den anderen Einrichtungen, die 2007 mit vereinten Kräften die École d’économie de Paris ins Leben gerufen haben, eine Schule, die, wie ich hoffe, in diesem beginnenden 21. Jahrhundert zur Entfaltung einer multipolar und interdisziplinär angelegten historischen und politischen Ökonomie beitragen wird.
Für ihre wertvolle Hilfe danke ich auch Lydia Assouad, Abhijit Banerjee, Adam Barbé, Charlotte Bartels, Nitin Barthi, Asma Benhenda, Erik Bengtsson, Yonatan Berman, Thomas Blanchet, Cécile Bonneau, Jérôme Bourdieu, Antoine Bozio, Cameron Campbell, Guillaume Carré, Guilhem Cassan, Amélie Chelly, Bijia Chen, Denis Cogneau, Léo Czajka, Mark Dincecco, Mauricio de Rosa, Esther Duflo, Luis Estevez-Bauluz, Ignacio Flores, Juliette Fournier, Bertrand Garbinti, Amory Gethin, Yajna Govind, Jonathan Goupille-Lebret, Julien Grenet, Jean-Yves Grenier, Malka Guillot, Pierre-Cyrille Hautcoeur, Simon Henochsberg, Mark Jemmama, Francesca Jensenius, Fabian Kosse, Attila Lindner, Noam Maggor, Clara Martinez Toledano, Ewan McGaughey, Cyril Milhaud, Marc Morgan, Eric Monnet, Mathilde Munoz, Alix Myczkowki, Delphine Nougayrede, Filip Novokmet, Katharina Pistor, Gilles Postel-Vinay, Jean-Laurent Rosenthal, Aurélie Sotura, Alessandro Stanziani, Blaise Truong-Lo, Sebastien Veg, Richard Von Glahn, Marlous van Waijenburg, Daniel Waldenström, Li Yang, Tom Zawisza, Roxane Zighed; ganz wie all meinen Freunden und Kollegen vom Centre François-Simiand d’histoire économique et sociale und vom Centre de recherches historiques der École des Hautes Études en Sciences Sociales und der École d’économie de Paris.
Dieses Buch hat auch davon profitiert, dass ich seit 2013, als Das Kapital im 21. Jahrhundert in Frankreich erschien, das große Glück hatte, an sehr vielen Debatten und Diskussionen teilnehmen zu dürfen. Einen großen Teil der Jahre 2014–2016 habe ich damit verbracht, um die Welt zu reisen und äußerst debattierfreudige Leser, Forscher, Gegner kennenzulernen. Ich habe an Hunderten von Diskussionen über mein Buch und die von ihm aufgeworfenen Fragen teilgenommen. All diese Begegnungen haben mich unendlich viel gelehrt und es mir erlaubt, meine Überlegungen zur historischen Dynamik von Ungleichheiten zu vertiefen.
Unter den vielen Unzulänglichkeiten meines Buchs von 2013 sollten zwei ausdrücklich erwähnt werden. Zum einen konzentriert es sich viel zu sehr auf den Westen. Es räumt den Erfahrungen der sogenannten «westlichen» Länder (Westeuropa, Nordamerika, Japan) einen unverhältnismäßig großen Raum ein. Das liegt unter anderem daran, dass Quellen für andere Länder und Weltregionen schwer zugänglich waren, aber es führt doch zu einer erheblichen Verengung des Blicks und der Reflexion. Zum anderen neigt Das Kapital im 21. Jahrhundert dazu, politisch-ideologische Entwicklungen, die von den beschriebenen Ungleichheiten und Umverteilungen nicht zu trennen sind, als eine Art black box zu behandeln. Natürlich stellt es die eine oder andere Hypothese auf und geht etwa darauf ein, wie sehr die Weltkriege, die Wirtschaftskrisen und die kommunistische Herausforderung im 20. Jahrhundert das Ihre dazu beigetragen haben, die Vorstellung von Ungleichheit und Privateigentum wie die Einstellungen zu ihnen zu verändern. Aber es tut dies, ohne die Frage nach der Entwicklung von Ungleichheitsideologien wirklich als solche zu stellen. Es ist diese Frage, der ich in dieser neuen Arbeit sehr viel ausdrücklicher nachzugehen versuche, indem ich sie in einem zeitlich wie räumlich ungleich weiter gefassten Vergleichshorizont erörtere.
Dank des Erfolgs meines Buchs von 2013 und der Unterstützung Hunderter von Bürgern, Forschern und Journalisten konnten wir in den letzten Jahren Quellen erschließen, zu denen uns die Regierungen der betreffenden Länder keinen Zugang gewährt hatten, etwa in Brasilien und Indien, Südafrika und Tunesien, im Libanon und in der Elfenbeinküste, in Korea und Taiwan, Polen und Ungarn und, leider weniger umfänglich, in China und Russland. Das ermöglicht es mir, in diesem neuen Buch die Beschränkung auf den westlichen Rahmen hinter mir zu lassen und eine dichtere Analyse von Ungleichheitsregimen in ihrer ganzen Vielfalt, aber auch möglicher anderer Wege und Abzweigungen vorzulegen. Vor allem haben diese Jahre der Begegnung, des Austauschs und der Lektüre mir die Gelegenheit geboten, zu lernen und gründlicher über die politisch-ideologische Dynamik von Ungleichheiten nachzudenken, aber auch neue Quellen zu politischen Diskursen und Haltungen auszuwerten, die Stellung zur Frage der Ungleichheit beziehen, um ein Buch zu schreiben, das mir reicher als sein Vorgänger scheint, den es zugleich weiterführt. Das Resultat liegt vor, und jeder mag sich selbst ein Urteil bilden.
Schließlich wäre nichts möglich ohne meine Familie. Sechs glückliche Jahre sind seit der Redaktion und Veröffentlichung von Das Kapital im 21. Jahrhundert vergangen. Meine drei geliebten Töchter sind zu jungen Erwachsenen geworden (oder beinahe: zwei Jahre noch, Hélène, bis Deborah und Juliette dich im Club willkommen heißen!). Ohne ihre Liebe und ihre Energie wäre das Leben nicht, was es ist. Und Julia und ich, wir haben nicht aufgehört zu reisen, uns auszutauschen, Bekanntschaften zu schließen, uns wiederzulesen und wiederzuschreiben, uns in endlosen Gesprächen über die Welt auszutauschen. Sie allein weiß, was dieses Buch ihr alles schuldet, was ich ihr alles schulde. So soll es weitergehen!
Jede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen. Sie muss gute Gründe für sie finden, da andernfalls das gesamte politische und soziale Gebäude einzustürzen droht. So bringt jedes Zeitalter eine Reihe kontroverser Diskurse und Ideologien hervor, um Ungleichheit in der Gestalt, in der es sie gibt oder geben sollte, zu legitimieren und wirtschaftliche, soziale und politische Regeln aufzustellen, die geeignet sind, das gesellschaftliche Ganze zu organisieren. Dieser zugleich intellektuellen, institutionellen und politischen Auseinandersetzung entspringen im Allgemeinen eine oder mehrere herrschende Erzählungen, auf die sich die bestehenden Ungleichheitsregime stützen.
