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Als der wohl größte Theologe des 20. Jahrhunderts hat Karl Barth die aktuelle Lebendigkeit des Wortes Gottes in der je neuen Lebenssituation in den Fokus der Aufmerksamkeit seiner Theologie gerückt. Gemessen an der Lebendigkeit des Geschehens der Selbsterschließung Gottes kann die Theologie niemals mehr sein als ein Versuch, den „Vogel im Flug“ zu beschreiben. Dieser Versuch bleibt darauf ausgerichtet, dass dieses biblisch bezeugte Geschehen selbst bestimmend bleibt. Michael Weinrichs Einführung in Leben, Werk und Wirkung Barths geht einfühlend auf die Problemkonstellationen ein, aus denen Barth die Theologie befreien wollte, und arbeitet profiliert die neuen Akzentsetzungen heraus, mit denen seine Theologie uns immer noch voraus ist. Mit dieser Ausgabe liegt nun die zweite, durchgesehene und erweiterte Auflage vor.
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Seitenzahl: 1111
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Michael Weinrich
Karl Barth
Leben – Werk – Wirkung
2., durchgesehene und erweiterte Auflage
Vandenhoeck & Ruprecht
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Umschlagabbildung: Karl Barth 1931; © Karl Barth-Archiv, Basel (Schweiz)
Umschlaggestaltung: siegel konzeption | gestaltung, Stuttgart
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
UTB-Band-Nr. 5093
ISBN 978-3-8463-6279-2
Inhalt
Vorwort
I.Warum Karl Barth? Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter
1.Die Gottesfrage
2.Die Wiederentdeckung der Bibel
3.Die Bibel verstehen
4.Der Vorrang der Offenbarung
5.Das Problem der „natürlichen Theologie“
6.Dialektische Theologie
7.Der Horizont des einen Bundes
8.Die Menschlichkeit Gottes
9.Das Nichtige und die Sünde
10.Theologie der Freiheit
11.Dogmatik und Ethik
12.Ökumene und weltweite Solidarität
II.Karl Barths Lebensweg
1.Herkunft, Jugend und Studium
2.Der „rote Pfarrer von Safenwil“
3.„Gott ist uns ein Fremder geworden“
4.Professor in Göttingen, Münster und Bonn
5.Karl Barth im Kirchenkampf
6.Die Ökumene
7.Die Kirchliche Dogmatik
8.Der unbequeme Zeitgenosse
9.Auf dem Bruderholz
III.Barth lesen
1.Ambitionierte Bescheidenheit
2.Im Konflikt mit der natürlichen Theologie: Die mögliche Unmöglichkeit
3.Wahrheit und Methode
Exkurs: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“
4.Theologia viatorum
5.Von der Schönheit und Gefährlichkeit der Theologie
IV.Theologische Perspektiven
1.Gott wird nur durch Gott erkannt: Der Weg theologischer Erkenntnis
1.1„Theologie des Wortes Gottes“
1.2„Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“
1.3Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik
1.3.1Der Ort der Theologie: Theologie als Funktion der Kirche
1.3.2Die Denkform der Theologie: Credo ut intelligam
1.3.3Die Aufgabe der Prolegomena
1.4Offenbarung
1.5Die dreifache Gestalt des Wortes Gottes
1.6Trinitarische Hermeneutik
1.7Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
2.Offenbarung und Religion
2.1Religion im Licht der Offenbarung
2.1.1Der Christ als Bourgeois – Barths Religionskritik
2.1.2Die Rechtfertigung der Religion
2.2Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
3.Erwählung und Bund
3.1Erwählung als Teil der Gotteslehre
3.2Erwählung als Summe des Evangeliums
3.3Die Erwählung Israels und der Kirche
3.3.1Die eine Gemeinde
3.3.2Die große ökumenische Frage
3.4Evangelium und Gebot – Dogmatik und Ethik
3.5Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
4.Schöpfung und Bund
4.1Gott als Schöpfer
4.1.1Der sekundäre Charakter der Erkenntnis des Schöpfers
4.1.2Urgeschichte als reine Sage
4.2Schöpfung und Bund
4.2.1Die Schöpfung als Voraussetzung des Bundes
4.2.2Der Bund als Voraussetzung der Schöpfung
4.2.3Schöpfung als Wirklichkeit
4.3Das Geschöpf vor seinem Schöpfer
4.3.1Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis
4.3.2Die Gottebenbildlichkeit des Menschen
4.3.3Zeit und Ewigkeit
4.4Gottes Vorsorge für die Welt – die Lehre von Gottes Vorsehung
4.4.1Das Thema der providentia Dei
4.4.2Die drei Gestalten der Vorsorge Gottes
4.4.3Leben als Geschöpf
4.4.4Das Böse als das Nichtige, die Engel und die Dämonen
4.5Das Gebot der Freiheit
4.5.1Allgemeine und spezielle Ethik
4.5.2Freiheit für den Willen Gottes
4.6Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
5.Versöhnung und Bund
5.1Die Mitte aller christlichen Erkenntnis – Die Erfüllung des Bundes
5.2Die Architektur der Versöhnungslehre
5.3Die Christologie
5.3.1Wahrer Gott – wahrer Mensch
5.3.2Die Selbsterniedrigung Gottes und die Erhöhung des Menschen
5.3.3Er sitzt zur Rechten Gottes
5.4Der Mensch der Sünde
5.4.1Hochmut und Fall
5.4.2Trägheit und Elend
5.4.3Lüge und Verdammnis
5.5Die Soteriologie
5.5.1Rechtfertigung
5.5.2Heiligung
5.5.3Berufung
5.6Der Heilige Geist – Die Grundlegung des christlichen Lebens
5.6.1Die Versammlung der Gemeinde
5.6.2Die Auferbauung der Gemeinde
5.6.3Die Sendung der Gemeinde
5.7Das Gebot des Versöhners – Taufe, Vaterunser und Abendmahl
5.8Zusammenfassende und zuspitzende Thesen
V.Aspekte der Wirkungsgeschichte
1.Ein Überblick
2.Die Krise und die Theologie
3.Die Königsherrschaft Jesu Christi
4.Gottes Heilsplan und die Unordnung der Welt
5.Glauben und Verstehen
6.Die Realisierung der Freiheit
7.Kirche und Israel
8.„Resident Aliens“ – Ansässige Fremdlinge
Ausgewählte Literatur
1.Publikationen von Karl Barth
2.Quellen
3.Weitere Literatur
4.Internetquellen
Namensregister
Vorwort
„In der Kirche gibt es keine Vergangenheit,darum auch nicht in der Theologie.“1
Die letzten hundert Jahre der Theologiegeschichte lassen sich ohne eine eingehende Wahrnehmung von Karl Barth (1886–1968) nicht angemessen verstehen. Seit seinem Vortrag „Der Christ in der Gesellschaft“ 1919 in Tambach (Thüringen) zog er den Fokus der theologischen Aufmerksamkeit auf sich. Es hat keine fünf Jahre benötigt, bis Barth, der inzwischen auf einer Stiftungsprofessur außerordentlicher Professor in Göttingen geworden war, im Bereich von Theologie und Kirche so ziemlich in aller Munde war. Seitdem befindet sich der theologische Diskurs nicht nur in der systematischen Theologie, wenn nicht in einer direkten, so doch in einer indirekten Auseinandersetzung mit Karl Barth. Gewiss kann man sich gegen ihn stellen und ihm auf der ganzen Linie widersprechen, aber wenn man auf der Höhe der Zeit sein will, wird es kaum möglich sein, seine Theologie einfach zu ignorieren. Deshalb ist es in jedem Falle geboten, eine möglichst ausgewiesene Vorstellung von den Motiven und Anliegen dieser Theologie zu haben. Darum geht es in diesem Buch.
Zur Präsentation eines so umfänglichen und auch höchst unterschiedlich wahrgenommenen Werkes wie das von Barth können verschiedene Formen der Annäherung und Darstellung gewählt werden. Für das vorliegende Buch wurde ein Mittelweg zwischen elementaren Grundinformationen und gelehrter Gesamtdarstellung eingeschlagen. Letztere wäre verfrüht und für den Rahmen eines Studienbuches zu ambitioniert. Erstere bliebe andererseits hinter den Ansprüchen eines soliden Studienbuches zurück, weil sie nicht tatsächlich dazu in der Lage sein kann, der Vielschichtigkeit der Theologie Barths gerecht zu werden, die sie erst zu dem macht, was sie ist. Es gibt eine Form der Unterschreitung ihrer Komplexität, die zwangsläufig dazu führt, dass die Pointen dieser Theologie von der für sie charakteristischen Bewegung isoliert werden. Damit wird sie aber genau um das Moment gebracht, dem Barth in immer neuen Anläufen den nötigen Nachdruck zu verleihen versuchte, weil nur so über die überkommenen Gewohnheiten der Theologie hinauszukommen ist.
Das Regulativ seiner Theologie besteht vor allem in einer Verhältnisbestimmung der Theologin bzw. des Theologen zu der Besonderheit des sie interessierenden und engagierenden lebendigen Gegenstandes. An all den verschiedenen Orten, die von der Theologie in Betracht gezogen werden, ist diese Verhältnisbestimmung immer wieder neu und durchaus auch jeweils anders wahrzunehmen, wenn das, was Theologinnen und Theologen ihrer Profession nach zu sagen aufgefordert sind, in der angemessenen Verantwortlichkeit zur Sprache gebracht werden soll. Barth wollte seine Leserinnen und Leser entschieden weniger von den Resultaten seiner theologischen Einlassungen überzeugen als vielmehr von der bestimmten Gestalt einer theologischen Existenz, in der er zu seinen Gedanken gefunden hat und in der schließlich auch jede und jeder zu den je neu zu formulierenden theologischen Gedanken finden muss, die es je heute zu sagen gilt. Wenn man so will, geht es um die Einübung einer bestimmten Blickrichtung, die dann auch dazu befähigen soll, selbst zu entscheiden, ob und wie weit es möglich ist, Barth auch in seinen Resultaten zu folgen, oder ob eine überzeugendere Perspektive ins Auge zu fassen ist, die dann ebenso zur Diskussion gestellt werden kann, wie es Barth mit der seinigen getan hat. Barth wünscht sich grundsätzlich freie Leserinnen und Leser, die leidenschaftlich und engagiert Theologie treiben.
Es sind bei Barth stets mehrere Fäden, die miteinander verwoben werden und somit auch jeweils zusammen beachtet werden wollen. Zum Verständnis kommt es entscheidend darauf an, die damit verbundene spezifische Dynamik in den Blick zu bekommen. Erst wenn die Hintergründigkeit der vordergründigen Einfachheit seiner Theologie mit in den Blick kommt, kann damit gerechnet werden, dass es tatsächlich Barth ist, von dem da die Rede ist und eben nicht nur eine theologiegeschichtliche Schublade, in der wir lediglich ein neues Arrangement der ansonsten bekannten, weil üblichen Bestandteile der überkommenen Theologie wiederfinden. Möglicherweise besteht die Hauptschwierigkeit, Barth angemessen zu verstehen, darin, dass er weit verständlicher daherkommt, als er es tatsächlich ist. Das würde auch erklären, warum er immer wieder missverstanden und karikiert wird.
Und dies kann genauso gut zugleich auch anders herum gesagt werden: Barths Theologie erscheint so überaus hintergründig und kompliziert, weil das im Grunde einigermaßen Einfache, was seine Theologie ausmacht, nicht mehr recht in die neuzeitliche theologische Landschaft zu passen scheint, so dass es entweder als vorneuzeitlich oder sogar als naiv im Sinne von distanzlos unkritisch verstanden werden kann. Das im Grunde recht Einfache seiner Theologie, das aber eben in der Theologie in dieser Ausdrücklichkeit keineswegs eine allgemeine Selbstverständlichkeit ist, besteht darin, dass sie von vornherein ein lebendiges Einverständnis mit dem christlichen Glaubensbekenntnis voraussetzt: Theologie gibt es allein um des Glaubens an Jesus Christus willen, und in der Theologie wird nach einem angemessenen Verstehen dieses Glaubens gefragt. Sie hat nicht die Aufgabe, diesen Glauben zu begründen, ihn anzubahnen, für ihn zu werben oder ihn zu verteidigen. Damit wäre sie heillos überfordert. Wohl aber soll sie sich auf die ihm eignende Erschließungskraft und die mit ihr verbundenen Verstehenshorizonte konzentrieren und dabei nach einem ebenso ausgewiesenen wie belastbaren Verstehen fragen, das sich kritisch über den Glauben Rechenschaft abzulegen versucht. Als diese Rechenschaft ist Theologie von Belang für die Gemeinschaft der Glaubenden, d. h. für die christliche Gemeinde bzw. die Kirche. Indem theologisches Nachdenken von Belang sein muss und will, ist es auf Nachvollziehbarkeit hin angelegt, d. h. es hat einen benennbaren Entdeckungshorizont und vollzieht sich in einem argumentativ nachvollziehbaren Begründungshorizont. Das ist es, was die Theologie zur Wissenschaft macht, dass sie sich um ein begründetes und auf Nachvollziehbarkeit hin angelegtes Verstehen des christlichen Glaubens als ihres Gegenstandes bemüht. Die Besonderheit ihres Gegenstandes besteht allerdings darin, dass seine Relevanz nicht von dem Resultat seiner kritischen Überprüfung abhängt, sondern allem Verstehen immer schon vorausläuft. – Hier zeigt sich bereits, dass es bei Barth unversehens voraussetzungsvoll und verwickelt wird, selbst dann, wenn nur versucht wird, die im Grunde ganz einfache Grundvoraussetzung seiner Theologie zu benennen. Dabei kann nicht einmal wirklich ausgemacht werden, ob Barth uns diese Schwierigkeiten bereitet oder ob wir es nicht eher selbst sind, die sich so schwertun. Die weitere Vertiefung sei den späteren Ausführungen überlassen.
Schließlich sollte noch ein weiterer Aspekt bereits hier angedeutet werden. Genau genommen geht es in der Theologie nicht allein um den Denkbedarf der Gemeinde bzw. der Kirche, sondern um eine bedachte und sich neu vergewissernde Orientierung der fundamentalen Beziehung, in der sie sich immer schon befindet. Die biblisch-theologische Referenz für diese dynamisch lebendige Beziehungswirklichkeit ist für Barth der Bund, der, von Gott initiiert, den Raum bezeichnet, in dem der Mensch als Partner Gottes seine Freiheit leben kann. Gott erweist sich als der Gott, der unser Gott sein will, und der Mensch ist dazu konstituiert, gemeinschaftlich in Beziehung zu ihm zu leben. Damit kommen wir zu der entscheidenden erkenntnistheoretischen Voraussetzung seiner Theologie: Gott wird nur in der unserer Wahrnehmung vorauslaufenden und sie überhaupt erst ermöglichenden Beziehung zum Menschen erkannt, so wie sich auch der Mensch erst dann recht verstehen kann, wenn er sich von dieser Beziehung Gottes zu ihm aus betrachtet. In diesem Sinne ist die Theologie gerade nicht nur Gotteserkenntnis, sondern es ist der bereits von Gott erkannte und darin Gott erkennende Mensch, den die Theologie in den Blick nimmt, um sich je aktuelle Rechenschaft über das wahrzunehmende Verhältnis Gottes zum Menschen abzulegen. Es macht grundsätzlich keinen Sinn, Gott an und für sich betrachten zu wollen. Nach Barth vollzieht sich Theologie im Horizont der Aktualität des von Gott gestifteten Bundes, in dem zu leben die Bestimmung des Menschen ist, so dass es danach zu fragen gilt, was es mit diesem Bund auf sich hat. Indem für Barth dieses Beziehungsverhältnis des Bundes das eigentliche Drama ist, dem die Theologie zu folgen hat, wird der Bund zu der für Barth charakteristischen Dimension seiner Theologie, die sie in allen ihren Teilen durchzieht. Daher gibt es in diesem Buch auch kein besonderes Kapitel zum Bundesverständnis bei Barth, sondern die Verbindung zu dem fundamentalen Bundesverhältnis begleitet uns durch die ganze Darstellung hindurch.
Damit sind wir bei den Regieanweisungen. Barth ist kein theologischer Schnellimbiss für Sofortverwerter, ebenso wenig ein vielgängiges Gourmetmenu für ästhetisch sensibilisierte Häppchengenießer. Ohne eine gewisse Geduld und eine interessierte Neugier mit einem konzentrierten Stehvermögen werden sich die Einlassungen Barths nicht recht erschließen. In ermäßigter Form gilt das auch für dieses Studienbuch, das um der erforderlichen Differenziertheit willen seinen Leserinnen und Lesern immer wieder auch kompliziertere Zusammenhänge zumutet, die sich nur mit Substanzverlust vereinfachen ließen. Die Grundlinie sollte sich allerdings auch erschließen, wenn sich nicht jede Einzelheit auftut.
Auch wird man sich von vornherein von der Vorstellung verabschieden müssen, hier eine neutrale, gleichsam objektive Barthdarstellung präsentiert zu bekommen. Diese kann es ebenso wenig geben wie eine neutrale und objektive Darstellung Luthers oder Calvins. In jedem Fall kann es immer nur um einen möglichst gut ausgewiesenen Blickwinkel gehen, der grundsätzlich andere Blickwinkel nicht ausschließt. Zudem soll ausdrücklich darauf hinzuwiesen werden, dass auch im Blick auf Barth ebenso wie auf Luther und Calvin Vollständigkeit kein realistisches Ideal sein kann; das gilt ebenso für die Fülle des vorliegenden Werkes als auch den nicht mehr übersehbaren Umfang der Sekundärliteratur. Für beide Bereiche bleibt ein gewisses Maß an Zufälligkeit einzuräumen, das nicht auf mangelnde Umsicht, sondern allein auf die Endlichkeit der Ressourcen zurückzuführen ist, die für die Erarbeitung eines solchen Buches mobilisiert werden können.
Gelegentlich kommt es zu Wiederholungen, die vor allem der Intention geschuldet sind, die einzelnen Kapitel je für sich verständlich zu halten. So lässt es sich beispielsweise nicht vermeiden, dass es in der Betrachtung der Biographie Barths (vgl. Kap. II) Begebenheiten zu berichten gibt, die auch im Blick auf seine Wirkungsgeschichte (vgl. Kap. V) bedeutsam sind. In solchen Fällen waren um der Lesbarkeit des jeweiligen Kapitels willen Doppelungen in einem begrenzten Maße hinzunehmen, aber auch im Blick auf systematische Fundamentalentscheidungen Barths, die eben auch bei Barth selbst in unterschiedlichen Zusammenhängen erneut angesprochen werden.
Gewidmet ist dies Buch meiner Frau, Rosemarie Weinrich, die schon seit langem, mit durchaus unterschiedlichen Anmutungen und teilweise geduldigen Entsagungen dem offenkundig unerschöpflichen Mysterium Karl Barth Asyl in unserem Leben gewährt.
Leider sind in der ersten Auflage versehentlich einige Fehler stehen geblieben, die nun hoffentlich korrigiert werden konnten. Neben zahlreichen Präzisierungen einzelner Formulierungen wurden auch vertiefende Ergänzungen und Aktualisierungen in den Text eingefügt. Die Literaturhinweise wurden auf den derzeitigen Stand gebracht. Das Buch verdankt sich ursprünglich einer Anregung des Verlages; dafür danke ich Jörg Persch. Für die aktuelle zuverlässige Zusammenarbeit mit dem Verlag sei insbesondere Jehona Kicaj und Renate Rehkopf gedankt.