In den heutigen Gesellschaften übernimmt diese Rolle vor allem die proprietaristische[1] und meritokratische, den Unternehmergeist beschwörende Erzählung: Die moderne Ungleichheit ist gerecht und angemessen, da sie sich aus einem frei gewählten Verfahren ergibt, in dem jeder nicht nur die gleichen Chancen des Marktzugangs und Eigentumserwerbs hat, sondern überdies ohne sein Zutun von dem Wohlstand profitiert, den die Reichsten akkumulieren, die folglich unternehmerischer, verdienstvoller, nützlicher als alle anderen sind. Und dadurch sind wir auch himmelweit entfernt von der Ungleichheit älterer Gesellschaften, die auf starren, willkürlichen und oft repressiven Statusunterschieden beruhte.
Das Problem ist, dass diese große proprietaristische und meritokratische Erzählung, die im 19. Jahrhundert, nach dem Niedergang der Ständegesellschaften des Ancien Régime, ihre erste Sternstunde erlebte und Ende des 20. Jahrhunderts, nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Triumph des Hyper-Kapitalismus, eine radikale Reformulierung globalen Zuschnitts erfahren hat, immer weniger tragfähig scheint. Sie führt zu Widersprüchen, die in Europa und den Vereinigten Staaten, in Indien und Brasilien, China und Südafrika, Venezuela und dem Nahen Osten gewiss ganz unterschiedliche Formen annehmen. Gleichwohl sind diese verschiedenen, teilweise auch gekoppelten Wegverläufe, die einer je eigenen Geschichte entspringen, zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts immer enger miteinander verbunden. Nur aus einer transnationalen Perspektive werden wir daher die Schwachstellen dieses Narrativs besser verstehen und die Rekonstruktion einer alternativen Erzählung ins Auge fassen können.
Tatsächlich sind wachsende sozio-ökonomische Ungleichheiten seit den 1980er und 1990er Jahren in fast allen Teilen der Welt zu verzeichnen. In manchen Fällen haben sie so dramatische Ausmaße angenommen, dass es zusehends schwieriger wird, sie im Namen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen. Zudem gähnt allenthalben ein Abgrund zwischen den offiziellen meritokratischen Verlautbarungen und den Realitäten, mit denen sich die beim Bildungs- und Reichtumserwerb benachteiligten Klassen konfrontiert sehen. Allzu oft dient der meritokratische, das Unternehmertum preisende Diskurs den Gewinnern des heutigen Wirtschaftssystems offenbar dazu, auf bequeme Weise jedes erdenkliche Ungleichheitsniveau zu rechtfertigen, ohne es überhaupt in Augenschein nehmen zu müssen, und die Verlierer ob ihres Mangels an Verdienst, Fleiß und sonstigen Tugenden zu brandmarken. Diese Schuldigsprechung der Ärmsten hat es in früheren Ungleichheitsregimen, die eher die funktionale Entsprechung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Auge hatten, nicht oder zumindest nicht in diesem Ausmaß gegeben.
Die moderne Ungleichheit zeichnet sich denn auch durch eine Reihe von Diskriminierungspraktiken und ethnisch-religiösen oder den Rechtsstatus betreffenden Ungleichheiten aus, deren gewaltsamer Charakter zu den meritokratischen Ammenmärchen so recht nicht passen will und uns vielmehr in die Nähe der brutalsten Formen vergangener Ungleichheiten rückt, mit denen wir doch nichts gemein haben wollen. Man denke an die Diskriminierung, der Obdachlose oder Menschen einer bestimmten Herkunft und aus bestimmten Vierteln ausgesetzt sind. Oder an die Migranten, die im Mittelmeer ertrinken. Angesichts dieser Widersprüche und mangels eines neuen glaubhaften universalistischen Gleichheitshorizontes, den wir bräuchten, um uns den wachsenden Herausforderungen zu stellen, mit denen Ungleichheit, Migration und Klimawandel uns konfrontieren, steht zu befürchten, dass mehr und mehr die identitäre und nationalistische Abschottung als große Ersatzerzählung einspringt, wie es im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten war und in diesem beginnenden 21. Jahrhundert in den verschiedensten Teilen der Welt abermals zu beobachten ist.
Es war der Erste Weltkrieg, der einen Prozess zunächst des Abbruchs, dann der Neubestimmung jener Globalisierung der Geschäfts- und Finanzwelt in Gang setzte, die zu stark wachsender Ungleichheit in der «Belle Époque» (1880–1914) geführt hatte – in einer Epoche, die belle allenfalls im Vergleich mit der Entfesselung von Gewalt heißen kann, die auf sie folgen sollte. Schön war sie in Wahrheit bloß für die Besitzenden, und namentlich für den weißen besitzenden Mann. Wenn das heutige Wirtschaftssystem nicht zutiefst verwandelt wird, um es in den einzelnen Ländern, aber auch zwischen ihnen egalitärer, gerechter und nachhaltiger zu machen, dann könnte es sein, dass der fremdenfeindliche «Populismus» und seine möglichen Wahlerfolge es sind, die sehr bald die hyper-kapitalistische und digitale Globalisierung der Jahre 1990–2020 in einen Zerfallsprozess eintreten lassen.
Um diese Gefahr zu bannen, bleiben unsere größten Trümpfe das Wissen und die Geschichte. Jede menschliche Gesellschaft muss ihre Ungleichheiten rechtfertigen, und in solchen Rechtfertigungen steckt immer beides: Wahrheit und Übertreibung, Einbildungskraft und Niedertracht, Idealismus und Egoismus. Ungleichheitsregime, wie sie in dieser Untersuchung definiert werden, zeichnen sich durch ein Zusammenspiel von Diskursen und institutionellen Einrichtungen aus, die der Rechtfertigung und Organisation wirtschaftlicher, sozialer und politischer Ungleichheit in den jeweiligen Gesellschaften dienen. Jedes Regime hat seine Schwächen, und keines kann überleben, ohne sich ständig neu zu definieren, oft in gewaltsamen Auseinandersetzungen, oft aber auch im Rückgriff auf geteilte Erfahrungen und Erkenntnisse. Dieses Buch befasst sich mit der Geschichte und Zukunft von Ungleichheitsregimen. Indem ich historisches Material aus weit auseinanderliegenden Gesellschaften zusammentrage, die meist nichts voneinander wissen oder es ablehnen, miteinander verglichen zu werden, hoffe ich aus einer globalen und transnationalen Perspektive zu einem besseren Verständnis der derzeitigen Veränderungen beizutragen.