Paderborn zu Pfingsten 2024
Michael Weinrich
1Barth, Die Protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, 3.
I. Warum Karl Barth?Eine erste Annäherung und zwölf Blitzlichter
Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass Karl Barth wohl der bedeutendste Theologe des 20. Jahrhunderts gewesen ist. Der Grund dafür liegt vor allem in seiner Neuentdeckung der besonderen Aufgabe der Theologie und der von ihm entschlossen vollzogenen kritischen Revision ihrer Tradition in ihrer ganzen Breite. Auch dort, wo Barths Impulse auf Skepsis oder auf unterschiedlich intensive Ablehnung stießen, nötigten sie dazu, die überkommenen theologischen Einsichten und die ihnen zugrunde liegenden methodischen und inhaltlichen Orientierungen kritisch zu sichten und erneut zu begründen. Indem Barth vor allem die liberale Theologie und den Kulturprotestantismus, die beide im 19. Jahrhundert bestimmend wurden, grundsätzlich in Frage stellte und zugleich sehr ambitionierte Anforderungen an eine den Bedingungen des 20. Jahrhunderts gerecht werdende Theologie stellte, war eine selbstverständliche Fortschreibung der herrschenden theologischen Konventionen nicht mehr möglich. Und so ist es vor allem seine Theologie gewesen, die den theologischen Kontroversen vor allem in der protestantischen Theologie direkt oder indirekt eine spezifische Prägung gegeben hat. Kein anderer theologischer Entwurf hat eine vergleichbar herausfordernde Beachtung gefunden.
Auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts erweist sich Barths Theologie unter den sich rasant verändernden Umständen und Bedingungen in durchaus neuer Weise als ein keineswegs abgegoltener Entwurf mit teilweise überraschender Aktualität. Dabei hat ihre Wahrnehmung längst konfessionsübergreifenden Charakter gewonnen. Zunächst war es im 20. Jahrhundert die katholische Theologie, die ein bis in die Gegenwart anhaltendes Interesse an seiner Theologie zeigte. Heute kann festgestellt werden, dass sie sowohl in den dogmatischen als auch in den ethischen Auseinandersetzungen weltweit eine ökumenische Bedeutung erlangt hat, die nur sehr wenigen theologischen Entwürfen zuteilwird. Gewiss werden Barths Vorschläge sehr unterschiedlich wahrgenommen, aber es scheint sich eine Art Konsens über die von Barth angeregten theologischen Sensibilisierungen herauszubilden, der nicht zuletzt auf dem ökumenischen Potenzial seiner auf das Wort Gottes ausgerichteten biblisch orientierten Theologie basiert.
Eine ganz andere Frage bleibt, ob die Anliegen Barths immer in angemessener Weise wahrgenommen wurden. Häufig wurden seine Zuspitzungen in der Rezeption verharmlosenden Entschärfungen, teilweise entstellenden Akzentverschiebungen oder sogar eigenwilligen Verdrehungen unterworfen, und zwar nicht nur von denen, die sie skeptisch und ablehnend bewerteten. Das wohlwollende Missverständnis hat dem abweisenden durchaus nichts voraus. Die Auseinandersetzung darüber hält bis heute an. Bei theologischen Entwürfen eines solches Formats werden sie wohl auch so lange nicht an ein Ende kommen, solange ihnen noch eine orientierende Bedeutung zugetraut wird, durchaus vergleichbar mit der Diskussion so bedeutender Theologen wie Augustin, Thomas von Aquin, Martin Luther oder Johannes Calvin.
Historisch betrachtet hat Barth in eine Zeit hineingesprochen, in der es viele Anzeichen für eine erreichte Grenze bzw. eine einzugestehende fundamentale Krise gegeben hat. Sie betraf das aufklärerische Pathos der Neuzeit und das auf das menschliche Subjekt konzentrierte moralische Selbstbewusstsein des 19. Jahrhunderts, ebenso wie die Theologie, die sich nicht zuletzt in apologetischer Absicht diesem Selbstbewusstsein angepasst hat. Barth war nicht der erste, der diese Grenze im Grunde bereits überschritten sah, sondern er konnte sich u. a. auf Friedrich Nietzsche, Sören Kierkegaard, Franz Overbeck oder Fjodor Dostojewski berufen. Die Repräsentanten der Kirchen standen allerdings vornehmlich den staatstragenden gesellschaftlichen Kreisen nahe. Sie ließen sich in Deutschland beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs beinahe restlos von der nationalistischen allgemeinen Kriegsbegeisterung anstecken, was sich nicht nur in den Waffensegnungen einen demonstrativen Ausdruck verschaffte, sondern auch die Predigten dieser Zeit prägte.1 Barth stand einigermaßen allein da, als er den Ausbruch des Ersten Weltkriegs als das katastrophale Scheitern einer besinnungslos selbstbezogenen Politik und illusionären Kultur anprangerte. Vor allem aber sah er den vorgängigen Weg der Kirche und eben auch der Theologie an ein definitives Ende gekommen. Es war nicht weniger als Gott selbst, der ihnen in ihrem Betrieb verlorengegangen war, ohne dass es noch die Möglichkeit gab, ihn nun einfach wieder an seinen alten Platz zu stellen.
Erst als die Erschütterungen und Abgründe im weiteren Verlauf des Krieges allseits sichtbar wurden, kam es angesichts des bis dahin beispiellosen Gemetzels auf den Schlachtfeldern und des katastrophalen Ausgangs des Krieges zu einer allgemeinen Wahrnehmung dieser Krise. Das bisher weithin geltende geschichtsphilosophische Credo – der idealistische Optimismus einer sich permanent selbst vervollkommnenden Selbstverwirklichung des Menschen – war zumindest zwischenzeitlich bis in seine Wurzeln erschüttert. Damit war nun auch in der Theologie ein Boden dafür bereitet, die bisherigen Symbiosen und Koalitionen in Frage zu stellen. Beinahe alle für verlässlich gehaltenen Orientierungen gerieten ins Wanken, und die prinzipiell skeptisch gestimmte Frage, was in dem, was wir Wirklichkeit nennen, überhaupt noch Verlässlichkeit beanspruchen kann, wurde verbreitet gestellt – in der Philosophie ebenso wie in der Theologie, aber auch in der Literatur, im Theater, in der Musik und der Kunst. Der Ausgang des Ersten Weltkrieges evozierte beinahe überall ein tief empfundenes Krisenbewusstsein, das – auch wenn es sich im Laufe der Jahre erstaunlich bald wieder weitgehend verflüchtigte – für das Verständnis des 20. Jahrhunderts insgesamt zumindest als Narbe bedeutsam bleibt.
Unbeschadet von Barths besonderer Wahrnehmung dieser Krise bildete dieses epochale Krisenbewusstsein den allgemeinen Resonanzboden für seine theologischen Interventionen, sowohl für seine Diagnose und Zustandsbeschreibung der Katastrophe als auch für seine radikale theologische Deutung. Es war dieser Resonanzboden, der zunächst einen nicht unerheblichen Teil seines enormen Erfolgs ausmachte, und zugleich ist er auch einer der Gründe für die zahlreichen Missverständnisse und problematischen Aneignungen, denen seine Theologie von Anfang an ausgesetzt gewesen ist. Einerseits eignete diesem Resonanzboden eine ungewöhnliche Reichweite und andererseits war er von einer unbeschreiblichen Diffusität geprägt, die es zwar ermöglichte, dass er von recht unterschiedlichen Seiten aus betreten werden konnte, aber zugleich verhinderte, dass sich ein klares Profil der Krise identifizieren ließ. Barth hat später selbst diese Situation im Blick auf die verbreitete Wahrnehmung seiner Interventionen als durchaus ambivalent bewertet (vgl. Kap. V.2).
Barths eigener Zugang war von vornherein ein entschlossen theologischer, auch wenn für ihn stets die historischen Umstände, unter denen sich etwas ereignete, von großem Interesse waren. Als Theologe empfand er es beim Ausbruch des Krieges als einen Skandal, in welcher Weise da Gott in das blindwütige Treiben hineingezogen wurde, so als lasse er sich für jede Schandtat in Anspruch nehmen, um sich das jeweilige Ansinnen von ihm absegnen zu lassen. Es könne nicht sein, dass sich mit Gott alles rechtfertigen lasse. Wenn es sich bei Gott nicht nur um einen Spuk handeln soll, könne es dem Menschen nicht einfach freigestellt sein, wie von ihm zu reden ist und in welcher Weise er jeweils in dem konkreten Zeitgeschehen in den Blick genommen wird. Und so könne es der Theologie auch nicht freigestellt sein, von wo aus sie die Welt betrachtet und in welcher Weise die Beziehung Gottes zum Menschen angemessen zur Sprache gebracht wird. Wenn sie eine sinnvolle Unternehmung sein soll, muss es für die Theologie eine verbindliche Orientierung geben, an der sich ihre Gottesrede und dann eben auch ihre Wirklichkeitsbetrachtung messen lassen müssen. Es kann nicht einfach eine Frage ihres freien Ermessens sein, von wo aus sie sich in den Verlegenheiten, in die sich der Mensch durch die Krise versetzt sieht, eine Orientierung erhofft. Allein, es bleibt die Frage, wie sie sich darin vergewissern kann, dass sie in die richtige Richtung nach Orientierung Ausschau hält?