Eine wichtige Schlussfolgerung aus dieser historischen Analyse wird lauten, dass es der Kampf für Gleichheit und Bildung war, der die Wirtschaftsentwicklung und den menschlichen Fortschritt möglich gemacht hat, nicht die Heiligsprechung von Eigentum, Stabilität und Ungleichheit. An der neuen ultra-inegalitären Erzählung, die sich seit den 1980er Jahren durchgesetzt hat, sind die Geschichte und das Desaster des Kommunismus nicht unschuldig. Aber sie ist auch die Frucht der Unkenntnis wie der Zerstückelung des Wissens und hat erheblich dazu beigetragen, den Fatalismus und die identitären Auswüchse zu nähren, mit denen wir es heute zu tun haben. Nimmt man aus einer interdisziplinären Perspektive den Faden der Geschichte wieder auf, so wird es möglich, zu einer ausgewogeneren Erzählung zu kommen, um die Umrisse eines neuen partizipativen Sozialismus für das 21. Jahrhundert zu zeichnen und den universalistischen Horizont einer neuen Ideologie der Gleichheit, des gesellschaftlichen Eigentums, der Bildung, der Wissens- und Machtverteilung zu erschließen. Diese Erzählung ist optimistischer, sie setzt größeres Vertrauen in die menschliche Natur. Aber sie ist auch genauer und plausibler als die überkommenen Erzählungen, weil sie die Lehren beherzigt, die wir aus einer globalen Geschichte ziehen können. Natürlich bleibt es jedem selbst überlassen, sich ein Urteil zu bilden und sich diese ebenso anfechtbaren wie vorläufigen Schlüsse anzuverwandeln, sie zu verändern und weiterzuführen.
Bevor ich die Anlage dieses Buches und die verschiedenen Etappen meiner historischen Darstellung vorstelle, von den dreigliedrigen Gesellschaften und Sklavenhaltergesellschaften bis zu den modernen postkolonialen und hyper-kapitalistischen Gesellschaften, will ich erläutern, auf welche Hauptquellen ich mich stütze und in welchem Sinne mein vorheriges Buch, Das Kapital im 21. Jahrhundert, durch diese Arbeit fortgesetzt wird. Zunächst möchte ich aber kurz den Ideologiebegriff vorstellen, den diese Untersuchung verwendet.
Ich werde im Rahmen dieses Buchs versuchen, einen positiven und konstruktiven Ideologiebegriff zu verwenden, der Ideologie als Gefüge von Ideen und Diskursen versteht, die auf grundsätzlich plausible Weise beschreiben wollen, wie die Gesellschaft zu organisieren sei. Dabei soll die jeweilige Ideologie in ihren zugleich sozialen, ökonomischen und politischen Dimensionen betrachtet werden. Ideologien sind mehr oder weniger schlüssige Versuche, Antworten auf eine Reihe extrem weit gefasster Fragen zu geben, die um die erstrebenswerte oder ideale Organisation der Gesellschaft kreisen. Bedenkt man die Komplexität dieser Fragen, so versteht es sich von selbst, dass keine Ideologie je eine angemessene und erschöpfende Antwort auf sie alle bereithalten wird und Konflikte und Meinungsverschiedenheiten daher etwas sind, das der Ideologie selber innewohnt. Dennoch muss jede Gesellschaft um Antworten auf solche Fragen ringen, oft auf der Grundlage eigener historischer Erfahrungen, aber manchmal auch im Rückgriff auf Erfahrungen anderer Gesellschaften. Und grundsätzlich fühlt sich auch jeder Einzelne aufgefordert, sich eine Meinung zu diesen fundamentalen und existenziellen Fragen zu bilden, wie unbestimmt und unzulänglich sie auch sein mag.
Dabei steht insbesondere das politische Regime infrage, also die Gesamtheit der Regeln, die eine Gemeinschaft definieren und ihr Hoheitsgebiet abstecken, die Mechanismen kollektiver Beschlussfassung und die politischen Rechte ihrer Mitglieder. Darunter fallen die unterschiedlichen Formen politischer Teilhabe und Mitbestimmung ebenso wie die Rolle von Einwohnern und Ausländern, Präsidenten und Versammlungen, Ministern und Königen, Parteien und Wahlen, Kolonialreichen und Kolonien.
Es geht aber auch um die Frage des Eigentumsregimes, das heißt der Gesamtheit der Regeln, die über mögliche Eigentumsformen entscheiden, sowie der Rechtsmittel und Praktiken, die die Eigentumsverhältnisse zwischen den jeweiligen Gesellschaftsgruppen regeln und über die Einhaltung dieser Regeln wachen. Die Rolle des privaten und öffentlichen Eigentums, des Eigentums an Immobilien und Finanzwerten, Sklaven, Agrarland und Bodenschätzen, an geistigen und immateriellen Gegenständen steht hier ebenso auf dem Spiel wie die Beziehung zwischen Eigentümern und Mietern, Adligen und Bauern, Herren und Sklaven, Aktionären und Lohnempfängern.
Jede Gesellschaft, also jedes Ungleichheitsregime gibt mehr oder weniger schlüssige Antworten auf die Frage des politischen Regimes und des Eigentumsregimes. Diese zwei Reihen von Antworten und Diskursen sind häufig eng miteinander verknüpft, entspringen sie doch beide nicht zuletzt einer Theorie der sozialen Ungleichheit und der (realen oder angenommenen, legitimen oder verwerflichen) Ungleichgewichte zwischen den jeweiligen sozialen Gruppen. Sie schließen im Allgemeinen zahlreiche andere intellektuelle und institutionelle Einrichtungen ein, namentlich ein Bildungssystem (das heißt Regeln und Institutionen, die geistige und kognitive Übertragung erlauben: Familien und Kirchen, Väter und Mütter, Schulen und Universitäten) und ein Steuersystem (das heißt Einrichtungen, die es erlauben, Staaten und Regionen, Kommunen und Kolonialreiche ebenso mit Mitteln zu versorgen wie soziale, religiöse und kollektive Organisationen ganz unterschiedlicher Art). Die Antworten im Hinblick auf diese verschiedenen Problemdimensionen können indessen erheblich voneinander abweichen. Man mag sich über die Frage der politischen Ordnung, aber nicht über die der Eigentumsordnung einig sein, oder über diesen, aber nicht jenen Aspekt der Fragen zum Steuer- oder Bildungssystem. Der ideologische Konflikt ist fast immer mehrdimensional, auch wenn eine Achse in den Vordergrund treten mag, zumindest eine Zeit lang, was die Illusion eines umfassenden Konsensus erzeugen und mitunter zur Mobilisierung weiter Teile der Bevölkerung und zu großen historischen Umwälzungen führen kann.
Jedes Ungleichheitsregime, jede Ungleichheitsideologie beruht, vereinfacht gesprochen, auf einer Theorie der Grenze und einer Theorie des Eigentums.
Auf der einen Seite muss die Frage der Grenze beantwortet werden. Man muss klären, wer Teil der menschlichen und politischen Gemeinschaft ist, der man angehört oder sich anschließt, und wer nicht, auf welchem Gebiet und nach welchen Regeln sie regiert werden will, und wie sich ihre Beziehungen zu anderen Gemeinschaften innerhalb einer umfassenden menschlichen Gemeinschaft (die je nach Ideologie mehr oder weniger als solche anerkannt wird) organisieren lassen. Es geht dabei um die Frage des politischen Regimes, aber ihre Beantwortung schließt auch eine unmittelbare Antwort auf die Frage der sozialen Ungleichheit ein, zuallererst jener, die Staatsangehörige von Ausländern trennt.
Auf der anderen Seite muss die Frage nach dem Eigentum beantwortet werden. Kann man andere Individuen besitzen? Oder Anbauflächen, Immobilien, Unternehmen, natürliche Ressourcen, Erkenntnisse, finanzielle Vermögenswerte, die Staatsschulden? Nach welchen praktischen Modalitäten und auf der Grundlage welches Rechtssystems, welcher Rechtsprechung kann man die Beziehungen zwischen Eigentümern und Nichteigentümern regeln und dafür sorgen, dass sie aufrechterhalten werden? Diese Frage des Eigentumsregimes hat, wie die des Bildungs- und Steuerregimes, einen gestaltenden Einfluss auf soziale Ungleichheiten und ihre Entwicklung.
In den meisten frühen Gesellschaften sind die Fragen des politischen Regimes und des Eigentumsregimes, anders gesagt: die Frage der Macht über Personen und die Frage der Macht über Sachen (das heißt über Eigentumsgegenstände, die mitunter, im Fall der Sklaverei, Personen sein können, in jedem Fall aber einen bestimmenden Einfluss auf Machtverhältnisse zwischen Personen haben), unmittelbar miteinander verknüpft. Ganz offensichtlich ist dies der Fall in den Sklavenhaltergesellschaften, in denen beide Fragen weitgehend zusammenfallen: Bestimmte Individuen besitzen andere Individuen und sind deren Herren und Besitzer zugleich.
Dasselbe gilt, aber in subtilerer Weise, von den Dreiständeordnungen oder «trifunktionalen» Gesellschaften, also solchen, die in drei Klassen mit je eigener Funktion aufgeteilt sind: eine klerikale und geistliche Klasse, eine adlige und kriegerische Klasse, eine nichtadelige und arbeitende Klasse. In dieser historischen Form, wie sie in allen vormodernen Zivilisationen zu beobachten ist, sind die beiden herrschenden Klassen unauflöslich zugleich regierende, also mit Hoheitsbefugnissen (Sicherheit, Rechtsprechung) ausgestattete und besitzende Klassen. Über Jahrhunderte war derart der «landlord» der Herr lebender, auf seinem Land arbeitender Personen so gut wie des Landes selbst.
Die Eigentümergesellschaften, die insbesondere im Europa des 19. Jahrhunderts ihre Blüte erlebten, waren im Gegenteil bemüht, die Frage des Eigentumsrechts (das als universell galt und allen offenstehen sollte) und die der Hoheitsbefugnis (unterdessen Monopol des Zentralstaats) streng voneinander zu trennen. Gleichwohl bleiben politische Ordnung und Eigentumsordnung auch in diesen Gesellschaften eng miteinander verknüpft. Zum einen, weil die Wahrnehmung politischer Rechte lange den Eigentümern vorbehalten war (in politischen Regimen, in denen das sogenannte Zensuswahlrecht galt), und zum anderen, allgemeiner gesprochen, weil zahllose verfassungsrechtliche Vorschriften dafür sorgten (und weiterhin sorgen), einer politischen Mehrheit jede Möglichkeit der legalen und friedlichen Umgestaltung des Eigentumsregimes drastisch zu beschneiden.
So haben die Fragen der politischen Ordnung und die der Eigentumsordnung, wie wir sehen werden, tatsächlich nie aufgehört, unauflöslich miteinander verknüpft zu sein, von den Dreiständeordnungen und Sklavenhaltergesellschaften über die Eigentümergesellschaften und kommunistischen und sozialdemokratischen Gesellschaften, die sich als Reaktion auf die von den Eigentümergesellschaften gezeitigten Ungleichheits- und Identitätskrisen herausgebildet haben, bis zu den modernen postkolonialen und hyperkapitalistischen Gesellschaften.
Daher schlage ich vor, diese historischen Veränderungen unter Verwendung des Begriffs des «Ungleichheitsregimes» zu analysieren, der beide Begriffe, den des politischen Regimes und den des Eigentumsregimes (und weiterhin des Bildungs- und Steuersystems) umfasst und ihre Zusammengehörigkeit deutlicher hervortreten lässt. Um zu veranschaulichen, dass die strukturbildenden Verflechtungen zwischen politischer Ordnung und Eigentumsordnung auch in der heutigen Welt noch allgegenwärtig sind, reicht der Hinweis auf das Fehlen jedes demokratischen Mechanismus, der es einer Mehrheit der Bürger der Europäischen Union (oder gar der Weltbürger) erlauben würde, die geringste Steuer oder das geringste Umverteilungs- und Entwicklungsprojekt auf Gemeinschaftsebene ins Leben zu rufen, kann doch jedes noch so bevölkerungsarme Land sein Veto gegen eine gemeinsame Steuer einlegen, wie groß die Vorteile, die es aus seiner Integration in den europäischen Finanz- und Handelsraum zieht, auch immer sein mögen.
Das entscheidende Faktum ist, dass die zeitgenössische Ungleichheit zutiefst durch das System von Grenzen und Nationalitäten und die mit ihm verknüpften politischen wie sozialen Rechte strukturiert wird. Das trägt in diesem beginnenden 21. Jahrhundert zum Aufkommen multidimensionaler Konflikte bei, die sich an Fragen der Ungleichheit, der Migration und der Identität entzünden und es erheblich erschweren, Koalitionen zu schmieden und Mehrheiten zu finden, mit denen man den wachsenden Ungleichheiten Einhalt gebieten könnte. Die ethno-religiösen und nationalen Bruchlinien hindern, konkret gesprochen, die unteren Volksschichten unterschiedlicher Herkunft und aus verschiedenen Ländern daran, sich in einer politischen Koalition zusammenzuschließen, was zwangsläufig den Reichsten in die Hände spielt und die ausufernde Ungleichheit befördert. Was fehlt, ist eine Ideologie und programmatische Plattform, die überzeugend genug wäre, um die benachteiligten Gesellschaftsgruppen davon zu überzeugen, dass das, was sie miteinander verbindet, wichtiger ist als das, was sie voneinander trennt. Ich möchte hier nur die Tatsache hervorheben, dass die engen Bande zwischen politischer Ordnung und Eigentumsordnung einer uralten, strukturellen und fortdauernden Realität entsprechen, die zu analysieren eine umfassende historische und transnationale Perspektivierung voraussetzt.
Die Ungleichheit ist keine wirtschaftliche oder technologische, sie ist eine ideologische und politische Ungleichheit. So lautet zweifellos die offensichtlichste Schlussfolgerung aus der in diesem Buch vorgelegten historischen Untersuchung. Den Markt und den Wettbewerb als solchen gibt es so wenig, wie es Gewinn und Lohn, Kapital und Schulden, hochqualifizierte und geringqualifizierte Arbeiter, Einheimische und Fremde, Steuerparadiese und Wettbewerbsfähigkeit als solche gibt. All das sind soziale und historische Konstruktionen, die durch und durch nicht nur davon abhängen, welches Rechts-, Steuer-, Bildungs- und Politiksystem man in Kraft zu setzen beschließt, sondern auch von den Begriffen, die man sich davon macht. Diese Entscheidungen gehen zunächst und vor allem darauf zurück, was eine Gesellschaft unter sozialer Gerechtigkeit und gerechter Wirtschaft versteht, aber auch auf die politisch-ideologischen Kräfteverhältnissen zwischen den verschiedenen Gruppen und Diskursen in dieser Gesellschaft. Diese Kräfteverhältnisse sind ihrerseits, und das ist der entscheidende Punkt, keine bloß materiellen, sie sind auch und vor allem intellektuelle und ideologische Kräfteverhältnisse. Es kommt, anders gesagt, in der Geschichte ganz entscheidend auf Ideen und Ideologien an. Sie sind es, die es uns stets erlauben, uns neue Welten und andere Gesellschaften vorzustellen. Wir haben es immer mit einer Vielzahl möglicher Wege zu tun.