Es gehört zu dem besonderen Charakter seiner Intervention, dass Barth, wenn es um Gott geht, dem Menschen die Möglichkeit bestreitet, von sich aus auch nur in die richtige Richtung blicken zu können. Gott ist kein Gegenstand, auf den die menschliche Erkenntnis früher oder später durch eigene Anstrengungen geführt werden könnte. Und so ist die Theologie alles andere als eine selbstverständliche oder auch nur naheliegende Möglichkeit des Menschen. Wenn schon sonst gilt, dass alle Orientierungen, die sich der Mensch selbst zu geben vermag, unablässig auch wieder in Zweifel gezogen werden, wie viel mehr hat dies in der Theologie zu gelten, deren Gegenstand ihr noch viel weniger zur Verfügung steht als alle anderen Gegenstände menschlicher Erkenntnis! Es ist gerade nicht so, dass da, wo die menschliche Erkenntnis unweigerlich an ihre Grenze stößt, nun Gott in die Bresche springt. Ganz im Gegenteil kommt mit Gott eine per se weit grundsätzlichere Infragestellung unserer Erkenntnis auf den Plan, die sich auch nicht durch die Theologie auffangen lässt. Die Krise, die Barth vor Augen hatte, bietet von sich aus keinen Ausgang an, den der Mensch nun einfach aufsuchen könnte (vgl. Kap. II.3).
Barth hat aber der Theologie nicht nur ihre Zeit bestritten, sondern auch ihren Ort, denn sie könne längst nicht mehr beanspruchen, von allgemeinem Interesse zu sein. Und je mehr sie diesem faktisch annullierten Anschein dennoch hinterherzulaufen versuche, umso mehr werde sie auch den Rest an Interesse verspielen, der ihr noch von der Seite zukommt, die sich noch der christlichen Tradition verbunden weiß. Ihr Ort ist nicht einfach der Areopag (Apg 17), der allgemeine Marktplatz der Weltanschauungen, auf dem sie vor einer diffusen Öffentlichkeit einem unbekannten Gott ein Gesicht zu geben versucht, sondern sie hat ihren Ort zunächst und eben auch prägend in der Kirche, die sich mit ihrem Bekenntnis auf den in der christlichen Tradition vorausgesetzten Gott beruft. Der besondere Denkbedarf der Theologie entsteht darin, dass es in der Kirche nicht beliebig sein kann, in welcher Weise sie von Gott spricht. Es ist nicht das allgemeine Gegenwartsbewusstsein, an das sich Barth wendet, sondern er bescheidet sich auf den besonderen Horizont, für den erklärtermaßen die Rede von Gott nach christlichem Verständnis von vornherein eine existenzielle Dimension hat. Das ist die Kirche, und es gilt, vor allem die Kirche selbst daran zu erinnern. Diese Konzentration auf die Kirche und ihre Verkündigung zeigt an, dass es Barth nicht um einen allgemein zu führenden Diskurs etwa über die Sinnhaftigkeit der Gottesfrage oder gar um eine Bekämpfung des Atheismus geht. Nebenbei gesagt war ihm der Atheismus zeitlebens in vieler Hinsicht deutlich weniger suspekt als die vorfindliche Theologie und die Kirche mit ihrem überaus nachlässigen, weil im Grunde unernsten Umgang mit der Wirklichkeit Gottes. Stattdessen hat Barth die in der Gemeinde bzw. der Kirche immer wieder neu zu stellende Frage nach den Bedingungen und Konsequenzen einer angemessenen Rede von Gott aufgeworfen, die seiner lebendigen Selbsterschließung und nicht nur unseren Phantasien und Wünschen gerecht wird.
Wir stoßen bei Barth immer wieder auf Hinweise auf die prinzipielle Verlegenheit, in der sich die Theologie befindet, wenn sie die von ihrem Begriff und von ihrer konkreten Situation ausgehende Aufgabe tatsächlich ernst nimmt. Barth bleibt sich zeitlebens bewusst, dass der Anspruch der Theologie weit über das hinausgeht, was mit unseren begrenzten Möglichkeiten geleistet werden kann. Diesem sachlich bedeutsamen Aspekt seiner Theologie werden wir in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder begegnen. Er steht für den dynamischen und unabschließbaren Charakter ihres unablässigen Ringens um ihren in seiner Lebendigkeit niemals erfassbaren Gegenstand, der uns jeweils dazu nötigt, uns ganz neu auf den Anfang zurückwerfen zu lassen. Barth vergleicht die Theologie mit dem unzulänglich bleibenden Versuch, einen „Vogel im Fluge“ zu beschreiben.2 Es könnte nur eine Verkennung einer recht verstandenen Theologie sein, wenn sie den Anschein erwecken würde, dass sie mit einem mehr oder weniger umfassenden Bündel wiederholbarer Lehren die Wirklichkeit Gottes erfassen könne.
Im Rahmen dieser ersten allgemeinen Annäherung sollen zunächst zwölf markante Aspekte als Blitzlichter markiert werden, die später an verschiedenen Stellen in den folgenden Kapiteln wieder aufgegriffen und weiter vertieft werden.
1.Die Gottesfrage
These
Gegenüber der gewohnheitsmäßigen selbstverständlichen Berufung auf Gott hebt Barth die Fremdheit und Andersartigkeit Gottes im Horizont des christlichen Bekenntnisses hervor. Gott erschließt sich allein aus seiner Besonderheit, durch das auch das Allgemeine in ein neues Licht gerät.
Es war die allseits ebenso selbstverständliche wie unspezifische Berufung auf Gott, die Barth angesichts des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs als eine sich verborgen haltende Infragestellung Gottes empfand. Er sah die Kirche ebenso wie die Theologie dazu herausgefordert, sich ganz neu und grundlegend mit der Irritation zu beschäftigen, die er unweigerlich damit verbunden sah, wenn der Mensch es wagt, von Gott zu sprechen. Barth empfand es als eine Ungeheuerlichkeit, auf welche Weise man es sich mit Gott gleichsam bequem gemacht hatte. Es war ein für die eigene Weltsicht domestizierter Gott, der von der Kirche und der Theologie, aber auch von einem Teil der gesellschaftlich einflussreichen Verantwortungsträger gerne da im Spiel gesehen wurde, wo sich jeweils die eigenen geschichtlichen Sympathien und Optionen fanden. Barth erhob den Vorwurf, dass die Inanspruchnahme Gottes zu einer beinahe voraussetzungslos zur Verfügung stehenden Berufungsinstanz verschlissen sei, mit der diesem oder jenem Geschehen – je nach Bedürfnislage – eine entsprechende Dignität bzw. religiöse Weihe verliehen werden konnte. Der längst vor allem auf sich selbst gegründete neuzeitliche Mensch hatte inzwischen beinahe alle Bereiche seiner Wirklichkeit vollständig in die eigene Regie genommen und Gott dabei die Rolle zugewiesen, die vom Menschen sich selbst zugemessene Dignität mit einer besonderen religiösen Weihe zu umgeben. Wo der neuzeitliche Mensch Gott nicht längst als überflüssiges und hinderliches Relikt abgeschüttelt hatte, diente er – pointiert formuliert – vor allem der religiösen Selbstergötzung des stets zur Selbstvergewisserung auf weitere Selbstbestätigung ausgerichteten Subjekts. Es waren die weithin zusammengeschmolzenen Reste des schwindenden menschlichen Selbstzweifels, denen als willfähriges Ermutigungsangebot ein nützlich partikularisierter Gott in möglichst greifbarer Nähe gehalten werden sollte. Gott war zu einer in Anspruch zu nehmenden Möglichkeit des sich auf seine Möglichkeiten verlassenden modernen Menschen geworden.
Wenn Barth beklagte, dass die Rede von Gott nichts anderes im Schilde führe, „als in etwas erhöhtem Ton vom Menschen [zu] reden“,3 so wollte er darauf aufmerksam machen, dass eine solche Rede von Gott ihren spezifischen Inhalt verloren habe, durch den sie allein zu einer sinnvollen Anstrengung werden könnte. Gott sei gleichsam zu einem allgemeinen Ausstattungsgegenstand unseres Wirklichkeitsverständnisses verkommen. Gewiss mag man sich wohl noch hier und da recht gern seiner bedienen, aber von ihm gibt es nicht wirklich etwas Besonderes zu erwarten oder zu befürchten, weil er konsequent der Agenda des Menschen nachgeordnet wird, mit der er seine Geschichte in die eigenen Hände genommen hat. Abgedrängt in den Sonderbereich der Religion ist er zu einem wehrlosen Spiegel menschlicher Selbstgerechtigkeit verharmlost worden, der sich beinahe für alles in Anspruch nehmen lässt, was gerade für das Gute, Wahre und Schöne gehalten wird.
Gegenüber diesem weltanschaulich eingepassten Gott, der sich in allen Lebenslagen den eigenen Erwartungen gefügig hält, hebt nun Barth entschieden hervor, dass Gott „der ganz Andere“4 sei. Er will damit daran erinnern, dass Gott nicht einfach eine Allgemeinheit zukommt, die jederzeit und allseits zur Verfügung steht. Vielmehr ist er das schlechterdings Besondere, das sich weder aus den Bedingungen der Welt und unseren Erfahrungen ableiten lässt noch ihnen einfach zugeordnet werden kann. Im Blick auf Gott versagt die zu allgemeiner Geltung erhobene Erkenntnisregel, nach der jedes Besondere immer nur als eine Variante eines Allgemeinen erkannt werden kann. Soll ernsthaft von Gott die Rede sein, so müsse es um etwas Anderes gehen als um eine besondere Spezies aus einem angenommenen Genus des allgemein Göttlichen und den Vorstellungen, die wir uns davon machen. Wir wissen keineswegs schon von uns aus, was es heißen könnte, dass Gott in Erscheinung tritt und was von ihm dann zu erwarten wäre. Gott ist keine Variante einer uns bekannten allgemeinen Größe mit einem bestimmten Eigenschaftspotenzial. Vielmehr kann für Gott die allgemein geltende Erkenntnisregel grundsätzlich nur in ihrer Umdrehung gelten: Nur vom Besonderen aus lässt sich das Allgemeine erkennen, d. h. nur wenn und indem die unvergleichliche Besonderheit Gottes in Erscheinung tritt, wird es uns möglich, etwas über Gott zu sagen und – wie sich dann zeigen wird – nicht nur über Gott, sondern auch über den Menschen und unsere ganze Wirklichkeit, zu der Gott, wenn und wo er in Erscheinung tritt, immer schon in einer ganz bestimmten Beziehung steht.