Dieser Ansatz unterscheidet sich von zahlreichen konservativen Diskursen, die uns erzählen wollen, Ungleichheit sei «naturgegeben». Es verwundert kaum, dass in ganz unterschiedlichen Gesellschaften, zu allen Zeiten und unter allen Breitengraden die Eliten es darauf anlegen, Ungleichheiten zu naturalisieren, also so zu tun, als hätten diese natürliche und objektive Gründe, um uns darüber zu belehren, die sozialen Ungleichgewichte seien nur zum Besten der Ärmsten und der Gesellschaft überhaupt, und im Übrigen sei ihre derzeitige Struktur ohnehin die einzig denkbare und lasse sich nicht substanziell verändern, ohne den größten Schaden anzurichten. Die historische Erfahrung beweist das Gegenteil. Ungleichheiten schwanken ganz erheblich, in Zeit und Raum, und nicht nur dem Umfang, sondern auch der Struktur nach. Sie verändern sich mitunter so rasch, dass die Zeitgenossen sich einige Jahrzehnte zuvor davon nichts hätten träumen lassen. Das hat manchmal Unheil gebracht, aber in ihrer Gesamtheit waren all die Brüche, all die revolutionären Umschwünge und politischen Prozesse, die es erlaubt haben, überkommene Ungleichheiten abzubauen und zu verwandeln, ein ungeheurer Fortschritt. Sie stehen am Ursprung unser wertvollsten Institutionen, derselben, die dafür gesorgt haben, dass die Idee des menschlichen Fortschritts Realität wird (das allgemeine Wahlrecht, die kostenlose Schulbildung und die Schulpflicht, die allgemeine Krankenversicherung und die progressive Steuer). Es ist sehr wahrscheinlich, dass es dabei auch in Zukunft bleibt. Was immer Konservative darüber denken mögen, die derzeitigen Ungleichheiten und Institutionen sind nicht die allein möglichen, und auch sie werden nicht umhin können, sich zu verändern und stets wieder neu zu erfinden.
Aber dieser Ansatz, der um die Ideologien, die Institutionen und die Vielfalt möglicher Wege kreist, unterscheidet sich auch von bestimmten Lehrmeinungen, die man zuweilen als «marxistisch» bezeichnet und die davon ausgehen, der ideologische «Überbau» werde nachgerade mechanisch vom Stand der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse determiniert. Dagegen beharre ich auf einer genuinen Autonomie der Ideen, das heißt der ideologisch-politischen Sphäre. Für ein und denselben Entwicklungsstand der Ökonomie und der Produktivkräfte (vorausgesetzt, dieses Wort ist sinnvoll, was nicht feststeht) gibt es stets eine Mehrzahl möglicher ideologischer und politischer Ordnungen, also auch möglicher Ungleichheitsregime. So erlaubt es zum Beispiel die Theorie des unausweichlichen Übergangs vom «Feudalismus» zum «Kapitalismus» im Zuge der Industriellen Revolution nicht, der Fülle historischer und politisch-ideologischer Entwicklungslinien Rechnung zu tragen, die sich in den verschiedenen Ländern und Regionen der Welt beobachten lassen, namentlich zwischen kolonialisierenden und kolonialisierten Regionen, aber auch innerhalb der einzelnen Regionen. Und sie hindert uns vor allem daran, daraus die richtigen Lehren für die nächsten Schritte zu ziehen. Nimmt man den Faden dieser Geschichte wieder auf, so stellt man fest, dass es die Alternativen stets gegeben hat und auch stets geben wird. Auf allen Entwicklungsstufen gibt es ganz unterschiedliche Wege, ein wirtschaftliches, soziales und politisches System zu gestalten, die Eigentumsverhältnisse zu definieren, ein Steuer- oder Bildungssystem einzurichten, mit öffentlichen oder privaten Schulden umzugehen, die Beziehungen zwischen verschiedenen menschlichen Gemeinschaften zu regeln etc. Und die Unterschiedlichkeit der Wegverläufe beschränkt sich nicht auf Details. Das Gegenteil trifft zu, und das gilt insbesondere für die möglichen Wege, die Eigentumsverhältnisse im 21. Jahrhundert zu organisieren. Manche unter ihnen könnten eine Überwindung des Kapitalismus darstellen, die sehr viel realer ist als der Weg, den die wählen, die seinen Untergang voraussagen, ohne sich darum zu kümmern, was danach kommt.
Die Erforschung der verschiedenen historischen Wegverläufe und der vielen Abzweigungen zu unbeschrittenen Wegen ist das beste Mittel gegen den elitistischen Konservatismus, aber auch gegen den revolutionären Attentismus derer, die auf den Grand Soir, den Vorabend des großen Umsturzes warten. Ein solcher Attentismus dispensiert seine Vertreter häufig davon, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, welche wirklich befreiende institutionelle und politische Ordnung eigentlich am Tage nach dem Großen Abend in Kraft treten soll. Und er verleitet gemeinhin dazu, auf eine ebenso aufgeblähte wie unbestimmte Staatsmacht zu vertrauen, was sich als ebenso gefährlich erweisen kann wie die proprietaristische Heiligsprechung des Eigentums, der man entgegenzutreten behauptet. Diese Haltung hat im 20. Jahrhundert erheblichen menschlichen und politischen Schaden angerichtet, und den Preis dafür werden wir lange noch zahlen.
Dass der Postkommunismus (in der russischen wie chinesischen und in einem gewissen Maße auch der osteuropäischen Version, ungeachtet all dessen, was diese drei Entwicklungslinien trennt) am Beginn des 21. Jahrhunderts zum treuesten Verbündeten des Hyper-Kapitalismus werden konnte, ist eine unmittelbare Folge des kommunistischen Desasters in seiner stalinistischen wie maoistischen Spielart und des Schwindens aller egalitaristischen und internationalistischen Ambitionen, das sich aus ihm ergab. Dass es diesem Desaster sogar gelungen ist, das Unheil, das von sklavenhalterischen, kolonialistischen und rassistischen Ideologien angerichtet wurde, ebenso in den Hintergrund treten zu lassen wie deren tiefe Übereinstimmungen mit der proprietaristischen und hyper-kapitalistischen Ideologie, ist wahrlich keine geringe Leistung.