Gott lässt sich nicht unseren Erkenntnisregeln unterwerfen so wie es nicht an uns ist, ihm den ihm zukommenden Platz zuzuweisen, sondern rechte Gotteserkenntnis kann nur aus der von ihm selbst eröffneten Beziehung zu uns kommen, in der uns dann auch unser eigener Platz erschlossen wird, über den ja ebenfalls keine selbstverständliche Klarheit zur Verfügung steht. Es ist diese Wiederentdeckung der Fremdheit, der Andersartigkeit und zugleich der sich selbst vergegenwärtigenden Gegenständlichkeit Gottes, die Barth den allseitigen und selbstverständlichen Berufungen auf Gott entgegenhält.
Wie bereits angedeutet, wendet sich Barth nicht an die Gottesleugner, nicht an diejenigen, die sich nicht mehr auf Gott berufen oder diesen gar mehr oder weniger offensiv bestreiten, um nun ihnen gegenüber Gott oder die Religion zu verteidigen, wie es Friedrich Schleiermacher in seinen berühmten Reden „Über die Religion“ im Blick auf „die Gebildeten unter ihren Verächtern“ getan hat. Er sieht sich vielmehr in erster Linie von dem desaströsen Zustand des Gottesverständnisses bei denjenigen provoziert, die sich ausdrücklich auf Gott berufen und vorgeben, als seine Protagonisten aufzutreten. Er wendet sich an diejenigen, die das Christentum für sich in Anspruch nehmen und sich auf den Gott der christlichen Tradition berufen. Ihnen wirft Barth vor, dass zum Schaden der Kirche und damit auch zugleich der ganzen Gesellschaft nicht mehr deutlich ist, was das Bestimmte und somit Orientierende dieses Gottes ist. Barth hält der Kirche und der Theologie entgegen, dass es sich verbiete, Gott in unsere jeweilige Weltanschauung einzubauen, weil es in seiner Konsequenz nur als absurd bezeichnet werden könne, wenn sich Gott je nach Lage unserem Ermessen unterwerfen ließe. Vielmehr stehe umgekehrt mit der Gottesfrage immer auch unsere ganze Weltanschauung zur Debatte. Mit der angemessenen Wahrnehmung der Gottesfrage steht zugleich die Kirche als Kirche auf dem Spiel. Barth mahnte zu einer grundlegenden Umkehr, ohne welche die Kirche ihrer spezifischen Freiheit verlustig gehe und somit ihre geschichtliche Legitimation verlöre. Es bleibt eine durchaus anspruchsvolle und ambitionierte Angelegenheit, wenn der Mensch es wagt, im Blick auf sich und die von ihm erschließbare Wirklichkeit von Gott zu reden.
Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. II.3; IV.1; V.2.
2.Die Wiederentdeckung der Bibel
These
Die grundlegende Orientierung für die Erkenntnis Gottes und seiner Geschichte mit dem Menschen findet die christliche Gemeinde im biblischen Zeugnis, das in dieser Funktion durch nichts anderes ersetzt werden kann.
Wenn Barth das gewohnheitsmäßige Christentum so energisch an die besondere Andersartigkeit Gottes erinnert, beruft er sich auf die Bibel und die charakteristische Art und Weise, in der in ihr von Gott und seinem Handeln die Rede ist. In den biblischen Texten finde sich das grundlegende Gotteszeugnis, an dem sich unser Gotteszeugnis von heute immer wieder neu auszurichten habe. Ohne Orientierung an der biblischen Perspektive der Gotteserkenntnis bleibt alle Gottesrede im Horizont des christlichen Glaubens willkürlich und unbegründet.
Wenn Barth von der „neuen Welt in der Bibel“ spricht, geht er davon aus, dass sie in der Substanz „eben gar nicht die rechten Menschengedanken über Gott, sondern die rechten Gottesgedanken über den Menschen“ mitteilt.5 Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass wir in der Bibel durchgängig auf menschliche Gedanken treffen. Aber es kommt entscheidend darauf an, woraufhin wir dieses menschliche Gotteszeugnis lesen. Solange wir es so lesen, dass wir uns möglichst selbst darin wiedererkennen wollen, werden wir dort auch vor allem uns selbst begegnen. Wird die Bibel als ein Buch zur Orientierung einer moralischen Lebensführung gelesen, so wird sie uns hier eine Auskunft geben. Je nachdem, welche Fragen wir an sie richten, wird sie uns mit mehr oder weniger überzeugenden Antworten beschäftigen. Aber solange wir lediglich versuchen, unsere Lebensfragen in den Lebensorientierungen der antiken Verfasser der Bibel zu spiegeln, um uns dann diese oder jene Pointe bestätigen zu lassen, sind wir noch nicht auf das Besondere des biblischen Zeugnisses gestoßen. Solange wir uns allein an unseren eigenen Fragen orientieren, bleiben wir grundsätzlich in unserem eigenen menschlichen Möglichkeitshorizont und gingen damit an dem eigentlichen Anliegen des biblischen Zeugnisses und seinen Fragen an uns vorbei.
Barth hebt hervor, dass von den Verfassern der Bibel neben all dem Alten, was uns im Grunde immer schon irgendwie bekannt ist, vor allem eine neue Welt in den Blick gerückt wird, die nicht von unseren Möglichkeiten beherrscht wird, sondern in der sich die von uns aus unzugängliche Wirklichkeit Gottes in ihrer Beziehung zu unserer menschlichen Wirklichkeit zeigt. Es ist diese von unseren Möglichkeiten nicht erreichbare neue Welt, die im biblischen Zeugnis in unsere alte Welt hineinragt und um derer willen es als unvergleichliche Orientierungsquelle ernst zu nehmen bleibt. Nur wenn wir die Bibel mit der Erwartung lesen, in ihr mehr finden zu können, als wir uns selbst zu sagen vermögen, werden wir der Intention ihrer Verfasser gerecht, denn sie wollen uns auf diese neue Welt Gottes aufmerksam und auch neugierig machen.
Barth spricht vom ‚Ton vom Ostermorgen‘6, wie er im Grunde durch das ganze biblische Zeugnis hindurch zu vernehmen sei. Es spricht von dem Gott, der Christus vom Tode auferweckt hat und uns in den Verheißungshorizont dieser Auferstehung stellt. Es ist dieser Ton vom Ostermorgen, der wie nichts anderes für die neue Welt Gottes steht, die in unserer alten Welt längst wirksam ist und sich weiter Raum verschaffen will. Barth appelliert an den notwendigen Mut, diesen der alten Welt gegenüber grundlegend neuen Ton nicht in dem von uns veranstalteten Betrieb besinnungs- und heillos zu überhören.
Die Kirchen erweisen sich darin als Repräsentanten der alten Welt, dass auch sie sich immer wieder daran beteiligt haben, diesen in die Welt drängenden unvergleichlichen „Ton“ Gottes durch die Betriebsamkeit ihrer Frömmigkeitspraxis und ihre Gesinnungsappelle zu übertönen. In unseren anhaltenden Selbstrechtfertigungen übersehen wir Gottes Engagement für die Menschen. Die besondere Gerechtigkeit Gottes wir durch unsere menschlichen Gerechtigkeitsoptionen und ihre kategorialen Fixierungen gleichsam aus unserer Welt herausgehalten, weil wir nicht den Mut aufbringen, ihr eine wirkliche Bedeutung zuzumessen. Die Bibel haben wir mehr und mehr den Wahrnehmungsprämissen der verschiedenen menschlichen Gerechtigkeiten unterworfen, so dass die in ihr bezeugte andere Gerechtigkeit Gottes, wie sie im Ton vom Ostermorgen zum Klingen kommt, unbeachtet übergangen wird.
Soll Gott nicht nur der religiöse Spiegel menschlicher Selbstgerechtigkeiten sein, so gilt es, der Bibel mit dem Vertrauen zu begegnen, von ihr auf die Blickrichtung gewiesen zu werden, in der sich die Wirklichkeit Gottes in unserer Wirklichkeit erkennbar machen will.
Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.3.
3.Die Bibel verstehen
These
Die Methoden zur Erschließung des rechten Verständnisses der Bibel dürfen diese nicht von außen an sie herangetragenen Vorstellungen oder Erwartungen unterwerfen, sondern sollen offen für ihr besonderes Selbstzeugnis sein.
Barths neue Konzentration auf die Bibel ist überaus voraussetzungsvoll und keineswegs als ein mehr oder weniger naiver Biblizismus zu verstehen. Das bedeutet aber nicht, dass Barth nun eine ganz spezifische Bibelhermeneutik vorträgt, mit der er einen Weg gebahnt sieht, auf dem diese erwähnte „neue Welt in der Bibel“ zuverlässig in Erscheinung treten kann. In dieser Hinsicht hält sich bei Barth ein durchaus fundamentaler Methodenskeptizismus durch. Ohne seinerseits einen Königsweg der Exegese zu propagieren, versucht er einerseits, in kritischer Auseinandersetzung mit der Praxis, in der er die zeitgenössische Theologie Exegese treiben sah, deren als kritisch stilisierte Übergriffigkeit und die daraus resultierenden Desiderate zu annoncieren, und andererseits – soweit es irgend geht –, der unterstellten inhaltlichen Solidität des Textes im Horizont des Gesamtzeugnisses der Bibel auf die Spur zu kommen.