So weit es möglich ist, werde ich in diesem Buch versuchen, die Ideologien ernst zu nehmen. Tatsächlich möchte ich jeder Ideologie der Vergangenheit eine Chance geben, namentlich den proprietaristischen, sozial-demokratischen und kommunistischen, aber auch den trifunktionalen, sklavenhalterischen oder kolonialistischen, indem ich ihrer je eigenen Logik folge. So extrem und maßlos sie in der Verteidigung eines bestimmten Typs von Ungleichheit oder Gleichheit auch sein mag – ich gehe von dem Prinzip aus, dass jede Ideologie auf ihre Weise einer Vorstellung von einer gerechten Gesellschaft und sozialer Gerechtigkeit Ausdruck verleiht. In jeder dieser Vorstellungen steckt eine gewisse Wahrheit und Wahrhaftigkeit, jede hat eine ihr eigene Schlüssigkeit, aus der sich nützliche Lehren für die Zukunft ziehen lassen, zumindest unter der Bedingung, dass man diese politisch-ideologischen Entwicklungen nicht auf abstrakte, unhistorische, von den jeweiligen Institutionen abgelöste Weise in Augenschein nimmt, sondern im Gegenteil so, wie sie sich in ganz bestimmten Gesellschaften, Zeiträumen und Institutionen verkörpert haben, die sich durch spezifische Eigentumsformen, Steuerordnungen und Bildungssysteme auszeichnen. Um diese Formen konsequent zu durchdenken, darf man sich auch eine eingehende Untersuchung jener Regeln und Funktionsbedingungen (Rechtssysteme, Steuertarife, Lehrmittel etc.) nicht ersparen, ohne die Institutionen wie Ideologien bloß leere Gehäuse sind, unfähig, die Gesellschaft wirklich zu verändern und sich anhaltender Zustimmung zu versichern.
Dabei ist mir nicht unbekannt, dass es auch einen pejorativen Gebrauch des Ideologiebegriffs gibt, der mitunter durchaus gerechtfertigt ist. Ideologisch wird häufig eine dogmatisch verhärtete Sichtweise genannt, die den Tatsachen nicht ausreichend Rechnung trägt. Das Problem ist, dass allzu oft diejenigen, die sich ihren unbedingten Pragmatismus zugutehalten, im pejorativen Sinne des Worts «ideologischer» als alle anderen sind: Ihre vermeintlich post-ideologische Haltung verhehlt mehr schlecht als recht, wie wenig sie sich um die Fakten scheren, wie groß ihre historische Unkenntnis ist, wie hartnäckig sie ihren Vorurteilen und ihrem Klassenegoismus verhaftet bleiben. Das vorliegende Buch dagegen wird ausgesprochen «faktenbezogen» sein. Ich werde eine Fülle historischer Entwicklungen nachzeichnen, die die Struktur der Ungleichheiten und ihre Verwandlung in unterschiedlichen Gesellschaften betreffen. Zum einen, weil es sich um das Spezialgebiet handelt, von dem ich als Forscher herkomme, und zum anderen, weil ich davon überzeugt bin, dass eine sachliche Prüfung der verfügbaren Quellen zu diesen Fragen unser kollektives Nachdenken voranbringt. Sie ermöglicht insbesondere einen Vergleich von Gesellschaften, die sich sehr stark voneinander unterscheiden und es häufig ablehnen, sich miteinander zu vergleichen, weil sie (meist zu Unrecht) von ihrem «Ausnahmecharakter», von der Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit ihres Weges überzeugt sind.
Zugleich weiß ich nur zu gut, dass die verfügbaren Quellen niemals in der Lage sein werden, alle Streitigkeiten auszuräumen. Keine Untersuchung der «Tatsachen» wird je eine erschöpfende Antwort auf die Frage nach der idealen politischen Ordnung, der idealen Eigentumsordnung, dem idealen Bildungs- und Steuersystem geben können. Zunächst, weil «Tatsachen» oder «Fakten» hochgradig von institutionellen Dispositiven (Erhebungen, Umfragen, Untersuchungen, Steuern etc.) und von den sozialen, fiskalischen oder juristischen Begriffen abhängen, die Gesellschaften bilden, um sich selbst zu beschreiben, zu vermessen, zu verwandeln. «Tatsachen» sind, anders gesagt, selber Konstruktionen. Korrekt erfassen lassen sie sich daher nur unter Berücksichtigung der komplexen, verschlungenen und interessegeleiteten Interaktionen zwischen dem Beobachtungsapparat und der erforschten Gesellschaft. Das heißt wohlgemerkt nicht, aus diesen kognitiven Konstruktionen ließe sich nichts Nützliches lernen. Aber es heißt, dass jeder Versuch, etwas von ihnen zu lernen, dieser Komplexität und dieser Reflexivität Rechnung tragen muss.
Zudem sind die erörterten Fragen – die Verfassung der idealen sozialen, ökonomischen und politischen Ordnung – viel zu komplex, als dass sich eines schönen Tages eine einzige Schlussfolgerung aus einer «objektiven» Prüfung der «Fakten» ergeben könnte. Letztere werden nie mehr sein als der Widerschein begrenzter Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben, und unabgeschlossener Überlegungen und Beratungen, an denen wir teilnehmen durften. Und schließlich kann es durchaus sein, dass es die eine und einzige «ideale» Ordnung (wie immer man diesen Begriff auch verstehen möchte) gar nicht gibt und jede unauflöslich mit einer Reihe von Merkmalen der jeweils untersuchten Gesellschaft zusammenhängt.
Es liegt indessen nicht in meiner Absicht, einen generalisierten ideologischen Relativismus zu praktizieren. Für den Sozialwissenschaftler ist es nur allzu leicht, auf Äquidistanz gegenüber den auseinandergehenden Meinungen zu gehen und sich für nichts auszusprechen. Dieses Buch dagegen wird Stellung beziehen, insbesondere in seinem letzten Teil. Ich werde dies allerdings nicht tun, ohne den zurückgelegten Weg und die Gründe, die mich zu diesen Positionen geführt haben, so deutlich wie möglich offenzulegen.
Zumeist entwickelt sich die Ideologie einer Gesellschaft vor allem im Ausgang von ihrer eigenen historischen Erfahrung. So erwächst etwa die Französische Revolution auch dem Gefühl der Ungerechtigkeit und den Enttäuschungen während des Ancien Régime. Durch die von ihr gezeitigten Brüche und Umwälzungen und die Erfolge oder Niederlagen, die den revolutionären Experimenten von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zugeschrieben werden, trägt die Revolution dann ihrerseits zu einer nachhaltigen Verwandlung dessen bei, was als ideale Ungleichheitsordnung gilt, auf dem Feld der politischen Organisation ebenso wie auf dem der Eigentumsordnung oder des Sozial-, Steuer- und Bildungssystems. Diese Lernprozesse sind wiederum Voraussetzung künftiger politischer Verwerfungen. Und so weiter. Jeder nationale politisch-ideologische Wegverlauf kann als großangelegter kollektiver Lernprozess und als gewaltige historische Versuchsanordnung begriffen werden. Und dieser Prozess ist zwangsläufig konfliktgeladen. Nicht bloß haben die verschiedenen sozialen und politischen Gruppen nicht immer die gleichen Interessen und Absichten. Sie teilen auch nicht die gleichen Erinnerungen und die gleiche Deutung der Ereignisse oder des Sinns, den man ihnen für die Zukunft zusprechen muss. Und doch bergen diese Lernprozesse oft, zumindest eine Zeit lang, Elemente eines nationalen Konsensus.
Diesen kollektiven Lernprozessen wohnt eine gewisse Rationalität inne, aber sie haben auch Grenzen. So reicht insbesondere ihr Gedächtnis nicht weit zurück (nach ein paar Jahrzehnten geraten die Erfahrungen des eigenen Landes häufig in Vergessenheit oder es bleiben nur Bruchstücke im Gedächtnis, deren Auswahl selten zufällig ist) und ist vor allem meist auf den nationalen Horizont beschränkt. Aber wir sollten die Dinge nicht zu schwarz sehen: Jede Gesellschaft zieht mitunter Lehren aus Erfahrungen anderer Länder, sei es durch die Kenntnis, die sie von ihnen hat, sei es im Zuge mehr oder weniger gewaltsamer Begegnungen zwischen verschiedenen Gesellschaften (Kriege, Kolonialisierungen, Besatzungen und Verträge, die für mehr oder weniger Ungleichheit sorgen), was nicht immer der entspannteste und auch nicht der erfolgversprechendste Lernmodus ist. Aber im Wesentlichen bilden sich die unterschiedlichen Visionen der idealen politischen Ordnung, der erstrebenswerten Eigentumsregimes, des geeigneten Rechts-, Steuer- und Bildungssystems im Ausgang von einschlägigen nationalen Erfahrungen, während Erfahrungen anderer Länder ausgeblendet werden – vor allem dann, wenn sie als weit entfernt oder in zivilisatorischer, religiöser, moralischer Hinsicht als fremd empfunden werden oder die Begegnungen mit ihnen gewaltsamer Natur waren (was das Gefühl radikaler Fremdheit verstärken kann). Auch beruhen, allgemeiner gesprochen, solche Lernprozesse häufig auf recht grobschlächtigen und diffusen Vorstellungen von den innerhalb unterschiedlicher Gesellschaften erprobten institutionellen Einrichtungen (das gilt im Übrigen auch auf nationaler Ebene oder bei Ländern, die gute Nachbarn sind), auf politischem Gebiet ebenso wie in Rechts-, Steuer- und Bildungsfragen, was die Lehren, die sich daraus für die Zukunft ziehen lassen, erheblich einschränkt.
Ganz offenbar haben diese Einschränkungen aber nicht für alle Ewigkeit Bestand. Sie entwickeln sich weiter im Zuge mannigfaltiger Prozesse der Verbreitung und Mobilisierung von Kenntnissen und Erfahrungen: Schulen und Bücher, Migration und interkulturelle Ehen, Parteien und Gewerkschaften, Auslandsaufenthalte und Begegnungen, Zeitungen, Medien etc. An dieser Stelle kann sozialwissenschaftliche Forschung ihren Beitrag leisten. Durch sorgfältige Gegenüberstellung historischer Erfahrungen aus kulturell und zivilisatorisch ganz unterschiedlichen Ländern und Regionen, durch möglichst systematische Auswertung der verfügbaren Quellen und schließlich durch Erforschung des Strukturwandels von Ungleichheiten und politisch-ideologischen Ordnungen in unterschiedlichen Gesellschaften kann sie, davon bin ich überzeugt, zu einem besseren Verständnis der laufenden Veränderungen beitragen. Vor allem aber wird sich durch einen vergleichenden, historischen und transnationalen Ansatz eine genauere Vorstellung davon gewinnen lassen, wie eine bessere politische, ökonomische und soziale Organisation für die verschiedenen Gesellschaften der Welt und insbesondere für jene Weltgesellschaft aussehen könnte, die zumal im 21. Jahrhundert die politische und menschliche Gemeinschaft ist, der wir alle angehören. Ich behaupte selbstverständlich nicht, die am Ende dieses Buchs gezogenen Schlüsse seien die einzig möglichen. Sie scheinen mir indes die logischsten zu sein, die sich aus den verfügbaren historischen Erfahrungen und den Materialien ziehen lassen, die ich zusammentragen werde. Und ich werde die Motive und Vergleiche, die mir zur Rechtfertigung dieser oder jener Schlussfolgerung am unerlässlichsten scheinen, besonders deutlich herauszuarbeiten versuchen (ohne zu verhehlen, wie groß die verbleibenden Ungewissheiten sind). Aber es liegt auf der Hand, dass die Kenntnisse und Überlegungen, auf denen diese Schlüsse beruhen, äußerst begrenzt sind. Dieses Buch ist nur ein sehr kleiner Schritt in einem kollektiven Lernprozess, und ich bin unendlich gespannt auf die nächsten Etappen dieses Menschheitsabenteuers.
Ich möchte denn auch gegenüber denen, die über wachsende Ungleichheit und identitäre Irrwege klagen, aber auch denen, die fürchten, ich könnte meinerseits klagen, ausdrücklich betonen, dass dies keineswegs ein Klagebuch ist. Ich bin im Gegenteil von Haus aus optimistisch, und meine Hauptabsicht ist es, zu einer Lösung der Probleme beizutragen, vor denen wir stehen. Es ist nicht verboten, statt dauernd auf das halbleere Glas vor sich zu starren, über die Fähigkeit menschlicher Gesellschaften zu staunen, neue Institutionen zu erfinden, neue Bündnisse zu schließen und Millionen (mitunter auch Hunderte Millionen, ja Milliarden) von Menschen dazu zu bewegen, sich zusammenzutun, Menschen, die sich nie begegnet sind und nie begegnen werden und einander auch nicht beachten oder zerstören könnten, statt sich Regeln friedlichen Zusammenlebens aufzuerlegen, obwohl man doch über die ideale Ordnung und also über die Regeln, denen zu folgen recht und billig ist, so wenig weiß. Diese Fähigkeit, auf neue Institutionen zu sinnen, hat freilich auch Grenzen und muss einer sorgfältigen Analyse unterzogen werden. Zu behaupten, Ungleichheit sei ideologischer und politischer, nicht ökonomischer oder technologischer Natur, heißt nicht schon, sie ließe sich wie durch Zauberhand aus der Welt schaffen. Es heißt bloß, sehr viel bescheidener, dass man die ideologisch-institutionelle Vielfalt menschlicher Gesellschaften ernst nehmen und sich vor allen Diskursen hüten muss, die Ungleichheiten naturalisieren und die Existenz von Alternativen leugnen wollen. Und es heißt auch, dass es die institutionellen Einrichtungen und die geltenden Rechts-, Steuer- und Bildungsnormen in den verschiedenen Länder en détail zu untersuchen gilt. Denn mit dem guten Willen allein, den man gewiss jedem unterstellen sollte, ist es nicht getan. Er muss in tragfähigen kognitiven und institutionellen Dispositiven konkrete Gestalt annehmen, und darum bleiben es die Details, die ausschlaggebend sind und von denen es abhängt, ob Zusammenarbeit funktioniert und die Gleichheit Fortschritte macht (oder nicht). Falls es mir gelingt, etwas von diesem vernünftigen Staunen dem Leser mitzuteilen und ihn zu überzeugen, dass historische und ökonomische Kenntnisse zu wichtig sind, um sie anderen zu überlassen, ist mein Ziel auch schon erreicht.