Barth distanziert sich von Umgangsweisen mit den biblischen Texten, die sie den Verstehenskategorien des modernen historischen Bewusstseins unterwerfen. Hier werde bereits durch die Methode den biblischen Texten konsequent die essenzielle Chance abgeschnitten, etwas zur Sprache zu bringen, was wir uns nicht auch selber sagen könnten. Wenn grundsätzlich nur dasjenige gelten kann, wozu es aus gegenwärtigen Erfahrungen auch Entsprechungen gibt, so dass wir uns erlauben, es für historisch wahrscheinlich zu halten, wird von vornherein allem Einmaligen und Besonderen die hier angesprochene besondere Aufmerksamkeit entzogen. Eine solche Lektüre der Bibel wird nicht von wirklicher Neugierde, sondern mehr von dem Interesse an Harmonie und Bestätigung bewegt. Sie gibt sich bereits damit zufrieden, dass aus dem Wald herauskommt, was man in ihn hineinruft. Ohne die erwartungsvolle Offenheit, im biblischen Zeugnis tatsächlich über unsere eigenen Möglichkeiten hinaus geführt zu werden, bleiben die Auslegungen im Horizont der eigenen Voraussetzungen gefangen und konsolidieren auf diese Weise den Ausleger gegenüber dem Text.
Von Anfang an hat Barth die Alternative von historisch-kritischer Exegese und theologischer Exegese nicht gelten lassen. Es kann nicht infrage gestellt werden, dass wir natürlich die Texte historisch-kritisch zu lesen haben, aber es kommt entscheidend darauf an, was damit gemeint ist. Auch bleibt entschieden einzuräumen, dass es sich bei der Bibel um ein mit allen Mängeln des Menschlichen behaftetes Zeugnis handelt. Es ist durchaus mit Ungenauigkeiten, Irrtümern und tendenziellen Zuspitzungen zu rechnen. Aber die Orientierung am biblischen Zeugnis verlöre jede substanzielle Bedeutung, wollte man annehmen, dass ihr Zeugnis von Gottes Handeln am Menschen so sehr von diesen Mängeln verdeckt sei, dass es nun darauf angewiesen ist, von uns erst hinter den biblischen Texten ausgegraben und zum Leuchten gebracht zu werden.
Die entscheidende Frage lautet: Ist die historische Kritik der Anwalt des Lesers gegenüber dem Text oder der Anwalt des Textes gegenüber dem Leser. In dieser Alternative kann es nach Barth nur so sein, dass dem Text ein Anwalt zugesprochen werden muss, weil der Leser durchaus sein eigener Anwalt ist. Barth macht darauf aufmerksam, dass ein Text noch nicht verstanden ist, wenn möglichst differenziert die Bedingungen ergründet werden, auf welche Weise er zustande gekommen ist. Es müsse vielmehr ebenso intensiv versucht werden, möglichst klar zu benennen, was er mitteilen will. Die Exegese kommt erst dann an ihr Ziel, wenn es ihr gelingt, mit eigenen Worten das zu sagen, was der jeweilige Autor uns mit seinem Zeugnis eröffnen wollte.
Dabei bleibt zu beachten, dass es nicht um den Besuch einer alten Pyramide geht, bei dem das aufzuspürende Neue prinzipiell immer nur eine längst versunkende Herrlichkeit der Vergangenheit sein kann. So sehr uns das biblische Zeugnis zweifellos in antiker Gestalt übermittelt ist, so sehr weist es zugleich über die spezifischen Bedingungen seiner Zeit hinaus. Indem es auf die Bezeugung der lebendigen Wirklichkeit des Handelns Gottes ausgerichtet ist, zielt es auf das unvergleichlich Besondere der Lebendigkeit Gottes, das auch heute nur dann angemessen wahrgenommen werden kann, wenn wir uns vom biblischen Zeugnis orientieren lassen. Biblische Hermeneutik im Sinne von Barth ist schlicht und folgenreich die Anstrengung, bei der Auslegung der biblischen Texte möglichst genau in die Blickrichtung des jeweiligen Textes zu sehen in der Erwartung, von dort aus möglichst genau das zu hören zu bekommen, was die Verfasser zur Abfassung ihres Zeugnisses motiviert hat.
Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes im Exkurs in Kap. III.3.
4.Der Vorrang der Offenbarung
These
Gott kann nur dann angemessen zum Gegenstand der Erkenntnis werden, wenn er selbst zum Subjekt seiner Erkenntnis wird und unserer diesseitsverschlossenen Erkenntnis gleichsam auf die Sprünge hilft. In diesem Sinne steht die Offenbarung für die fundamentale Verwiesenheit des Menschen auf die Selbstvergegenwärtigung Gottes.
Der skizzierte Umgang mit dem biblischen Zeugnis bringt eine eigene Erkenntnistheorie mit sich, auf die Barth die Theologie verwiesen sieht, wenn sie sich aufmacht, nicht nur von sich, sondern tatsächlich auch von Gott zu reden. Gott kann kein von der Theologie aufzusuchender Gegenstand sein. Es kann nur anders herum funktionieren: Nur da ist sinnvoll von Gott zu reden, wo man sich selbst von Gott aufgesucht weiß. Der Erkenntnisaktivität des Menschen muss grundsätzlich eine Aktivität Gottes vorausgehen, wenn anders es nichts zu erkennen gibt. Die von der Bibel bezeugte Offenbarung ist nicht nur der Gegenstand der Erkenntnis, sondern eben auch ihr Subjekt. Das ist die grundlegende Voraussetzung und zugleich die entscheidende Verlegenheit jeder theologischen Unternehmung: Gott kann nur da erkannt werden, wo er sich selbst zu erkennen gibt. Rechte Erkenntnis des Offenbarungszeugnisses kann selbst nur ein Resultat von Offenbarung sein. Der Wirklichkeitserweis des Offenbarten kann allein durch die geoffenbarte Wirklichkeit selbst erfolgen und nicht durch die Instrumentarien der uns zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten.
Die damit angedeutete innere Differenzierung des Offenbarungsverständnisses wird von Barth trinitarisch konkretisiert. Gott ist das Subjekt der Offenbarung (der Vater), er ist das Objekt der Offenbarung (der Sohn) und er ist das Prädikat der Offenbarung, ihr Vollzug (der Heilige Geist) – er ist „in unzerstörter Einheit, aber auch in unzerstörter Verschiedenheit der Offenbarer, die Offenbarung und das Offenbarsein.“7 Hinsichtlich ihrer Gegenständlichkeit verweist die Offenbarung auf Jesus Christus als das Mensch gewordene Wort Gottes. Er ist der Schlüssel zu dem, was die Geschichte Gottes mit dem Menschen ausmacht und vom Menschen nun zu erkennen ist. Hier hat die für Barth charakteristische christologische Konzentration seiner Theologie ihren entscheidenden Grund.
Es reicht allerdings nicht aus darauf zu verweisen, dass sich Gott hier und da in der Vergangenheit offenbart habe, zumal sich die Erkenntnis, dass er sich hier und da offenbart habe, nicht an den in Anspruch genommenen Ereignissen evident machen lässt und somit auch nicht argumentativ demonstriert werden kann. Die Evidenz kann sich vielmehr nur durch die im biblischen Zeugnis angesprochene Wirklichkeit Gottes selbst erschließen. Mit der Betonung dieser konsequenten Verwiesenheit auf die freie Selbsterschließung Gottes erinnert Barth an die altkirchliche Einsicht: Gott wird nur durch Gott erkannt (Hilarius von Poitiers). Das sich in seinem Erkenntnisvermögen selbst spiegelnde und unablässig bestätigende neuzeitliche Subjekt wird in der Theologie mit seiner prinzipiellen Grenze konfrontiert. Der mit Hilfe des Denkens vollzogenen Selbstermächtigung des Menschen („Cogito ergo sum“ [„Ich denke, also bin ich“] – Descartes) tritt eine sich selbst behauptende Wirklichkeit entgegen, der gegenüber sich das Denken nur seine Unzulänglichkeit und Zufälligkeit eingestehen kann. Es wird sich hier herausstellen, dass all die für das Denken bemühte Kraft der Kritik vor allem in die Richtung auf die so wichtige Selbstkritik gründlich zu kurz greift. Wenn es um Gott geht, ist es nicht das menschliche Erkenntnisvermögen, das sich spekulativ einen Weg in die Transzendenz hinein verschafft, sondern es findet sich mit der Evidenz eines Wirklichkeitshorizontes konfrontiert, durch den die menschliche Erkenntnis in grundsätzlich andersartige Orientierungsbedingungen versetzt wird.
Indem durch die Selbstmitteilung Gottes die Wirklichkeit in ein neues Licht gestellt wird, geraten in gewisser Weise alle Erkenntnisse des Menschen in eine neue Perspektive, durch welche Licht und Schatten gegenüber der bisherigen Perspektive eine ganz neue und durchaus überraschende Verteilung erhalten. Die Passivität dieser Erkenntnis wird insbesondere darin deutlich, dass hier der Mensch nicht auswählt und auslegt, sondern sich ausgewählt und ausgelegt entdeckt und findet. Der neuzeitlichen Mentalität, nach welcher es der Mensch ist, der durch seinen Zweifel und sein Denken seinen Wahrnehmungen das zu entlocken versteht, was ihm dann als Wirklichkeit gilt, wird der Wirklichkeitsanspruch Gottes entgegengestellt. Dadurch wird der Mensch in einen Horizont versetzt, der ihn einerseits von den Zermürbungen der unablässigen Wirklichkeitskonstitution entlastet und ihn andererseits in eine Lebensperspektive versetzt, die ihn aus seiner Selbstgefangenschaft befreit und zu einem der lebendigen Zugewandtheit Gottes entsprechenden gemeinschaftlichen Leben ermutigt.