Dieses Buch stützt sich auf zwei große Typen historischer Quellen: zum einen Quellen, anhand derer sich die Entwicklung von Ungleichheiten aus einer historischen, vergleichenden und mehrdimensionalen Perspektive einschätzen lässt (Ungleichheit des Einkommens, Lohns, Vermögens, Geschlechts, Alters, Berufs, Status, der Herkunft, Religion, Rasse etc.); und zum anderen Quellen, die es erlauben, die Wandlungen von Ideologien, politischen Überzeugungen und Ungleichheitsvorstellungen wie der ökonomischen, sozialen und politischen Institutionen, die sie strukturieren, nachzuverfolgen.
Was die Ungleichheiten anbelangt, so werde ich mich namentlich auf die im Rahmen der World Inequality Database (WID.world) gesammelten Daten stützen. Dieses Projekt beruht auf den vereinten Anstrengungen von mehr als 100 Forschern, die inzwischen mehr als 80 Länder auf sämtlichen Kontinenten abdecken. Es stellt die umfassendste derzeit verfügbare Datenbank zur historischen Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit dar, zwischen Ländern so gut wie innerhalb dieser Länder. Das Projekt WID.world ist aus historischen Arbeiten hervorgegangen, die Anfang der 2000er Jahre von Anthony Atkinson und Emmanuel Saez in Angriff genommen wurden, um die in den 1950er und 1970er Jahren von Kuznets, Atkinson und Harrison angestrengten Untersuchungen zu verallgemeinern und zu erweitern.[2] Diese Arbeiten beruhen auf einer systematischen Gegenüberstellung der verfügbaren Quellen, insbesondere der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, der Ergebnisse von Umfragen sowie der Steuer- und Erbschaftsstatistiken, die es erlauben, auf das ausgehende 19. und beginnende 20. Jahrhundert zurückzugehen, einen Zeitraum, in dem in zahlreichen Ländern progressive Einkommen- und Erbschaftsteuersysteme ins Leben gerufen wurden. Dadurch wurde es auch möglich, mehr über den Reichtum in Erfahrung bringen (Steuern dienen nicht nur dazu, für Steuereinnahmen und Unmut zu sorgen, sondern sind stets auch ein Mittel der Begriffsbildung und des Erkenntnisgewinns). Manche Länder erlauben sogar schon Untersuchungen zum ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Das gilt namentlich für Frankreich, wo im Gefolge der Revolution früh schon ein einheitliches System von Eigentumsverzeichnissen eingeführt wurde, das auch Eigentumsübertragungen registrierte. Diese Forschungen haben es ermöglicht, das Phänomen des Anstiegs von Ungleichheiten, das seit den 1980er Jahren zu beobachten ist, in einer langfristigen Perspektive zu verfolgen, und damit zu einer weltweiten öffentlichen Diskussion dieser Fragen beigetragen, wie es das Interesse belegt, auf das mein 2013 veröffentlichtes Kapital im 21. Jahrhundert ebenso stieß wie der 2018 publizierte World Inequality Report.[3] Dieses Interesse belegt auch, wie sehr es der Demokratisierung ökonomischer Kenntnisse und der politischen Teilhabe bedarf. In immer besser gebildeten und informierten Gesellschaften wird es immer inakzeptabler, Wirtschafts- und Finanzfragen der fragwürdigen Kompetenz einer kleinen Gruppe von Experten zu überlassen. Es ist nur zu verständlich, dass eine wachsende Zahl von Bürgern den Wunsch hat, sich nicht nur ihre eigene Meinung zu bilden, sondern sich einzumischen. Die Wirtschaft steht im Zentrum der Politik; und sie lässt sich nicht delegieren, so wenig wie die Demokratie.
Leider sorgen insbesondere der Mangel an wirtschaftlicher und finanzieller Transparenz und der erschwerte Zugang zu Steuer-, Verwaltungs- und Bankdaten in zu vielen Ländern dafür, dass die verfügbaren Daten zu Ungleichheiten unvollständig bleiben. Dank der Unterstützung von Hunderten von Bürgern, Forschern und Journalisten haben wir in den letzten Jahren Quellen erschließen können, zu denen uns die Regierungen der fraglichen Länder den Zugang verwehrt hatten, so zum Beispiel in Brasilien und Indien, Südafrika und Tunesien, im Libanon und in Elfenbeinküste, in Korea und Taiwan, Polen und Ungarn und, in leider geringerem Umfang, in China und Russland. Zu den vielfältigen Unzulänglichkeiten meines Buchs von 2013 zählt auch sein Okzidental-Zentrismus: Es räumt den Erfahrungen der sogenannten «westlichen» Länder (Westeuropa, Nordamerika, Japan) unverhältnismäßig großen Raum ein. Das liegt zum Teil daran, dass die Quellen für andere Länder schwer zugänglich waren. Die jetzt in WID.world verfügbaren und erschlossenen Daten erlauben es mir in diesem neuen Buch, über den westlichen Rahmen hinauszugehen und eine reichere Analyse der Vielfalt der Ungleichheitsregime, aber auch möglicher anderer Wegverläufe und Abzweigungen vorzulegen. Trotz dieses Fortschritts muss ich aber betonen, dass die verfügbaren Daten höchst unzulänglich bleiben, in den reichen Ländern übrigens ebenso wie in den armen.
Auch musste ich auf zahlreiche andere Quellen und Materialien zurückgreifen, die sich auf Zeiträume, Länder oder Aspekte beziehen, die von WID.world nur unzureichend erfasst werden, zum Beispiel auf die vorindustriellen Gesellschaften oder die Kolonialgesellschaften, aber auch auf Status-, Berufs-, Bildungs-, Geschlechter-, Rassen- oder Religionsungleichheiten.
Was die Ideologien anbelangt, sind die verwendeten Quellen naturgemäß sehr unterschiedlicher Art. Selbstverständlich werde ich die klassischen Quellen konsultieren: Parlamentsdebatten, politische Reden, Programme und Wahlplattformen der Parteien. Ich werde Texte von Theoretikern ebenso zu Wort kommen lassen wie Texte von politischen Akteuren, da beide eine wichtige geschichtliche Rolle spielen. Sie werfen ein zusätzliches Licht auf Muster der Rechtfertigung von Ungleichheit, die in verschiedenen Epochen an der Tagesordnung waren. Das gilt für die Texte der Bischöfe des beginnenden 11. Jahrhunderts, denen es darum zu tun ist, die trifunktionale Differenzierung der Gesellschaft in klerikale, kriegerische und arbeitende Klasse zu legitimieren, über die Schriften, mit denen der demokratische Senator von South Carolina und Vizepräsident der Vereinigten Staaten John Calhoun in den 1830er Jahren die «Sklaverei als positives Gut» (slavery as a positive good) gerechtfertigt hat, bis zu den einflussreichen neo-proprietaristischen und mit der Diktatur liebäugelnden Texten, die zu Beginn der 1980er Jahre von Friedrich von Hayek veröffentlicht wurden (Law, legislation and liberty). Und es gilt auch für die Texte Xi Jinpings und der Global Times über den neo-kommunistischen chinesischen Traum, die ebenso aufschlussreich sind wie die Tweets von Donald Trump oder die Artikel des Wall Street Journals und der Financial Times