Das, was für die Reformation die Rechtfertigungslehre war, an der sich alles Weitere für die Theologie entscheidet, ist im 20. Jahrhundert für Barth die Frage nach der angemessenen Erkenntnis der Offenbarung, die er – wie es die Reformation mit der Rechtfertigung des Menschen getan hat – ganz auf die Seite Gottes rückt. Damit erteilt Barth der neuzeitlichen Apologetik der Theologie eine Absage und stellt die Theologie zunächst und betont in den Verantwortungshorizont der Kirche zur kritischen Rechenschaft über das von ihr zu erwartende Zeugnis in Wort und Tat.
So wenig die Offenbarung objektivierbar ist, so entschieden bleibt sie auch von ihrer Subjektivierung auf Abstand zu halten. Wenn Barth gern von ihrem Ereignis spricht, wird die Offenbarung ebenso von einer falsch verstandenen Gegenständlichkeit wie auch von einer Verflüchtigung in einen Eindruck oder einer empfundenen Anmutung unterschieden. Es geht um ein Geschehen, das allein deshalb aus der Kontingenz eines prinzipiell unnahbaren Schwebezustandes heraustritt, als es in Jesus Christus in Erscheinung getreten ist, um uns einerseits eine Anschauung zu ermöglichen und uns zugleich auch stets die Grenzen unserer Anschauung aufzuweisen, weil es Christus im Lichte seiner Auferweckung wahrzunehmen gilt, deren diesseitige Analogielosigkeit unser Vorstellungsvermögen überschreitet, so dass wir auf Bilder angewiesen bleiben, die vor allem von den Narrativen vom irdischen Jesus aus imaginiert werden. So gibt uns die Offenbarung durchaus Bestimmtes zu erkennen, wie sie zugleich auch konsequent ihr Geheimnis wahrt. Die Offenbarung weist die Theologie auf ihre Ermöglichung wie zugleich auch auf ihre Grenze, so dass sie sich ausdrücklich auf eine durchaus bescheidene Rolle einzustellen hat.
Mit dieser konsequenten Selbsternüchterung der Theologie und der offensiven Wahrnehmung ihrer tatsächlichen Partikularität ist Barth bis heute der Zeit immer noch voraus. Es geht ja nicht um einen Selbstrückzug der Theologie aus der akademischen Debatte, wohl aber um eine nüchterne und sachgemäße Präzisierung der Reichweite des von ihr einzubringenden Blickwinkels und der von ihr zu erwartenden Argumentationsebene.
Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.1.
5.Das Problem der „natürlichen Theologie“
These
Indem Gotteserkenntnis keine dem Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeit ist, verbietet sich die Berufung auf geschichtliche oder psychologische Erfahrungen als einer Brücke zur Gottesfrage und somit auch als ein Entdeckungshorizont für fundamentaltheologische Orientierungen. Barths Abweisung der „natürlichen Theologie“ versucht diesem Umstand konsequent gerecht zu werden.
Indem Barth die Verwiesenheit der Theologie auf die allein in der Hand Gottes liegende Offenbarung hervorhebt, zieht er die aus seiner Sicht notwendige erkenntnistheoretische Konsequenz aus der reformatorischen Erkenntnis der Alleinwirksamkeit Gottes im Rechtfertigungsgeschehen. Was die Reformatoren für die Soteriologie exponiert haben, wird unter den veränderten Bedingungen der Neuzeit nun zu einer Voraussetzung der Möglichkeit von Theologie überhaupt. Das hat zur Folge, dass Barth sich konsequenter als die Reformatoren gegen alle Formen einer „natürlichen Theologie“ wendet.
Was ist damit gemeint? Mit „natürlicher Theologie“ wird eine Theologie bezeichnet, die ihren Ausgang und ihre Perspektive in dem Bereich unmittelbar zugänglicher menschlicher Erfahrungen sucht. Indem es in der Neuzeit insbesondere die Geschichte ist, durch deren Gestaltung der Mensch sich selbst sein Selbstbewusstsein als tätiges Subjekt bestätigt – er ist es, der Geschichte schreibt –, steht die natürliche Theologie vorrangig für die geschichtsphilosophischen Horizonte, die der Theologie vonseiten der menschlichen Selbsteinschätzung gleichsam als ihr „natürlicher“ Entfaltungsraum vorgegeben werden. Im weitesten Sinne kann gesagt werden: Natürliche Theologie ist nach Barth die Theologisierung eines bereits gegebenen und als solches auch anerkannten Selbst- und Wirklichkeitsbewusstseins, das unabhängig von den Orientierungen der Offenbarung zustande gekommen ist. Barth kritisiert die Inanspruchnahme des jeweiligen Selbstverständnisses des Menschen als fundamentalen Anknüpfungspunkt für die aus der Offenbarung zu gewinnenden Einsichten. Die theologische Würdigung und damit Überbewertung des Vorverständnisses kanalisiert und selektiert die Verstehensweise der Offenbarung, so dass im Resultat wiederum nur eine vom Vorverständnis geprägte Variante herauskommen kann. Wohlgemerkt bestreitet Barth weder die Gegebenheit eines Vorverständnisses noch seine prägende Kraft, von der wir uns auch nicht einfach abwenden können, aber er wehrt sich gegen seine theologische Anerkennung als Referenzrahmen für die von der Theologie zu bedenkenden Orientierungshorizonte und Fragestellungen.
Barth weist damit grundsätzlich die Inanspruchnahme der Möglichkeit ab, dass die Beziehung zu Gott zu einem Moment der menschlichen Selbstbestimmung werden kann. Er spricht von einer christlichen Adaption der durch die Erkenntnis vollzogenen Weltbemächtigung im Gefolge von Descartes, d. h. von einem „christlichen Cartesianismus“ (KD I/1, 224), wenn der Glaube zu einer Möglichkeit des Menschen wird, die seiner Entscheidungsfähigkeit so oder so anheimgestellt wird. Pointiert könnte man sagen, dass im Horizont der natürlichen Theologie die Theologie als eine dem Menschen mögliche Möglichkeit ausgegeben wird. Sie verschließt sich vor der Anerkennung der Unmöglichkeit, in der ihr allein die Chance erwächst, ihrem lebendigen Gegenstand tatsächlich zu begegnen (vgl. Kap. I.6).
Immer wieder unterliegt der Mensch der Versuchung der „Domestizierung der Offenbarung“ (KD II/1, 155), in der die Wirklichkeit Gottes zwar nicht abgewiesen, aber eben in den eigenen Betrieb genommen wird, was dann unterm Strich aber als eine besonders subtile und respektlose Form der Abweisung zu bewerten ist. Tatsächlich geht es um nicht weniger als um die Sicherung des Vorrangs des Menschen gegenüber Gott. Die Domestizierung Gottes für die eigene Weltwahrnehmung sichert der natürlichen Theologie ihren Boden, dem seit dem 18. Jahrhundert ein fundamentaltheologischer Rang zugemessen worden ist.
Die Karriere der natürlichen Theologie ist für Barth schlicht die Kehrseite davon, dass dem Selbstbewusstsein des neuzeitlichen Menschen das Faktum der Sünde so grundsätzlich suspekt geworden ist. Gewiss bleibt einzuräumen, dass die natürliche Theologie tatsächlich so unvermeidlich wie die Sünde ist, aber sie ist eben auch ebenso wenig zu wollen oder gar zu fordern wie diese. Dazu muss sie aber zunächst als ein Problem erkannt und vergegenwärtigt werden. Es wäre eine Illusion zu meinen, dass sich die natürliche Theologie eliminieren ließe, aber die Theologie sollte sich über die von ihr ausgehenden Gefährdungen und Versuchungen stets bewusst sein, um ihr nicht selbst noch ausdrücklich einen Weg zu bahnen.
Die Theologie wird nicht auf der Seite Gottes, sondern von ebenso fehlbaren wie auch der Sünde unterworfenen Menschen betrieben und hat deshalb keinen Anlass, mit irgendwelchen exponierten Ansprüchen aufzutreten. Sie wird von Barth immer wieder an die Demut erinnert, in der sie allein eine verheißungsvolle Anstrengung werden kann. Weil sie sich nicht selbst rechtfertigen kann, bleibt sie ebenso wie der einzelne Mensch, seine Religion oder auch die Kirche auf die göttliche Rechtfertigung angewiesen. Immer wieder verweist Barth auf die offenkundig kaum akzeptabel zu vermittelnde Verlegenheit der Kirche, dass sie allen an sie gestellten Erwartungen entgegen weder über die Wahrheit verfügt noch die ‚Welt‘ mit irgendwelchen von ihr zu verwaltenden, vermeintlich immerwährenden Werten zu belehren vermag. Sie kann nur schlicht auf Gott und seinen sich auch heute bestätigenden Selbsterweis hinweisen.
Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.2
6.Dialektische Theologie
These
Indem die Theologie als menschliche Anstrengung ein prinzipiell vorbehaltliches Unterfangen bleibt, kann sie ihrem Wesen nach nur eine dialektische Theologie sein. Bei aller Entschlossenheit zu klaren und verlässlichen Einsichten gehört auch eine eigens zu pflegende Umsicht zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe, sich immer wieder auch selbst ins Wort zu fallen, ebenso wie die fundamentale Offenheit, sich immer wieder von neuen biblisch begründeten Einsichten infrage stellen zu lassen.
Im Horizont der von Barth zeitlebens hervorgehobenen prinzipiellen Vorbehaltlichkeit der Theologie liegt auch der Grund für den dialektischen Charakter des theologischen Denkens und Argumentierens, wie es sich bei Barth durchgängig finden lässt. Auch wenn die Bezeichnung „dialektische Theologie“ insbesondere den Herausgebern der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ und ihren Sympathisanten bereits im Herbst 1922 „von irgendeinem Zuschauer angehängt worden“ war8, so hat Barth doch das spezifische Wahrheitsmoment dieser Bezeichnung ausdrücklich gewürdigt.9 Als solche trifft der Begriff „dialektische Theologie“ zunächst einerseits eine vor allem von Barth angestoßene theologische Richtung und andererseits eine für Barths eigenes Denken begrenzte Entwicklungsphase seiner Theologie in den 1920er Jahren.
Heute wird darüber hinaus zudem davon ausgegangen, dass Barth auch später in modifizierter Weise eine grundlegende dialektische Dimension in seiner Theologie bewahrt hat. Damit bleibt anerkannt, dass sich durchaus deutliche Änderungen in der Perspektive und auch im Blick auf den Begründungshorizont seiner Theologie im Laufe der Zeit ausmachen lassen, und zugleich wird unterstrichen, dass Barths Theologie bis in ihre späte Gestalt eine Theologie geblieben ist, die um ihren prinzipiell vorläufigen und vorbehaltlichen Charakter wusste. So kann bestenfalls zwischen zwei Phasen im Umgang mit der Dialektik der Theologie unterschieden werden, aber genau genommen nicht zwischen einer dialektischen und einer an der Analogie orientierten Phase.10 Ausdrücklich heißt es: „‚Analogie‘ bedeutet im Unterschied zu Gleichheit und Ungleichheit: Ähnlichkeit d. h. teilweise und darum die Gleichheit und Ungleichheit begrenzende Entsprechung und Übereinstimmung zwischen zwei oder mehreren verschiedenen Größen.“ (KD II/1, 254) Der Begriff der Analogie im Sinne Barths wäre also zutiefst missverstanden, wenn nicht auch das in ihm liegende dialektische Moment essenziell gewürdigt wird, weil bei aller erreichbaren Entsprechung niemals die auch bleibende Differenz aus dem Blickfeld verschwinden darf.
Entgegen aller Entschiedenheit, die seine Theologie gewiss ausstrahlen mag, ist Barth ein Theologe geblieben, der sich auch immer wieder selbst ins Wort fallen konnte. Barth wusste um die mit der Theologie auf der einen Seite unausweichlich verbundene Überforderung, die mit dem auf der anderen Seite nicht zu vermeidenden Anspruch verbunden bleibt, in der Theologie die Angemessenheit unseres menschlichen Redens von Gott am Maßstab des biblischen Zeugnisses einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Zwar wird Gott auch im biblischen Zeugnis nicht greifbar, aber es steht unter der Verheißung, ihn doch immerhin so distinkt erkennbar machen zu können, dass dem Orientierungsbedürfnis des Glaubens ausreichend Genüge getan werden kann.
Für Barth steht die Anerkennung der Selbstmitteilung Gottes im Zentrum. Sie erschließt sich in seinem in Jesus Christus Mensch gewordenen Wort, d. h. in seinem sich im Christusgeschehen vollziehenden Handeln. Sie ermöglicht es dem Menschen, in bestimmter Weise von Gott zu reden. Auch wenn diese Ermöglichung über sein Fassungsvermögen und somit auch über seine Sprach- und Verstehensmöglichkeiten hinausgeht, wie sich besonders an dem entscheidenden Schlüssel des Geschehens, nämlich der Auferweckung Jesu zeigt, ist damit eine unerschöpfliche Ermöglichung menschlicher Gottesrede gegeben. Es ist also nach Barth die Offenbarung selbst, die aus der Unmöglichkeit menschlicher Gottesrede eine mögliche macht, ohne dass sie irgendwann zu einem Gegenstand seiner Möglichkeiten werden könnte.
In diesem Gefälle wird die Theologie zu einer von Gott ermöglichten Möglichkeit, die als solche immer wieder auf die Ermöglichung durch Gott angewiesen bleibt. Wenn Gott keine Möglichkeit des Menschen ist, kann es nur Gott selbst sein, der ein Reden über ihn ermöglichen und diesem Reden dann auch die nötige Erschließungskraft verleihen kann. Von den Möglichkeiten des Menschen aus gesehen bleibt dies eine Unmöglichkeit. Indem aber dem Menschen genau das ermöglicht wird, was ihm von sich aus unmöglich bleibt, soll hier im Blick auf Barths Verständnis der Theologie als von einer möglichen Unmöglichkeit gesprochen werden. Wenn Barth in seiner Dogmatik dann von der Sünde als einer unmöglichen Möglichkeit sprechen wird, kommt exakt die eigenwillige Nichtentsprechung zu der von Gott eröffneten Möglichkeit zur Sprache (vgl. Kap. IV.5.4).
Es kommt entscheidend darauf an, das dialektische Moment der Theologie zu bewahren. Ihre Ermöglichung bleibt auf Gott verwiesen, um dann aber tatsächlich zu einer allerdings nicht auf Dauer zu stellenden menschlichen Möglichkeit zu werden. Und zugleich stößt sie als diese dem Menschen ermöglichte Möglichkeit stets auch an die Grenzen seiner Möglichkeiten und erinnert ihn damit daran, dass sie als ermöglichte Möglichkeit niemals zu einer seiner Möglichkeiten werden kann und insofern eine Unmöglichkeit bleibt – Theologie ist eine mögliche Unmöglichkeit und muss deshalb grundsätzlich eine vorbehaltliche und vorläufige und in diesem Sinne dialektische Theologie bleiben.
Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.
7.Der Horizont des einen Bundes
These
Die von der Theologie zu bedenkende Geschichte Gottes mit dem Menschen wird durch den Bund Gottes mit Israel und seiner menschheitlichen Erfüllung in Christus orientiert. Er ist verankert in der ewigen Gnadenwahl Gottes, in der sich Gott in seiner Freiheit dazu bestimmt, des Menschen Gott zu sein. Als solcher ist der Bund bereits Gegenstand der Gotteslehre und damit zugleich ein fundamentales Element im Bedenken ihrer materialtheologischen Distinktionen in Schöpfungs-, Versöhnungs- und Erlösungslehre.
Die gesamte Theologie Barths bewegt sich in dem Horizont der Geschichte, die sich in dem Bund Gottes mit den Menschen vollzieht. Der Bund ist der Rahmen und die Bühne aller theologischen Einlassungen, auch wenn er nicht in jedem einzelnen Aspekt ausdrücklich hervorgehoben wird. Er ist ebenso Ausdruck des Wesens Gottes wie der Ökonomie seines Handelns. Im Begriff des Bundes „vollendet sich der Begriff Gottes selbst“ (KD II/2, 564). Er intoniert das zentrale Thema der Theologie Barths, indem er einerseits der besondere Ausdruck der freien Selbstbindung Gottes ist, die im ewigen Entschluss seiner Gnadenwahl wurzelt, und andererseits den freien Lebensraum bezeichnet, in dem der Mensch seine besondere Bestimmung als Beziehungspartner Gottes leben kann. Es gehört zu dem besonderen Profil der Theologie Barths, dass sie sich unter Berufung auf das biblische Zeugnis durchgängig auf den Leitfaden des Bundes bezieht.
Schon in seinen Frühschriften greift Barth gern den Gottesnamen ‚Immanuel‘ auf: ‚Gott mit uns‘. Wie kein anderer annonciert dieser Name das besondere Verhältnis Gottes zum Menschen. Es ist dieser ‚Immanuel‘, der in besonderer Weise für Gottes freie Selbstbestimmung zum Stifter, Begleiter und Vollender des mit dem Bund bezeichneten spezifischen Beziehungsverhältnisses zum Menschen steht. In diesem Namen versammelt sich gleichsam das ganze Verheißungspotential, das grundsätzlich mit jedem Inerscheinungtreten Gottes verbunden ist. Die Vorrangigkeit des Bundes zeigt sich in der Bestimmung der Schöpfung als Ermöglichungsgrund des Bundes ebenso wie in dem Verständnis der Versöhnung als die Erfüllung des Bundes. Sowohl noetisch als auch ontisch ist er ein zentrales inhaltliches Regulativ für die Beschreibung der Entdeckungszusammenhänge theologischer Fragestellungen, die in ihm ihr spezifisches Stehvermögen im Gesamtzusammenhang der Theologie bekommen. Das ‚Gott mit uns‘ gilt für Barth „als Kern der christlichen Botschaft“ (KD IV/1, 3). Die Selbstcharakterisierung Gottes wird nicht durch einen Begriff angezeigt, sondern durch seinen Namen. Er steht sowohl für die Erkennbarkeit als auch für die Unverfügbarkeit Gottes, der auch in seiner Offenbarung verborgen bleibt.
So gewiss die Bibel unterschiedliche Bünde bezeugt und die Unterscheidung von einem alten und einem neuen Bund kennt, so werden doch alle Unterscheidungen von dem einen Bundeswillen Gottes umfasst, dessen Wurzeln in der ewigen Erwählung zu suchen sind. Barth spricht pointiert vom „Bogen des einen Bundes“ (KD II/2, 220). Von der Bundestreue Gottes bleibt auch die Erwählung Israels umfasst, so dass Barth in symbolträchtiger Weise anlässlich seines Papstbesuches 1966 die Beziehung zum Judentum als die eigentlich zentrale ökumenische Herausforderung hervorgehoben hat – eine Herausforderung, deren Reichweite bisher nur von wenigen in Ansätzen geahnt wird.
Die geheimnisvolle Namensoffenbarung Gottes am brennenden Dornbusch (Ex 3) erschließt sich in ihrer Tiefe in dieser gesamtbiblischen bundestheologischen Perspektive, in der Gott nicht durch seine absolute Macht, sondern durch seinen konsequenten Beziehungswillen charakterisiert wird. Barth schreibt Gott keine abstrakte Allmacht zu, die sich in irgendwelchen Demonstrationen ihrer prinzipiellen Überlegenheit ergeht. Das Streben nach einer solchen Allmacht, die vor allem sich selbst will, ist vielmehr ein Attribut des Teufels, von dem Barth als einer Personifizierung des Bösen allerdings nur sehr vorbehaltlich Gebrauch macht. Es ist die potentia,